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Die leichtsinnige Maus

Es war eine Maus, die war leichtsinnig! Sie tanzte Walzer auf dem Schinken, und wenn sie eine Falle sah, so pfiff sie ein Couplet durch die Zähne. Speck hielt sie für gewöhnlich, mit Kartoffeln spielte sie Kegel, ihre Pfoten wusch sie in Suppe, und ihre Krällchen polierte sie mit Butter. Es war traurig, traurig!

Oft hatte ihre Tante, eine geborene Feldmaus, die ihr Leben lang von einfacher Rohkost gelebt, sie ermahnt, indem sie kummervoll die Pfoten faltete. »Kind«, sagte sie, »du bist leichtsinnig! Du tanzest auf Nahrhaftem, pfeifst auf Gefährliches, hältst Gutes für gewöhnlich, spielst Kegel mit Bekömmlichem, wäschst deine Pfoten in der flüssigen Grundlage des Familienlebens und polierst deine Krallen in Delikatessen! Wo bleibt da die Moral? Schlüpfrig sind die Brote, die mit Butter bestrichen sind, glatt die Wege, auf denen der Speck rutscht. Glaube es mir, der geborenen Feldmaus, es ist besser, mit wenigen Körnern in der Pfote zu leben, als in Bratensoße zu sterben.« Und dann wischte sie sich eine Träne mit der Pfote ab. Es war eine Tantenträne. Auch Mäuse weinen sie.

Die Maus aber, die leichtsinnig war, nahm kokett ihren Schwanz mit der Vorderpfote auf, lächelte und sagte:

»Liebe Tante, geborene Feldmaus, ich piepse auf alles, und ich will noch ganz was anderes tun. Ich will heute nacht auf Samt schlafen!«

Die Mausetante setzte sich bei diesen Worten auf einen scharfen Rettich und barg die Schnauze in den Pfoten. Wie furchtbar ist es, frivole Nichten zu haben, wenn man selbst eine geborene Feldmaus ist!

Die kleine Maus pfiff bedeutsam.

»Tante Feldmaus«, sagte sie, »hast du schon das Neueste in der Speisekammer gesehen?«

Die Tante bekam eine scharfe Entrüstungsfalte an der Nase.

»Wie sollte ich? Ich lebe bescheiden im Garten und Keller und nähre mich von Mohrrüben und Kartoffeln, wie es meine seligen Eltern schon getan haben. Die Speisekammer ist sündhaft. Alles, was gefährlich ist, ist sündhaft. Das ist Moral!

Aber die junge Generation fragt nach Butter und nicht nach Moral! Oh!«

»Butter ist auch besser«, sagte die leichtsinnige Maus frech, »aber in der Speisekammer ist ganz was Besonderes. Ich hab' es gestern zum Souper gespeist – Aspik. Das ist das Letzte der Saison, le dernier cri, wie meine Kusine sagt. Meine Kusine ist in einer Schachtel geboren, wo Paris draufstand. Du weißt doch.«

»Ich weiß«, sagte die Tante Feldmaus, »ein sträflicher Leichtsinn – schon in der Wiege.«

»Aspik ist schön«, sagte die Nichte flötend, »das solltest du essen, Tante Feldmaus,«

»Aspik ist gewiß etwas Unmoralisches!«

»Aspik ist das, was quabbelt.«

»Siehst du!« sagte die Tante Feldmaus.

Wenn die Leute was nicht kapieren, sagen sie »siehst du« und halten es für unmoralisch. Ich weiß das aus eigener Erfahrung.

Die kleine Maus sang ein Couplet, das ich nicht wiedergeben kann, da es von Aspik und lockerer Gesinnung handelte.

»Pfui, die Welt ist verderbt!« sagte die Tante Feldmaus und hustete entrüstet.

Die leichtsinnige Maus aber rief:

»Jetzt schlafe ich auf Samt!« und tanzte die Kellertreppe hinauf. Sie tanzte in einer so unerhörten Weise, daß es sicherlich verboten worden wäre, wenn es sich um eine öffentliche Aufführung gehandelt hätte, denn die leichtsinnige Maus lebte im zwanzigsten Jahrhundert. Das ist bekanntlich ein sehr sittliches Jahrhundert, und man muß sich sehr wundern, daß es überhaupt noch leichtsinnige Mäuse gibt und sie nicht alle schon aus dem letzten Loch pfeifen. Aber wir wollen dem zwanzigsten Jahrhundert vertrauen und das Beste hoffen!

Die leichtsinnige Maus tanzte ins Zimmer und sprang gerade in ein Samtkleid hinein, so daß sie mit den Pfötchen drin versank. Es war ein unsagbar weicher Samt! Samt kann nämlich sehr verschieden sein, wie jeder weiß, der sich etwas damit beschäftigt hat.

»Jetzt werde ich also auf Samt schlafen. Huh, ist das mollig!« sagte die kleine Maus, legte sich auf die rosa Ohren und seufzte behaglich. So seufzt man nur auf Samt. Dabei lächelte die kleine Maus süffisant und dachte an die Tante Feldmaus, die nun im Keller auf einem scharfen Rettich saß und Kartoffeln mit Moral zu sich nahm. Die Maus war eben leichtsinnig! Leider – leider!

Plötzlich packten sie scharfe Krallen und hielten sie fest.

Die Maus erschrak. Nanu, was ist denn das? Samt hat doch keine Krallen, dachte sie.

Sie war eben noch sehr jung und unerfahren. Sonst hätte sie gewußt, daß Samt oft Krallen hat.

Die Krallen ließen auch nach, gleich darauf aber faßten sie wieder fester zu, so daß es schmerzhaft wurde. Zugleich erschienen im Dunkeln zwei feurige Augen, kreisrund und greulich anzusehen.

Es sind Automobillaternen, dachte die Maus, denn sie hatte häufig Sportblätter angeknabbert. Zudem war sie materialistisch und suchte jede Erklärung in Technik und Wissenschaft zu finden. Das tun heute sehr viele, auch dann noch, wenn sie die Katze am Kragen hat. Die Katze bleibt aber trotz aller Wissenschaft eine Katze, und die Krallen bleiben Krallen, auch im zwanzigsten Jahrhundert.

»Sie, Herr Samt«, sagte die Maus dreist, »Sie haben nicht die geringste technische Berechtigung, sich zu bewegen und Krallen zu haben. Das ist wissenschaftlich unhaltbar. Verstehen Sie! Die letzten Forschungen haben das zur Evidenz bewiesen. Richten Sie sich doch nach der Naturwissenschaft!«

Das Leuchten der Augen wechselte zwischen Grün und Gelb. Es waren keine sympathischen und keine beruhigenden Farbtöne, und der leichtsinnigen Maus wurde bänglich zumute.

Der Samt bekam jetzt eine Stimme. Er sprach laut und deutlich, in mauenden Tönen.

»Nach meiner Lebenserfahrung hat die Natur sich noch nie nach der Naturwissenschaft gerichtet. Wenn ich etwas verschlucke, ist es mir auch gleich, ob es wissenschaftlich erwiesen ist oder nicht. Die Hauptsache ist, daß es gut schmeckt. Aber Sie schmecken sicher nicht gut.« Die Augen kamen näher, und ein gewaltiger Schnurrbart strich tastend über den Körper der entsetzten Maus.

Nun sah sie ein, daß es lebensgefährlich war. In diesem Samt steckte etwas Furchtbares, Ungeahntes, denn er sprach von Verschlucken, und das hieß, daß sie ihm das war, was ihr Aspik war. Wenn man für jemand Aspik ist, dauert es nie lange – dann ist man weg. Das ist wirkliche Naturwissenschaft, aber keine angenehme. Oh, es war furchtbar – furchtbar! Die leichtsinnige kleine Maus faltete die Pfoten und weinte bittere Tränen – keine Tantentränen, sondern Tränen der Angst und Reue, und sie gelobte, sich bis in den Grund ihrer Mauseseele zu bessern, wenn sie den Tatzen dieses mauenden Samts entschlüpfen würde. – Oh, Tante Feldmaus, wie wahr sind deine Worte, und wie verrucht bin ich gewesen und meine Kusine aus der Schachtel, wo Paris draufstand!

»Nein, Sie schmecken nicht gut«, fuhr der Samt fort. »Ich könnte Sie ja totbeißen«, meinte er höflich erklärend, »aber das ist Knabensport. Ich kenne Mäuse zur Genüge. Ich bin Wirkl. Geheimer Mausrat, Exzellenz, und erhaben über Kindereien. Wenn Sie noch eben geboren wären, könnte man Sie ja zur Not schlucken, doch auch nur zur Morgenmilch. Aber so – nein. Ich habe mich von der Welt zurückgezogen und bin moralisch. Also gehen Sie und gehen Sie in sich!«

Die Maus lief, so schnell sie konnte, und preßte die Vorderpfote auf das kleine, klopfende Herz. In der Küche ging sie schon in sich, auf der Kellertreppe noch mehr, und beim scharfen Rettich, wo die Tante saß, war sie schon ganz in sich gegangen. Wenn man in sich geht, bleibt meist nicht viel von einem übrig. So war es auch bei der Maus. »Oh, Tante Feldmaus!« rief sie schluchzend, »ich habe etwas Furchtbares erlebt! Ich habe auf Samt gelegen, der Augen und Krallen hatte und in mauenden Tönen sprach. Der Samt konnte mich verschlucken, aber er hat es nicht getan, weil er eine Exzellenz und moralisch war, und darum bin ich in mich gegangen und werde nun auch moralisch werden!«

Die Tante Feldmaus verstand das alles nicht, aber gerade darum war sie doppelt ergriffen. Sie erhob sich von ihrem scharfen Rettich und umpfotete ihre reuige Nichte in tiefster Rührung. Es war eine Tantenrührung. Auch Mäuse haben sie. Und weil das alles eigentlich Blödsinn war, so sagte sie, es wäre ein Wunder, und gründete einen Verein zur Rettung leichtsinniger Mäuse. Die leichtsinnige Maus aber und ihre Kusine aus der Schachtel, wo Paris draufstand, nahmen den Spinnwebschleier und leisteten das Kartoffelgelübde. Und alles war voll des Lobes über den moralischen Samt, der sich von der Welt zurückgezogen hatte.

Dies war ein Irrtum. Samt ist nie moralisch. Krallen hat er und Augen auch, oft recht schöne Augen. Aber moralisch ist er nicht. Das ist etwas, was ich ganz genau weiß.

Auch der Wirkl. Geheime Mausrat hatten sich nicht so ganz von der Welt zurückgezogen. Exzellenz schlichen gleich darauf auf leisen Sohlen in die Speisekammer, schoben mit geübter Pfote einige Teller beiseite und speisten eine Schüssel voll zarter Krabben mit tiefem und geschultem Verständnis.

Viele ziehen sich in dieser Weise von der Welt zurück und fressen heimlich die zartesten Krabben. Von solchen Leuten stammt dann die Moral im Keller.


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