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›Doortje van Grieth‹ hatte zur Feier des Tages geflaggt.
Das grüßte und knatterte in allen Kulören von den Tops und den Rahen herunter, und als der Kapitän die ihm überkommene freudige Nachricht im ›Blauen Pferdchen‹ absetzte, ließ auch Pitt Lörksen sofort seine größte Prozessionsfahne vom obersten Söllerfenster auf die Straße niederbaumeln.
»Muß ich,« konstatierte er mit krähender Stimme, »denn in meinem Lakal hat er immerzu seine mächtigen Reden gehalten, Cornelis ten Berg an die Tapete geklebt und den Umschwung seiner Gefühle vollzogen, und wenn ich auch nicht direktemang annehmen will, daß sie bei mir ihre Hochzeit entrieren, denn hierbei ist wohl der Knollenkamp die richtige Stelle, so denke ich doch, daß sie ihre Burdos und alle Laköre von's ›Blaue Pferdchen‹ beziehen, im Angedenken an erhabene Stunden und genossene Freuden.«
»Hoffe ich auch,« meinte der Baas und leerte sein vollgemessenes Glas auf die glückliche Wendung der Dinge.
Und dann geschah es ...
Die Sonne stand bereits lief über den blauen Wäldern von Moyland. Man glaubte, ferne Glocken zu hören, aber solche, die im Himmelreich wohnten: Glocken der Versöhnung, des Dankes, der Menschenliebe, Glocken der Anbetung. Die Weiten schleierten ein, verschönerten sich mit jenem seltsamen Silberton, der nur den Sommerabenden eigen ist, die selbst in den spätesten Stunden ihre liebliche Helle bewahren. Es konnte nicht dunkel werden. Die Augen der Erde fielen nicht zu. Sie blieben weit und groß und ins Unendliche gerichtet. Sie verharrten in ihrer sichtigen Klarheit, wenn auch bald darauf die Sterne heraufziehen mochten.
»Oh!«
Und Jüllecke Nakatenus betete.
Sie betete mit der Einfalt des Kindes und doch mit der Kraft und Herrlichkeit eines in sich gefesteten Menschen.
Sie betete mit der Inbrunst aller Geschöpfe, die den Herrn verehren, ihn lieben, ihm dienen und seine Werke des Gedeihens und des Ungemachs preislich finden.
Und also betete sie: »Ich liege und schlafe ganz in Ruhe; denn allein du, o Herr, hilfst mir, daß ich sicher wohne.«
Und weiter: »Die Himmel erzählen die Ehre des Allmächtigen, und die Feste verkündet seiner Hände Werk.«
Sie wandte das Blatt und betete stärker: »Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Übertretungen; gedenke aber mein nach deiner Barmherzigkeit um deiner Güte willen.«
Hierauf legte sie die Schrift hin und trat versonnen an das geöffnete Fenster, das gen Morgen schaute.
Hier stand sie unbeweglich, mit gefalteten Händen, das Herz geweitet und die Augen voller Vertrauensseligkeit und Freude, voller Glanz und Zuversicht.
»Oh!«
Ihre Lippen zitterten und fanden nur noch die Worte: »Herr, es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget. So gehet mit Gott denn, ziehet hin in Frieden!«
Sie schaute drei Gestalten nach, die sich auf dem Wege nach Grieth und in der Richtung des Knollenkampes bewegten.
Seitlich des Weges standen Garben, Schober und Mieten in schnurgeraden Reihen, vom letzten Schein des Tages umleuchtet und von einer leichten Brise umfächelt. Der Roggen war geschnitten. Die Weizenfelder harrten noch der emsigen Sensen. Eine verspätete Lerche hob sich auf, kletterte mit hellem Jubel in das feinmaschige Licht des Abends hinein, um sich wieder mit verhaltenem Tirilieren in die braunen Schollen zu senken.
Und sie schritten ihres Weges und kamen daher in feiertägiger Aufmachung: drei Könige, stolz und ebenmäßig gewachsen, jeder dem anderen zum Verwechseln ähnlich, die sichtbaren Zeichen der Zuversicht und des eigenen Wertes auf den freien Stirnen.
Jan-Ohme hatte ihnen dargetan: »Befehlt nur, und ich werde mein großes Tilbury schicken, selbstverständlich in nobelm Geschirr und mit Silber plattiert,« aber sie hatten dankend abgelehnt und ihm des weiteren auseinander gelegt: »Jan-Ohme, wir haben diesen Weg so oft in Hoffnung und Schmerzen begangen, ohne seiner überdrüssig zu werden, und möchten auch jetzt, wo wir uns in gehobener Stimmung befinden, diesen Pfad nicht verleugnen, sondern ihn auch fernerhin als unseren Kameraden in Freud und Leid betrachten,« und so gingen sie denn still nebeneinander, der Stunde gewärtig, die ihnen bald schlagen mußte.
Sie sprachen nicht, hatten aber Tuchfühlung, nur ein Ziel vor Augen und nur eine Erkenntnis.
Klaas-Welm trug etwas im Arm, auch Ewert. Nur Arnt schritt ohne jedes Angebinde neben seinen Brüdern ... und wenn sie sich ansahen, so wußte jeder, was der eine von dem anderen dachte und wollte. Das große Gelöbnis war bei ihnen, das sie sich einst in heiliger Stunde gegeben, das auf hartem Gestein wurzelte, es umklammerte mit tausend Masern und Fasern, für Zeit und Ewigkeit gesetzt, unüberwindlich wie der Fels Petri. Die stummen Lippen sprachen es aus, die Blicke redeten es, ihre Pulse klopften es sich wechselseitig zu: »Alle für einen und einer für alle ... und was der eine auch empfängt an Fülle und Schönheit, gleichviel, ob es ihm dargebracht wird bei froher und emsiger Arbeit, am friedlichen Herdfeuer oder in verschwiegener Nacht in den Armen des Weibes – es sei ihm vergönnt und gegeben in brüderlicher Eintracht und Selbstverleugnung, ohne Hader und Schalkheit, ohne Neid und Mißgunst, aus freiem und fröhlichem Herzen, mit Lust und Verständnis, denn Gott hat es gewollt, die Liebe es also geboten, mußte somit aus dem Himmelreich kommen – im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes ...« und war eine Feier und Hoheit um sie ausgetan wie zur Zeit des jüdischen Königs, da der große Stern über Bethlehem erschien und alle, die gläubigen Herzens waren, das Heil für die Zukunft erhofften.
Und drüben lag der Knollenkamp; über ihm das schmale Glänzen des scheidenden Tages.
Eine unsichtbare Hand streifte das Leuchten hinweg, von den Giebeln, den Dächern und allen Gesimsen. Nur in den höchsten Wipfeln der Bäume glimmerte noch ein verlorenes Netzwerk von goldenen Fünkchen.
Aber auch ihnen waren die Minuten gezählt, denn als die drei Könige in Rufweite kamen, verblaßten die letzten Splitterchen in seligem Hinsterben. Das Laub dunkelte ein, der Garten, die Wiesen im Dämmergrau. Dafür aber hellten die Fenster im Herrenhaus auf, versilberten sich die weißen Gardinen und verhießen einen herzlichen Willkomm.
»Willkommen!« sagte auch Jan-Ohme, als er wie Hans Dampf in allen Gassen Befehl gegeben hatte, die Lichter anzuzünden, um dem Ganzen einen festlichen Anstrich zu geben.
Er wußte, was not tat. Mit Jüllecke Nakatenus im Einverständnis, war er schon in den frühen Nachmittagsstunden auf dem Knollenkamp erschienen, hatte Anna Donsbrügge vorbereitet, wenn auch nur dusemang und fortepiano, hatte das Unterste zu oberst, das Oberste zu unterst gekehrt und durchblicken lassen, es würden sich in kürzester Zeit Dinge begeben, von denen außer ihm und Jüllecke keiner eine blasse Ahnung besäße.
Dem wäre Rechnung zu tragen.
Nur unter voller Kerzenbeleuchtung sei die Sache überhaupt zu machen, nur mit der Hingabe eines königlichen Zeremonienmeisters.
Und somit – er ordnete an: auf dem Hausflur zehn brennende Lichter, desgleichen in der Guten Stube ebenfalls zehn, dazu auf der gespreiteten Tafel den Guéridon von seiner Schwester selig mit acht gedrehten Wachskerzen, die aus Kevelaer stammten.
Im braunen Maikäferfrack, weißer Weste, in steifen Vatermördern, die bis an die Hasenpfötchen stießen, die Haarsardellen in Parade nebeneinander gestriegelt, traf er seine letzten Anordnungen: noch etwas Gestreutes im Flur, das ganze Personal an Knechten und Mägden am Eingang, um den Empfang vorzubereiten, jeder im Sonntagstaat und einen Strauß duftiger Levkoien zwischen den Fingern.
Damit war alles geregelt und Jan-Ohme fertig.
Jetzt konnte es losgehen.
Die Hände in den Hosentaschen und mit munteren Frackschößen, durchmaß er das Zimmer.
Er hatte hier etwas zu sehen und da etwas zu sehen. Außer etlichen Kerzen, die zu schnuppen waren, fehlte kein Titelchen.
Noch einmal den Flur übermustert, noch dreimal um die sauber gespreitete Tafel herum ... und er wurzelte an, als sei ihm geboten worden, sich genau an dieser Stelle als Pfahl zu erheben.
Mit sichtlicher Genugtuung sah er über den üppigen Guéridon fort, über das sanfte Blinken der Wachskerzen und sagte: »Anna, pompös muß es sein, wenn so die heiligen drei Könige in den Hof triumphieren. Und was mir besonders erfreut: mit dem heutigen Abend wird dem Kerl vom Emmericher Eiland die Fiedel völlig entzwei und zu nichte geschlagen, denn was die fette Peternell mit ihren leiblichen Künsten und ihrem verschwenderischen Handgelenk nicht besorgt, das wird durch die jetzige Stunde mit Strunk und Stiel zusammen gehauen. Paß Achtung! Nur noch 'ne Spanne – und Cornelis wird als abgelederter Geißbock passieren. Nichts mehr! Nicht Halm noch (?)r. Weder Huf noch Horn ... und was ihm günstigsten Falles noch anklebt, kann er mit seiner Liebschaft in 'nem miserabeln Kotten verzehren; denn wenn die drei von den Katen erscheinen ...«
»Und du glaubst, daß sie kommen?« fragte sie mit fliegendem Atem.
»Ich?!« versetzte er mit heiterem Auflachen. »Anna, immer dusemang und fortepiano. Nicht der äußeren Umstände halber, sondern bloß der Verhältnisse wegen ...« und er blickte sie an, als müßte er die Falten ihres Herzens bis in die feinsten Teilchen erforschen.
»Ja, sonst stünde das Wort nicht mehr fest in der Bibel,« und da lächelte sie und war von einem warmen Licht übergossen, von einer wohltuenden Helle, die alles an ihr milderte und verklärte, was sonst herrisch an ihr erschien, hochfahrend und nicht wohltuend für solche, denen es nicht vergönnt war, auf den Grund ihrer Seele zu schauen. Als wäre sie mit Mandorla und Sternenkränzlein aus dem Muttergottesleuchter in der Kapelle zu Wissel gestiegen, im schlichten Gewand, nur ein einfaches Kettlein um den weißen Nacken gelegt, in der ganzen Anmut und Hoheit eines duldenden und liebenden Weibes, alles Irdische von sich getan, nicht mehr nach den Gütern dieser Erde sich sehnend, nicht mehr die Scholle als Höchstes betrachtend, ganz Anmut, bestrickende Feier und ihre Stunde erwartend, so stand sie, um wissend zu werden.
»Und glaubst du bestimmt ...?«
Ängstlich flocht sie die Hände zusammen.
»Jan-Ohme, mir will das Herz auseinander.«
»Das ist schon äußerst pläsierlich zu hören. Mit so was fängt's an, um zu einem glückseligen Ende zu kommen.«
»Und doch diese Sorge!«
Ihre Augen begannen zu schwimmen.
»Wofür denn?« und Jan-Ohme machte ein Gesicht, ein so putziges und närrisches, als wäre ihm geboten worden, auf dem Kopf zu stehen und dabei den Rosenkranz zu beten.
»Denkst du denn,« fuhr er eindringlicher fort, die Hände unter den Frackschößen, »ich täte mich als Jan Baumann vom Baumannshof, als den eingeborenen Bruder deiner hochseligen Mutter und deinen veritablen Onkel betrachten, wenn ich in meiner totalen Würde und Agilität erschienen wäre, um hier die denkwürdigen Operationen mit's Licht, mit's Streuen und die Aufbietung von's ganze lebende und tote Personal für nichts und gar nichts zu machen? Glaubst du denn, jemand von «den drei Königen würde den einen verleugnen, ihn nicht für voll estimieren, oder vice versa: der eine die anderen? Glaubst du das, Anna?«
»Ach, Jan-Ohme ...!«
»Anna, mein Liebling, meine Herzensmamsell ...!« und der prächtige Herr legte ihr mit innigem Schluchzen den Arm um die Taille, »endlich blüht die Aloe, endlich will der Rebstock Augen ansetzen. Das ist per primus zu sagen, und dann überhaupt so, wenn auch man ganz fortepiano. Aber Gottverdorie noch mal! die drei, die da kommen, sind wie die Dreieinigkeit Gottes, wie drei eiserne, miteinander verzwickelte Ringe. Sie lassen sich von keinem zerbrechen. Jeder ist für sich 'ne Leuchte, und leuchten doch bloß für 'ne einzige Firma, um so 'ne größere Forschheit heraus zu bekommen. Darauf können wir stolz sein, jeder von uns und alle, die vom Niederrhein ihre Luft und ihre gute Gewohnheit beziehen. Naturen, wie die sind, die geraten mit ihrer Hufkarr' nicht in Modder und Mistus – die nicht! Bei denen heißt es: immer geradeaus und schlank der Chaussee nach, ohne wie 'n Fuhrmann auf Kirmes umzuschmeißen, und ich lasse mich mit Haut und Haaren verzehren ... Aber ich sehe: Anna, paß Achtung, der hohe Momentus ...!«
Er horchte auf.
Draußen am Eingang war Bewegung, erhob sich ein Sprechen und Raunen, wurden Rufe verlautbar, Rufe der Freude und des warmen Empfanges, die sich über den Hof fortpflanzten und sich immer weiter verzweigten.
Jan-Ohme rückte seine Weste zurecht, die Augen steif auf die Türe gerichtet.
»Anna, Herzensmamsell, jetzt ruhig Blut und alles mit Andacht!«
Die Gutsherrin verfärbte sich, blieb aber gefaßt in ihrer ebenmäßigen Würde und Schönheit.
Und siehe: die drei von den Katen traten ins Zimmer, Klaas-Welm auf der rechten, Ewert auf der linken Seite und Arnt in der Mitte ... und waren anzusehen, als träten drei in die Stube, die das gesamte niederrheinische Land in seiner Vollkraft und Reinheit, in seiner Eigenart und Kantigkeit, in seiner Breite und Tiefe verkörperten, Männer ohne Tadel und Fehl, hochgewachsen und wie aus der Legende genommen.
»Erhaben!«
Jan-Ohme warf den Kopf in den Nacken, um Figur und Haltung zu zeigen.
Und Klaas-Welm trat vor, ein zierliches Schiffsmodell zwischen den Händen, das er mühevoll und in heißer Arbeit aus Mahagoniplanken geformt und gebildet hatte, so wie es ihm dienlich erschienen war, mit allen Einzelheiten seiner Kunstfertigkeit: ein Zweimaster mit Hinter- und Vordersteven, mit Back und Kampanje, mit Schwertern und vollem Segelzeug, befähigt, wenn ins Große übertragen, stolz und sicher durch das Wasser des Rheines zu gleiten, von Rotterdam bis nach Mannheim und wieder talabwärts ... und er wandte sich an die Gutsherrin, die sich an der Tafel stützte, jetzt kaum noch im Besitz ihres freien Willens und Wollens, mit klopfender Brust und Augen, die ins Leere gingen.
»Mit Gunst, Anna Donsbrügge,« also begann er mit freier Stirn und offenen Sinnen und fuhr dann fort:
»Wer soll Meister sein? – der was ersann.
Wer soll Geselle sein? – der was kann.
Wer soll Lehrling sein? – jedermann.
Es grüßt Euch das edle Gewerk der Schiffszimmerleute, und daß ich hier stehe – und ich stehe hier mit Überzeugung und Treue, sonder Neid und schlimmes Behagen – ist wegen meines Bruders geschehen, dem ich wohl will und den ich liebte zeit meines Lebens. Was sollen hier noch weitere Worte. Ich bin einverstanden mit ihm. Unsere Wünsche begegnen sich, sind einunddieselben. Er hat die große Nummer gezogen, des Weibes Lust und Neigung gewonnen, und ich freue mich dessen. Um dies zu bekunden: hier dieses Schiffchen. Es ist mit Weizen befrachtet, ein Zeichen dafür: fruchtbar sollt Ihr sein wie dieses Korn, nach dem Willen des Herrn. Das Eure Zukunft. Ich selber ... Anna Donsbrügge, Ihr wißt es. Ich tat, was ich mußte: Kandare angelegt und schlankweg retour. Wer das fertig brachte, wo Not war – und ich tat's, wenn auch unter Pein und schlaflosen Nächten – der hat sich selbst überwunden. Mit Gott denn ...«
Und er trat auf sie zu.
»Anna Donsbrügge, nehmt dieses Schiffchen! Es wird mit Gunst und aller Liebnis gegeben.«
Und sie nahm das Angebinde, stellte es behutsam beiseite, gab ihm die Hand und sah ihm tief und lang in die Augen.
Und diese Augen waren voll Tränen.
Auch die ihrigen.
Man hörte die Dochte knistern und die Fliegen sumsen, so sterbensruhig war es mittlerweile geworden, wie in der Kirche, wenn die Wandlung einsetzt und das große Wunder beginnt, in die Erscheinung zu treten.
Jan-Ohme sah verstört in den Lichterglanz hinein, ohne die Kerzen zu sehen, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, was ihn so eigenartig bewegte.
Mit der rastlosen Geschwindigkeit von Siebenmeilenstiefeln zog ihm sein ganzes Leben schemenartig vorüber, das vergangene, das gegenwärtige und das, was noch kommen sollte, ein Trubel von Begebnissen, eine Flucht von Erscheinungen, und er gewahrte es nicht, daß sich schon während der Ansprache Klaas- Welms die Tür unauffällig aufgetan und Jüllecke Nakatenus eingetreten war, auf Zehenspitzen, verweint und versonnen, und sich dicht an seine Seite placiert hatte. Nun stand sie da. Ihr Nastüchlein vorgehalten, sah sie auf ihre Getreuen und dann auf die Gutsherrin, und sie war des unerschütterlichen Glaubens: die Muttergottes aus dem Kronleuchter in der Kapelle zu Wissel ist wirklich und wahrhaft in die Stube getreten, in ihrem Glorienschein, ein Kränzlein von sieben Sternen um Schläfen und Stirne.
»O du elfenbeinerner Turm, du Gefäß des Herrn – erbarme dich meiner!«
Jan-Ohme bekriegte sich wieder.
»Das war der erste,« meinte er mit zerbrochener Stimme, »und nu kommt der zweite.«
Und Ewert trat vor, ein Tannenbäumchen im Arm, das er der Fichtenschonung in Hochporten auf hoher, sonniger Eifel entnommen hatte, Wurzelstock und das daran haftende Erdreich sorglich mit Bast und Wachstuch umwickelt.
»Mit Gunst, Anna Donsbrügge,« sagte er in schwerer Bewegung, das Antlitz wie aus weißem Gestein gehämmert, und fuhr dann fort:
»Wer soll Meister sein? – der was ersann.
Wer soll Geselle sein? – der was kann.
Wer soll Lehrling sein? – jedermann.
Es grüßt Euch das edle Gewerk der Hegereiterei, und daß ich hier stehe – und ich stehe hier wie Klaas- Welm mit Überzeugung und Treue, ohne Neid und schlimmes Behagen – ist wegen meines Bruders geschehen, den ich hochhalte und liebe wie mein eigenes Leben. Keine Bedenken sind in mir. Ich trage nicht nach und denke an Vergangenes mit Andacht und in stiller Verehrung. Daß es so kam, kann ich einem liebenden Weib nicht verdenken. Gott hat es so gewollt. Es geht auch so, denn es kommt einem Würdigen zugute, wenn 's einem auch selber den Atem abdrücken möchte. Tut nichts, denn ich halt's mit meinem Bruder Klaas-Welm: Kandare angelegt und schlankweg retour. So hat man sich selbst überwunden. Und hier dieses Bäumchen: auf den Knollenkamp muß es ... in sein Erdreich soll es eingesetzt werden ... auf daß es Wurzeln treibe und gen Himmel wachse in frohem Behagen. Und wenn es so weit ist: mit ihm und in seinem Schatten sollen fröhliche Kinder gedeihen ... gut und brav wie Ihr ... und wie Arnt, unser Bruder.«
Er konnte nicht weiter. Aber Anna Donsbrügge nahm ihm das Geschenk aus den Händen, lächelte und sah ihn an mit ruhigen Augen.
Und diese Augen waren voll Tränen.
Und Jüllecke ...! Ach, Jüllecke ...!
Sie mußte sich an Jan-Ohme lehnen, um doch irgendeine Stütze für ihren ganz aus dem Gleichgewicht gerüttelten Menschen zu finden, und während sie die Gutsherrin mit ihren Blicken verfolgte, über ihr Taschentuch fortsah und bemerkte, wie diese das Bäumchen fürsorglich ablegte, sich wieder zur Tafel begab und still und ergeben ihre Weißen Hände betrachtete, da rieselte es über sie hin mit dem Träufeln eines sanften, laulichen Maienregens, und sie schluchzte ihrem bewegten Partner zu: »Nein, Jan-Ohme, diese Fürsprecherin, diese Mittlerin! Muß die sich als Gattin und Mutter später herausmunterieren! Die ist ja wie 'ne himmlische Dulderin direktemang von der Seite Gottes auf diese sündige Erde gekommen.«
»Ist sie,« bestätigte der alte Herr in getragener Wehmut, drückte Jüllecke an sich und zeigte auf Ewert: »Das war der zweite, und was er gesagt hat, war dusemang und fortepiano, aber mit äußerstem Nachdruck, und, Jüllecke, nu: die Kartoffeln sind reif, und wenn sie reif sind, müssen sie ausgemacht und eingebracht werden, denn jetzt kommt der letzte.«
Arnt ...!
Von seinen Brüdern geleitet ... Hand in Hand mit ihnen ...
»Geliebte ...!«
Er riß sich sein Wams auf, zerrte es jäh auseinander.
»Anna, ich habe nur dieses ... hier, dieses Herz nur ...! und so lange nicht der Tod ihm gebietet: Still sollst du steh«! – so lange lebe in ihm, erfreue dich seiner!«
Er breitete die Arme, und von der Brust des erlösten Weibes rang sich ein Schrei, ein Jubelruf, der das lichthelle Zimmer, den weiten Hof und die sternenklare Gotteswelt da draußen mit seiner ganzen Seligkeit und Inbrunst erfüllte.
»Arnt, ist es denn möglich ...?! O du – mir für immer gegeben!«
»Anna, Geliebte!« und zwei Menschenkinder, die Monde und Monde das harte Kreuz bitterster Entsagung getragen, zwei Menschenkinder, stark in Minne und groß in Gedanken und Werken, jetzt des Kreuzes ledig, aus der Finsternis tretend, durch Glorie und Sonne schreitend, hatten sich endlich – endlich gefunden.
Der Segen des Herrn tat sich nieder, auf sie und auf alle, die dieses Glückes teilhaftig wurden.
Jan-Ohme und Jüllecke hatten sich schweigend an das zunächst gelegene Fenster begeben.
Hier standen sie lange, sie, den Arm um seinen Nacken geschlungen, und er damit beschäftigt, gegen die angelaufenen Scheiben zu trommeln.
Nicht dusemang und fortepiano, sondern forsch und feste trommelte er den Dessauer Marsch in den Abend hinaus.
Strückerjans, der schon seit einer kleinen Stunde in tiefer Unruhe den Gutshof durchmaß, von einem Ende zum andern, wie ein eingekäfigtes Tier, immer hin und her, immer auf und nieder, streckte sich plötzlich, wetzte die Biberzähne gegeneinander und trat als ein Seher und Wisser unter die Gruppen von Knechten und Mägden, die noch immer am Eingang des Herrenhauses und an der breiten Einfahrt umherstanden.
»Kinder!« rief er mit gewaltiger Stimme, »Jan- Ohme trommelt, und wenn Jan-Ohme trommelt, dann ist meine tiefe Not und mein bedeutsames Elend für immerst behoben. Ich befinde mich in bester Bonität und Verfassung. Kinder, höret und wisset: der Knollenkamp hat sein Regententum wieder.« – – –
Übers Jahr, als die Wiesen schon zeitweilig im Nebel schwammen, schon hier und da die Blätter falbten und sich gemächlich von den Ästen herunterdrehten, hatte sich manches auf den fruchtbaren Schollen geändert, wo diese Geschichte keimte, Wurzeln trieb, Blüten ansetzte und ihre Früchte zeitigte.
Auf dem Hof versorgten glückliche Menschen das Herdfeuer mit hingebenster Liebe und Eintracht; Klaas-Welm, nachdem er seine ehrenvolle Beschäftigung in Gennep erledigt hatte, hantierte wieder in althergebrachter Weise auf seiner Emmericher Helling, und von Ewert hieß es: mit kommendem Jahreswechsel würde er von der Stadtverwaltung in Kleve für die Hege und Pflege ihrer weitverzweigten Gemeindewaldungen als Oberförster berufen.
Beim gloriosen Kapitän und seiner Herzallerliebsten hatte sich rechtzeitig das Störchlein gemeldet. Drei Tage hintereinander warf sich dieserhalb ›Doortje van Grieth‹ in festlichen Flaggenschmuck. Die ganze Stadt feierte mit, und der kleine Klaas-Welm, oder die ›Schittbox‹, wie Rennings ihn nannte, strampelte schon weidlich mit seinen krummen Beinchen, zum Pläsier des Spinnwebmännchens im schnupftabakfarbigen Leibrock und zur äußersten Bekömmnis seiner strammen Erzeuger.
So hatte sich alles zum besten geregelt.
Nur auf dem Emmericher Eiland nicht.
Hier sackte das einst so prächtige Anwesen immer tiefer zusammen, von Mäusen zernagt und von Ratten zerschrotet, und es waren schon ausgetragene Ratten und Mäuse, die hier ihr ekelhaftes Handwerk betrieben.
Peternell mit ihrem kräftigen Pflugknecht, ein Mensch mit behaarter Brust und Muskeln, geeignet Wagenrungen zu brechen und Speziestaler mit den Fingern zu biegen, führten das Zepter, entweihten alle Speicher und Kornböden, alle Stuben und Kammern, während Cornelis nicht Grund und Boden mehr fühlte und sich immer nachhaltiger in die Mysterien des Rosenkranzes versenkte.
Er durfte nicht mucksen, nur noch dulden und beten.
Die üppige Melkmamsell hielt ihn am Bändel, und wenn er es wagte, sich auch nur um Haaresbreite aus seinem Elend zu heben, gleich drohte sie mit einer Geschichte aus halbvergessenen Tagen, mit den Assisen in Kleve.
»Kerlchen, Order pariert – oder die Schwurhand dreht dir die Luft ab,« und dann fügte er sich, wedelte wie ein verprügelter Hund, drehte sich in eine verlorene Ecke und Hub wieder an: »Ich armer, sündiger Mensch, bekenne vor Gott und den Menschen ...«
Um diese Zeit nun begab es sich ...
Jan-Ohme ließ bei der städtischen Behörde im benachbarten Grieth die drei sich dort im Spritzenhaus befindlichen Böller anfordern, die bei zeremoniösen Gelegenheiten, so bei der alljährlich stattfindenden großen Fronleichnamsprozession, bei Königsgeburtstag und sonstigen Schaugeprängen, ihr ›Salve‹ über die niederrheinische Landschaft zu knallen hatten.
Aus Respekt vor seiner gewichtigen Persönlichkeit und seinen Meriten, die im ganzen Kreise ihre Würdigung gefunden hatten, verstattete man ihm die eisernen Feldstücke.
Er hatte nun nichts Eiligeres zu tun, als sie auf den Fluchthügel, der zu seiner Flurkarte gehörte, in Stellung zu bringen, Werg, Zündschnur und ein Säckchen mit Pulver einzukaufen und höchst eigenhändig, mit der sachlichen Kunst eines Oberfeuerwerkers der Artillerie, eine Lunte zu drehen.
In gehobener Stimmung wartete er das Weitere ab.
Tagtäglich suchte er seine Feldbatterie auf, instruierte drei seiner Knechte im Gebrauch der eisernen Böller und ließ sie dabei brav exerzieren.
Gleichzeitig revierte er emsig und mit hochrotem Kopf die weite Gegend ab, ob sich nicht das geheimnisvolle Zeichen erhöbe, das zu geben er in langer Verhandlung mit Jüllecke Nakatenus verabredet hatte.
Und da eines Tages ...
Ein sonniger Sonntag am Niederrhein, und das ganze Land wie ein Gottesgarten zu schauen! gelb und rot und mit saftgrünen Wiesen durchsprenkelt.
In seiner ganzen Majestät und Herrlichkeit flutete der Strom in seinen Ufern vorüber ... und Jan-Ohme auf Posten ...
Er stand nicht allein auf weiter Flur.
Außer seinen Stückknechten – Baas Rennings war bei ihm, in kompletter Montur, wie er selber behauptete, als Kapitän des ›Doortje van Grieth‹ und den Sturmriemen untergezogen.
Und dann noch einer ...
Er hielt dicht hinter der Feldbatterie auf einem forschen Oldenburger: der Oberknecht vom Baumannshof, die Nase stur geradeaus und weiterer Order gewärtig.
»Alles parat?« fragte Jan-Ohme.
»Alles,« kam es von den Geschützen zurück.
»Aber ich bitte mir aus – nur mit Promptität und äußerster Forschheit.«
»Wollen's besorgen, Herr Baumann.«
» All right!« wie mein Freund sagt.
»Na, Jan-Ohme,« fragte Rennings mit hochgezogenen Brauen, »wie ist nu dein Kriegsplan?«
»Ganz einfach: wird's ein Junge, wird die preußische Fahne auf dem Knollenkamp sichtig – ein Mädchen, darf nur was Weißes sich zeigen. Im ersten Fall: fünfundzwanzig mächtige Schläge, im zweiten: bloß elfe.«
»Schön!« lachte Rennings, »wird mein Doortje erfreuen ... und der da?!« und er deutete auf den Oldenburger und den Reiter.
»Ordonnanz-Offizier fürs Emmericher Eiland.«
»Großartig! aber Jan-Ohme, Achtung! da drüben ... Gottverdorie noch mal!«
Hoch vom Knollenkamp her leuchtete und grüßte es in schwarz-weißen Farben.
»Hurra!« und Jan-Ohme rief seinem Oberknecht zu, indem er ihm einen versiegelten Brief überreichte: »Nu aber Karriere und ventre à terre zu's Emmericher Eiland. Auch 'ne besondere Bestellung von mir: Cornelis könnte sich für immer und ewig einpökeln lassen. – Hurra und Vivat! und hoch soll er leben! Ich meine den Jungen.«
Und mächtig krachten die Böller hinter dem abpreschenden Reiter her, triumphierten von Ortschaft zu Ortschaft, über die Deiche und begrüßten die Menschen, die eines guten Willens waren ... und als sie verstummten, rieb sich Jan-Ohme die Hände und sagte: »Rennings, das wäre geleistet, mit allen Schikanen und äußerster Verve, und nu: nicht der Umstände halber, sondern bloß der näheren Verhältnisse wegen, begeben wir uns ins ›Blaue Pferdchen‹ und trinken 'ne Bouteille ›Schwart Water‹ zusammen.«
» All right!« pflichtete ihm Rennings bei, und Arm in Arm schritten sie dem nahe gelegenen Grieth zu.
Der Knollenkamp aber hatte seinen Erben gefunden.
» O lector lectorum ...«
Über Jahr und Tag sprach ich wieder in Wissel vor.
Der ehrwürdige Dechant, Herr Severin Tiebus, empfing mich mit freundlichem Schmunzeln.
Ich legte ihm das Manuskript in die weißen Hände.
»Also fertig?«
»Fertig, Hochwürden.«
»Oh!« sagte er gütig und rief über die Schulter: »Therese!«
Und als diese erschien, noch immer die alte, die Hornbrille auf der stattlichen Nase und auf sanften Selfkantpantoffeln, kam es ihm mondflimmerig von den Lippen: » O lector lectorum, dic mihi! quid est unus?«
Feindrähtig zitterte es durch das wohlige Zimmer.
Prompt erfolgte die Antwort: » Unus est Oeconomus, qui regnat super ancillas in culina nostra.«
»Ich bitte.«
Die erste Flasche stellte sich ein. Bald darauf die zweite, und als er die dritte anforderte und sagte: » O lector lectorum, dic mihi: quid sunt tres?« stemmte Therese ihre Hände in die kräftigen Hüften, blitzte und wetterleuchtete durch ihre Brillengläser und knarzte volltönig den Abgesang herunter: » Tres sunt Patriarchae: Abraham, Isaak und der kleine Jacob, duae tabulae Mosis, unus est Oeconomus, qui regnat super ancillas in culina nostra.«
»Brav so!« nickte der geistliche Herr, »und nun: gedenken wir der Katen und des Knollenkampes, der heiligen drei Könige und der stolzen Frau, die endlich ihren Frieden gefunden.«
Und die Gläser klangen zusammen.
Eine Stunde später schritt ich wieder durch das Land meiner Jugend.
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit ...
Eine Glocke schlug an, eine zweite, eine dritte ... und die Tränen wollten mir kommen.