Michail Kusmin
Der zärtliche Jossif
Michail Kusmin

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III

Das blaue Frühlingswasser der schmalen Seen kräuselte sich im Wind. Das Boot, in dem unsere Ausflügler saßen, schaukelte hin und her; darüber schien sich aber niemand außer Tante Mascha aufzuregen: die anderen waren in Gespräche vertieft oder bewunderten die noch halb durchsichtigen Wäldchen auf den hügeligen Ufern. Die Wälder wechselten mit Landsitzen und diese mit Feldern; die Seen verengten sich zu schnellen, im Winter niemals einfrierenden Flüßchen, die sich rauschend in den nächsten spiegelglatten See ergossen. Jossif und Viktor ruderten, Jegerew steuerte, und die drei Damen saßen in der Mitte des Bootes; Sonja des Gleichgewichts wegen zwischen den beiden andern. Viktor erklärte plötzlich:

»Da ist ja Andrej Fonwisin!«

Die Damen und Jegerew wandten sich rasch um, so daß das Boot ins Schwanken kam. Tatsächlich folgte ein anderes Boot mit zwei Insassen.

»Ist denn Fonwisin Offizier?« flüsterte Jossif.

»Wie Sie sehen!« erwiderte Iwan Pawlowitsch lächelnd.

»Wer ist dieser Alte mit ihm?« erkundigte sich Tante Mascha.

»Das ist ja Parfen!« rief Jossif aus, der ihn plötzlich erkannte.

Der Alte im weiten weißen Kaftan trieb mit starken Schlägen das Boot, in dem ein junger, anscheinend sogar sehr junger Offizier in weißer Sommerlitewka saß. Das Gesicht, in dem jedes Rot fehlte, stach seltsam von den hellen Haaren ab; die großen grauen Augen blickten auffallend starr und schienen dabei doch nichts zu sehen. An seinen schmalen Fingern funkelten Ringe. Ohne zu lächeln, führte er die in der Sonne aufleuchtende Hand an den Mützenrand. Sonja und Viktor nickten ihm zu, sogar Jekaterina Petrowna neigte den Kopf. Jossif, der Fonwisin näher sehen wollte, rief den Alten an:

»Parfen, guten Tag!«

Der Alte hob den Kopf und sagte mit lauter, dumpfer Stimme:

»Ach, sind Sie es, junger Herr? Guten Tag!«

»Was macht Marina?«

»Der Heiland wird sie heilen, so wie Er es kann.«

»Ist sie in Piter?«

»Ja, in Piter.«

Das Boot mit den beiden glitt lautlos vorbei; auch unsere Ausflügler schwiegen. Sonja ließ ihre kleine Hand ins Wasser hinabhängen und begleitete das den Blicken beinahe entschwundene Boot mit den Augen.

»Wo sind sie hingefahren?« fragte Jekaterina Petrowna.

»Das Fonwisinsche Gut liegt ja hier in der Nähe am See.«

»Sofja Karlowna behauptet zwar, daß sie Herrn Adventow und seinesgleichen nicht leiden mag, in der Tat wird es sich aber doch nicht so verhalten. Die Begegnung mit diesem glänzenden Exemplar hat sie in süßeste Träume versetzt.« Dies sagte natürlich Iwan Pawlowitsch. Selbst Jekaterina Petrowna warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Sonja sagte zunächst nichts; erst viel später sagte sie, wie als Antwort auf diese Herausforderung:

»Es ist besser zu lieben und dabei zu sagen, daß man nicht liebt, als umgekehrt.« Und sie sah Jekaterina Petrowna an. Diese zuckte mit keiner Wimper.

Auf dem steilen Ufer leuchteten unter dem frischen Grün der Birken gelbe Blumen hervor; graue Äcker zogen sich links hinter dem Wald hin. Man legte einen Plaid aufs Gras und packte den mitgebrachten Proviant aus. Katja, die auf dem Rücken lag, stand plötzlich auf und sagte:

»Jossif Grigorjewitsch, kommen Sie: hier im Walde gibt es eine heilige Quelle und eine Kapelle.«

»Ja, ich kenne sie. Gehen wir hin.«

»Jekaterina Petrowna, nehmen Sie Jossif Grigorjewitsch als einzigen Begleiter mit?« fragte Jegerew.

»Ja, ihn allein.«

»Ist das ein neuer Brauch?«

»Es soll doch nicht immer alles beim alten bleiben. Ich bin keine Altgläubige!«

»In allen Dingen?«

»Vorerst nur in der Wahl meiner Begleiter.«

»Auch ich will mit!« erklärte Viktor.

»Du kannst dableiben!« schrie ihm Jekaterina Petrowna aus dem Waldesdickicht zu. Das Vogelgezwitscher betäubte Jossif, der nach der winterlichen Zurückgezogenheit wohl zum erstenmal im Wald war. Der Himmel war noch ohne die sommerliche Roheit, hatte aber auch die blasse Demut nicht mehr; blendend weiße Wolken jagten, vom Winde getrieben, in rasender Verzückung vorbei. Das dünne Bächlein, das aus der heiligen Quelle bergab rieselte, bemühte sich, die Vögel zu übertönen. Jekaterina Petrowna, die während des ganzen kurzen Weges geschwiegen hatte, beugte sich stumm über die Quelle und schöpfte mit dem Krug aus Birkenrinde vom frischen Wasser; Jossif folgte schweigend ihrem Beispiel.

»Hier ist es doch schöner!« sagte sie.

»Ich bin lange nicht mehr hier gewesen; ich liebe diese Stelle sehr. Wissen Sie, was das für ein Vogel ist, der so laut schreit?«

»Nein, wissen Sie es?«

»Auch ich weiß es nicht.«

Jekaterina Petrowna trug eine helle Sommerbluse und sah frisch und jung aus. Sie saßen nebeneinander auf einem dicken Baumstamm. Jossif sagte:

»Man wird uns suchen.«

»Trauen Sie denen wirklich? Sie sind so ungerecht gegen mich. Sogar im Boot – haben Sie bemerkt, wie Sonja mich ansah, als sie von den Menschen sprach, die, ohne zu lieben, von Liebe sprechen?«

»Glauben Sie, daß es eine Anspielung war?«

»Unbedingt. Sie glauben alle nicht, daß ich Sie liebe, daß mein Gefühl ernst und aufrichtig ist. Und wenn es noch ein anderer gesagt hätte, aber Sonja, die sonst so gerecht ist!«

»Was sagen Sie? Sie lieben mich, und Sonja ist dagegen?«

»Sie ist nicht dagegen, aber sie glaubt nicht daran.«

»Erlauben Sie, ich traue meinen Ohren nicht. Sie lieben mich?«

»Gewiß; was ist daran so erstaunlich?«

»Aber das habe ich nicht gewußt.«

»Und was wäre gewesen, wenn Sie es gewußt hätten?«

»Ich weiß nicht.«

»Gar nichts hätte sein können. Ich könnte ja Ihre Mutter sein.«

»Wer denkt denn daran?« sagte Jossif erregt.

»Man muß daran denken.«

»Wissen Sie, Katja: wenn ich Sie ansehe, erscheinen Sie mir jünger, gütiger und schöner als alle. Als ich Sie zum erstenmal beim Vater Pjotr sah, dachte ich mir schon . . .« Er stockte und konnte nicht sagen, was er sich gedacht hatte. Jekaterina Petrowna wandte sich weg, um ihr Lächeln zu verbergen. Jossif rückte näher an sie heran, nahm ihre Hand und begann: »Ich kann mich nicht ausdrücken, was ist uns aber im Wege? Sie lieben mich, ich kenne niemand, der begehrenswerter wäre als Sie – was fehlt uns noch? Warum soll man da vom Alter sprechen, von Sonja und vielleicht auch noch von Iwan Pawlowitsch?«

»Ja, wußte ich denn, daß auch Sie mich lieben, Joseph?«

»Aber jetzt sehen und wissen Sie es doch?«

»Ich sehe und weiß es!« Die junge Witwe umschlang seinen Hals mit den Armen und küßte ihn schallend. Der Bach murmelte und übertönte ihre Küsse und die der Situation angemessenen Worte, die sie dabei sprachen. Jossif sprang auf.

»Katja, wenn Sie mich lieben, so müssen Sie mir versprechen . . .«

»Was denn?« Der Blick Jekaterina Petrownas zeigte aber, daß sie schon begriffen hatte, was er von ihr wollte. Ohne seine Antwort abzuwarten und ohne die Augen niederzuschlagen, sagte sie bestimmt: »Ich verspreche es; morgen. Aber auch Sie müssen mir etwas versprechen.«

»Was?« Jossif wußte nicht, was seine Dame von ihm verlangen würde.

»Was ich von Ihnen verlangen werde, ist sehr schwer, Sie sind aber doch zu allem bereit?«

»Ja, zu allem«, erklärte Jossif weniger bestimmt und küßte ihr die Hand.

»Sie haben also schon das Versprechen gegeben. Worin es besteht, werden Sie mit der Zeit erfahren.«

»À discrétion! Soll ich jemand umbringen?«

»Ach, nein; ich bin nicht so blutrünstig. Leben Sie indessen wohl, gehen Sie allein, ich komme später nach.«

Jossif entfernte sich freudig, sich unterwegs mehr als einmal nach ihr umsehend. Jekaterina Petrowna saß noch immer auf dem Baumstamm, den Kopf in beide Hände gestützt, und baumelte leicht mit den Beinen. Als es im Gebüsch von neuem raschelte, blickte sie gar nicht auf. Sie rührte sich auch dann nicht vom Fleck, als sie Jegerew von der anderen Seite kommen sah.

»Nun, Katja, wie steht die Sache?« fragte er lässig, sich auf die gleiche Stelle setzend, wo eben Jossif gesessen hatte. Jekaterina Petrowna nahm schweigend die Hand vom Stamm weg, um ihm Platz zu machen.

»Was für eine Sache?« fragte sie unzufrieden.

»Katja, wenn wir allein sind, brauchst du doch wirklich keine Grimassen zu machen!«

»Ich möchte Sie bitten, sich anderer Ausdrücke zu bedienen, wenn Sie mit mir sprechen.«

»Pfui, wie zimperlich! Die Sache steht also entweder glänzend oder miserabel.«

»Bei mir steht nichts miserabel.«

»Selbstvertrauen ist ein Unterpfand des Sieges. Hast du meine Papiere versteckt? Jeden Augenblick können ungebetene Gäste kommen.«

»Alles ist versteckt«, antwortete Jekaterina Petrowna unwillig.

»Katja, du kommst mir heute so hölzern vor. Der Tag ist so schön: das Gras ist so weich; an einem solchen Tage möchte man spazierengehen und sich küssen, du aber rümpfst die Nase.« Er küßte sie auf den Mund; sie wehrte sich nicht, erwiderte aber den Kuß nicht. Als sein Benehmen allzu leidenschaftlich wurde, stand sie auf und sagte:

»Kehren wir zurück: sie werden uns suchen.«

»Wann also?«

»Übermorgen.«

»Warum nicht morgen?«

»Bloß so; keine Zeit.« Und sie gingen den Weg zum Ufer zurück. Iwan Pawlowitsch bemerkte:

»Du bist heute schlecht aufgelegt, Katja.« Jekaterina Petrowna lachte auf, erwiderte jedoch nichts.


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