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Als Komteß Olga von Tschochenska in ihr Hotel Unter den Linden zurückkehrte, wartete ihr Protektor, der reiche Deutsch-Amerikaner Albert Stein-Brück, schon stundenlang auf sie. Er saß in der Hotelbar und trank seinen elften Whisky. Mit Soda die ersten drei, die folgenden acht pur. Und da er niemanden hatte, mit dem er reden konnte, so verfiel er in Selbstbetrachtung.
»Die Zeit, die ich ein ganzes Jahr über mit Warten verbringe« – sagte er sich – »ist geringer als die Zeit, die mich diese Komteß einen einzigen Tag über warten läßt.«
Er sah nach der Uhr. Es war zehn vorüber. Er zog ein paar Karten für die Staatsoper aus der Tasche. Zwei Sitze in der Fremdenloge zum Rosenkavalier.
»Wann beginnt die Staatsoper?« fragte er den Barkellner.
»Und wann ist sie zu Ende?«
Der Kellner sah nach dem Zettel an der Wand und erwiderte:
»Gegen zehn Uhr.«
Der Amerikaner fletschte ein »Ben« durch die Zähne und zerriß die Theaterkarten in kleine Stücke.
»Wann schließen die Geschäfte in Berlin?« fragte er nach einer Weile und zwei weiteren Whisky.
»Um sieben, Sir.«
»Gibt es auch Geschäfte, die länger aufhalten?«
»Wenn Kundinnen zu bedienen sind, schon.«
»Aber doch nicht bis zehn Uhr?«
»Kaum.« –
Von der Halle her drang Lärm in die stille Bar. Der Amerikaner horchte auf. Die Stimme einer Frau, die er kannte. Gleich darauf ertönte ein lautes Poltern von Schachteln und Paketen, die zu Boden fielen.
»Das ist sie!« sagte der Amerikaner und trank aus. – Gleich darauf rief laut eine Stimme:
»Albärt!«
Der Amerikaner schob ein paar Stühle zur Seite und stand auf. Im selben Augenblick erschien Komteß Olga, gefolgt von einer Schar junger Mädchen, die mit Kartons und Paketen beladen waren und am Eingang zur Bar stehen blieben.
»Schauen Sie her!« rief Olga und ließ den Pelz herabgleiten, »wie gefällt Ihnen das Abendkleid?«
Es war ein Dekolleté, das nichts verbarg und selbst für eine Revue noch reichlich knapp war.
»Ich sehe nur Sie, Komteß,« erwiderte der Amerikaner. »Das Kleid befindet sich vermutlich noch in einem der Kartons.«
»Albärt, Sie sind ein Schaf!« sagte Olga und präsentierte ihren weißen Rücken.
»Noch weniger aber noch vorteilhafter,« entschied der Amerikaner, »aber wovon leben die Fabrikanten, die den Stoff liefern?«
»Das will ich Ihnen zeigen« – und zu den Mädchen gewandt rief sie: »Packen Sie aus!«
In wenigen Sekunden war die Bar in einen Modesalon verwandelt.
»Entscheiden Sie! Welches Kleid soll ich für die Oper anziehen?«
»Die ist bereits seit einer halben Stunde zu Ende.«
»Warum haben Sie mir das nicht gesagt, dann hätte ich mich beeilt? Dazu probiere ich stundenlang an, um Ihnen zu gefallen, und wenn ich dann abgehetzt ins Hotel komme, erklären Sie mir, es ist zu spät.«
»Richard Strauß hat die Oper leider nicht länger gemacht.«
»Dann hätten Sie Billetts für die Meistersinger nehmen sollen, die dauern bis zwölf.«
»Ich habe leider keinen Einfluß auf das Repertoire der Staatsoper.«
»Sie könnten ihn aber haben und hätten ihn auch, wenn Sie auf mich Rücksicht nähmen. So ein Intendant läßt mit sich reden. Sie konnten sich doch denken, wenn ich zum Schneider gehe, daß ich nicht um sieben zurück sein kann. Zu den Meistersingern wären wir gerade noch zurecht gekommen.«
»Sie werden hungrig sein, ich habe bei Pelzer drüben ein Souper bestellt.«
»Ich gehe nicht zu Pelzer.«
»Wo wünschen Sie, daß wir essen?«
»Sind Sie zu einem Spaß aufgelegt?«
»Mit Ihnen selbstverständlich.«
»Also gehen wir in die Winzerstuben.«
»Darf ich fragen, wer Ihnen das empfohlen hat?«
»Ein Mannequin von Garis Sons.«
»Ein Mannequin?«
»Ja! Ein ganz reizendes sogar, das heute abend dort mit einem Kellner dieses Hotels Verlobung feiert.«
»Und – da wollen Sie – doch nicht etwa mitfeiern?«
»Natürlich will ich und werde ich – und Sie werden auch – vorausgesetzt, daß es den Beiden recht ist.«
»Das ist eine ganz ulkige Idee.«
Der Mixer an der Bar wagte, ganz bescheiden zu bemerken:
»Darf ich die Herrschaften darauf aufmerksam machen, daß die Winzerstuben . . .«
»ein Lokal für kleine Verhältnisse sind,« fiel ihm Komteß Olga ins Wort. »Gerade deshalb gehen wir hin.«
Der Mixer trat einen Schritt zurück, machte ein dummes Gesicht und schwieg.
»Also los!« sagte Olga. »Ich habe einen Bärenappetit und einen noch größeren Durst.«
»Und Sie meinen, daß Sie in diesem Aufzug . . . ?« wandte der Amerikaner ein.
Komteß Olga hatte den Pelz schon wieder an.
»Geben Sie den Damen zu essen und zu trinken!« rief sie dem Kellner zu. »Sie sind meinetwegen drei Stunden länger im Geschäft geblieben!«
Albert verstand, zog die Brieftasche heraus und bezahlte sein Warten, indem er jeder der jungen Damen einen Hundertmarkschein gab.
Dann stiegen sie in den Duesenberger, den der Amerikaner mitgebracht und Komteß Olga zur Verfügung gestellt hatte, und fuhren die Friedrichstraße hinunter zu den Winzerstuben.
Die ersten Schwierigkeiten ergaben sich bereits beim Eintritt in das Lokal. Man wollte sie nötigen, die Garderobe abzugeben, und es bedurfte der Intervention des Geschäftsführers, daß Olga ihren kostbaren Hermelinmantel mit in den Saal nehmen durfte. Hier saßen an kleinen Tischen, die kaum einen Durchgang ließen, ein paar hundert Menschen und sangen zu den Klängen einer überaus lauten Kapelle alte deutsche Studentenlieder. Fast an jedem Tische saßen zwei Pärchen – scharf von einander getrennt und jedes Paar wieder unter sich Hand in Hand so dicht beieinander, daß sie sich mit den Knien berührten, was nicht etwa auf Mangel an Platz zurückzuführen war. Auf den meisten Tischen standen Pokale mit Pfirsichbowle – vereinzelt sah man Kübel mit Mosel- und Rheinweinflaschen.
Als Komteß Olga, den Hermelin über die eine Schulter gelegt, mit dem befrackten Amerikaner den Saal, in den sie in diesem Aufzug ganz und gar nicht, hineinpaßten, betrat, brach wie auf ein Zeichen plötzlich der Gesang ab. Die Frauen, meist junge Geschäftsmädchen, zogen Hand und Füße von ihren Kavalieren zurück und staunten das seltene Paar an, während die Herren, meist Studenten und ehemalige Offiziere, sich durch diese Ablenkung in ihrer Offensive zurückgeworfen sahen und ihren Aerger durch laute höhnische Rufe zum Ausdruck brachten. Ja, ein paar besonders mutige Kavaliere standen sogar auf und versperrten den beiden den Weg.
»Albärt, boxen!« kommandierte die Komteß, und der Amerikaner holte eben zu einem rechten Kinnhaken aus, als am Ende des Saales Fräulein Pina Jeff, das Mannequin, auf einen Tisch stieg und mit lauter Stimme in den Saal rief:
»Idioten!«
Da jeder sich getroffen fühlte, war es im selben Augenblick mäuschenstill. Aber so überzeugend der Ausruf war – Pina besaß Instinkt genug, um zu wissen, daß es mit dieser Feststellung allein nicht getan war. So fuhr sie denn fort:
»Seht ihr denn nicht, wen ihr vor euch habt? Die berühmte Filmdiva Olga Tschechowa und ihren Partner, den großen Schauspieler Albert Steinrück, den ihr alle aus dem Fridericusfilm her kennt!«
Bei diesen Worten brach tosender Jubel aus, und Pinas letzte Worte: »Sie kommen direkt aus dem Atelier!« gingen in den Hoch- und Hurrarufen unter.
»Schade!« dachte der Amerikaner und öffnete ungern die Faust, und Komteß Olga erwiderte:
»Mir hätte ein bißchen Boxkampf auch mehr Spaß gemacht.«
Pina war stolz auf ihren Einfall, den die Aehnlichkeit der Erscheinung und des Namens der Komteß ihr ohne viel Ueberlegung eingegeben hatte. Sie sprang von dem Tisch herunter, lief den Beiden entgegen und begrüßte sie freundlich aber mit Zurückhaltung. Auch Curt verbeugte sich. Und – da er noch nicht wußte, welche Rolle er den Beiden gegenüber spielen würde – zunächst devot als Kellner, dann mit jener in Konfektionsfilmen oft gesehenen Geste des Reisenden, und schließlich diskret und distanziert als Baron. Mochte der Amerikaner sich aussuchen, was ihm behagte.
Dann nahmen alle vier an dem Tisch von Curt und Pina Platz, auf dem zwei leere Bowlepokale, ein Teller mit gemischtem Eis und zwei Stück Harzer Käse mit Butter standen.
»Wenn wir nicht stören,« sagte die Komteß, als der Lärm sich gelegt hatte, während der Tisch den ganzen Abend über belagert blieb und Olga innerhalb einer Stunde zweihundertdreiundzwanzig Mal ihren Namen schreiben mußte – »so hätten wir gern Ihre Verlobung mit Ihnen gefeiert. Aber« – und sie wies auf die Gläser und Teller – »ich sehe, Sie sind schon beim Dessert.«
Curt und Pina sahen erst sich und dann ihre Teller an. Dann sagte Pina.
»Wir fangen gerade an zu essen.«
»Albärt! verstehst du das?« wandte sie sich an den Amerikaner.
Der verstand. Er nahm die Karte, sagte zu Pina und dem Baron:
»Sie lassen mir die Freude, das Verlobungsessen zusammenzustellen?« – und er bestellte: Veuve Clicquot – Kaviar – Schildkrötensuppe – Bachforellen – junge Rebhühner – frische Ananas mit Kirsch – Sellerie à la Marquise.«
»Das können wir nicht bezahlen«, beteuerte Pina.
»Aber Kind!« erwiderte die Komteß, »Albärt bezahlt alles – wenn er nur trinken kann.«
»Und mit der Verlobung ist es auch noch nichts«, fuhr Pina fort. »Für einen Baron ist er nicht reich genug und für einen Modeanwalt ist er als Baron zu schade. Ehe wir da nicht einen Ausweg wissen, können wir nicht ans Heiraten denken.«
»Das wird sich nach der zweiten Flasche Sekt schon alles finden«, meinte die Komteß, die, müde vom vielen Autogrammeschreiben, Alberts goldenen Bleistift an Pina weitergab und sagte:
»Ich kann nicht mehr. Schreiben Sie!«
Und es ergab sich, daß der erste Gast, den Pina mit ihrer Unterschrift beglückte, ein reizendes kleines Geschäftsmädel, in ihrem von Alkohol beseelten Zustand den Vor- und Zunamen zusammenzog und beseelt ausrief:
»Die Pinajeff!«
»Elisabeth Pinajeff!« riefen Filmsachkundige und huldigten ihr. Der Wirt, ebenfalls stark beeindruckt von der Ehre, die seinem Hause widerfuhr, rief die Kellner zusammen und befahl:
»Auf sämtliche Speisen werden heute abend fünfundzwanzig Prozent Künstleraufschlag erhoben.«
Ein von sämtlichen Musen verlassener Stahlhelmmann protestierte.
»Ich bin doch nicht verrückt, einer Filmdiva wegen für einmal Leber mit Rotkohl zwei Mark und zwanzig zu zahlen.«
Der herbeigerufene Wirt verteidigte sich und sagte:
»Was glauben Sie, was mich die Engagements kosten?«
»Sie haben sie engagiert?«
»Ja, glauben Sie, Künstler ihres Ranges sitzen gratis stundenlang in den Winzerstuben?«
Auf diese zweideutige Antwort hin fragte der Stahlhelmmann:
»Sie werden staunen!«
Und da Dritte gern hören, wenn zwei sich streiten, so waren viele Gäste an den Tisch herangetreten, und in kaum zwei Minuten wußte das ganze Lokal: sie sind vom Wirt engagiert. Sie tragen vor.
Der Wirt lächelte und dachte: man muß nur sein Geschäft verstehen. Aber er sah zugleich mit Grauen dem Augenblick entgegen, in dem die vermeintlichen Filmgrößen gingen, ohne sich produziert zu haben. Dann kam es zu einem Skandal, und die Kellner konnten sehen, wie sie zu ihrem Gelde kamen.
Während er darüber nachdachte, ob es Mittel gab, dem Sturme zu begegnen, hob sich am Tisch der Komteß die Stimmung von Minute zu Minute.
»Hören Sie, wovon sie sprechen?« trug er dem Kellner auf, und der erwiderte:
»Von Liebe ist die Rede und von Bananen.«
»In ganz Berlin ist seit Tagen keine Banane aufzutreiben«, erwiderte der Wirt. »Das sind sicherlich Obstschieber en gros, aber keine Filmschauspieler.«
Er ging selbst an den Tisch und fragte, ob sie mit Essen, Weinen und Bedienung zufrieden seien.
»Bananen wollen wir haben!« rief die leicht bezechte Pina, die überall, wo sie war, für das Geschäft der Eltern Reklame machte – »Bananen!«
Und der Ruf pflanzte sich von Tisch zu Tisch. Das ganze Lokal hallte wieder von dem Geschrei nach Bananen. Der findige Kapellmeister brach die Musik ab und stimmte das Lied an:
»Yes, we have no bananes, we have no bananes to-day.«
Das Lied aus längst verklungener Zeit erlebte seine Auferstehung. Und als es verklungen war, stand Pina wieder auf dem Tisch und rief mit lauter Stimme:
»Die besten Bananen bekommen Sie bei Max Pika, Lothringerstraße 24! Das Stück zu 15 Pfennigen, das ganze Dutzend zu einer Mark fünfzig.«
Wie auf Bestellung rief am Nebentische jemand:
»Auf zu Pika!«
Und fünf Minuten später setzte sich ein mitternächtlicher Zug der Gäste, mit der Kapelle der Winzerstuben, die Leipzigerstraße entlang in Bewegung.
Die Kellner hatten noch im Flur und auf der Straße einkassiert. Die schlechten Garderobeverhältnisse erleichterten ihnen die Arbeit. Der Wirt deckte den Ausfall der letzten zwei Stunden damit, daß er seine Kellner mit ein paar Körben Sekt dem Zuge folgen ließ – mit einem Aufschlag von abermals fünfundzwanzig Prozent. Paare, die nicht mehr sicher auf den Beinen standen, nahmen im Wagen Platz. Der Verkehr in der Friedrichstraße stockte. Die Schupo erwies sich als völlig machtlos. Der bezechte Albert, der glücklicherweise den Fridericusfilm gesehen hatte, marschierte mit der Komteß an der Spitze des Zuges und brüllte jeden Widerstand der Staatsgewalt mit dem Ruf nieder:
»Platz für Friedrich Wilhelm I.!«
Die Gäste der Friedrichstadt stürmten aus den Lokalen und schlossen sich dem Zuge an. Ein Kellner spielte den Verbindungsoffizier mit den Winzerstuben. Als der Zug am Oranienburger Tor anlangte, war der Sektkeller bereits halb geleert. Alle paar Minuten ließ ein Kellner einen Gast wegen Zechprellerei abführen, wodurch er zugleich die Beamten von der Hauptsache, den Zug aufzulösen, ablenkte. Die in tiefer Nachtruhe liegende Lothringerstraße wurde zum Nachtgelage. Die Destillen nahmen ihre schon geschlossenen Betriebe wieder auf und lieferten Bockwürste in ungeheuren Mengen auf die Straße.
Als Letzte erwachte das Ehepaar Pika, deren Zimmer hinter dem Laden lagen, aus dem Schlafe:
Die Alte rüttelte ihren Mann und sagte:
»Ich träume mit wachen Augen.«
Der Alte setzte sich auf und sagte:
»Ich auch.«
»Was hörst du?« fragte sie.
»Das Bananenlied.«
»Ich auch.«
»Von Hunderten von Stimmen.«
»Ich von Tausenden.«
»Es wird immer deutlicher.«
»Als wenn es dicht vor unserem Laden wäre.«
»Wir träumen.«
»Ich bin ganz wach jetzt.«
»Oeffne die Tür!«
Der Alte stieg aus dem Bett, öffnete und fuhr zurück. Wie eine Sturzwelle drang jetzt von draußen Gesang ins Zimmer.
»Geh zum Fenster!«
Behutsam – im Nachthemd, ohne etwas an den Füßen – schlich der Alte in den Laden und öffnete. Der Lärm brauste durch das Fenster.
Frau Pika stürzte zu ihm. Hand in Hand standen die beiden Alten in dem dunklen Laden und sahen mit entgeisterten Gesichtern auf die Straße. Ihr Erstaunen wuchs noch, als jetzt Pina an das Fenster trat und laut rief:
»Mutter! Vater! macht den Laden auf! Ich bringe Kunden!«
Die beiden Alten sahen sich an. Dann machte Frau Pika Licht, während der Alte zur Tür ging. Er wollte eben öffnen, da kam ein Schrei aus tausend Kehlen:
»Bananen!«
Der Alte, der noch immer nicht wußte, ob er wach oder noch im Traume war, wich von der Tür zurück, sah auf die leeren Bananenkisten und wandte sich dann mit hilflosem Blick zu seiner Frau. Die faßte sich schnell, schrieb auf eine Tafel:
Saure Aebfel das Fund 1 Mk.
Süse Bürnen das " " 1 Mk. 50
Bananen ausferkauft!
Diese Tafel hing sie von innen ans Fenster.
Ein Sturm brach los. Die Menge drohte den Laden zu stürmen. Alle Versuche Pinas, der Komtesse und ihrer Begleiter, die Menge zu beschwichtigen, waren vergeblich. Während Albert, der Amerikaner, ein paar Kerle, die gegen die Ladentür rannten, niederboxte, flüchtete Pina mit der Komteß und dem Baron zur Haustür, schloß auf und brachte sich und die beiden in Sicherheit. Vom Flur aus gelangten sie in den Laden, wo die beiden Alten sich hinter Obstkisten versteckt hielten.
Die Menge wurde immer bedrohlicher. Pina stieg auf eine Leiter und öffnete das obere Fenster. Auf eine Leiter am Nebenfenster stieg die Komteß. Die Alten schleppten Kisten mit Birnen und Aepfeln heran, reichten Stück um Stück den beiden Frauen, die ein lebhaftes Bombardement auf die Menge eröffneten. Wem ein Apfel oder eine Birne an den Kopf flog, brüllte auf. Aber schon griff der Nachbar danach und bald war eine regelrechte Schlacht im Gange. Die Menge schlug sich um das Obst. Aber als sie satt war und das Obst ein Ende nahm, warfen sie alle angefaulten Aepfel und Birnen zurück, schlugen die Fenster ein und zwangen Pina und die Komteß, die über und über mit weichen Birnen und faulen Aepfeln beschmutzt waren, zum Rückzug. Die Schlacht schien verloren, da kam Pina auf eine Idee. Sie nahm die Tafel vom Fenster und schrieb auf die Rückseite:
Bananen! Frische Sendung!
Verkauf ab fünf Uhr früh
Zentralmarkthalle!
Die Menge brach in lauten Jubel aus. Albert, der Amerikaner, gab die Parole aus:
»Zentralmarkthalle!«
Die Musik setzte wieder ein – und die Menge zog ab. Albert ging in den Laden.
Als die Straßen wieder leer waren, traf die Schupo in einem Riesenlastauto – vierzig Mann stark – in der Lothringer Straße ein. Da sie keine Möglichkeit mehr hatte, sich zweckmäßig zu betätigen, so besetzte sie das Haus Pikas, drang in den ausgeräumten Laden ein und stellte Ermittlungen an. Sie drohte mit Verhaftung und stellte hohe Polizeistrafen in Aussicht. Ja, der Offizier erklärte sogar, daß sich voraussichtlich der Staatsanwalt mit den beiden Alten, mit Pina und der Komteß wegen Landfriedensbruchs beschäftigen werde. Albert, der Amerikaner, der sich nicht ausweisen konnte, wurde als Rädelsführer von mehreren Schupobeamten mit Bestimmtheit wiedererkannt und verhaftet. Sein leidenschaftlicher Protest verhallte wirkungslos. Er überreichte der Komteß, die vergebens allen Liebreiz einsetzte, um den Offizier umzustimmen, sein Scheckbuch und ließ sich abführen.
Pina suchte die Eltern zu beruhigen. Auch die Komteß und Curt, der Baron, bemühten sich um sie. Aber während die Alte zu einem Morgenkaffee in dem bescheidenen Wohnzimmer einlud, kroch der Alte über die Trümmer seines Ladens beinah bis zur Decke hinauf und holte von da aus einem Verschlag eine Kiste herunter. Er öffnete sie und gab sich mit sichtlicher Freude dem Anblick – und mit noch größerer dem Genuß von ein paar prächtigen Bananen hin. Dann ging auch er in das Wohnzimmer und stellte die Kiste auf den Tisch.
Um den Tisch herum saßen sie nun, sechs Personen, tranken Kaffee und aßen Bananen.
»Das gibt einen herrlichen Skandal!« rief Komteß Olga. »Endlich mal wieder ein Erlebnis! Das erste seit der Revolution!«
»Auf unsere Kosten!« erwiderte der Alte.
»Ich ersetze Ihnen alles.«
»Wir hätten sowieso schließen müssen«, sagte Frau Pika. »Jetzt haben wir nach außen hin wenigstens einen Grund.«
Curt, der sich bereits als künftiges Mitglied der Familie fühlte, sagte:
»Sie hatten die Absicht, sich zur Ruhe zu setzen?«
»Ja!« sagte der Alte, aber seine Frau erwiderte lächelnd:
»Mein Mann schon, aber wir nicht. Was von der Kunst kommt, wie wir, liebt die Kunst. Aber sie kostet Geld.« – Und sie erzählte wieder einmal aus ihrer ersten Ehe, von dem Artisten Jeff und den großen Affichen an allen Säulen, wenn er auftrat. »Na, und das hat nun meine Tochter von ihm, das Künstlerblut! Und so sind wir die Obstsendungen schuldig geblieben und sollen nun zahlen. Der Herr Sülstorff in Hamburg braucht sein Geld, denn dem sein Sohn, das ist wie mit meiner Tochter, nur, daß der eben in Sport macht und meine Tochter in Kunst, denn so'n Mannequin muß doch nach was aussehen, wenn sie's zu was bringen will.«
»Sülstorff?« fragte der Baron. »Das ist doch nicht etwa der schöne Harry?«
»Kennst du – kennen Sie ihn?« fragte Pina.
»Aber ja! Er ißt seit Jahren jeden Mittag bei uns.
»Sie haben ein Restaurant?« fragte der Alte. »Da hat man nicht soviel Aerger wie in einem Obstgeschäft.«
»Ich habe – das heißt, – ich hatte – ein Gut – vor der Revolution – in Rußland.«
»Aber Mama! Ich habe dir doch erzählt. Der Herr Curt ist der neue Modeanwalt.«
»So! So! – Ja, ich entsinn' mich! Du sagtest, daß er uns vielleicht die achthundert Mark . . .«
»Das kann er nicht!« fiel ihr Pina ins Wort.
»Aber ich kann es!« erklärte die Komteß und klappte das Scheckbuch auf.
In dem künftigen Schwiegersohn meldete sich der Aristokrat:
»Sie können doch nicht von dem Gelde des Amerikaners . . .«
»Selbstredend kann ich!« widersprach Olga.
»Aber Sie! Sie können es nicht annehmen!« rief Curt der Alten zu.
»Man könnte es ihm vielleicht wiedergeben – später einmal.«
»Er wird es nie erfahren«, beteuerte die Komteß.
»Um so schlimmer! Pina, dulden Sie es nicht! Lassen Sie es mich bei Harry versuchen. Er ist ein Sportsmann und Gentleman und hat mich, obgleich ich Kellner war, immer als ehemaligen Offizier und seinesgleichen behandelt.«
Der Alte wies auf das Scheckbuch und meinte:
»Sicherer ist das schon.«
»Versuchen Sie's!« rief Pina – »aber wenn er es ablehnt . . .«
»bin ich immer noch da!« fiel ihr die Komteß ins Wort. »Der Spektakel, den die Nacht nach sich ziehen wird, ist das Dreifache wert.«
Curt stand artig auf und verabschiedete sich.
»Schicken Sie mir meinen Wagen!« rief ihm die Komteß nach. Und Pina, die ihn zur Tür begleitete, drückte ihm die Hand und sagte:
»Auf Wiedersehen, Curt, morgen früh um neun bei Garis Sons.«