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Folgendes hatte sich in der Zwischenzeit ereignet:
Harry war mit Curt Dubois gleich nach seiner Ankunft in Berlin ins Hotel Adlon gefahren und hatte den Empfangschef gebeten, ihn sofort telephonisch von dem Eintreffen Miß Olems zu verständigen.
Auf den Personenwechsel, den sie vornahmen, verwandten sie nicht viel Mühe.
»Ich sehe auf jedem Bild anders aus«, hatte Harry gesagt. »Ich wüßte also gar nicht, welches Ihnen als Vorbild dienen sollte.«
»Aber Sie sehen auf keinem Bilde mir ähnlich.«
»Das ist ihr dann eben entgangen«, war Harrys nicht eben schlaue Antwort.
»Wenn man Zeit hätte, müßte man mein Bild mit Ihrem Namen in irgendein Blatt bringen und es bei dieser Miß Djojo durch ihr Zimmermädchen einschmuggeln.«
»Wir müssen uns eben auf unser Glück verlassen.«
Harry rief seinen Diener, der zugleich sein Friseur war und fragte ihn:
»Sieht der Herr mir ähnlich?«
Der Diener war an Scherze seines Herrn gewöhnt und erwiderte frech:
»Zum Verwechseln. – Der Herr, den ich übrigens zu kennen glaube, ist zwar um fünfzig Zentimeter kürzer als der gnädige Herr, hat schwarzes Haar und dunkle Augen, einen vollen Mund und ein rundes Kinn – aber wenn das alles nicht wäre, könnte man ihn für den gnädigen Herrn halten.«
»Red' kein Blech, Diensfeld!« erwiderte Harry. »Es handelt sich um eine tiefernste Sache.«
»Nicht möglich!«
»Etwas, was für das Haus Max Sülstorff von entscheidender Bedeutung sein kann.«
»Der gnädige Herr haben doch nicht etwa die Absicht, zu arbeiten?«
»Was fällt dir ein! Aber wir heiraten vielleicht.«
»Der gnädige Herr?«
Harry wies auf Curt und sagte:
»Nein! – der Baron!«
»Ba–ron? – Wenn ich mir da den Hinweis erlauben dürfte, daß ich den Herrn Ba–ron vor zwei Tagen noch in einem Hotelrestaurant Unter den Linden im Frack gesehen habe.«
»Warum nicht?«
»Am Tage.«
»Ja und?«
»Nicht als Gast – sondern bedienender Weise.«
»Verbietet das Gesetz einem Kellner, zu heiraten?«
»Das nicht – aber . . .«
»Wie oft habe ich dir gesagt, Diensfeld, du sollst nicht denken. Es macht alt und häßlich. – Handle lieber.«
»Was befehlen der Herr?«
»Sorge dafür, daß der Baron mir ähnlich sieht. Wie du das anstellst, ist deine Sache.«
Diensfeld betrachtete den Baron genau und sagte:
»Längermachen kann man ihn nicht – man kann ihn vielleicht strecken – aber ein Meter fünfundachtzig, wie der gnädige Herr, wird er nie.«
»Eine blonde Perücke mit meiner Frisur.«
»Das ginge.«
»Tennisanzug und ein Wolltuch um den Hals.«
»Das möglichst über das ganze Gesicht geht«
»Eine dunkle Brille.«
»Da sehe ich wie eine Vogelscheuche aus«, widersprach der Baron. »Wie soll man sich da in mich verlieben?«
»Hoffentlich so toll, daß sie blind ist«, sagte Diensfeld und begann die Arbeit. –
Nach einer Weile sagte er:
»Wenn die Dame glauben soll, daß Sie der junge Herr Harry sind, dann wäre es wohl ratsam, daß Sie ohne Herrn Harry zu dem Fräulein Braut gingen.«
»Da hat er recht«, sagte der Baron. Aber Harry widersprach:
»Das muß ich miterleben! Und dann bin ich auch neugierig, wie sie aussieht.« –
Zehn Minuten später – aber noch lange bevor der alte Paul G. Olem als Kapitän das Hotel betrat – telephonierte der Portier nach dem Zimmer Djojos und meldete:
»Herr Harry Sülstorff und sein Sekretär.«
»Nein!« rief Djojo und führte instinktiv die Hand zum Herzen, das laut klopfte.
»Der Herr sagt, Sie erwarten ihn.«
»Gewiß – das tue ich auch – aber so plötzlich . . .«
»Soll ich ihn fortschicken?«
»Nein!«
»Soll er hinaufkommen?«
»Nein.«
»Unten warten also.«
»Aber nein! Was denken Sie? Wo ich doch seinetwegen – – sagen Sie ihm, er soll – er möchte – aber ganz langsam – hinaufkommen – oder –«
Der Portier hatte angehängt.
»Ich schäm mich tot! – Und wie ich aussehe! – Er hätte doch wenigstens eine Stunde vorher – er wird so schon denken: was für eine verrückte Person!« – Sie betrachtete Pina, die nach ihrer Umkleidung wie ein Cowboy auf einem Maskenfest im Norden Berlins aussah und rief:
»So wird er sich vorstellen, daß ich aussehe! Ich habe eine Idee! Sie spielen Djojo! Sie sind die Tochter des Bananenkönigs! Reden wenig und fallen nicht aus der Rolle, solange ich Ihre Zofe bin.« – Pina suchte zu widersprechen, aber Djojo blieb dabei:
»Sie haben die Wahl, daß ich Sie der Polizei ausliefere oder mir zuliebe Djojo zu sein. Was ist Ihnen lieber?«
»Ich weiß schon gar nicht mehr.«
»Sie bekommen von mir, was Sie wollen, wenn Sie Ihre Rolle gut durchspielen.«
Es klopfte – und herein traten der verwandelte Curt mit einem großen Strauß roter Rosen in der einen und dem Rackett in der andern Hand. – Und hinter ihm – in einem Abstand von etwa drei Schritt – Harry mit gescheiteltem Haar, goldner Brille, knappem Gehrock und in den Knien ausgebeulten Hosen, die viel zu lang waren.
Pina stand in der Mitte des Zimmers, während Djojo zur Seite getreten war – so daß kein Zweifel darüber entstehen konnte – wer hier Herrin, wer Dienerin war.
Sekundenlang standen sie sich gegenüber – und es geschah äußerlich nichts. – Der Baron war von dem Eindruck, den die vermeintliche Djojo auf ihn machte, überwältigt. – Sie sieht meiner Pina ähnlich dachte er, ganz entfernt natürlich – aber sie ist noch tausendmal schöner. Pina dachte: das ist der schöne Harry? Wo ist er schön? Er sieht meinem Curt auffallend ähnlich. Aber er ist tausendmal häßlicher als Curt.
Harry dachte: genau so verrückt hab ich mir diese Djojo vorgestellt. Man riecht förmlich die Büffelherde – dabei war es der Geruch des Leders von Pinas hohen Stiefeln, der ihm in die Nase stieg.
Djojo dachte: dieses Mannes wegen habe ich also eine Reise von Tausenden von Seemeilen gemacht. Zwar keine Spur von Aehnlichkeit mit dem Bilde, aber er gefällt mir.
Schließlich trat der Baron dicht an Pina heran, verbeugte sich, überreichte den Strauß und sagte:
»Willkommen in Berlin! Ich hoffe, Sie hatten eine gute Ueberfahrt.«
»Danke.«
»Ich höre, Sie sprechen deutsch.«
»Nicht viel.«
»Nun, man braucht auch nicht viel Worte, – es gibt ja andere Möglichkeiten, um sich zu verständigen.«
Pina starrte den Baron hilflos an. Wäre sie ihm auf der Straße begegnet – auch durch diesen veränderten Aufzug hätte sie sich nicht täuschen lassen – sie wäre auf ihn zugegangen und hätte gerufen: »Curt! Wie siehst du denn aus!« – Nun aber, wo sie mit sich selbst zu tun hatte, um nicht erkannt zu werden, achtete sie mehr auf sich als auf ihn und sagte:
»Bitte setzen Sie sich.«
»Vielen Dank! Sie gestatten, mein Sekretär.« – Sie setzten sich gegenüber, während Harry auf einem Stuhl in der Nähe der Tür Platz nahm – und schwiegen.
Nach einer Weile sagte der Baron.
»Es hat mich sehr gefreut, daß Sie meinetwegen – die weite Reise – ich hoffe, Sie sind nicht gar zu sehr enttäuscht von mir.«
»Nein! Nein! – überrascht bin ich.«
»Warum?«
»Weil Sie – einem Bekannten von mir – so ähnlich sehen.«
»Sie auch.«
»Sonderbar!«
»Darf ich fragen, wem?«
»Nein! Es ist auch gar kein Bekannter von mir – sondern von einer andern.«
»Gedenken Sie lange hier zu bleiben?«
»Ach ja – ich denke.«
»Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen Berlin zu zeigen.«
»Ich bin lieber zu Haus.«
»Ich verstehe: die Witterung! Sie frieren.«
»Wieso?«
»Weil es bei Ihnen soviel heißer ist.«
»Woher wissen Sie das? Mama legt im Winter . . .« – sie stutzte – »aber die Sonne wärmt in südlichen Gefilden« – sie machte eine Pause und genoß den Ausdruck, dann fuhr sie fort und sagte: »wohltuend.«
»Es muß schön sein, in einem Lande zu leben, in dem immer Sonne ist.«
»Teilweis.«
»Nun ja, Gegensätze haben auch etwas für sich.«
»Sie ziehen sich an.«
Der Baron glaubte, es sollte ein Witz sein und lachte – woraufhin Pina wiederum fürchtete, eine Dummheit gesagt zu haben und sich vornahm, noch zurückhaltender zu sein.
»Sie kommen aus der Wärme, ich aus der Kälte – also sollten wir uns anziehn«, sagte der Baron.
Jetzt lächelte Pina und erwiderte:
»Sie sind sehr höflich.«
»Ich hatte eine große Freude, als Ihr Telegramm kam.«
»So?«
»Aber jetzt, wo ich Sie kenne, freue ich mich noch mehr.«
»Es würde mich freuen, wenn Sie uns mal auf Sumatra besuchen würden.«
»Ich hoffe sehr, Miß Djojo« – er rückte seinen Stuhl näher an ihren heran – »daß Sie mir Gelegenheit dazu geben werden – und zwar recht bald – in einer bestimmten Eigenschaft mit Ihnen zusammen Ihre Heimat aufzusuchen.«
»Ich habe nichts dagegen.«
Der Baron schob seinen Stuhl noch weiter vor.
»Ich darf also hoffen?«
»Ich fürchte – wenn Sie mich genau kennen – daß Sie dann enttäuscht sein werden.«
»Ich darf es ja nun sagen: ich hatte Sie mir ganz anders vorgestellt. Um so fröhlicher bin ich, daß Sie so ganz mein Typ sind. Mir ist, als wenn ich Ihnen schon mal im Leben begegnet wäre.«
»Sie schmeicheln.«
Der Baron hielt die Zeit für gekommen. Er schritt zum Angriff, glitt von dem Stuhl auf den Teppich, kniete vor Pina nieder, ergriff ihre Hand und sagte:
»Djojo!«
Harry und Djojo hatten mit wachsendem Erstaunen die Werbung des Barons und die Art, in der Pina darauf einging, verfolgt.
Während der Baron sich über Pinas Hand beugte, wandte Pina den Kopf zu Djojo, in der Erwartung, sie werde ihr ein Zeichen geben, wie sie sich benehmen solle. Das geschah denn auch. Djojo schüttelte energisch den Kopf, woraufhin Pina dem Baron die Hand entzog und sagte:
»Nicht doch!«
Der Baron erhob sich und erwiderte:
»Ich begreife. Aber ich durfte nach Ihrem Telegramm annehmen, daß dies Tempo Ihren Wünschen entspricht.«
Da Pina keine Antwort wußte, so sagte Djojo in englischer Sprache:
»Sie wollten den Herrn doch bitten, Ihnen seine Kunst als Tennismeister zu zeigen, Miß Djojo.«
»Richtig! Das hatte ich ganz vergessen.«
»Leider bin ich augenblicklich ganz außer Form.«
Djojo nahm ein Sportblatt vom Tisch und sagte:
»Vor acht Tagen haben Sie noch in Homburg den Ersten Preis gewonnen.«
»Und mir den Knöchel verletzt«, erwiderte der Baron und hob die Hand, die keinerlei Veränderung aufwies.
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür.
»Wer ist da?« rief Pina und erschrak.
»Kriminal«, war die Antwort.
Der Beamte, der zuvor die Komteß aufgesucht und verhaftet hatte, trat ein, verbeugte sich höflich vor Pina und sagte:
»Verzeihung! Sie sind heute früh aus Sumatra gekommen.«
Pina nickte.
»Darf ich Sie bitten, mir den Zweck Ihrer Reise zu nennen?«
Da Pina schwieg, so sagte der Baron:
»Meinetwegen.«
»Wer sind Sie?«
»Harry Sülstorff aus Hamburg.«
»Woher kennen Sie die Dame?«
»Wir haben uns soeben kennengelernt.«
»Sie sagten doch, sie sei Ihretwegen . . .?«
»Auf ein Bild hin, auf das sie zufällig in einem Sportblatt gestoßen ist.«
Der Beamte schüttelte den Kopf und sagte:
»Sehr unglaubwürdig!« Dann wandte er sich wieder an Pina. »Woher kennen Sie die Gräfin Olga Tschochenska?«
Pina wankte in den Knien – Djojo gab ihr ein Zeichen – und sie sagte:
»Ich kenne sie nicht.«
»Wie kommt es denn, daß Sie sich bei Garis Sons auf sie berufen haben und auch im Hotel mit ihr in Verbindung zu treten suchten?«
Pina schwieg.
»Die Fäden der Verschwörung führen also nach Sumatra«, sagte er zu einem Kollegen, der nach ihm eingetreten und an der Tür stehen geblieben war. »Der Fall wird hochpolitisch. Wir müssen das Auswärtige Amt in Kenntnis setzen.« – Dann trat er dicht an Pina heran, betrachtete sie genau – sie bückte sich unwillkürlich unter seinen Blicken – griff mit einer geschickten Bewegung in ihr Haar, riß ihr die Perücke vom Kopf und sagte:
»Also!«
»Pina!« rief der Baron. – Der Beamte wandte sich zu ihm um – trat auf ihn zu – wiederholte den Griff – und stand, in der linken Hand eine blonde, in der rechten eine rote Perücke, triumphierend da.
»Curt!« rief Pina und sank auf einen Stuhl.
Harry und Djojo waren gleichzeitig vorgetreten, um den Fall aufzuklären. Da trafen sich abermals ihre Blicke – und ohne sich zu verständigen, schwiegen sie.
Der Beamte kostete seinen Triumph aus.
»Sie sind nicht erst seit heute in Berlin«, fuhr er Pina an.
Pina gab es zu.
»Sie sind an dem nächtlichen Aufruhr beteiligt.«
Abermals nickte Pina.
»Sie geben sich für die Tochter des Bananenhändlers Pika in der Lothringer Straße aus.«
»Ja, ja!« sagte Pina.
Der Beamte hatte ein Zeitungsblatt aus der Tasche gezogen, dessen Titelseite das Gruppenbild von Albert, dem Amerikaner, der Komteß Olga, Pina und dem russischen Baron war. Er verglich das Bild, zeigte es Pina und fragte:
»Sie geben zu, Miß Olem, die hier abgebildete Person zu sein?«
»Ja.«
Er wandte sich an den Baron:
»Und Sie sind der als Kellner vermummte russische Baron Curt Dubois.«
Curt sah sich zu Harry um. Und da der keine Anstalten machte, eine Erklärung abzugeben, so sagte er:
»Ich bin es.«
»Ich erkläre Sie beide für verhaftet.«
Dann wandte er sich wieder an seine Kollegen und sagte:
»Bringen Sie den Baron über den hinteren Aufgang zum Auto, während ich mit Miß Olem und den anderen Beamten durch das Vestibül gehe.«
Pina ließ sich erhobenen Hauptes abführen. Daß sie Djojo, die Tochter des Bananenkönigs, sein sollte, empfand sie als Ehre. Und sie war entschlossen – mochte kommen, was wolle – diese Rolle bis zu Ende durchzuführen. Freiwillig würde sie sich jedenfalls nicht in Pina Jeff zurückverwandeln.
Der Baron dachte: zu verlieren habe ich nichts. Je mehr ich mir aber diese Leute verpflichte, um so mehr Chance habe ich, etwas zu gewinnen. –