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Es erscheint vielleicht verfrüht, jetzt schon vom Begriff der Initiation und den sogenannten Logen zu sprechen, anstatt langsam von den wissenschaftlich noch faßbaren Vorstellungen der niederen Magie zur höheren Esoterik emporzusteigen. Aber für die Erklärung niedermagischer Phänomene ist eine gewisse, wenn auch begrenzte Terminologie unentbehrlich, die ohne eine allgemeine Übersicht über das Gebiet des Logenwesens schwer verständlich sein würde. Daher will ich, nachdem ich das vorige Mal schon den Schlaf als Eingangspforte einer höheren Wahrnehmung gekennzeichnet habe, heute eine allgemeine Einführung in die höhere Esoterik geben, die freilich erst nur in Umrissen gezeichnet, im Verlauf der weiteren Vorträge ausgebaut und erweitert werden soll. Wenn wir heute von sogenannten Logen sprechen, so müssen wir uns darüber klar sein, daß sie nicht mehr den gleichen Charakter der früheren Zeiten, die Prägung wirklicher Geheimschulen haben. Sie sind zumeist kaum mehr als Vereinigungen mit ethischen und humanitären Zielen, und ihr eigentliches Geheimwissen ist mit wenigen Ausnahmen ein begrenztes. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß es nicht auch heute, nur eben sehr viel weniger sichtbar und zahlreich, Geheimschulen gibt, die über sehr umfangreiche Kenntnisse und Erkenntnisse verfügen. Was aber bei den heutigen Logen, den Resten früherer wirklich wissender Genossenschaften, noch heute interessant ist, ist ihre reiche Symbolik, auf die sich allerdings vielfach das ihnen eigene esoterische Moment beschränkt – ja, viele Angehörige solcher Logen wissen nicht einmal mehr die Bedeutung der Riten und Symbole, mit denen sie sich umgeben und sprechen ihnen kaum mehr als eine nur traditionelle Wertung zu. Es scheint mir jedoch ungerecht, diese Symbolik, die vielfach, ohne ihren Sinn zu kennen, angewandt wird, allzu gering zu achten. Gewiß vermittelt sie keine eigentliche Kenntnis mehr, aber auch jetzt ist sie nicht ohne Wirkung, wie jeder Ritus, der, einer geistigen Wahrheit entsprechend, gewohnheitsgemäß und gedankenlos mitgemacht wird. Ein kleines Kind wird auch gedanklich keine Unterschiede angeben können zwischen Kunstwerken Rembrandts und Raffaels und irgendwelchen bösartigen Reklameplakaten oder unkünstlerischen Öldrucken – aber gewiß ist es nicht ohne Belang, ob eine Kinderstube mit dem einen oder anderen geschmückt ist, ob eine Kinderseele im Unbewußten künstlerische oder unkünstlerische, oft vielleicht verzerrte Eindrücke in sich aufnimmt. Eine ähnliche Wirkung kommt auch den Riten und Symbolen zu, mit denen man sich umgibt. Der mit solchen Symbolen gerne getriebenen Geheimnistuerei soll man freilich ablehnend gegenüberstehen und den angeblichen Kenntnissen solcher Geheimniskrämer möglichst skeptisch begegnen.
Es gibt im ganzen Okkultismus tatsächlich keine Geheimnisse als die des Nichtverstehens. Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß man einem Anfänger in der Chemie nicht gewisse Fragen erklären kann, die sein weiteres Studium erst voraussetzen – genau den gleichen Fall haben Sie im sogenannten Geheimwissen vor sich, das nur darum und nur so lange geheim ist, als Sie sich nicht gewisse Kenntnisse aneignen, die als Vorkenntnisse zu den von Ihnen gestellten Fragen und Problemen erforderlich sind. Freilich handelt es sich hierbei im Unterschied zu einer im physischen Sinne realen Wissenschaft nicht nur um Kenntnisse, sondern um Erfahrungen, um Dinge, die erlebt sein wollen. Man kann wohl einem Kinde von zehn Jahren den Begriff der Liebe mehr oder weniger glücklich definieren, aber es wird doch bloß eine theoretische und sehr unzulängliche Vorstellung bleiben, bis das Kind nicht als Erwachsener in das Liebesleben durch eigene Erfahrung eingetreten ist. Ein zweiter Einwand, der dem sogenannten Geheimwissen häufig gemacht wird, ist der, daß es Gefahren in sich berge, die Gesundheit und Seele des Menschen zerrütten können. Auch hierbei können sie das chemische Studium als Parallele heranziehen. Gewiß gibt es sehr wesentliche Gefahren überall da, wo es sich um eine Erweiterung der Naturerkenntnis und ihrer Kräfte handelt, in der Chemie so gut wie in der Geheimwissenschaft. Wenn jemand ohne genügende Vorkenntnisse in einem chemischen Laboratorium auf eigene Faust Experimente anstellt, so kann und wird er sich und andere höchstwahrscheinlich schwer gefährden. Daraus zu folgern, daß die Chemie als Forschungsgebiet verwerflich sei, wäre sehr naiv. Schließlich wohnen bei aller Kenntnis und Forschung Arzneien und Gifte in engster Nachbarschaft bei einander.
In den heutigen Logen wird übrigens nur noch wenig übersinnliche Forschung getrieben, auch in den anerkannten nicht, die in geringer Zahl, auf ihren alten Traditionen fußend, den zahllosen nicht anerkannten gegenüberstehen, die mehr Spielerei als Loge sind. Immerhin kann man annehmen, daß in den Bibliotheken der anerkannten Logen viel wertvolles Material auf dem Gebiet der Geheimwissenschaft zu finden ist. Es ist auch kein Grund, von dieser Annahme abzusehen, wenn die Angehörigen solcher Vereinigungen, die ich näher natürlich nicht bezeichnen möchte, jede übersinnliche Forschung oder geistige Welt überhaupt in Abrede stellen. Man muß dabei berücksichtigen, daß viele Logen heute sogenannte Parolelogen sind, das heißt solche, die ihre Teilnehmer verpflichten, aus irgend einem Grunde gewisse Ansichten zu propagieren und gewisse Kenntnisse zu verneinen. Es braucht dies nicht stets unethischen Motiven zu entspringen; man hält vielleicht bei der Entwicklung der Jetztzeit diese oder jene Idee, obwohl an sich richtig, für gefährlich oder entwicklungsfeindlich aus einer Art von ethischer Politik heraus. Ich persönlich bin der Ansicht, daß diese Anschauung, die früher vielfach nicht unberechtigt war, sich mit der heutigen menschlichen Moral nicht mehr verträgt. Auch innerhalb der einzelnen Logen spielt die Frage, wieviel und was man von den sonst geheim gehaltenen Kenntnissen einer Allgemeinheit heute freizugeben habe, eine große Rolle und führt zu Spaltungen und Parteien innerhalb der gleichen Gemeinschaft. Außer dieser ethischen oder nichtethischen politischen Erwägung war und ist das Prinzip der Paroleloge vielfach, daß eine Waffe weit gefährlicher und wirksamer ist, wenn man sie verbirgt, als wenn man sie offen zeigt und sich zu ihr bekennt. Im allgemeinen muß man sich unter einer Loge, um einmal ihrem wirklichen Begriff näherzukommen, nichts anderes vorstellen, als eine Bibliothek, zu der man einen Schlüssel erhält, den man vorher nicht hatte. Man kann aber in solcher Bibliothek sehr verschiedene Resultate zeitigen, man kann in ihr arbeiten oder schlafen. Das wird jedem überlassen. Der wirkliche Okkultismus darf nie enthüllen, sondern nur Wege weisen, die zu eigenen Erfahrungen und Erlebnissen führen.
Die Frage nun, inwieweit gewisse Kenntnisse oder Anweisungen freigegeben werden sollen, ist keine unwichtige in einer Zeit, in der die Rettung einer versinkenden Kultur davon abhängt, ob die Menschheit aus den Materialismus der letzten Jahrzehnte herausfindet und den Angelpunkt der Moral, daß es ein jenseitiges Leben, ein über dem physisch Wahrnehmbaren vorhandenes Dasein gibt, wieder zu ergreifen imstande ist. Es wird gewiß nicht zu vermeiden sein, alte Erkenntnisse früherer Hochkulturen in unsere jetzige absteigende Entwicklungsepoche wieder hineinzuwerfen, ganz abgesehen davon, daß in der heutigen Kulturkatastrophe ein Teil der Menschen selbst im Innersten danach verlangt, weil er eingesehen hat, daß die Ereignisse unserer Tage mit ihrem grauenhaft gewaltigen Ausmaß der Zerstörung rein verstandesgemäß mit den bescheidenen Resultaten unserer Forschungen nicht mehr erklärt werden können. So wird die Richtung der Freigabe gewisser sonst geheim gehaltener Erkenntnisse sicher siegen und sich immer mehr durchsetzen, aber die Frage, bis zu welchem Grade man darin gehen soll und welche Form die jeweilig geeignetste sein dürfte, wird sehr verschieden beantwortet werden müssen. Man muß sich auch durchaus klar darüber sein, daß man gewisse Gefahren damit in den Kauf zu nehmen hat. Ich meine hier weniger wirklich gefährliche Kenntnisse geheimer Kräfte, die es allerdings gibt, denn zu diesen gelangt man nicht so bald und leicht und jedenfalls nicht auf dem bequemen Wege einer Enthüllung oder einer freigegebenen Kenntnis. Aber nicht immer vermeidlich ist die Gefahr eines Dünkels und Hochmuts, der sehr leicht bei kleinen und darum unbescheidenen Geistern einsetzt, wenn sie ein Wissen erfahren, von dem sie annehmen, daß es noch nicht Allgemeingut ist. Es schadet einer Idee, wenn in und mit ihr sozusagen ständig das Kapitol gerettet wird, es diskreditiert wichtige Impulse des Fortschritts, wenn man allerlei Unsinn von ihnen behauptet, der mißverstanden und entstellt wiedergegeben und weitergetragen wird. Allzuleicht begegnet man dann statt dem Götterbilde seinen Karikaturen, und ich selbst bin der Ansicht, daß zwar gewisse Elementarbegriffe der Esoterik heute soweit als möglich wieder erweckt werden sollen, daß man aber mit den schwierigeren Fragen und verzweigten Details doch sehr vorsichtig sein und hierin nur gradweise und streng individuell vorgehen sollte.
Ich habe gute Ideen und deren Träger weit häufiger in Schutz nehmen müssen gegen den Unsinn ihrer Anhänger als gegen die Angriffe ihrer Gegner. Jeder logische Angriff läßt sich entwaffnen auf der Grundlage des Tatsächlichen, aber Dünkel und Irrtum lassen sich schwer aus der Welt schaffen, ohne oft eine Idee auf lange Jahre hinaus begraben zu haben. Die alten Logen wußten also schon sehr gut, warum sie das Schweigegebot so streng aufrecht hielten, und wenn wir das heute auch nicht mehr tun können und sollen, so wäre auch heute mancher guter geistigen Bewegung sehr gedient gewesen, wenn ihr Führer sich genauer seine Anhänger angesehen hätte, ehe er ihnen Dinge enthüllte, für die sie keinerlei Vorkenntnisse mitbrachten. Das Resultat dieses nicht gradweise, sondern wahllos vorgehenden Verfahrens ist meist ein einseitiger Fanatismus, der die Erkenntnis zum Dogma versteinert und an Stelle einer lebendig und organisch sich entwickelnden geistigen Kultur eine kirchliche Institution schafft, die, auf blindem Autoritätsglauben fußend, eher kulturfeindlich als fördernd wirkt. Mit irgendwelchem Sektierertum, welcher Prägung es auch sei, ist unserer Zeit nicht gedient. Nicht das Verketzern anderer und das Schwören auf eine einzige Person oder Lehre kann eine neue Kultur anbahnen, sondern lediglich das Erkennen und hineinwachsen in eine geistige Welt von jedem einzelnen aus, eine Welt, die als vorhanden erlebt, nicht geglaubt werden darf.
Wenn ich nun zum Begriff wirklicher Esoterik übergehe, will ich vor allem vorausschicken, daß es eine solche stets gegeben hat und daß wohl die Ausdrucksform je nach der Stufe des Volkes und nach Prägung der Zeit eine verschiedene gewesen ist, ihre Grundlage aber stets die gleiche war. Mit kurzen Worten: es hat viele kirchliche Systeme gegeben, aber es gab und gibt nur eine einzige Religion. Eine wirklich vom Geist des Göttlich-Menschlichen getragene esoterische Forschung darf darum auch nie aus den Augen verlieren, daß sie nicht die Verschiedenheiten der religiösen Systeme zu suchen und zu finden hat, sondern ihre Gemeinsamkeiten, ihre verbindenden Brücken, die dann ihrerseits eine einzige Brücke bilden zur geistigen Welt. Nie kann man das Wesentliche eines Landes anders schildern als es ist, mag man es auch noch so persönlich in Einzelheiten schauen – genau so wenig kann man die geistige Welt, wenn man sie als Realität betreten hat, anders sehen, im wesentlichen wenigstens, als sie die sahen, die vorher ihren Fuß an dieses ferne Ufer setzten, oder als es die sehen werden, die einst nach uns dieses Ufer betreten. Den Gang zu solchem Ufer, zum Reich der Gedanken in ihrer greifbaren Wirklichkeit darf man freilich nicht messen mit der niedersten Form menschlichen Denkens, dem Verstande. Es handelt sich hier um ein höheres Denken, ein erahnendes, intuitives, das zum Beispiel der Kunst eigen ist, deren Schaffensmysterium ja auch niemals mit dem gewöhnlichen Verstande auch nur annähernd begriffen werden kann. Darum ist auch die Kunst aller Zeiten verwandt in sich und reicher an esoterischen Erkenntnissen bewußter oder erahnter Eigenart, als man im heute beliebten analytischen, kunst- und intuitionsfernen Denken annehmen möchte. Die Kunst ist ein Glockenguß aus dem Geistigen ins Materielle oder wenigstens Seelische hinein, aber solch ein Glockenguß, daß eine Glocke, wenn sie klingt, im Unter- oder Überbewußten lange vergessene, aber einst gehörte Glockenklänge weckt, die um Geistigen beheimatet, hier nur in umgeprägter Form der Erinnerung des Anklanges hörbar gemacht werden können durch künstlerische Intuition gepaart mit künstlerischer Schaffenskraft in ein Stoffliches hinein.
Wenn nun das Leugnen solchen Denkens und solcher Esoterik notwendig zu Beschränktheit und verstandesgemäßer Kleinheit führen muß, so muß man anderseits auch vor einer Gefahr warnen, die eine esoterische Erkenntnis in sich schließen kann. Auch sie darf, als intuitives Schauen oder Denken, nie verstandesgemäß aufgefaßt werden, sonst führt auch sie, wie die bescheidenere analytische Gedankenschwester, zum Dünkel, und zu fanatischer Enge des Horizonts. Viele Sekten sind traurige Beispiele solcher verkümmerten Esoterik. Es ist gewiß interessant und für viele lehrreich, eine Blume rein vom botanischen Standpunkt kennen zu lernen, aber wenn man darüber verlernt, ihren Schönheitswert, die Andacht vor ihrem ethisch-ästhetischen Wesen einzubüßen, so wäre es besser gewesen, man hätte sich niemals mit Botanik befaßt. Gewiß sind in einer Pflanze genau greifbare Strukturen, feststellbare Staubfäden usw. enthalten, aber eine Anzahl von Staubfäden sind noch lange keine Blume, die lebt und atmet und Geheimnisse birgt, die sich nur dem dichterischen Erleben im Menschen offenbaren. Allzuleicht, leichter noch als in der physischen Wissenschaft, werden hier Wege zu Irrwegen und lebendige Straßen des Lebens zu toten Kenntniskammern. Weder esoterische noch exoterische Kenntnisse dürfen eben zu doktrinärem Dünkeltum führen.
Ich sagte schon, daß es zwar viele verschiedene religiöse Systeme gibt und gegeben hat, aber nur eine einzige Religion, die allen diesen verschiedenen Äußerungsformen in ihrem Kern gemeinsam ist. Man hat aus Gründen der jeweiligen Entwicklung der Menschen oder noch viel häufiger aus Gründen reiner Machtpolitik die Verschiedenheiten dieser Religionssysteme betont und ihre Gemeinsamkeit verschleiert. Tatsache ist jedenfalls, daß die eigentliche Geheimlehre, die zu allen Zeiten für gewisse Auserwählte der Priesterschaft mit derjenigen der Kirche parallel lief, stets und bei allen Systemen mit sehr geringen Unterschieden die gleiche war. Man kann eben ein Land nicht anders schildern, als es ist, – ich möchte hinzufügen, daß sogar die niedersten Formen der Magie, also des Eintritts in das Gebiet des Übersinnlichen, bei den verschiedensten, ja oft geradezu heterogenen niederen Völkerschaften stets die gleichen oder zum mindestens aufs äußerste ähnlichen Resultate zeitigen. Berücksichtigen muß man freilich auch hier, daß Ereignisse, Tatsachen der geistigen Welt auch ihrer Entwicklung unterliegen und erst dann als solche geschaut werden können, wenn sie eingetreten sind. So ist das Ereignis von Golgatha in der vorchristlichen Esoterik als vorgeschaute Tatsache, in der christlichen als Wirkung übende, bereits vollzogene Tatsache zu finden.
Jene Geheimlehren nun, die allen Religionssystemen gemeinsam waren, sind nur gewissen Auserwählten nach sorgfältiger Vorbereitung zuteil geworden – sie bestanden in Überlieferungen teils mündlicher, teils schriftlicher Art, die von Jahrtausend zu Jahrtausend weitergegeben wurden. Die hierauf bezüglichen schriftlichen Aufzeichnungen sind sämtlich sogenannte Schlüsselbücher, daß heißt solche, deren eigentliches Verständnis erst dem ganz aufgehen konnte, der den Schlüssel zu ihren Worten auf diese oder jene Weise erhalten hatte. Solche Schlüsselbücher sind die indischen Upanischaden mit ihrem vielleicht wichtigsten Teil, der Bhagavadgita, das ägyptische Totenbuch, das Alte Testament, die jüdische Kabbala, das Neue Testament, die Philosophien der sogenannten Eingeweihten, wie Buddha, Plato, Theophrastus Paracelsus, Agrippa von Nettesheim, Jakob Böhme und Angelus Silesius. Sie alle bilden eine Kette gemeinschaftlicher Begriffe und Realitäten in verschiedener Prägung, und es ist kein Grund dagegen, wenn Uneingeweihte vieles in diesen Werken absurd oder zum mindesten dunkel nennen. Teils liegt eine solche Dunkelheit darin, daß gewisse Erkenntnisse, wie ich ausführte, Vorerkenntnisse voraussetzen, teils ist eine bewußte Verschleierung, die nur dem Geprüften enthüllt wurde, vorgenommen worden, um Unberufene davon fernzuhalten. Es muß hierbei nämlich deutlich betont werden, daß in der Kenntnis der höheren Esoterik tatsächlich ein gewaltiges Stück unbekannter Naturerkenntnis enthüllt wird, dessen Mißbrauch durch solche, die ethisch oder geistig der damit verbundenen Machtversuchung nicht gewachsen sind, durchaus ferngehalten werden muß.
Auch in der Dichtkunst, die von allen Künsten von jeher am meisten Träger priesterlicher Erkenntnis war, können sie eine Kette von Werken namhaft machen, die in sich übereinstimmen, so verschieden sie sonst sein mögen. Ich nenne hier von mehr oder weniger bewußt Initiierten nur die Namen: Ovid, Vergil, Dante, Milton, Shakespeare, Goethe, Novalis. Überhaupt bildet ja nicht willkürliche Phantasie die Kunstwerke und am wenigsten die der Dichtung. Rückerinnern, Wiedererleben und Umwerten geistiger Welten, das Erkennen ihrer Vorbilder in den Nachbildern des Irdischen sind die Kräfte, aus denen geistige Wirklichkeitswerte geboren werden. So auch entstehen Märchen, und darum gibt es so wenig echte Märchen und echte Märchendichter – gerade beim Märchen, beim kindlichen Urbild der Natur, kann man sofort erkennen, ob es aus geistiger Realität geschaffen wurde, oder ob es nur ausgedachte Spielerei ist. All dies Schaffen entspringt dem Heimweh nach einer geistigen Heimat, nach einem verlorenen Paradies – »du bist, Orplid, mein Land, das ferne leuchtet« – wie Mörike es so wundervoll ausgedrückt hat. Das ergibt nun diese Gemeinsamkeit alles geistigen Schaffens, mag es mehr oder weniger bewußt, mehr oder weniger verschieden in Artung und Form sein, ergibt auch das, worin der Nichtskönner und nur Kritisierende so häufig geistferne nur Anlehnung sieht. So kann man erkennen, daß in der geistigen Welt die gleichen Wirklichkeiten geschehen, oft die gleichen Worte abgelesen werden können zu sehr verschiedenen Zeiten von einer wirklichen Intuition. Ähnliche Verwandtschaft der religiösen Systeme läßt sich an ihren fast durchweg gemeinsamen Symbolen feststellen. All diesen Symbolen liegen sehr greifbare und tatsächliche Begriffe zugrunde, und man könnte sich allein mit ihnen auf dem gleichen Boden finden bei gleicher Vorbereitung und gleichem Grade der Einweihung. Überall sind hier Geheimnisse enthalten, die nur geheim scheinen, aber mit wissenden oder ahnenden Augen abgelesen werden gleichsam aus dem Buche der Schöpfung. Ich wies schon auf die Gemeinsamkeit und das hohe Alter der verschiedenen Kreuzformen hin und erwähnte auch in diesem Zusammenhang noch das Pentagramm, das Fünfeck, das Sie bei den verschiedensten Völkerschaften als magisches Zeichen vorfinden können. Ohne weiter in seine tiefste Bedeutung einzudringen, mache ich Sie nur darauf aufmerksam, daß der Mensch, der sich mit gespreizten Beinen fest auf beiden Füßen auf die Erde stellt, die Arme seitwärts waagerecht ins All hinausstreckt und den Kopf aufrecht dem Himmel zu richtet, ein Pentagramm in seiner Gestalt ergibt. Diese Einstellung des Menschen, die sich ja leicht deuten läßt, gilt als Zeichen der weißen Magie, während dasselbe Pentagramm mit der Spitze, also dem Kopf nach unten, schwarze Magie bedeutet, die die Kräfte des Menschentums in verkehrter, auf den Kopf gestellter Richtung geltend macht. Oft begegnet man diesem Symbol aufrecht mit dem Zeichen des Kreuzes auf der Spitze oder im mittleren Felde, um die Durchchristung, die Vergottung des menschlichen Ichs darzutun, während das gleiche Zeichen ohne Kreuz oft als Hexenzeichen, als Drudenfuß gilt, wie ja auch dem menschlichen Ich die Neigung nach unten und nach oben im wechselnden Kampf gleichmäßig innewohnt. Interessant ist es, daß der kommunistische Terror in Rußland den roten Stern im Fünfeck als sein Zeichen wählte, durchaus unbewußt, denn er war und ist völlig materialistisch orientiert. Aber hier stand der Stern meist ganz auf dem Kopf oder zum mindesten schräg, ganz konform den hohen menschlichen Ideen, die hier als materialistisches Zerrbild ihrer selbst sich auswirkten. In manchen Logen ist es heute noch gebräuchlich, die offizielle Aufnahme des Novizen in einem Sarge zu vollziehen, ein Symbol und kaum mehr, aber ein Symbol von großer Bedeutung, wie Sie später sehen werden, wenn ich bei Besprechung der Einweihung näher auf die altägyptische Initiation eingehen werde. Überhaupt stehen alle Riten und Symbole in engster Verbindung und auch sie bilden eine Kette, eine Reihe von Fußspuren menschlichen Geschehens, die auf einsamem Wege zu entziffern der Mühe lohnt. Ähnliche Mysterien finden Sie in der Sprache, die, abgesehen von dem gewaltigen Zauber ihrer sprachmusikalischen, nur vom Dichter zu gestaltenden Wirkung, Geheimnisse in sich birgt, die wieder auf Gemeinsamkeiten aller menschlichen Entwicklung hinweisen. Ich will hier als Beispiel nur die Verwandtschaft der Namen Jahve und Jesus mit dem Worte Ich erwähnen, das in fast allen Sprachen eine interessante Parallele aufzuweisen hat: deutsch Ich, englisch I, französisch Je (wenn man vom alleinstehend gebräuchlichen Moi absieht), schwedisch Jig, russisch , griechisch εγω, lateinisch ego. Nicht ohne Interesse ist auch das Symbol des Fisches, das im ersten Christentum, besonders dem der Katakomben, eine so große Rolle spielte. Das griechische Wort für Fisch ist ιχθυσ, und seine einzelnen Buchstaben ergeben den Namen Christi in der bekannten Fassung: υιοσωτηρ, (Jesus Christus, Gottes Sohn, der Retter).
Ich erinnere ferner an den Mithraskult in Persien, dessen Stiersymbol sich vielfach auch in ganz anderen Ländern findet, an die gleichen Parallelen des Widdersymbols, dem wir so oft in Ägypten begegnen– ich erwähne nur die berühmte Widderallee von Karnak – und dem wir vielfach auch anderswo Bedeutung zugemessen finden, wie beispielsweise in der Vision Daniels, im goldenen Vließ der Griechensage usw. Überhaupt sind die Volkssagen durchaus jenen geheimen Schlüsselbüchern ähnlich und verwandt und auch ihre Symbole und Geschehnisse sind Gleichnisse großer und geheimer Evolutionsbegriffe der Menschheit und des kosmischen Lebens. Das Märchen, der Sage eng verschwistert, hat sein eigenstes Sondergebiet, und ich möchte es daher an dieser Stelle nur flüchtig streifen. Erinnern aber will ich auch hier gelegentlich der Sage an gewisse Gemeinsamkeiten, die keineswegs ohne Bedeutung sind, zum Beispiel an die Äpfel der Hesperiden in der Herkulessage, an die gläserne Apfelinsel Avalon des Druidenkultes der Kelten, an Schneewittchen, das sowohl den Apfel wie den gläsernen Sarg kennt, und diesen Dingen näher steht, als man bei oberflächlicher Betrachtung in einem den meisten nur niedlich scheinenden Märchen vermuten sollte. Ich darf hier hinzufügen, daß alles Gläserne das bedeutet, was hinter der Pforte des Todes liegt, keineswegs damit ohne weiteres die höhere geistige Welt, aber jene Schwelle, die sich hinter dem physischen Leben auftut. Auf die Bedeutung des Wortes wies ich bereits schon einmal hin und will im Anschluß an Sage und Zauberritus nur noch auf die Handhabung des Wortes auch hierin aufmerksam machen. Gewisse Buchstaben und Laute hatten stets ihre allgemeingültige Bedeutung, verankert mit Ursachen geistigen Erkennens, das stets gemeinsam war. So war vor allem die Sprache eines der gewaltigsten Mysterien der alten Zeiten, die Sprache nicht nur als Ausdruck der Volksseele, sondern auch als Schlüssel jener Gemeinsamkeit, die unter den Volksseelen im rein Menschlichen wurzelt und allen Völkern und Menschen gemeinsam als damals noch allbekannte, heute wohl nur dem dichterisch veranlagten Menschen faßbare Realität galt. Sie brauchen hierbei nur an die bekannten Merseburger Zaubersprüche zu denken, mit ihrer auch anderen mystischen Dichtungen gemeinsamen Alliteration.
Es gibt naturgemäß kein eigentliches Buch, das restlos in Begriff des Logenwesens und der Einweihung einzuführen imstande wäre. Dem unvorbereiteten Leser fehlen hier allzuviel Vorbedingungen, die nun einmal, dem Wesen der ganzen Sache gemäß, erst erfüllt werden müssen. Eine solche Einführung kann kaum mehr geben, als einen sehr allgemeinen Charakter dieser Dinge, eine Art von geistiger Gesinnung, bei deren Aneignung man gewisse Geschehnisse mit besonderen, bisher nicht geweckten Augen zu betrachten beginnt. Eine solche Einführung, die sich auf der Grundlage der künstlerischen Stimmung, der dichterischen Schilderung aufbaut, ist vielleicht vorerst einmal die günstigste, denn es handelt sich um Erweckung intuitiven Schauens und Denkens, und solch eine Einführung bietet das oft von mir empfohlene Buch »Les grands initiés« von Edouard Schuré, das in einer vorzüglichen deutschen Übersetzung zu haben ist. Schuré entwickelt hier in äußerst feinen und plastisch gestalteten Bildern die Persönlichkeiten der großen Menschheitsführer von Rama an über Krischna, Hermes Trismegistos, Moses, Orpheus, Pythagoras und Plato zu Jesus. Diese Kette ist keine vollzählige, Zoroaster zum Beispiel ist nicht darin enthalten, und es fehlt die weitere Entwicklung zum Gral, dessen Vereinigung mit den germanischen und druidischen Mysterien, dem Kessel der Ceridwen, Merlin bis zu den Templern, Rosenkreuzern und Maurern. Aber seine ganze Handhabung der Materie, besonders seine schönsten Abhandlungen über Krischna und über Pythagoras und dessen Zahlenmystik, geben dem, der verstehen will, schon ein gut umrissenes Bild dessen, was man unter Logenwesen und Einweihung verstehen soll. Das Kapitel über Christus ist nicht das stärkste, aber der Begriff einer Geheimschule läßt sich am Buche von Schuré besonders für den Unvorbereiteten genugsam erfassen. Speziell sein Kapitel über Pythagoras, der ihm geistig besonders nahesteht, ist hierfür mustergültig, und welch große Bedeutung in kosmischer Beziehung die Zahlenmystik dieses Eingeweihten hatte, davon haben wir eine schwache Vorstellung bereits erhalten bei Erwähnung der Berechnungen von Dr. Wilhelm Fließ.
Ich will nun auf die Einweihung als solche zu sprechen kommen, die zu allen Zeiten sehr verschieden vorgenommen worden ist, deren Bedingungen und Riten aber genau der jeweiligen Entwicklungsstufe der Menschheit und dem jeweilig erstrebten Ziele ihrer nächsten Stufe entsprachen. Von den vielen Formen solcher Einweihung will ich nur die wesentlichsten namhaft machen: den sogenannten achtgliedrigen Pfad der Inder, die altchristliche Einweihung und die sogenannte rosenkreuzerische Einweihung, deren Erscheinen wir ungefähr seit dem Buche von Andreä, »Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz«, rechnen können. Es würde zu weit führen und ist nicht Absicht dieser Vorträge, auf diese einzelnen Methoden näher einzugehen. Es sei hier nur erwähnt, daß die Forderungen des achtgliedrigen Pfades heute wohl nur dem Asiaten, nicht mehr dem Europäer zugänglich sein dürften. Der altchristliche Weg ist der der absoluten Weltflucht und gefühlsmäßigen Versenkung in gewisse Vorstellungen, wie wir das zum Beispiel bei Franziskus von Assisi noch finden, in höchster Potenz bei seiner Kontemplation auf dem Berge La Vernia und seiner damit verbundenen Begabung mit den heiligen Wundmalen, der sogenannten Stigmatisation, auf die ich später zurückkommen werde. Es liegt auf der Hand, daß auch dieser Weg bei unseren heutigen Lebensformen schwer gangbar sein dürfte und eine solche Weltflucht heute nicht mehr den Forderungen der Ethik und der Mitarbeit am gemeinsamen Aufbau der Menschheit entsprechen würde. Der rosenkreuzerische Weg entstand aus der Notwendigkeit, mit dem immer einseitiger werdenden Verstandesleben zu rechnen und auf der Grundlage des Denkens in besonderer Schulung in diese Gebiete einzudringen. Ein für den Europäer ungefährliche und vorzügliche Einführung in diese Art der Einweihung ist Rudolf Steiners Buch »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten«. Ich möchte aber gleichzeitig davon warnen, sich diesem Wege allzu verstandesgemäß hinzugeben, es kommt dabei allzuleicht ein sehr starres und doktrinäres Denken heraus, das ohne Andacht und Liebe der Allschöpfung gegenüber sich sehr leicht in gefühlskalte Spekulation verklettern kann. Der richtige Mittelweg dürfte hier zwischen dem altchristlichen und rosenkreuzerischen Wege liegen, den ich persönlich für den besten halte. Eine Norm läßt sich freilich nicht aufstellen, es muß schon jeder selbst suchen und das für sich herausfinden, was ihm der geeignetste Weg auf den Gipfel erscheint. Auch hier ist aller Absolutismus vom Übel, es kommt vor allem darauf an, einen Berg zu ersteigen, und auf diesen Gipfel gibt es keinen allein seligmachenden Weg, wie die Anhänger der verschiedenen Strömungen alle gar zu gerne von sich und ihren Führern behaupten. Auch vom achtgliedrigen indischen Pfade läßt sich ethisch und charakterlich eine Menge lernen, auch wenn man ihn in seinen Vorschriften als Europäer heute nicht restlos beschreiten kann. Der rosenkreuzerische Weg soll übrigens nicht verwechselt werden mit dem Illuminatenorden und seinen oft fragwürdigen Erscheinungen. Er bedeutet weniger eine Gemeinschaft als einen Grad, der sich als fraternitas in cruce rosae auch bei ganz anderslautenden Logen findet.
Alle Einweihung lief nun stets darauf hinaus, die Lostrennung des eigentlichen Menschen, seines in den feinstofflichen Leib gefüllten Ichs vom Körper zu bezwecken, und mit dieser Loslösung vom physischen Gefängnis seinen Eintritt in die geistigen Welten zu ermöglichen. Nun geschieht das zwar bei jedem Menschen jede Nacht im Schlafe, auf den ich im vorigen Vortrag als Eingangspforte zum geistigen Dasein verwiesen habe. Aber die Einweihung bezweckte das bewußte Wiedereintauchen in den physischen Körper beim Erwachen, so daß die Erlebnisse in der geistigen Welt während des Schlafzustandes vollbewußt in den Wachzustand mit hinübergenommen werden, wie man sie halbbewußt mit sich nimmt in sogenannten Wahrträumen oder Erlebnisträumen.
Ich sprach hier vom Ich des Menschen, von seinem feinstofflichen Körper, dem sogenannten Astralleib, und will mich vorerst auf diese flüchtigen Definitionen beschränken, die noch sehr viel komplizierter und genauer in der eigentlichen höheren Esoterik ausgebaut werden. Aber diese wenigen Begriffe erscheinen mir vorerst genügend, um eine gewisse Ihnen leicht faßliche Terminologie festzulegen, auf der ich fußen kann bei Auseinandersetzung der wissenschaftlich näherliegenden und leichter zugänglichen Gebiete der niederen Magie, des Spiritismus, des Hellsehens usw. – Es soll damit gewiß nicht verlangt werden, daß Sie diese Dinge nun als gegeben betrachten, aber ich muß irgend eine Erklärungsmöglichkeit festlegen, bevor ich Sie zu den Tatsachen der akademischen Wissenschaft führe, die vorerst eine Feststellung, aber keine Erklärung der okkulten Phänomene gefunden hat.
Ich werde in den folgenden Vorträgen mich durchaus auf den Boden der heutige Wissenschaft stellen, habe aber gerade diesen Vortrag über die Einweihung vorweggenommen, weil ich alle Resultate der akademischen Forschung, die ein äußerst reiches und interessantes Feld darbieten, nur mit den hier erst einmal angenommenen Begriffen vom menschlichen Ich und dem Astralleib werde erklären können. Diese einer früheren Zeit sehr begreifliche Terminologie ist, wie Steiner geistvoll bemerkt, verwischt worden durch das achte ökumenische Konzil 869, das das Wesen des Menschen aus Seele und Leib bestehend festlegte im Gegensatz zu der früher zur Geltung gelangten Einteilung in Geist, Seele und Leib – ψυχη λογικη–λογικη αλογοσ –σωμαDiese zu Nicäa 325 festgelegte Dreiteilung des Menschen ist, abgesehen von weiterer Einzelgliederung, auf die ich hier nicht unnötig eingehe, noch heute die geltende in jeder Esoterik. Die Seele allein bedeutet, daß der Mensch nie über seine Gefühlswelt sich erheben könnte, wie es manchen kirchlichen Systemen nicht unbequem sein mag. Diese Leugnung des Geistes, der über alle Begierde und Leidenschaft, über ein nur Seelisches den Weg zur Vergottung zu finden vermag – diese Geistesleugnung hat auch dem Materialismus den Boden geebnet, der ja nun soweit gediehen ist, daß er das Seelische aus dem Körperlichen heraus zu erklären versucht. Es gilt nun durchaus, jene Geisterkennung wieder zu erfassen, und damit das Ich, aus dem Seelischen herausgehoben, seiner Vergottung, seiner Vereinigung im Göttlichen wieder zuzulenken in dem Sinne, in dem Angelus Silesius sagt: »Ich muß Maria sein und Gott aus mir gebären.« Der Geist des Menschen, sein Ich, sein Mikrokosmos im Makrokosmos, ist in diesen Körper lediglich zeitweilig inkarniert. Dieses Ich aus seiner Fessel lösen und wieder mit der geistigen Welt als seiner eigentlichen Heimat verbinden, war und ist Ziel jeder Einweihung. Dieses Ich als solches muß übrigens besonders verstanden werden. Wenn auch jedem das Gefühl seines Ichs, seiner eigenen Welt, mehr oder weniger deutlich ist, so muß man hierbei unterscheiden das Gruppen-Ich, das Völkern, Stämmen und Familien gemeinsam ist und das so stark sein kann, daß es das persönliche Ich noch nicht zum Bewußtsein gelangen läßt, und das eigentliche persönliche Ich, das wie ein Kind aus Mutterleib heraus geboren, aus diesem Gruppen-Ich erst zum Selbstbewußtsein herausentwickelt worden ist und nun mehr oder weniger selbständig im einzelnen Individuum der heutigen Zeit Europas lebt. Ein sehr gruppenfreies Ich, wie das Goethes, der über Nation und Rasse stand, ist auch heute noch selten. Es galt nun, diesem Ich den Weg ins Übersinnliche zu bahnen. Alte Mysterien, zum Beispiel die orphischen, beschäftigten sich vorerst damit, das Ich aus dem Gruppen-Ich herauszuheben, und hierauf zielten der Alkoholgebrauch und die Bachanalien Frühgriechenlands, die später entarten. Ein eigenes Ich ist nun erreicht zum Unterschied der vorgriechischen Zeit, die ganz gruppenhaft empfand, wie zum Beispiel noch die Menschen des Alten Testaments, die von sich sagten: »Ich und der Vater Abraham sind eins«. Aber dies neu und noch nicht reif gewordene Ich, das allzubereit und schnell in Momenten der Ekstase ins Gruppen-Ich des Volkes und der Familie zurückschlüpft, muß nun vergottet und geläutert werden. Der einzige Weg aus dem Gruppenhaften war ein gewisser Egoismus, der nun zum bewußten und selbsterkannten, aus sich geübten Altruismus werden soll im Sinne des Grales und der Fußwaschung, die sich zum Niederen und Schwächeren neigt, im Sinne des Dienens, wie Kundry dienen lernt.
In früherer Zeit galt es nur, das Ich einzelner zur Führung der Gruppen Befähigter so zu durchlichten und zu vergotten; die anderen wurden gruppenweise geführt, woraus sich die damalige Berechtigung des Kastenwesens der alten Hochkulturen erklärt, das heute nur ein lächerlicher Restbestand jener mißverstandenen alten Weisheit ist. Heute gilt es freilich, möglichst jedes menschliche Ich jenen Gralsweg wenigstens bis zu seiner ersten Schwelle zu führen. Wenn ich also nun einen kurzen Überblick über das Wesen der Einweihung gebe, so bezieht sich diese Schilderung im Altertum nur auf wenige und heute auf alle, die guten Willens sind. »Erkenne dich selbst« war schon der Tempelspruch der Alten, und auf dem Isistempel standen jene so oft mißverstandenen Worte »Ich bin der Ich bin und kein Sterblicher hat meinen Schleier gelöst« – es ist hier kein Rätselspiel gemeint mit einer angeblichen Wiederholung »ich bin, der ich bin«, sondern »der Ich-bin« ist hier als Ich gemeint, als Hauptwort, als das urgöttliche Ich-bin-Bewußtsein in jedem Menschen, und es ist schon richtig, daß kein Sterblicher diesen Schleier löste, aber das bedeutete nicht, daß nur jenseits des Todes jene Weisheit zu finden war. Es bedeutete, daß man bei lebendigem Leibe die Trennung von Geist und Körper an sich erleben mußte, denn hatte man eine solche, auf die jede Einweihung auch heute noch hinzielt, erlebt, so war man kein Sterblicher mehr insofern, als man bewußt erlebt hatte, daß das Ich in einem nicht sterblich ist.
Das Ich ist eben nicht der Körper, und das Kind, das dem Geistigen noch nähersteht, sagt richtig, wenn es das Ich und die einzelnen Organe seines Körpers nicht identifiziert, wenn es sagt »mein Kopf schmerzt« und nicht »ich habe Kopfschmerzen«. Tatsächlich ist es so, daß nicht ich zur Tür hereinkomme, sondern daß ich meinen Körper zur Tür hereintrage. Solche Trennung, in der Einweihung bewußt, geschieht unbewußt im Schlafe, und nur dann kehrt das Ich im feinstofflichen Astralleibe nicht wieder in den Körper zurück, wenn der Vorgang eintritt, den man mit dem Sterben bezeichnet. Der alte Volksglaube kennzeichnet diese Dinge noch sehr richtig in seiner Sage von der weißen und roten Maus, die dem Schlafenden aus dem Munde laufen; die rote kehrt zurück und die weiße nicht wieder, denn diese bedeutet den Tod, während die rote das Hinausgehen des freigewordenen Ichs aus dem im Schlaf verlassenen Körper ansagt.
Somit wurde nun ein besonders tiefer Schlaf in der Einweihung angestrebt, der allerdings nicht zu verwechseln ist mit dem sogenannten Tempelschlaf des späten Griechenland, in dem man im Heiligtum des Äskulap durch besondere Mittel während des Schlafes Anweisungen zur Heilung zu erfahren bemüht war. – Für die eigentliche Einweihung mag hier in Kürze als Beispiel der Vorgang der ägyptischen Einweihung geschildert werden, die in Tempeln und oft auch in Pyramiden stattfand, deren vielen so rätselhafte Kammern durchaus nicht immer dem Begräbnis der Könige dienten, sondern Einweihungsmysterien nutzbar gemacht wurden, wie jeder leicht erkennen kann, der mit diesen Dingen vertraut geworden ist. Vorerst hatte der in die höheren Geheimnisse der Priesterschaft Aufzunehmende eine Anzahl sehr schwerer Prüfungen zu bestehen, die auf Selbstbeherrschung, Mut, Geistesgegenwart und ähnliches gerichtet waren und viel Verwandtes aufweisen mit den noch heute geltenden Proben, nur daß sie weit gröber, weit körperlicher und darum gefährlicher waren als heute. Dann wurde er der eigentlichen Einweihung teilhaftig, die darin bestand, daß er, in einen Sarkophag zum Zeichen seines Todes gebettet, in einen tiefen Schlaf versenkt wurde, dessen eigentümliche Beschaffenheit jedoch darin bestand, daß sein Aufwachen nicht mit dem sonst üblichen Vergessen verbunden war, sondern mit der voll bewußten Hinübernahme der Erlebnisse der geistigen Welten ins Tagesbewußtsein. Es mag vielen sonderbar erscheinen, daß man in verhältnismäßig kurzer Zeit, wie zum Beispiel in wenigen Tagen oder Nächten, eine solche Fülle von Eindrücken mit sich zu nehmen vermag, daß man mit Recht von einer Einweihung, einer Kenntnisnahme der übersinnlichen Welten reden durfte. Schwierig war auch die Frage, ob der Novize diesen kataleptischen Schlaf und die sehr verschärfte Trennung von Geist und Leib überstand, ohne seinen Körper ganz zu verlassen und also zu sterben – in der Tat hatte die alte Art der Einweihung auch wesentliche Gefahren für das körperliche Leben des Betreffenden. Unschwierig aber scheint es zu erklären, daß man in kurzer Zeit Überblicke erhalten kann, die im rein Körperlichen an Raum und Zeit gebunden, einen ungeheuer verlangsamten Vorgang voraussetzen würden. Ich möchte Ihnen hierfür, das heißt für solche leibfreie Wahrnehmung, die berühmte Legende von Mohammed ins Gedächtnis rufen. Als der Prophet auf seinem Lager ruhte, trat sein Engel zu ihm, um ihn durch die Reiche der Himmel zu führen. Mohammed machte eine Bewegung, durch die er eine Blumenvase auf seinem Tisch ins Wanken brachte – dann verlor er das irdische Bewußtsein und folgte seinem Engel durch die sieben Reiche der Himmel, wie es in der Legende heißt. Nachdem ihm sein Engel alles gezeigt hatte, eine Fülle von Eindrücken, die sich vielleicht mit dem Gesamtinhalt der Göttlichen Komödie vergleichen lassen, erwachte der Prophet ins Tagesbewußtsein und hatte gerade noch Zeit, die Blumenvase zu stützen, daß sie nicht fiel. Denken Sie auch daran, daß Sie oft ein Menschenleben in wenigen Minuten oder Sekunden geträumt haben.
Die Zeit ist, vom Physischen gelöst, eben ein relativer Begriff, der Raum ein aufgelöster für den feinstofflichen Körper, wie auch der Schlaf das Wachen bedeutet und der Tod die Geburt ins Geistige. Je mehr davon wieder erlebt wird, je mehr diese eigentliche geistige Heimat des Menschen als Tatsache wieder empfunden wird, um so eher kann aus diesem Chaos eine Kultur gefunden werden. Nur diese Wege, die ins Geistige führen, vermögen uns heute auf dem Kulminationspunkt der Weltgeschichte Richtung und Halt zu geben. Diese Wege zu suchen, ist Aufgabe jeder Einweihung, und man soll darum diese Wege nur betreten in jener Gesinnung, von der Dante, vom Berge der Läuterung kommend, an der Schwelle des Paradieses die Worte ausspricht:
»Und rein in meines Wesens tiefstem Kerne
bereitet war ich für die Welt der Sterne.«