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Vor dem Hühnerhause des Gutshofes standen zwei Hähne und zankten sich. Der Park dahinter träumte in Sommerstille, im Rauschen alter, hundertjähriger Bäume, in denen leise Vogelstimmen sangen. Aber die Hähne merkten nichts vom Frieden alter Baumkronen und nichts von der Heiligkeit durchsonnter Sommerstille. Sie standen da, starrten sich an und zankten sich. Es war auf dem Futterplatz, dem Ort, wo sich die meisten zankenden Hähne zusammenfinden. Man nennt das wirtschaftliche Ursachen, aber es sind eigentlich ganz andere.
»Es ist mein Korn!« sagte der eine Hahn.
»Nein, es ist mein Korn!« sagte der andere.
Es waren übergenug Körner auf der Tenne, genug, um viele Hähne satt zu machen.
Aber es mußte eben gerade dieses eine Korn sein, nur dieses eine, einzige Korn.
»Ich habe das Korn zuerst gesehen!« sagte der eine Hahn und plusterte sich bösartig.
»Nein, ich habe es zuerst bemerkt!« sagte der andere.
»Aber es ist für mich bestimmt gewesen!« sagte der eine.
»Nein, es war für mich ausgesucht!« sagte der andere.
Beide fuhren aufeinander los, erhoben sich unbehilflich ein wenig in die Luft, schlugen aufgeregt mit den Flügeln und sperrten den Schnabel weit und wütend auf. Die Hähne nennen das Heldentum, und es sieht sehr possierlich aus.
»Mir gehört das Korn«, schrie der eine Hahn, »denn ich stamme von einer besseren Rasse ab.«
»Nein, ich habe die bessere Rasse!« schrie der andere.
»Ich bin aus älterer Familie!« krähte der eine.
»Nein, ich!« krähte der andere.
»Ich bin aus einem braunen Ei gekrochen!«
»Und ich aus einem weißen!«
»Braun ist vornehmer!«
»Nein, Weiß ist vornehmer!«
»Ich habe recht!«
»Nein, ich!«
»Recht hat, wer stärker ist!« kreischten beide.
Sie flatterten wütend, tanzten sonderbar halb auf der Erde, halb in der Luft umher, in sehr albernen und grotesken Sprüngen, schlugen mit den Krallen um sich und hackten giftig aufeinander los. Man nennt das Krieg und hält das für eine Notwendigkeit – um ein Korn oder auch um gar nichts. Es ist eigentlich Unsinn; aber wie soll man das einem richtigen Hahn klarmachen?
»Zankt euch nicht!« sagte eine alte Henne, die ihre kleinen gelben Küken im Park spazierenführte, unter den alten Baumkronen in durchsonnter Sommerstille.
Die Hähne fuhren wieder wütend aufeinander los, zerzauste Federn flogen nach allen Seiten, und das Korn, das, wie man es nennt, eine wirtschaftliche Ursache gewesen, war längst in den Schmutz getreten.
Oben in blauer Höhe kreiste ein Habicht. Langsam sank er tiefer und tiefer. Dann stieß er plötzlich auf das Hühnerhaus herab. Alle Hühner flohen eiligst in ihr Haus, zuallererst die beiden zankenden Hähne – denn der Stärkere hatte eben recht.
Nur die Henne konnte das Haus nicht mehr erreichen; ihre kleinen Küken konnten so schnell den weiten Weg aus dem Park nicht zurücklegen mit den schwachen und unbeholfenen Beinen. Darum blieb sie auch, lockte angstvoll die Kinder an sich heran und erwartete den entsetzlichen Feind mit klopfendem Herzen. Die Singvögel in den Baumkronen schwiegen, es war eine atemlose, beklemmende, furchtbare Stille. Nur das Herz der armen Henne schlug hörbar.
Der Habicht senkte sich schwebend bis nahe an die Erde und glitt mit unheimlichem, drohendem Rauschen seiner schweren Schwingen auf die Henne und ihre kleinen Küken zu. Eines von ihnen würde er greifen, es mit dem schrecklichen Schnabel zerreißen und mit sich fortschleppen vom grünen Rasen des Lebens, fort vom Mutterherzen, hoch in die ferne blaue Luft und in den Tod – eines von den kleinen, hilflosen, piepsenden Geschöpfen, das sie ausgebrütet, das sie betreut und geführt hatte, eines ihrer Kinder!
Einen klagenden Laut furchtbaren Jammers stieß die Henne aus. Dann geschah etwas Unerwartetes, Ungeheures, etwas, was der stolze Raubvogel noch niemals erlebt hatte. Die Henne sprang auf ihn los, sie hackte und biß nach ihm, so wütend, so mutig und so verzweifelt, daß er sich wehren mußte.
Es war ein ungleicher Kampf. Der Habicht blutete, aber die Henne blutete noch mehr. Nicht lange konnte dieser Kampf dauern. Da schrak der Habicht zusammen, wurde unsicher, erhob sich in die Luft und begann unruhig zu flattern.
Vom Gutshaus kamen die Mägde gelaufen, herbeigerufen durch das verzweifelte Geschrei der Henne, und verjagten den Habicht.
Enttäuscht und grimmig stieg der Raubvogel höher und höher, bis er, eine schwache Silhouette auf bläulichem Glas, in der klaren nordischen Sommerluft verschwand – zum ersten Male ein Geschlagener und Besiegter.
Die Henne blutete, aber noch waren es keine schweren Verletzungen gewesen, die sie erhalten. Und unter den wunden Flügeln der Mutter wanderten die kleinen, gelben, hilflosen Küken in ihr Hühnerhaus zurück. Es fehlte nicht eines von ihnen.
*
Dies ist eine Geschichte, die sich wirklich begeben hat. Sie geschah vor vielen Jahren auf dem alten Gutshof von Paltemal, der die Heimat meiner Kindheit war. Die Henne ist niemals getötet worden, sie erhielt ihr Futter bis an ihr natürliches Lebensende, und jeder achtete sie hoch. Ich selbst habe sie als Knabe gekannt, und ich habe den Hut vor ihr abgenommen, sicher mit weit mehr Sinn und Recht als vor den meisten Menschen.
Zankende Hähne haben seitdem nie wieder einen Eindruck auf mich gemacht. Zankende Hähne gab es immer und gibt es heute noch – mehr als genug. Manche von ihnen werden sogar mit tönenden Namen genannt in der Weltgeschichte, so wie wir sie lernen. Es sind keine Helden.
Die wirklichen Helden aber – und es sind viele unter ihnen, welche die Weltgeschichte, wie wir sie lernen, gar nicht kennt –, die nahmen die Henne in ihre unsterblichen Reihen auf.