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Nachdem der heilige Franziskus von Assisi zwischen den Bewohnern von Gubbio und dem furchtbaren Wolf, der ihnen so viel Schaden getan, den ewig denkwürdigen Friedens- und Freundschaftsbund gestiftet hatte, war er in heiliger Freude von hinnen gezogen, um noch viele andere herrliche Wunder des Glaubens zu vollbringen, hatte auch unterwegs nicht versäumt, den lauschenden Fischen und Vögeln holdselig von der überschwenglichen Güte des Schöpfers zu predigen. Dann zog er sich zu tiefer Sammlung auf den wilden Berg La Vernia zurück, der ihm von einem frommen Ritter zur Verehrung übermacht worden war. Auf dem felsigen Gipfel hauste er in zwei Zellen mit seinem Lieblingsjünger Leo, den er seiner sanften Gemütsart wegen, »Bruder Schäfchen« zu nennen pflegte, denn, sagte er, du hast wohl den Namen nach dem Leuen bekommen, aber deine Seele ist einfältig und fromm wie die des Lammes.
Jedoch auch die Gesellschaft des Bruders Leo war seiner innigen Andacht noch störend, deshalb suchte er eine Felsenplatte aus, die vom Reste des Gipfels durch einen tiefen, grausenvollen Abgrund getrennt war und nur durch einen hinübergeschwungenen Baumstamm erreicht werden konnte. Auf dieser ließ er sich zwischen Bäumen und Buschwerk vom Bruder Schäfchen eine urtümliche Klause aus rohbehauenen Stämmen errichten, wo er die meiste Zeit im Gebet verbrachte. Dabei geschah es des öfteren, daß seine Seele ganz in Gott verzückt und entrückt wurde, während sein irdischer Leib mit den Sohlen hoch über dem Boden schwebte, von Strahlen umgeben. Er hatte aber seinem einzigen Gefährten aufs strengste verboten ihm in die Klause nachzugehen, und pflegte überdies den Baumstamm, der ihm als Brücke diente, gleich nach seinem Übergang wegzuziehen, denn es widerstrebte seiner Demut, in solcher Verklärung von menschlichen Augen gesehen zu werden.
Unterdessen hatte sich unter den Tieren des Waldes und des Feldes weithin die Nachricht verbreitet, wie der Wolf nunmehr in Gubbio voller Freuden lebe und jeden Tag an einer anderen Tafel zu Gaste geladen sei, nur mit dem Beding, fortab Menschen und Herden keinen Schaden mehr zu tun. Und es dünkte ihnen allen ein köstliches Wunder, daß der schreckliche Mensch, vor dessen unersättlicher Gier und Gewalt auch die Stärksten unter ihnen bebten, auf einmal so mild und gastfrei geworden sei, und alle beneideten des Wolfes Glück. Da berieten sie sich erst einzeln, dann in größerer Anzahl, und es tat sich eine Schar von Wald- und Flurbewohnern zusammen, die beschlossen den heiligen Mann aufzusuchen, daß er auch sie in den Friedens- und Freundschaftsbund mit den Menschen aufnehme. Allein sie mußten lange umherziehen ohne seine Spur zu finden, daher teilten sie sich in einzelne Gruppen, die auf eigene Hand suchen und sich hernach an einer bestimmten Sammelstelle wieder finden sollten. Wo nun diese vorüberkamen, schlossen sich andere ihres Geschlechtes an, die Häslein liefen aus den Krautäckern, die Rehe aus dem Forst herbei und gesellten sich zu ihresgleichen, Kühe, Schafe, Ziegen verließen die saftige Weide, denn auch das zahme Hausgetier hatte die Kunde erreicht, daß ein Erlöser für sie auf die Erde gekommen sei. Am Ende geriet alles, was auf vier Füßen huschte oder trampelte, was am Boden kroch oder in Lüften flog, in Bewegung, denn alles, alles begehrte nach Frieden mit den Menschen. Die Fische, die nicht mitkonnten, steckten ihre Köpfe aus dem Wasser und schlugen mit den Schwänzen, um die Vierfüßigen auf sich aufmerksam zu machen, daß sie ihrer gedächten und auch ihre Sache dem heiligen Mann vortrügen, denn als er ihnen so lieblich von der Güte des Schöpfers predigte, dem sie das herrliche klare Wasser und ihre bequemen Flossen zum flinken Drin umherschießen verdankten, da hatte er im Eifer nicht bedacht, daß die Menschen all diesen Segen durch ihre Nachstellungen zunichte machten, und die guten Fischlein hatten es in ihrer Einfalt gleichfalls vergessen.
Die Tiere wagten aus Furcht vor den Menschen nur bei Nacht zu wandern, über Tag hielten sie sich in den dichtesten Bergwäldern versteckt, und erst wenn die Sterne aufgezogen waren, setzten sie sich in Marsch. Dann vernahmen die Landbewohner ein unbegreifliches Wimmeln und Schleichen, Stampfen und Schlürfen, daß es schien, als ziehe in der Ferne ein Geisterheer vorüber, sie bekreuzten sich angstvoll in ihren Betten, ohne ans Fenster zu treten. Des anderen Tages aber, wenn sie im Staub der Straße die Spuren unzähliger Tierfüße von jeder Gattung erblickten, bekreuzten sie sich abermals voller Entsetzen, denn sie glaubten, die ganze Hölle sei über Nacht vorübergetrappelt. Jedes Tier, das ihnen begegnete, fragten die Wandernden nach dem Verbleib des Heiligen, aber seit dem Tage, wo er den Vögeln auf der Wiese und den Fischlein im blinkenden Fluß gepredigt hatte, war er von keinem mehr gesehen worden, auch kein Vogel war so hoch geflogen oder hatte so scharf geäugt, um die versteckte Klause auf dem Gipfel der Vernia zu entdecken.
Die Tiere litten auf ihrer Wanderung viele Not, denn sie waren übereingekommen auch untereinander Frieden zu halten, und daß keins das andere mehr anfallen dürfe, um seinen Hunger zu befriedigen. Sie vermeinten, wenn sie nur erst in der Gegenwart des heiligen Mannes stünden, so werde er ihnen allen einen Freitisch anweisen wie dem Bruder Wolf in Gubbio, und bis dahin sollte ein jedes seine fleischlichen Gelüste bezähmen. Soweit sie nun von der Natur zum Pflanzenfressen eingerichtet waren, hielten sie das Abkommen willig und leicht. Aber für Wölfe, Füchse und anderes Raubzeug war es ein hartes Ding, entsagend neben den wohlgenährten Schafen und feisten Zicklein herzugehen, und wenn es in der Finsternis geschah, schnappte wohl einer schnell einmal nach seinem Nebengänger und durchbiß ihm die Kehle, aber er konnte seine Gier nicht sättigen, denn er wurde gleich über der Tat von der entrüsteten Gesamtheit zu Tode gebissen und zu Brei zerstampft. Dann ging der Zug weiter, in dem ein jedes in seiner Sprache Gott dem Herrn Loblieder sang.
Nachdem sie lange in der Irre gegangen, fanden sie einmal frühmorgens auf einem reifenden Kornfeld eine Lerche, die sich eben mit Gesang zu ihrem Morgenfluge erhob. Zu der sandten sie eine Taube, die sich aus Angst vor dem Gerupftwerden ihrem Zuge angeschlossen hatte, und ließen fragen, ob sie nichts von dem heiligen Mann wüßte. Und siehe, die Lerche hatte ihn gesehen, wie er einen alten frommen Esel bestieg, um den Gipfel der Vernia zu erreichen, und sie zeigte der Taube fern am Horizont die ragende Masse des Berges, auf dem der Heilige wohnte. Da vergaß die Taube in ihrer Freude, daß man sie gewählt hatte, den Zug der Tiere sicher zu führen, sie erhob sich mit schwirrendem Flügelschlag in das Blau des Himmels und schoß pfeilgerade, ohne auf Wege und Stege der Erde Rücksicht zu nehmen, auf den umbuschten Gipfel zu. Dort saß der Seraphische Vater andächtig in der Sonne und sang dem brüderlichen Licht sein Loblied, als ihm die Taube geradeswegs in den Busen flog.
Was suchst du bei mir, Schwester Taube? sagte der Heilige, indem er vorsichtig ihr Köpfchen streichelte und ihr weißes glattes Gefieder, unter dem das Herzchen ängstlich und freudig zappelte, an seine Wange drückte. Siehe, ich bin ein armer Mann, und die Körner, die dir schmecken, wirst du bei mir nicht finden. Wenn du aber bleiben und die Brocken von meinem dürftigen Mahl mit den Eidechslein der Vernia teilen willst, so sei willkommen und wohne mit mir in meinem Frieden.
Da die Taube durch Gurren und Flügelschlagen ausdrückte, daß sie's wohl zufrieden war, übergab er sie zur Pflege dem Bruder Leo, der sie mit eingeweichter Brotrinde ätzte und ihr in roter Farbe ein Kreuz auf Brust und Rücken malte, damit sie für Tier und Menschen von weitem als Eigentum des heiligen Mannes kenntlich und vor Nachstellungen sicher sei. Indessen setzte der Heilige auf der Bank vor der Klause seinen unterbrochenen Sonnengesang fort.
Die Tiere hatten bei dem jähen Aufschwirren der Taube alle Vorsicht vergessen und waren ihr in blinder Hast in der Richtung ihres Fluges nachgestürmt. In rasendem Lauf ging es vorwärts über Wiesen und Acker, hügelauf und ab, und was in ihrem Weg lag, wurde niedergetrampelt. Dabei blieb manch einer mit ; gebrochenem Bein am Wege liegen, andere ertranken in Tümpeln und Bächlein, wieder andere fielen den Pfeilschüssen oder Steinwürfen nacheilender Menschen und irrendem Raubzeug zum Opfer. Aber als ihre Führerin im Blau verschwebt war, blieben die meisten von ihnen ermattet zurück, das eine da, das andere dort, wie sie sich im Laufe zerstreut hatten. Nur die Mutigsten trotteten in der eingeschlagenen Richtung weiter und gerieten am Ende in eine waldige Einsamkeit, wo vor einer kleinen, sehr dürftigen Ansiedelung ein Esel im Grünen angepflockt war und friedsam grasend in der Runde ging. Dieser Esel aber war begnadet vor allen seines Geschlechts, denn er war es, der den heiligen Mann auf den Gipfel der Vernia getragen hatte, seitdem aß er das Gnadenbrot bei den Jüngern des Franziskus und hatte kein anderes Amt mehr, als einmal wöchentlich ihm und dem Bruder Leo das Wenige, was sie zum Leben bedurften, hinaufzutragen. Diese Jünger nun hatten sich am Fuße des Berges angesiedelt und durchzogen von hier aus das Land, um für sich und ihren Meister die Nahrung zusammenzubetteln, den Esel aber ließen sie im Freien angebunden grasen, denn wer sollte so ruchlos sein, das Tier des Heiligen loszubinden und wegzutreiben, indes sie ferne waren!
Als der Esel vernommen hatte, warum die Tiere da waren, hob er seine Augen zum Himmel, wie er den Meister hatte tun sehen, und pries die göttliche Vorsicht, die die Tiere so gut geführt hatte, – denn wenn ihr die Augen aufmacht, sagte er ihnen, so erkennt ihr, daß ihr in diesem bergigen Vorland am Fuße der Vernia steht, und wenn ihr mich von dem Halfter lösen wollet, mit dem ich gebunden bin, so will ich euch den Weg führen, den außer mir niemand kennt.
Alsbald zerbissen zwei Nager, die mit dabei waren, den Strick des Esels, und dieser setzte sich mit einem mutigen Y–ah in Trab, die Tiere folgten, ein jedes in seiner Gangart, ihm nach.
Als sie nun den ersten Vorberg der Vernia erreicht hatten und fern vom Bereich der Menschen waren, sagte der umsichtige Esel: Lagert euch hier, meine Freunde, und wählet aus eurer Mitte eine Abordnung, die ich zu dem heiligen Mann führen will. Denn der Ort wo er wohnt ist eng und kann eine so große Menge nicht fassen. Auch möchte es ihn verdrießen, wenn ihr plötzlich zu Haufen in seine Einsamkeit eindränget.
Die Tiere wählten ihre Abgesandten, von jeder Gattung einen, die mit dem Esel weiter stiegen. Die übrigen duckten sich an dem Berghang nieder, daß sie an Gestalt und Farbe kaum von dem Felsgestein zu unterscheiden waren. Der Hunger wühlte in ihren Eingeweiden, aber sie lagen alle geruhsam, denn auch die Raubtiere wollten den Freitisch des heiligen Mannes, den sie schon so nahe sahen, nicht durch Unenthaltsamkeit verscherzen.
Bruder Leo war gerade dabei, seine Hütte, die ihm ein nächtlicher Sturm zerzaust hatte, mit Reisig auszubessern, als er aus der Tiefe den Hall vieler Tritte vernahm, und er staunte, was da im Anzug sei.
Oha, mein grauer Vetter, rief er dem Esel entgegen, hinter dem ein gehörntes Haupt ums andere auftauchte, warum kommet Ihr so außer der Zeit und bringet eine so erlauchte Gesellschaft mit Euch?
Schon im nächsten Augenblick wimmelte es um ihn her wie in der Arche Noäh, und die Tiere, die ihn für den Heiligen hielten, begannen mit Brüllen und Blöken auf ihn einzudringen, daß er nicht mehr wußte wo auf dem engen Raume stehen. Eine Kuh, der der Metzger ihr Kalb genommen hatte, muhte herzbrechend, und ein welscher Hahn rannte mit geducktem Kopf gegen seine Beine und kollerte ihm eine Geschichte vor, über die er selber blaurot wurde, von der aber Bruder Leo kein Wörtchen verstand. Er warf mit Steinen nach den Tieren, aber sie ließen sich nicht vertreiben. Es kamen vielmehr noch so viele nach, daß sie ihn immer mehr dem Abgrund zudrängten, der zwischen seiner Klause und der Zuflucht des heiligen Franziskus klaffte. Am Ende blieb ihm nichts übrig, als den seltsamen Besuch dem Heiligen zu melden, dessen Seele soeben, von Erdenschwere befreit, sich zu ihrem Urquell zu erheben begann.
Frage sie, was sie wollen, und heiße sie dann gehen, sagte dieser.
Wie kann ich sie fragen, da sie meine Sprache nicht verstehen, noch ich die ihrige? dachte Bruder Leo.
Aber gewohnt wie er war, zu gehorchen, schritt er auf dem schwanken Steg wieder zurück und sagte:
Liebe Brüder und Schwestern, hebt euch hinweg, ihr stört mit eurem Muh und Bäh die Andacht des heiligen Mannes, daß er den Weg zu Gott nicht finden kann. Wenn ihr ihm etwas zu sagen habt, so vertraut es mir an, aber in einer Christensprache, damit ich eure Sache vor den heiligen Mann zu bringen vermag.
Da erhob sich ein noch viel größerer Lärm in allen Tonarten, und zugleich kündigte ein mächtiges Schwirren in der Luft den Zuzug der Vögel an, von dem sich der Himmel verdunkelte, bis sich alle mit Flattern und Piepen um den Gipfel der Vernia niedergelassen hatten.
Nun erkannte der Heilige, daß es für heute doch mit seiner Andacht nichts mehr werden würde. Er erhob sich in aller Geduld und trat vor seine Besucher hin.
Meine vielgeliebten Brüder und Schwestern, sagte er, ich sehe, ihr habt ein wichtiges Anliegen an mich. Womit kann der letzte unwürdigste eurer Brüder euch dienen? Aber redet nicht alle so wild durcheinander, sondern ernennt einen Sprecher, der mir euer Begehren vortrage.
Da schoben die Tiere aus ihrer Mitte den Fuchs den Klügsten und den Bären als den Stärksten vor, und Vater Franziskus sagte:
Möge denn der Bruder Bär, den ich als ehrlich kenne, für euch alle reden.
Und dieser begann: Heiliger Vater, wir haben gesehen, daß der Bruder Wolf in Gubbio wie ein Edelmann lebt, seitdem du den Frieden zwischen ihm und den Menschen aufgerichtet hast, denn siehe, er geht einem Gastmahl zum anderen und wird rund und fett an ihrer Tafel, der doch zuvor ihr Todfeind gewesen und ihnen so großen Schaden getan. Wir andere aber leben außerhalb des Friedens und werden von ihnen gejagt und erschlagen. Und auch die frommen Haustiere, die ihnen ihre Acker bestellen und sie mit Milch versorgen, müssen am Ende ihr mühevolles Leben unter dem Beil beschließen, damit der grausame Mensch sich an ihrem Fleisch ernähren und aus ihrem Felle Schuhwerk schneiden kann. Darum kommen wir zu dir, daß du auch uns in deinen Frieden aufnehmest. Und wir hier Anwesenden geloben dir im Namen des ganzen Tiergeschlechts heilig und unverbrüchlich, daß wir uns nie mehr am Menschen und seiner Habe vergreifen wollen, unter dem Beding, daß er auch uns an seine Tafel lade und einen jeden auskömmlich und nach seinen Bedürfnissen ernähre. Und wir haben auch unter einander ein Bündnis geschlossen, daß keiner dem anderen mehr ein Härchen krümmen wolle, da wir nun alle miteinander froh und friedlich am Tische des Menschen speisen werden. Wir bitten dich nun, du mögest ungesäumt einem jeden seinen Platz anweisen, denn wir sind sehr hungrig und haben alle von unserer Enthaltsamkeit auf der Reise viel gelitten.
Ein vielstimmiges Blöken und Grunzen, Schnattern und Krähen folgte als Bekräftigung auf die Worte des Bären.
Der Heilige stand in tiefer Bestürzung lange wortlos da.
Meine Lieben, begann er endlich kleinlaut, ihr erwartet von mir, wozu ich unvermögend bin. Daß ihr den Menschen künftig nicht mehr anfallen noch seinen Besitz schädigen wollt, ist ein schöner und löblicher Vorsatz, und daß ihr auch untereinander Frieden halten wollt, wird euch angenehm machen vor den Augen eures Schöpfers. Aber daß ich euch allen einen Freitisch im Hause des Menschen schaffen könne wie dem Bruder Wolf in Gubbio, das, meine Lieben, müsset ihr nicht denken. Wenn der Mensch euch alles gäbe, was er hat, wäre es doch nie genug, euch alle zu sättigen. Und wie sollte er euch ernähren und dabei doch keines von euch verletzen? Um dich, Bruder Bär, zu befriedigen, müßte er seine Schafe opfern und für den Bruder Fuchs seine Hühner. Damit wäre schon der Friede um den ihr bittet gebrochen, denn die Haustiere lieben doch auch ihr Leben. Also ist es mir nicht gegeben, den Friedensbund, den ich für unseren Bruder in Gubbio gestiftet habe, auf euch alle auszudehnen. Sondern die bisher mit dem Menschen gelebt haben, mögen in ihre Ställe zurückkehren und für ihn arbeiten, so wird er auch fernerhin auf ihre Ernährung bedacht sein. Für diejenigen aber, die durch ihre Natur gezwungen sind frei zu schweifen und sich durch Fleischgenuß zu erhalten, muß auch in Zukunft unser Vater im Himmel sorgen. Daß ihr hungrig geworden seid auf der langen Reise zu mir, tut mir leid. Und gerne würde ich euch alle speisen, aber meine dürftige Mahlzeit, die ich mit der Schwester Taube teile, ist schon verzehrt und sie hätte nicht ausgereicht, um nur einen von euch satt zu machen. Aber rings um meinen Berg wachsen viele saftige Kräuter, die mögt ihr abweiden, wenn es euch gefällt.
Die Kühe und Ziegen ließen sich das nicht zweimal sagen, sie liefen weg und begannen sogleich zu grasen, aber der Bär erhob ein unmutiges Brummen, und die anderen Raubtiere gaben ihre Enttäuschung durch ein zorniges Fauchen zu erkennen.
Da streifte der Heilige die Ärmel seiner Kutte zurück und streckte die hageren Arme über die Hungrigen aus:
Wer sich mit diesem Restchen alten zähen Fleisches begnügen mag, dem will ich es um Gotteswillen zur Stillung seines Hungers geben.
Der Bär schwieg beschämt, der Fuchs blinzelte nach den zwei Knochenarmen, an denen nichts mehr zu benagen war, dann machte er plötzlich kehrt und schoß wie ein Blitz bergab. Die Tiere, die glaubten, er habe da unten einen nahrhaften Kosttisch eräugt, wandten sich alle und rannten unter wildem Getöse hinter ihm her. Der Fuchs aber lauerte unter einem Felsenvorsprung und brach als erster den beschworenen Frieden, denn er riß das Lamm, das zunächst an ihm vorüberlief, nieder und zerbiß ihm den Halswirbel. Beim Anblick und Geruch des strömenden Blutes ergriff die Mordlust auch den Bären, daß er sich auf den wohlgenährten Esel warf, der am Abhang die harten Gräser ausraufte und sich von seinen Weggenossen, die er so wacker geführt hatte, keines Argen versah. Im Nu war er nur noch eine zuckende Masse Fleisch, von der das kleinere Raubzeug sich blutige Stücke wegholte, ohne daß der Bär es hindern konnte. Nun brach auch unter den anderen Tieren eine rasende Blutgier aus, daß sie sich alle gegenseitig zerfleischten, um eines am anderen seinen wilden Hunger zu stillen. Und es erhob sich ein Brüllen, Winseln und Röcheln, das schauerlich durch die Bergeinsamkeit schallte. Welche aber den Fuß des Berges und ihre dort lagernden Genossen erreichten, die brachten den Blutgeruch mit sich und entfesselten auch da unten die Wut des Jähhungers, und man hatte nie zuvor im Tierreich ein solches Würgen erlebt wie an diesem Tag. Nur die flinksten vom Hochwild entrannen auf der Flucht dem Tode, und einigen der stärksten Stiere gelang es, durch die Kraft ihrer Hörner sich ihrer Angreifer zu erwehren, dafür ließen sie sich am Ende ermattet und verwundet von den hinzu-gekommenen Menschen fesseln und wegführen. Auch in den Lüften tobte der Mord, daß die Federn stäubten und das Blut vom Himmel träufelte.
Auf dem Gipfel der Vernia, über dem die Sonne verglühte, war es wieder stille und einsam wie zuvor, das Wut- und Angstgeschrei verlor sich in der Ferne. Der Heilige lag ohnmächtig am Boden. Bruder Leo, der sich vor dem Hunger der Tiere ins tiefste Gebüsch verkrochen hatte, kam wieder heraus und brachte in den Falten seiner Kutte auch die Taube mit sich, die dort dem Blutbad entgangen war. Mit vieler Mühe rief er den Leblosen ins Bewußtsein zurück. Aber Franziskus wollte kein Wort sprechen. Er ließ sich nach seiner Klause schleppen und dort vor dem Kruzifix auf der Erde niederstrecken, denn er war selbst keiner Bewegung fähig. Dann entfernte er durch einen Wink den Bruder Leo.
Diese Nacht war die schwerste, die der heilige Franziskus je erlebte, denn in dieser Nacht zweifelte er an der Güte Gottes. Während sein Körper wie leblos dalag, rang sein Geist mit dem Bösen, der ihn in Gestalt des Urwurms umkroch und ihm schlimme Gedanken zuraunte. Mit keiner Anfechtung hatte der Verderber je an ihn herangekonnt. Wenn er, während Franziskus fastete, daß ihm der Magen wie ein leerer Beutel herunterhing, die duftendsten Gerichte vor ihm aufstellte, wenn er an seinem harten Lager die berückendsten Frauenbilder vorübergaukeln ließ, so lachte ihn der Heilige nur aus und sagte mit der Sanftmut, die ihm eigen war: Gib dir keine unnütze Mühe, Freund Satan, das alles ist mir wohlbekannt! Geh du lieber in deine Hölle und besorge da deine Geschäfte – denn Franziskus hatte in seiner wilden Jugend die Freuden der Erde gekostet, darum konnte er sie so beherzt verachten. Jetzt aber zog der alte Widersacher andere Saiten auf:
Wie schön hast du doch den Vögeln des Himmels und allem Getier im Walde von der Güte des Schöpfers gepredigt, begann er mit wildem Hohne. Hast du nicht die lieben Vögelein gepriesen um ihre raschen Fittiche und um das Glück, so frei in Lüften zu schweben? Das aber vergaßest du hinzuzusetzen, daß auch der Pfeil des Menschen wohl befiedert ist und daß Gott in seiner unendlichen Güte auch für den Geier und die Katze gesorgt hat, indem er ihnen Schnabel und Krallen scharf machte.
Die Vögel! Ach die armen Vögel! stöhnte Franziskus.
Und gut haben es die Fische und Aale, Franziskus, wie du sagtest, in ihrem kristallenen Wasserpalast. Aber wie werden sie sich deiner Predigt erinnern, wenn sie mit der Angel im zerrissenen Gaumen am Strande schnappen und wenn man ihnen lebendig die Schuppen abstreift oder sie nebeneinander mit den Köpfen auf den Stecken spießt. Ja, ja, Franziskus, die Güte Gottes, die unendliche, unergründliche Güte Gottes!
Auch die Fische, jammerte Franziskus, und bohrte den Kopf tiefer in die nackte Erde seiner Klause.
Womit haben die unschuldigen Tiere den Schöpfer beleidigt, daß er sie so grausam büßen läßt? Die Qualen, die ich meinen Verdammten in der Hölle zufüge, sind nicht größer, ich habe sie ja dem abgelernt, was ich die Tiere auf Erden leiden sehe. Meine Höllenhunde jagen die Verdammten und schlagen ihnen den Zahn in die Weiche, wie es der Jagdhund macht mit dem unglücklichen Reh. Ich werfe die arme Seele zuckend in das siedende Öl, denn so habe ich's an Krebsen und Aalen gesehen. Und du hast es gewagt, der Kreatur von der Güte des Schöpfers zu predigen? Bist du nicht ein gedankenloser Wicht oder ein arger Lügner?
Weh mir, ich verdiene den Vorwurf, wimmerte der Heilige, der sich in Seelenpein wand, und er flehte in inbrünstigem Aufschwung zu Gott, seinen eigenen Erdenleib für die unglückselige Tierheit zum Opfer geben zu dürfen, daß er selbst alle ihre Not und Qualen trüge, seine stummen Geschwister aber von der gräßlichen Bestimmung, eins das andere mit seinem Fleische zu füttern, befreit würden.
Du Tor, höhnte Satan, du hast es ja gesehen, nicht einmal dem Fuchs waren deine Knochen gut genug zum Abnagen, und jetzt möchtest du den Hunger des ganzen Tiergeschlechts damit stillen und die Gier des Menschen obendrein? Siehst du nicht, daß beides mit Willen so geordnet ist von allem Anfang an? Oder denkst du den Plan der Schöpfung rückgängig zu machen?
Kein Ausweg, stöhnte Franziskus.
Nun, lieber Bruder Franz, fuhr der Satan lauernd fort, – denn jetzt, dachte er, werde der Heilige ihm in die Falle gehen, – glaubst du immer noch an die Allgüte Gottes?
Ich Unwürdiger verstehe ihn nicht mehr, entgegnete Franziskus und schlug den Kopf verzweifelt gegen den Boden. In diesem Augenblick stieg ein rosiger Schein am Himmel auf, ein unsagbarer Duft wie von überirdischen Rosen kam herangeschwebt und beides, Schein und Duft, drang in die nach Osten blickende Klause. Staunend hob Franziskus den Kopf vom Boden, der Urwurm aber bäumte sich hoch empor, denn himmlische Wohlgerüche sind ihm so zuwider wie seligen Geistern der Stank der Hölle, und er fuhr mit dem Kopfe voran durch das Felsgestein, das sich vor ihm spaltete.
Franziskus aber sah sich plötzlich in ein paradiesisches Gefilde entrückt. Dort standen wunderbare Bäume von einer ihm ganz unbekannten Art, denn er erkannte gleich, daß sie durch und durch beseelt waren. Sie wandten alle die Oberseite ihrer Blätter gegen das wonnige Licht, das von der Ferne hereinfiel und näher zu kommen schien. Da waren auch Tiere von jeglicher Gattung beisammen, alle so schön und vollendet an Gestalt und Farbe, so anmutig in der Bewegung, wie er sie nie auf Erden gesehen hatte. Sie spielten und sprangen miteinander, jagten sich zum Scheine, zupften sich neckend am Fell, aber keines verletzte das andere. Sie strichen furchtlos neugierig um ihn her und ein schlanker Leopard mit herrlich gefärbtem Fell drängte sich zutraulich gegen die Knie des heiligen Mannes, Franziskus fuhr mit der Hand über den runden Kopf und zog ihm schmeichelnd die Kiefer auseinander. Da sah er an Stelle des schrecklichen Raubtiergebisses kleine weiße Milchzähnchen, mit denen der Leopard kein Mitgeschöpf beschädigen konnte. Und alsbald durchdrang ihn von innen her die Erkenntnis, daß in diesem Wundergarten kein Tier das andere aus Hunger zu töten brauchte und daß sie auch vom Menschen nichts Böses mehr zu befahren hatten. Unterdessen war der Glanz herangekommen und wurde so unerträglich, daß der Gast die Augen schließen mußte.
Mein Sohn Franziskus, sprach eine Stimme, die klar wie das Licht und voll wie Klang der Sphären war und nur dem Erlöser der Welt gehören konnte, glaubst du jetzt wieder an die Güte des Schöpfers?
Ich glaube, ich glaube, jubelte Franziskus in die Knie gesunken. Ich habe ja nur so gräßlich geträumt. Mir schien es, daß alle deine Geschöpfe bestimmt wären, sich gegenseitig zu verzehren. Und nun sehe ich, daß sie in Frieden und Schönheit beisammen wohnen und daß du sie alle mit himmlischer Manna ernährst. Oh, der furchtbare, furchtbare Traum.
Du wirst auf die Erde zurückkehren und den furchtbaren Traum weiter träumen müssen, mein lieber Sohn.
Der Heilige erschrack ins tiefste Herz, aber er sagte:
So weiß ich jetzt, daß du in deinem unergründlichen Erbarmen auch den vernunftlosen Geschöpfen ein Paradies bereit hältst zur Vergütung ihrer Erdenqual.
Dies ist kein Paradies der Abgeschiedenen. Was du siehst, mein Sohn, ist ein neuer Weltentag, der hier schon angebrochen ist, aber drunten auf Erden noch in Äonenferne liegt.
Da brannte die Freude des heiligen Mannes zu Asche.
Was hilft es den Gemarterten da unten, wenn spätere Geschlechter in Äonenferne glücklicher sind als sie?
Siehe, es werden dieselbigen sein, sprach Christus lächelnd. Dies ist der Tag, von dem mein Apostel geschrieben, daß auch die geängstete Kreatur teilhaben wird an der Herrlichkeit der Kinder Gottes.
Dabei berührte der Erlöser seine Stirne, und es ward in ihm eine unerhörte Helle. Der Schöpfungsgedanke lag auf den Blitz einer Sekunde vor ihm offen, Ring um Ring, und er sah die irdische Zeit in stürmendem Schwung auf den neuen Weltentag, der ihn stille um gab, zuschießen. Dann schloß er aus Demut die Augen seines Geistes, um nichts weiter zu sehen und nur noch zu glauben.
Und ich Verworfener habe an deiner Güte gezweifelt.
Du warst mir niemals näher, sprach der Herr, als da du aus Liebe zu aller Kreatur an mir zweifeltest. Habe nicht auch ich gezweifelt, als ich am Kreuze hing und der Vater schwieg? Siehe, drunten in seiner Klause schläft Bruder Leo friedevoll und kindlich fromm. Er hat nie gezweifelt, und der Jammer der Erde erschüttert sein Vertrauen nicht. Dafür wird er, wenn seine Zeit erfüllt ist, mein Angesicht schauen. Dich aber nehme ich in mein Herz, daß du seine Schmerzen fühlest und ganz Eins seiest mit mir.
Er schlug sein Gewand zurück und öffnete sein Herz, wie man die Flügel eines Altarschreins öffnet. Und alsbald befand sich Franziskus innen in dem glühenden Christusherzen, in dem die millionenfachen Schmerzen alles Erschaffenen brannten wie in einer einzigen Wunde und das gleichwohl von dem unwandelbaren Frieden der Gottheit durchströmt war. Im gleichen Augenblick durchfuhr den Busen des Franziskus ein furchtbarer Lanzenstoß, der jede Fiber seines Fleisches zerriß und ihm doch das Süßeste däuchte, was seinem irdischen Leibe jemals widerfahren. Und er lag wieder auf dem Boden seiner Klause, in die das rosige Frühlicht fiel. Seine Kutte füllte sich mit warmem, rinnendem Blut, und an seinen Händen und Füßen brannten in seligem Schmerz die Wundenmale des Herrn. Er verbarg sie in schamhafter Demut vor den Blicken des Bruders Leo und ließ sich, da er sein Ende nahe fühlte, von seinen Jüngern zu Tale tragen. Dann sandte er seine gerettete Taube aus und ließ sie noch einmal alles Getier zusammenrufen. Und er erzählte ihnen von dem Gesicht, das er geschaut hatte, und von der Verheißung des Herrn, daß auch für die Kreatur der Tag der Erlösung komme.