Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Auf dem höchsten Fluchthügel, der zwischen Grieth und Huisberden aufragte, stand eine graue Gestalt in Nebelkapuze und mit dampfendem Atem. Unter ihren Füßen raschelte Pfriem und Hexenbesen, zwitscherte es mit den feinen Stimmchen von Mäusen. Ein kaltes Phantom, machte sie alle Lebewesen frösteln, erschauern. Vor ihrem Hauch überzogen sich die dürren Gräser mit Reif, erfroren die Wässerchen, hockten die Krähenvögel zusammen, schwangen die Drescher ihre Flegel mit verdoppeltem Eifer, bis sich das hölzerne Geläut wieder tapfer durch die dunstige Gegend arbeitete.
Nebel, überall Nebel! Er ließ sich greifen, zerschneiden, in einzelne Stücke zerlegen ... und durch diesen Nebel hindurch gespensterten die emsigen Schneesternchen immer dichter und nachhaltiger, drängelte sich die Kälte immer unbarmherziger in die Schlüssellöcher und Fensterritzen hinein, schabte und kratzte es, klöppelte eine eisige Hand köstliches Spitzenwerk gegen die Scheiben ... und als es dann Abend wurde, der scharfe Wind sich verholte und das Schneetreiben nachließ, ähnelte das weite Land einer zauberischen Traumwelt, daunenweich, überglitzert von Myriaden silberner Splitterchen, die sich zu Bildern aneinander reihten und das kurz zuvor noch graue Himmelreich mit seligem Glanz verklärten.
In allen Katstellen und Gehöften, die sich in der Niederung, auf den Fluchthügeln und an den Flanken der Binnendeiche angebaut hatten, machten die Fenster helle Gesichter. Hier blinkte ein Licht auf ... dort ein zweiters ... drüben, mehr dem Rhein zu, ein drittes, ein viertes, ein fünftes ... selbst aus der Gegend vom Emmericher Eiland zuckten schüchterne Pünktchen ... Liebeseelchen ... frohe Zeichen ... fromme Wünsche und Grüße ... Gedanken und Erinnerungen aus längst dahingegangenen Tagen.
O du befreiende Stunde des Glaubens!
O du heilige Stunde der Hoffnung!
O du benedeite Stunde der allesumfassenden Liebe!
Es war Sankt Nikolaus-Abend geworden.
Schon etliche Stunden vorher hatte Jüllecke sich im Geiste darauf vorbereitet, indem sie die ›Lebensbeschreibungen der Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, mit zur Nachfolge ermunternden Lehrstücken‹ von ihrem Bücherbrett langte, die irdische Pilgerfahrt des heiligen Nikolaus, Bischof von Myra, herauspickte, sich an dessen Wandel erbaute und ihre Betrachtungen mit dem Stoßseufzer beschloß: »O Gott, der du diesen Freund der schuldlosen Kinder durch unzählige Wunder verherrlichtest, bewahre uns durch seine Fürbitte vor dem ewigen Tode.«
Das lag hinter ihr.
Jetzt konnte sie sich dem Speziellen, dem Genüglichen zuwenden.
Auch in der Schwaterskat wurde gefeiert.
Die drei Getreuen hatten es sich nicht nehmen lassen, unter dem tapferen Walten und der Fürsorge ihrer Hausehre dieses Fest in althergebrachter Weise zu begehen, um aus dem ewigjungen Born der goldenen Kindheit zu schöpfen.
Sollte das eine Belustigung geben! und als noch während des Schneetreibens, so um die Dämmerzeit herum, ein Knecht vom Baumannshof mit der Bestellung ankam, wenn es angenehm wäre, würde Herr Baumann nicht verfehlen, so'n bißchen in die Erscheinung zu treten, da wurde die Freude so still und schön wie die eines Kindes, das hinter den Scheiben in den werdenden Abend hinaussieht, in den werdenden Abend, um in gläubiger Einfalt den heiligen Mann reiten zu sehen, auf seinem Apfelschimmel, in goldener Bischofsmütze, an Stelle der Satteltaschen zwei mächtige Körbe, den einen mit Äpfeln gefüllt, den andern mit Moppen, mit krachfesten Moppen ... ach! und wie das nach Goldreinetten duftete, nach Spekulatius und Kalkarer Janhagel ... und wie die Walnüsse rappelten und gleichsam nach dem Nußknacker schrien! O diese Freude! Kaum waren die von den Katen imstande, das beigegebene Brieflein zu öffnen.
Jan-Ohme schrieb:
»Jüllecke und liebwerten Freunde! Nicht der näheren Umstände wegen, sondern der Verhältnisse halber sehe ich mich genötigt, schwere Arbeit zu leisten, nämlich Postpapier und Feder zu nehmen und meine Krakelfüße zu machen. Sinter Klaas muß sein, auch wenn uns die beste Wintersaat erfrieren tun täte. Aber nicht nur für die Jugend allein, sondern auch für uns bedachtsamen Leute, die wir uns noch in dem unschuldsvollen Seelenzustand der Kindheit befinden. Da ich mich nun in meinem Junggesellentum hier nicht einrichten will, Anna Donsbrügge, wie sie behauptet, anderweitig invitiert ist, ferner eine heilige Legende besagt: Iß Gäns' um Martini, Spekulatius und Nymwegener Leckerguts in festo Nicolai, ich aber hinzufügen möchte: auch Punsch darf nicht fehlen, ich solchen auch in diversen Bouteillen bereit gestellt habe, so möchte ich anfragen, aber dusemang und fortepiano, ob es vielleicht bekömmlich wäre ...«
Sie lasen nicht weiter.
Ob es bekömmlich wäre?! Na, so was! Überhaupt diese Frage. Er schien ja rein des Teufels geworden.
Natürlich war es bekömmlich. Äußerst bekömmlich. Ohne Jan-Ohme wäre es nur ein mises Fest und bloß ein halbes Feiern gewesen. Je früher er käme, um so schöner für alle. Sinter Klaas! Sinter Klaas!
»Nehm's für genossen,« schmunzelte der Bote, und mit Nüssen und Äpfeln bedacht, außerdem noch mit einer wollenen Jacke beschwert, die ihm Jüllecke in ihrer ausbündigen Herzlichkeit zugesteckt hatte, machte er schleunigst zurück und nahm Richtung auf den Baumannshof zu.
Jüllecke fieberte ordentlich.
»Nein, dieser Plie! diese Edelmannsnatur! dieser Sackerlöter von feinem Benehmen!«
Sein Brief hatte es an sich. Der schmeckte nach richtigem Schreibstil, nach delikaten Redewendungen. Hochwürden in Wissel war sicherlich gewandt mit der Feder, aber schöner, gedankenreicher hätte er es auch nicht vorbringen können. Das war ins Auge zu fassen. Also mit dem Besten heraus und nur mit dem Besten: mit dem nobelsten Geschirr, den feinsten Gedecken, und keine drei Minuten vergingen ...
Neue Eichenstubben wurden auf das offene Feuer geworfen, der Kessel aufgesetzt, die Stühle gerichtet, der große runde Tisch in der Diele mit dem weißesten Damasttuch gespreitet.
Eine Stunde später, als die ersten Gotteslämpchen durch das abziehende Gewölk fröstelten, konnte Jüllecke sagen: »Allens parat. Kein Spierchen und kein Titelchen fehlt dran. Nun kann Jan-Ohme kommen. Schöneres will ich mir für den heutigen Abend nicht wünschen.«
Mit sichtlicher Rührung sah sie auf ihrer Hände Fleiß und Arbeit.
Sie erschauerte förmlich vor ihrem eigenen Können.
Fünf auserwählte Gedecke standen auf Reihe. Dazwischen erhoben sich mächtige Porzellanassietten, angefüllt mit dem ganzen Sankt Nikolauszauber.
Da waren Goldreinetten, Flammbosen und Borsdorfer Äpfel, Zuckerherzen, milchweiße Wecken, mit Sultaninen gespickt, aber sonder Stengels en Pöntjes, da waren faustgroße Moppen, Klever Lebkuchen und Aachener Printen, da waren ... ja, was war da nicht alles! und drei blankgescheuerte Zinnleuchter, mit dicken Wachskerzen ausgestattet, spendeten eine ausgiebige und wohtuende Helle, während aus einer verlorenen Ecke ein Heimchen geigte, irgendwoher etliche Bratäpfel quietschten und der kupferne Kessel über der offenen Feuerstelle Dampf aufmachte, geheimnisvoll mit dem Deckel klapperte und wundersame Geschichten erzählte, ganz wundersame Geschichten – von Dingen und Geschehnissen, die nach Lavendelwasser dufteten, nach vergilbten Kuckucksblumen und Himmelschlüsselchen, Geschichten, die noch aus den Tagen der Kindheit stammten und immerzu summelten: »Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit ...«
Und Jüllecke Nakatenus sah das alles und hörte das alles. Ihr wurde weich und traurig zu Sinn. Mit wehmütigen Akkorden zog es durch ihre verängstigte Seele: Erinnerungen, Spiegelbilder, Tage der Liebe.
Sie mußte ihr Taschentüchelchen gegen die Lippen drücken, um nicht vor eitel Rührung offenkundig schluchzen zu müssen.
O du benedeite Stunde der allesumfassenden Liebe, des Glaubens, der Hoffnung!
Sie weinte still vor sich hin.
Punkt sieben schlitterte Jan-Ohme in das verschneite Vorgärtchen ein.
Dann eine Stimme, die mit der Wucht des Zapfenstreichs gegen die Fenster trommelte:
»Wo kommen denn all' die Kaschuben her?
Sind ihrer so viele wie Sand am Meer.
Von Stolp – von Stolp – von Stolp!«
Gleich darauf trat er in einem brühwarmen Fuchspelz über die Schwelle und von hier auf die Diele.
Herr Jeses, wie sah der prächtige Herr aus!
Das Gesicht ein Feuerzauber ... in den Augenbrauen und Hasenpfötchen glitzernde Perlchen, Eiskristalle und geschliffene Steinchen ... der Fuchspelz ein Magazin für delikate Essenzen: in der rechten Brusttasche eine Bouteille mit Arrak, in der linken eine Flasche mit demgleichen Feuerwasser und über der Brust: ein Sack mit Zitronen und sonstigen Ingredienzien, geeignet, eine wohlangesetzte Bowle zu einer pompösen Ausführung zu bringen. Als er den Zitronensack abgelegt, die Bouteillen placiert, den Pelzrock ausgezogen und sich aus seinem wollenen Tröster herausgeschält hatte, da ging es: Jan-Ohme hier und Jan-Ohme da! Er wurde ordentlich herumgereicht, gleich einem Sanktuarium, einer kostbaren Sache – von Klaas-Welm zu Ewert, von Ewert zu Arnt, und als Jüllecke an die Reihe kam und ihn mit glücklichen Augen betrachtete, als sähe sie in ihm das Heil und die Vorsehung des heutigen Abends, da schmunzelte der Baumannshöfer so recht fidel in seine blütenweißen Vatermörder hinein, wiegte sich wie ein Magyar in den Hüften, sagte: »Prost Sinter Klaas!« und klebte der ahnungsvollen Jungfer einen herzhaften Kuß auf.
Jüllecke, um ihre innere Bewegung, ihre verhaltene Freude mehr oder weniger zu bemänteln, tat scheu wie ein heuriges Häschen, klingelte verloren mit ihren Ohrgehängen und fragte nach Anna Donsbrügge, was sie vorhabe, wie sie den heutigen Abend zu feiern gedenke und wo sie sich zurzeit wohl befände. Man hätte doch auch sein Interesse daran, möchte gern etwas Näheres wissen, schon der Barmherzigkeit wegen und der christkatholischen Nächstenliebe halber, denn alles, was den Knollenkamp anginge, würde in den Katen wie eine stille und große Herzenserleichterung empfunden.
Jan-Ohme nickte.
»Kann ich verstehen,« sagte er munter. »Indessen, wie die Frauenzimmer so sind – immer dusemang und heimlicherweise. Invitiert! wie sie mir mitteilen ließ. Aber wohin und von wem? Ich hab' keine Ahnung, weiß mir keinen Vers drauf zu machen, sitze in dieser Beziehung in ägyptischer Finsternis, denn sie ist von jeher und so lange ich mich ihrer besinne ein ganz apartes und undurchdringliches Weibsbild gewesen, selbstverständlich mit lieblicher Grazie und der tapferen Festigkeit eines ehrlichen Menschen. Bloß ich habe die Ahnung: es kommt der Tag der Geschenke.«
»Was?!« riefen die drei Getreuen wie aus einem Munde.
»Nichts!« winkte er ab. »Absolut nichts Genaues. Ich stelle bloß den angenehmen Status in Aussicht, ohne mir dabei das Maul zu verbrennen. Indessen anderseits ...« und er machte ein listiges Gesicht, kniff die Augen pfiffig zusammen und räusperte sich, wie Phöns met de Fleut und die neuen Propheten es an sich haben, wenn sie ein großes Ereignis an den Mann bringen wollen.
»Da drüben!« rief er mit bedeutsamer Pose. »Das Konto ist voll, der Pott läuft über, die Blansierung ist kaum noch zu halten.«
»Bei wem denn?« fragte Jüllecke, in steifer Erregung.
»Ich habe nur ein Wörtchen zu sagen: Cornelis.«
»Christus!«
Alle drängten sich näher heran.
»Ihr wißt doch, er ist seinerzeit auf dem Knollenkamp von wegen Belohnung der verdächtigen Schwurhand gewesen?«
»Ja,« kam es befangen zurück.
»Und daß er in Kraft von 'nem lumpigen Schriftstück die zwanzig Morgen auf der Priesterkoppel geschluckt hat?«
»Auch dieses.«
»Und daß er leibliche Ansprüche machte, den Brautring wollte, sogar auf die eheliche Kammer hinspekulierte, aber ausgeklinkt wurde mit Verächtlichkeit und Türverweisung, so daß kein Hund mehr von ihm ein Stück Brot annehmen konnte?«
»Jüllecke atmete auf. In ihren Blicken stand etwas Wachendes, Spähendes, Beglückendes.
»Gott sei gedankt!« schluchzte sie in tiefer Erlösung.
»Na denn ...« pfefferte Jan-Ohme nach, und über sein breites Gesicht lief der Abglanz einer herzerquickenden Genugtuung, »seit diesem Tag hat er den priesterlichen Adam abgeworfen und 'nen neuen über seinen jammerseligen Kadaver gezogen. Kein Schwindel. Ich kann's unter summarischer Beweisaufnahme stellen: Peternell hat's erreicht. Die Melkmamsell, die er schon als Gaesdonker Studiosus besessen, ist wieder erhöht und vorhanden und heizt ihm den Ofen in dem nobeln Zimmer, woselbst das Himmelbett steht und sich der Mahagonischrank neben dem piekfeinen Gueridon befindet. Er hat's ihr verstattet, der Viechskerl.«
Jüllecke bekreuzigte sich.
»Gott soll mich dreimal in hohen Gnaden bewahren!«
»Ja, und bloß aus purem Ärger heraus, weil er auf dem Knollenkamp die endgültige Abfuhr erlebte, entweiht er die eheliche Stätte seiner verstorbenen Eltern, steigt er mit offener Stirn in Morastus und und Mistus, macht er das fette Huhn zu seiner Muselmännin und Lieblingsdame. Ich danke für Obst und Südfrüchte. Lieber will ich mich zeitlebens als Eremitus oder Kapuzinerpater benehmen, als mit so einem Fraumensch neben dem vornehmen Gueridon schlafen ... und ich möchte nur wissen, wie sich die Herren von's Kirchenamt zu der ganzen Sachlage stellen. Ich meine: ob sie ihm wohl propter reverentiam noch den Rosenkranz und den Klingelbeutel verstatten? Ob sie ihm weiter vergönnen, an hohen Prozessionstagen mit 'ner dicken Wachskerze hinterm Allerheiligsten herzubeten: Lauda Sion Salvatorem? Nein, sie werden doch nicht: hat er doch seinen Herrn Jesus Christus beleidigt, ihn in seiner tiefsten Passion sitzen gelassen – dieser Himmelhund von 'nem irdischen Menschen. Warten wir ab, wenn auch man ganz fortepiano. Das Konto ist voll, der Pott läuft über, die Blansierung ist kaum noch zu halten. Kurz, der Mann ist geliefert. Nichts mehr zu machen, denn über kurz oder lang hat ihn die überständige Melkmamsell ratzenkahl ausgepowert und ihm das Fell über die Ohren gezogen, denn für dies, wird sie sagen, beanspruche ich die Pferdskoppel an der Mergelgrube, item für jenes die nächstjährige Roggen- und Heuernt', für anderweitige Liebnis die Schafschur und immer so weiter, bis er schließlich summa summarum nur noch das schöne Lied anstimmen kann: Ich und mein junges Weib können schön tanzen, ich mit dem Bettelsack, sie mit dem Ranzen. So ist das,« und mit der Rechten zog er einen öligen, langsamen, horizontalen Strich durch die Luft: »Wie sich das gehört, um Vergeltung zu üben.«
»So sei es,« bestätigte Jüllecke, »denn wer dieses betreibt, soll erniedrigt werden, und wer in Fleiß und Bescheidenheit hinlebt ...«
»Wird die Krone empfangen,« ergänzte Jan-Ohme, »denn so will es die Bibel, und so wollen es alle bedachtsamen Menschen. Auch hier naht sich ein großer Momentus. Wann? das ist schwer zu ermessen, aber ich habe das unbestimmte Gefühl: es kommt der Tag der Geschenke. Selbstverständlich mit Auswahl, denn sie kann alle drei nicht in einem Atem erfreuen, nicht so über den gesetzlichen Paragraphen hinweg ein weibliches Mormonentum eröffnen. Das geht nicht.«
»Da stehe auch Gott vor!« entsetzte sich Jüllecke und machte sich verlegen an den verschiedenen Äpfel- und Kuchentellern zu schaffen, wobei sie fortwährend vor sich hinmurmelte: »Natürlich, das geht nicht, und wenn sie einzeln darüber krank werden sollten. Indessen die Zeit wird schon ein übriges tun und uns richtig belernen. Ich hab' keine Bange darüber, denn Gott ist gerecht und seine Werke sind ewiglich. Er und Jan-Ohme werden schon den richtigen Kasus erbringen.«
»Machen wir,« konstatierte der Alte, zupfte seine Vatermörder zurecht, zog wiederum den horizontalen Strich durch die Luft und sagte: »So! und jetzt prost Sinter Klaas! Mir punschert.«
»Soll denn ein Wort sein,« schmunzelte die behäbige Jungfer. »Bitte, placiert euch!« und während sie die Bouteillen entstöpselte, die Zitronen entschälte, sie säuberlich in kreisrunde Scheiben zerteilte, die große Suppenterrine herbeiholte und unter dem Zugießen von brodelndem Wasser das lieblichste Aroma hervorzauberte, hatten die Herren eine schöne und anheimelnde Tafelrunde gebildet.
Bald darauf klingelten denn auch die ersten Gläser zusammen, begegneten sich glückliche Fragen und Erwägungen über dieses und jenes, und als so eine genügliche Sinter Klaas-Stimmung auf das lustige Plaudern der glühenden Eichenknubben lauschte, auf das Sirren und Musizieren des Heimchens, das nicht müde wurde, immer neue Klimpertönchen aus seinem Instrumentchen zu holen, da erhob sich Jüllecke mit der getragenen Würde einer Hohenpriesterin und sagte: »Meine Herren, bloß einen Momang nur,« und begab sich in das benachbarte Zimmer.
Gleich darauf kehrte sie zurück, einen opulenten, mit Schachtelhalmen gescheuerten Holzschuh, den sie mit Häcksel und Hafer gefüllt hatte, vor sich hertragend.
»Mynheers!« meinte sie zärtlich, »das für den Schimmel des hohen Gesandten, auf daß es uns wohlergehe und Sinter Klaas uns segnen möge allmiteinander. Es heißt zwar: es ist von der Natur Feindschaft gesetzt zwischen dem Mann und dem Weibe. Hier aberst nicht. Wir befinden uns alle in harmonischer Übereinkunft. Daß es so weiter mag bleiben, dafür wird er schon sorgen bis in Ewigkeitszeiten,« und sie öffnete besonnen den Fensterriegel, stellte den Holzschuh draußen aufs Brett und sah verklärten Blickes in die weiße Nacht mit der goldenen Kuppel.
Hinter ihr aber sangen die Männer das Lied aus der Kinderzeit, andächtig, mit zusammengelegten Händen und klopfenden Herzen:
»Heil'ger Mann vom Himmel,
Lieber Nikolaus,
Binde deinen Schimmel
Nur an unser Haus!
Sieh', genug des Hafers
Wird dem Gaul beschert,
Wie es kriegt kein braver's
Weißes Hottopferd.
Über dir im Kreise
Funkelt Stern bei Stern;
Fromme Engelsweise
Grüßt uns nah und fern.
Heil'ger Mann, nicht minder
Komm' du selbst herein;
Laß' uns wieder Kinder,
Deine Kinder sein!«
»Ja,« sagte Jüllecke und hob ihre gefalteten Hände dem großen und ewigen Leuchten entgegen:
»Laß' uns wieder Kinder,
Deine Kinder sein,«
während helle Tränen von ihren Wangen niederrieselten, den dargebotenen Holzschuh benetzten und in den jungfräulichen Schnee tropften.
In diesem Augenblick riefen die Glocken von Wissel herüber. Glocken der Andacht! und war es nicht so, als wenn sich ein fernes Gleiten erhöbe und ein Schlitten durch die weiße Einsamkeit klingelte?
Auch die Männer erhoben sich, lauschten auf das weltfremde Singen und Sagen unter dem Himmelreich.
O dieser Sankt Nikolaus-Abend!
O diese Sternennacht!
O diese benedeite Stunde der allesumfassenden Liebe!
Das verheißungsvolle Tönen kam näher, schwebte als liebes Grüßen über die breite, endlose Weite.
»Mein Gott, mein Gott!« stammelte Jüllecke, trotz der eisigen Kälte so glücklich und warm, als wenn sie sich im Paradiese befände, »ich glaube, da will uns jemand ganz heimlich bedenken, uns ganz sacht über die Herzen streicheln. Wollen das Fenster man zutun, denn alles will seine Verborgenheit haben. Kinder, nu setzt euch man wieder ... ganz dicht nebeneinander ... friedlich und gottversonnen ... glaubenskräftig und auf den Herrn vertrauend ... so und nicht anders ...«
Behutsam schloß sie das Fenster.
»Die Jugend kommt wieder,« sagte Jan-Ohme ernst vor sich hin.
»Ganz richtig,« bestätigte Jüllecke.
Sie setzte sich zu ihm, legte die Hand auf die seine und flüsterte heimlich: »So bin ich's von früh an gewöhnt, als meine Eltern noch lebten, drüben am Millinger Meer, wo sie sich man schwach mit's Machen von Binsenkörben ernährten, so hab' ich's gehalten bis in die späteren Jahre hinein, und so möchte ich's weiter besitzen, wenn ich mal von der Schwaterskat fort muß und mich da droben zu verantworten habe.«
»Jüllecke, wir beide zusammen,« versetzte er mit scheuer Betonung und sah steif in die Kerzenlichter hinein, die immer heller und verheißender brannten.
»Ach, wenn's doch so käme!«
»Nicht der Umstände wegen ...«
»Ich weiß schon,« sagte sie glücklich. »Aberst jetzt stille,« und sie lauschte hinaus wie auf eine feiertägige Botschaft, die sie herbeisehnte mit der Andacht eines suchenden Herzens, und sah auf die Türe, als müßte sich diese in ihren Angeln bewegen, um ein geliebtes Wesen über die Schwelle zu führen.
Ihr war die Brust zum Zerspringen.
Hinter den Fenstern huschte ein Licht von raschen Laternen.
Dann kam es getrappelt.
»Ah!« fuhr sie auf.
Sie hatte noch Zeit, einen scheuen Blick auf ihre Getreuen zu werfen.
Die saßen, als wäre ihnen eine kalte Hand über die Schläfen gefahren.
»Ganz stille!«
Mit schwachem Gerumpel und hellem Schellengeläut kam ein Schlitten herauf, bog in den Kommunalweg ein, um gleich nachher im tiefverschneiten Garten zu halten.
Draußen war ein Schütteln und Prusten ... war das Gestampf von Pferden ... wurden Orders gegeben ...
Es klang so deutlich herüber, als wäre es auf der Diele geschehen.
»Ganz stille!«
Auf ein stummes Geheiß erhoben sich alle, ohne sich von der Stelle zu rühren.
»Mein Gott und mein himmlischer Vater!« und als im Hausflur abgelegt wurde, die Türe sich wirklich bewegte, ganz verstohlen seufzte und wieder einklinkte, pochte jedem das Herz, als sei nun wirklich und wahrhaft der Tag der Geschenke gekommen.
»Lasset uns beten!«
Jüllecke glaubte eine Erscheinung zu haben.
Im frohen Glanz der Kerzen – da stand sie, noch angehaucht von der Winterkälte da draußen, hoch und feierlich, die Hände zusammengelegt, in ihrer ruhigen und sicheren Art ... sie, die keiner erwartet und doch jeder mit allen Masern und Fasern herbeigesehnt hatte: Anna Donsbrügge.
»Heelmoijen Abend!«
Ach, wie dieser Gruß die Seelen bewegte!
Keiner wagte es, Antwort zu geben, so hehr und erschauernd war es mittlerweile geworden.
Anna Donsbrügge ...!
Nicht städtisch gekleidet, nein, in der Tracht ihrer engeren Heimat: in dunklem Beiderwandrock, ein buntes seidenes Tuch mit Perlenfransen um ihre jugendlichen Formen gelegt, die Flechtenkrone mit der landesüblichen Knippmütz bedeckt, aus deren Klöppelwerk rotgoldene Ohrgehänge bis zu den Schultern niederhingen – so war sie erschienen.
Auf der schweratmenden Brust lag ein silbernes Kreuzchen ... alles so schlicht, so stadtfremd, in kirchenstiller Gemessenheit und bodenständiger Einfalt, und doch wurde alles getragen, als wäre eine junge Herzogin in einen Saal voll eitel Glanz und Schimmer getreten.
Eine quälende Andacht ging dem schönen Weibe entgegen.
Selbst Jan-Ohme konnte die Begrüßungsworte nicht finden, und als Jüllecke das große Schweigen zu brechen versuchte, hob Anna Donsbrügge unmerklich die Hand, neigte den Kopf und sagte mit einer leichten Verschleierung in der Stimme: »Jedem von euch das erwünschte Glück zum heutigen Abend. Allen eine geruhsame Stunde! und wenn ich genehm komme, möchte auch ich mein Scherflein in die Schwaterskat tragen und dieser Stunde teilhaftig werden.«
»Willkommen!« rief Jüllecke, »herzlich willkommen!«
Sie wollte noch mehr sagen, das junge Weib an die Tafel geleiten, ihm die Wohltat der aufgespeicherten Herrlichkeiten in reichlichstem Maße übermitteln, um nichts zu versäumen, was vielleicht für die nächsten Augenblicke ersprießlich sein konnte.
Sie kam nicht dazu.
Die Hand hob sich wieder.
»Ich habe eine Bescherung zu machen, aber diese Bescherung ist seltsam. Das mag merkwürdig klingen, so recht nicht geeignet sein, die Herzen froher schlagen zu lassen. Es gibt Geschenke, die haben Freude und Leid im Gefolge, Geschenke, die unter Tränen lächeln und sich mit Blumen schmücken, von denen man nicht weiß: sind es Blumen der Liebe oder Blumen stiller Entsagung. Pflicht und Scholle gebieten. Ihnen hat sich die Neigung zu fügen, so schwer es auch wird, in den Schatten der Ergebung und Selbstverleugnung zu treten.«
»So ist es, so ist es!« nickte Jüllecke Beifall und drückte sich ihr Mundtüchlein gegen die Augen.
Anna Donsbrügge trat vor.
Ihre Blicke begegneten denen, die ihr am nächsten standen.
Verloren glitt ihre weiße Hand über das Brusttuch.
»Ich brauche das Testament meines seligen Vaters nicht des weiteren auseinanderzulegen. Ihr kennt es. Herbe Anschauungen, Vorurteile und Eingebungen ließen ihn Ungereimtes diktieren, Hartes und Wehes und machten ihn unbillig gegen mich und seine eigenen Äcker. Die Erde verkümmert. Eine tote Hand liegt darauf. Sie ist tot und dennoch lebendig. Sie greift in die kommenden Tage hinein und weist auf das Ende, das ich zu gewärtigen habe, wenn die düsteren Schleier des Alleinseins über mich fallen. Warum es noch leugnen: auf dem Knollenkamp ist eine Herrenfaust nötig, ein Wille zur Macht, zur ersprießlichen Führung. Aber das nicht allein. Ohne leibliche Erben zerrieselt mir alles wie Sand zwischen den Fingern: Ehre und Ansehen, Haus und Hof, totes und lebendes Inventar und alles das, was mir erb- und eigentümlich angehören mußte – von Rechts wegen.«
Bravo!« warf Jan-Ohme ein.
»Ich habe um meine heiligsten Rechte zu kämpfen,« fuhr sie unbeirrt fort, fest und bestimmt und mit einem harten Glanz in den Augen, »um das, was ich nicht lassen will, selbst dann nicht, wenn ein brutales Geschick sich unterfangen sollte, es mir aus den Händen zu brechen, und weil ich es tue, mag vieles unbegreiflich und an einem Weibe befremdlich erscheinen, was sein Verfahren bestimmt und ihm gebietet, so und nicht anders zu handeln. Es ist die alte Geschichte und doch die Geschichte, die sich täglich erneut: der Konflikt zwischen Herzensneigung und Pflicht, zwischen heißem Blut und kalter Erwägung. Wem dieser Zwiespalt sich aufdrängt, dem ist, als müsse er die Schärfe eines Beiles berühren ... und ein solches Ding ist nicht zum Spielen geeignet.«
Sie legte ihre Hand auf den Tisch.
Ein Schatten streifte über sie hin.
Sie dachte an furchtbare Augenblicke, an jene Minute, wo ihr im Todeskampf die Trosse entglitt, eine wütige Sturzwelle sie in starke Arme hineintrieb. Und doch war ihr Inneres so regungslos wie das einer Kapelle.
Im Flüstern ihrer wehen Gedanken fand sie die Sprache wieder.
»Klaas-Welm,« sagte sie leise, und ihre Stimme begann heimlich zu zittern, »ich denke daran. Ihr seid bei mir gewesen, um das, was Mannesstolz und Mannesliebe zu vergeben hat, vertrauensvoll in meine Hände zu legen ... in heiliger Mission ... beseelt von brüderlicher Liebe ... in voller Kraft und treu Eurer Lebensauffassung: einer für alle und alle für einen. Das packte mich bis in die verschwiegenste Seele. Solche Menschen hausen auf steiler Höhe und sind erwählt, in eine Königshalle zu treten. Wer sie gewinnt, hat den Frieden auf Erden gefunden, kann gelassen beim Anbrechen der großen Dämmerung den Namen Gottes anrufen, denn es muß ein Schönes sein, in solchen Armen zu sterben.«
Jüllecke schluchzte auf und blickte sie an, als stünde eine Märtyrerin, eine Blutzeugin vor ihr, als spräche ein überirdisches Wesen mit Engelszungen, während Jan-Ohme mit forciertem Interesse die alte Kastenuhr betrachtete, die Perpendikelschläge zählte, bei jedem Pendelgang Reue und Leid erweckte, nur um Herr seiner Gefühle zu bleiben und sich nicht unterkriegen zu lassen.
Was ihm sonst niemals ankam, das passierte ihm heute: in zähen Tropfen lief es ihm von den Backen herunter.
»Jan-Ohme, kusch dich!«
Er versuchte zu schmunzeln, sich etwas Lustiges auszudenken, den Ernst dieser Stunde weniger ergreifend zu machen ...
Aber schon wieder mußte er hören.
»Klaas-Welm,« und ihre Worte nahmen einen herzgewinnenden Ton an, »was soll ich noch sagen, um Neigung und Verantwortlichkeit in sachlicher Weise zu einen? Nicht Euch allein – ich bin allen verpflichtet,« und ihre feuchten Blicke wanderten aufs neue vom einen zum andern. »Ich bat um Bedenkzeit. Ihr habt mir diese Bedenkzeit gegeben. Und nun: diese Bedenkzeit ist um, nach schweren Tagen und schlaflosen Nächten, in denen ich mir das Für und Wider meiner Entschließung gebildet habe. Die Stunde der Bescherung ist bei mir. Aber diese Bescherung ist mit dem letzten Willen meines heimgegangenen Vaters belastet. Kraft dieses Willens: ich sorge mich um Hof und Haus, um das, was mir ebenso teuer ist wie der Ruf und die Bestimmung des Weibes in mir. Acker und Wieswuchs, Deiche und Schleusenwerke gehören zu mir, wie ich zu ihnen gehöre. Zahn um Zahn und Treue um Treue. In diesem atme ich, schaffe ich, will ich dereinstens die Sterbesakramente empfangen. Ich kenne die Satzung des Herrn, die da lautet: Wenn dich einer schlagen will auf die linke Wange, dann gib auch die rechte. So heilig das ist, ich denke anders darüber. Darin kann mein Blut sich nicht finden, so leid es mir tut, gegen Jesu Christi Gesetz verstoßen zu müssen. Unter diesem entsetzlichen Zwang: es wird ein Kampf sein, ein Ringen, vor dem ich mich fürchte, und dennoch ein Kampf, den ich durchkämpfen muß bis an das Ende der Tage.«
Sie senkte das Haupt.
Die Augen schleierten ein.
»Dies mein Bekenntnis, und aus diesem Bekenntnis heraus: dem von euch meine Hand, der mir das Erbe sichert und mir das Geschenk bringt: du bist gebenedeit unter den Weibern.«
Ihre Blicke erschlossen sich wieder.
Eine Stille war ausgetan wie bei der Wandlung, wo der Priester das Brot emporhebt und eine silberne Schelle weltverloren über die Gläubigen zittert: »Corpus Domini nostri Jesu Christi custodiat animam meam in vitam aeternam.«
Kein Auge blieb trocken.
Jüllecke wandte sich ab, um in irgendeiner Ecke zu weinen.
»Du bist gebenedeit unter den Weibern,« wiederholte Anna Donsbrügge zum andern, entnahm ihrem Brusttuch ein versiegeltes Schreiben und legte es nieder, »und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes ... und wie es geschehen soll in Ehren und in christlicher Einfalt, ist in diesem Schriftsatz enthalten. Lest es. Aber öffnen sollt ihr es erst am Sankt Thomas-Abend ... nicht früher ... nicht später ... Was dann geschieht, muß ich euch überlassen, und ich habe nur noch zu fragen: Seid ihr bereit, in diesem Sinne zu handeln – dann sagt es; wenn nicht: übergebt es dem Feuer. Nur, gedenkt meiner, wie ich euer gedenke in Liebe und Dankbarkeit.«
Ihre Kraft war zu Ende.
Tränenden Auges sah sie auf die drei von den Katen.
Die traten heran und faßten sie bei den Händen.
»Dein Wille geschehe!« sagten sie ruhig, als wäre es ihnen an Eides Statt von den Lippen gekommen.
Sorglich geleiteten sie das Heil ihres Lebens auf die andere Seite der Tafel, wo Jüllecke bereits einen Lehnstuhl herbei geschafft hatte.
Noch einmal klang es von zuckendem Munde: »Das Niedergelegte – nur zu euch soll es sprechen. Der Welt gegenüber hat es die Zunge verloren; kein menschliches Ohr und keine menschliche Seele ...«
»Auch das soll geschehen, so wahr uns Gott helfe, der den Tag des heiligen Thomas segnen möge.«
»Nu aber genug!«
Jan-Ohme donnerte los.
Alle Beklemmungen, Schmerzen und Rührseligkeiten, mit denen er seine Seele während der Bekenntnisse überreichlich befrachtet hatte, versah er mit Konnossementen, um sie segeltüchtig zu machen und schwimmen zu lassen, und – Lob und Preis! – da fuhren sie hin.
»Aus mit die Tränenkomödie!« rief er aufs neue und schnirkelte seine Sardellen säuberlich nebeneinander. »Anna, setz' dir! Kinder, placiert euch! Das wäre der erste Aktus gewesen. Was sich noch in der Zukunft herausstellt, darüber hat der liebe Gott zu befinden, nicht der Umstände halber, sondern bloß der näheren Verhältnisse wegen. Er wird es schon machen, selbstverständlich immer dusemang und fortepiano. In diesem Momentus jedoch: iß Gäns' um Martini, Spekulatius und Nymwegener Leckerguts in festo Nicolai. Natürlich: der Punsch darf nicht fehlen. Jüllecke, eingeschunken, und prost Sinter Klaas, auf daß es uns bekommen möge und wir fröhlich werden auf Erden.«
Jeder folgte dem Rufe, und als sie so saßen und alter Zeiten gedachten, die Eichenknubben immer lauter und heller ihre Funken verspritzten, es mit Engelshaar über die Diele rieselte und das Heimchen hinter dem Herdfeuer geigte, als wenn es dafür bezahlt würde, sahen sich plötzlich alle an und lauschten hinaus in stummer Verzückung.
»Herr Jeses!« rief Jüllecke, »mir ahnt was.«
»Na, hört bloß!«
Wieder ein Schlitten, wieder Schellengeläut und Pferdegetrappel. Dazwischen Harmonikatöne.
»Phöns met de Fleut!« jubelten die da drinnen, aber das nicht allein: eine klare, helle, liebliche Frauenstimme sang durch den Abend, durch die Nacht, die von unzähligen Lichtern erstrahlte:
»Heil'ger Mann vom Himmel,
Lieber Nikolaus,
Binde deinen Schimmel
Nur an unser Haus!
Über dir im Kreise
Funkelt Stern bei Stern;
Fromme Engelsweise
Grüßt uns nah und fern.«
Die auf der Diele fielen mit ein, auch Anna Donsbrügge:
»Heil'ger Mann, nicht minder
Komm' du selbst herein;
Laß' uns wieder Kinder,
Deine Kinder sein!«
Gleich darauf ein Klopfen gegen die Scheiben, ein fetter und öliger Anruf, gleichsam aus einer leeren Lebertrantonne heraus: »Prost Sinter Klaas!«
»Baas Rennings!« rief es froh durcheinander.
»Frische Beleuchtung!« kommandierte Jan-Ohme, »denn wenn der Kaptän von ›Doortje van Grieth‹ uns die Ehre erweist, wird's spät unterm Monde. Jüllecke, ist noch Vorrat vorhanden?«
»Satt und genug.«
»Dann Türen auf und Herzen auf!«
Aber da kamen sie schon.
Zuerst Phöns met de Fleut.
Er spielte den Düppeler Sturmmarsch.
Hinter ihm Rennings und Doortje, Hand in Hand und in voller Aufmachung. Er als Kapitän in blauer Düffeljacke mit goldenen Ankerknöpfen, bedeckten Hauptes und das Sturmband untergeholt, sie als rundliches Weibsbild, kregel und schmuck wie aus dem Laden bezogen ... in holländischer Montur, mit ausgeklügeltem Mützchen, Goldblechhaube und blitzenden Augen.
»Hier mein Doortje! Ich präsentiere sie an in Wichs und Gala. Nunmehr das veritable Doortje van Grieth, durch Gottes Gnade, Federposen und eheliches Zutun meine bessere Hälfte, von der ich hoffe, kleine Rennings beziehen zu können, je mehr, um so lieber ... und wenn es erlaubt ist ...«
Aber da lag Doortje schon an der Brust der jungen Gutsherrin und weinte und schluchzte. Und dann kam Jüllecke an die Reihe und dann alle die anderen.
»Sinter Klaas! Sinter Klaas! Gott segne uns allmiteinander!«
Ja, es war schon ein Tag der Geschenke und eine Nacht voller Sterne!