Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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20

Neun Tage verliefen nun, der Bug der Viktory schnitt die Molukken-See. Meine Manilaner heulten an Bord, ich gab ihnen englisches Bier. Ich hatte es für mich gekauft, mochten sie es trinken. Sie aber spuckten in mein gutes Bier und aus Rache gab ich ihnen Arrak. Damit waren sie zufrieden und ich genoß wieder mein Bier.

Ich segelte im Nordwestmonsun, die Fahrt ging schnell vonstatten. Auf dieser Fahrt gewöhnte ich mir ein krauses Lachen an. Zu allem, was ich tat, zog sich das Lachen über mein Gesicht. Ich haßte mich, ich nahm mich in Zucht und starrte mit gelassener Miene in den Spiegel. Ich befahl mir mit lächelndem Mund: Lache nicht mehr! – Ging aber der Luftschieber, hörte ich es nur klicken, dann lachte ich laut und fragte den Zimmermann: Was hast Du zu berichten?

Im Laderaum krachte der lose Schotter, ich höre es und lache dazu, nachts aber bin ich versessen auf das Krachen des Schotters. Ich lasse wohl mal einen Schlag quer dem Wind segeln, das Schiff legt leicht über, der Schotter kommt ins Rutschen, es kracht im Laderaum. Es klingt lebendig. Nur nachts lasse ich den Schotter krachen. Es bringt das Logis in Aufregung, ich gebe nichts darum. Denn es wird lebendig auf dem Schiff, wenn der Schotter fliegt.

Auf der großen Seekarte hatte ich vor Tagen eine Stelle angekreuzt. Tag um Tag wartete ich. An dieser Stelle wollte ich an Deck stehen und eine Mütze voll Wasser an Bord nehmen. Ich vergaß dann diesen Punkt im Meere, es kam eine Nacht und ich schlief. 274 Als ich erwachte, stellte ich voller Zorn fest, daß wir daran vorübergesegelt sind. Sollte ich nun umkehren. Es war die Stelle, an der die »Oliva« meinen kleinen Segler kreuzte.

Ich beschloß, mich nicht umzublicken. Die Nacht ging zur Neige. Was sagte es da, wenn ich umkehrte und die Stelle anfuhr. Auf allen Wegen ist das Meer, es umschloß mich, und was ist eine Wegmarke im Wasser? Ich sprach ein Gebet über die See, und ich fühlte, es war so, als sei ich daran vorübergesegelt.

 

Es kam ein Tag und ich war lange vorbereitet auf diesen Tag. Ich wechselte zweimal den Kurs, das eine Mal setzte ich den Kurs falsch an. Ich berichtigte den Kurs. Das hatte ein unnötiges Manöver zur Folge. Die Segel wurden umgesetzt und es gab eine schleppende Fahrt. Langsam kam der Segler auf seinen neuen Kurs. Den ganzen Tag hoffte ich auf die Stimme im Ausguck. Der Spruch fiel am Abend, als die Sonne ging. Der Kurs lag gut an, ich nahm das Glas und blickte zum Land hinüber. Die hügelige Erde war dunkel, ich sah das eingebuchtete Ufer. Eine leichte Brise strich über die See. Ich ließ Segel bergen und beidrehen. Auf dieser Höhe wollte ich warten, in dieser Nacht mußte ich noch warten.

Die Wache geht! Zimmermann. Wenn Wind aufkommt, lassen Sie Anker fallen, wenn mehr Wind kommt, werfen Sie Trossen aus. Gute Nacht.

Der Junge lief mir in den Weg, das Essen stand auf dem Tisch. Ich sage: Abräumen – und stand auf dem Fleck, bis die Türe fiel. Ich verschloß die Türe. Vor 275 den Luftschieber legte ich ein Tuch und warf meine Mütze auf den Tisch. Ich zog die Stiefel aus.

Morgen! sage ich in die Luft und lache. Mein Herz steht still, ich habe gelacht. Glaubte, es sei vergangen. Ich legte mich auf das Sofa, rückte die Lampe zurecht und nahm ein Buch. – Ich beginne zu lesen. Ich bin lange vertieft in die Seiten des Buches, bis ich merke, daß ich meine eigenen Gedanken lese. Ich lege das Buch beiseite, mit dem Buch ging auch mein Geist fort . . .

Ich stehe in Bacons Bucht und schreite zum Hause empor. Ruhe im Hause, sie schlafen alle und ich höre Bacon schnarchen. Ich klopfe an die Türe, eine Schwarze öffnet mir. Ich gehe unangefochten durch das Haus und steige die Treppe hinauf. Wie so altbekannt die Zimmer sind! Auf einer Schwelle ziehe ich meine Schuhe aus.

Hörst Du mich, Henriette!

Ich sehe Dich . . . geht es durch meine Ohren.

Besinne Dich, Henriette! Ich bin es!

Und ich trete an ihr Lager, ich flüstere: Ich komme zurück, aus Manila komme ich zu Dir. Ich sandte Dir meine rote Perle, warum antwortetest Du nicht? Ich lag in Manila und habe gewartet, gewartet. – – – Mein Wirt verlachte mich, aus Mitleid ließ er seinen Affen ein Männchen machen und an meine Türe klopfen. So erging es mir. Und Dir? – Du schweigst, womit kannst Du wohl Dein Schweigen rechtfertigen? Du reichst mir die Hand? – Ich danke Dir, laß mir die Hand, ich bitte darum. Dreimal bitte ich Dich darum, denn ich habe es gelernt zu bitten . . . Ich 276 habe einen schönen Segler gekauft, ich traute meinen Augen nicht, als ich ihn sah. Es war an dem Tage, als ich Dir den weißen Brief sandte. Ich traf unversehens diesen Segler. Er heißt »Viktory«, ich will ihn »Henriette« nennen, nach Deinem Willen . . . Beides hat einen guten Klang, entscheide Du Dich. Henriette! Sage, wie Du Dich entscheidest. »Viktory« oder »Henriette«. »Viktory!« sagst Du. Ich will ihn so nennen, weil Du es willst. – – Meine rote Perle ist in diesem Zimmer, sagst Du. Hoho! Du hast sie verlegt? Sie ist zu kostbar, suche die Perle, ich bitte Dich . . . Nun weinst Du, und es tröstet mich nicht . . . Du weinst und umarmst mich in einem Atem. Ich fühle Dein Herz. Ich fühle die Perle, Henriette! Sie liegt an Deinem Herzen. In Gottes Namen! dann ist alles gut. Warum aber hast Du mir nicht geantwortet? Ich habe in Manila gelegen. Auf den Tod verwundet, bis auf den Tod. – – –

Gegen Morgen knackte der Luftschieber, der Zimmermann meldete sich. Es kommt Wind auf, Schiffer! Wir treiben ab.

Anker auf! rief ich aus tiefem Schlaf, setzt kleine Segel. Ich sprang hoch und zog meine Stiefel an. – Hören Sie! in dieser Nacht hatte ich schief gelegen, mein Rücken schmerzte und ich ging wie ein altes Rad. Jeder Schritt schmerzte mich und ich kam gebeugt an Deck.

Halt den Kurs an, zwei Strich östlicher! Holt die Trossen ein! – Die Segel flirrten und das Schiff nahm Fahrt auf. Nach einer Weile zog eine zahme Taube 277 über den Segler hin, und ich wunderte mich. Es kamen andere wilde Vögel, die kreischten und schrien.

Ich sah das Land ohne Glas, schnell wuchs es vor mir auf. Nur Großsegel und Fock standen noch, der Segler schoß dem Land zu. Ich nahm das Glas vor die Augen und mußte den Kurs ändern, ich sah Bacons Haus nicht. Ich drehte ab, wieder auf See hinaus. Nicht lange und ich sah Bacons Haus. Es kam die Bucht, sie war weiß gesäumt durch die Brandung. Ich ging auf Backbordbug und segelte in einem langen Schlag nach Südost. Ich glitt in die Bucht hinein. Der Wind wurde unter Land matter, die Viktory rauschte in langsamer Fahrt durch das Wasser.

Ich stand lahm an Deck, noch schmerzte mein Rücken, ich lehnte schief am Großmast und summte vor mich hin. Der Ankerfall dröhnte in der Bucht. Die Jolle ging zu Wasser. Mit Mühe hielt ich mich gerade und sprang in die Jolle. Der Zimmermann reichte mir die Ruder hinab. Er blickte mich fragend an, ich vermied es ihn anzusehen und sagte: Wir sind nur hundert Meilen von Port Ond entfernt. Abends sind wir im Hafen, bis dahin – –

Ich rudere langsam zum Ufer, ich blicke in die Sonne und freue mich, daß ich noch eine Weile allein bin. Eine Zeit sitze ich still im Boot, ich mache einen Ruderschlag und das Boot treibt weiter zum Ufer. Durch meinen Rücken zieht der Schmerz und ich sitze ganz gebeugt in der Jolle. Mein Herz geht schwer. Unerbittlich treibt mich die Jolle an das Ufer. Ich ziehe die Jolle an Land. Am Ufer liegt ein Stock, ich hebe ihn auf. Nicht weit davon liegt Bacons kleiner 278 Segelkahn. Meine Hand spielt mit dem Stock, ich steige langsam den Berg hinauf. Auf halber Höhe blicke ich mich um, die »Viktory« liegt überwältigend groß in der Bucht. Ich sehe meine Leute an Bord, sie haben ihre Köpfe auf den Berg gerichtet. Ich steige matt den Berg hinauf, durch die Büsche sehe ich das Haus, ich lausche und gehe. Vor dem Haus bleibe ich stehen, die Türen sind geöffnet. Herr Gott! hier stehe ich und starre durch eine offene Türe in das Haus. Es ist leer und seine Fenster sind eingedrückt, auf dem Boden liegt Staub. Ich rufe ein Wort durch das Haus, es hallt grausig leer in den Räumen. Und ich gehe über die staubigen Böden. Ich bücke mich nach einem Schnitzel Papier, ich halte das Papier in der Hand, ich lasse es fallen. Mit dem Fuß stoße ich an einen Scherben Glas, mechanisch hebe ich ihn auf und stecke ihn ein. Ich gehe die Treppe hinauf und rufe, von allen Seiten kommt mein Ruf zurück. Ich gehe durch die Großstube, an einer anderen Türe klopfe ich und öffne die Türe. Ich stehe in dem saubersten Raum des Hauses und werfe einen Blick durch das Fenster, unter mir liegt die Bucht. Ich sehe mein Schiff, es hat eine schwarze Haut. Das Zimmer ist leer, einst war es eine vollkommene Wohnung. Ich entsinne mich der großen Matte in der Mitte des Zimmers. Ein Wappen war eingeflochten. Und meine Augen malen die Möbel in diese Stube.

Ich raste auf dem Boden des Zimmers und strecke mich aus. Nach einer Zeit kommt mir ein Gedanke, ich stehe auf und blicke in die Sonne, sie ist immer noch meine Uhr, und es ist neun Uhr in der Frühe. 279 Ich sehe es am Licht, das die Sonne wirft. Der Schmerz in meinem Rücken ist verschwunden. Ich verlasse eilends das Haus und gehe den Berg hinab. Mit einem Schwung stoße ich die Jolle ins Wasser und rudere zum Schiff. Von weitem schreie ich den Zimmermann an: Anker auf! – Ich komme an Bord, der Anker ist auf, die Segel gehen hoch. Nach Port Ond! sage ich vor mich hin.

Eine Stunde später ächzt die Viktory auf hoher See unter vollen Segeln. Ich lasse den Schotter am hellen Tage krachen, das Schiff liegt auf der Seite, die Schote knarren und die dunklen Segel geben keinen Ton von sich, so hart liegen sie am Winde. Wir nahmen viel Wasser über. Ja! aber es läuft schnell wieder ab. Kein Tropfen hält sich auf Deck, ich sorge dafür, daß eine schräge Linie auf dem Schiff ist. Der Schotter möchte am liebsten aus dem Ladeluck springen. Die Mannschaft sitzt hochkant und in der Kombüse wird heute nicht gekocht.

Ich stehe am Steuer, der Rudergast steht neben mir. Er hüpft von einem Fuß auf den anderen. – Die Segel sind noch nicht im Wasser, flüstere ich. Einmal fuhr ich mit einem kleinen Segler zwei Tage diese Strecke. Ich war allein und hatte Segel und Steuer zu bedienen. Die Riffe scheuerten am Kiel, und ich kam doch nach Port Ond. Und ich komme wieder nach Port Ond, hörst Du, Rudergast!

Einmal scheuerte das Schiff leicht an einem Riff. Ich warf das Ruder herum, eingedenk der Häufung der Riffe. Der Segler richtete sich blitzschnell auf und die Besatzung fiel auf den Rücken. Ich hörte ihre 280 Flüche. Gleich darauf lagen die Maste wieder zu Wasser, ich segelte härter denn je am Wind.

Südsüdost! ich umsegelte das Cap. Der Landwind strich heiß um die Segel. Sechs Stunden stand ich am Steuer, die Fenster im Ruderhaus waren geöffnet, und ich hörte den Strudel am Heck gurgeln. Da tauchte Port Ond auf, die lange Mole sprang voraus ins Meer. Ich gab das Steuer ab und riß das Glas vor die Augen. Die Mole war intakt, es gab keinen Bruch mehr in der Mole.

Ich ließ die Segel streichen und hißte den Schlepperwimpel. Nach einer Zeit kamen zwei Schlepper in einer Wettfahrt auf. Der Schlepper Ceram fing zuerst die Trosse, ein verhungerter Lotse stand an Bord, er starrte mich an. Ich winkte ihm, er verzog sein Gesicht und schrie ein Wort. Ich verstand ihn nicht und ich lachte.

 


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