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VII.
Große Toilette

Den ganzen Winter hindurch, der von seltener Strenge war, mußte der Bau der Fabrik ruhen. Zu Herrn Ferdinand Friedrich Urbans großem Kummer! Da die rauhe Jahreszeit es nicht gestattete, die »Warte« zu besteigen, so streckte Johannes Timpe von nun an jeden Tag den Kopf durch die Bodenluke, um seine Neugierde zu befriedigen. Wenn er bei dem fahlen Licht der Abenddämmerung seinen Blick zu dem bereits fertigen Rohbau hinübersandte, so war es ihm, als grinsten ihn die dunklen Fensterhöhlungen der schneebedeckten Brandmauer wie ebenso viele Augen eines Ungeheuers an. Seine stark ausgeprägte Phantasie begann ihre Wirkung zu tun.

Sobald der erste Sonnenstrahl sich wieder zeigte, erschien Urban auf dem Bauplatz und erhob seine Nase zum Himmel, als wolle er diesen für die Unterbrechung der Arbeit anklagen. In einen bis zur Erde reichenden Pelz gehüllt, einen Schal mehrmals um den Hals geschlungen, eine englische Stoffmütze weit in die Stirn gedrückt, schnüffelte er in allen Ecken herum. Man sah von dem ganzen Menschen eigentlich weiter nichts als die ewig gerötete Nasenspitze, welche der weit heruntergerutschten Brille als letzter Halt diente. Selbst die Hände waren tief in den Ärmeln des Pelzes vergraben. Er befreite sie nur dann von ihrer Hülle, wenn er zu seinem seidenen Taschentuch greifen mußte oder den Versuch machte, mit dem Knöchel des Zeigefingers die Güte der Steine zu probieren.

So lief er denn behende wie ein riesiges Wiesel zehnmal um das ausgedehnte Gebäude herum, reckte den Hals, als müsse er die Höhe ermessen, und verschmähte es nicht, hin und wieder die Leitern im Innern des Gebäudes zu besteigen, um plötzlich seine würdige Gestalt im Rahmen eines Fensters im ersten Stockwerk darzubieten. Dann schielte er zum kleinen Häuschen Timpes hinüber und schüttelte still vor sich hin mit dem Kopf, als könne er irgend etwas nicht begreifen. An einem dieser Inspektionstage erblickte er den Meister im Gärtchen. Sofort stieg er die Leiter hinunter und erschien in der Öffnung der Mauer. Da es immer noch unentschieden war, ob die letztere ganz niedergelegt werden solle, so hatte man das große Loch mit einigen starken Bohlen versperrt.

Die eine derselben wurde nun beiseite geschoben, und in dem engen Spalt zeigte sich Herrn Urbans von der Kälte blau angelaufenes Gesicht.

»Nun, Meister Timpe, haben Sie sich immer noch nicht besonnen? Sie wissen doch, was ich meine –« rief er nach einem kurzen Gruß Johannes zu. Dieser rückte an seiner Mütze und erwiderte: »Es wird nichts daraus, Herr Urban. Wenn die Stadtbahn das Grundstück kaufen sollte, kann ich den Profit auch allein in meine Tasche stecken.«

Urban zog die spitze Nase zurück und gab seiner Wut einen vorläufigen Ausdruck, indem er die Bohle mit einem kräftigen Ruck auf ihren alten Platz beförderte.

Timpe lachte leise vor sich hin bei dem Gedanken, mit seinen Worten den Ärger des reichen Nachbars einmal gründlich zutage gefördert zu haben. Plötzlich klaffte die Öffnung abermals, und Herrn Urbans glänzende Brillengläser richteten sich wiederholt drohend auf Johannes.

»He, Sie wollen also nicht?« schrie er diesmal wie ein zornig gewordener Knabe. »Wissen Sie, was ich dann tue? Ich lasse die Mauer herunterreißen und verbaue Ihnen hier das ganze Licht. Wurst wider Wurst! Adieu, adieu! Bis morgen können Sie mir schreiben.«

Ein Stoß, und die Bretter klapperten wieder.

Johannes Timpe lachte diesmal sehr laut auf und sagte, unangenehm berührt durch die Anmaßung des Fabrikbesitzers:

»Sie sind ein Narr.«

Zum dritten Male zeigte sich die gerötete Nase des Nachbars.

»Was erlaubten Sie sich soeben zu sagen?«

»Morgen ist Sonntag, und heute friert's wieder stark«, erwiderte der Meister gelassen.

»Ach so, das ist etwas anderes! ... Was geht's Sie überhaupt an, wenn es friert! Mein Bau wird doch fertig – zum Ärger gewisser Leute.«

Sein Grimm war diesmal unverkennbar, als er den Blicken Timpes entschwand.

»Sie sind ein kleiner Mann mit einem großen Munde«, rief der Drechslermeister ihm nach.

»Wie?« schallte es über die Mauer zurück.

»Sie sind ein großer Geist«, meinte ich.

»Das können Sie einem anderen vorreden! Ich habe wohl gehört, was Sie gesagt haben! Der kleine Mann wird Ihnen eines Tages noch eine Nuß aufzuknacken geben ... Wir kennen uns nicht mehr.«

»Mir sehr angenehm.«

Nach dieser Unterhaltung war das bisherige geheime Mißtrauen, das Timpe und Urban gegeneinander hegten, zum ersten Male zur offenen Feindschaft ausgeartet. Und wenn diese leichte Plänkelei vorerst auch eines humoristischen Anstrichs nicht entbehrte, so war doch vorauszusehen, daß der Riß sich immer mehr und mehr erweitern werde. Meister Timpe namentlich hatte dieses Gefühl. Er kam sich plötzlich sehr erleichtert vor, freute sich sogar, daß endlich die Stunde gekommen war, wo er eine bestimmte Haltung dem Nachbar gegenüber einnehmen konnte. Ein plötzlicher Trotz, der seine bisherige Sanftmut nicht wiedererkennen ließ, war über ihn gekommen. Sein stilles Philosophieren, dem er sich so oft in einsamen Stunden hoch oben auf der »Warte« hingegeben hatte, durfte sich nun in eine praktische Betätigung verwandeln. Die ewige Ahnung, die ihm zuraunte, daß ihm von dem Nachbar in geschäftlicher Beziehung noch großes Unheil drohen werde, hatte er bisher stumm mit sich herumtragen müssen. Nun konnte er wenigstens ein freies Wort führen, seinem Herzen einmal gehörig Luft machen. Dieser geriebene Herr jenseits der Mauer hatte ihm heute sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß hinter seiner Höflichkeit und Herablassung nur die Sucht nach geschäftlichem Vorteil sich verborgen halte. In diesen Minuten der Erregung vergaß er sogar ganz das Verhältnis seines Sohnes zu Urban, dachte er gar nicht daran, daß dem ersteren irgendwelcher Nachteil erwachsen könne.

Als er die Werkstatt betrat, platzte er gleich hervor: »Die Menschen werden immer unverschämter in der Welt. Habt ihr den Streit gehört zwischen mir und Urban? Er will an Stelle der Mauer noch ein hohes Gebäude errichten lassen, damit wir hier womöglich den ganzen Tag über Licht brennen müssen.«

»Det lassen wir uns nich jefallen, Meester«, rief Fritz Wiesel sofort, und mehrere der anderen Gesellen fielen mit ein.

»Das darf er Sie weeß Gott nicht duhn«, bemerkte der kleine Sachse. »Dafür gibt's noch den hohen Gewerberat.«

Und Leitmann sagte äußerst kampfesmutig: »Wenn das geschieht, machen wir einfach Revolution.«

Meister Timpe zeigte angesichts dieser allgemeinen Sympathie wieder das alte vergnügte Gesicht, konnte sich aber doch nicht enthalten, seinen Worten hinzuzufügen:

»Wenn er es tut, werden wir schließlich nichts dagegen ausrichten können, und wenn wir hier wie in einem Käfig sitzen müssen. Geld gibt Macht.«

»Aha«, bemerkte Thomas Beyer, der bisher kein Wort gesagt hatte. »Meister, Sie beginnen fortzuschreiten.«

Timpe erwiderte nichts, sondern ging in seine Arbeitsstube, um sich ebenfalls an die Drehbank zu stellen. Als er am Abend Franz zu Gesicht bekam, lautete seine erste Frage:

»Wie hat sich dein Chef heute nachmittag gegen dich benommen?«

»Sehr gut, Vater, trotzdem du ihn mehrmals beleidigt haben sollst. Er hat mir den Vorgang zwischen euch beiden erzählt. Und um dir zu beweisen, daß er dem Sohne das nicht entgelten lassen will, was der Vater ihm angetan hat, hat er mich heute abend zu einer kleinen Gesellschaft, die bei ihm stattfindet, eingeladen. Von unserem Personal ist außer dem Geschäftsführer nur noch mir diese Ehre zuteil geworden ... Es ist kein Frackzwang, wie man zu sagen pflegt; ich werde in meinem schwarzen Gehrock erscheinen und, wie ich glaube, sehr gut aussehen. Ich bitte dich daher, jetzt nicht so viele Fragen zu stellen, da ich noch mancherlei Vorbereitungen zu treffen habe. Ich bin ohnedies ärgerlich darüber, daß gerade heute diese Zänkerei zwischen euch stattfinden mußte. Daß die Eltern niemals einsehen wollen, wie sehr sie ihre Kinder schädigen, wenn sie mit dem modernen Bildungsgang nicht gleichen Schritt halten. Die Kleinen müssen den Großen hübsch nachgeben ... Sei so freundlich und gib mir etwas Kleingeld, vielleicht ein Zwanzigmarkstück. Es fehlen mir noch Krawatte, Handschuhe und andere Kleinigkeiten.«

Timpe war wie umgewandelt: der Vaterstolz beseelte ihn wieder. Sein Sohn in einer Gesellschaft bei Urban – das genügte! Er ging sofort nach dem altmodischen Schreibsekretär und langte in die Kassette, dann sagte er:

»Hör mal, ich glaube wirklich, daß ich etwas übereilt gehandelt habe. Sieh nur zu, daß du die Geschichte wieder ins rechte Geleise bringen kannst ... Soll ich dir vielleicht den Gang abnehmen und Krawatte und Handschuhe selbst besorgen? ... Es ist nicht weit.«

Franz machte seinem Vater die nötigen Angaben und ließ ihn gehen. Nach einer Viertelstunde bereits kehrte der Alte, beladen mit mehreren Kartons, zurück. Er war so gelaufen, daß ihm trotz der Kälte der Schweiß auf der Stirn stand.

»Hier, mein Junge – da kannst du dir nach Belieben aussuchen. Ich habe Pfand gelassen, um es dir bequemer zu machen.«

Während der nächsten halben Stunde wurde die Welt vergessen, um der Toilette Franzens willen. Johannes bürstete eigenhändig den schwarzen Gehrock säuberlich ab, und Frau Karoline prüfte zehn Minuten lang die aufgeschichteten Plätthemden, ehe sie eins auswählte, das ihrer Meinung nach am tadellosesten war. Was in den seltensten Fällen vorkam, das geschah heute: Außer der Tischlampe mußten noch die beiden großen Kugellampen, die auf dem Spinde standen, ihr Licht in der guten Stube leuchten lassen; denn um dem Großvater nicht wieder Veranlassung zu allerlei Bemerkungen zu geben, mußte die Toilette in diesem Zimmer vor sich gehen.

Timpe und sein Weib überboten sich förmlich in Aufmerksamkeiten ihrem Einzigen gegenüber. Alle Augenblicke klang es an Franzens Ohr:

»Brauchst du auch noch etwas? ... Kann ich dir noch behülflich sein? ... Vergiß nur nichts ...«

Die Krawatte wollte nicht recht sitzen; sofort waren vier Hände bereit, den lang herabfallenden weißen Knoten in die gehörige Lage zu bringen; und der Meister zog die Binde hinten am Stehkragen so fest zu, daß seinem Sohne förmlich der Hals zugeschnürt wurde. Und während der ganzen Ankleidungsszene stand Franz wie ein junger Gott vor dem großen, altväterischen Trumeau und betrachtete sich mit Wohlgefallen. Die Frisur und der sprossende Bart nahmen seine ganze Teilnahme in Anspruch; namentlich lagen ihm die Spitzen des letzteren sehr am Herzen. Zuletzt glaubte er ohne Pomade ihnen nicht die gehörige Steifheit geben zu können, deren sie dringend bedurften, um ihre Wirkung vollendet zu machen. Als er darüber kaum eine Bemerkung fallengelassen, griff sein Vater auch schon wieder zum Hut und entfernte sich schleunigst, um das Gewünschte vom nächsten Barbier zu holen.

Endlich war die Toilette fertig, warf Franz den letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Vater und Mutter standen hinter ihm mit emporgehobenen Lampen und waren nicht minder entzückt von ihm als er selbst von sich. Und wenn die Blicke der beiden Alten sich zufällig begegneten, so konnte man aus ihnen die Worte lesen: Ein Prachtjunge, nicht wahr, Vater? ... Er wird alle jungen Männer in den Schatten stellen, Alte, he? ...

Als er dann den Hut aufgesetzt und den Überzieher angezogen hatte, vermochte Frau Karoline nicht mehr zu schweigen. Sie gab ihm mit der flachen Hand einen Schlag auf den Rücken und sagte zärtlich: »Du bist ein schöner Mensch.« Und auch ihr Mann fiel ein: »Ein stattlicher Kerl! Du hast wahrhaftig schon das Gardemaß.«

Franz wollte gehen, als ihm einfiel, daß er etwas vergessen habe. So holte er denn noch ein Fläschchen wohlriechenden Wassers hervor und bespritzte damit sein Taschentuch. Das ganze Zimmer wurde sofort von dem durchdringenden Duft angefüllt. Die Nasenflügel der Eltern erweiterten sich merklich, denn seit langer Zeit hatte man einen derartigen Wohlgeruch in dem schlicht bürgerlichen Hause nicht verspürt.

Als Franz noch bemüht war, dem Ehepaar die Unzertrennbarkeit dieses echt französischen Odeurs von der »guten Gesellschaft« (er betonte diese Worte ausdrücklich) auseinanderzusetzen, schreckten sie leicht zusammen, denn sie vernahmen, wie im Nebenzimmer der Stock des Großvaters auf die Erde gesetzt wurde und das Geräusch seiner Tritte näher kam. Gleich darauf trat der Alte ein. Er hatte bereits längst gemerkt, daß man ihm wieder etwas zu verheimlichen versuche, und von Groll erfüllt seinen Sorgenstuhl verlassen, um sich zu überzeugen, was man vorhabe. Bei seinem Hereintreten merkte er an der Lichtfülle, die auf seine Augenlider eindrang, daß etwas Außergewöhnliches vorgehen müsse. Als er die Tür geschlossen hatte, blieb er stehen, hob den Kopf, blähte die Nase und sagte:

»Das riecht ja hier wie in einer Apotheke. Diese ewige Geheimtuerei paßt mir nicht mehr! Ich gehöre mit zur Familie; was hier im Hause vorgeht, kann ich ebenfalls erfahren. In früheren Zeiten hatte man sich gegenseitig nichts zu verbergen, sprach offen und ehrlich miteinander, wenn es auch einmal ein paar Grobheiten gab. Heutzutage aber scheint die Welt nur noch verlogen zu sein und jedermann darauf auszugehen, seinen Nächsten zum Narren zu haben ... Geht nur mit eurem Söhnlein zum Balle, präsentiert ihn wie einen Modeaffen: ihr werdet doch die Drechslermeister Timpeschen Eheleute bleiben. Es schenkt euch niemand einen Dreier.«

Man merkte nur zu sehr: Er hatte wieder einen Anfall von Gallsucht bekommen, der ihn über die Fliege an der Wand sich ärgern ließ. Franz wollte aufbrausen. Seit langer Zeit bereits hatte er den Entschluß gefaßt, diesem seiner Ansicht nach zänkischen Alten, der weiter nichts verstand, als von früh bis spät Moral zu predigen, einmal gehörig die Wahrheit zu sagen. Er, der bereits angesehene Franz Timpe, dem heute die große Ehre zuteil werden sollte, in einer der wohlhabendsten Fabrikantenfamilien mit seiner Anwesenheit zu glänzen, der an gesellschaftlicher Bildung und an Kenntnis des modernen Lebens dieser lebenden Ruine weit überlegen war, sollte sich immer noch wie ein Schuljunge behandeln lassen? Dagegen mußte einmal gründlich Opposition gemacht werden. Ich werde einmal eine »Szene« machen, dachte er bei sich, als er nach vielen Mühen endlich den letzten Knopf der Handschuhe zugeknöpft hatte.

Johannes und Karoline, die schon an seiner unwilligen Bewegung die kommenden Dinge voraussahen, gaben ihm einen Wink, ruhig zu sein und sich zu entfernen. Dann versuchte der Meister seinem Vater jedes Mißtrauen zu nehmen.

»Du tust uns unrecht, Vater«, sagte er sanft. »Franz hat ganz plötzlich eine Einladung von seinem Chef bekommen, und da er sich schnell ankleiden mußte, wollten wir dich nicht stören –«

Im nächsten Augenblick fiel Franz hochmütig ein:

»Ich weiß nicht, Vater, daß du dich noch entschuldigst; du bist doch hier Herr im Hause. Wenn alte Leute wunderlich sind, so ist damit noch nicht gesagt, daß sie das Recht haben, ihre Nase in alle Dinge zu stecken. Es ist gerade wie mit den Bären: sie halten ihren langen Winterschlaf, und wenn sie erwachen, wundern sie sich darüber, daß inzwischen das junge Grün hervorgekommen ist... Ich lasse mir eine derartige Behandlung nicht mehr gefallen! Ich gehöre bereits einer Studentenverbindung an und werde mich bald verloben ... In den Kreisen, in denen ich verkehre, schätzt man mich als einen gebildeten jungen Mann, ich bitte mir daher ein für allemal aus, das nicht zu vergessen.«

Timpe und seine Frau waren über diese Rede so entsetzt, daß sie zwischen Großvater und Enkel traten, als befürchteten sie einen Angriff des Greises. Dieser regte sich nicht von der Stelle, brach aber plötzlich in ein helles Gelächter aus, das sich unheimlich anhörte. Dann sagte er ein über das andere Mal: »Der grüne Junge will sich verloben, verloben will er sich! Und ist hinter den Ohren noch nicht trocken geworden!«

Nachdem er seinem Spotte genügend die Zügel hatte schießen lassen, zeigte er sein altes ernstes Gesicht. Die erloschenen Augen hatten sich nach der Stelle gerichtet, von wo aus er die Stimme seines Sohnes vernommen hatte. Vornübergebeugt, die beiden knochigen Hände auf die Krücke des Stockes gestützt, stand er unbeweglich da, gleich einer Statue. Es war einige Sekunden lang so still im Zimmer, daß man vermeinte, sein leises Atmen zu hören. Er schien auf etwas zu warten.

»Nun, Johannes, du gibst deinem alten Vater keine Genugtuung?«

Der Meister antwortete nicht, aber Karoline glaubte vermitteln zu müssen. »Großvater«, sagte sie, »Sie sind aufgeregt. Es ist spät, gehen Sie zu Bett. Er ist doch unser Sohn, er hat Ihnen nichts getan.«

Der Alte rührte sich noch nicht, aber sein Gesicht war immer noch nach Johannes gerichtet. Endlich sagte er langsam, mit erhobener Stimme:

»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß es dir wohlgehe und du lange lebest auf Erden ... Ihr habt vergessen, ihm die Zuchtrute zu geben – wehe dir, Johannes, wenn der Tag kommt, wo er, der da steht, vergißt, was du an ihm getan hast ... Gute Nacht!«

Er drehte sich um und verließ das Zimmer nach dem Flur hinaus, wo er leise stöhnend die Treppe erklomm.

Und auch Franz ging mit kurzen Abschiedsworten. Meister Timpe aber wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen, wußte aber selbst nicht, wem sie gelte: dem Vater oder dem Sohne.


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