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Drei alte Fräulein

Das kleine Strohdachhaus, darin die drei alten Fräulein wohnten, lag dunkel, mit morschen Mauern, tief im verwilderten Garten. Von der Straße her führte, moosbedeckt, ein Pfad an einer zerfallenen Brunnenfigur vorbei zur Haustür, über der das Strohdach hing, wie eine wulstige, schwarzgrün verfilzte Augenbraue. Riesenhafte Ulmen und weißstämmige Birken, Holunderbüsche, Jasmin und Syringen, mannshohes Unkraut in wuchernden Umarmungen bildeten unentwirrbare Wildnis, die nachts, wenn Mondlicht wie Perlenregen durch die Wipfel floß, dem Traumbild verzauberten Urwaldes glich.

Manchmal sah man die drei Fräulein den Pfad auf und ab gehen, Arm in Arm, ganz eng beieinander, so daß sie eben Platz hatten. Das zarte, schmächtige Fräulein Ansa mit dünnem grauen Haar, in dem ein letzter Rest von rötlichem Blond seltsam schimmern konnte, rechts Fräulein Sidonie, lang und eckig, mit spitzen Hüften und schmalem, scharf geschnittenem Vogelkopf auf dünnem Hals, und links Fräulein Ute, klein, rundlich, mit tief in die Schultern gewachsenem Kopf. So gingen sie des Mittags und des Abends nach dem Essen dreimal den schmalen Pfad auf und nieder, gleichviel, welches Wetter es war. Wenn es regnete, trug das schmächtige Fräulein Ansa einen großen grauen Schirm, und das hagere Fräulein Sidonie mußte den Oberkörper schief halten und den Kopf neigen, wenn sie nicht naß werden wollte.

Drinnen war alles sauber und freundlich. Da war nichts von der Unordnung und der Wildnis des Gartens. Da waren drei kleine Kammern, in denen die alten Fräulein schliefen, eine Stube mit altertümlichen Möbeln aus dunkelrotem Mahagoniholz, und eine winzige Küche, in der das rundliche Fräulein Ute das Essen kochte. In der roten Stube saßen sie, wenn es nichts in den Kammern und der Küche zu tun gab, jede am bestimmten Platz. Fräulein Sidonie, hager und gerade, in einem schwarzen Ohrenstuhl am Fenster, das rundliche Fräulein Ute mit kleinen, blanken Augen auf dem Sofa hinter dem runden Tisch, und Fräulein Ansa, zart und schmächtig, fast immer ein versonnenes Lächeln auf schmalen, zierlich geschwungenen Lippen, auf der Bank neben dem grasgrün gebauchten Kachelofen. Fräulein Sidonie häkelte endlos lange Spitzenbänder. Wofür sie bestimmt waren, wußte niemand. Fräulein Ute, die ihre lebendigen grauen Augen, in denen die Pupillen wie schwarze Perlchen funkelten, häufig durch Stube und Fenster wandern ließ und immer ein halbverstecktes Lächeln in den Mundwinkeln hatte, nähte Kinderhemdchen und Wickelbänder für Säuglingspflege in Hamburg. Fräulein Ansa las, wenn sie nicht mit geschlossenen Augen träumte, den ergrauten Kopf, auf dem es rötlich schimmerte, an die Wand des grasgrünen Kachelofens gelehnt, Gedichte, aus kleinen seidengebundenen Büchern. Sie trugen alle drei, wenn sie sich nach dem Mittagessen ihrer losen, buntgeblümten Morgengewänder entledigt hatten, schwarze Kleider aus Taffet, hochgeschlossen, nur Fräulein Ansa trug einen kleinen Ausschnitt, aus dem ein schmaler Hals wuchs, mattglänzend wie Elfenbein. Wenn eine von ihnen durch die Stube ging, rauschte es. Es war, als rauschte in der Ferne das Meer.

Die Nachbarn wußten nicht viel von ihnen. Das hagere Fräulein Sidonie hatte vor sechzehn Jahren das kleine Strohhaus, das sich schon damals unter Bäumen und Strauchwerk verkroch, von den Erben eines alten Segelschiffkapitäns gekauft, der bis zu seinem Tode einsam darin gehaust hatte. Drei Tage später waren die drei Fräulein, damals vielleicht fünfunddreißig Jahre alt, eingezogen. Jede hatte auf einem Federwagen ein paar Möbel und Kisten mitgebracht. Der Sanitätsrat, den sie manchmal riefen, konnte nicht viel mehr erzählen, als daß sie Töchter aus guten Hamburger Familien waren, Freundinnen, die nach verblühter Jugend ihr alterndes Jungfernleben gemeinsam zu verbringen wünschten. Es war, als lebten sie, allen Menschen fern, ausgeschlossen aus dem Bewußtsein des Lebens, auf einem fremden Stern oder auf einer unbekannten Insel.

 

Eines Tages im Herbst kam das zarte Fräulein Ansa eilig und aufgeregt, das schwarze Seidenhütchen ein wenig verschoben, in die Stube, wo die beiden anderen bei ihrer Arbeit saßen. Sie hatte Besorgungen in Hamburg gemacht und setzte sich, ihr Paketchen noch in der Hand, auf die Bank neben dem Ofen. Sie atmete heftig, und ihre schmalen Lippen zitterten, und die kleinen blauen Augen wanderten, wie aufgescheucht, von einer zur anderen.

Die beiden alten Fräulein ließen erschrocken die Arbeit sinken.

»Mein Gott!« rief das hagere Fräulein Sidonie. Die vielen Falten über den Knochen ihres mageren Gesichtes begannen ängstlich zu tanzen. »Ansa! Was ist geschehen?«

Das rundliche Fräulein Ute, das vor Schrecken kaum zu Worte kommen konnte, erhob sich mit raschelndem Seidenrock und legte ihre Hand weich auf Ansas Stirn.

»Lieber Gott, bist du krank? Du hast ja Fieber!«

Fräulein Ansa schüttelte den Kopf. Dann machte sie sich frei, trat zum runden Tisch, legte das Paketchen hin und begann, immer noch mit verstörten Lippen und wandernden Augen, ihre schwarzseidenen Halbhandschuhe auszuziehen.

»So rede doch,« riefen die beiden anderen mit ängstlicher Ungeduld. Sie standen ratlos vor dem runden Tisch. Sie sahen einander kaum, denn draußen in den Bäumen hing die Dämmerung, und in der Stube war es fast dunkel.

Endlich sagte Fräulein Ansa ganz langsam, in einem Ton, der etwas Mystisches hatte:

»Denkt euch, er ist wieder in Hamburg.«

Es wurde ganz still in der Stube, als sie das gesagt hatte. Eine Weile schwebte der Ton ihrer Stimme im Blau der Dämmerung. Es war, als sei das Zimmer mit Schattengestalten gefüllt, die atemlos lauschten. Von der Elbe her kam das Tuten eines Dampfers. Die drei alten Fräulein hörten es wie einen lang und dunkel hintönenden Ruf aus den Schattengründen wesenloser Vergangenheit.

Da sagte das Fräulein Sidonie, und ihre mageren Finger tasteten über den Tisch, als ob sie sich festhalten müßte:

»Ist das wirklich möglich?«

Und Fräulein Ute, die heftig zu atmen begann, so daß die grauen Löckchen auf ihren Schläfen ein wenig tanzten, fragte leise aus gepreßten Lippen:

»Hast du ihn gesehen?«

»Nein,« entgegnete Ansa, und das unruhige Licht ihrer Augen sammelte sich zu einem Glanz, der schön, wie aus Sehnsucht auftauchend, die Dunkelheit durchdrang. »Ich habe ihn nicht gesehen. Aber eine Frau, die neben mir in der Straßenbahn saß, sprach zu einer anderen von ihm. Er ist Kapitän der dänischen Galeasse »Kattegatt«, die gestern im Hafen festgemacht hat.«

Es war aufs neue sterbestill in der Stube. Sie hörten das tönende Summen einer Fliege.

Das hagere Fräulein Sidonie, wie abwesend, zündete eine Lampe an, die auf der Kommode neben der Eingangstür stand, und stellte sie auf den runden Tisch.

Endlich fragte Fräulein Sidonie und fuhr mit ihrer langen, hageren Hand langsam über die Augen, als störe sie das grünliche Licht:

»Hast du sonst noch etwas von ihm gehört?«

»Nein,« entgegnete Fräulein Ansa und wußte vor Versonnenheit kaum, was sie sprach. »Ich mußte aussteigen. Ich weiß nicht, wie ich aus dem Wagen herausgekommen bin. Ich war völlig verbaast.«

Fräulein Ute nickte lächelnd. Es sah wunderlich aus, wie sich ihr rundlicher Kopf mit geröteten Hängebäckchen zwischen allzu hohen Schultern bewegte.

»Ja, ja, das kann ich verstehen. Ich hätte laut geschrien, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre.«

Leise sagte Fräulein Sidonie, hager aufgerichtet, die dünnen Arme ausgestreckt auf dem Tisch mit gefalteten Händen:

»Er hat es also bis zum Kapitän gebracht!«

Und Fräulein Ansa sagte verträumt:

»In fünfundzwanzig Jahren! So lange ist er nun fort!«

Es war eine Weile still. Dann räusperte sich das rundliche Fräulein Ute, rückte unruhig auf dem Sofa hin und her, steckte behende ein Löckchen fest, das sich gelöst hatte, und sagte mit glänzenden, vergnügten Augen:

»Ja, ihr Lieben, da müssen wir den Kapitän Ake Klarbohm zu uns einladen. Er wird lachen, wenn er die drei alten Jungfern sieht. Ach, ich weiß noch, wie hell er lachen konnte.«

Fräulein Ansa blickte mit erschrockenen Augen auf. Ihr schmales Gesicht rötete sich. Zart lief das Feuer über die feine Stirn ins graue Haar. Dann blickte sie zu Fräulein Sidonie hinüber, die unbeweglich in die Lampe starrte.

»Er hat uns gewiß längst vergessen,« sagte sie fast ohne Ton.

»Wie soll er dich vergessen haben, Sidonie,« rief Fräulein Ute rasch und aufgeregt. »So schön wie du warst, schlank, mit braunem Lockenhaar und braunen Augen, die springen konnten wie Sterne, die am Himmel tanzen.«

»Ja,« sagte Ansa, mit einem schwachen Lächeln um den kleinen Mund, der noch immer seine leichte Zierlichkeit hatte, »dich hat er am meisten geliebt, Sidonie.«

Es kam keine Antwort. Draußen rauschte der Wind in den Bäumen und summte die kleinen schiefen Fenster entlang. Sie sahen, wie sie als Kinder im Garten des Hauses, in dem sie wohnten, in drei Stockwerken übereinander, mit dem strammen, hellhaarigen Jungen spielten, dessen Mutter Kartoffeln und Kleinholz im Kellerladen verkaufte. Ja, es war eine herrliche Zeit im Hof hinter dem Haus in der Grindelallee. Wie lustig er war. Wie flammten seine Augen. Wie leuchtete sein Haar, wenn die Sonne danach stieß, und wie einzig schön war der Name, mit dem man ihn rief: »Ake!« Ja, sie waren alle drei sehr in ihn verliebt gewesen, und wenn sie sich einen Mann zur Hochzeit wünschten, so konnte es nur Ake sein. Die Zeit kam, wo er als Schiffsjunge auf See ging.. Als er heimkehrte, um in Altona die Steuermannsschule zu besuchen, war er ein Weltmann geworden, der allen jungen Mädchen den Kopf verdrehte. Die Mädchen, die noch immer in drei Stockwerken übereinander wohnten, wurden sehr traurig, besonders Sidonie, die man fast nur noch mit müden, verweinten Augen sah. Ansa wurde sehr still. Sie schlug einen Bewerber aus, der sie zur Frau haben wollte, und ihre blauen Augen schienen aus der Welt zu wandern, still und groß einer Sehnsucht nach. Nur Ute, die so wunderlich aussah mit ihrem runden Kopf zwischen hochgewachsenen Schultern, behielt ihre Fröhlichkeit. Sie freute sich, wenn er stramm und stolz über die Straße ging, und dachte hell: Wenn er nur glücklich im Leben wird.

 

Als sie anfingen, alte Jungfern zu werden, und das Leben für ihre Herzen grau und undurchsichtig wurde, schlossen sie sich enger zusammen und zogen in das kleine verwunschene Gartenhaus, und lebten darin wie ein einziges Wesen, still, alternd, ohne törichte Wünsche. Jugenderinnerungen kamen, wenn sie in der Stube beieinander saßen, und mit einem Male war ein vierter da, der mit ihnen lebte. Das war Ake, der in der weiten Welt war, niemand wußte wo.

Einmal, an einem Sommerabend, der schwül und blau in den verzauberten Bäumen des Gartens hing, als der Gesang junger Menschen fernher schwebte, von einem Segelboot vielleicht, das im. Mondlicht auf der Elbe schwamm, hatte das rundliche Fräulein Ute plötzlich gesagt, mit einem Aufleuchten ihrer grauen Augen:

»Jetzt sehe ich, wie Ake auf seinem Segelschiff am Steuer steht. Es ist viel Sonne in der Luft, und sein Haar leuchtet unter der blauen Mütze und seine Augen strahlen blau über die wogige See, auf der weithin die Sonne flammt. Er hat mit braunen Händen das Steuer gepackt. Es schwirrt und rauscht in den Segeln, und das Meer springt am Bug auf, weiß, schäumend. So herrlich fliegt Ake über die See.«

Die beiden anderen blickten die Freundin erstaunt an. Ihr Gesicht war ganz hell. Sie reckte den Kopf aus den Schultern, so hoch sie konnte.

Nach einer Weile sagte Fräulein Sidonie, und ihre Augen wurden unruhig und dunkel:

»Ich sehe ihn, wie er in einem schrecklichen Sturm den Großmast hinaufklettert, um die Segel festzubinden. Ich sehe, wie sein Haar flattert, wie seine Augen flackern und wie wild seine Arme gegen den Wind kämpfen. Und ich sehe, wie er ganz oben bei der Mastspitze steht, hin und her geschleudert vom Sturm, und wie sich sein Mund öffnet, als wollte er in Todesnot nach Rettung schreien.«

Fräulein Ute und Fräulein Ansa erschraken sehr, als sie das hörten. Fräulein Sidoniens Augen unter den gelblichen Brauen funkelten unheimlich in einem grünlichen Licht, und die geöffneten Lippen zitterten, als sei ihr Blut gejagt von einer großen und schmerzlichen Leidenschaft.

Lange wagte keiner etwas zu sagen. Draußen sang der Sommerwind im verzauberten Garten. Aus der Ferne klang noch immer der sehnsüchtige Gesang junger Menschen.

Da sagte das zarte Fräulein Ansa ganz leise und schaute dabei in ihre Hände, die auf dem Tische lagen, gebogen, als hielten sie ein Bild, das niemand sonst sehen konnte:

»Ich sehe ihn im Abendschein der Sonne vor hohen Palmen auf fremder Küste, und seine Arme umschlingen die Schultern eines Mädchens in einem bunten Kleid. Und ihre Lippen sind dicht beieinander. Das Meer kommt rauschend und breitet Silberschaum aus, und Paradiesvögel gleiten durch das Dunkel der Palmen so zahlreich, daß es aussieht, als schaukelten zwischen den Wipfeln schillernde Blumenranken.«

Fräulein Ute, mit entsetzt geweitetem Blick, die Hände erhoben, fragte stockend:

»Wie kommst du auf solche Gedanken?«

Das Fräulein Sidonie blickte groß und fragend zu Ansa hinüber, die ganz in sich versunken schien, wie ein kleiner, in seiner Sehnsucht verlorener Mensch.

 

Kapitän Ake Klarbohm blieb vor der kümmerlichen Gartenpforte stehen, plierte auf den kleinen Brief, den er zwischen den dicken, braunen Fingern hielt. Dann hob er den grauen Kopf und blinzelte aus bläulich verwaschenen Augen hinüber zum Strohdach-Haus, setzte sich schwerfällig in Bewegung und ging breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen, den schmalen Weg entlang, ein wenig schaukelnd, als ginge er über Deck im Sturm. Vor der moosbedeckten Brunnenfigur, einem nackten Triton, der mit abgebrochener Schulter auf einem morschen Delphin ritt, blieb er eine Sekunde lang grinsend stehen.

Die drei Fräulein standen mitten in der Stube, reglos in ihren starren Seidenkleidern, die Köpfe eng beieinander. Sie sahen durch das kleine Fenster, wie der graubärtige Kapitän mit klaffendem Munde lachte.

Das hagere Fräulein Sidonie preßte die Lippen aufeinander, und die mageren Finger zerdrückten ein kleines weißes Taschentuch. Das schmächtige Fräulein Ansa, die ihr Haar über der feinen weißen Stirn niemals zierlicher gekräuselt hatte als heute, blickte reglos vor sich hin. Ihre sanften Lippen waren erstarrt in einem wehmütigen Lächeln. Nur das kleine Fräulein Ute, nach erstem Erschrecken, machte runde, vergnügte Augen, und sie bewegte den Kopf zwischen den hohen Schultern hin und her, als ob sie sagen wollte:

»Ja, ja, so ist es. Das macht das Leben aus uns.«

Sie hörten, wie er die Sohlen seiner schweren Stiefel über den Fußkratzer rieb und heftig an der Klingelschnur riß, daß es laut und eilig durchs Haus bimmelte. Fräulein Ute machte die Tür auf, begrüßte ihn heiter und unbefangen mit einem leichten, klingenden Auflachen und führte ihn, der sich verlegen räusperte und seinen grinsenden blauen Lippen unverständliche und zusammenhanglose Worte entrollen ließ, in die Stube.

»Das ist Ansa und das ist Sidonie,« sagte Ute, »und mich haben Sie gewiß schon erkannt.«

Ake Klarbohm zog die Mütze vom Kopf und kraute sich mit dicken, braunen Fingern im struppigen Haar, das grau und rötlich durcheinanderlief. Seine Augen, über blauen Tränensäckchen, waren halb geschlossen. Hellblau und wässerig blinzelte es aus den Spalten.

Fräulein Ansa und Fräulein Sidonie hielten ihm gleichzeitig ihre Hand hin. Die kleinen Hände verschwanden in seiner mächtigen, von Seewasser und Arbeit rissigen und braungefleckten Faust.

»Tja, Kinners,« sagte er endlich rauh und stoßend, und der bartumbrandete Mund klaffte auseinander, so daß man tabakgeschwärzte Zähne sah, »eine Überraschung, an die ich ganz und gar nicht gedacht habe.«

Er schöpfte Atem, wobei es tief in seiner Kehle rasselte, und sagte, als die drei alten Fräulein nichts erwiderten:

»Wie lange ist das nun her. Verdammt, ich kann es ganz und gar nicht ausrechnen.«

Er lachte breit. Die Tassen und Teller auf dem runden Tisch, die um einen weißbestreuten Kuchenberg kreisten, klirrten. Sidonie und Ansa zogen ihre Hände aus der Faust des Kapitäns, und Ute rief rasch und leicht:

»Nun wollen wir eine Tasse Kaffee trinken.«

Ake Klarbohm ging sogleich schwer und stampfend zum Sofa, setzte sich wuchtig mitten hinein, legte seine Mütze auf die Kante, bestaunte den hübsch gedeckten Tisch und die gelben Astern in zwei blauen Vasen und den duftenden Kuchenberg und sagte vergnügt:

»Oha!«

Während Fräulein Ute den Kaffee einschenkte, fragte Fräulein Ansa und wurde ganz rot dabei:

»Sie haben sich aber schön in der Welt herumgetrieben und uns gewiß ganz vergessen?«

Der Kapitän, den Mund voll Kuchen, kauend, daß die bläulichen Muskeln seines Gesichtes und der struppige Bart tanzten, entgegnete:

»Tja, man hat an so vieles zu denken, wenn man auf See ist.«

Fräulein Sidonie ließ das Stück Kuchen sinken, das sie zum Munde führen wollte. Nein, sie konnte nichts essen. Sie versuchte an den jungen Ake zu denken, der frisch und blond mit ihnen gespielt hatte, doch sein Bild wollte sich nicht gestalten. Da saß vor ihr, breit und kantig, rauh und verbrannt, ein unbeholfener, alternder Seebär, den sie nicht kannte und der mit seinem breiten Rücken alles deckte, was Vergangenheit war. Wenn Fräulein Ute nicht gewesen wäre, lebendig und unternehmungslustig, mit Augen und Mund, die den Ausdruck beweglicher Vergnügtheit nicht verloren, dann hätte niemand gesprochen. Kapitän Ake konnte sich ihrer kaum erwehren, so viel fragte sie. Und als er satt war und sich mut seinen goldbetreßten Ärmeln über Mund und Bart wischte, sich umständlich, ohne zu fragen, einen Brösel ansteckte, schob er seinen mächtigen Körper behaglich in die Sofaecke, paffte dicke, blaue Rauchwolken in den altjüngferlichen Duft der Stube und sagte mit vergnügtem Plieren der wässrigen Äuglein:

»Tja, Kinners, das muß ich sagen, es ist bannig fein in eurer nüdlichen Koje. Gewiß und wahrhaftig. Wenn ich man bloß en lütten Rum oder Kognak oder Genever kippen könnte.«

Die drei Fräulein blickten den Jugendfreund eine Sekunde lang verdutzt an. Dann stand Fräulein Ute auf, ging eilig zu einem runden Schrank in der Ecke, kramte zwischen Leinenzeug und fand eine Flasche Kognak, die seit vielen Jahren vergessen im Winkel lag. Das hagere Fräulein Sidonie hatte einmal, als sie unter Magenbeschwerden litt, ab und zu ein Gläschen Kognak als Medizin getrunken.

»Dunnerslag,« brüllte Kapitän Klarbohm, »eine feine Nummer!«

Er schenkte sich gleich zum zweitenmal ein, trank und trank immer wieder und ließ die Flasche nicht aus der Umklammerung der braunen Faust.

Dabei wurde er gesprächig. Die drei alten Fräulein, die auf steilen Stühlen mit hohen Lehnen im Halbkreis um den runden Tisch saßen, brauchten nicht viel mehr zu reden. Sie hielten die Hände im Schoß gefaltet und blickten ängstlich auf den Gast. Fräulein Sidonie, deren große braune Augen voll Tränen standen, dachte: Wenn er sich nur nicht betrinkt, das wäre das schlimmste.

Kapitän Klarbohm nahm kein Blatt vor den Mund. Er redete breit und prahlerisch von fremden, heißen Städten, von tollen Stürmen auf zerwühlten Meeren, von Saufgelagen in verrufenen Hafenschenken und von Liebesabenteuern mit weißen und braunen Weibern überall in der Welt. Sie lauschten entsetzt. Manchmal schüttelten sie sich, als liefe ein Frost über sie hin. Niemals hatten sie von solchen Dingen gehört!

Es wurde dämmerig, und der Wind, der mir dem Abend stärker wurde, fuhr durch die Eichen und raschelte im trockenen Laub. Es wurde dunkel in der Stube. Wie ein unförmiger Schatten hockte im Sofa der Gast. Wenn er nicht sprach, hörten sie seinen schnaufenden Atem und ein Glucksen, wenn er trank. Es war ihnen, als säße in ihrer Stube ein Fremder, ein ungeschlachteter Riese, der mit plumpen Händen um ihre Herzen griff. Das war, grauenvoll, das unbekannte Leben, das unheimlich seinen Schatten bis tief in ihre fröhliche und sehnsüchtige Jugend warf.

Sie spürten, wie scharfer Tabakrauch ihre Augen beizte, und tupften mit weißen Tüchlein das Wasser weg, das ihre Gesichter feucht machte. Plötzlich erhob sich der Kapitän. Er schwankte, stieß an den Tisch, die Tassen klirrten und die leere Flasche fiel um.

»Verdorri, meine Mütze.«

Er suchte eine Weile mit Gepolter, dann fand er sie, stülpte sie auf und sagte mit schwerer Zunge:

»Tja, Kinners, jetzt muß ich an Bord. Ich hab einen Skat mit dem Steuermann und dem Bootsmann. Tjüs, lütte Deerns. Es ist bannig duster bei euch.«

Sie merkten, daß er betrunken war, und verhielten sich ganz ruhig. Er schwankte an ihnen vorbei, wie ein schwerfälliges Tier der Urzeit, tappte nach der Tür und trat auf den Gang. Dann hörten sie, wie er den Pfad zur Pforte ging. Einmal stolperte er, vielleicht bei der gebrechlichen Brunnenfigur. Es knackte im Gebüsch. Dann fiel die Gartenpforte ins Schloß.

Keins von den drei alten Fräulein wagte zu sprechen. Endlich erhob sich das rundliche Fräulein Ute und stieß das schiefe Fenster auf, um den Tabaksrauch hinauszulassen, der ihnen die Augen zerbiß. Draußen wehte der Herbstwind, stieß durch die Bäume und warf einen Wirbel trockenen Laubes in die Stube der drei alten Fräulein.


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