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Wie das zu dem kommt und Preßburg zu Weimar, zeigt uns ein Bühnenschmock im Handumdrehn.
Max Reinhardt ist vielleicht weniger als ein Genie, aber gewiß mehr als ein Talent. Er ist ein Genie der Talentiertheit. .
Warum nicht; und möglicherweise auch ein Talent der Genialität.
Genie schlechthin, mit dem Monomanischen dieser Spezies, war sein Vorfahr und Meister, war Otto Brahm. Der Wirksamste, der seit Goethe dem deutschen Theater Leben wiedergab.
Warum nicht, denn Fausts Wagner ist ein Genie und Laube der Hund. Nun ich finde ja eher in dem, was sich seit 1895 im Berliner Theaterwesen begibt, von einem Geist keine Spur und daß alles Dressur ist. Gleichwohl wünsche ich keineswegs die seit damals theatergenießenden Generationen aus ihren Saison-Idealen zu reißen; aber was einem diese Entwicklungsschmöcke zumuten, geht denn doch über die Vorhangschnur:
Hatte sich, nach Goethes Tod, das Theater immer mehr vertheatert, so kam mit Brahm wieder Geist in die Schaukunst. Gedanken, Gefühle, Empfindungen; innere Geschehnisse, Vorgänge hinter der Wand der Stirn: Knappheit in den Bewegungen, Schweigen zum Sprechen erhoben ...
Kurz, die Ablösung jener Ära, in der Theater Theater war, Schauspielkunst noch nicht »Schaukunst« und die letzte Spur von einem Geist noch nicht ersetzt durch die Tortur der Ibsen-Dialoge, welche durch ein Jahrzehnt der deutsche Theatersnob durchhalten mußte, dem die seelische Realität dosiert wurde, vor dem Einschlafen ein Eßlöffel, vor dem Gebrauch zu schütteln. Dazu die »Vorgänge« der Hauptmann'schen »Einsamen Menschen«, etwa wie das ist, wenn Bienen zum Frühstückkaffee kommen (Anna Mahr »blickt auf den Busen herab«, schalkhaft drohend: »Bienchen, Bienchen!«), während das Innenleben durch die beständige Bitte: »Laß mich, Mutti, ich muß denken!« zum Ausdruck gelangte. Nun läßt sich ja gewiß nicht bestreiten, daß dem Talent eines Ensembles, wie es der Direktor Brahm vorfand, auch der Zwang zu solcher Bedeutsamkeit nichts anhaben konnte und daß die damalige Schauspielerei noch immer turmhoch über dem Niveau stand, auf dem später der Sinnendurst des Herrn Reinhardt, aufgewachsen bei Barock, sich betätigt hat, bevor dann alle abwegige Häßlichkeit reüssierte und der zugkräftige Mangel vorhanden war jener unter den Durchschnitt Hervorragenden, die man Prominente nennt. Aber die kritischen Gründlinge im Parkett tun doch rein, als könnten sie sich noch genau erinnern, wie das deutsche Theater seit Goethes Tod verfiel, in die kläglichen Niederungen einer Unnatur geriet, die durch die Reihe von Löwe und Fichtner bis Baumeister und Hartmann, durch die Wolter, Mitterwurzer und Matkowsky unrühmlichen Angedenkens bezeichnet wird, und wie es erst durch die Seminarübungen des Dr. Brahm gerettet werden konnte. Aber in Wahrheit ist alle Größe des deutschen Theaters in der Zeit zwischen Goethe und Brahm, in der Zeit der literarischen Entkräftung eingeschlossen, und nach dem ehrfürchtigen Zeugnis Joseph Lewinskys, in jedem Wort überzeugender als jede eigene Zeugenschaft, kann überhaupt nichts zugleich Elementareres und Wortvollkommeneres jemals auf einem Podium gelebt haben als die Kunst eines Anschütz. Es ist nur bezeichnend für die vollkommene Nichtswürdigkeit einer Generation, daß sie den »Vaterhaß«, der das Um und Auf ihrer ursprünglichen Begabung bildet, auch auf die Wertung der von den Vätern geliebten Kunstwelt überträgt und eine Ahnungslosigkeit, die überhaupt nichts erlebt hat, in Hohn umsetzt gegen das, was nur vor ihr erlebt werden konnte. Und was soll man dazu sagen, daß die Büberei schon förmlich die Patina jener »Tradition« bekommen hat, die sie negiert, indem es sich bereits von selbst versteht in der alten Schauspielkunst den Inbegriff alles Minushaften zu erkennen, und daß reichsdeutsche Dilettanten, die nach Wien kommen, mit einem wissenden Lächeln vom »alten Burgtheater« sprechen, als dessen typische Vertreter ihnen die Herren Reimers und Devrient erscheinen! Angesichts der umfassenden Ignoranz, die das Licht der deutschen Theaterwelt erblickte, als diese eben Herrn Wegener für ein stürmendes Genie zu halten begann, und aus deren Jungbrunnen die Berliner Theaterreferendare ihre Vorschriften schöpfen, bleibt nichts übrig als die Genugtuung, daß dafür auch ihre positiven Wertungen einander saisonweis abschlachten und daß, was gestern noch »ganz stark« oder »mit das Wesentlichste« war, heute von einer noch unwesentlicheren Erscheinung überholt ist, und vor allem, daß der Tag unabwendbar scheint, wo das Filmgeschäft, welches doch wenigstens einer technischen Realität und somit eines Fortschritts habhaft ist, dem ganzen Plunder einer aufgeblähten Nichtigkeit den Gnadenstoß versetzt. Denn wie vermöchte auf die Dauer der Schwindel dieser »Regisseure« einem Betrieb die Seele der Persönlichkeit zu ersetzen, die ihm die Zeit genommen hat? Keine Redensart liegt den Maulmachern, die ihn durch »Besprechung« wirksam zu erhalten glauben, mehr als die Geringschätzung des »Epigonisch« und nie war die Theaterbetätigung epigonischer als heute. Die ignorante Lüge, die geradezu die Basis der heutigen kritischen Bildung vorstellt, hat freilich ihre Geschichte: sie beruht, indem sie das »Epigonische« immer bis zu ihrer Geburt datiert, schon auf der Verwechslung der deklamatorischen, in Wahrheit epigonischen Typen Possart und Klara Ziegler mit einer Schauspielkunst, deren klassische Fülle allen späteren Naturalismus wie Expressionismus enthielt und vor der nicht nur jene dekorative Äußerlichkeit, sondern auch das innerliche Getue von heute als Epigonentum erscheint. Doch die Ignoranz, längst eine Doktrin geworden, tändelt immer wieder als Schmockerei. Was unterscheidet Brahm von Goethe? Sehr einfach, es gab da
ein Berliner Viertreppen-Staccato nach dem Weimarer Escalier d'honneur-Legato.
Nun aber – der Zeit ihr Schmoccato – muß sich Goethe auch von Reinhardt unterscheiden, der »sich von dem Gedanklichen Brahms instinktiv beengt fühlte«, was gewiß glaubhaft ist.
... wie es Goethe, trotz Lessing, zu Corneille und Racine und Voltaire hinzog, so zog es Reinhardt, trotz Brahm, zu Weimar hin; seine Augen dürsteten, seine Ohren hungerten ...
Zwar dürfte der Unterschied auch darin gelegen sein, daß Goethe die »Helena« geschrieben hat und Reinhardt nicht imstande wäre, auch nur einen Vers von ihr ihrer Darstellerin beizubringen. Aber das macht nichts. Und weil nichts näher lag, als den lechzenden Sinnen, die es in Brahms Dürre schier nicht mehr aushalten konnten, in Weimar Speis und Trank zu holen, so ging er zu Shakespeare. Das ist sehr kompliziert. Hatte nämlich Goethe
in der Abwehr gegen die Shakespeare-Tyrannei
– was für Shakespeare-Tyrannei? Der Shakespearedilettant Grabbe empfand sie und versuchte durch eine klägliche Polemik abzulenken. Hatte also Goethe
das französische Drama zur Hand, so gab es für Reinhardt gegen Brahm Shakespeare.
Die Wege der Entwicklung sind, wie man auf den ersten Blick sieht, so verworren, daß es tüchtig aufpassen heißt.
Mit einem Sprung wagte er sich in Shakespeare hinein, und von einem Theaterabend zum andern hatte Deutschland statt des philologischen Shakespeare einen Bühnen-Shakespeare.
Daß Gott erbarm. Aber weil die Reinhardt-Leute keinen Vers von Shakespeare sprechen konnten und wenn sie's gekonnt hätten, durch Kinkerlitzchen daran gehindert waren, deshalb zu vermuten, daß das deutsche Theaterpublikum vorher einen »philologischen« Shakespeare hatte, ist schon eine gigantische Schmockerei. In Wahrheit war es eben, soweit Schauspielerei Sprache darstellen kann, ein Theater-Shakespeare, während man heute vom Unvermögen durch Künste ablenken muß, die auch mit dem Theater nichts zu schaffen haben, und eben das, was sie auf ihm schaffen, gleich weit vom Schauspieler wie vom Dichter entfernt liegt, womit allerdings bewiesen sein mag, daß die Fertigkeiten des Herrn Reinhardt eng mit der Zeit verbunden sind. Das ist natürlich im Munde ihrer Wortführer das höchste Lob:
Und nun: seine Talentiertheit. Talent bedeutet: immer und überall seinen Mann zu stellen; ist jemand ein Talent, so kann er heute ebenso leidlich etwa eine Fabrik, einen Krieg führen, wie morgen ein Theater.
Ja, ganz so disponiert, wie man an jedem ihrer Tage erlebt, die Zeit. Zwar, ob Herr Reinhardt »etwa« den Krieg für Deutschland so gewonnen hätte wie Ludendorff, mag dahingestellt bleiben, vielleicht aber hätte er ebenso leidlich wie Stinnes junior eine Fabrik geführt. Zufällig ist sein Hang nach dem Theatergeschäft gerichtet.
Lebte er sich in seiner Jugend in Shakespeare, später in Molière aus, so wagt er sich jetzt als Gereifter mehr und mehr an französische und englische Gesellschaftsstücke ... Und daß er von Zeitabschnitt zu Zeitabschnitt immer wieder umsattelt, spricht auch für ihn, als Talent.
Shakespeare war also nur die Tändelei der Jugendjahre. Der Altmeister, von der Manege zum Hochaltar umsattelnd, wagt sich nun an das, was ihm die Zuckerkandl darbringt. Also wieder ganz wie Goethe, der in der Abwehr gegen die Shakespeare-Tyrannei das französische Drama zur Hand hatte. Nach allen Berliner Staccatos und Furiosos das richtiggehende Escalier d'honneur-Legato, wobei die Salzburger Kirchenmusik mit der aus Wien beigestellten Reklametrommel ganz unberücksichtigt bleibt.