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Es ist ein schöner Tag im Frühling. Ein Bauer und sein Sohn sind auf dem Wege nach dem großen Sägewerk, das unten am südlichen Ende des Kirchsprengels liegt.
Sie wohnen weit oben nach Norden zu und müssen also durch den ganzen Kirchsprengel hindurch. Sie gehen an allen den frischgepflügten Feldern vorüber, wo die Saat eben anfängt zu keimen. Sie sehen alle die saftig grünen Roggenfelder, all die schönen Wiesen, wo der Klee bald Duft und Farbe verbreiten wird.
Sie kommen auch vorüber an einer Menge von Häusern, wo man anstreicht und neue Fenster einsetzt oder große Veranden baut. Sie gehen vorüber an Gärten, wo man gräbt und pflanzt. Alle Leute, denen sie begegnen, haben lehmige Schuhe und erdige Hände, denn sie sind draußen auf dem Felde oder im Kohlgarten gewesen und haben Kartoffeln gelegt und Kohl gepflanzt oder Rüben und gelbe Wurzeln gesät.
Der Bauer kann es nicht lassen, stillzustehen und zu fragen, was für eine Sorte Kartoffeln sie legen, oder wie lange es her ist, seit sie Hafer gesät haben. Sobald er ein Kalb oder ein Füllen sieht, fängt er an zu überlegen, wie alt es wohl sein mag. Er rechnet aus, wie viele Kühe sie wohl auf diesem Hof halten können und denkt darüber nach, wieviel das Füllen wert sein mag, wenn es erst eingefahren ist.
Der Sohn versucht einmal über das andere seine Gedanken von diesem allen abzuwenden. – »Ich denke daran, daß du und ich jetzt bald durch Sarons Täler und die Wüste Judäa wandern werden,« sagt er.
Der Vater lächelt, und sein Antlitz klärt sich einen Augenblick auf. »Es wird schön werden, in den Fußtapfen des lieben Herrn Jesu zu wandeln,« sagt er.
Aber schon im nächsten Augenblick legen ein paar Fuder ungelöschten Kalkes, die ihm entgegengefahren kommen, Beschlag auf seine Gedanken.
»Wer mag das wohl sein, Gabriel, der da Kalk fährt? Die Leute sagen, daß Kalk eine mächtige Fruchtbarkeit gibt. Da müssen wir im Herbst einmal aufpassen.«
»Im Herbst, Vater?« sagt der Sohn vorwurfsvoll.
»Ja, ich weiß es recht gut,« erwidert der Bauer. »Im Herbst werde ich schon in Jakobs Hütten wohnen und im Weingarten des Herrn arbeiten.« – »Ja,« erwidert der Sohn, »so ist es, Amen! Amen!«
Dann wandern sie wieder eine Weile schweigend weiter und sehen den sprossenden Frühling an. Das Wasser rieselt in dem Graben, und der Weg selbst ist vom Frühlingsregen aufgeweicht. Wohin man sieht, ist Arbeit, die getan werden muß. Alle Menschen bekommen Lust, zuzugreifen, selbst wenn sie über Felder gehen, die ihnen gar nicht gehören.
»Nun ja,« sagt der Bauer nachdenklich. »Ich kann es ja nicht leugnen, daß ich meinen Hof lieber zur Herbstzeit verkauft hätte, wenn die Arbeit beendet ist; es ist hart, im Frühling davongehen zu müssen, gerade wo man mit allen Kräften zugreifen sollte.«
Der Sohn zuckt nur die Schultern, er sieht ein, daß er den Alten schwatzen lassen muß.
»Es sind jetzt einunddreißig Jahre her, seit ich als ganz junger Bursche ein Stück Ödeland ganz oben im Norden des Kirchsprengels kaufte. Da war noch niemals ein Spatenstich getan. Die Hälfte des Grundstücks war Moorgrund und die andere Hälfte steiniger Boden, es sah entsetzlich aus. Auf dem Felde habe ich Steine gebrochen, bis ich glaubte, daß mein Rücken mitten durchbrechen müßte. Und doch glaube ich, die Arbeit mit dem Moorgrund war noch schwerer, bis ich das Moor drainiert und ausgetrocknet hatte.«
»Freilich habt Ihr gearbeitet,« sagte der Sohn. »Darum denkt jetzt auch Gott an Euch und ruft Euch in sein heiliges Land.«
»In der ersten Zeit,« sagte der Bauer, »wohnte ich in einem Hause, das nicht viel besser war als eine Köhlerhütte; es war aus Planken gebaut, von denen die Rinde nicht abgezogen war, und das Dach war nichts weiter als gestampfte Erde. Ich konnte das Dach niemals dicht bekommen, es regnete hinein. Das war hart genug, namentlich des Nachts. Und die Kuh und das Pferd hatten es nicht besser als ich. Den ganzen ersten Winter standen sie in einer Erdhöhle, wo es dunkel war wie in einem Keller.«
»Vater,« sagt der Sohn, »wie könnt Ihr so an einem Ort hängen, wo Ihr so viel Böses habt erleben müssen?«
»Aber bedenke doch auch, welch eine Freude es war,« sagt der Vater, »als ich den Tieren einen Stall bauen konnte, und als der Viehbestand von einem Jahr zum anderen so zunahm, daß ich immer daran denken mußte, mehr Platz zu schaffen. Falls ich das Gut jetzt nicht verkaufen müßte, würde ich ein neues Dach auf die Scheune gesetzt haben. Ich würde dafür gesorgt haben, daß es morgen um diese Zeit geschehen würde, sobald ich mit der Aussaat fertig gewesen wäre.«
»Vater,« sagt der Sohn, »Ihr werdet auch in dem neuen Lande säen können, und etwas von dem Samen wird unter Dornen fallen und etwas auf steinigen Boden und etwas auf den Weg und etwas auf das gute Land.«
»Und das alte Haus,« sagt der Vater, »das ich nach der ersten Hütte baute, das wollte ich gerade niederreißen, um mir ein großes Wohnhaus zu bauen. Was soll ich nun mit all dem Holz, das ich im Winter angefahren habe? Es war doch eine schwere Arbeit, es herunterzuschaffen. Die Pferde haben sich hart abgemüht und wir auch.«
Der Sohn fing an, ängstlich zu werden. Es war ihm, als entgleite ihm der Vater. Er fürchtete, daß der Alte nicht mehr in dem rechten Sinn hingeht, um Gott sein Hab und Gut zu opfern.
»Ja,« sagt der Sohn, »aber was haben jetzt Häuser und Ställe zu sagen im Vergleich damit, ein reines Leben unter Gleichgesinnten zu führen.«
»Halleluja,« sagt der Vater, »ich weiß, daß uns ein schönes Los beschieden ist. Und jetzt bin ich auf dem Wege nach dem Sägewerk herunter, um das Werk einer Aktiengesellschaft zu verkaufen. Wenn ich auf diesem Weg wieder zurückkomme, ist alles vorüber, dann besitze ich nichts mehr.«
Der Sohn antwortete nichts; er beruhigte sich dabei, den Vater dies sagen zu hören.
Nach einer Weile kamen sie an einem Gehöft vorüber, das schön auf einem Hügel daliegt. Es hat ein weißangestrichenes Wohnhaus mit einem Altan und einer Veranda, und rings um das Haus herum stehen hohe Balsampappeln, deren schöne weißgraue Stämme von Saft strotzen.
»Sieh',« sagt der Bauer, »gerade so wollte ich es haben. Gerade so eine Veranda mit Altan darüber und mit vielen Schnitzereien. Und genau so einen grünen Platz davor mit seinem trockenen Gras. Wäre das nicht schön gewesen, Gabriel?«
Der Sohn antwortet nicht, und der Bauer begreift, daß er es satt hat, von dem Hof sprechen zu hören. Jetzt schweigt auch er, aber seine Gedanken sind unaufhörlich daheim. Er denkt daran, wie es seinen Pferden unter dem neuen Eigentümer gehen wird, wie es mit dem ganzen Hof gehen wird. »Ach,« denkt er, »es ist gewiß dumm von mir, an eine Aktiengesellschaft zu verkaufen. Die tun nichts weiter, als den Wald abschlagen und den Hof verfallen lassen. Sie lassen das Moor wieder Moor werden und lassen den Birkenwald über die Äcker hinüberwachsen.«
Jetzt sind sie beim Sägewerk, und da erwacht sein Interesse von neuem. Er sieht Pflüge und Eggen von ganz neuer Konstruktion, und ihm fällt gleich ein, wie er sich danach gesehnt hat, eine Mähmaschine anschaffen zu können. Er sieht Gabriel an, der ein hübscher junger Mann ist, und träumt ihn sich auf einer feinen rotangestrichenen Mähmaschine sitzend, mit der Peitsche über den Pferden dahinknallend und im hohen Korn gehend, wie ein starker Held, der seine Feinde niedermäht.
Als er in das Kontor des Sägewerks kommt, meint er das Rasseln der Mähmaschine vor seinen Ohren hören zu können. Er hört das Korn fallen und ein feines Piepsen und Zwitschern von aufgescheuchten Vögeln und Insekten.
Im Kontor liegt der Kaufkontrakt fertig. Alle Unterhandlungen sind beendet, der Preis ist festgesetzt, er braucht nur noch den Kontrakt zu unterschreiben.
Sie legten ihn ihm vor. Er hört, wie so und so viel Tonnen Wald, so und so viel Tonnen Land, Acker und Wiesen, so und so viel Inventar, ein so und so großer Viehbestand, das er alles abliefern muß, aufgezählt wird. Sein Gesicht wird hart. »Nein,« sagt er zu sich selbst, »nein, das wird nicht geschehen!«
Als der Kontrakt vorgelesen ist, will er gerade sagen, daß er es nicht kann. Da beugt sich der Sohn zu ihm hinüber und flüstert: »Vater, es gilt mich oder den Hof; was Ihr auch tut – ich reise.«
Der Bauer war mit seinen Gedanken an den Hof so in Anspruch genommen gewesen, daß es ihm gar nicht in den Sinn gekommen war, daß der Sohn ohne ihn reisen könne. So, der Sohn würde also auf alle Fälle reisen. Er kann das nicht recht verstehen; er würde nicht gereist sein, wenn der Sohn daheim geblieben wäre.
Aber das war ja klar, daß er mit dem Sohn gehen mußte.
Er tritt an das Pult heran, wo der Kontrakt zur Unterschrift hingelegt ist. Der Inspektor gibt ihm selbst die Feder in die Hand und zeigt auf das Papier. »Seht, hier,« sagt er, »schreibt hierher: Hök Matts Eriksson.«
Er reicht ihm die Feder, und im selben Augenblick steht es ganz deutlich vor ihm, daß er vor einunddreißig Jahren einen Kontrakt unterschrieben hat, wodurch er ein Stück Ödeland erhandelte.
Er entsinnt sich, wie er, nachdem er geschrieben hat, hingegangen ist und sich sein Eigentum angesehen hat. Da hat er bei sich selbst gedacht: »Siehe, was dir Gott gegeben hat. Hier hast du Arbeit für ein ganzes Leben.«
Der Inspektor glaubt, daß er sich besinnt, weil er nicht weiß, wo er seinen Namen hinsetzen soll und zeigt von neuem: »Hier soll der Name stehen, schreibt nun: Hök Matts Eriksson.«
Er fängt an zu schreiben: »Dies,« denkt er, »schreibe ich um meines Glaubens und um meiner Seligkeit willen, um meiner lieben Freunde, der Hellgumianer, um unseres teuren Zusammenlebens willen, damit ich nicht allein zurückgelassen werde, wenn sie alle fortziehen.« Und er schreibt den ersten Namen.
»Dies,« denkt er weiter, »schreibe ich um meines Sohnes Gabriel willen, um nicht einen so guten und lieben Sohn zu verlieren, um all der Zeiten willen, wo er gut gegen seinen alten Vater gewesen ist, um ihm zu zeigen, daß er doch das allerliebste ist, was ich besitze.« Und so wurde der zweite Name geschrieben.
»Dies aber,« denkt er, als er wieder anfängt, die Feder anzusetzen, um den dritten Namen zu schreiben, »warum schreibe ich dies?« Und im selben Augenblick bewegt sich seine Hand wie von selber und macht zwei dicke Striche, die kreuz und quer über das verhaßte Papier gehen.
»Ja, dies tue ich, weil ich ein alter Mann bin, der die Erde bebauen und pflügen muß auf demselben Fleck, wo ich mein ganzes Leben gearbeitet und mich abgemüht habe.«
Hök Matts Eriksson sieht sehr verlegen aus, als er sich zu dem Inspektor umwendet und ihm das Papier zeigt.
»Der Herr Inspektor muß entschuldigen, es war ja meine Absicht, mich von meinem Eigentum zu trennen, aber ich konnte es nicht.«