Manfred Kyber
Einführung in das Gesamtgebiet des Okkultismus
Manfred Kyber

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Erster Vortrag

Einleitung

Wenn ich, wie nun schon mehrfach seit Hereinbrechen der Weltkatastrophe, in der wir leben, meine Reihe von Vorträgen über Okkultismus eröffne, bin ich mir von vornherein darüber klar, daß es ein sehr schwieriges und zum Teil auch recht undankbares Unterfangen ist. Schwierig ist es nicht, weil es vielleicht manchmal nicht ganz leicht ist, sich verständlich zu machen und Worte und Begriffe zu formen für Dinge, die nicht dem alltäglichen Leben angehören und daher keine allgemeingültige Terminologie haben; schwierig ist es auch nicht deshalb, weil es mühsam sein könnte, eine übersinnliche Welt mit Beweisen zu erhärten – die Schwierigkeit solcher Darstellungen beruht vielmehr darauf, daß das Gebiet des Okkultismus ein so ungeheuer großes ist, daß man es beim besten Willen und größter Konzentration nicht in wenigen Vorträgen erschöpfen kann. Aus diesem Grunde ist es auch undankbar, denn jeder Kenner wird mit Recht einwenden, daß ich interessante Dinge ungesagt ließ. Das läßt sich nicht vermeiden und mich hat bei diesen Vorträgen im wesentlichen ein anderer Gedanke geleitet. Es gibt kein Werk, das einigermaßen übersichtlich in das Gesamtgebiet des Okkultismus einführt, und diese Lücke auszufüllen, sind meine Vorträge bestrebt. Es ist mir bisher gelungen, meine Hörer mit allen wichtigsten Erscheinungsformen des Okkultismus aller Zeiten so weit bekannt zu machen, daß sie imstande waren, selbständig zu unterscheiden und dann nach eigener Wahl dem näher nachzugehen, was ihrem persönlichen Interesse am meisten entsprach. Mehr kann man in wenigen Vorträgen kaum bieten, und mehr will ich auch nicht bieten, denn jedes wissenschaftlich erschöpfende Werk, zu dem ich mich übrigens auch gar nicht berufen fühle, kann es nicht vermeiden, eine bestimmte Richtung zu betonen, sich sozusagen auf einen Standpunkt besonders festzulegen. Mir aber liegt keineswegs daran, Sie für eine besondere Richtung zu gewinnen oder ihnen meine Meinung irgendwie als die beste nahezulegen. Ich biete Ihnen im Auszug eine jahrelange Bibliotheksarbeit, deren Mühe Sie sich damit ersparen können. Ich zeige Ihnen einen Gipfel, überlasse es aber jedem nach Eigenart und Veranlagung, welchen Weg zu diesem Berge hinauf er gehen will. Ich weiß auch, daß die Mystiker deswegen sagen werden, ich sei zu wenig esoterisch, und die Materialisten, ich wäre zu verstiegen. Mir liegt aber gerade daran, ganz unfanatisch vorzugehen, wie es sich eigentlich für jeden, der etwas von der geistigen Welt erfaßt hat, von selbst versteht. Zu einer solchen geistigen Welt bekenne ich mich, erkenne in der physischen Welt lediglich die eine Hemisphäre, während ich die andere in der übersinnlichen, in ihrer Weise genau so realen Welt sehe. Damit stehe ich dem reinen Materialismus ablehnend gegenüber. Ebenso ablehnend aber verhalte ich mich jener heute so häufig einseitigen Esoterik gegenüber, die den jeweilig erwählten Weg für den einzig wahren für alle Menschen hält und von anderen Forschungsmethoden auf diesen Gebieten nichts wissen will.

Ich denke, daß es für einen jeden, der sich eine eigene Meinung bilden oder einen selbständigen Weg suchen will, vor allem darauf ankommt, daß er das Material selbst kennen lernt, in großen übersichtlichen Zügen, die dann zu vertiefen seiner eigenen Wahl überlassen bleibt. Nähme er gleich eine fertige Meinung in sich auf, sei es meine oder eine andere, so würde das kaum über einen dogmatischen Erfolg hinausgehen, nicht aber zum eigenen Erleben führen, auf dem allein höheres Denken aufgebaut sein soll. Auf dem einseitig voreingenommenen Wege würde er allzubald stecken bleiben, und wenn wir ehrlich sind, müssen wir ja wohl zugeben, daß heute die meisten Mystiker und Materialisten stecken geblieben sind. Unter diese Gesichtspunkte bitte ich es auch zu stellen, wenn ich im Laufe der Vorträge Titel von Büchern angebe, Namen von Forschern nenne oder sonstwie auf das Quellenmaterial hinweise, das jedem für das ihn besonders fesselnde Gebiet als weiterer Ausbau dienen kann. Nenne ich einen Namen, so bekenne ich mich damit nicht zu seinem Programm, erwähne ich ein Buch, so meine ich nur dieses eine Werk, nicht eventuelle andere Bücher des gleichen Verfassers. Vor allem aber soll damit niemals etwas für die zahlreichen Gesellschaften und Vereinigungen, Richtungen und Lehren gesagt sein, die sich an diesen oder jenen Namen knüpfen. Ich führe diese Daten nur an, um jedem die Handhabe zu geben, weiter auszubauen, weiter zu suchen und zu ergänzen nach der Seite, die ihm die nächste zum Eintritt in das Verständnis übersinnlicher Welten erscheint. Ich greife daher aus allen Gebieten nur das jeweils Charakteristische heraus als Beispiel – Vorträge wie diese können und dürfen keine Vollständigkeit anstreben, sondern lediglich Übersichtlichkeit aller Gebiete und Anregung auf allen Gebieten geben. Meine persönliche Ansicht ist – um keinesfalls mißverstanden zu werden, füge ich das hinzu – meine persönliche Ansicht ist, daß wohl mit einzelnen Namen und einzelnen Werken geistige Werte von größtem Ausmaß gegeben worden sind, daß diese Werte aber in ihren mehr oder minder breiten Auswirkungen der Anhänger bisher mehr einseitig-fanatischem Sektenwesen ähneln, als selbständigem Erleben geistiger Tatsachen, daß also bisher mehr Ideen verflacht als erfaßt worden sind. Im übrigen will ich auch in dieser Beziehung so wenig als möglich Namen nennen, weder von einzelnen Logen, noch sonstigen Gesellschaften gleichen Charakters. Diese Vorträge haben nur dann einen Wert, wenn sie unpolemisch sind, sie sollen keinen anderen Zweck haben, als in Auszügen und Beispielen meinen Hörern so übersichtlich als möglich ein Material nahebringen zu eigener weiterer Verarbeitung. Zudem wird man einsehen, daß gerade auf diesem Gebiet eine gewisse Diskretion unvermeidlich ist. Man kann unmöglich alles sagen, was man weiß oder denkt, und es wäre mehr als überflüssig, es zu tun.

Ich fasse also meine Aufgabe so auf: ich führe Sie an das Ufer eines fremden Landes. Dieses Land habe ich nicht entdeckt, es ist auch Ihnen nur scheinbar fremd, denn es ist die geistige Heimat eines jeden Menschen. Ich bringe Ihnen nicht Neues als Tatsachen, die nicht mein Verdienst sind. Von diesen Tatsachen werden Sie überzeugt oder auch nicht überzeugt, nicht durch mich, sondern dadurch, daß Sie sich ihrer erinnern oder nicht erinnern können. Ich erwecke also nur bestenfalls etwas in Ihnen, was Sie einmal gewußt und wieder vergessen haben, etwas, was latent in Ihnen ist. Näheres hierüber werde ich bei Besprechung der alten Mysterien und der Frage über Schicksal und freien Willen ausführen. Deutlich aber will ich betonen, daß alles, was Sie in diesen Vorträgen aufnehmen können, genau so von Ihnen selbst abhängt, wie etwa bei Behandlung künstlerischer Fragen, die Sie auch nur dem erklären können, der selbst zu einem höheren intuitiven Empfinden fähig ist, der selbst das Künstlerische in sich hat, das man nur erwecken, nicht geben kann. Darum halte ich diese Vorträge auch nicht nur ohne jeden Fanatismus, sondern auch ohne jeden Ehrgeiz – denn wenn Sie viel davon haben, so ist es nicht mein, sondern Ihr Verdienst, und wenn Sie nichts davon haben, ist es nicht meine, sondern Ihre Schuld.

Alle diese Ausführungen habe ich vorerst gemacht, um Sie um eine bestimmte Gesinnung zu bitten: nämlich um die, mir nichts zu glauben, was ich Ihnen als nicht wirklich erwiesen erzähle. Aber ebenso bitte ich Sie, mir das zu glauben, was nun einmal mit den Mitteln der heutigen Wissenschaft als Tatsache angesehen werden muß, auch wenn es nicht ohne weiteres erklärbar erscheint. Es gibt nämlich ebensogut einen materialistischen Aberglauben, als es einen mystischen gibt. Wollen Sie in ein neues Gebiet eindringen, so kann das nur geschehen, wenn Sie sich von jedem Vorurteil freihalten und erst einmal die Sachen unbefangen auf sich wirken lassen. Diese Gesinnung ist sehr wichtig, wenn man sich einer neuen Sache nähert, und es ist nicht umsonst, daß ich Sie darauf hinweise. Ich muß Ihnen nämlich in diesen kurzen Vorträgen sehr viel auf einmal zumuten, und ich bin überzeugt, daß Ihnen manches einen gewissen Choc verursachen wird, weil es allzu sonderbar erscheint und wegen der Überfülle des Materials das Einzelne oft abrupt geäußert werden muß. Es ist mir selbst oft unendlich schwer geworden, mich mit manchen Tatsachen abzufinden, die die Aufgabe eines gewohnten und bequemen Vorurteils von mir verlangen. Ich selbst bin zu einer gradweisen Einschätzung des Okkultismus auch nicht durch eine plötzliche Erleuchtung gekommen, sondern durch jahrelange mühsame Arbeit. Die Früchte dieser Arbeit sind es, die ich Ihnen vorlegen werde. Nicht etwa meine persönlichen Meinungen oder Ansichten, die widerlegt werden können, werde ich Ihnen unterbreiten, sondern ein essentielles Tatsachenmaterial, mit dem Sie sich als gegebenem Faktor abfinden müssen und aus dem Sie Ihre eigenen Schlüsse ziehen können. Ich werde Ihnen meine persönliche Meinung nicht gerade vorenthalten, aber sie stets getrennt behandeln von dem Tatsachenmaterial, das Sie nun einmal anerkennen müssen, weil es vorhanden ist. Ich werde Sie auch durch Quellenangabe in Stand setzen, diese Tatsachen nachzuprüfen, wenn Sie ihnen mißtrauen. Bedenken Sie aber bitte, daß ich nicht das geringste Interesse daran haben kann, Sie zu überzeugen, weil ich, wie ich schon ausführte, der Ansicht bin, daß nur eigene Erfahrung hier etwas bedeuten kann und soll, und daß das von mir Gebotene nur eine Anregung sein darf, um in Ihnen selbst das zu wecken, was jedem Einzelnen zum geistigen Ausbau das Geeignete ist.

Bevor ich nun mit meinem Thema beginne, ist es nicht überflüssig, daß wir uns über den Begriff des Okkultismus einigen, daß wir umgrenzen, was wir hier darunter verstehen wollen. Ich fasse darin zusammen alles dasjenige, was übersinnlich ist. Es ist ein wesentlicher Definitionsfehler, der gerade von materialistisch-gegnerischer Seite gerne gemacht wird, daß es sich beim sogenannten Okkultismus um übernatürliche Dinge handele. Es gibt nichts Übernatürliches, wie die Materialisten gewiß richtig behaupten, wohl aber sehr viel Übersinnliches, das heißt solches, was sich mit der rein sinnlichen Wahrnehmung nicht unbedingt erfassen und mit den heute bekannten Naturgesetzen nicht erklären läßt. Da wir nun keineswegs alle Naturgesetze kennen, so ist es gewiß klar, daß es außer dem Erforschten, das niemand leugnen wird, auch ein Neuland gibt und immer geben wird, solange wir auf die Wahrnehmungen des gewöhnlichen Verstandes und der Sinne angewiesen bleiben. Es ist für unsere Zeit charakteristisch oder war es doch bis vor kurzem, daß man alles physisch Greifbare überschätzt und es als das einzig Vorhandene hinstellt. Wundt hat zum Beispiel in seiner physiologischen Psychologie die verschiedenartigste Tätigkeit der Sinnesnerven erforscht und bewiesen, daß sich diese in den meisten Fällen ihrer Wahrnehmung mehr oder weniger täuschen. Trotzdem aber glaubt man mit diesem Verstande und diesen Sinnen eine Weltauffassung aufbauen zu können, und sie ist auch danach. Und hierin liegt der Kardinalfehler der materialistischen Wissenschaft. Was sie wirklich als Tatsache erforscht hat, ist richtig, aber es ist nicht allein richtig, sondern auch richtig, bedarf der Ergänzung nach der anderen Hemisphäre hin und reicht also keinesfalls aus für Folgerungen, die, so materialistisch sie sich gebärden, an kühner Spekulation oft die ausschweifendste Mystik der Phantasten in den Schatten stellen.

Der gesamte Okkultismus widerspricht nicht einer einzigen effektiven Tatsache der materiellen Wissenschaft, wohl aber vielen ihrer Folgerungen. Nun ist es gewiß oft sehr interessant, zu erfahren, was ein Professor weiß, aber sicher sehr uninteressant und gleichgültig, was er glaubt. Auch hierin muß man sich eine etwas klarere Wertung der Dinge angewöhnen. In der heutigen Zeit, wenigstens in den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege, war es wirklich so weit gekommen, daß den Aussprüchen der Professoren dogmatische Wertung eingeräumt wurde. Man dachte selbst sehr wenig und glaubte alles, was die Akademien sagten, ohne freilich zu überlegen, daß unter den Professoren meist so viele entgegengesetzte Meinungen herrschten, als es Professoren gab. Ich setze die großen Errungenschaften der materialistischen Wissenschaft gewiß nicht herab, ich weiß sehr gut, daß sie nötig waren, nötig auch als Gegengewicht in ihrer Einseitigkeit, aber ich weiß auch ebensogut, daß wir diese Kenntnis des Äußeren bezahlt haben mit einer Aufgabe von Fähigkeiten, die die Menschheit früher besaß und nun nicht mehr hat, die sie aber, wenn auch in veränderter Form, wieder gewinne muß, wenn die heutige Weltkatastrophe als notwendige Folgeerscheinung des Materialismus nicht aus einer vorübergehenden Kulturwende zum dauernden Untergang führen soll.

Verstandesreichtum ist sehr wohl vereinbar mit Geistlosigkeit, und es ist schon wahr, daß unsere Hochschulen in vielem, so hoch sie den Verstand gebracht haben, so arm an Geist geworden sind. Das klingt vielleicht etwas hart, aber man braucht nur an die verheerende Wirkung, vieler Vorlesungen über Literatur und Kunst, an die berüchtigten Faustkommentare zu denken, um sich zu sagen, daß rein verstandesgemäß-analytisches Denken jeder höheren Geistestätigkeit gegenüber in eine groteske Hilflosigkeit gerät. Auch dem, der das Übersinnliche vorerst ablehnt, muß es klar sein, daß es höhere Wahrnehmungen gibt als den Verstand, der gewisse Dinge überhaupt nicht erfassen kann. Denken Sie an die Instinkte der Tiere, der wilden Völkerschaften, denken Sie an das feinere intuitive Gefühl der Frauen, an die Inspiration der Künstler. Der Verstand ist tatsächlich die niedrigste Wahrnehmungsform, die es gibt, wenn man den rein logischen Verstand im Auge hat, auf den die Männer der heutigen Zeit so besonders stolz zu sein pflegen. Diesem Stolz auf den Verstand verdanken wir die heitere, aber in ihren Folgen leider sehr tragische Illusion der heutigen sogenannten Kultur, die Meinung, man stünde so sehr weit über den alten Hochkulturen Indiens, Ägyptens, Chaldäas usw. Griechenland läßt man noch gelten, freilich mehr aus Liebe zu griechischen Vokabeln und mehr unter der Betonung des späten, staatlichen Hellas, als jener frühgriechischen Epoche, die die orphischen Mysterien umfaßt. Daß man über das Mittelalter lächelt, ist selbstverständlich – wir werden noch später sehen, mit wie wenig Recht. In Wirklichkeit waren uns diese alten Kulturen in vielem sehr weit überlegen, und jene alten Impulse, die einst als Gruppenbewußtsein in vielen lebten, im einzelnen Wiederaufleben zu lassen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der heutigen Zeit. Es ist recht interessant, Kulturgeschichte zu lesen – man lernt daraus, bescheiden zu sein und gewisse Dinge bei richtige Namen zu nennen. Wenn ich auf das höhere Denken, das ich erwähnte, eingehe, will ich Ihnen einen Überblick darüber geben, was man unter höherer Esoterik versteht, und Ihnen eine Kette der Entwicklung und Überlieferung zeigen, die von den Mysterien des frühesten Indien, Ägyptens, Chaldäas, Griechenlands über Templer und Gralserkenntnis hinüberleitet zu den Freimaurern und Rosenkreuzern bis in die verwandten Geheimschulen und Bestrebungen der Gegenwart.

Ich möchte aber mit Rücksicht auf diejenigen, die mir noch mit einem ausgeprägten materialistischen Mißtrauen gegenübersitzen, noch etwas beim gewöhnlichen Verstande bleiben und Ihnen auf diesem Gebiet einige Daten nennen, die die Einschätzung des gewöhnlichen Verstandes, mag er auch noch so groß sein, auf ein bescheidenes Maß zurechtstellen. Verzeihen Sie, wenn ich dabei, ohne persönlich zu werden, sage, daß man eine gewisse Bescheidenheit erst lernen muß, wenn man sich auf das Gebiet des höheren Denkens und damit der Erforschung des Okkultismus begeben will. Glauben Sie nicht, daß wir so sehr hoch über dem Mittelalter stehen. Der letzte Scheiterhaufen brannte in Deutschland 1786, 1806 ließ Napoleon das Hochgericht der Stadt Frankfurt abbrechen, die völlige Aufhebung der Tortur erfolgte in Hannover erst 1840, gar nicht zu reden von dem Grauen und der Roheit, die sich in der Gegenwart wieder gezeigt haben. Interessant dürfte auch der Hinweis sein, daß auf der internationalen kriminalistischen Vereinigung des Jahres 1909 festgestellt wurde, daß in Deutschland jährlich zehn Millionen Polizeistrafen verhängt werden – aber das ist ein Kapitel für sich! Auch neue Ideen sind stets und immer bekämpft worden, und es ist lehrreich, sich da an einige jüngere Daten zu erinnern. Galvanis Entdeckung 1791 wurde mit ungeheuerem Gelächter aufgenommen, 1873 wurde die Aufnahme Darwins in die Académie des Sciences abgeschlagen, ein Professor am Polytechnikum in Hannover (geb. 1832) warnte seine Hörer davor, sich mit den vergeblichen Versuchen zur Erfindung eines Automobils abzuplagen. Als die Gasbeleuchtung der Straßen eingeführt werden sollte, eiferte eine der angesehensten Zeitungen Deutschlands 1828 dagegen mit der Begründung, daß die Nacht von Gott dunkel gemacht sei. Die erste Eisenbahn Nürnberg-Fürth wurde heftig bekämpft, weil ein Medizinalkollegium nachwies, daß sie für die Insassen wie für die Zuschauer gesundheitsschädlich sein würde und man sie wenigstens mit Bretterzäunen umgeben müsse. Ebenso reichhaltig ist dieser Gegendruck gegen alles Eigenstarke in der Kunst, und ich will hier aus der überreichen Fülle geistiger Armut nur die Kritik nennen, die Beethoven in der angesehensten deutschen Musikzeitung zuteil wurde: »Beethoven geht seinen eigenen Gang, aber was ist das für ein bizarrer, mühseliger Gang! Keine Natur, kein Gesang!« Diese Beispiele, die ich dem vorzüglichen Werk von Dr. Max Kemmerich, »Kulturkuriosa«, I und II, entnehme, sind keineswegs ausgesuchte Einzelfälle, sie lassen sich ins Ungezählte vermehren, und man kann wohl sagen, daß die meisten Errungenschaften geistiger Art oder die vielen Entdeckungen der Technik und der Wissenschaft, oft von Außenseitern gemacht, von Fachleuten und einer Gegenwartsmenge wütend bekämpft und albern verlacht worden sind.

Sie sehen, daß also, vom produktiven geistigen Schaffen gar nicht zu reden, auch auf dem Gebiet des Verstandes der bescheidenste Denkerfolg umstritten ist und sich meist nur sehr langsam durchsetzt. Viel deutlicher wird diese Hemmung natürlich, wenn es sich darum handelt, zu begreifen, daß wir bei Erforschung der einen Hemisphäre auch die andere annehmen müssen, daß wir es also außer der sinnlich wahrnehmbaren Welt auch mit einer nur übersinnlich wahrnehmbaren zu tun haben, das heißt mit einer solchen, deren Wahrnehmung mit den heutigen Forschungsmethoden der Wissenschaft gar nicht oder nur äußerst begrenzt feststellbar ist.

Es gibt Dinge, die nun einmal auf dem heute üblichen wissenschaftlichen Wege nicht zu erreichen sind. Sie werden das Wesen der Elektrizität nicht finden, wenn Sie eine Dynamomaschine zerlegen oder zerhacken, genau so wenig wie Sie durch verbrecherische, ethisch und intellektuell gleich minderwertige vivisektorische Versuche oder nur durch chemische Analysen das Seelische und Geistige der Natur erfassen können. Fragen Sie einen landläufigen Vertreter der Wissenschaft nach einer Erklärung für indische Fakire, tanzende Derwische oder für eine beliebige Magie im niederen Sinne, wie sie auch dem diesen Gebieten ganz Fernen im Orient entgegentritt, so erhalten Sie die stereotype Antwort, es sei Hypnose, Massensuggestion oder Autosuggestion. Die Herren denken nicht daran, daß diese selbe Wissenschaft noch vor kurzer Zeit, mit Virchow an der Spitze, jede Hypnose für Schwindel erklärt hat. Heute benutzen sie sie nun als bequeme Erklärung für alles ihnen Unerklärliche und können dabei den Hypnotismus selbst nicht einmal erklären. Man muß schon fähig sein, sich auf beide Halbkreise des Lebens zu stellen, um wirklich einigermaßen denken zu können. Sehen Sie, ein Professor erklärt zum Beispiel einem Botokuden in Afrika das Telephon. Er sagt ihm: »Siehst du, du kannst nun hören auf große Entfernungen, auf ganze Tagereisen, du kannst erfahren, daß dein Onkel krank ist, der ganz weit von dir lebt – alles bloß durch den europäischen Wunderdraht.« Der Botokude lacht natürlich. Schließlich aber sagt er: »Ja, dazu brauche ich aber gar keinen Wunderdraht, denn ich fühle es auch so, wenn mein Onkel krank ist«. Jetzt lacht der Professor. Beide haben recht, und ihr Lachen ist auf beiden Seiten ganz gleichwertig.

Ich will Ihnen nun einige Tatsachen nennen, mit denen Sie sich abfinden müssen und die von der Wissenschaft beglaubigt, wenn auch nicht erklärt sind. Natürlich darf man sich, wenn man überhaupt denken will, nicht auf den Standpunkt des absoluten Ignoranten stellen, der eine Tatsache, die er oder seine wissenschaftliche Autorität nicht erklären kann, für keine Tatsache mehr ansieht. Ich werde Ihnen diese Dinge, wie überhaupt das ganze Gebiet der sogenannten niederen Magie später ausführlicher erläutern, ich will aber erst eine gewisse Gesinnung erzielen, da Sie sonst bei den späteren Erörterungen kaum mitgehen würden.

Vergessen Sie bitte nicht, daß es nicht nur darauf ankommt, daß Sie eine Reihe von Tatsachen erfahren, sondern daß bei Betrachtung gewisser Erscheinungen allmählich etwas organisch in Ihnen entwickelt wird, was in Ihnen liegt als eine Art übersinnlicher Organe, eines anderen Auffassungsvermögens, das in jedem Menschen vorhanden ist und das am meisten Ähnlichkeit haben dürfte mit dem Denken künstlerischer Intuition. Es gibt auch im menschlichen Körper Teile, die physisch nicht erklärbar sind, zum Beispiel das sogenannte Sonnengeflecht im Nervensystem in der Gegend der Magengrube, für das eine andere Bestimmung bisher nicht gefunden werden konnte, als die eines Grenzorganes zwischen den Organen des Sinnlichen und Übersinnlichen. In dem Sinne bedeutet auch richtige Beschäftigung mit dem Okkultismus die Erhöhung der Lebenspotenz bis zur Harmonie von Denken, Fühlen und Wollen, die Sie wohl schon oft im Symbol des Dreiecks dargestellt sahen. Es werden neben Kenntnissen, die verstandesgemäß faßbar sind, Kräfte in Ihnen wachgerufen, die in Ihnen allen latent sind und die Sie nun entwickeln nicht mehr mit der Weltabgewandtheit des Inders, sondern mit dem vollen Ichbewußtsein des Europäers. Tun Sie das, werden Sie gewiß der einmal geübten Mystik alter Kulturen in ihrer Gruppenhaftigkeit und ihrer Weltflucht überlegen, – tun Sie das nicht, sind Sie heute noch mit dem gewöhnlichen Verstandesdenken dem Orient gegenüber der unterlegene Teil.

Ich sprach eben von einem Symbol, und ich will Ihnen gleich auf diesem Gebiet eine Reihe verbindender Beispiele geben, die Ihnen auch das Wesen des Symbols charakterisieren mögen, das alles andere ist, als ein beliebig ausgedachtes Zeichen. Allgemein gilt das Kreuz lediglich als christliches Symbol. Sie finden es aber durchgehend in der Geschichte aller Völker, und wenn Sie tiefer in das Wesen der Symbole eindringen, werden Sie bemerken, daß man damit früher nicht, wie heute vielfach, spielte, sondern sehr reale Vorstellungen mit diesen Zeichen verband. Sie finden in Indien das Hakenkreuz oder sogenannte Svastika, Hakenkreuz auch der arischen Kultur Europas geläufig, in Ägypten das Thau Thau, den Lebens- oder Nilschlüssel. In den christlichen Gemeinschaften das Kreuz in verschiedenen Formen, zum Beispiel das Templerkreuz T, das Andreas- oder Malkreuz X und die der griechischen Griechisches Kreuz und der römischen Kirche † eigenen Formen. Auch die Freimaurer stellten die Weltkugel gerne dar überspannt mit dem Zeichen des Kreuzes, das gleichsam darauf geflochten ist. Es bedeutet die Stellung, in der die Weltseele über die Erde gespannt ist. Ferner nenne ich Ihnen noch das Fünfeck oder Pentagramm Pentagramm als Zeichen des Ichs. Abgesehen von anderen Bedeutungen dieser Figur entspricht die Stellung des Menschen mit ausgestreckten Armen und Beinen in der Form des Pentagramms am meisten dem Kreislauf der rein pflanzlichen Kräfte seines Körpers. Versuchen Sie einmal, sich nach einer völligen Erschöpfung in dieser Lage zu erholen, und Sie werden sehen, daß die Erholung unendlich viel schneller vor sich geht, als in anderer Lage. Es steckt eben in diesen Dingen ein ganzes Stück unbekannter oder heute vergessener Naturwissenschaft.

Ich möchte Ihnen nun noch einige andere Gesichtspunkte geben: denken Sie einmal darüber nach, daß die Sphinx von Gizeh komponiert ist aus einem Menschen, einem Löwen, einem Stier und einem Adler. Das aber sind die vier Wesenheiten der Apokalypse des Johannes. Es handelt sich bei diesen Überlieferungen oder bei Büchern, wie dem indischen Veden, der Bibel usw., um sogenannte Schlüsselbücher, hinter deren Bildern oder Worten gewisse Deutungen und Naturgeheimnisse liegen. Der heilige Augustin, den gewiß niemand für einen Dummkopf erklären kann und der auch kirchlichen Kreisen als einer der besten Bibelkenner bekannt sein wird, hat einmal gesagt, daß allein in der Schöpfungsgeschichte des Fünfbuches Mosis jedes Wort eine vierfache Bedeutung habe. Gerade in der jetzigen Zeit, wo der Materialismus bankrott gemacht hat und alles sich nach religiös orientierten Erklärungen der Weltkatastrophe sehnt, tauchen auch die verschiedensten Bibeldeutungen wieder auf, auch solche, die sich auf erstaunlich genaue Berechnungen der eingetretenen Ereignisse zu stützen vermögen. Sie haben nicht alle recht, schon deshalb nicht, weil sie oft fanatisch vertreten werden, und ich kann es nicht genug betonen, daß jede Art von Fanatismus auf dem Gebiet des Übersinnlichen noch verhängnisvoller wirken muß als auf dem des sinnlich Wahrnehmbaren.

Fanatismus führt vom Erleben allemal ab in Dogmatismus, in Gedankenstarre, und es liegt auf der Hand, daß eine solche Erscheinung weit verwirrender wirken muß da, wo es sich um intuitives, um höheres Denken handelt, das allem Dogmatischen wesensfern in sich ist, als beim gewöhnlichen Verstande, dessen bescheidene Wahrnehmungen sich weit eher in ein dogmatisches System bringen oder einem solchen annähern lassen. Auch darum aber haben diese oft recht interessanten Deutungen nicht recht, weil sie allein recht haben wollen. Sie mögen sonst in vielem sehr recht haben, aber sie haben nicht allein recht, sondern auch recht. Ein Urteilen hierin verlangt schon den Überblick über die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten, denn in allen solchen Büchern sind tatsächlich sehr verschiedene Deutungen und Geheimnisse gleichzeitig enthalten und nur mit verschiedenen Schlüsseln zugänglich. Ich möchte bei dieser Gelegenheit erwähnen, daß zum Beispiel das Evangelium Johannis ein Buch ist, das demjenigen, der sich darin vertieft, alle Naturgeheimnisse zu offenbaren imstande ist. Sie mögen das nun glauben oder nicht. Freilich wird dabei eine Vertiefung vorausgesetzt, der sich der heutige Europäer ohne andere Hilfsmittel kaum noch hinzugeben vermag.

Gestatten Sie, daß ich Ihnen nun einige andere Gesichtspunkte nenne, die der heutigen Wissenschaft und dem ganz gewöhnlichen Verstandesdenken näher stehen und mit den Methoden dieses Denkens festgestellt worden sind. Nicht wahr, es ist üblich, die Hexenprozesse als überaus finsteren Aberglauben zu betrachten? Ich will gewiß nicht für das Verbrennen Stimmung machen, aber ich möchte darauf hinweisen, daß gewisse Ursächlichkeiten zu den Dingen, die da geschahen, doch vorhanden waren, ohne daß damit natürlich gesagt sein soll, daß der Hexenwahn als solcher zu beschönigen wäre. Nur waren die Leute damals doch nicht ganz so dumm, wie wir heute meinen. Sie erinnern sich an die sogenannte Hexenwaage: man wog die Hexen und befand, daß sie Hexen waren, wenn sie sehr leicht waren, oder man warf sie ins Wasser und verbrannte sie dann, wenn sie nicht untergingen, hielt sie aber für unschuldig, wenn sie untersanken und dabei oft genug auch ertranken. Das ist gewiß nicht sehr geistreich. Ebensowenig geistreich aber ist unser heutiger Hochmut diesen Dingen gegenüber. Man hat nämlich bei wissenschaftlichen Experimenten der Gegenwart Medien gewogen und sie dann auf der gleichen Wage in Tieftrance versetzt, wobei man eine Gewichtseinbuße im Trancezustand bis zur Hälfte des normalen Körpergewichts festgestellt hat. Das klingt sehr sonderbar, aber Sie können das unter anderem nachprüfen in dem bekannten, sehr sorgfältigen Werk von Cesare Lombroso: »Hypnotische und spiritistische Forschungen«. Ich werde über diese Phänomene noch bei Behandlung des Spiritismus und des Hexenwesens sprechen, in dem Sie noch sehr viel erstaunlichere Dinge erfahren werden. Weiter: der sogenannte aufgeklärte Mensch hält die Stigmatisationen, die Begabung mit den Wundmalen des heiligen Franz von Assisi und anderer christlicher Märtyrer und Heiligen für Unsinn, bestenfalls für eine hübsche Legende. Solche Stigmatisationen sind aber in wissenschaftlichen Experimenten durch Hypnose oder Autosuggestion in zahlreichen Fällen erzielt worden, die unter anderem Dr. Carl du Prel in seiner »Magie als Naturwissenschaft« namhaft macht, einem besonders für materialistisch orientierte Wissenschaftler sehr empfehlenswerten Werk.

Man lacht heute auch gerne über Talismane und glaubt, daß Gegenstände nichts Übertragbares enthalten können, es sei denn Bazillen, die man im plump-physischen Sinne greifbar nachweisen kann. Das ist nicht ganz der Fall. Ich selbst habe oft einem medial oder hellseherisch Veranlagten Gegenstände von Personen gegeben, die ihm völlig fremd waren, und nach denen er mir genau Aussehen und Schicksal der fraglichen Personen beschrieben hat. Denken Sie daran, mit welcher Genauigkeit die sogenannte Seherin von Prevorst alle Dinge genau unterschied, ohne sie zu sehen, wie sie auf das bestimmteste angab, ob sie Silber, Blei, Gold oder Kupfer in der Hand habe. Es ist heute noch sehr interessant, Kerners »Seherin von Prevorst« zu lesen. Freilich ist es ein Buch, das eine gewisse Kenntnis des Okkultismus voraussetzt, wenn man viel davon haben will. Zum Kennenlernen des Gebietes sind die Bücher der heutigen Forscher wohl vorzuziehen.

Sie sehen aus alledem bereits, in welcher Richtung Sie hier einige Erklärungen zu suchen haben werden. Sie brauchen bloß das Problem der sogenannten Hyperästhesie oder Überempfindlichkeit zu studieren, resp. seinen Gegenpol, die Anästhesie oder Unempfindlichkeit. Aus dieser Anästhesie heraus lassen sich viele Erscheinungen erklären, die uns aus den Zeiten der frühchristlichen Mystik von Schmerzunempfindlichkeit berichtet und die ebenfalls allzugerne ins Gebiet der Fabel verwiesen werden. Auf ähnlicher Grundlage stehen auch die angezweifelten oder auf die Eselsbrücke der Selbsttäuschung geschobenen Experimente der Fakire, der Derwische und die verwandten Leistungen der niederen Magie. Man nennt das gerne Schwindel, vergißt dabei aber die Tatsache, daß zum Beispiel die meisten Schwerverbrecher anästhetisch sind, woraus sich auch ihre oft eminente Roheit herleiten läßt. Ich selbst habe in der Psychiatrischen Klinik in Leipzig einen Schwerverbrecher gesehen, der sich eine große Nadel durch die Hand und die Wange stach, ohne jede Schmerzempfindung und ohne einen Tropfen Blut zu verlieren. Das einzige Sekret war ein schwacher Tropfen Blutwasser. Hier liegt eine Parallele, die sich geradezu mit Fingern greifen läßt. Sie sehen also, ganz so leicht wird einem das Ablehnen aller okkulten Tatsachen und das vermeintliche Drüberstehen vom hohen Olymp unserer heutigen Scheinkultur nicht gemacht. Beispiele der sogenannten Exteriorisation, das heißt des Verlassens des physischen Körpers in einem feinstofflichen, möchte ich Ihnen heute noch nicht geben. Es ich vielleicht etwas viel auf einmal für diejenigen, die sich an eine Neuwertung der Begriffe erst gewöhnen müssen. Ich werde Gelegenheit dazu haben, wenn ich Ihnen das Gebiet der niederen Magie schildern und erklären werde.

Heute kommt es mir nur darauf an, Sie in das Gesamtgebiet, das wir in den nächsten Vorträgen besprechen werden, gleichsam hineinzusetzen, damit Sie selbst mit darin sind und nicht nur die Tatsachen an sich vorüberziehen lassen. Glauben Sie auch, bitte, nicht, daß ich Ihnen einzelne, besonders seltene Fälle herausgreife. Es gibt über diese Phänomene eine Fülle streng wissenschaftlicher Literatur, streng wissenschaftlich im Sinne der heutigen Hochschulbildung und des rein verstandesgemäßen Denkens. Was ich heute erwähnte, waren noch keine für viele Wissenschaftler strittige Namen der höheren Esoterik, wie Theophrastus Paracelsus, Agrippa von Nettesheim, Jakob Böhme, Angelus Silesius, Swedenborg und andere, es sind streng akademische Namen, wie zum Beispiel Alfred Russel Wallace, Crookes, Aksakow, Kotik, du Prel, Reichenbach, Daumer, Perty, Rochas, Flammarion, Richet, Schrenck-Notzing, Kemmerich und ähnliche.

Ich habe meine Beispiele bisher aus diesem Gebiet menschlichen Denkens geholt, um Ihnen zu zeigen, daß selbst vom Standpunkt des reinen Verstandes der Okkultismus ein nicht zu umgehendes Problem ist. Mit dieser Einschätzung soll natürlich keineswegs gesagt sein, daß die letztgenannten Forscher sich auf ein niederes Verstandesdenken beschränkt hätten. Hätten sie das getan, wären sie wohl, wie die akademische Mehrzahl der Nichtpersönlichkeiten, ängstlich diesen schwierigen Fragen aus dem Wege gegangen. Es soll damit nur festgestellt werden, daß diese Forscher erst einmal die auch dem Materialisten gangbare Brücke zu schaffen versuchten und damit ihre Forschung auf die Schwelle zwischen dem allgemein Bekannten und den ersten Anfängen des Unbekannten zu stellen hatten.

Es ist nun meine Aufgabe, Sie auch in die höhere Esoterik, in höheres, über dem Verstand lebendes Denken einzuführen, bevor ich bei dem einen wie dem anderen auf genaue Schilderung und Erklärungen eingehen kann. Sie werden mich nun fragen, was ich unter höherem Denken verstehe, und ich möchte Ihnen dafür ein Beispiel nennen. Denken Sie sich den Keim einer Sonnenblume, der doch gewiß etwas Reales ist. Denken Sie sich, daß dieser Keim wächst, Blätter und Blüten bildet, und in diesen Blüten wieder tausend Keime sitzen, die das gleiche ergeben und also in sich tragen. Stellen Sie sich vor, daß also im ersten Keim von Anfang an enthalten waren alle die tausend Blüten und abertausend Keime in die Unendlichkeit hinein. Ich habe diesen Gedanken, der eigentlich bereits eine Meditation ist, in meinem Buche »Genius astri« künstlerisch behandelt. Oder denken Sie daran, daß Getreidekörner, die man in den Pfahlbauten der Schweiz fand, noch nach Tausenden von Jahren keimfähig geblieben waren. Das sind Gedanken, die verstandesgemäß nicht denkbar, nur im höheren Denken erahnbar, auf Kräfte hinweisen, die weit stärker und realer sind, als alle greifbaren und analysierbaren Dinge, so wenig sie physisch greifbar sind.

Schon hier, beim einfachsten Beginne höheren Denkens, erhält man ein Bild davon, daß das eigentliche Leben, das eigentlich Wirkliche sinnlich nicht faßbar ist. Es ist wertvoll, sich öfters solchen Gedanken hinzugeben, sie bringen einen dem Kosmischen, dem Weltgeschehen näher, von dem das reine Nützlichkeitsdenken so sehr entfernt. Wie wichtig das ist, werden Sie sehen, wenn ich Ihnen später immer weiter erklären darf, daß der Mensch ein Mikrokosmos im Makrokosmos ist, eine kleine Welt in der großen, verbunden untereinander mit Fäden, die zu überschauen menschliches Begreifen übersteigt. Ich werde darauf zurückkommen bei Besprechung der Astrologie, aber etwas über Astrologie will ich Ihnen gleich jetzt in diesem Zusammenhange sagen. Sie werden nun einwenden, daß Sie gewiß manches zugeben wollen, daß aber Astrologie denn doch ein überwundener Aberglaube sei. Auch diese Illusion muß ich Ihnen nehmen, und ich tue das vorläufig nur ganz im Vorübergehen, um Ihnen den Zusammenhang des Menschen mit der Umwelt, dem Kosmischen, zu zeigen, auch des heutigen Menschen mit seiner drahtlosen Telegraphie, seinen Flugzeugen und allen den vielen ähnlichen Errungenschaften der Technik, mit denen man gegenwärtig glaubt, sich von der Natur emanzipiert zu haben. Der Arzt Dr. Wilhelm Fließ hat auf Grund äußerst mühsamer und sorgfältiger Forschungen festgestellt, daß Beginn und Schluß allen Lebens auf bestimmte periodische Tage fällt. Im Auszug hat er diese Tatsachen in einer kleinen Schrift »Vom Leben und vom Tode« (Eugen Diederichs Verlag, Jena) niedergelegt, in der er unter anderem sagt, daß alles Leben nach einem inneren, in der lebendigen Substanz selbst gegebenen Mechanismus abläuft, einem Mechanismus, welcher für den Menschen, das Tier und die Pflanze der gleiche ist, einem Mechanismus, der die Stunde unserer Geburt mit der gleichen Sicherheit kündet wie die des Todes. In der Natur ist eben alles nach Maß und Zahl geordnet, und auch die moderne Wissenschaft muß die von Fließ zitierten Worte des Pythagoras »Gott rechnet« (&#959; &#952;&#949;&#959;&#962; &#945;&#961;&#953;&#952;&#956;&#951;&#964;&#953;&#964;&#949;&#953;) wieder aufnehmen und unterschreiben. Denken Sie daran, welche Merkwürdigkeiten beim Versehen schwangerer Frauen stattfinden, wie stark kosmische Einflüsse hier auf den durch das Schaffensmysterium überempfänglich gewordenen Mutterleib einwirken können, so haben Sie wieder ein Beispiel für kosmische Verbindungen, die keinem Eigenwillen oder Eigendenken unterliegen. Als besonders interessant will ich noch ein Kuriosum erwähnen, das du Prel in seiner »Magischen Psychologie« anführt, nämlich daß der Hofrat Spener, Berlin, in seinem Naturalienkabinett ein Ei hatte, während der Sonnenfinsternis 1706 gelegt, mit dem Bild der Sonne, vor welche der Mond tritt. Dr. Fließ hat übrigens auch die engen Beziehungen aufgedeckt, die zwischen Mutter und Kind auch nach der Geburt, bis zu dessen siebentem Lebensjahre, dauern und sich in Zusammenhang mit der monatlichen Regel der Frau bringen lassen. Die Existenz eines Menschen ist eben, um du Prels Worte zu brauchen, viel wunderbarer als sämtliche Gespenster. Sie sehen, es ist nicht gut möglich, Astrologie ganz einfach abzutun, bloß weil sie einem unbequem ist.

Es ist fraglos anzunehmen, daß die alten Hochkulturen Zusammenhänge wußten, die uns abhanden gekommen sind. Denken Sie allein daran, welche Schätze wissenschaftlicher Erkenntnis beim Brande der Alexandrinischen Bibliothek verloren gegangen sind. Was da verbrannte, waren alte Weisheiten Indiens, Ägyptens, Chaldäas und Griechenlands, Schätze, die in anderer Form wiederzufinden unsere Aufgabe ist, jedenfalls aber Kenntnisse, auf die wir kein Recht haben herabzusehen. Man hat zum Beispiel viel gespottet über ägyptische Astronomie und Astrologie, beachtete aber nicht, daß sie in ihrer Weise richtig, nur eine andere Form waren, die Dinge zu schauen. Wie erstaunlich gerade die Kenntnisse der Astronomie und Mathematik bei den Ägyptern waren, hat erst die neuere Forschung wieder erwiesen. So hat unter anderen Professor R. Hennig kürzlich darauf aufmerksam gemacht, welch ein Wunder mathematisch-astronomischer Erkenntnis der Bau der Cheopspyramide ist. Nicht nur ist sie im Verhältnis der Zahl π erbaut, die somit den Ägyptern bekannt und noch genauer errechnet war als uns geläufig, sie steht auch auf dem Schnittpunkt des Längengrades und des Breitengrades, die die meisten Landflächen und die wenigsten Wasserflächen berühren, und der Gang in ihr Inneres trifft in seiner Verlängerung genau auf die Stelle des Himmels, wo zur Zeit der Pyramidenerbauung der Himmelspol war, nämlich auf einen Stern im Drachen, der um das Jahr 2300 vor Christus der Polarstern war.

Es hat eben immer sehr tiefgehende Naturerkenntnisse gegeben zu allen Zeiten – und damit komme ich auf das Gebiet der höheren Esoterik und des sogenannten Logenwesens, das ich in meiner heutigen Einführung nur streifen kann, und auf das ich im nächsten Vortrag weiter eingehen werde. Es gab zu allen Zeiten Menschengruppen, die sehr große Kenntnisse besaßen und sie verwalteten und überlieferten zum Wohle der Allgemeinheit. Eine große Kette führt uns vom Untergang der Atlantis, von der ersten historisch faßbaren Zeit, vom Indien des Rama und Krischna nach Chaldäa und zum Hermes Trismegistos Ägyptens, über Moses und Orpheus zu Pythagoras und Plato, vom Mysterium von Golgatha zum Gral, dessen Vorläufer im Kesselkult der Ceridwen der Druidischen Mysterien sich vereinigt in den Templern und der Parsifalüberlieferung und hinführt über Hochgradmaurer und Rosenkreuzer bis zu den ähnlichen Gruppen der heutigen Zeit. Es ist wertvoll, festzustellen, daß jene Erkenntnisse im Grunde stets die gleichen waren, nur verschieden in ihrer Ausdrucksform und im Grade ihrer und der allgemeinen Evolution, niemals aber verschieden in ihren ersten Bausteinen, denn Naturerkenntnis mit Einschluß der übersinnlichen Welt ist eben etwas, was nicht beliebig geändert werden kann, es ist Religion im tiefsten Sinne, und deshalb gibt es auch in dem Sinne nur eine Religion, so viele Kirchen es auch gegeben hat und gibt. Gewiß eine sehr vielen unbequeme, aber darum nicht minder wahre Tatsache.

Diese Kenntnisse der Gruppen oder Logen, wie Sie es nennen wollen, wurden streng geheim gehalten. Es geschah das nicht aus Geheimniskrämerei, und Sie müssen dabei nicht an die rituellen Spielereien vieler kleiner Logen der Gegenwart denken, sondern man suchte die Menschen sehr sorgfältig aus, die ein solches Wissen vertragen konnten und die fähig waren, es anzuwenden ohne Eigennutz und Selbstzwecke. Mag das nicht immer erreicht worden sein – uns geht hier nur das Prinzip an, das es erstrebte. Man lernte gewaltige Naturkenntnisse kennen, deren Anwendung zum Guten oder Bösen eine sehr einschneidende Frage sein konnte. Sie sehen hier bereits berührt den Unterschied zwischen weißer und schwarzer Magie, die sich beide durch die Geschichte der ganzen Menschheit hindurchziehen und wahrhaftig kein Phantom sind. Auch heute nicht, denn gerade in dieser Weltkatastrophe sind unheimliche Mächte am Ruder gewesen und sind es eben noch. Daran wird nichts geändert dadurch, daß die materialistische denkende Menschheit die Puppen des Staatslebens für die wirklichen Drahtzieher hält. Man bekommt schon manchesmal ein Gefühl, wie es der Reiter über den Bodensee hatte, wenn man diese Dinge kennen lernt. Das Geschehen der heutigen Zeit ist aber viel zu einschneidend, als daß man noch bequeme Vogel-Strauß-Politik treiben und, aus bewußter oder unbewußter moralischer Feigheit heraus, alles Übersinnliche zu leugnen versuchen könnte. Mit dem »Skeptizismus der Ignoranz«, wie ihn Schopenhauer nennt, ist die Gegenwart nicht mehr zu erfassen.

Im übrigen aber kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß man aufhört zu fürchten, was man erkennt. Das menschliche Leben ist nun doch nicht so grauenvoll, als es oft erscheinen mag, und ganz gewiß nicht so öde, als es der Materialismus darstellt. Der Gang zu diesen Erkenntnissen ist der Gang zum anderen Ufer, und ich sagte Ihnen schon einmal, daß es der Gang ist zu Ihrer aller Heimat, zur Wiege der Menschheit. Ich will Ihnen im Anschluß hieran im nächsten Vortrage ein Bild dessen geben, was man unter Initiation, unter Einweihung verstand und versteht, und will versuchen, Ihnen zu schildern, welche Aufgaben solch durch die Einweihung gegangenen Menschen und die von ihnen geführten Gruppen erfüllten oder noch zu erfüllen haben. Denen, die alle diese Dinge für absurd halten und gerne glauben möchten, daß der ganze Okkultismus eine Beschäftigung für Obskuranten sei, möchte ich noch sagen, daß sie sich in der Mystik in bester Gesellschaft befinden werden – und ich nenne Ihnen beispielweise nur die Namen von Ovid, Vergil, Shakespeare, Dante, Leonardo da Vinci, Milton, Goethe und Novalis. Wirkliche Religion, wirkliche Kunst und wirkliche Wissenschaft, jedes unendlich selten, sind immer im Grunde eines gewesen und werden immer eines sein.

Ich habe versucht, Ihnen heute eine flüchtige Einführung in das Gebiet des Okkultismus zu geben, Ihnen gleichsam nur die Vorbedingungen für das weitere zu schaffen. Die nächsten Vorträge werden an interessanten Daten sicher mehr bringen können, da ich dann in der Lage bin, die einzelnen Gebiete sorgfältiger zu behandeln, so daß Sie, wie ich hoffe, einen gewissen Überblick über das Ganze gewinnen, der, ohne erschöpfend sein zu können, doch ausreichen wird, Sie Ihre eigenen Wege aus eigener Wahl heraus gehen zu lassen. Die rein wissenschaftlichen Daten, die ich Ihnen heute gab, sind eine gute Vorbereitung für die Erörterung der sogenannten niederen Magie, von der auch heute alle Welt noch voll ist, während die Beispiele höheren Denkens, die wir berührten, die richtige Gesinnung für die Initiationsbegriffe bilden. In diese werde ich Sie einführen an der Hand des Schlafes, den ich beim nächsten Male erklären werde. Sie haben in ihm einen der wichtigsten Schlüssel zur übersinnlichen Welt, denn er ist ja der Zustand des Menschen, der sich bisher der Erforschung der verstandesgemäßen Wissenschaft entzogen hat, und der doch die Hälfte des menschlichen Lebens umfaßt. Wo sich der Mensch im Schlaf, also während der Hälfte seines Lebens befindet, vermag Ihnen keine materialistische Wissenschaft zu sagen, und hier befindet sich die Pforte zur Einweihung, zur Initiation. In ihm liegt »unseres Seins verhangene Tempeltüre«.


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