Michail Kusmin
Der zärtliche Jossif
Michail Kusmin

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II

Tantchen saß im warmen Morgenrock, doch geschminkt und gepudert, klein und aufrecht am Fenster, das auf den Hof hinaus ging. Sie streifte die Asche von ihrer Zigarette ab und fuhr fort, Jossif mit ihrer hohen, dünnen Stimme zu diktieren:

»Hast du? . . . Als er die Wendeltreppe hinaufstieg, erblickte er Lisette, die im aufgeknöpften Mieder vor dem Spiegel stand. Mit bebendem Herzen sah er auf ihre zarte, rosige Brust, die durch das offene blaue Mieder schimmerte. Aber auch er blieb offenbar nicht unbemerkt, denn die Dame lächelte und sagte, ohne sich umzuwenden: ›Da kommt jemand zu uns, Joujou!‹ Im gleichen Augenblick begann das kleine Hündchen unter den Röcken der Herrin den lauernden Kavalier anzubellen . . .«

Die Sonnenstrahlen fielen auf die Gläser mit dem Eingemachten, die unter dem alten Schreibsekretär standen, auf dem Leuchter ohne Kerzen prangten; die zwei großen Uhren standen still; an der Wand hingen der Symmetrie wegen ein und dieselben Photographien der gleichen Person mehrfach.

Jossif malte lustlos seine großen, kindlichen Buchstaben und sah zu, wie der Hof nach dem gestrigen Krautschneiden aufgeräumt wurde. Die Hunde bellten und schnappten nach den Besen, die Bauern schimpften verschlafen und rechneten einander alte Sünden vor.

Tantchen wurde plötzlich aufgeregt und rasselte mit der Klingel.

»Was wünschen Sie, ma tante?«

»Lisaweta soll kommen; die Nichtsnutzige ist nie da!«

»Vielleicht kann ich Ihnen irgendwie dienen?«

»Schreibe nur, Kind: sie wird schon kommen.«

Lisaweta kam hereingerollt und fragte mit lauter Baßstimme:

»Was machen Sie für Skandal? Brennt es?«

»Was schreien Sie? Wir sind nicht taub; Sie kommen nie, wenn man Sie ruft!«

»Nun, was soll ich? Ihnen die Nase schneuzen?«

»Wie ertrage ich bloß diese Plage?« seufzte Tantchen, besann sich aber und sagte:

»Wo ist der Ami? Sie hören doch die Hundeschlacht draußen? Wie leicht kann Ami hineingeraten! Er ist ja blind, kann nicht einmal auf den Sessel springen, drum haben wir das Bänkchen angeschafft; die zerreißen ihn glatt: er ist alt. Laufen Sie, schauen Sie nach!«

»Sie sind alle beide gleich gut: Sie und Ihr Ami!« brummte Lisaweta.

»Man bekommt von Ihnen nichts als Grobheiten zu hören.«

»Nur Sie mit Ihrer Güte können diese Lisaweta Petrowna ertragen«, sagte Jossif, als jene hinausgegangen war und die Tür hinter sich zugeschlagen hatte.

»Beleidige du mich wenigstens nicht, mein Freund: ich habe die guten Menschen nie leiden können – sie sind einfach dumm. Ich hänge an der Lisaweta aus Gewohnheit, sie hat Charakter und Mut, und das schätze ich. Sonst ist sie natürlich ein ekelhaftes Schandmaul und hat vor mir nicht den geringsten Respekt.«

Vom Hof klang Lisawetas Baß herauf:

»Ihr Schatz schläft im Vorzimmer, Sie können sich freuen!«

Tantchen war beruhigt, zog an ihrer Zigarette und diktierte weiter:

» . . . Er ließ den Fuß vom Bette herunter, fand tastend seine weichen Pantoffeln, stieg, da er an der Wand gelegen hatte, über die Schlafende hinweg und trat ans Fenster . . .«

Ein anderes Frauenzimmer, das leise ins Zimmer gekommen war, meldete ehrerbietig:

»Ich habe die Äpfel zum Einweichen vorbereitet, wollen Gnädige sie sehen?«

Tantchen fuchtelte mit den Händen:

»Sag's der Lisaweta Petrowna! Oder willst du vielleicht nachsehen, mein Freund?«

»Ganz wie Sie wünschen«, sagte der Neffe, stand auf und packte die Bücher und Hefte zusammen. »Wir arbeiten heute nicht weiter?«

»Es ist genug. Du bist zartfühlend, mein Kind, sei aber nie zu gut!«

Jossif küßte Alexandra Matwejewna die Hand und verließ, groß und stämmig, das Zimmer.

Er stand eine Weile auf dem Hof, blickte zum blauen Himmel hinauf, kletterte auf den Taubenschlag, um nach seinen Lieblingen zu schauen, und begab sich zu den Pferdestallungen und in den Viehhof. Der Besitz war so klein, daß der Rundgang nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Am Tor saßen müßig in warme Tücher gehüllte Mädchen. Er leistete ihnen Gesellschaft, versuchte einen Ringkampf mit dem Pferdeknecht, sah sich langsam und träge die zum Einweichen bestimmten Äpfel an und begab sich, als die Dämmerung nahte, nach Hause.

Man dinierte auf städtische Manier spät, bei Kerzenbeleuchtung, zu dritt, trank Wein. Tante Sascha›Sascha‹ und ›Schurotschka‹ sind Koseformen von ›Alexandra‹. vertauschte zum Essen ihren Morgenrock mit einem Kleid; darüber trug sie, ob es warm oder kalt war, eine weite Jacke. Lisaweta Petrowna teilte die Neuigkeiten aus der Zeitung mit, Jossif sprach von Geschäften und Pferden, Tantchen träumte vom Vergangenen und rief die Freundin zu Hilfe.

»Wissen sie noch, Lisaweta (oder war es noch vor Ihnen?), wie Graf Pantusen mir den Antrag machte, sich zu erschießen drohte, weinte; aber ich mag solche Verstellungen nicht und schätze die Freiheit über alles; ob einer die Uniform oder den Bauernrock trägt, alle Männer sind im entscheidenden Augenblick gleich roh. Und mich einem für das ganze Leben hinzugeben! So dumm bin ich nicht, par exemple!«

»Was wurde also aus ihm?«

»Ach, mein Freund, etwas so Grauenhaftes, daß ich es gar nicht aussprechen kann!«

»Er nahm sich selbst einen Mann!« tönte Lisaweta mit ihrem Baß.

»Ach, Lisaweta, Sie sagen immer alles so direkt!« sprach Tantchen, vom Wein und von der Erinnerung in eine empfindsame Stimmung versetzt.

»Und wissen Sie noch, wie wir heimlich auf die Maskenbälle gerannt sind?«

»Ja, das war ein Leben!« versetzte Lisaweta Petrowna lächelnd.

»Und Oskar Iwanowitsch? Wie ich ihm sagte: Hinfahren will ich mit Ihnen, aber daß Sie mich nachher in Ruhe lassen: ich mag nichts von Dauer!«

»Sie mögen nichts von Dauer?« fragte Jossif lachend.

»Nein!« erwiderte Tante Sascha hingerissen.

Sie gingen in den Salon, und unter Alexandra Matwejewnas Fingern, die vom Wein so zärtlich geworden waren, lebten auf dem klirrenden Klavier uralte Operetten auf. Lisaweta Petrowna saß auf dem Sofa und stimmte mit Baßstimme ein.

»Und die Zucchi! Wie sie in der ›Esmeralda‹ über die Bühne schwebte!« Die zittrigen Beine der alten Dame versuchten das luftige Schweben jener andern darzustellen. Als sie sich schließlich zurückziehen wollte, taumelte sie plötzlich und mußte sich am Türpfosten festhalten.

»Von Kind auf habe ich Schwindelanfälle!« flüsterte sie lächelnd, sich an Jossif wendend.

»Ja, wer's glaubt!« bemerkte Lisaweta lachend und führte die Freundin am Arm hinaus.


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