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Nachdem ich Ihnen, wenn auch nur im Rahmen einer gewissen Gesinnung und mit den Mitteln einer vorerst noch ungewohnten Denkweise, einen flüchtigen Begriff von der Einweihung und der höheren Esoterik gegeben habe, möchte ich heute nun wieder realeres Gebiet im Sinne der heutigen Wissenschaft betreten und Sie bekannt machen mit der sogenannten niederen Magie, zu der der größte Teil dessen gehört, was sich heute mit den Forschungen moderner Gelehrter berührt. Niedere Magie ist nicht nur retrospektiv von Interesse, nicht nur als ein Rückblick auf das Mittelalter oder ähnliche Erscheinungen des Altertums, nicht nur ein Gebiet, das wir bei niederen Völkerschaften der Gegenwart einer Untersuchung für wert halten, sondern niedere Magie spielt auch im heutigen Leben des Europäers, und mag er noch so aufgeklärt und gebildet sein, eine größere Rolle, als man anzunehmen gewohnt ist. Sie ist, leider, auch heute von wesentlicher praktischer Bedeutung, und man sollte schon etwas kennen, was in so vielen, allzuoft übersehenen Fäden in das tägliche Leben mehr oder weniger unheilvoll hineinspielt.
Die höhere Esoterik führt den Menschen, der dazu vorbereitet ist, ein in die übersinnliche Welt. Die niedere Magie, um sie einmal im wesentlichen zu kennzeichnen, erstrebt dasselbe, aber ohne jene der Einweihung eigene moralische und intellektuelle Vorbereitung. Nun wird man sich mit Recht gegen die Annahme sträuben, daß der heutige Mensch noch so empfänglich sei für allerlei abergläubische Mystik, wie beispielweise der Mensch des Mittelalters. Um hierin klar zu sehen, muß man sich die Artung des Menschen im Mittelalter vor Augen halten. Der Mensch war damals der übersinnlichen Welt sehr viel näher, er stand in regerem Konnex mit ihr, aber diese Verbindung war in eine Korruption hineingeraten, die auch die Mystik in eine gleiche Korruption hineinzuziehen drohte. Um einen solchen Niedergang rechtzeitig abzuwenden, trat der Rationalismus in Erscheinung, der jene Gebiete geistiger Wahrnehmung leugnete und die Menschheit zeitweilig gleichsam ganz vom Erleben dieser Dinge abschnitt. So hatte eine an sich natürliche, aber allmähliche erkrankte Seite des Menschen Zeit auszuheilen, freilich um den Preis, daß eine Wahrnehmung, die man einmal besaß, vergessen und von einer anderen verdrängt wurde, die nach Erfüllung dieser Aufgabe auch ihrerseits sehr merkliche Fehler aufzuweisen begann. Dem Rationalismus folgte der Materialismus unserer heutigen Zeit, insbesondere der letzten Jahrzehnte, und führte in eine Einseitigkeit anderer Richtung hinein, die mindestens die gleichen Gefahren in sich birgt, wie seinerzeit die Korruption der Mystik. Fanatisch aber wäre es, darum den Materialismus zu schmähen, denn er war notwendig und mußte diese ihm eigentümliche, in der Menschheitsentwicklung begründete Aufgabe erfüllen. Es mußte eben eine Weile lang die eine Hand geübt werden, weil die andere erkrankt und ruhebedürftig war. Stets vollzieht sich die Evolution nach einer Seite auf Kosten einer anderen, und erst allmählich kann und muß dann ein harmonischer Ausgleich beider Teile gefunden werden. Wer sich ganz der analytischen Denkweise hingibt, wie der heutige gebildete Europäer, muß notwendigerweise dafür gewisse Instinkte hergeben, die er im Naturleben behalten hätte und in denen ihm der heutige Wilde weit überlegen ist. Ähnlich ist das Verhältnis zwischen Rationalismus und Mystik. Ich möchte auch immer wieder betonen, daß beide Denkweisen, richtig genommen, sich keineswegs ausschließen. Nichts im ganzen Okkultismus steht irgendwie in Widerspruch mit den wirklichen Ergebnissen moderner wissenschaftlicher Forschung. Im Widerspruch mit der Mystik und im Widerspruch mit den Tatsachen steht die Wissenschaft erst dann, wenn sie ihr rein physisches Forschungsgebiet als alleiniges betrachtet und Folgerungen zieht, die niemals richtig sein können, weil sie nur die an sich richtigen Tatsachen der einen Hemisphäre annimmt, die andere Hemisphäre aber leugnet. Es liegt auf der Hand, daß jede Folgerung dieser Art notwendig falsch sein muß, die mit solcher Halbkreiseinstellung, mag diese auch noch so genau erforscht und belegt sein, einen Kreis schildern oder beurteilen will.
Es gilt heute eben, wieder einzusehen, daß wir, bereichert mit einem größeren Horizont rein physischer Forschung, uns wieder zuwenden müssen den geistigen Welten, deren Bürger wir in gleicher Weise sind. Auch hier muß man sich völlig unfanatisch einstellen, ebenso frei vom mystischen wie vom materialistischen Vorurteil. Ohne weiteres wird man zugeben müssen, daß zum Beispiel eine alte Kultur niemals so genau die Rinde eines Baumes untersucht und gekannt hat, wie die heutige Wissenschaft – aber ebenso klar muß man sich darüber sein, daß die heutige Wissenschaft dafür sehr viel weniger weiß von den Kräften, die in einem Baume leben, die ihm erst Wachstum und Lebenskraft geben, als frühere alte Hochkulturen gewußt haben.
Ich möchte nun die einzelnen Gebiete der sogenannten niederen Magie im wesentlichen besprechen, um Ihnen ein Gesamtbild zu geben, aus dessen einzelnen Farben und Strichen Sie sich in jeder Lebenslage und in verschiedener Nutzanwendung ein eigenes Urteil bilden können. Auch in der niederen Magie steht, wie ich schon sagte, gleich wie in der höheren, das Freiwerden vom Leibe, das Verlassen des Körpers in einer feinstofflicheren Form im Vordergrunde des Geschehens. Man pflegt diese Freiwerdung, diese Entäußerung aus dem physischen Körper heraus, in der Magie mit dem Ausdruck der Exteriorisation zu kennzeichnen. Ich will Ihnen zur Verbildlichung eines solchen Vorganges ein besonders interessantes und beglaubigtes Beispiel einer Exteriorisation im Sinne niederer Magie mitteilen, und zwar eines aus dem Bereich lappländischer Kultur, in der heute noch, bei deren abgeschlossenem Wesen begreiflich, ein reges Zauberwesen üblich ist. Es ist dies eines der bestbeglaubigten Experimente aus der neueren Zeit, das der Erzbischof von Upsala Friedrich Wilhelm IV. von Preußen als persönliches Erlebnis geschildert hat. Es war damals in Schweden bekannt, daß in Lappmarken das wüsteste Zauberwesen herrsche, und die kirchlichen Kreise beschlossen, diesem ihrer Meinung nach anstößigen und unsinnigen Treiben ein Ende zu machen. Und zwar wurde der Erzbischof von Upsala selber in Begleitung eines Arztes und eines höheren Beamten nach Lappmarken gesandt. Bei dem gänzlichen Mangel anderer Unterkunft in diesen einsamen Gegenden stiegen sie bei einem reichen Lappen Peter Lärdal ab, der im Rufe der schlimmsten Zauberkünste stand. Der Erzbischof nahm Gelegenheit, Lärdal über das Zauberunwesen auszufragen und erhielt zur Antwort, daß sein Gastgeber völlig unterrichtet war über die eigentlichen Absichten der schwedischen Kommission. Gleichzeitig erbot sich Lärdal mit der freundlichen Überlegenheit, die diese Menschen sehr mit Recht den akademischen Überklugen gegenüber zeigen, den Erzbischof und seine Begleiter davon zu überzeugen, daß er imstande wäre, seinen Geist, wie er es nannte, beliebig auszusenden. Er stellte jedoch die Bedingung, daß niemand seinen zurückbleibenden Körper berühren dürfte, was man, beiläufig gesagt, auch bei allen Medien in Trance vermeiden sollte, da die Lockerung oder Trennung des feinstofflichen Körpers vom physischen Leibe in diesem eine andere Beschaffenheit herstellt, deren Unkenntnis ihm wesentlichen Schaden in gesundheitlicher Hinsicht zufügen kann. Lärdal verbrannte eine Art Räucherwerk über einer Pfanne glühender Kohlen, sog den narkotischen Rauch ein und versank in einen kataleptischen Zustand. Herstellung einer solchen Katalepsie, eines Starrkrampfes, ist auch Zweck der Übungen der sogenannten tanzenden Derwische und ähnlicher Vertreter der niederen Magie. Er soll annähernd eine Stunde in diesem leichenähnlichen Zustand verharrt haben, und bei seiner Rückkehr ins leibliche Bewußtsein hat er dem Erzbischof, der den Auftrag erteilt hatte, ihm zu sagen, was seine Frau zu dieser Stunde tue, eine genaue Schilderung der bischöflichen Wohnung gegeben. Er hat ihm ferner gesagt, daß seine Frau in der Küche gewesen sei und ihren Trauring beiseite gelegt habe, da sie im Begriff war, eine Mehlspeise zu bereiten, bei der ihr der Ring am Finger hinderlich war. Er, Lärdal, habe, um einen wirklichen Beweis seines Dortseins zu erbringen und die Vermutung lediglichen Hellsehens auszuschalten, den Ring genommen und im Kohlenkorb versteckt. Der Erzbischof schrieb seiner Frau und bekam alle Angaben Lärdals genau bestätigt. Die Frau schrieb ihm, ihr sei der betreffende Tag, der 28. Mai, deswegen unvergeßlich, weil sie ihren Trauring verloren, den sie, um bequemer arbeiten zu können, beiseite getan habe. Wahrscheinlich habe ihn ein Mann entwendet, der in der Kleidung der wohlhabenden Bewohner der Lappmarken einen Augenblick in der Küche aufgetaucht sei, der aber, um sein Begehren gefragt, sich schleunig wieder entfernt habe (Kiesewetter, Geschichte des Okkultismus, II).
Es ist dies nur eines der vielen Beispiele der Exteriorisation, die bekannt geworden sind, und ich habe es hauptsächlich deswegen herausgegriffen, weil es neueren Datums, vorzüglich beglaubigt und vor allem darum bemerkenswert ist, weil es ein willkürliches Aussenden des feinstofflichen Körpers darstellt, kein unbewußtes oder halbbewußtes, wie es oft im Doppelgängertum vorkommt, – ferner, weil der feinstoffliche Körper sich hier gleich wieder soweit materialisiert, also verfestigt hat, um einen Ring greifen zu können, und weil er sich mit allen Kennzeichen der charakteristischen Kleidung seines Trägers gezeigt hat. Auch in der indischen und der christlichen Mystik sind solche Exteriorisationen bekannt und oft, wenn auch bei weitem nicht immer, mag dieser Vorgang zur Erklärung der Erscheinungen Lebender dienen, die sich auf große Entfernungen plötzlich ihren Angehörigen zeigen. In den meisten Fällen wird es sich bei solchen Manifestationen Lebender oder Verstorbener wohl um Gedankenwirkung und ihre plastischen Fähigkeiten handeln. Oft aber ist es auch wirkliche Anwesenheit des betreffenden Lebenden oder Toten in seinem feinstofflichen Körper, während der physische Leib schlafend oder als Leiche zurückgeblieben ist. Dieser feine sogenannte Astralleib des Menschen ist nicht sein einziger feinstofflicher Körper. Er hat auch einen anderen sogenannten Ätherleib (ich nenne die in Europa, nicht die in Indien üblichen Bezeichnungen), der Träger seiner rein pflanzlichen Kräfte ist und der, im Schlafe den Körper als Pflanze erhaltend, im Tode den Körper verläßt und ihn dem Zerfall anheimstellt. Für die meisten hier benötigten Erklärungen habe ich jedoch nur den sogenannten Astralleib heranzuziehen, und ihn meine ich, wenn ich von der Feinstofflichkeit des Menschen spreche. Die genaue Gliederung des Menschen nach diesem esoterischen System ist übrigens, durchaus der indischen Überlieferung entsprechend, in Rudolf Steiners »Theosophie« zu finden. Man kann wohl sagen, daß alle esoterischen Überlieferungen und Systeme mit diesen Grundlagen übereinstimmen.
Es gibt auch heute Menschen, die willkürlich eine Exteriorisation mit sich vornehmen können – ganz abgesehen davon, daß ja der Vorgang der Einweihung, wie ich Ihnen bereits erklärte, ebenfalls darauf beruht, den physischen Leib im feinstofflichen bewußt zu verlassen. Freilich ist damit nicht gesagt, daß dann dieser Vorgang stets wieder beliebig und willkürlich wiederholt werden kann. Ich erwähnte schon, daß die deutsche Volkssage von der roten und weißen Maus darauf hinweist, wie gut das Volk früher über diese Dinge Bescheid wußte, und daß es das Verlassen des physischen Körpers in einer feinstofflichen Form kannte. Bezeichnend für die genaue Kenntnis des Volkes ist auch der Umstand, daß die Sage die Maus zum Munde ein- und ausgehen läßt. Dem Hellsichtigen ist es nämlich bekannt, daß der Astralleib des Menschen im Schlafe sowohl als im Tode sich so zusammenzieht, daß er den Körper des Menschen in der Gegend des Kopfes verläßt und beim Wiederwachen wieder berührt.
Gleichfalls in dies Gebiet gehört das Märchen von den zertanzten Schuhen, das an die Hexenritte erinnert, die nun auch, wie alle früher unverstandene Kulturgeschichte, eine ganz neue Beleuchtung erfahren. Gerade über dieses mißverstandene Problem des Hexenwesens will ich Ihnen noch einige erläuternde Worte sagen, die Ihnen einige neue Gesichtspunkte eröffnen und den Umfang der sogenannten niederen Magie wesentlich erweitern werden. Auch im Hexenwesen spielte die Exteriorisation die Hauptrolle. Was die Hexensalben anstrebten, war in erster Linie ein Verlassen des physischen Körpers im feinstofflichen zum Zwecke der Befriedigung irgendwelcher niederer, meist sexuell gefärbter Begierden, wie sie auf diesem Schwellengebiet des Sinnlich-Übersinnlichen vor dem Eintritt in höhere Welten auch durch allerlei Narcotica, wie Opium, Kokain usw. erzielt werden.
Die Hexensalben, deren Rezepte genau bekannt sind und sich mit ähnlichen Präparaten des Altertums vergleichen lassen, bewirkten eine Trennung, zum mindesten aber eine Lockerung des grobstofflichen und feinstofflichen Körpers bis zu jenem Schwellenbewußtsein, das niedere Begierden noch auskosten läßt. Manchen, die heute dem Opiumrauchen oder verwandten Lastern verfallen sind, kommt es vielleicht auch nicht darauf an, sondern nur auf das Gefühl des Befreitseins vom Körper, von der Schwere des rein Physischen. Jeder, der die bescheidenste Stufe einer Einweihung erreicht hat, weiß, daß diese Empfindung eine Glückseligkeit in sich schließt, die sich mit keinem noch so raffinierten Genuß sinnlicher Empfindung vergleichen läßt. Beim Hexenwesen freilich wurde durchaus ein niederer Genuß angestrebt, zu dem die Feinstofflichkeit oder die Lockerung der Körper lediglich eine Brücke bilden sollte, ohne die diese oft sehr armen Menschen niemals sich solchen Genüssen hätten hingeben können. Es liegt hier eine Korruption der Mystik vor, wie sie, wenn auch in anderer Weise, auch die dekadenten Zeiten der alten Hochkulturen gekannt haben. Ich will darauf verzichten, Ihnen die Ingredienzien der Hexensalben zu nennen, will nur erwähnen, daß sie meist neben allerlei unsinnigem Zeug, das lediglich der Einbildungskraft diente, die gleichen wichtigen Bestandteile enthielten.
Ähnliche Wirkungen wie die Hexensalbe hatten und haben noch heute die Räucherungen gewisser niederer Völkerschaften, die auch darauf ausgehen, das Grobstoffliche vom Feinstofflichen zu lockern zum Zwecke der Befriedigung irgendwelcher persönlicher Begierden oder Wünsche. Hier ist bereits die Grenze der schwarzen Magie beschritten, wenn sie sich in diesen Fällen auch in erster Linie auf eigene Schädigung, nicht auf die Fremder stützt. Nicht unerwähnt will ich als heutige Parallele der Hexensalben lassen, daß die Lappen, Kamtschadalen und Tungusen zum Zwecke ihrer Ekstasen eine Art Fliegenschwamm benutzen, dessen Genuß die gewünschte Wirkung herbeiführt. Der nach Sibirien verbannte General Kopec berichtet darüber in seinen Memoiren, daß ihn ein Schamane mit diesen Eigenschaften des Schwammes bekannt gemacht habe. Kopec, der zum ersten Male aus begreiflicher Vorsicht nur die Hälfte des Schwammes aß, sah die üblichen sexuell gefärbten Visionen des Opiumrausches. Beim zweiten Versuch jedoch, bei dem er einen ganzen Pilz verzehrte und in einen vierundzwanzigstündigen Schlaf verfiel, erlebte er schon einen realen Eintritt in ein höheres Gebiet der geistigen Welt. Er schreibt darüber: »Je n'ose dire tout ce que je vis dans mes réves: tout le passé et l'avenir se sont devoilés devant moi; j'ai tout vu, les hommes, les événements, tout, jour pour jour, année pour année« (La Pologne, Paris 1841, Cahier 7, pag. 433, aus Kiesewetter, »Geschichte des Okkultismus«, II). In diesem Falle ist die Schwelle überschritten, und die Zukunft, die dem Übersinnlichen als Zeitlosem frei vor Augen steht, ist enthüllt. Auch dieser Zweck wurde bewußt mit solchen niedermagischen Mitteln verfolgt, besonders von Priestern und Zauberern, um, ohne eine eigentliche Hellsichtigkeit moralisch oder geistig zu erwerben, ihrer Resultate teilhaft zu werden.
Über das eigentliche Hellsehen als wichtigsten Eintrittspunkt ins Übersinnliche behalte ich mir einen besonderen Vortrag vor und habe hier nur im Zusammenhang mit den Hexensalben und Räucherwerken auch auf diese Wirkung hingewiesen. Festhalten müssen wir aber durchaus, daß die meisten Hexenmanipulationen nur die niederen Schwellen erstrebten und auch nur diese erreichten. Es wäre nun falsch, anzunehmen, daß die Menschen im Mittelalter moralisch soviel tiefer stehend gewesen wären, als die heutigen. Ich glaube beinahe, daß das Gegenteil der Fall ist. Diese Erscheinungen sind weniger ein Bild moralischer Korruption an sich, sondern ein Zeichen mystischer Korruption, die dann die moralische zur notwendigen Folge hatte. Vergessen wir dabei auch nicht, daß diese seelischen Prozesse in eminentem Maße ansteckend waren, daß viele davon ergriffen wurden, deren einziger Fehler eine gewisse Schwäche, eine allzugroße Sensibilität des Nervensystems, der seelischen Empfindungswelt war, die aber weder moralisch noch mystisch eigentlich als korrupt anzusehen waren. Darum spielt auch die Verführung im Hexenwesen eine so unheilvolle Rolle, wie fast auf allen Gebieten, in denen es sich um niederste Sexualität handelt. Als bekanntes Beispiel solcher seelischen Ansteckung darf ich vielleicht auf die Konvulsionäre hinweisen, die gegen 1550 an verschiedenen Punkten Europas geradezu Epidemien der Wahnbesessenheit zeitigten, allerdings in anderer Art, die mehr den zahlreichen Erscheinungen an unseren heutigen Medien ähneln.
Die Hexen verloren in ihrer Ekstase, wie ich schon einmal ausführte, erheblich an Gewicht, genau wie unsere Medien im Trancezustand, was zur Einführung der Hexenwaage führte, deren blödsinniger Gebrauch ihren vernünftigen Urgrund nicht wegzutäuschen vermag. Noch auf eine sehr wichtige Erscheinung will ich Sie hinweisen: die Hexen waren fast alle schmerzunempfindlich, also anästhetisch, genau wie die meisten Verbrecher, wie viele Medien oder Hypnotisierte. Ohne die Gemeinheit der Folter irgendwie zu beschönigen, muß man doch einräumen, daß sie, unsinnig gebraucht, doch unter anderem den Sinn haben sollte, festzustellen, ob der Delinquent schmerzempfindlich war oder nicht. Ein großer Teil der Hexen ist, wie alle sehr medialen Personen, jedenfalls bis zu einem hohen Grade anästhetisch gewesen. Ein anderer Teil, der, gesünder, aber durch Verführung jenen Experimenten verfallen, nicht unempfindlich war, schützte sich dadurch, daß er, wie man es nannte, das »Zeichen des teuflischen Buhlen« in den Haaren trug. Daher stammt die Sitte, den Hexen vor der Folter die Haare zu scheren oder jedenfalls dann, wenn die Folter sich als ergebnislos erwies. Nun werden Sie fragen, wie dieses Zeichen, das nichts als ein gewöhnlicher Zettel, ein Amulett, war, Schmerzunempfindlichkeit bewirken konnte? Auch hierfür ist die Erklärung verhältnismäßig einfach. Du Prel berichtet in seinen Werken zahlreiche Beispiele, in denen erwiesen wird, daß das alleinige Vorherrschen einer einzigen Idee im Menschen vorübergehend alle anderen Empfindungen und Gedanken auszulöschen vermag. Dieses Vorherrschen einer Idee, dieser Monoideismus, läßt sich ja auch für viele nichtmagische Vorgänge geltend machen. Es ist zum Beispiel oft beobachtet worden, daß Kranke, die nicht gehen konnten, die gelähmt waren, im Augenblick einer Feuersbrunst, eines Alarms oder einer Panik, plötzlich, wenn auch nur bis zur Auslösung der seelischen Hochspannung, also des Monoideismus, ihre Bewegungsfähigkeit wiedererlangten. Ein ähnlicher Monoideismus läßt sich begreifen, wenn jemand in Angst um eine ihm nahestehende Person Dinge vollführt, die er sonst kaum zu leisten imstande wäre. Es handelt sich hier, richtig verstanden, nicht um Energie, sondern um eine Augenblickleistung, mindestens eine zeitlich begrenzte. Viele Taten moralischen oder physischen Mutes sind, wenn nicht monoideistisch, so doch monoideistisch unterstützt. Die Hexen glaubten nun so fest an die Schutzwirkung dieser Amulette, daß ihr eigener Monoideismus sie autosuggestiv anästhetisch machte.
Es ist natürlich gleichgültig, ob solch ein Monoideismus mit äußeren Hilfsmitteln oder nur mit Vorstellungen allein erzielt wird, denn die äußeren Mittel dienen in diesem Falle zu nichts anderem, als die Vorstellungskraft zu verstärken oder anzuregen. Von solcher Anregung monoideistischer Art berichtet du Prel, indem er zum Beispiel das willkürliche Herbeiführen gewünschter Träume schildert. Ich will nicht verfehlen, eindringlich vor allen solchen Experimenten zu warnen, die nur zur Zerrüttung der seelischen und körperlichen Gesundheit führen. Unsere heutige Modemystik, die sich in Cafés und Gesellschaften, wie auch in Kunst und Literatur, breitmacht, ist freilich nicht allzu gefährlich, weil sie von einer geradezu stupenden Unwissenheit ist. Zur moralischen Korruption genügt sie allerdings. Sehr viel wesentlicher sind die Gefahren im Orient und bei den niederen Völkerschaften, und hier kann der Europäer sehr leicht in Versuchung geraten, seine Neugierde zu befriedigen. Ich kann auch davon nur dringend abraten. Abgesehen von der seelischen Zerrüttung oder der Hilfslosigkeit, die ein charakterlich und intellektuell unvorbereitetes Betreten übersinnlicher Schwellengebiete nach sich zieht, müssen Sie auch bedenken, welch ein stofflicher Unterschied zwischen dem Körper des Europäers und des Orientalen besteht. Der Europäer ist viel fester irdisch verkettet durch Fleisch- und Alkoholgenuß als der vegetarisch lebende Orientale, dessen Leib weit pflanzlicher, flexibler ist. Auch wenn man, wie ich es getan habe, jahrelang vegetarisch und ohne jeden Alkoholgenuß lebt, hat man doch mit der erblichen Belastung von Generationen zu rechnen, die ihr Leben grobstofflich verbrachten. Schon bei der Lockerung der Körper, erst recht aber bei der Exteriorisation, die mechanisch herbeigeführt wird, ist es doch gewiß ein einleuchtender Unterschied, welche Festigkeitsgrade da getrennt oder gelockert werden sollen. Man wird jemand leicht und ohne Schaden ein Hemd abreißen können, nicht aber ohne schwere Verletzungen eine eiserne Rüstung.
Die niedere Magie des Orients und der niederen Völkerschaften hat aber fast die gleichen Bestrebungen wie die korrupte Mystik des Mittelalters, auch sie versucht, in die übersinnliche Welt einzutreten ohne Charakterschulung, ohne geistige und moralische Vorbereitung, ohne jene sogenannten Proben, die sonst einen Einweihungsweg begleiten – lediglich zur Befriedigung irgendwelcher Begierden oder Wünsche, wenn auch vielleicht nur der Neugier. Auch in der ganzen niederen orientalischen Magie steht die Exteriorisation oder wenigstens die Lockerung der Körper des Grobstofflichen und Feinstofflichen bis zu einem Schwellenbewußtsein zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem im Vordergrunde. Auf solcher Grundlage lassen sich auch die meisten Leistungen der Fakire und Derwische erklären. Auch hier wird ein Monoideismus zur Geltung gebracht oder Anwendungen, die ihm ähnlich sind.
Ein zweiter Zweck niederer Magie, heute wie im Mittelalter gebräuchlich, ist die Erforschung der Zukunft, die Wahrsagekunst in ihren verschiedensten Formen. Ich nenne hier als bekannteste Beispiele: das Kartenschlagen, die Handlesekunst oder Chiromantie, die Daktylomantie oder das Wahrsagen aus Ringen, in dem sich Lichthypnose und Talismancharakter vereinigt zeigen, ferner in einer Gruppe, als auf Autosuggestion bis zur Trance durch einen glänzenden Gegenstand beruhend: die Katoptromantie (Spiegelmantik), die Hydromantie (Wahrsagen aus dem Wasser), die Kristallomantie (Wahrsagen aus dem Kristall). Alle diese Versuche bezwecken Eintritt der Hellsichtigkeit, und ich werde sie bei Behandlung des Hellsehens erläutern. In erster Linie beruhen auch die anderen Wahrsagekünste, wie die der Auguren durch Wahrsagen aus den Leibern geschlachteter Tiere, auf gleicher Grundlage. Sie alle dienen als Anregung zur Herbeiführung hellsichtigen Schauens. Eine Ausnahme bilden nur die Formen, die, wie die Kleromantie oder Loswahrsagung, die Zukunft durch Anrufung höherer Mächte zu erforschen suchten.
Eine dritte Gattung niederer Magie ist die Totenbeschwörung, die ich bei Erklärung des Spiritismus berühren werde.
Die vierte Hauptform, das eigentliche Behexen fremder Personen, besonders im Mittelalter verbreitet, gehört aber durchaus noch in den Rahmen unserer heutigen Betrachtung und ist in erster Linie monoideistisch zu erklären. Nur tritt hier zum monoideistischen Moment als aussendendem Faktor die hochgradige mediale Empfänglichkeit der Empfangspersonen. Ich habe ja aber schon darauf hingewiesen, daß der unerschütterliche Glaube des Mittelalters an solche Wirkungen eine gewaltige fernsuggestive Kraft bedeutete, wie anderseits die ständige Furcht vor solchen Wirkungen die von dieser Furcht befallenen Personen allein schon dadurch oft zu hyperästhetischen Medien machte, ganz abgesehen von ihrer den Medien meist sehr verwandten Nervenveranlagung. Freilich haben auch sehr robuste Kraftnaturen schwer unter dem Behexen gelitten, wie zum Beispiel August der Starke unter den Hexenkünsten der Gräfin Neidschütz. Das Behexen wurde meist der Form vorgenommen, daß man sich aus Wachs oder einer ähnlichen Substanz ein Abbild der zu behexenden Person machte, in das Teile von deren Körper, Haare, Fingernägelabschnitte und dergleichen verschmolzen wurden. Dieses Abbild peinigte man, hielt es über das Feuer, stach es mit Nadeln oder suchte es mit gewissen suggestiv wirkenden Gedanken bei sich zu tragen. Zum Moment des Monoideismus einerseits und dem der Hyperästhesie anderseits, die ja beide Gedanken- und Gefühlsübertragung in stärkstem Maße ermöglichen, trat hier noch das offenbar auf odisch-magnetischen Strömungen beruhende Moment der Sympathie hinzu, das in der alten und zum Teil in der heutigen Volksheilkunde eine teils sehr überflüssige, teils aber sehr verkannte Rolle spielt. Die Gegenwart nimmt auch diese Impulse allmählich wieder auf, und man kann wohl sagen, daß in ihnen eine Fülle von Anregung für wirklich denkende Ärzte und vorurteilslose Naturwissenschaftler liegt.
Die Tendenz der Sympathie, im Behexen schwarzmagisch, in der Heilkunde weißmagisch verwandt, besteht darin, daß man eine gewisse Substanz, eine Pflanze oder einen Gegenstand mit einer Person durch magnetische Berührung, durch magnetischen Rapport, durch Einverleibung von Körperteilen verbindet und die zunehmende Kraft oder umgekehrt den Zerfall auf den Menschen überträgt. Es ist oft beobachtet worden, daß jemand erkrankt, wenn man einen mit ihm gedanklich oder magnetisch verbundenen Baum fällt, daß Krankheiten vergehen, wenn Gegenstände, die mit den kranken Stellen in magnetische Berührung gelangten, in Zersetzung übergehen. Das sogenannte Besprechen beruht auf diesem Prinzip. Diese Vorgänge hängen mehr mit dem feinstofflichen pflanzlichen, dem sogenannten Ätherkörper zusammen, als mit dem feinstofflichen seelischen, dem Astralkörper. In ihren allerdings vorhandenen Monoideismus mischen sich sehr merklich magnetische Wirkungen und Gegenwirkungen kosmischer Kräfte ein, und eine solche Stellungnahme dürfte auch für die ganze Heilweise des Altertums, für die Wünschelrute oder das siderische Pendel, die Quellenfinder und andere, heute wieder mit Interesse aufgenommene Probleme zutreffen.
Rein monoideistisch aber sind die Liebestränke, das Auffinden der Schuldigen, das bei den niederen Stämmen Afrikas geübt wird (sofern nicht Hellsichtigkeit vorliegt), und rein monoideistisch sind die Ordalien oder Gottesgerichte, aus deren einstmaligem Sinn sich der Widersinn der Duelle entwickelt hat. Früher, besonders im Altertum, war man so tief durchdrungen von der sofort eingreifenden göttlichen Gerechtigkeit, ohne das Evolutionsgesetz späterer Kulturen, daß man überzeugt war, die betreffende Gottheit werde stets den Schuldigen unterliegen lassen. Das lähmte den schuldigen Kämpfer derart, daß er auch einem schwachen Gegner meist unterlegen sein wird. Das Beschreiten glühender Pflugscharen, das Tauchen der Arme in siedendes Öl oder Wasser, das zum Beweise der Unschuld als Gottesgericht noch im Mittelalter sehr häufig von Ehebrecherinnen verlangt wurde, beruht auf der gleichen Voraussetzung. Auch hier ist häufig Anästhesie und Unverletzbarkeit durch Monoideismus eingetreten, durch die allein herrschende Idee von der eigenen Unschuld.
Der sogenannte magnetische Strich, der Bannstrich, der durch einen Raum, durch ein Zimmer gezogen wird, ist aber eine magnetisch hergestellte Realität, die von jedem Medium, das heißt von jeder hyperästhetischen Person, ohne jeden Monoideismus, ja ohne jede Ahnung seines Vorhandenseins beachtet und als Hindernis empfunden wird. Unmonoideistisch, verwandt mit der Wünschelrute, ist auch das alte Schatzgraben, das Auffinden von Metallen, das heute in veränderter Form wieder aufgenommen worden ist. Dagegen sind die Talismane, die Amulette, ein Kapitel für sich. Sie können subjektive Wirkung haben, wie wir bei den Hexen sahen, sie beruhen aber anderseits auch auf objektiven Tatsächlichkeiten, die, feinstofflich betrachtet, gewissen Metallen, Steinen und ähnlichen Dingen eigen sind. Ich erwähnte schon, daß hyperästhetische Personen, wie die Seherin von Prevorst, alle Metalle oder Steine erfühlen können, ohne sie zu sehen, daß also diese Dinge eine nur ihnen eigene Sonderart besitzen, die natürlich verschieden wirken kann und verschieden wirken wird, je nach Veranlagung der Nerven des Einzelnen oder seines feinstofflichen Körpers. Hinzu tritt hier aber auch das subjektive Moment in einem sehr hohen Grade und zwar keineswegs nur in dem uns bekannten rein monoideistisch-autosuggestiven Sinne der Hexenamulette. Ein Hellseher kann, wie ich schon erwähnte, an einem ihm gegebenen Gegenstande nicht nur dessen physische Beschaffenheit heraussehen oder fühlen, er macht auch über Aussehen und Schicksal der mit dem Schmuck, dem Metall, dem Stein in Beziehung stehenden Person genaue Angaben. Ich selbst habe das oft bei Hellsehern und mit stets sicherem Erfolge versucht. Daraus ergibt sich, daß tatsächlich jedem Gegenstand etwas Persönliches anhaftet, etwas Gutes oder Schlechtes, und aus diesen Gesichtspunkten heraus lassen sich auch die sogenannten Unglückssteine, die unglückbringenden Schmuckstücke usw. erklären, für die es mehr Belege gibt, als man glaubt. Man hat nun vielfach Regeln aufgestellt, welche Steine oder Metalle Menschen tragen sollen, je nach dem Datum ihrer Geburt und anderen Maximen. Es ist einseitig, das ohne weiteres von der Hand zu weisen, aber eine Beeinflussung des Schicksals, der Geschehnisse im großen, kann man kaum daraus ableiten. Die kosmische Abhängigkeit des Menschen ist nicht mehr die große, die sie früher einmal war, als er aus der Gruppenhaftigkeit zum Ich noch nicht erwacht war. Trotzdem bin ich der Ansicht, daß Talismane Hilfskräfte enthalten und im gegebenen Augenblick sehr merkbar in Erscheinung treten können. Ich kann darin keinem abraten und keinem zuraten. Nur bin ich der Ansicht, daß man niemals etwas tragen soll, was einem aus einem vielleicht oft gar nicht erklärbaren Grunde unsympathisch ist, selbst wenn es, künstlerisch und objektiv betrachtet, ein noch so kostbarer und schöner Schmuck ist. Als kulturgeschichtlich interessant möchte ich hier anführen, daß in der gesamten Magie der Opal durchgängig als der unglückbringendste Stein gilt vor allen anderen. Auch Heilkräfte, abwehrende oder anziehende Eigenschaften werden Steinen und anderen Dingen zugeschrieben und zwar nicht nur mit Wirkung auf den Menschen, sondern auch auf Tiere und Pflanzen.
In diesem Zusammenhang darf auch an die Heilkunde des Altertums erinnert werden, deren Korruption wir im Mittelalter vor uns haben, und bei der ich nochmals den sogenannten Tempelschlaf näher erläutern möchte. Der Kranke wurde in einem Tempel eingeschlossen, und die Träume eines hier verbrachten und durch bestimmte Tränke vertieften Schlafes sollten ihm die für ihn richtige Heilweise anzeigen. Hier ist freilich keine kosmische Kraft, keine magnetische Wirkung anzunehmen, sondern der zum Monoideismus verstärkte und in das Traumleben hinübergenommene Wunsch nach Genesung und Art der anzuwendenden Heilung. Es handelt sich also um einen monoideistisch hervorgerufenen Wahrtraum, den Ihnen eine spätere Besprechung der Träume, insbesondere der Erlebnisträume, deutlicher machen wird. Nicht zu verwechseln ist dieser Tempelschlaf, den auch die Magie der niederen Völkerschaften heute noch kennt, mit dem Einweihungsschlaf, den wir im Initiationswesen kennen lernten. Im Tempelschlaf wird nur ein Ziel erstrebt, im Einweihungsschlaf nach langer Vorbereitung das bewußte Betreten der übersinnlichen Welt im feinstofflichen Körper und das Mitnehmen dieser Erlebnisse ins Tagesbewußtsein.
Ebenso darf man die verschiedenen Manipulationen und okkulten Mittel des Altertums nicht mit denen des Mittelalters verwechseln. Bei aller Verwandtschaft stellt das Mittelalter meist den Niedergang der Mystik dar, weshalb je auch die völlige vorläufige Beseitigung durch den Rationalismus erfolgen mußte. Was im Altertum, abgesehen von einigen auch dort deutlichen Verfallserscheinungen, im wesentlichen Hebung des Ichs aus dem dunkelen Gruppenbewußtsein anstrebte, wie zum Beispiel Alkoholgenuß und Sexualität der frühgriechischen Mysterien, das artete zur Korruption des Ichs aus, zum Überbetonen des Ichs im schwarzmagischen Sinne. Näher steht vielleicht noch die Heilkunde des Mittelalters derjenigen des Altertums, und viele Vorurteile, mit denen sie heute betrachtet wird, stammen von der uns in der Gegenwart meist mißverständlichen Terminologie. So sind zum Beispiel die Werke des Theophrastus Paracelsus in gewissen Schlüsseln abgefaßt, die man kennen muß, und die damals dem Unberufenen das Verständnis verwehren sollten. Ich will nur anführen, daß Paracelsus unter sol und sulfur, also Salz und Schwefel, keine der heute damit bezeichneten Substanzen verstand, sondern daß es Ausdrücke der damals geübten Esoterik waren. Tatsächlich enthalten die Werke dieser viel bewunderten und viel geschmähten Persönlichkeit naturwissenschaftliche Kenntnisse der sinnlichen und übersinnlichen Welt von geradezu erstaunlichem Umfang. Ähnlich schwierig, vielleicht noch weit schwieriger ist die sogenannte »Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz« von Andrea. Bei diesem Titel, der uns von selbst auf Alchymie hinweist, will ich kurz erwähnen, daß neben allen schwindelhaften Goldmacherexperimenten minderwertiger Personen, Alchymie bei vielen als etwas ganz anderes galt und als etwas ganz anderes aufzufassen ist. Genau wie in der »Chymischen Hochzeit« handelt es sich um die Verbindungsgesetze des Sinnlichen mit dem Übersinnlichen, des Menschlichen mit dem Göttlichen, also um psychische und nicht physische Vorgänge.
Sehr geläufig waren im Mittelalter bis in die neueste Zeit das Bannen der Gespenster oder der Glaube an den Succubus und Incubus, den leibhaftig erscheinenden Teufel in meist sexuellem Sinne. Über Gespenster werde ich näheres bei Erläuterung des Spiritismus sagen. Was aber den Succubus oder Incubus betrifft, so mag er entweder eine monoideistisch provozierte Vision gewesen sein oder aber, in beglaubigten Fällen, die Erscheinung eines exteriorisierten Menschen, der nur auf diese Weise dem Gegenstand seiner Neigung nahen konnte. Professor Daumer nennt diese Erscheinung Lebender oder Toter das Eidolon nach dem griechischen Wort ειδωλον (Gebilde, Schattengestalt). Der Ausdruck ist nicht besonders glücklich, da es sich eben doch um weit mehr als um ein Bild handelt, trifft die Wahrheit aber insofern, als dieser feinstoffliche Mensch, soweit er im materialisierten Sinne sichtbar wird, durchaus in Aussehen und Kleidung das Bild des irdischen Menschen ist, während der feinstoffliche Astralleib, ohne jene Materialisationstendenz, licht und durchsichtig erscheint, einem Nebel ähnlich, den das Mondlicht durchleuchtet.
Zum Schluß will ich noch einige Worte über Astrologie sagen, obwohl sie keineswegs zur niederen Magie gehört, in ihren verschiedenen Anwendungen aber sehr häufig zur niederen Magie gemacht wurde und wird. Die Tatsächlichkeit der Astrologie beruht auf genauer Kenntnis der Zusammenhänge zwischen Sternen, kosmischen Kräften und dem menschlichen Leben. Zweifellos ist sie früher eine hohe Kunst gewesen, und daß auch in der neueren Zeit nicht gerade die schlechtesten Köpfe sich eingehend damit befaßt haben, beweisen die Namen Cardanus, Kopernikus, Tycho de Brahe und Kepler, die sämtlich Horoskope gestellt haben. Mir selbst erzählte ein Astronom, daß er sich darin versucht habe und daß es ihm neben einigen totalen Fehlschlägen gelungen wäre, Horoskope zu stellen, die eine minutiöse Genauigkeit mit dem Schicksal des Betreffenden aufwiesen. Auch hierin werden eben Wissenschaftler, die Mut und geistige Freiheit genug besitzen, sich von der Schablone zu emanzipieren, allmählich alte Weisheit von neuem beleuchten. Verweisen möchte ich an dieser Stelle auch auf die neuesten, sehr interessanten Untersuchungen von Stromer von Reichenbach und Dr. Max Kemmerich über den internen und externen Parallelismus in der Weltgeschichte, der dartut, daß sich markante Ereignisse in bestimmter Folge nach einem ganz genau feststellbaren System bei den verschiedenen Völkern wiederholen. Auch diese Forschungen werfen auf die astrologischen Möglichkeiten ein völlig neues Licht. Der heutigen Astrologie stehen freilich zwei Momente sehr hinderlich im Wege: erstens hat in der Astrologie die Terminologie ebenso wie in der Alchymie und ähnlichen Schlüsselwerken häufig gewechselt oder ist absichtlich verschleiert worden. Diese Epochen muß man genau kennen, um ihre Terminologie auseinanderhalten zu können, sonst rechnet man, wie das bei den üblichen, jetzt wieder modernen Horoskopstellungen meist geschieht, mit einem verwirrenden Durcheinander von Systemen. Ferner muß man, der Evolution der Menschheit folgend, sich vor Augen halten, daß das menschliche Ich, allmählich mehr aus dem Gruppenhaften früherer Zeiten herausgewachsen, eine geringere Abhängigkeit von der es umgebenden Natur und ihren kosmischen Kräften erlangt hat. Der gleiche Gesichtspunkt wurde ja bereits geltend gemacht bei der sonstigen kosmischen Abhängigkeit des Menschen, für die ich Ihnen einige Beispiele mit gleicher Eingrenzung gab. Mehr als diese kennzeichnenden Gesichtspunkte über Astrologie zu geben, ist in einer kurzen Vortragsreihe unmöglich, da sie ein viel zu großes Gebiet umfaßt und ein Sonderstudium voraussetzt, das ja jedem, der sich dafür interessiert, unbenommen ist.
Ich habe Ihnen nun einen gewissen Überblick über das weitverzweigte Gebiet der niederen Magie des Altertums und des Mittelalters gegeben, und Sie werden nun wahrscheinlich denken, daß niedere Magie heute bis auf die sogenannten unzivilisierten Völkerschaften und bis auf einige Spielereien in Europa nicht mehr getrieben wird. Ich muß Ihnen dagegen versichern, daß auch heute noch die Menschen keineswegs so sehr über diesen Dingen stehen, als sie vorgeben. Es wird heute leider noch so zahlreich niedere Magie getrieben als je zuvor, sicherlich aber weit mehr als zur Zeit des Rationalismus. In Amerika gibt es ganze Schulen, die solche praktische Magie lehren, wie man gute Geschäfte macht, wie man andere beeinflußt, düpiert usw. Alle diese Versuche sind moralisch meist sehr minderwertig, aber sie gehen kaum über den Rahmen einiger magischer Kniffe hinaus, die der »praktische« Europäer dem Orient abgelauscht und in seine in erster Linie nur noch geschäftstüchtige Seele verpflanzt hat. Wirklich gefährliche magische Mittel sind aber nicht darunter, denn ihre Kenntnis setzt eben doch mehr voraus als nur einen billigen Geschäftsinstinkt, ein nur praktisches Gefühl dem menschlichen Leben gegenüber. Auch die Empfänglichkeit dafür ist keineswegs mehr eine so große wie im Mittelalter und grenzt wohl nur in ganz seltenen Fällen noch an Medialität, an eine Hyperästhesie aus ständiger Furcht heraus. Immerhin aber können solche unlautere Kniffe schon ausreichen, sich einen Vorteil im geschäftlichen oder persönlichen Leben zu verschaffen, jedenfalls im entscheidenden Augenblick, der freilich nicht von Dauer sein wird. Gerät solch ein Geschäftsmystiker, der etwa mit dem beliebten Kniff operiert, seinen Partner zwischen den Augen zu fixieren, einmal an einen, der sehr viel mehr von diesen Dingen weiß, wird er Erfahrungen machen, die ihm die Kniffe sehr schnell legen werden. Unruhe, Störungen des Befindens und ähnliche Erscheinungen, die in wichtigen Stunden allerdings viel bedeuten können, lassen sich jedoch auch mit dieser niederen europäisierten Geschäftsmagie erzielen.
Im allgemeinen kann man sich am besten ein klares Bild solcher Wirkungen machen, wenn man sich sagt, daß ein Gedanke eine Kraft ist wie ein abgesandtes Projektil. Dieses wird nun ganz verschieden wirken, je nachdem auf welches Zielfeld es aufschlägt. In Wachs schlägt eine Kugel tief ein, in Holz weniger tief, von Stein prallt sie ab, und hier tritt die Wirkung ein, daß das Geschoß auf den Schützen zurückprallt mit um so größerer Kraft, je stärker die Stoßkraft des Gedankens war und je fester und unzugänglicher das Zielfeld. Es ist in dem Sinne, besonders für Menschen, die mehr oder weniger exponiert sind, nicht ganz belanglos, ob sie im Geistigen, im Übersinnlichen Bescheid wissen oder nicht. Es ist oft recht angenehm, die Gegenmittel dieser kleinen magischen Mittelchen zu kennen und ihr ganzes Gehaben zu durchschauen. Aber auch rein geistig, rein menschlich und kulturhistorisch genommen, ist die Ausbeute gerade aus dem Gebiet der niederen Magie vielfach sehr interessant. Ich habe Ihnen in meiner kurzen Übersicht, wie von allem, auch hiervon nur Stichproben geben können. Freilich soll man niemals außer acht lassen, daß niedere Magie, im niederen Sinne gehandhabt, ins Geistige einbrechen will ohne charakterliche Vorbereitung, ohne Schulung, ohne Kenntnisse, daß hierhin, zum Unterschied von höherer Magie, eine stete Gefahr für die seelische und körperliche Gesundheit verborgen liegt. Es ist nun einmal ein bedenkliches Unterfangen, ein ganz fremdes Land ohne jede Kenntnis seiner Eigenart, seiner Vorzüge und Nachteile zu betreten und es ohne innere und äußere Ausrüstung wie ein knabenhafter Abenteurer zu durchstreifen. Mehr als auf physischem ist diese Gefahr auf psychischem Boden vorhanden – das Übersinnliche ist nicht nur Neuland für uns, sondern auch das weit größere Reich, das ungeahnte Höhen, aber auch ungeahnte Tiefen birgt. Wer aber mit der Gesinnung der höheren Magie an die niedere herangeht, wird Goethes Worte in sich aufleuchten sehen, wird vieles von dem erahnen, erfühlen und erschauen,
»was von Menschen nicht gewußt,
oder nicht bedacht,
durch das Labyrinth der Brust
wandelt bei der Nacht.«