Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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Drei Tage später stand ich in der Sonnenfrühe vor Bacons Haus, ich hatte ein Beil, Säge, Winkelmaß und Schleifstein mitgebracht. Ich strich suchend über den Hof und fand kein gefälltes Holz. Als ich das Haus betrat, schlief Bacon noch. Er lag in seinem Bett, das Netz über den Kopf, er schlief mit offenem Munde, seine Hände fuhren wild auf der Decke umher.

Ich rief ihn an, er zuckte zusammen und schlug die Augen auf.

Wo ist Georges, Herr Bacon?

Der Alte grinste: In Port Ond. Ich warte jede Stunde auf seine Rückkehr. Inzwischen schlafe ich, wir haben nichts mehr zu trinken.

Und Henriette?

Henriette! rief er, Henriette!

Ich hörte einen leichten Schritt im Zimmer, und fragte Bacon schnell, wo er denn sein geschlagenes Wirtschaftsholz habe.

Er blickte mich neugierig an und hatte die Unverschämtheit mich zu fragen, warum ich noch nicht 74 abgesegelt sei, ich hätte es doch fest vorgehabt. Natürlich habe er kein geschlagenes Holz. Dabei sah er mich an, als wolle er eine Frage nach meinen entzündeten Augen stellen. Ich legte die Hand vor meine Augen und horchte hinter mich, ich hörte Henriette durch das Zimmer gehen.

»Wozu wollen Sie denn geschlagenes Holz?« fragte Bacon?

Dieser verrückte Mensch fragte mich, wozu ich geschlagenes Holz wollte.

Henriette kam, sie reichte mir die Hand. Ich vergaß einen Augenblick meine roten Augen und sah sie an. Ich nahm ein Zucken in ihrem Gesicht wahr und versteckte meine Augen.

Ja, wozu will ich geschlagenes Holz! fragte ich empört.

Sie legte ihrem Vater die Hand auf den Kopf und sagte endlich, daß ich nur auf ihre Bitten geblieben sei, um das Dach zu stützen.

Herr Bacon starrte Henriette an und wieder mich, er wurde blau und rot im Gesicht und keuchte: Das Haus stützen? Ich will nicht länger in diesem Hause wohnen. Ich will nach Port Ond, ich will mit Georges etwas im Hafen unternehmen. Ein Geschäft, eine Faktorei im Hafen, eine Goldquelle . . .

Ich duckte mich unter seinen Worten und ging schnell zur Türe. Der Spott gab mir die Worte ein: Mit Georges eine Faktorei in Port Ond! Dann ist die Verwandtschaft ja schon fertig. Und ich bringe Winkelmaß, Schleifstein und Beil mit herauf!

75 Ich blickte sie an, in ihren Augen zuckte es. Herr Bacon erhob sich, schnaubend fuhr er in die Hosen und zog sich seine weiße Weste an und knöpfte sie mit Sorgfalt zu, dabei wankte er vor Anstrengung und hielt sich an einem Stuhl fest. Nach einer Weile meinte er, ich könne ja das Haus stützen, wenn es mir Spaß mache.

Spaß! sagte ich. Ich habe meine Kräfte nicht zum Spaß, Herr Bacon.

Nun ja, lenkte er ein, ich solle das Haus ruhig stützen, vielleicht sei es dann ein Zufluchtsort für Henriette.

Die Worte des Alten riefen eine Dankbarkeit in ihr wach, sie streichelte die Hände ihres Vaters. Ihre Blicke hingen aber an mir. Ich bat sie, mit mir in den Wald zu gehen, sie sollte die Stämme aussuchen. Der Alte blickte mich argwöhnisch an, und ich fragte, ob es ihm recht sei. Er sagte ungewöhnlich sanft, ihm sei alles recht, was Henriette wolle.

So kam es, ich war zum ersten Male mit ihr allein. Wir gingen in den Wald, sie ging leicht an meiner Seite. Ich beobachtete sie. Sie trug wieder ihr altes graues Kleid, das ihr viel zu weit war. Sie fuhr mit der Hand über die Augen, sie drückte das Haar an den Kopf. Ihre Finger waren fortwährend beschäftigt. Einmal fuhren die Hände über ihre Brust, dann über die Hüften, sie griff nach dem hohen Farn, streifte die Bäume und sprach kein Wort. An einem mittelstarken Malvenbaum blieb ich stehen. Diesen Baum kann ich gebrauchen, sagte ich, er gibt zwei Stützen her. Ich schlug mit dem Beil eine Kerbe in den Baum. Sie 76 zuckte zusammen und sah mich groß an. Ja! sagte ich, er muß fallen. Ich brauche noch mehr Bäume. Das wundert Sie wohl, ich brauche zwanzig solcher Bäume, wenn das Dach seinen Halt wieder haben soll. – Wir gingen weiter über den Weg. Links und rechts lag der traurige Rest einer Kaffeeanpflanzung, die kleinen Pflänzchen waren im Fang erstickt. Wir kamen an Stellen vorbei, an denen der Wald halb gerodet war. Die Arbeit war unterbrochen und aus den Wurzeln schossen neue Triebe. Eine verkommene Farm, aber das ist Bacons Sache. Es gibt viele Farmer, die vor dem Erfolg die Lust an der Arbeit verlieren. Sie greifen nach dem Whisky. – Wir gingen weiter, und ich suchte nach Bäumen. Als wir an eine neue Rodung kamen, sagte sie: Wir hatten kein Geld mehr, weiter zu arbeiten, mein Vater war erst fleißig, es ging alles gut voran. Dann fuhr er nach Port Ond, er kam tagelang nicht wieder . . .

Schade um Ihren Vater. Wo soll das hin? Und nun mit Georges zusammen eine Faktorei oder gar eine Kneipe? Ach, Henriette, dann sind Sie der Mittelpunkt in Port Ond! Wollen Sie wirklich nach Port Ond?

Sie schüttelte energisch den Kopf.

Ich verstehe, sagte ich. Ich will Ihnen das Haus stützen, Henriette. – Wir blieben an einem Weg stehen, und sie reichte mir ihre Hand. Immer noch versteckte ich meine Augen. Und doch mußte sie die Entzündung meiner Augen gesehen haben, sie sagte mir kein Wort darüber. Ich bewunderte ihre feinen weißen Finger, der Ausdruck ihres Gesichtes stimmte 77 mich dankbar. Ich fragte, wie alt sie sei. Sie lachte mich an und meinte, ich würde erstaunt sein. Sie sei nicht mehr jung, sie sei weit über das Alter hinaus.

Ich überlegte ihre Worte und sagte:

Was heißt das? Zwanzig Lenze?

Sie verneinte.

Ich fragte sie nicht weiter. Sie wurde plötzlich ernst, ihre Stirne legte sich in Falten. Sie flüsterte, ich solle erst gar nicht die schönen Bäume fällen. Ihr Vater wolle nach Port Ond.

Ich hielt ihre Hand und sie preßte meine Hand mit ihren zarten Fingern.

Wenn es so steht, sagte ich, werde ich das Haus erst recht stützen. Ich sehe, Sie stehen allein gegen ihren Vater und Georges. Wie?

Darauf antwortete sie nicht. Aber ich sagte, daß ich alles wisse. Georges habe ihren Vater seine Perlen gezeigt und ihn betört. Es könnte auch nicht lange dauern, dann würde Georges ihr etwas anbieten. Vielleicht sei es schon geschehen.

Ich legte meinen Arm um ihre Schulter und fragte eindringlich, ob Georges ihr ein Kleid angeboten habe. – Ist es wahr, Henriette?

Ja, flüsterte sie, er hat mir ein Kleid angeboten.

Ich warf das Beil in den Baum und blickte lange auf den zitternden Schaft.

Dann aber sagte sie: Wie können Sie denken, daß er es wagt, mir ein Kleid anzubieten!

Ich zog sie an mich, sie zitterte und legte beide Hände auf meinen Arm.

78 Henriette! ich freue mich, daß er Ihnen das Kleid nicht geschenkt hat . . . Und ich berührte mit den Lippen ihren Hals. –

Ich hörte einen Zweig knacken. Als ich mich umdrehte, kam Herr Bacon über den Weg, er mußte uns umschlichen haben. Seinem Atem war es anzuhören, daß er gelaufen war. Er biß sich auf die Lippen und scharrte mit dem Fuß an der Erde.

Zorn und Wut überwältigten mich, ich sagte laut zu Henriette: Also, ein Kleid hat Ihnen Georges angeboten. Sieh' einer an, der kleine Galgenvogel! Und der Herr Vater duldet das Geschäft!

Bacon kratzte weiter mit dem Schuh in der Erde.

Er sagte: Ich denke, sie wollten Bäume fällen. Statt dessen stehen Sie hier mit Henriette herum.

Ja, ich wollte Bäume fällen. Ich habe es mir überlegt. Was wollen Sie für Ihre verkommene Farm haben, Herr Bacon! Sagen Sie schnell einen Preis. Ich bin gelaunt, Ihren Besitz zu kaufen.

Er kam vor Staunen zu keiner Antwort. Er stierte mich an.

Sie wollen nicht! Ich habe fünfmal soviel Perlen wie Georges. Nun!

Er sah mich mit einem Gemisch von Gram und Freude an.

Zweitausend Pfund.

Gut, ich will es mir überlegen. Ich habe nur die Absicht zu kaufen, wenn Henriette im Hause wohnen bleibt. –

Ich schritt schnell an ihnen vorüber in die Pflanzung hinein. Hinter einem Hügel blieb ich stehen und 79 überlegte mein Angebot. Was wollte ich mit einer Farm! – Aber es war der Preis, den ich anlegen würde, um Georges aus dem Sattel zu heben.

Einige Tage vergingen.

 

Georges ist mit Waren aus Port Ond zurückgekehrt. Ich habe kein Wort mit ihm gesprochen. Ich schlafe auf meinem Segler und störe mich an nichts. Die Bäume habe ich gefällt und die Stämme mit den Mauleseln aus dem Walde in die Nähe des Hauses geschleppt. Jetzt ist das Holz geschält und behauen. Der Hof war mit Spänen bedeckt. Ich habe alles zu einem Haufen gekehrt, und das Holz liegt übereinander geschichtet, eine gute Zimmermannsarbeit. Ich bin froh über diese Arbeit, denn ich bin damit über schwere Tage hinweggekommen. Am Tage sah ich einige Male Henriette, sie ging über den Platz, hielt sich auch eine Weile neben mir im Schatten auf. Ich starrte dann auf ihre Füße, weiter erhoben sich meine Blicke nicht. Noch waren meine Augen nicht gesund. Ich sah häßlich aus, und ich wagte es nicht, sie anzublicken. Aber ich brannte darauf, ihr zu erzählen, wie es zu der häßlichen Augenentzündung gekommen war. Oft hatte ich mir diese Erklärung überlegt. Ich wollte ihr sagen: Denken Sie, Henriette, meine Augen brennen und sind entzündet. Ich habe ohne Helm getaucht und die Adern zersprangen hinter den Augen. Hoho! ich war nicht weit vom Tode entfernt. Haben Sie Erbarmen, Henriette. Es ist bei Gott keine schlimme Erkrankung. –

80 Doch schwieg ich jedesmal und starrte auf ihren Fuß. Meine Augen erinnern mich immer wieder an den kalten Tod, und er hat Spuren in meinem Geiste hinterlassen. In den Nächten erging es mir schlecht. Das Herz war unberechenbar, zu einer Stunde schlug es ununterbrochen laut und herausfordernd; plötzlich ließ es sich nicht mehr hören. Oft stand ich nachts auf meinem Segler und wartete auf das Klopfen meines Herzens.

In diesen Nächten war es seltsam dunkel, ich befürchtete einen Orkan. Die Wolken hingen tief und bei Sonnenaufgang gab es eine Menge toter Vögel an Bord und auf dem Wasser. Es waren Vögel, welche in den dunklen Nächten nicht sehen und sich über dem Wasser verirren. Diese Vögel sind nicht mit Nachtaugen ausgerüstet. – Ja, die Nächte waren dunkel, und ich war froh darüber, daß niemand in meine Augen sah.

Ich ging daran, das Holz nach der Länge zu schneiden. Notgedrungen mußte ich Bacons Haus betreten, um die Maße zu nehmen. Darauf schien Herr Bacon gewartet zu haben, er faßte mich an der Türe ab und lud mich zu einem Frühstück ein, er nötigte mich ins Zimmer. Ich hatte ihn während der ganzen Arbeit nicht einmal gesehen. Er hatte sich nicht aus dem Hause gewagt, zur Siesta hörte ich ihn schnarchen.

Ich kam der Einladung widerwillig nach, er nahm meinen Arm und führte mich ins Zimmer. Georges lag in einem Sessel, und ich riß meine Augen auf. Er trug ein Seidenhemd, das am Kragen mit bunter Stickerei versehen war, dazu eine weiße Flanellhose 81 und weiße Schuhe. Um nicht zu lachen, blickte ich mir ausgiebig den Frühstückstisch an. Aha! dachte ich, ein Frühstückstisch von Georges Gnaden.

Herr Bacon lief um den Tisch herum, er strich die Falten in der weißen Decke glatt. Seine Lippen liefen über von der Feuchtigkeit seines Gaumens. Er murmelte: Es gibt noch Schildkrötenfleisch und japanischen Hummer, jedenfalls auch einen guten Tropfen.

Hummer aus Büchsen ist schädlich, sagte ich. Aber für Schildkrötenfleisch bin ich zu haben. Hören Sie, Bacon, ich will erst die genauen Maße im Dachstuhl nehmen . . .

Aber wie man mich bat, Platz zu nehmen! Sie bettelten, ich solle nach dem Frühstück die Maße nehmen.

Durch die Türe schritt Henriette, sie reichte mir fröhlich die Hand.

Guten Tag, Herr Nyhoff.

Ich hielt ihre Hand fest und gab ihren fröhlichen Gruß mit leiser Stimme zurück. Da schoß Georges aus seinem Sessel hoch, mit eitel Freude streckte er mir die Hand entgegen, er sagte: Wir wollen uns jetzt wieder vertragen. Solange haben wir gut zusammen gelebt. Ich gestehe auch, daß ich nicht weiß, wie ich das Dach anheben soll. – Gib mir Deine Hand!

Ich nahm seine Hand nicht, sagte aber freundlich, daß er zusehen könne, wie man ein Dach anhebt.

Henriette lief erregt um den Tisch herum und sagte mit großem Eifer: Gebt Euch die Hände, bitte, ich bitte Euch . . .!

82 Georges streckte mir wieder seine Hand entgegen, mit dem größten Widerwillen gab ich ihm die Hand. Er umklammerte meine Hand, in einer aufdringlichen Weise kam er mir näher und sagte, er habe in Port Ond einen Bekannten von mir getroffen. Kapitän Mogens ließe mich grüßen und bitten, ihn zu besuchen.

Kapitän Mogens in Port Ond? fragte ich verwirrt.

Ja! sagte Georges hingerissen, er ist der Hafenkommandant, ich sprach mit ihm und er sagte mir: Thomas Nyhoff ist der einzige Freund, den ich in meinem Leben gefunden habe. –

Alte Erinnerungen schossen durch meinen Kopf. Ich war überwältigt, von Mogens einen Gruß zu hören. Im Anfang meiner Laufbahn fuhr ich als Steuermann unter Kapitän Mogens, später war ich sein Freund und hatte ihm in der Südsee wichtige Dienste geleistet.

Georges hatte eine weitere Überraschung für mich, er erzählte, im Hafen von Port Ond läge auch eine Perlenjacht, ein flottes Motorschiff. Der erste Matador an Bord sei James. Du kennst doch noch James? fragte er mich. Kapitän Mogens warnt Dich vor ihm. James ist der Besitzer der Jacht, er hat zwei Taucher an Bord und die neuesten Tauchgeräte. Wir sollten Ähnliches machen, Nyhoff. Überlege es Dir!

Nun erst verstand ich seine Freundlichkeit. Ich erwiderte: Wenn James in Port Ond ist, werde ich mich hüten, ihm zu begegnen. Hat Dir Kapitän Mogens auch gesagt, wer James ist?

Georges blickte zur Seite.

83 Ich lachte ihn an und sagte: James war mein Gehilfe. Er hat mir drei große Perlen gestohlen. Ja, ich habe kein Glück mit meinen Gehilfen.

Er wurde rot, mit einem schnellen Blick sah ich Henriette an. Sie hatte meine Worte gehört und blickte Georges etwas entsetzt an. Ich sah auch, daß sie wieder das schöne Kleid mit der Silberschnalle trug.

Herr Bacon schnalzte mit der Zunge, er lud ein, endlich an seinem Frühstückstisch Platz zu nehmen. Er bot mir den Stuhl neben Henriette an, und auch sie bat mich ausdrücklich, neben ihr Platz zu nehmen. Georges pfiff vor sich hin, er machte den Mundschenk und goß Herrn Bacon ein Glas Whisky ein.

Sie legte mir Schildkrötenfleisch vor. Aus Ungeschick berührte ich ihre Hand, ihre Wangen röteten sich und sie ließ ihre Hände still auf dem Tisch liegen. Nach einer Weile sagte sie entschuldigend: Georges hat den Tisch beschickt, er hat alles aus Port Ond mitgebracht.

Georges versicherte mir, daß es wirkliche Leckerbissen in Port Ond gäbe. Alles sei in Port Ond vorhanden. Die Moskitos seien zwar furchtbar, besonders an den Abenden. – Heio! sagte er plötzlich, es gibt sogar ein schönes Klubhaus in Port Ond, auch Eismaschinen. Ich habe kalten Whisky getrunken. – Und er schwärmte von Port Ond, eine große Straße ziehe sich durch die Niederlassung, und zu beiden Seiten stünden die Faktoreien und prächtigen Wohnhäuser der Kaufleute.

Ich nickte, es paßte alles zu meinem Verdacht, daß Georges mich für die Motorjacht in Port Ond 84 begeistern wollte. Sicher ist auch Henriette im Bunde, überlegte ich.

Ich sagte: Es wird nichts daraus, Georges. Ich will keine Motorjacht, es hat keinen Sinn, mich für einen solchen Plan warm zu machen.

Herr Bacon hielt im Essen ein, grinste und sagte, er habe es gleich gewußt, ich sei kein kluger Mensch. – Nun, ich steckte den Vorwurf ruhig ein. Von seiner Sorte nahm ich keine Belehrung an. Ein Blick auf Henriette belehrte mich, daß sie unruhig wurde, sie spielte mit den Fingern.

Ich fragte sie geradezu, ob sie eine Meinung hätte.

Sie erhob sich, blickte über den Tisch und verließ das Zimmer. Georges sprang einige Schritte hinter ihr her, kehrte dann aber zurück und stellte sich herausfordernd vor mich hin.

Ich will endlich die Hälfte des Perlmutters haben, sagte er.

Du sollst es haben, hörst Du! Ich pflege meine Gehilfen nicht zu betrügen.

Nein, das tust Du nicht, sagte er. Aber mit Deinem Hochmut findest Du nie treue Gehilfen.

Ich war zu einer Antwort bereit, es sollte ein kräftiger Stoß werden. In diesem Augenblick kam Henriette zurück, so schwieg ich. Sie ließ sich an meiner Seite nieder, für eine Sekunde zog eine tiefe Ruhe in mein Herz. Die nächsten Worte von Georges trieben mir die Schamröte ins Gesicht.

Du bist nicht nur hochmütig, sagte er, Du bist auch krank. Es ist an Deinen Feueraugen zu sehen, daß Dein Blut krank ist.

85 Ich senkte die Augen, eine Hitze schoß durch meine Haut und meine Beine waren wie gelähmt. Nun war der Augenblick gekommen, daß ich sprechen mußte. Ich zitterte und sagte: Es ist ein Unfall, Georges. Es ist keine Krankheit. Wenn ich Dir erzähle, wie schrecklich es mir ergangen ist, dann mußt Du Deine Behauptung zurücknehmen. Willst Du hören, wie es mir ergangen ist!

Er zuckte mit dem Kopf und blickte mir in die Augen.

Hört Ihr zu? fragte ich und sagte schnell: Ich war drei Tage blind. Drei volle Tage, und es ist keine Krankheit, wie Georges sagt. Ich habe ohne Helm getaucht, mit einem starken Gewicht am Fuß. Ich fiel über zwanzig Meter tief und geriet in einen Strudel. Der Wasserdruck hat einen Bluterguß in der Stirne hervorgerufen, darum war ich blind. Jetzt sind meine Augen rot und schmerzen. Das ist die ganze Geschichte. Ich wollte sie nie erzählen. Und ich sage es nur, damit Ihr nicht glaubt, ich sei krank. Drei Tage war ich blind und Ihr wart an Bord und habt es nicht gesehen.

Sie flüsterte:

Ich habe es gewußt, ich habe eine Nacht am Ufer gestanden und wollte Ihnen helfen.

Ich stand auf und betrachtete sie kurz. Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Lippen geöffnet. Ein seltsam schönes Gesicht. Ich verließ schnell das Zimmer und ging durch das Haus.

Die Freude verführte mich, ich flog die Treppen hinauf in das Obergeschoß. An einer Türe hielt ich 86 an, es war vor ihrem Zimmer. Ich öffnete leise die Türe und warf einen Blick hinein, ich sah Tapeten an den Wänden und einige zierliche Möbel; auf dem Boden lag eine hell gefärbte Matte, ein Wappen war in die Matte gewirkt. Auf dem Tisch stand eine Photographie, ich warf einen schnellen Blick darauf, es war ihre Mutter. Ich habe das Gesicht nicht vergessen, es war das Gesicht einer Toten.

 

Das Gerüst an der Nordseite des Hauses ist fertig. Zwei Pfähle hatte ich in die Erde gerammt, die Pfähle stehen drei Meter auseinander und dicht an der Giebelwand des Hauses. In die Pfähle hatte ich in kurzen Abständen Löcher gebohrt. Das ist meine Winde, mit der ich das Dach anheben will. In die Löcher steckte ich starke Eisenbolzen, darüber legte ich einen Baum. Auf den Baum stellte ich den Hebebalken, der bis zum First reicht. Mit einer Eisenstange hob ich den Querbalken einige Zentimeter auf der linken Seite an, steckte den Eisenbolzen nach und machte dasselbe auf der rechten Seite.

Das Dach hob sich an.

Ich arbeitete den ganzen Tag, es war eine mühevolle Arbeit. Herr Bacon kam hinzu und ließ sich auf einem Feldstuhl nieder. Georges brachte ihm den Whisky nach und Henriette stand die ganze Zeit an meiner Seite. Georges zeigte von Anfang an ein merkwürdiges Interesse an meiner Winde. Er lauerte mir jede Handbewegung ab, doch half er mir nicht bei der Arbeit. Sie ließen mich alleine arbeiten. Herr Bacon in seinem Feldstuhl, die Flasche neben sich, Georges 87 in weißer Flanellhose und im Seidenhemd. Es war ein Festtag für sie, mich arbeiten zu sehen. Herr Bacon befahl auch seinen Eingeborenen nicht, mir zu helfen; der Gedanke kam ihm nicht. Der Tag war heiß, ich lechzte nach Schatten und Ruhe, doch gönnte ich mir keine Pause. Das Dach sollte gehoben sein, ehe der Abend kam. Als ich ein Tuch suchte, um mir den Schweiß aus den Augen zu wischen, zog Henriette ein weißes Tuch aus ihrem Gürtel und reichte es mir. Ich trocknete mein Gesicht, das Tuch behielt ich und steckte es in die Tasche.

Als sich das Dach sichtbar anhob, schlug sich Herr Bacon klatschend auf die Knie und rief: Wie einfach, das hätte ich auch gekonnt! – Ich hörte es und lachte in mich hinein.

Georges meinte, ja, das kann jeder.

Sie sagte: Ihr vergeßt den Gedanken!

Ich bedankte mich bei Henriette für dieses Wort. Ja, der Gedanke. Es war kein blinder Gedanke, obgleich ich blind war, als ich die Winde erdachte.

Nach einer Zeit war das Dach so weit gehoben, daß ich die morschen Balken im Dachstuhl auswechseln konnte. Darüber wurde es Abend. Die neue Balkenlage mußte noch gestützt werden. Aber auch die Stützen sollten ausgewechselt werden. Es konnte noch einige Tage Arbeit kosten.

Ich prüfte die Winde, die das Dach nun zu tragen hatte. Die Winde stand gut, sie hielt das Dach. Ich packte mein Werkzeug und sagte gute Nacht. – Henriette fragte, ob ich im Hause nächtigen wolle. Das trug ihr einen bösen Blick des Alten ein. Ich lachte darüber 88 und gab Henriette die Hand. Ich zog ihre Finger hastig an meiner Wange vorbei. Das tat ich, weil Georges mit funkelnden Augen neben mir stand. Darauf verließ ich schnell den Arbeitsplatz.

Herr Bacon rief mir ein Wort nach. Ich kam zurück, um das Wort zu hören. Er wiederholte das Wort aber nicht, er pfiff vor sich hin. Ich schritt noch einmal zur Winde. Georges stand vor dem Gerüst und spielte mit der Hand an den Eisenbolzen meiner Winde. Als er mich sah, nickte er und meinte, die Eisenbolzen alleine hielten das ganze Dach.

Ja, es ist alles nach seiner Stärke berechnet. Die Eisenbolzen können nicht abbrechen.

Darauf erkundigte sich Georges, was denn geschähe, wenn der Tragbalken von den Eisenbolzen rutsche.

Der Tragbalken kann nicht aus sich heraus abrutschen, die Last hält den Tragbalken an seinem Fleck fest.

Richtig! sagte Georges, eine schöne Winde. Ich habe etwas von Dir gelernt.

Ich unterrichtete ihn, daß es keine Winde sei, sondern ein Hebewerk nach meiner Art.

Ich verstehe, rief er mir nach. Du willst mit dem Gedanken glänzen.

Nun aber fort! dachte ich. Die Minen sind gelegt und man wird sehen, ob sie springen. Haha! Ich täusche mich in Georges nicht. – Ich lief den Berg hinab und sprang in die Jolle. Ein kleiner Wind blies, er trocknete mir den Schweiß. Die Sonne ging schäumend unter, weiß und golden leuchtete die See, sie zeigte seltsame Lichtstreifen. Ich ruderte schnell zum Segler und nahm die Jolle an Bord. Das tat ich jetzt 89 jeden Abend. Ich nahm Henriettens Tuch aus der Tasche und spielte damit, es flatterte mir aus der Hand und fiel auf die Planken. Ich hob es auf und stieg am Großmast in die Stricke, ich hielt das Tuch hoch und ließ es flattern. Es segelte über Bord und trieb schnell in einen Strudel davon; ich habe es nicht bedauert.

Ich zog den Anker auf und ließ die Ankerkette klirren. Laut hallte es am Berge wider. Ich zog das Großsegel auf, unter dem Steuerdruck drehte sich das Schiff, die Segel kamen in den Wind. Ich ließ die Schot los, der Segler legte sich ans Ruder und schoß durch die Bucht. Schon setzte der kurze Wellengang des Meeres ein. Ich zitterte vor Freude und zog das Großsegel voll auf. Ich starrte in den flockigen Himmel, die Wellen der See wurden immer kürzer, der Segler tanzte und stieß sich wund am Wasser. Er kreiste über die kurze See, als balancierte er auf einer Kugel. Eine Weile taumelte er vorwärts, plötzlich summte es im Kiel, der Bug strömte voran, die Mastspitzen zogen kleine Bögen durch den verglühenden Himmel. Und ich sagte leise vor mich hin, die schönen Mastspitzen ziehen wieder ihre Kreise, das Schiff segelt.

Ich zog mit dem Segler einen Bogen vor der Bucht, einen weiteren Bogen durch die See, wie eine Taube segelte er dahin. –

Wie lange ist es her, daß ich ein Knecht von Bacons Tochter bin. Ich will es nicht untersuchen, das Schiff fährt, nun ist alles gut. Ich fahre ja durch die See. – Das Haus auf dem Berge hielt ich im Auge.

Die Silbernacht fiel schnell ein. Ich beeilte mich, das Schiff zu wenden, eilte über Deck und setzte die 90 Segel um. Ich legte der schnellen Fahrt einen Hemmschuh an. Wieder lag Bacons Haus vor meinen Augen, ich segelte ihm entgegen. Vor der Bucht ballte sich der Wind, das Schiff legte sich zur Seite. Ein Grollen ging durch die Mastspitzen, zwei Winde preßten sich in die Segel, ich hielt das Steuer steif und schoß schnell in die Bucht ein.

Ich löste den Ankerfall, mit Krachen rollte die Kette ab. Und wieder hallte es schön in der Bucht, der Schall belebte das Wasser, Vögel und Fische waren aufgestört; es summte und wimmelte eine Zeit in der Bucht.

Etwas später wurde es Nacht, ich lag in meine Decken gehüllt an Deck und wartete. Eine Stunde ging hin, die zweite begann. Ich stand auf und ließ die Jolle leise zu Wasser und ruderte ans Ufer. Dieses Mal umging ich den Berg und kam von der Nordseite an das Haus heran. Ich prüfte meine Winde, die Bolzen steckten in den Löchern, und der Tragbalken ruhte in seiner alten Lage auf den Bolzen.

Ich wartete in einem Busch.

Aus einem Zimmer im Obergeschoß fiel das flackernde Licht einer Kerze. Ein zweites Licht erschien im Raum. Ich belauschte die Lichter, eine Weile standen sie auf dem Fensterbrett. Als es im Zimmer dunkel wurde, zitterte ich vor Erregung.

Zwei Männer traten auf die Veranda, Herr Bacon und Georges, sie sprachen miteinander. Als sie die Veranda verließen, sah ich, daß Georges Stricke in der Hand trug. Sie gingen zur Giebelwand und betrachteten das Gerüst, Georges legte seine Hände auf den 91 Tragbalken, er blickte hoch. Ich konnte nicht sehen, was er tat. Als er zurücktrat, konnte ich mich überzeugen, daß er den Strick um den Balken gelegt hatte.

Ein Geräusch lenkte mich ab, Henriette erschien auf der Veranda. Ich achtete nicht weiter auf sie, ich hielt meine Augen auf die Winde gerichtet. Herr Bacon kreuzte die Arme über der Brust, hustete laut und lachte hoch erfreut. Er meinte, Georges solle nun ruhig ziehen.

Georges ging mit dem Strick drei Schritt zurück. Er zog langsam am Strick, blickte dann zum Dach hinauf und ging weitere drei Schritt zurück. Er stemmte seine Füße in die Erde, legte den Strick über den Rücken und zog.

Der Balken rührte sich nicht. Georges ließ den Strick fallen und sagte plötzlich: Ich ziehe nicht!

Henriette stand noch auf der Veranda, sie tanzte von einem Fuß auf den andern. Vor Freude und Genuß, meine Winde und ihr Haus zerstört zu sehen? Sie sprang die Stufen der Veranda hinab, ich hörte ihr Kleid rauschen.

Bacon schrie: Ziehen! – Es lag eine Freude in seiner Stimme, die mich betäubte. Zieh! brüllte er noch einmal, haben Sie Angst, zu ziehen!

Georges nahm den Strick, legte ihn über den Rücken, er zog aber nicht. Wozu dient es? rief er. Er wird eine neue Winde machen und liegt eine Woche länger in der Bucht.

Ziehen! brüllte Bacon. Er lief zum Strick und nahm ihn über den Rücken. – Ich streifte Henriette mit den Augen, sie legte ihren Kopf zurück und 92 blickte gespannt zum Dachfirst. Sie faltete ihr Hände im Nacken. Als ich näher hinsah, war ich erstaunt, daß sie ihre Augen geschlossen hielt.

Herr Bacon und Georges zogen. Sie mußten dreimal ansetzen, ehe der Balken abrutschte. Er fiel von den Bolzen und mit einem dumpfen Schlag sauste das Dach in seine schiefe Lage zurück. Es gab eine Staubwolke, einige Splitter und einen langen Widerhall. Meine Winde lag an der Erde. Georges lief zum Balken und zerschnitt die Schlinge, während Herr Bacon gemächlich auf und ab spazierte. Nach einer Weile sagte er: Er wollte uns etwas vormachen. Was war das ganze nun wert? Eine Winde, die beim ersten Stoß zusammenfällt.

Wir haben sehr ziehen müssen! sagte Georges zu meiner Ehre.

Henriette ging schnell dem Hause zu. Aber wie sie nur ging! Sie hüpfte, es war kein Spiel, sie verwechselte vor Erregung ihre Schritte. Herr Bacon wies mit dem Finger auf seine Tochter, und ehe sie im Hause war, rief er laut: Er wird eine neue Winde machen. Er liegt ja an der Kette!

Mit diesen dürren Worten gingen sie hinter Henriette her ins Haus.

Ich saß wie betäubt hinter dem Busch und schluchzte mit großer Wut in mich hinein. Als ich zur Bucht ging, hatte ich den Entschluß gefaßt, in der Frühe nach Port Ond zu segeln. Endlich hatte ich eine klare Entscheidung getroffen. Ein ohnmächtiger Zorn schüttelte mich. – Bin ich ein Mann? fragte ich mich. Ich denke nicht mehr an sie! – Ich lief den Berg 93 hinab und flüsterte mir zu: Ich will keine Feinde haben. Ich gehe allem Ärger aus dem Wege. Das Haus wollte ich ihnen stützen, sie selber aber reißen es ein . . .

Als ich zur Bucht kam, lag meine Jolle nicht an ihrem Platz, sie war verlegt, ich sah es sogleich. Neben meiner Jolle aber stand Henriette. Ich blieb an der Jolle stehen und hörte meinen pfeifenden Atem.

Ich sagte ihr mit der Kälte des Augenblicks: In der Frühe segle ich nach Port Ond, es ist alles zu Ende.

Als ich in die Jolle stieg, sagte sie mit bebender Stimme: Ich habe es geahnt, daß Sie oben waren. Haben Sie gesehen, wie ich meinen Kopf mit den Händen hielt. Mir war der Nacken steif vor Schrecken.

Das soll ich glauben! Und Ihr Vater – und Georges! Sie haben ohne ein Wort zugesehen . . .

Sie sind hochmütig, flüsterte sie erregt. Sie beleidigen in einer Stunde dreimal die Menschen. Sie wollten die Farm kaufen, die keinen Penny wert ist. Sie schreien es uns ins Gesicht, daß wir arm sind und daß mein Vater ein Faulenzer ist . . .

Ich wollte in die Jolle steigen, meine Knie zitterten, mit Mühe hielt ich mich gerade. Ich schob die Jolle ins Wasser und achtete nicht mehr auf dieses merkwürdige Mädchen. Aber ihr Gesicht lockte mich, noch einmal aufzublicken. Und da ich nicht wußte, was ich sagen sollte, rief ich: Aus dem Wege!

Sie sagte mit erhobener Stimme:

Entschuldigen Sie, daß ich hierher gekommen bin. Ich dachte aber, es könnte gut sein, wenn Sie von Ihrer Höhe herabsteigen müssen, Herr Steuermann.

94 Steuermann? zog es durch meinen Kopf. – Aber, warum haben Sie mich denn gebeten, Ihr Haus zu stützen? Nur um mir diese Niederlage zu bereiten! . . . Wie ich sehe, tragen Sie wieder das Kleid, das Ihnen Georges geschenkt hat. Das beleidigt Sie nicht? Wie ist es denn damit?

Ihre Augen waren geweitet und das Gesicht weiß.

Ich stieg in die Jolle. Mit einem Schlage war mir alles leid, was ich ihr gesagt hatte, und ich rief leise ihren Namen.

Sie lachte spröde.

Ich sprang aus der Jolle, nahm sie in die Arme und riß sie in die Jolle hinein. Sie widerstrebte mit keiner Bewegung, ich küßte sie. Ohne eine Regung lag sie in meinen Armen, mit ihrer Kälte schlug sie mich tot.

Ich schrie sie an:

Ein Kind bist Du, ich vergaß Dein Alter. Deine Sinne schlafen noch. Du kannst gehen, hörst Du, geh!

Sie stieg aus der Jolle und stellte sich ans Ufer.

Nun rief sie meinen Haß wach. Ich rief mehrere Male: Geh, geh!

Sie ging nicht, ich schloß die Augen, stieß von Land ab und ruderte los. Eine rohe Lust kam mich an zu lachen. Ich habe anhaltend und grausam gelacht.

 


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