Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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13

Ein ganzer Tag verlief nun auf meinem Segler. Alle Hände hatten zu tun. Kimball machte klar Schiff und füllte die Tonnen mit Trinkwasser. Ich kaufte ein, was zu einer längeren Reise gehört..

Es kam der überlebende Matrose der untergegangenen »Rosina« an Bord. Er war verzweifelt, was aus ihm werden sollte. Er hatte sich einen Bart 178 stehenlassen und seine Augen waren entzündet, aber er hatte weiße Zähne. Daran erkannte ich seine Jugend. Er sprach mich immer wieder verzweifelt an und bat um Aufnahme.

Ich brauchte einen Matrosen, doch kümmerte ich mich nicht um ihn. Das war am Morgen meiner Abreise.

Mogens kam, er ging an zwei Stöcken. Ich half ihm an Bord. Er beklagte meine Ausreise nicht. Wohin? fragte er.

Ich komme wieder, sagte ich.

Du fährst James nach? –

Was habe ich mit James zu tun! – Darüber sprachen wir nicht mehr. Er ging mit mir in die Kajüte und saß mir lange stumm gegenüber. – Es war ein schwerer Orkan! sagte ich, um etwas zu sprechen. Ich habe viel erlebt in Port Ond. So manches Mal habe ich gedacht, es ist nicht gut, lange an Land zu bleiben. Ich werde jetzt eine Zeit tauchen, ich komme aber wieder, Freund. Ich habe noch etwas zu erledigen in Port Ond.

In Gottes Namen, dann fahre und komme wieder! murmelte Mogens.

Ich fahre ostwärts!

Er blickte mich ungläubig an. – Du glaubst mir nicht?

Er schüttelte den Kopf und drehte die Hände um und um. Er sagte: Im nächsten Jahre fahre ich wieder zur See. Ich kenne eine Linie, sie schreit nach mir. Ich werde ihr bald mitteilen, daß ich bereit bin, dieses Loch hier zu verlassen.

179 Du tust recht! sagte ich freudig bewegt. Mein Gott, schreibe der Linie gleich.

Und danach? fragte er und lauerte mich an. Was aber dann? Von Hafen zu Hafen! soll das das Ende sein? Ich frage Dich, wo endet denn das Fahren!

Ich schwieg. Wo endet das Fahren? Warum stellte er mir diese Frage?

Er sagte:

Dann wird Dein Haar grau, und Du kannst nicht mehr trinken. Der Ärger frißt Dich auf, ich kenne es. Täglich kommen die Kapitäne und sagen zu mir: Wir kennen alle Häfen in der Südsee. Was aber gibts Neues im Nordmeer! Wir möchten endlich einmal frieren! – So ist es, Nyhoff, zuletzt möchte man erfrieren. Ich sehe nicht so aus, wie! Du Ahnungsloser! Ich verbrenne, hörst Du. Ich will neuerdings ins Nordmeer, da fährt meine Linie. Verstehst Du, eine norwegische Linie, meine Heimat ruft mich! Ich werde mich aber hüten, ihr zu schreiben. Ich verlasse die Südsee nicht, ich will eine südliche Linie haben.

Da kann geholfen werden.

Ich kann mir selber helfen! sagte er aufgebracht. Noch will ich Port Ond nicht verlassen. Ich habe hier auszuhalten, ich habe eine gewisse Zeit auszuhalten. Ich habe es mir vorgenommen und nichts soll mich davon abbringen.

Es überfiel mich ein Verdacht und ich fragte: Noch ein Jahr? Ein Jahr hast Du Dir vorgenommen?

Warum ein Jahr, es kann länger sein, auch kürzer. Ich weiß es nicht, ich liege auf der Lauer.

180 Er griff nach seinen Stöcken und sah mich bedeutsam an, eine ganze Zeit. Er rückte mir dicht auf den Leib und sagte: Ich lebe jetzt drei Jahre in Port Ond, ich lebe hier freiwillig. Und es ist nicht daran zu denken, daß ich Port Ond verlasse. Da kannst Du sehen, welch ein Narr ich bin.

Warum sagst Du mir das?

Er spielte mit den Stöcken, legte sie über kreuz und schlug die Stöcke zusammen. Noch ein Schlag und einer der Stöcke zerbrach. Er warf ihn fort und stützte sich auf einen Stock.

Man geht mit einem Stock besser, lachte er und wandte sich zum Gehen.

Noch besser geht man ohne Krücken, antwortete ich.

Nyhoff! sagte er und lächelte mit einer falschen Inbrunst, es wird Euch allen nie gelingen, das Mädchen zu erobern. Ich lasse Euch den Glauben, schenke Euch noch meinen Glauben dazu. Inzwischen baue ich mir ein Haus mit kühlen Zimmern. Ich habe das Klubleben leid. Ich habe auch schon den Baumeister, er kommt aus Malaiti. Ich lasse durchweg aus Feldstein bauen. Was sagst Du dazu? Du kannst dann bei mir wohnen.

Ich lachte herzlich. Das mit dem Mädchen verstand ich nicht ganz. Ich scherzte und sagte: Ich komme geradewegs aus den Armen des Mädchens.

Er sagte:

Ich redete von einer Dame.

Dann beglückwünsche ich Maria Mayland zu ihrer Eroberung! rief ich aus.

Ich meinte aber Henriette, sagte er leise.

181 Ah! die Bacon. Du redest von Henriette. Entschuldige! ich war ahnungslos, wie konnte ich es ahnen! Um des Himmels Willen, wie kommt es, daß Du an Henriette denkst!

Er sah mich abweisend an und ging humpelnd durch die Kajüte.

Ich rief:

Steh still! darüber muß ich noch ein Wort hören. Jetzt begreife ich Dich. Bleib stehen! ich will Dir Glück wünschen, guter Freund. Du lauerst in Port Ond auf Henriette. Drei Jahre schon? Muß ich es so verstehen? Ich ahnte es ja nicht, Du hast es gut versteckt. Sitzt es so tief, Du Armer!

Er blickte mich mit toten Augen an.

Dieses Kind beschäftigt Dich! schrie ich ihn mit verstellter Freude an. Nun, ich kann Dir verraten, daß ich nicht einmal an sie denke. Sie ist mir nicht mehr als der Schaum einer See, nicht einen Atemzug lang denke ich an sie. Ich hatte sie vergessen, erst Du bringst mich wieder auf sie.

Dann ist es gut, sagte er leise. Ich traf sie in den letzten Tagen, besser noch, sie suchte mich auf. Am Tage nach dem Orkan . . . Ich lag mit dem Bein, es war wie ehedem.

Wie ehedem?

Ja! Ich lag, ich war splitternackt, ich hatte keine Zeit, mich zu bedecken. Da stand sie in meinem Zimmer.

Sie klopfte nicht an die Türe?

Es war wie ehedem! Wir waren eng befreundet, Nyhoff.

182 Ich begreife! sagte ich mühsam.

Du begreifst es nie, murmelte er. Ich kenne sie seit drei Jahren, wir verstanden uns gut. Sie ging bei mir ein und aus, wenn sie in Port Ond war.

Mogens! Du irrst Dich in Henriette. Sie hat einen Liebsten. Er nennt sich Georges.

Er schnalzte mit der Zunge: Es kann sich keiner rühmen.

Ich konnte ihm nun ins Gesicht schreien, daß sich einer rühmen kann. Ich hatte Erbarmen und schwieg von den Küssen im Boot. Aber ich fragte ihn: Kannst Du Dich rühmen?

Mogens reckte sich hoch, blickte sich um und flüsterte: Ich bin ein Teil ihrer Seele. Ich hoffe, Nyhoff, ich hoffe, mich nie zu rühmen. Ich will die Schnauze nicht haben, die sich rühmt. Denke an den jungen Kaufmann, er starb nicht unschuldig. Er hatte sich ihrer in der lächerlichsten Weise gerühmt. Er lief durch Port Ond mit Blumen in der Hand und hielt auf der Straße jeden Bekannten an und sagte: Die Blumen habe ich von Henriette. Ich weiß mich nicht zu retten, wohin mit den Blumen? – Sein einzigster Vorteil war seine Schönheit. Er war von einer rührenden Schönheit, echt amerikanische Augen, gerade Nase ohne Sommersprossen, weiß und braun zugleich, blondes Haar, kleine Ohren und gute Hände. Ich habe ihn eines Tages gestellt und ihm die Wahrheit gesagt. Er tat mir leid.

Und Henriette?

183 Sie hatte nichts mit ihm. Sie konnte stundenlang sein hübsches Gesicht anstarren, sie warf ihm Blumen ins Gesicht und lachte über ihn. – – – – – –

Ich brachte Mogens an Deck, ich stützte ihn mit den Händen unter seinen Armen. Auch ihn hatte die Liebe dürr gemacht. Es war, als stützte ich einen toten Baum. Ich brachte ihn an Land, er drückte mir lange beide Hände. Kimball schaute uns bewegt zu.

Wie ehedem, flüsterte ich ihm zum Abschied ins Ohr.

Er blickte mich fragend an, lachte vor Freude laut auf und stieß mir die Faust gegen die Brust. Er umarmte mich und ging klopfend davon.

Ich rief ihm nach: Es war doch ein schöner Orkan in Port Ond, Kapitän Mogens! Einen solchen Orkan wünsche ich mir auf hoher See!

Er hörte nicht mehr. Mir sauste das Blut in den Ohren, ich ging an Bord. Da stellte sich der Matrose von der »Rosina« wieder in meinen Weg. Als ich an ihm vorüberging, fing er an zu singen. Er sang das Lied aus der Torresstraße. Ich fuhr ihn an, woher er das Lied kenne.

Die ganze Südsee singt es, sagte der Matrose.

Ich blickte ihm in die entzündeten Augen. Es war mein Lied, samt Aufsang und Melodie. Es hatte sich wie ein Wind über die Südsee gelegt.

Der Matrose hieß Bongards.

Ich ging mit ihm in die Zeugkammer und sah die Segel durch. Wir legten das Großsegel und das Besansegel zurecht. Danach stellte ich ihn an die Taucherpumpe, ich schlug mit dem Fuß den Takt. Er pumpte gut. Ich schlug den Takt langsamer. Er mußte eine 184 Stunde vor meinen Ohren pumpen, und er ermüdete nicht. Ich lobte ihn innerlich, mit Bongards konnte ich unbesorgt tauchen. Er war eine kurze Zeit mein bester Windmacher.

Vor Sonnenuntergang stach ich mit Kimball und Bongards an Bord in See. Der alte Telegraphist stand lange auf der Mole und starrte seinem Sohn nach. Ein jeder sah, daß ich nach Osten segelte.

Trotz seines Fehlers steuerte der Segler gut in der leichten Brise. Nach einer Stunde war ich auf dem besten Wege, das Rätsel meines Schiffes zu vergessen. Aber ich wollte das Rätsel nicht vergessen. Um es mir ins Gewissen zu rufen, ging ich in die Kabine und schloß die Augen. Sogleich fühlte ich wieder das Hemmnis an den Flügeln meines Seglers. – –

Mit dem besten Winde segelte ich ostwärts. Ein leichter blauer Schleier lag über der See, den kein Wind vertreiben konnte. Die Sonne taumelte über den Wassern, diese Weile noch, hinter der nächsten See versank sie, eine goldene Woge schäumte auf und das Licht über der See wurde weiß. Die Nacht brach an. In meinen Haaren saugte sich ein Wind fest; es war der Gruß der untergehenden Sonne und ich dankte nicht ohne Rührung für ihren Gruß. –

Das Großsegel bauchte sich im Wind, der Wind kam seitlich an. Am Besan flatterte das Tuch. Schote los! das Tuch füllte sich. Und mein Segler legte sich aus, das Meer wurde wieder groß vor meinen Augen, kleine Wellen erhoben sich ohne Zahl. Schon waren es die Wellen des Ozeans.

185 Ich danke Gott, daß ich auf dem Meere zu Hause bin und fahren darf, in guter Freundschaft mit seinen Wassern und Wellen. Ich fahre dahin, mit einem genauen Ziel vor Augen. Meine Augen wissen nichts von dem Ziel. Eine glasklare Lagune im Süden winkt mir. Ich kenne sie seit Jahren, taufrische Perlmuscheln liegen auf dem Grund. Vor Jahren waren die Muscheln noch jung, jetzt aber kann etwas daraus geworden sein.

Ich übergab Kimball das Ruder, Bongards zog auf mein Geheiß ein Strecktau über Bord. Der Wind frischte auf, es konnte harte See zur Nacht kommen. Wir zogen mehr Segel auf. Und während ich über Deck ging, fühlte ich wieder den Fehler meines Schiffes. Es scherte leicht nach backbord aus. Ich breitete meine Arme aus, bis in die Fingerspitzen fühlte ich den Hang. Ich dachte scharf über den Hang nach, ich erwog alles an meinem Segler und kam zu keinem Ergebnis. Ich ging zum Großmast und blickte an ihm hoch, Ja! es war wie ein schönes Zittern in seinen Adern, ich hörte ihn leicht summen, aber er summte falsch.

Ich rief Bongards, er kam an den Mast. Seine Augen brannten feuerrot vom Starren in den Wind.

Fühlst Du einen falschen Hang, Bongards? – Er fühlte keinen falschen Hang, er kannte mein Schiff noch nicht. Ich aber sagte: Du fühlst nicht, daß das Schiff ausschert und willst ein alter Segler sein!

Warten Sie! sagte er und stellte sich an den Mast in die Mitte des Decks. Er blickte am Mast hoch und starrte dann auf die Kiellinie. Er sagte: Es schert nach backbord aus.

186 Ich entschuldigte mich bei ihm.

Er lief zum Bug hin und starrte ins Wasser, danach kam er zurück und schüttelte den Kopf. Wir stiegen zusammen in den Kiel hinunter. Das Perlmutter lag in Säcken gut geschichtet und rollte nicht. Mit einem Kienlicht leuchtete ich die Streben ab. Bongards klopfte das schmale Eisen ab. Nein, es war nichts zu finden. Ein wenig Wasser war im Kiel, ein Rinnsal, es verkroch sich vor meinen Augen. Wir lauschten. Es war, als hörte ich ein dumpfes Scheuern. Es wiederholte sich. Aber es war wohl die Kette in der Klüse.

Ich sagte mir, der Segler wird sich einfahren. Ein Orkan schlägt manches schief. Jetzt bin ich soweit ergeben, daß ich das Rätsel nicht mehr lösen will. Ich legte mich in der Kajüte nieder, aber es trieb mich, weiter über das Rätsel nachzudenken. Ich fahre ein ganzes Leben zur See und kenne diesen Segler, doch kann ich ihm nicht helfen. Es wurmte mich.

Ich schlief eine Zeit. – Ich erwache – das Schiff hat noch immer seinen Hang. Ich spüre es an meinem Rücken, auch schlägt mein Herz falsch, an meinen Fingern schwellen kleine Knoten und das Blut geht verkehrt durch die Adern. Das Schiff hängt! sage ich mir. Ich stoße einen wütenden Schrei aus, ich lausche und höre meine eigene Stimme nicht. Und der Segler schert aus.

Voller Zorn stehe ich auf und gehe an Deck.

Wer hat geschrien! kam mir Bongards entgegen.

Kein Mensch hat geschrien! sagte ich, aber ich will das Schiff im Winde drehen. Es soll seinen Hang verlieren. – Der Wind hatte aufgefrischt, die See ging 187 hoch. Bongards blickte mich von der Seite an und sagte demütig: Herr Nyhoff, wir können nicht mit dem Zeug im Winde halsen.

Das wollen wir sehen! Der Segler muß sich mit dem Zeug im Winde drehen. Er hat es immer gut gemacht.

Ich nahm Kimball das Steuer aus der Hand und stellte ihn am Besan auf, Bongards bediente die Großschot. Langsam brachte ich das Schiff aus dem Winde, die See schäumte vor dem Bug, die Segel schwenkten aus dem Winde und klatschten wie Schüsse über das Wasser. Ich drehte das Steuer weiter herum, die Bäume schwenkten ein, einen Augenblick war das Tuch schlapp und hing herab. Ich drehte weiter aus dem Wind. Jetzt kam die Gefahr, das Schiff legte über.

Schote los!

Die Segel faßten vollen Wind, wie im Kreisel fegte der Segler über die See. Ich blickte eine Sekunde über den hohen Bug und suchte mit den Augen die Bordwand ab'. Kimball schrie auf, aber es war nichts, er lag auf Deck und hielt sich an einem Strick fest. Der Segler sauste wieder im Winde, er richtete sich auf.

Ich hörte ein Rasseln; die Ankerkette! sagte ich mir. Aber es war am Heck, Kimball lief zum Heck und stieß einen Schrei aus. Ich stellte das Rad fest und lief zum Heck. Drei Schritt vom Heck strudelte das Wasser. Im bleichen Licht der Nacht sah ich einen Körper. Wie eine Schlange wand sich der Körper durch die Welle. Einen Augenblick sah ich ein gedunsenes Gesicht, zur gleichen Zeit hörte ich das schleifende Geräusch einer Kette am Ruder. Wieder 188 trugen die Wogen den Leichnam hoch, und ich stiere ins Wasser. An meiner Seite flüstert Kimball: Es war Sir Archie.

Sir Archie! Ich stiere ins Wasser. Vom Steuer rief mich Bongards an: Herr Nyhoff! Das Schiff schert nicht mehr aus. Ich fühle es deutlich, das Schiff läuft wie eine Zimbel!

Eine ächzende Freude schüttelte mich, der Segler fuhr wie eine Zimbel. In jedem Glied spürte ich seinen freien Atem. Er bebte wie eine Flocke über die Wogen, er neigte sich, dröhnte und hob klirrend seinen Bug. – So hatte sich Sir Archie bis zuletzt an meine Fersen geheftet? Der greise Kaufmann aus Malaiti. – Und ich stahl mich fort vom Heck, ich wollte nicht die ganze Nacht ins Wasser stieren.

 

An diesem Morgen lag ein dichter Nebel über der See. Der Wind war eingeschlafen. Mit seiner tiefen Stille umklammerte das Meer den Segler, ich lag an Deck. Von Zeit zu Zeit blickte ich in die Sonnenrichtung. Ein weißer Strudel im Nebel ist die Herrlichkeit der Sonne. Seltsame Stille. Ein Schritt hallt über Deck, ich sehe niemand. Es ist aber Kimball, überlege ich. Er hat den Leichnam zuerst erkannt und die Kette am Ruder schleifen gehört. –

Ich sehe zur Sonne auf, jetzt ist sie bleich wie der Mond. Der Nebel ist dünner geworden. Es fehlt noch eine Stunde an der Zeit, dann kommt der erste heftige Windstoß und vertreibt die Sonnennebel. Ich werde den Schiffsort feststellen und nach Süden segeln. Morgen will ich das Atoll mit seiner Lagune erreichen. In der 189 Nacht will ich ankommen und nach einer Jacht Ausschau halten. Ich erwarte sie an dieser Lagune.

Es raschelt an meiner Seite, es ist Bongards mit seinen roten Augen.

Wohin fahren wir? fragt er.

Ich suche ein Atoll, erwiderte ich. Ich will tauchen . . . Als ich es sage, faßt mich ein Mitleid mit seinen entzündeten Augen. Er ist der Überlebende der »Rosina«, sage ich mir. Er hat sein ein und alles verloren, es ist etwas Besonderes mit ihm, da er allein von der Besatzung gerettet ist. Und es schluchzte in meiner Seele, daß das Schicksal ihn noch zu einer großen Freude ausersehen hat.

Ich will Dich am Fang beteiligen, sagte ich. Ich gebe Dir Dein gut Teil ab. Willst Du Geld haben?

Er blickte mich verkehrt an. Geld, Geld habe ich nicht erwartet, Herr Nyhoff.

Dann Perlen?

Warum Perlen? erwiderte er.

Dann zum Teufel! was willst Du für einen Lohn? In diesem Augenblick denke ich nur an das Glück, daß Du lebst und Du willst keinen gerechten Lohn!

Er drehte mir den Rücken und verschwand im Nebel.

Ich bin roh zu ihm gewesen. Er ist noch voll unaussprechlichen Dankes, daß er geht und lebt, er blickt mit seinen roten Augen segnend in die neue Welt . . . ich bin roh zu ihm gewesen. – Kurze Zeit darauf höre ich, wie er einen Eimer ins Wasser wirft. Er reinigt das Deck. Ich erhebe mich und gehe ihm aus dem Wege. Am Steuer treffe ich Kimball schlafend. Ich wecke ihn und sage ihm, daß Bongards das Deck 190 wäscht. Darauf gehe ich in die Kajüte und bereite das Frühstück für mich und meine Gehilfen.

Alsbald höre ich, daß auch Kimball das Deck scheuert.

Wie gut! ich habe Menschen an Bord, die ohne Widerspruch für rein Schiff sorgen. Über den Lohn werde ich nie mehr mit einem Menschen verhandeln. Es beleidigt ihn, Gott gebe, daß ich Recht habe. Der Lohn ist etwas Furchtbares, wenn er ungerecht ist.

Etwas später kam Bongards in die Kajüte, ich holte Kimball. Wir aßen reichlich. Danach sagte ich Bongards, daß die Segel zu reffen sind. Der erste Windstoß nach dem Nebel wird heftig sein. – Sie sind schon auf Sturm gesetzt, sagte er. – Ein tüchtiger Matrose, dann ist es gut.

Er verlangte mich zu sprechen, er blickte sich scheu nach Kimball um. Ich schickte Kimball an Deck. – Ja, sagte ich, ich bin doch immer in Deiner Nähe, Bongards. Rede zu jeder Zeit, Du bist doch nicht mein Sklave. – Er lachte, ein Sklave sei er nicht. Weit gefehlt, er wäre in keinem Falle ein Sklave. Er sei etwas anderes.

Was bist Du?

Er blickte mich lauernd an, griff in die Tasche und reichte mir eine kleine silberne Truhe. Ich erkannte sie, es war mein Eigentum. Gestern noch lag die Truhe in meinem Spind. – Wie kommt sie in Deine Tasche? fragte ich.

Er blickte verlegen auf seine Schuhe und gab zu, daß die Truhe ihn gereizt hätte. Gold und Silber reizten ihn.

191 Ich dachte schnell nach und sagte: In Gottes Namen! behalte die Truhe, ich lege keinen Wert darauf.

Es zuckte in seinen Augen.

Ich ging an den Schrank, schloß ihn auf und nahm einen goldenen Siegelring heraus. Ich legte ihn vor Bongards hin. Eine alte Taschenuhr und einen silbernen Bilderrahmen legte ich dazu. Es war alles, was ich hatte. – Behalte es, dann reizt es Dich nicht!

Er rieb sich seinen Bart, blickte lange auf die Dinge und murmelte: Dann ist es gut.

Wann hast Du die Truhe genommen! fragte ich.

In der Nacht, erwiderte er. Und mit einem Zucken in den Augen fragte er: Ist das alles?

Es ist alles, was ich habe! sagte ich mit reinem Gewissen. Dann durchfuhr mich ein tödlicher Schreck und ich gestand ihm, daß ich Perlen in meinem Gürtel trage. Und meine Angst war riesengroß, daß ihn die Perlen reizen könnten. Ich forschte ihn aus, wie weit ihn die Perlen reizten. – Doch die Perlen reizten ihn nicht, er konnte Perlen liegen sehen. Seine Antwort war eindeutig und überzeugte mich. Er steckte Silber und Gold in die Tasche. In diesem Augenblick war das Lächeln in seinem Gesicht schief. Er sah mich ängstlich an, drehte sich um und ging. An der Treppe sah ich ihn mit den Schultern weinen.

Bongards!

Er stöhnte gewaltig, kam zurück und legte die Sachen auf den Tisch. Es hatte ihn überwältigt. Seit der Zeit liegt der Schmuck in einem offenen Behälter, jederzeit bereit für Bongards.

192 Nach einer kleinen Stunde segelten wir nach Süden. Wir hatten am Tage anhaltend guten Wind, und ich fürchtete, vor der Zeit in der Lagune zu sein. Ich nahm Segel, zuletzt fuhr ich nur mit dem Großsegel. Wir segelten vor dem Wind. Am Nachmittag legte ich den Kurs auf Südwest, erst am Abend brachte ich den Segler auf seinen alten Kurs.

Bongards putzte den ganzen Tag am Messing herum, sein Gesicht war über die Maßen demütig. Ich gab ihm mein Haimesser zum Schleifen. Auch bei dieser männlichen Tätigkeit wandelte sich sein Gesicht nicht. Ich hoffte auf den nächsten Tag. Ich fragte Kimball versteckt nach Gold und Silber. Aber der Junge war arm und hatte beides nicht. Wohl hatte er eine Uhr aus amerikanischem Stahl. Ich bat mir die Uhr aus und legte sie zu den anderen Dingen. Und ich begann Kimball zu schätzen. Er war unermüdlich tätig, sorgte für Reinlichkeit und ging mit der Ölfarbe geschickt und sparsam um. Ich zog ihn in lange Gespräche, mir klopfte das Herz bei seinem regen Verstand. Er stammte aus Boston, sein Vater war früher Schiffsfunker, konnte aber keinen Seedienst mehr leisten. Ich gab Kimball den Taucherhelm zum Reinigen und übertrug ihm die Verantwortung für die Sicherheit des Helmes. Ich beredete auch mit Bongards dieses und jenes. Er aber gab mir kaum Antwort. Oh, ich verzweifelte nicht, ich hatte ihn gern. Ich bereitete ihm ein vorzügliches Essen, brachte Arrak auf den Tisch und stieß mit Bongards wiederholt und vertraulich an.

193 Ich bin wie sein Vater, dachte ich dabei. Ich fahre mit zwei guten Menschen in eine Lagune und will tauchen. Ich werde ihnen ohne Geheimniskrämerei zeigen, wie ich mein Geschäft betreibe. Denkt nur nicht, ich sei ein Perlenfischer aus Leidenschaft! Ich bin ein Steuermann zur See und kann heute noch das Kapitänspatent haben. Doch bin ich den Perlen ergeben und dem süßen Leben, das in der Wanderschaft liegt. Ich weiß mehr Perlenlagunen, als ich zählen kann. Und ich kenne das Alter der Muscheln in den verschiedenen Gründen. Wie an einem Faden ziehe ich das Alter der Muscheln in meinem Gedächtnis hoch und bestimme danach meinen Schiffsort. Mit jungen Muscheln habe ich nichts im Sinn. Ich habe mich immer von den Gründen ferngehalten, in denen die wilden Perlenjäger herumziehen. Sie treibt die Gier nach Geld, mich aber treibt kein übelriechender Wind durch die Welt.

In Wirklichkeit stand mein Sinn nicht nach dem Tauchen. Und ich fuhr nicht in die Lagune, um nach Perlen zu tauchen. Mein Gewissen war schwarz, wenn ich an Kimball und Bongards dachte. Ich hatte ihnen gesagt, daß wir zum Tauchen in eine Lagune fahren. Und nun stand Bongards vor mir. Er, der Gerettete, mußte mir die Segel klar machen und das Deck kalfatern, er war dazu bestimmt, mich in die Lagune zu bringen. Ich ließ ihn das Haimesser schleifen. Und alles, was er tat, war mir doch nicht gut genug. Ich begann, ihn wie einen Jungen zu korrigieren. Ich hieß ihn Segel nehmen und wieder Segel setzen. Ich spuckte 194 auf sein sauberes Deck und nahm ihm das Messer aus der Hand. Lange betrachtete ich das Haimesser mit einer ausgemachten Lust. Ich nahm eine Nähnadel und hämmerte sie im Feuer lang und dünn. Darauf verglich ich die Spitze der Nadel mit der Schärfe der Messerspitze. In Stunden der Arbeit erhielt die Messerspitze erst die Schärfe der Nadel. Ich tauchte das Messer in Fett und peitschte es durch die Luft. Kimball und Bongards sahen mir zu, wie ich das Messer durch die Luft peitschte.

Es war nur die Luft der Südsee, die ich zerschnitt.

 


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