Isolde Kurz
Singende Flamme
Isolde Kurz

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Geheimnis

        Sie sahn sich gern, doch suchten sie sich nie,
Mit keinem Wort noch Blick umwarb er sie,
Sie fragt nicht, wem sein unstet Herz gehört,
Sein Gehen hat ihr nicht den Schlaf gestört.

Und doch, so oft die zwei sich wieder nahn,
Läuft eine Welle zitternd ihm voran,
Sein Bild erscheint ihr, eh er selber da,
Die Luft erbebt und flüstert: Er ist nah.

Wenn sie sich treffen, ist's von ungefähr,
Doch beiden klopft das Herz, als wär' es mehr,
Ein Band wird fühlbar, das sie leis umflicht,
Dann fallen Worte, und der Zauber bricht.

Nur einmal hat er sie im Traum geküßt,
Fürwahr, nie kam ihm wachend solch Gelüst.
Sie fährt empor, von heißem Schreck berührt,
Sie hat von ferne seinen Kuß gespürt.

Nun sitzt er schlaflos auf dem Bett und sinnt:
Ist sie's, die wissend diesen Zauber spinnt?
Und sie zur gleichen Stunde staunt und frägt:
Fühlt er und teilt er, was in mir sich regt?

Das Leben eilt, und sie vereint es nicht.
Längst hat ein andrer ihre Treu und Pflicht,
Daß ihr Geschick nicht volle Blüten trieb,
Sie weiß es kaum – noch daß er einsam blieb.

Doch heut von Weh ist ihre Brust umschnürt,
Sein Geist hat scheidend ihren Geist berührt.
Er kam und raunt' ihr in der nächtigen Ruh
Ein Fahrewohl für dieses Leben zu.

Und immer sinnt sie nun dem Rätsel nach:
War es ein erster Ring, der hier zerbrach?
War's einer frühren Kette letztes Glied,
Von der verjüngter Erdenleib sie schied?

 


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