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Fräulein Gonda

Fräulein Gonda saß im schwarzen Ohrenstuhl am Fenster und verstrickte weiße Wolle. Das lange Friesengesicht war streng und verschlossen. Stahlblau und kühl unter Brauen, die sandfarben waren wie das glattgescheitelte Haar unter der schwarzen Haube, ruhten die Augen auf den bedächtig bewegten Fingern. Schauten sie auf und ins Weite, gewannen sie Wärme und Glanz. Sie war fünfzig Jahre alt.

Draußen, hinter breitem Priel, hob sich aus grüner Warft die rote Kirche mit schwarzem Strohdach und nadelspitzem Türmchen in sonnenblaue Luft. Die Flut hatte den Priel mit Wasser gefüllt, das blank ruhte zwischen schwarzerdigen Ufern. Neben der Kirche, an großen Holunderbüschen vorbei, sah man die Nordsee, weit und bestrahlt. Die gelblichen Blütenteller, umsummt von den Bienen des Pastors, wiegten sich sacht im goldenen Wind.

Es war sehr still in der Stube. Nichts regte sich, als die blanken Stricknadeln zwischen den rundlichen Fingern des alten Fräulein Gonda und der verbeulte Messingpendel der gebrechlichen Uhr in der Ecke. Auf einem runden Tisch lag zusammengerollt eine blaugraue Katze. An den Fenstern hinter kleinen weißen Vorhängen blühten rote und blaue Blumen ins Sonnenlicht.

Der Schiffer Kärre, hager, mit weißen Haarfetzen unterm Kinn, ging den Priel entlang, eine Ruderpinne über der Schulter. Sein Schritt war lang und stakig. Im Mundwinkel, zwischen zahllosen Falten, hing eine Pfeife. Der Rauch bröselte grau hinter ihm her.

Fräulein Gonda sah ihm nach. Ihre Hände, überkreuzt von den Nadeln, lagen reglos im Schoß. Der Schiffer schritt über die Holzbrücke, die bei den Holunderbüschen über den Priel hing und nahm den Weg zum Strand.

Sie dachte:

»Er macht sich noch immer zu schaffen.«

Dann regten sich aufs neue die Hände. Leise klangen die Nadeln.

Ein Schatten glitt über sie hin. Sie schaute auf und sah die hohe Gestalt eines Mannes, der dicht am Fenster vorüberging. Er trug städtische Kleidung. Unter breitkrempigem, schwarzem Hut flimmerte grau das Haar. Sein Profil bartlos, hager, mit starker Nase, stand eine Sekunde lang, scharf gezeichnet gegen Wasser und Himmel.

Sie erschrak.

Ihre stahlblauen Augen wurden rund und die Brauen wölbten sich hoch in die Stirn. Sie fühlte, wie alles Blut ihrem alten Herzen entströmte.

Die Haustür ging. Es klingelte hell und eilig. Die graublaue Katze auf dem Tisch hob den Kopf und blinzelte mit grünlichen Augen zur Tür. Auf der Strohmatte scharrten Füße. Dann klopfte es.

Der Mann trat ein. Er setzte einen großen schmalen Kasten auf den Fußboden und zog den schwarzen Hut.

»Guten Tag, altes Fräulein Gonda.«

Sein durchfurchtes Gesicht und die hohe weiße Stirn glätteten sich und wurden ganz hell.

Das Fräulein erhob sich verwirrt, legte das Strickzeug auf den Ohrenstuhl, strich die Schürze glatt und ging ihm entgegen. Der Mann nahm ihre Hand und sagte mit einem Lachen, das sich in den Mundecken und den Augen verbarg:

»Nun bin ich wieder einmal auf eurer alten Hallig.«

Die graublaue Katze stand mit gebogenem Rücken und steilem Schweif mitten auf dem Tisch und blickte unbeweglich mit grünen runden Augen auf den Gast.

»Sie sind gewiß zehn Jahre nicht hier gewesen,« sagte Fräulein Gonda.

»Zehn Jahre,« wiederholte der Mann. »Sie sind nicht älter geworden, Fräulein Gonda.«

Starke Zähne glänzten hinter dem lachend geöffneten Mund.

Sie lächelte. Ihr langes Gesicht wurde rot und die schmalen Hände zitterten leicht.

»Ihr Haar ist grauer als damals,« sagte sie.

Er setzte sich in das schwarze Roßhaarsofa hinter dem runden Tisch. Die blaugraue Katze sprang ab, schritt, den Rücken gekrümmt, lautlos durch die Stube, sprang auf den Ohrenstuhl, rollte sich um das Strickzeug und versteckte den Kopf.

»Nun sitzen Sie wieder in der Sofaecke wie so oft.«

»Und nichts bei Ihnen hat sich verändert.«

»Was sollte sich ändern bei mir?«

Sie blickte mit weiten Augen durch die Stube, in der die roten Möbel eingeschlafen auf ihren Plätzen standen, und alte Bilder versonnen an den Wänden träumten. Ein feiner Geruch hing müde im Raum wie hineingebannt seit Jahren und Jahrzehnten.

»Ich will wieder einmal auf eurer Hallig malen, Fräulein Gonda. Ich will ein Bild machen von der blühenden Fenne und von der Nordsee, die leuchtend in die Unendlichkeit taucht. Ganz frühlingshaft soll das Meer sein, Fräulein Gonda, nicht grau und rauh und voll von wilden Schaumflocken, wie ich es sonst gemalt habe.«

Mit einem gütigen Lächeln seiner ruhigen Augen umfing er die große, altjüngferliche Gestalt, die noch immer inmitten der Stube stand. »Wir sehnen uns alle nach dem Frühling, wenn wir alt werden, Fräulein Gonda.«

Das alte Fräulein Gonda setzte sich, faltete die Hände im Schoß und blickte den Maler lange an. Dann nickte sie gedankenvoll.

»Wenn der Winter kommt, Fräulein Gonda, dann denken wir immer: Hätten wir doch Sommer und Frühling besser genützt.«

Fräulein Gonda wollte einiges sagen, doch sie konnte die Worte nicht finden. Auch der Maler schwieg. Es war, als seien sie beide eingebannt in eine Furcht, von Dingen zu sprechen, die von der Zeit dicht übersponnen waren. Ihre Augen gingen aneinander vorbei. Das Klopfen ihrer Herzen tropfte in die besonnte Stille der alten Stube. Nach einer Weile kreiste sein Blick durch das Zimmer. Dann blieben seine Augen an den blühenden Holunderbüschen haften, durch die man das Meer sah, wie durch einen grünbeflammten Torbogen.

»Inseleinsamkeit,« sagte er plötzlich, »nach der wir alle uns sehnen.«

Seine edelgeformte Hand ruhte flach auf dem Tisch, als hätte er sie verloren. Fräulein Gonda sah ihn aufmerksam an. Er war doch älter geworden, wie er so dasaß, den Blick schwer in die Ferne gebannt. Unter dem grauen Haar schien die Haut der Stirn erschlafft. Das magere Gesicht war mit Falten gefüllt und der Mund hing müde.

»Das Leben dauert zu lange, Fräulein Gonda,« hörte sie ihn sagen. Sie sah den langen und stillen Weg ihres Lebens.

»Haben Sie nicht alles bekommen, was Sie vom Leben wünschten, damals, als Sie zum erstenmal auf unsere Hallig kamen? Sie sind reich. Sie haben die Welt gesehen. Sie sind ein berühmter Maler.«

»Ja,« sagte er gedehnt und mit Ironie, »man hat mich sogar zum Professor gemacht und zum Akademiedirektor, und meine Halligbilder hängen in München und Hamburg, in Berlin und Dresden, in Paris und London. Glauben Sie, daß ich glücklich bin? Daß ich einen Menschen habe, von dem ich sagen kann, er gehört zu mir? Ich habe mich sehr gesehnt nach Ihrer Hallig, Fräulein Gonda.«

Seine Augen wurden groß und rund, die buschigen Brauen darüber, die fast weiß waren, zitterten. Sein Gesicht schien nun ganz alt und verfallen. Sie dachte daran, wie sie ihn gesehen hatte, vor fünfzehn Jahren, als sie einmal in Hamburg war. Er stand auf dem Rathausmarkt unter einer Laterne, umlärmt von Menschen und Wagen, umbraust und überströmt vom Wirbel der großen Stadt. Seine Augen hatten kein Ziel. Sein Gesicht war schlaff. Sein Mund bog sich hilflos in Traurigkeit.

Es durchschauerte sie, wenn sie daran dachte. War sie nicht auch einsam auf ihrer Hallig, ohne Eltern, ohne Geschwister, ohne Mann? Doch ihre Einsamkeit war gesättigt von Stille des Herzens und frei von der Qual friedloser Wünsche.

Sie legte ihre Hand auf die seine, die kühl war wie das Wasser der Nordsee und versuchte zu lächeln.

Da sagte er lebhafter, als wollte er alle dunklen Gedanken wegstoßen mit einem Lachen, das kindlich klang:

»Wir hätten heiraten sollen, altes Fräulein Gonda. Sie einen tüchtigen Schiffer und ich eine Frau aus der Lebendigkeit der Welt ... denn alles Glück kommt nur aus Liebe und Gemeinsamkeit.«

Fräulein Gonda blieb stumm. Dann erhob sie sich rasch und ging in die Küche. Der Maler blieb lange allein. Vor seinem träumenden Blick hob sich Erinnerung.

 

Dreißig Jahre früher ...

Es war Frühling. Hoch über der Hallig jubelten die Lerchen. Die Grasnelken auf den Fennen blühten und dufteten.

Als Gonda zum Strand kam, um nach dem Boot des jungen Schiffers Kärre auszuschauen, neunzehnjährig, schlank und straff, kupfernes Funkeln im starken sattgelben Haar, sah sie neben der Prielmündung einen Maler. Er stand drei Schritt von einer Staffelei und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen ein Bild, das er malte. Er malte das Meer, wogig und funkelnd unter der Unendlichkeit eines herrlich gewölbten, urblau strahlenden Himmels. Die See in ihrer Weite war leer, nirgends eine Insel, nirgends ein Mast. Sie rollte endlos in herrlicher Einsamkeit und war wie ungebändigte Urkraft nie gesättigt, hingegeben an unerschöpflich quellende Ströme von Licht. Gonda blieb stehen und betrachtete staunend das Bild. Es kamen oft Maler vom Festland. Sie malten das Meer und den Himmel grau in grau und wenn sie den Glanz malten, den das Meer haben konnte, so malten sie ihn schwermütig, gleich einem Traum, der seltsam das Herz bedrückte.

Wie sie so stand, drehte der Maler den Kopf zu ihr hin. Er sah ihre stahlblauen Augen und das funkelnde Haar und das junge von See und Wind braungebackene Gesicht und nickte ihr lachend zu, den Stiel seines Pinsels im geöffneten Mund zwischen den Zähnen.

»Gefällt Ihnen mein Bild?« Er lachte, warf den Kopf in den Nacken, daß sein blondes Haar wehte und betrachtete sie unverwandt aus werbenden Augen.

Sie wurde dunkelrot unter seinem Blick. Doch sie hielt ihn tapfer aus und sagte:

»Ja. Doch unser Halligmeer ist nicht so, wie Sie es malen.«

Sie streifte lächelnd sein heißes Gesicht, ging hinab und stand spähend, beide Hände flach über den Augen, neben der schwarzen und geborstenen Spitze eines Mastes, der vor hundert Jahren angeschwemmt war und sich tief in den Sand gegraben hatte. Fern schwammen drei Segel, fast aufgezehrt vom Faserglanz der Luft.

Der junge Maler kam ihr nach. Er folgte ihrem Blick, der auf einer Insel zu ruhen schien, die klein und dunkel, fern aus der See tauchte. Eine schwarze Mauer, zerrissen wie eine Ruine, hart umleuchtet, stand wie ein Schattenriß gegen den Himmel.

»Ich warte auf meinen Bräutigam,« sagte sie plötzlich. »Seit gestern ist er auf See.«

Sie stand schlank in der Sonne. Fest an die Hüften geschmiegt, fiel wehend ihr brauner Rock. Um ihre nackten Füße spielte der Saum. Er sah ihr Profil, klar und schön mit herabgeschwungenem Mund, das Haar, ein leuchtender Knoten, tief zum braunen Nacken geflochten.

»Kann man zur Insel hinüber? Ich möchte die Mauer malen.«

»Warum nicht?«

»Ich kann nicht segeln.«

Sie lachte: »Gern bring ich Sie hin.«

Ruhig verweilte ihr Blick auf seinem Gesicht, das hell war, aufgeschlossen von Jugend. Sie mußte an Kärres Gesicht denken, das hart war und kantig und immer dunkel von Strenge und Schweigen.

»Aber noch heute!« Er rief es glühend. »Morgen muß ich nach Hamburg.«

Bald nach Mittag glitt das Boot aus dem Priel. Die sinkende Flut trug sie hinaus. Das Mädchen auf der Ruderbank hielt die Schot des braunen Segels, das straff und knatternd von der Gaffel hing. Ihre Füße, in schwarzen Schuhen, stemmten sich gegen eine Rippe des Bootes. Der junge Maler, achtern am Steuer, blickte sie unverwandt an. Wie lockend lief der Schwung ihres Mundes. Er hatte nichts von der schweigsamen Herbheit, die er auf den Lippen so vieler Frauen und Mädchen in Friesland gesehen. Ihres Mundes störrischer Schwung hatte verborgene Glut.

»Herrlich,« dachte er, »zu bändigen den Schwung dieses Mundes.«

Nordwest trieb sie rasch über die Dünung. Hinter der Insel, düster und drohend, lag eine Wolkenwand.

Sie mußte wenden. Wie ein Seemann ergriff sie die Schoten. Vom Winddruck befreit, flatterte das Segel. Dann straffte es sich und lag zwischen ihnen wie eine Wand, so daß sie einander nicht sahen. Sie sah den Rauch seiner Pfeife, der blau und kraus aus dem Segelrand wehte.

»Schade,« dachte sie plötzlich, »daß nun das Segel zwischen uns ist.«

Der Maler dachte das gleiche.

Endlich waren sie da. Sie verwahrten das Boot in der Bucht und gingen den Strand hinauf, der schwarz und feucht unter ihren Schritten seufzend entwich.

Die Insel war flach. Aus harter Grasnarbe blühten rot und blau winzige Nelken. Mannshoch wuchs die Ruine, aus geborstenen Blöcken geschichtet, in die sonnige Luft. Aus den Fugen wucherte Moos. Ein Eisenring, groß und verrostet, erzählte von Wikingerschiffen, die vor tausend Jahren um diesen Ring ihre Trossen warfen.

Eine Schar Möwen, die hinter der Mauer ihre Nester hatten, flatterte auf, kreiste mit hungrigem Geschrei und schwirrte davon blitzend im Licht, einem Schiff entgegen, das langsam mit hohen Masten fern aus rauschender Kimmung stieg.

»Ausgezeichnet!« rief der Maler. »Ich will den alten Wikingerturm malen wie eine Teufelsklaue, die schwarz aus der Erde bricht und sich drohend aufreckt gegen den aufkommenden Wolkenberg. Doch Sie dürfen nicht zusehen!«

Gonda lachte und ging über die Grasnarbe und pflückte Nelken. Dann stand sie ganz in Sonne getaucht, die roten Blumen im Gürtel des Rockes und schaute verträumt übers Meer. Über ihrem Nacken war ein Flimmern von Gold. Der Maler starrte hinüber. Wie schön und klar ihr Profil der Wolkenwand aufgemalt war, die weit hinter ihr ruhte, unförmig, blau wie Indigo. Deutlich sah er den vollen Mund.

»Teufel,« murmelte er zwischen den Zähnen, »was soll mir die alte Ruine?«

Ungestüm riß er den Malkasten auf. Dann griff er zum Pinsel, belud ihn mit Goldocker und malte mit ernstem Schwung das starke Geleucht des gelben Haars.

Er kam in Glut. Ihm war, während er malte, als berührte er mit tastender Hand ihr Haar, ihre Stirn, ihren Mund und die braune Haut ihres Nackens.

»Wenn sie nur so stehen bleibt,« dachte er in Angst.

Nun fehlte nur noch der Mund. Er schaute lange scharf zu ihr hin, mit vorgebeugtem Kopf, als tränke er unbeschreibliche Süße. Dann, mit einem einzigen Farbenstrich, malte er den herrlichen Schwung ihres Mundes.

Leuchtenden Auges umfing er eine Weile das Bild, dann rief er laut und beglückt ihren Namen.

Gonda schrak auf. Ihre Knie beim Laufen stießen rund gegen den wehenden Rock.

Als sie das Bild sah, mit staunenden Augen, zuckte ihr Mund. Aus ihrem Nacken stieg Glut. Der Blick wurde leuchtend. Dann sah sie ihn an, ohne Fassung, immer noch staunend.

Erregt stand er vor ihr mit aufgerissenen Augen, die ihr Gesicht sengend umfingen.

»Gonda!«

Es war hilflos, ein Stammeln.

Da faßte sie Furcht. Ihr Gesicht, dunkel entflammt, wandte sich weg und suchte verwirrt das Meer. Die Wolkenwand schwankte. Blau und schnell unter verdunkelter Sonne schlichen Schatten über Ruine und Insel, über rollende Dünung und fern über die Hallig.

Da schrie sie auf:

»Das Boot!«

Sie reckte den Arm. Da dümpelte, rasch abtreibend im aufbriesenden Wind, weit über der Dünung, das kleine Boot mit segellos schaukelndem Mast.

»Ich will über die Watten,« schrie der Maler bestürzt. »Ich hol es noch ein.«

Sie faßte rasch seinen Arm.

»Unmöglich! Die Flut geht zu hoch.«

»Ich kann schwimmen.«

»Das Boot schwimmt schneller als du.«

Der Wind kam stärker. Schaumflocken trieben über die See. Pfeilschnell entflog das Boot. Ratlos starrten sie hin. Gonda, mit zitternder Hand, strich das wehende Haar aus der Stirn. Dann sagte sie ruhig:

»Es wird dunkel. Wir müssen ein Feuer aufmachen. Sie werden uns holen.«

Sie saßen, gegen den sausenden Nordwest geschützt, unter der schützenden Mauer. Sie sprachen nicht viel. Sie blickten schweigend in die rauschende Flamme, die der Wind aus einem Haufen von Tang und angeschwemmten Holzstücken zur Höhe peitschte und mit lodernder Zunge tief in die Finsternis brach. Rot flackerte der Brand über sie hin, tanzte irrsinnig die Mauer entlang und floß in feurigen Schlangen über die hochlaufende See. Fern standen die Lichter der Hallig. Wie ein Schwertblitz fegte weither durch die Finsternis das Feuer von Helgoland. Ruhig brannten, westlich, die gelben Augen von Amrum und Föhr. Kein Stern war am Himmel. Wolken zogen dahin, schwarz, trächtig von Sturm.

»Hast du Furcht?«

Sie schüttelte den Kopf, der auf seiner Schulter lag.

»Frierst du?«

»Nein.«

Er sah ihr Gesicht, das überflammt war von Feuer. Der Mund war geöffnet, als hätte er Durst. Ihre Augen weit offen, empfingen und verzehrten hungrig die Glut. Da beugte er sich hin und küßte wild den aufzitternden Mund. Er fühlte, wie ihr Leib erbebte. Seine Arme hielten sie fest.

Da schrie sie auf. Sie bog sich zurück.

»Hörst du nichts? Siehst du nichts?«

Sie faßten sich bei den Händen und horchten. Er spürte Wärme und Blut ihres Körpers.

»Daß diese Nacht nie enden möchte,« dachte er heiß.

Da glitt schwarz ein Segel in die Bucht, ein Kiel schurrte über den Grund. Ein Mann, wie ein Schatten, entstieg dem Boot.

»Halloh!« schrie eine Stimme.

Gonda, schon aufrecht, noch zitternd, wiederholte den Ruf. Dann sagte sie ohne Ton:

»Es ist Kärre.«

Sie lief rasch zum Strand. Langsam folgte der Maler. Der Mann, das Bootstau haltend, sprach kein Wort. Seine Stirn war finster. Sein Mund hart. Kühl ging sein Blick über Gondas Gestalt.

»Steigt ein.«

Eine Welle von Traurigkeit ging über Gondas Gesicht. Sie streckte die Hand aus.

»Laß!« sagte er hart.

Herb schloß sich ihr Mund. Dann stieg sie ins Boot.

 

Das alte Fräulein Gonda reichte ihrem Gast, der behaglich im Roßhaarsofa lehnte und manchmal sich mit jugendlicher Bewegung der noch immer kraftvollen Hand durchs graue wellige Haar strich, die Zuckerdose aus Messing. Das gelbe Metall blinzelte im Schein der späten Sonne. Er nahm Zucker und verrührte ihn gemächlich im schwarzen, starkduftenden Getränk. Sie sah es und lächelte. Da sagte er mit vertraulicher Heiterkeit:

»Wie schön doch alte Frauenhände sind.«

Fräulein Gonda lachte und legte die Hände in den Schoß. Er fuhr fort, sie lächelnd betrachtend:

»Und Ihr Mund ist noch ganz wie vor dreißig Jahren, nur etwas blasser und schmaler und in den Winkeln ein wenig nach unten gezogen.«

»Ja,« sagte sie, »und hat viele kleine Falten.«

Er nickte: »Viele kleine schmerzliche Falten.«

Dann dachte er: Ob er wirklich nie wieder geküßt worden ist. Nie geküßt in dreißig langen Jahren? Er dachte daran, wie er sie wiedergesehen hatte. Acht Jahre nach der Nacht auf der Insel im Wattenmeer. Sie war schlank und straff wie am ersten Tag, doch ihr Mund war herber und verschlossener, und das Licht ihrer stählernen Augen glänzte still unter schwermütigem Schleier. Damals fragte er sie nach Kärre, dem Schiffer. Der hatte Dienst auf einem dänischen Segelschiff genommen und war weit weg irgendwo in der Südsee oder bei Kap Horn.

Er blickte durchs Fenster.

Da kam Kärre den Priel entlang unter den Holunderbüschen her, deren Blütenteller warm und rot leuchteten.

»Kommt er zu Ihnen?«

»Ja, er kommt jeden Tag, seit er nicht mehr zur See fährt.« Sie holte eine dritte Tasse aus dem roten Eckschrank und eine Flasche Rum.

Sie saßen alle drei um den runden Tisch. Das alte Fräulein verstrickte weiße Wolle. Die Nadeln klapperten leise. Der alte Maler saß in der Sofaecke und rauchte seine Pfeife. Der alte Kärre, die blaue Schiffermütze neben sich, beugte den grauen Kopf über seine Tasse und sog begierig den starken Geruch des Kaffeepunsches in die vertrocknete Nase. Zuweilen hob er den Kopf und blickte durch die Stube mit kleinen Augen, die wie Vergißmeinnichtblumen auf einem trüben Wässerchen schwammen, den eingefallenen, fast lippenlosen Mund über gelblichen Bartfetzen zu einem vergnügten Lächeln verzogen. Er horchte aufmerksam auf das, was der Maler von seinem Leben in der großen Stadt erzählte.

Einmal sagte er: »Ja, aber ich habe auch etwas erlebt. Siebenmal Kap Horn gerundet! Und viermal Good Hope! Das ist was, nicht wahr?«

Der alte Maler nahm die Pfeife aus dem Mund, klopfte sie aus und sagte, während er sich eine neue stopfte:

»Ja, wir haben viel erlebt, wir drei. Aber das Schönste haben wir doch versäumt. Alle drei.«

Der alte Schiffer sah ihn eine Weile blinzelnd an, dann beugte er sich über den Kaffeepunsch. Der Ausdruck seines Gesichtes veränderte sich nicht. Das alte Fräulein hatte ihren Strumpf in den Schoß sinken lassen und blickte verloren durchs Fenster in die dämmernde Luft. Unter dunklen Holunderbüschen glänzte die See grau wie Eisen tief ins Endlose.

Es wurde dunkel in der Stube und um den runden Tisch. Die drei Menschen schienen versponnen in Schatten.

Die blaugraue Katze, zusammengerollt auf dem Ohrenstuhl, schnurrte. Es klang wie eine feine schwermütige Melodie aus der Ferne.


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