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ist das Feld, auf dem die deutschösterreichische Sozialdemokratie zu leben entschlossen ist, denn seitdem sie ihre verdienstvolle Arbeit zur Überwindung des Krieges beendet hat, scheint sie das geistige Inventar, mit dem einst die Lüge der Notwehr verteidigt wurde, an sich gebracht zu haben. Den ranzigen Begriff eines Patriotismus also, dessen bloße Vorstellung – mit all seiner Nichtvorstellung des Kontrastes zwischen Fahnen und Flammenwerfern schon den Hochverrat zugunsten der Menschheit diktiert, ja jedes Landes, dessen Menschenart in anderer Gefühlszone geboren ist –; dieses Relikt aus der Sündflut, das nur der Belebung durch Phantasiearmut harrt, um sich mit dem technischen Fortschritt zum Ruin sämtlicher Vaterländer zu verbünden. Daß es den Höhlenbewohnern, denen die kriegerische Niederlage nicht mit jenen Sinnbildern vor Augen geführt wurde, die sie für den Sinn des Kriegs gehalten haben und halten – daß es dieser nicht sinnfällig besiegten und darum wieder ermutigten Sorte geistig zugehört, ist seit 1918 ein natürliches Erlebnis, und erschütternd nur das Schauspiel des Gegenwahns: wie das freieste Volk der Erde vor einem im Stahlhelm starrenden Gespenst in den doch verabscheuten Militarismus flüchtet. Aber kein größeres Greuel vor dem Herrn, den sie leugnen und den die andern wenigstens als Segnet der Waffen anerkennen, könnte es geben als Sozialisten, die am Spiel mit Fahnen und Flaggen Freude haben, zum Rot noch Schwarz und Gold brauchen, sich, weit über alle wirtschaftliche Berechnung hinaus, gefühlsmäßig an der nationalen Zusammengehörigkeit erlaben und am liebsten die trennenden Sudeten wegräumen möchten, die das nationale Bürgertum doch ganz legitim vor der Stirn hat und ohne die es geistig unbeschäftigt wäre. Grippe und Nationalismus: das ist nebst dem Bankrott der Bodensatz verwichener Giftschwaden; derzeit grassiert die nationale Ehre. Es ist diesem armseligen Wrack von einem Staat, das nun einmal die Nation beherbergt, die sich die Hauptkriegsverbrecher als Führer gefallen ließ, keineswegs zu verdenken, daß es, über die angestammte Sehnsucht nach den Fremden hinaus, das »Vertrauen des Auslands« wenigstens in dem Maße zu erringen trachtet, als es sich dieses durch politische Handlungen oder Duldungen gleichsam verscherzt. Aber In solchem Milieu, wo Selbstbestimmung nur die Wahl zwischen Korruption und Gewalttätigkeit bedeutet und wo jede Partei den Schmutz vor eigenen Tür kehrt, den die andere abgelagert hat, wird lauter als irgendwo in der Welt die »nationale Ehre« reklamiert, sooft an einer der Interessentengruppen die Reihe ist, die andere des Hochverrats zu beschuldigen, und der vollste Brustton, der sich dann dem nationalen Pathos entringt, ist der Protest gegen die Zumutung, eine »Kolonie« zu werden. Nun muß einmal ganz kalt und klar gesagt werden, daß der Sinn des Menschenlebens eigentlich in ganz anderen Entscheidungen beruht als in der, von welcher Konsumgenossenschaft man sein Futter zugewiesen bekommt, welche Schließgesellschaft für die Sicherheit und welches Unternehmen für die Reinhaltung der Straßen zu sorgen hat. Pathos ist da weit weniger am Platz als bei Shakespeare. Uns interessieren diese Probleme nicht mehr, geistig gehn sie uns einfach nichts an. Trifft's England, soll's England machen, trifft's Frankreich, so Frankreich, und ich ließe mich zur Not auch von den Persern verwalten. Kein Zweifel, daß in rein organisatorischen Belangen Deutschland den Vorzug hätte, aber da wäre vielleicht die Gefahr jener Verbindung des Nutzlebens mit dem Geistigen vorhanden, die den Krebs der zentraleuropäischen Kultur bildet. Menschendank verdient jeder, der dient; doch die Heiligung der Gesamtdienerschaft als Autorität, die Vorstellung einer Staatsbürgerlichkeit, die den Beamten als Vorgesetzten des Menschen annimmt, gehört jenem Bereich fossilen Denkens zu, dem die kriegerische Romantik entspringt wie jener Mangel an Phantasie, der die Antithese der Technik nicht gewahr wird. Vaterland ist die Summe von Landschaft und Menschentum, von der wir durch Geburt oder Gewöhnung umgeben sind; Staat ist Einmischung in dieses Verhältnis und sein Anspruch auf Beteiligung am Sentiment werde mit jener Kälte abgewiesen, die das Stigma unpatriotischer Gesinnung als geistige Ehre annimmt. Wenn wilde Völkerschaften eine nichtbodenständige Verwaltung ertragen müssen, so ist auch der Gedanke nicht abzuweisen, daß Völkerschaften, die wild geworden sind, die in dem Unvermögen, sich selbst zu verwalten, gegen den Zimmerschmuck ihrer Kultur wüten, einer Vormundschaft teilhaft werden. Die Befürwortung dieses Gedankens entspräche nicht nur jenem bestverstandenen Patriotismus, der dem mitgefühlten Jammer einer ursprünglich gutmütigen Landsmannschaft kein Ende durch die Führung unfähiger oder habgieriger Politiker absieht, sondern auch jenem wahren Nationalismus, der das heilige Erbgut einer von ihren Sprechern besudelten Sprache nur in der Befreiung aus dem Verkehrsgebrauch geborgen sähe und ihre Ehrenrettung dem Volapük vorbehält. Mit einem nur von solchem Interesse, aber von keinem Phrasenschwindel zu bewegenden Herzen, das sich durch kein Volkstum einer Amtlichkeit angemutet oder abgestoßen fühlt, der ich die Steuer zu entrichten habe, spreche ich diese Meinung aus, für deren Recht ich Verständnis und Duldung von einer Partei der Freiheit erwarte, nicht minder als für das Recht, eben sie über alle Maßen unerträglich zu finden, wenn sie sich nationalistisch gebärdet und den großdeutschen Interessen nun geradezu als Hinternationale Gefolgschaft leistet. Es ist noch ein Glück, daß was immer hier verlustbringend wirkt nicht die Macht hat, den Humor abhanden kommen zu lassen, der wie jedem Mißverhältnis zwischen Wollen und Gelingen auch diesem innewohnt, und daß der tägliche Wirrwarr der Gedanken und Taten unserer Politik sich ins Groteske auflöst. Die Christlichsozialen lassen sich von Bekessy aus Budapest die Wahrheit zutragen, daß Deutschland durch die Oktroyierung Schobers Einfluß auf unser Inneres genommen hat, und die Sozialdemokraten – die gegen Bekessys Lügen weniger einzuwenden hatten – erzeugen in Versammlungsreden »Bewegung« durch den Hinweis auf den Versuch, »uns in eine Lage zu bringen, ähnlich der afrikanischer Negerstämme, über die die französische Kolonialmacht herrscht«. Wenn Herr Otto Bauer warm wird, geht mich ein Frösteln an. Von dem Klischee »Ihr Herren« abgesehen, bleibt er sonst frei von Pathos, zu klug, um sich an die Weisung zu halten: »Schaff Augen dir von Glas, und wie Politiker des Pöbels tu, als sähst du Dinge, die du doch nicht siehst«. Ein so beherrschter Führer durch Wellenberge und Wellentäler einer unabänderlich vorgezeichneten Entwicklung, Tiktaktiker der Parteiuhr, darf sich durch nichts überrascht und nie bewegt, niemals bewegend zeigen. Der Intelligenz, die mit den Gegebenheiten operiert, steht die Benützung der von Herrschaften abgelegten Fetische am wenigsten an. Er schien längere Zeit der einzige sozialdemokratische Führer, der sich gegenüber Herrn Schober wenigstens die freie Hand vorbehalten hatte, sie ihm nicht zu reichen. Aber ans seiner Rede geht jener, der bei den Sozialisten schon als Vertreter der »einfachen bürgerlichen Ehrbarkeit« beglaubigt ist, als der wahre Träger nationaler Würde hervor. Darum sei dem Redner in Erinnerung gebracht, daß es nur eine Gelegenheit gab, ihm Gefühlstöne zu glauben: als er, Tatzeuge der Ringstraßentaten, im Parlament zur Anklage ausholte. Gewiß, er hat selbst kürzlich an dem Grabe der Juliopfer, vor dem die längste Zeit Pietät nur markiert wurde, sich erinnert; und fast so, daß man auf Verletzung der Disziplin oder auf den Plan schließen könnte, Felonie an Schober zu üben. Macht die freie Hand von ihrer Freiheit Gebrauch? Sind wir auf einem Wellenberg angelangt? Jedenfalls ist es die Betätigung einer andern, des sozialistischen Gewissens würdigern Sorge als der um die Nation. Was diese betrifft, so weiß man, daß man doch keineswegs die, Macht anderer Entscheidung hätte, wenn Österreich die Wahl bliebe, französische Kolonie zu werden oder Domäne des Bekessy. Und auch, daß wir zunächst und mit aller nationalen Ehre nichts sind als Bekessys Verlassenschaft.