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Als die Mittagsblätter, die noch völlig im Dunklen tappten, die ersten alarmierenden Nachrichten über den nächtlichen Aufruhr brachten und bereits den Verdacht aussprachen, daß der Obstladen von Max Pika in der Lothringer Straße seiner wahren Bestimmung nach der nächtliche Versammlungsort bolschewistischer Verschwörer sei, stürzte der Chef des Hauses Garis Sons, ohne anzuklopfen, in das Zimmer der Mannequins und stellte Pina Jeff zur Rede. Das heißt: er hatte die Absicht, es zu tun. Aber er redete sich in solche Wut hinein, daß Pina, die mehrmals Anstalten machte, aufzuklären und zu widersprechen, gar nicht zu Worte kam.
Jedesmal, wenn sie den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, rief er, bevor sie noch ein Wort herausbrachte:
»Werden Sie nicht auch noch frech! Sie schleppen nach Geschäftsschluß hier eine fremde Person herein, eine angebliche Gräfin, die Sie auf der Straße aufgelesen haben, und die innerhalb einer Stunde Kleider im Werte von Tausenden von Mark kauft . . .«
». . . und bezahlt!«
»Das ist ja gerade das Verdächtige! Nennen Sie mir eine Kundin, die das tut! Geld aus Moskau! Sündengeld! Ich komme in Verdacht, ein Bolschewist zu sein und verliere meine Kundschaft! Und dieser geheimnisvolle Baron, der sich als Kellner ins Hotel Adlon schmuggelt – vermutlich, um an einem der Galaabende das ganze Hotel in die Luft gehen zu lassen.«
»Aber er hat sich doch von Ihnen engagieren lassen.«
»Um sein Alibi zu erbringen, wenn das Hotel in die Luft geht, damit er dann sagen kann, er war bei mir! Als Modeanwalt! Gibt es das überhaupt? Hat es das je gegeben? Ich werde in den Verdacht kommen, mit den Verschwörern zu konspirieren! Man wird mir das Geschäft schließen und mich verhaften.
»Aber . . .«
»Ihr vieles Reden beweist nur Ihr schlechtes Gewissen. Sie haben mir die Leute auf den Hals gehetzt!« – Er stürzte an das Telephon und ließ sich mit dem Hotel Adlon verbinden: »Den Chef!« rief er in den Apparat. »Unsinn! Nicht den Küchenchef! Den Herrn vom Haus! Aber schnell!« – Er wandte sich zu Pina, die in Tränen stand. »Ich übergebe ihn der Polizei!«
»Dann lieber mich!« flehte Pina Jeff.
Er ließ vor Schreck den Hörer fallen und rief:
»Sie geben es also zu! Mein bester Mannequin! Der Ruf meines Ateliers!« – Er nahm den Hörer wieder ans Ohr und rief in den Apparat: »Herr! Herr Chef! einer Ihrer Kellner, Baron Dubois – Vorname? – Wie heißt er?« fragte er Pina, die erwiderte:
»Curt.«
»Curt!« brüllte er in den Apparat. »Curt Dubois ist ein Bolschewik – wie? er ist weg? Wohin? – Sie wissen nicht? Aber ich weiß! Lassen Sie Ihr Hotel räumen! Er sprengt es in die Luft! – Wer ich bin? Sein Chef! Das heißt: nein! Sein Chef sind Sie! Ich habe ihn nur vorübergehend . . . alarmieren Sie die Polizei. Lassen Sie das Hotel nach Dynamit durchsuchen! – Die Kellner vor allem!« – Er ließ den Hörer fallen und sank mit dem Seufzer: »Ich – kann – nicht – mehr!« auf einen Sessel.
Die in Tränen aufgelöste Pina trat an ihn heran.
»Rühren Sie mich nicht an!« rief er. »Sie haben am Ende auch Dynamit in den Taschen!« –
Er drückte auf eine Klingel und befahl einem Diener:
»Untersuchen Sie Fräulein Pina Jeff – aber erst, wenn ich draußen bin!«
Er stand auf, schlich ängstlich zur Tür, wandte sich um und sagte: »Und dann schmeißen Sie sie raus! – Ich gehe inzwischen zur Polizei – ehe sie zu mir kommt – weise meine Unschuld nach und sage, was ich weiß.«
Pina Jeff sank, halb nur noch bei Besinnung, dem Diener in den Arm, der sie mit vielem Verständnis und größerer Gründlichkeit, als notwendig war, abtastete und vor die Tür setzte.
Die arme Pina lief verzweifelt nach den Linden zu und suchte sich klar zu werden, was eigentlich vorgefallen war. Sie sagte sich, das Einfachste wäre, die Komteß aufzusuchen – aber, dachte sie weiter, entweder trifft zu, was der Chef sagt, dann war dieser Besuch mit Gefahr verbunden – oder bei dem alten Garis war eine Schraube los – und dann würde die Komteß ihren Besuch als aufdringlich empfinden. Da sie, vor dem Hotel angelangt, noch zu keinem Entschluß gekommen war, so suchte sie zunächst ein Café auf und las die Zeitungen, die sämtlich in großer Aufmachung den Fall behandelten. – »Was geht in Berlin vor?« – »Links- oder Rechtsputsch?« – »Der geheimnisvolle Amerikaner« – »Moskau marschiert des Nachts in den Straßen Berlins« – »Der russische Baron und seine Geliebte« – »Die Großfürstin und ihr Kellner.«
Pina erblaßte, bestellte einen Kognak – noch einen:
»Die ganze Flasche!«
rief sie und goß zum Erstaunen und zur Belustigung der übrigen Gäste noch ein halbes Dutzend Gläser hinunter. Dabei geriet sie in immer größere Wut. Wie die nächtlichen Vorgänge zusammenhingen, interessierte sie gar nicht mehr. Nur das Verhältnis, in dem ihr Kellner, der russische Baron, zu der Komteß Olga stand, beschäftigte sie. Russische Verschwörer beide! Und sie das unfreiwillige Werkzeug, dem man Liebe vortäuschte und das man vorschob, um abzulenken und harmlos zu erscheinen. Hätte sie es nicht merken müssen? Aber in wieviel Filmen und Romanen war sie nicht schon exaltierten Gräfinnen begegnet, die noch viel tollere und unwahrscheinlichere Launen hatten! – Der Chef von Garis Sons war also im Recht, und es war nur natürlich, daß er sie mitverdächtigte, denn sie hatte die Gräfin eingeführt, und der Baron war nicht der Gräfin, sondern ihr Verlobter – wenigstens nach außen hin. Sie hatte die Wahl, sich als Mitverschworene zu einem Komplott zu bekennen, dessen Ziele sie, die sich nie um Politik bekümmert hatte, gar nicht kannte, oder die lächerliche Figur einer getäuschten Braut zu spielen. Das Letzte ging wider ihre Ehre – das andere war gefährlich, führte wahrscheinlich ins Gefängnis, wuchs sich unter Umständen aber zu einem Sensationsprozeß aus, machte sie am Ende berühmt und führte sie zum Ziel ihrer Wünsche – zum Film!
Ja, die Wege der Seele eines Mannequins sind unergründlich. Eben noch entschlossen, zu der Komteß zu stürzen, von der Rivalin Rechenschaft zu fordern und sie nötigenfalls – mit den Fäusten zu überzeugen, daß sie in Punkto Liebe nicht mit sich spielen ließ, war sie jetzt beinah entschlossen, ein paar Blumen zu kaufen, zu ihr zu gehen und sich ihr zur Verfügung zu stellen. Denn niemand konnte wissen, in welche schweren politischen Konflikte sie verwickelt wurde. – Sie sah schon ihr Bild in sämtlichen Zeitungen – und wer weiß, ob sie die Eltern dann jemals wiedersah.
Im Vorgefühl ihrer künftigen Berühmtheit bestieg sie den Aboag und fuhr nach der Lothringer Straße. – Polizisten, immer zu dritt, mit umgehängten Karabinern, defilierten auf dem Fahrdamm und den Bürgersteigen und forderten die neugierige Menschenmenge zum Weitergehen auf. – Pina drängte sich hindurch und dachte: wenn sie wüßten, wer ich bin! –
Schon von weitem sah sie, daß das Geschäft ihres Vaters geschlossen war. Alles staute sich davor und stierte auf die geheimnivollen, in den Zeitungen immer wiederkehrenden Worte: Max Pika, Bananenhandlung.
Pina drang bis in die Nähe der Haustür vor. Eine Kette von Polizisten verwehrte ihr den Einlaß. Schon hatte sie auf den Lippen, zu sagen: Ich bin Pina Jeff, die Stieftochter Max Pikas. – Aber der durchdringende Blick des Polizisten mahnte sie zur Vorsicht – und so führte sie die Hände vors Gesicht und log:
»Ich muß zum Zahnarzt, der im Hause wohnt« – und sie durfte passieren.
Die in Tränen aufgelöste Mutter schloß sie in die Arme, drückte sie an sich und rief:
»Kind, bist du von Sinnen, daß du hierher kommst?«
Pina sah erstaunt die Alte an und sagte:
»Ja, gehöre ich denn nicht hierher?«
»Warum hast du uns das getan? Wo wir uns nie um Politik gekümmert und nur unseren Bananen gelebt haben!«
»Du glaubst, daß ich in diese politische Verschwörung verwickelt bin?«
»Ich weiß es, Kind! – Aber ich will es nicht wissen. Dein verändertes Wesen ist mir schon lange aufgefallen. Ein Kellner vom Hotel Adlon ist kein Verkehr für ein Mannequin. Aber ich sah, du warst glücklich – darum schwieg ich.«
»Mutter!«
»Hätte ich gewußt, daß es das war!«
»Was denn, Mutter?«
»So recht weiß ich es ja auch nicht. Aber, daß Moskau seine Hand im Spiele hat, steht ja in drei Zeitungen.«
»Eine Revolution ist besser als ein Krieg!«
»Kind! Kind! Haben wir noch nicht genug gelitten?«
»Und eine Jungfrau von Orleans ist besser als ein Mannequin.«
»Eine Jungfrau – du?«
»Ich schwöre, Mutter!«
»Aber warum muß es denn die von Orleans sein?«
»Die Freiheit, weißt du – und »Nie wieder Krieg!« – »Paneuropa!« – »Der Wolgaschiffer!« – »Der Geist von Locarno!« – »Hamlet!« – »Versailles!« – »Alt-Heidelberg!« – »Der polnische Korridor!« – »Die Sowjets!« – »Schäume Maritza!« – »Fridericus Rex!«
»Kind, was ist dir?«
»Politik, Mutter!« begeisterte sich Pina. »Unser Programm!«
»Sieh dahin!« erwiderte die Alte und wies auf Wohnung und Laden. »Die Polizei hat alles durchsucht. Sämtliche Kisten fortgeschleppt.«
»Sie waren doch leer.«
»Das ist es ja! Wenn sie voll gewesen wären! Aber so sagen sie, das Geschäft wäre nur zum Schein gewesen. Als wenn wir dann nicht gerade zum Schein Obst und wieder Obst gehabt hätten! Gerade dann! Aber sie hörten gar nicht hin, als ich es ihnen sagte. Sie wüßten Bescheid, meinten sie. Es wäre alles klar. Und die leeren Kisten, die sie auf einen doppelten Boden hin untersuchen würden, überführten uns.«
»Es war Dynamit darin!«
»Pina, du bist irrsinnig!«
»Um das Hotel Adlon in die Luft zu sprengen.«
»Ich habe die Bananen selbst gesehen und in den Händen gehabt.«
»Hast du sie auch gegessen?«
»Nein – das nicht.«
»Siehst du!«
»Der Vater hat sie verkauft.«
»An wen?«
»Das weiß ich nicht. – Aber du machst mich ängstlich. Ich habe bisher das Ganze für einen polizeilichen Mißgriff gehalten und geglaubt, es werde sich aufklären. Aber nun, wo du – Pina! das ist ja furchtbar! Dann waren es also gar keine Bananen. – Aber es roch doch so – und es riecht hier noch immer . . .«
»Die Schalen waren echt.«
»Pina!«
»Aber was innen war . . .«
»Dynamit?«
»Vermutlich.«
»Und Vater wußte davon?«
»Frag' ihn.«
»Wie kann ich das, wo sie ihn doch verhaftet haben.«
Pina erschrak und rief:
»Verhaftet? – Und nach mir haben sie nicht gefragt?«
»Sie suchen dich!«
Pina schwankte in diesem Augenblick. Sollte sie sich für Ruhe oder Ruhm entscheiden? Blitzschnell überflog sie alles. Was bedeutet Ruhe? Sie sah den engen Raum und die alten Möbel. Lohnte es sich, dafür zu leben? War es nicht großartiger, berühmt zu sein – wenn auch für kurze Zeit – und für eine große Idee zu sterben? Der Gedanke, daß sie nicht wußte, was für eine Idee es war, für die sie sich opfern wollte – kam ihr nicht. Wann je hätte auch eine Frau, statt ihrer Person wegen, etwas um der Sache willen getan? Also sagte sie mit großer Geste:
»Lebend bekommen sie mich nicht!«
Jetzt wuchs auch die Mutter über sich selbst hinaus:
»Ich erkenne mein Kind nicht wieder! Aber, wenn eine innere Stimme dich treibt.«
»Ich fühle den Drang der Jungfrau in mir!«
»Dann geh', Pina!«
Pina sank vor der Alten auf die Knie und bat:
»Segne mich, Mutter!«
Die Alte legte schluchzend die Hände auf das Haupt des Kindes. Pina senkte den Kopf, erhob sich und ging hinaus.
Als sie aus dem Haus trat, fragte sie der Polizist:
»Na, Fräulein, sind die Zahnweh besser?«
Pina sah ihn entgeistert an und erwiderte kalt:
»Was wollen Sie von mir? Ich bin die Bananenjungfrau.«
Sie mischte sich eilig unter die Menge.
»Wa . . . ?« sagte der Polizist und lachte, da er es für einen Witz hielt. Dann war ihm plötzlich, als wenn ihm jemand einen Schlag vor den Kopf gab:
»Ba–na–nen–Jung–frau,« wiederholte er, sah in der Richtung, in der sie gegangen war, wandte sich nach dem Schild: »Max Pika – Bananen« um, zog ein Papier aus der Tasche, entfaltete es und sah einen Ausschnitt aus der nächtlichen Aufnahme, ein weibliches Bild, das dieser Bananen-Jungfrau auffallend ähnlich sah. Darunter stand:
»An sämtliche Mannschaften!
Oben abgebildetes junges Mädchen, angeblich die Tochter des Bananenhändlers Max Pika in der Lothringer Straße, ist der Teilnahme an einer fortgesetzten, strafbaren Handlung (vermutlich § 82/84 des St.G.B.) dringend verdächtig und daher festzunehmen.«
Der Polizist wollte ihr nachstürzen. Ein Offizier brüllte ihn an:
»Wohin?«
»Die Bananen-Jungfrau!« erwiderte der Polizist und wies nach der Richtung, in der sich Pina entfernt hatte.
»Total überkandidelt!« schnauzte ihn der Offizier an. »Sie stehen hier Posten und nicht auf Anstand auf Jungfrauen! Das können Sie in Ihrer freien Zeit besorgen.«
»Aber ich wollte ja gar nicht . . .«
»Mund gehalten! Dulde keinen Widerspruch! – Jagd auf Jungfrauen am hellerlichten Tage – und mitten im Dienst – so was ist auch nur in der Republik möglich.«