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Der Mausball

Es war einmal ein alter Keller, und in dem alten Keller wohnten fleißige und friedliche Mäuse. Diese Mäuse führten ein mustergültiges Familienleben und teilten alles miteinander. Eines Tages aber fanden sie ein Fäßchen mit Butter, und es war eine große piepsende Freude unter ihnen, und sie beschlossen, ein Butterfest zu feiern und einen Mausball zu veranstalten.

»Wenn nur der Kater dabei nicht einen von uns erwischt«, meinte eine kleine und etwas ängstliche Maus, »es wäre dann doch gleich einer weniger beim Tanzen, und es wäre auch schade.«

»Ich werde das schon besorgen«, sagte eine alte, sehr erfahrene Maus, die vielfache Urgroßmutter war und von allen Mäusen hoch geachtet wurde, »ich werde mit dem Kater sprechen und ihm die Sache vorstellen.«

Sie kletterte auf das Kellerfenster, das gut vergittert war, und draußen sah sie den Kater in der Sonne sitzen und sich die Pfoten putzen.

»Guten Tag, lieber Herr Kater«, sagte die alte Maus.

»Guten Tag«, sagte der Kater.

»Lieber Herr Kater«, sagte die alte Maus, »wir haben ein Fäßchen mit Butter gefunden, und wir sind arme Mäuse und wollen uns auch einmal etwas zugute tun. Wir wollen ergebenst bitten, daß Sie heute nacht nicht in den Keller kommen. Vielleicht gehen Sie draußen spazieren, es ist so schöner Mondschein, und Ihre Frau Gemahlin wird sich sicher auch einfinden. Wir wollen gerne ein wenig für uns sein, wir sind dann ruhiger, wie Sie gewiß verstehen werden. Wir wollen einen Mausball veranstalten, einen Maushausball.«

»Da muß man ja die Pfoten auf den Bauch halten und lachen«, sagte der Kater.

»Dabei ist nichts zu lachen, verehrter Herr«, meinte die alte Maus, »ein Mausball ist eine sehr feierliche Angelegenheit. Wir sind nicht schlechter als andere Leute.«

»Diebsgesindel seid ihr, Butter wollt ihr stehlen«, sagte der Kater.

»Ach, lieber Herr, was sind das für Ausdrücke«, klagte die alte Maus und wischte sich eine Träne der Kränkung mit der Pfote ab, »wir stehlen niemals etwas, und was wir heute nacht essen wollen, das ist ehrlich erschnupperte Butter.«

»Wir wollen Butter essen und den Reigen der Schönheit tanzen«, piepste eine kleine, freche Maus, die hinter der Alten aufgetaucht war, und schlug dabei sehr leichtfertig einen Trommelwirbel mit dem Schwanze.

»Sei still«, sagte die alte Maus besorgt.

»Graue Mäuse, graue Mäuse und der Reigen der Schönheit – da muß man ja die Pfoten auf den Bauch halten und lachen«, sagte der Kater.

»Bitte, bitte, lieber Herr«, sagte die alte Maus, »dabei ist nichts zu lachen. Heute nacht sind wir auch keine grauen Mäuse. Das graue Kleid ist unser Alltagskleid und gewiß sehr zweckmäßig, wie Sie zugeben werden. Heute nacht aber tanzen wir in bunten Kleidern – im Kostüm. Es ist doch ein Mausball, ein Maushausball.«

»Im Kostüm?« fragte der Kater und machte noch rundere Augen, als er sie sonst schon hatte, »da möchte ich aber gerne zusehen.«

»Wie es beliebt, lieber Herr, wie es beliebt«, flötete die alte Maus verbindlich, »es wird uns eine Ehre sein, wenn Sie zusehen, aber bitte nur von außen durch das Kellerfenster. Es ist nur wegen der Sicherheit, lieber Herr, wie Sie gewiß verstehen werden.«

»Ich würde auch sonst niemand verspeisen, wenn ich es verspreche«, sagte der Kater, der, wie alle Katzen, eine sehr vornehme Denkungsart hatte, »wann ist denn der Maushausball?«

»Zu gütig, zu gütig«, sagte die alte Maus und verneigte sich mehrfach, »der Mausball ist um Mitternacht, um Mitternacht, lieber Herr, wenn Sie uns schon die Ehre antun wollen.«

 

Um Mitternacht saß der Kater am Kellerfenster und sah mit kreisrunden Augen in den Keller hinein.

»Graue Mäuse, graue Mäuse – und dazu bunte Kleider und der Reigen der Schönheit, es soll mich wundern, wie das alles zusammenkommt«, murmelte der Kater, und es hätte sich gewiß ein jeder gewundert, wenn er so etwas hätte sehen sollen.

Aber es war ja Mitternacht, und um Mitternacht sieht alles ganz anders aus, als es sonst aussieht, und das kommt daher, weil das Märchen feine silberne Fäden spinnt von seiner silbernen Spindel, um Berg und Tal und Haus und Hof, so daß alles mit einem schimmernden Silbernetz umsponnen ist – und wer da hineinguckt, der schaut Dinge, die er noch niemals gesehen. Man muß aber gerade im richtigen Augenblick aufpassen, in dem das Märchen seine silberne Spindel zur Hand nimmt – und das verstehen nicht alle. Sonst sieht man nämlich gar nichts, auch wenn es um Mitternacht ist.

Und das Märchen spann feine silberne Fäden in den alten Keller hinein, und an den silbernen Fäden kletterten lauter sehr kleine und sehr spaßhafte Heinzelmännchen in den Keller hinab und brachten den Mäusen die schönsten Kleider, bunte Fräcke für die Mausherren und bunte Röcke für die Mausdamen, und sie halfen sogar allen beim Anziehen. Es war das, weil Mitternacht war und das Märchen feine silberne Fäden spann …

Und jeder Mausherr nahm eine Mausdame bei der Pfote, und sie verneigten sich und begannen zu tanzen, immer um einen runden Tisch herum, so daß es wirklich sehr feierlich aussah, und der Mond beschien den Mausball mit einer ganz besonderen Sorgfalt. Dazu pfiffen die Mäuse eine gefühlvolle Melodie, und zwei Mäuse, die besonders schön singen konnten, sangen mit großer Rührung das berühmte Mauslied:

»Sieben Mäuse – sieben Mäuse –
knusper – knusper – im Gehäuse.
Tief im Keller – tief im Keller –
tanzen sie um einen Teller.
Knusper – knusper – im Gehäuse –
sieben Mäuse – sieben Mäuse.«

Es war wirklich sehr wunderbar, zu sehen, wie die kleinen, grauen Mäuse bei ihrem Mausball den Reigen der Schönheit tanzten in ihren bunten Fräcken und bunten Kleidern. Wie sie aber gerade alle mittendrin waren, kamen noch eilig zwei kleine Mausmädchen gelaufen, die hießen Lieschen und Lenchen Leckerlein, und sie waren so spät gekommen, weil sie schon in der Butter gesessen und sich dick und voll gegessen hatten. Nun wollten sie auch noch tanzen und hatten dabei Fettpfoten und Butterbeine, und so rutschten sie immer auf ihren Butterbeinen aus, wenn sie tanzen wollten, und die alte Maus war sehr ärgerlich über dieses Betragen. Denn das paßt nicht zu einer so feierlichen Angelegenheit, wie es ein Mausball ist.

Als aber der Kater Lieschen und Lenchen Leckerlein auf ihren Butterbeinen rutschen sah, konnte er es nicht mehr am Kellerfenster aushalten. Er schlich durch ein heimliches Loch, das er kannte, in den Keller und sprang mit einem gewaltigen Satz mitten in den Maushausball hinein.

Die Mäuse liefen entsetzt auseinander, so daß die bunten Fräcke und bunten Kleider flogen. Nur Lieschen und Lenchen Leckerlein konnten nicht so schnell entwischen, weil sie immer wieder auf ihren Fettpfoten und Butterbeinen ausrutschten, und der Kater hätte sie bestimmt verspeist, wenn er es nicht versprochen hätte, das heute nicht zu tun. Denn der Kater war ein hochanständiger Herr mit einer sehr vornehmen Denkungsart, und das war ein großes Glück.

Lieschen und Lenchen Leckerlein rutschten noch viele Male aus, bis sie glücklich bei ihrer Familie angekommen waren und alle Mäuse zusammen im Butterfaß saßen und Butter aßen.

»Da muß man ja die Pfoten auf den Bauch halten und lachen«, sagte der Kater, und das tat er. Und das taten auch die Heinzelmännchen, als sie die bunten Fräcke und die bunten Kleider wieder schön einsammelten. Denn das Märchen spann seine silbernen Fäden wieder zurück auf die silberne Spindel, und Mitternacht war vorüber. Es war alles wie sonst, und kleine graue Mäuse saßen im Butterfaß und aßen Butter.

Aber es ist hübsch, daß wir das alles erlebt haben. Denn nun wissen wir, daß auch die kleinen, grauen Mäuse in bunten Fräcken und bunten Kleidern den Reigen der Schönheit tanzen können. Nur Fettpfoten und Butterbeine dürfen sie nicht dabei haben, wie Lieschen und Lenchen Leckerlein. Denn Fettpfoten und Butterbeine darf niemand haben, wenn er den Reigen der Schönheit tanzen will, sonst rutscht er dabei aus – und es wäre nur gut, wenn sich recht viele das merken wollten.


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