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Wolfdietrichs Kindheit

Der ungetreue Ratgeber Saben macht den König Hugdietrich glauben, Wolfdietrich sei nicht sein Kind, sondern das eines bösen Geistes. Der König will daher den Sohn von seinem getreuen Mann, Herzog Berchtung von Meran (Dalmatien), töten lassen. Dieser aber rettet den Knaben und sich selber aus schweren Gefahren. Er erzieht Wolfdietrich. Als Jüngling kämpft dieser gegen den Heiden Olfan von Babylonien und droht dem Kaiser Ortnid von Italien, als er Schatzung von den Griechen begehrt. Die Quelle ist das mittelhochdeutsche Gedicht Wolfdietrich A.

 

Es wuchs zu Konstantinopel in dieser Jahre Lauf
Jungherr Wolfdietrich mächtig mit seinen Brüdern auf
Bei Hugdietrich dem Vater; des pflag Frau Hildburg wohl
Mit mütterlichen Treuen, wie eine Mutter soll.
Sie hielt ihre drei Kinder in guter Zucht und Hut,
Wolfdietrich doch am meisten vor Boge und Wachsmut.
Viel ungefüge Stärke hätt' er mit vierthalb Jahren.
Das Kind zu schauen, fuhren die Leute hin in Scharen.
Man setzte schon den Kleinen zur Tafel. Als er nun
Ein wenig laufen konnte, wie noch die Kinder thun,
Da gab man ihm aus Liebe Brot in seine Hand;
Doch welcher Hund das schnappte, den warf er an die Wand.
Wer da des Kindes Stärke bei seiner Schöne sah,
Der hielt es für ein Wunder; zum König sprach man da:
»Das sollst du, König, glauben, er ist vom Teufel gekommen,
Wo hätt' er diese Stärke sonst anders hergenommen!
Läßt du den Teufel wachsen, so wird dir Leid bekannt.
Kommt er zu seinen Jahren, verdirbt er Leut' und Land.«

Nun war am Hofe einer von ungetreuem Leib,
Der dachte nur auf Lügen, damit er erzürne das Weib.
So sprach der falsche Saben, der ungetreue Mann:
»Nun laß' zu Hofe kommen Herrn Berchtung von Meran!
Es kann in deinem Reiche dir keiner treuer sein;
Den heiß' verstohlen töten das kleine Kindelein!«
Herr Berchtung, der ward heimlich zum König hingebracht.
Da sprach zum alten Weisen Hugdietrich wohlbedacht:
»Du sollst mein Kind mir töten, oder verloren sein!
Du hast auf Lilienporte sechzehn Kindelein,
Die sind noch kleine Jungherrn, dazu ein schönes Weib,
Die heiß ich alle töten, schonst du des Kindes Leib.«
Da dachte der Getreue: »Es ist nicht also gut;
Ich thu, was er mich heiße; viel grimmig ist sein Mut.
Eh daß er mir aufhinge die Kinder und mein Weib,
Will er mirs nicht erlassen, eh' nähm' ich ihm den Leib.«
Da sprach zu seinem König Herr Berchtung von Meran:
»Willst du's nicht anders haben, so sei es denn gethan!«

Herr Berchtung der getreue das Kindlein nachts empfing
Und von der Kemenate heimlich von dannen ging.
In seinen Regenmantel wand er das Kindelein.
Er ritt über die Brücke; da kam des Morgens Schein.
An der Burgleiten eben erwachte nun das Kind,
Es schrie in seinen Sorgen, Herr Berchtung ritt geschwind.
Als nun der Sonne Blicken durch lichte Wolken sah,
Da war er schon so ferne, dem wilden Walde nah.
Die Steige und die Straße der Held aus Furcht vermied,
Durch Wald und durch Gefilde er gleich den Schächern ritt.
Zum zweitenmal erwachte nunmehr das Kindelein,
Vergaß des Frosts und spielte mit Berchtungs Ringen fein.
Des schönen Halsbergs Blitzen das Kindel nicht verdroß;
Das sah der treue Grieche, sein Jammer ward viel groß.
Es leuchtete des Kindleins Leib so licht wie Schnee.
Wie hell das Kindlein lachte, das that dem Alten weh.
Er führt' es auf die Heide an ein viel grünes Gras
In eine fremde Wildnis, da niemand bei ihm saß.
Er setzt' es auf den Anger, schon zog er aus das Schwert,
Das Kindelein zu töten, das seinen Herrn mißehrt.
Mit jämmerlichem Herzen stieg er auf den Grund,
Doch um des Kindleins Sterben war ihm das Herze wund.
Er setzt' es an einen Brunnen; hätt' nun das Kindelein
Nach den Rosen gegriffen, so fiel es wohl darein.
Es kam zu seinem Heile, daß es davon blieb weit,
Es lief weg von dem Brunnen hin auf den Anger breit.

Herr Berchtung der getreue war listig und gar klug;
Mit seinem Roß ins Dickicht des Waldes er sich schlug:
»Ich will noch bei dir wachen hier diese letzte Nacht,
Doch morgen mußt du sterben, schützt dich nicht Gottes Macht.«
Er saß bis an den Abend, die Sonne gar verschwand,
Da brach der Mond, der lichte, durch Wolken allzuhand.
Da hub sich zu dem Brunnen vom Walde manig Wild.
O weh, da war doch niemand des Kindes Friedeschild!
Zum Brunnen kamen Löwen, manch Bär, manch wildes Schwein.
Mitten unter dem Wilde saß da das Kindelein.
Das Wild, das Wasser wollte, das mußte alles dar,
Zum jüngsten kam gelaufen der Wölfe große Schar.
Bald wurde allem Wilde des Kindes Dasein kund.
Groß war der Tiere Hunger, jeglichen Wolfes Mund
Gähnte an das Kindlein; Wolfdietrich aber saß
So schön da, daß ein jedes des großen Hungers vergaß.
Sie saßen in einem Ringe ums Kindelein fürwahr;
Herr Berchtung durch das Wunder hinnach geschlichen war.
Der Tiere Augen brannten gleich einem Kerzenlicht.
Ein Thor war noch das Kindel, forcht seine Feinde nicht.
Es ging zu jegelichem und griff es mit der Hand,
Wo es die lichten Augen in ihren Köpfen fand.
Was er begann mit ihnen, sie mußten ihm's vertragen,
So spielte er mit allen, bis es begann zu tagen.
Welch Tier sich wollte wehren, das schlug er, daß es lag.
Des Wunders staunte Berchtung die Nacht bis an den Tag.
»Weil dir die wilden Wölfe selbst Frieden haben gegeben,
Was wär' ich für ein Unhold, ließ ich dich nicht am Leben?
Versöhnen wir uns heute! Ich war dir gestern gram.«
Das Kind er von der Erde auf seine Arme nahm.
»Ich will für dich gern wagen mein Weib und manches Kind,
Die Städte und die Burgen, die mir zu eigen sind.
Ich weiß wohl, daß dies Zeichen von guten Dingen spricht,
Daß du bei diesen Wölfen dein Leben ließest nicht.
Ohn' deines Vaters Willen acht' ich als Herren dich,
Du bist mit Recht geheißen, o Kind, Wolfdieterich!«

Er trug ihn zu dem Rosse, darauf er mit ihm saß.
Vor Furcht und Sorgen wurden ihm beide Augen naß.
So ritt er durch die Wildnis und führte das Kindelein
Zu einem Wildner dorten, der hatt' ein Häuselein,
Wenn seine Jäger häufig die Jagd zu lange trieben
Und in dem Wald benachteten, daß sie alldorten blieben.
So ritt er zu dem Hause und klopfte an die Wand,
Da kam derselbe Wildner aus seiner Thür gerannt,
Empfing darauf mit Fleiße den viel getreuen Degen,
Der häufig sonst mit Freuden war in dem Haus gelegen.
Herr Berchtung sprach zum Wildner und auch zu seinem Weib:
»Nunmehr will ich versuchen, ihr Guten, euren Leib.
Durch euer beider Treue bin ich zu euch geritten,
Ich will euch nach Vergeltung um große Dinge bitten.
Den Hof hab' dir zu eigen, darin du bist gewesen,
Und was du von dem Walde Nutzens magst erlesen!
Das Dorf, das zugehöret, das soll dein eigen sein,
Wenn du mir nur behaltest das schöne Kindelein.
Wenn dich die Leute fragen, woher du's hast genommen,
Ich meine, wenn sie's finden, laß dich nicht überkommen,
Daß du, wer dir es brachte, sollst einem Menschen sagen!
Du sollst es teuer schwören, dein Weib hab' dir's getragen.
Du sollst ihm auch mitteilen das beste, das du hast.
Ich will dir's lohnen, Fraue, wenn du's nicht darben laßt.«
Das Kindel sie da nahmen, Berchtung schied eiliglich.
Nun ist aus großen Sorgen Jungherr Wolfdieterich.

Als es mit großem Jammer Fraun Hildburg wurde Tag,
Da griff sie an das Bette, wo sonst das Kindlein lag.
Da leuchtet ihr zum Leide der schöne Morgen licht,
Sie sucht' ihr liebes Kindel, da fand sie's leider nicht.
Sie warf an sich ein Hemde, aus ihrem Bett sie sprang,
Das Kindelein sie suchte unterm Bett und unter der Bank.
Vor Leide fiel die Fraue hin auf den Esterich;
Ihr Weinen und ihr Klagen war allzu jämmerlich.
Sie schrie mit lauter Stimme, daß man ihr ward gewahr.
Die in dem Schlosse waren, die liefen alle dar.
Sie wollten sie da trösten; sie wollte Trost nicht haben,
Sie fiel in solche Ohnmacht, daß man sie mußte laben.
Das schuf dem Könige Trauer; die Frau quälte den Leib.
Er wußte wohl ihr Uebel; viel zornig war das Weib.
In gar geheimem Rate sprach er zu Saben da:
»Nun müss' es Gott erbarmen, daß ich das Kind je sah!«
Mit Zorne sprach da Saben, der ungetreue Mann:
Ȇbel that an dem Kinde Herr Berchtung von Meran,
Daß er dir's hat ermordet und ihm genommen das Leben!
Und bist du recht bei Sinnen, sollst du's ihm nie vergeben.
Er sollt's geschonet haben doch einen halben Tag.
Zu solchen Uebelthaten niemand wohl sprechen mag.
Ich geb' dir meine Treue, Herr Berchtung ist dir gram.
Wie sehr er treu dir schiene, er ist doch ohne Scham.
Er ist so ungetreue, daß er des nimmer ruht,
Ihm werde denn die Krone, dein Königreich und Gut.
Das will ich dir nun raten, send' einen Boten dar,
Bitt' ihn durch deinen Willen, daß er zu Hofe fahr'.
Sag' ihm, du wolltest Ritter machen, das ist mein Rat;
Dann räche die Untreue, die er bewiesen hat!«

Der Bote auf Lilienporte zu Berchtung ward gesandt.
Herr Berchtung der gelobte die Hoffahrt allzuhand.
Da dachte sich der Weise, wie es denn möchte sein,
Wenn ihn begänne zu fragen sein Herr ums Kindelein.
Da gewann er einen Getreuen, der ihm das alles schrieb,
Von welcherhande Sachen dem Kind das Leben blieb.
Dann kam zu Hof der Fürste und ward empfangen wohl,
Wie noch ein Biedrer häufig von einem König soll.
Hin in den weiten Pallas satzt' man die Tafel da,
Viel schöne weiße Laken man auf den Tischen sah.
Da hieß man Herren Berchtung, den Fürsten ausersehn,
Und auch die Herren alle zum Pallas essen gehn.
Doch draußen stunden Kämmerer vorm Saal nach altem Fug;
Sie wehrten, daß den Helden man nicht das Schwert nachtrug.
Als jeder nun der Gäste da saß an seiner Statt,
Der König falschen Mutes Berchtungen sitzen bat.
Herr Berchtung ihm's wohl dankte. Der König ging zuhand
In eine Kemenate, wo er die Königin fand.
»Wohlan, nun sollst du dich rächen, viel edle Königin rein!
Ich will dir jenen weisen, der schlug dein Kindelein.
Willst du in Wahrheit wissen, wer dir das Leid gethan,
So will ich dir ihn nennen: s'ist Berchtung von Meran.«
Da zerwarf sie ihr Gebände, zerraufte wild ihr Haar.
Der König mit der Frauen ging zu dem Saale dar.
Der König schrie laut jammernd, mit ihm die Königin,
Da sie mit allen Mannen zur Pforte drangen hin:
»Waffen über Berchtung! Er schlug uns unser Kind!
Das klagen wir Gott vom Himmel und allen, die hier sind!«
Dasselbe Rufen dreimal vor Berchtung da geschah,
Und nach dem Könige dringen man viele Ritter sah.
Da saßen stumm die Gäste und sahn einander an.
Der König hieß Berchtungen und seine Mannen fahn.
Herrn Berchtung den getreuen man in den Kerker stieß,
Von seinen Leuten keinen man ungefangen ließ.
So lagen sie gefangen vier Monde oder mehr.
Berchtungen schmerzte der Kummer durch seine Treue sehr.

Der König hieß gebieten durch all sein weites Reich,
Daß zum Gerichte kämen die Herren alsogleich
Hin zu Konstantinopel vor die Burg auf den Plan;
Da wollt er heißen richten über Berchtung von Meran.
Er verbot den Herren allen, daß sie in Waffen kämen,
Und weder Schwert noch Rüstung mit sich zu Hofe nähmen.
Sie mußten den König fürchten, der viele Gewalt besaß,
In seidenen Gewanden saßen sie auf das Gras.
Da führte niemand Waffen als der kühne Baltram,
Des edlen Berchtung Schwager; dem war der König gram.
Er hatte sich verhohlen, daß ihn da niemand sah,
Zu Liebe und zu Hilfe dem Berchtung es geschah.
Der König da die Herren das Recht zu hegen bat,
Den ungetreuen Saben satzt' er an seine Statt.
Der saß auf seinem Stuhle, die Kron' er ihm verlieh,
Daß jener Richter wäre, des Reichs er sich verzieh.
Der König da die Seinen viel bat und auch gebot,
Daß niemand Berchtung helfe mit Worten aus der Not.

Als am Gericht nun saßen, die man erlas zur Kür,
Gebot Saben dem König, daß er Berchtung brächte herfür
Mit Rufen und Geschreie, wie er eh hatte gethan,
Und daß er auch noch hieße die Königin mit ihm gahn.
Der König sich nicht säumte, auf seine Burg er trat,
Die Hüter vor dem Kerker des Berchtung dort er bat,
Daß sie zu Lichte brächten den hart gefangenen Mann
Und ihn gebunden führten vor sein Gericht heran.
Man führte vor Gerichte den Fürsten von Meran,
Da mußte er vor Saben mit gebundenen Händen stahn.
Die Königin hieß man sitzen, da mußte der König klagen
Ueber den viel Getreuen, er hätt' das Kind erschlagen.
Da sprach der falsche Saben, des Königes Vormund:
»Leugnest oder gestehst du, Berchtung, das thu uns kund!«
Mit Witzen sprach der Alte: »O weh, Geselle Saben,
Du bist nun König worden, drum sollst du Gnade haben!
Wes mich der König zeihet, unschuldig bin ich dran.
Ich wage nicht mehr zu reden; doch gebt mir einen Mann,
Der mir mit seinen Worten sei heut mein Friedeschild!«
Da sprach der falsche Saben: »So wähle, wen du willt!«
Viel weh thät dem Herrn Berchtung der Hände festes Band,
Da sucht' er unter allen, doch keinen Mann er fand,
Der wagen durfte zu sprechen in Berchtungs großer Gefahr.
Sie sprachen alle heimlich: »Es ist uns verboten gar.«
So stund er vor Gerichte als ein elender Mann
Und sprach; »Wie wohl ich selber mein Wort mir sprechen kann,
So will es niemand hören. Weh ob der Freunde mein,
Daß sie in diesen Nöten mich lassen so allein!«
Da kam auch zu der Sprache Herr Baltram hergerannt,
Ihm folgten hundert Ritter, die führten Stahlgewand.
Sein Halsberg ihm vor Zorne an seinem Leib erklang,
Zu Berchtung durch die Rotte er vor Gerichte drang.
Da rief von Bulgarien der biedere Baltram:
»Ihr möget, edle Fürsten, stets Laster haben und Scham,
Daß ihr verderben lasset den Fürsten treu und gut!
Man thut ihm heut dasselbe, was man euch morgen thut.
O weh, was soll uns Fürsten die Ehre und das Land?«
Herr Baltram schnitt mit Zorne Berchtungen ab das Band.
Daß man ihm helfen wollte, das war nach aller Sinn,
Sie stellten sich mit Freude zum kühnen Baltram hin.
Da sprach mit großem Zorne der biedere Baltram:
»Was ich von eines Königs Gerichte je vernahm,
So däuchte mich kein Teiding fürwahr so ungerecht.
Dir, König, sollte folgen nicht Ritter mehr noch Knecht!
Wie konntst du Saben folgen, dem ungetreuen Mann,
Der doch bei Botelunge nie Fürstenamt gewann?
Er ward ja bei den Heunen nie eines Grafen Genoß.
Daß wir ihm folgen sollen, das ist ein Laster groß.
Fürwahr du mußt nun hören meines Schwagers Berchtung Wort!
Mit dem Schwerte muß er rächen, daß du ihn zeihest um Mord.
Du mußt auf ihn bezeugen, oder die Schande haben!
Er muß mit einem kämpfen, du seist es oder Saben!«

Da sprach König Hugdietrich: »Berchtung, mir ist viel Leid,
Daß ich dir hab' geholfen in diese Arebeit.
Ich weiß nicht, ob du Schuld hast; so magst du ledig sein.
Was ich auch thät, verloren bleibt doch das Kindelein.«
Viel laut rief da Herr Berchtung: »Nun sei des Gott gelobt,
Herr König, daß ihr's einseht, und doch nicht immer tobt!
Mein unverdientes Laster thut den Getreuen weh.
Nun heißet, Fraue, sehen, was in dem Briefe steh!
Seht, was ihr mir zum Lohne für diese Kunde gebt!
Ich geb euch meine Treue, daß euer Kind noch lebt.
Klagt ihr nicht andere Schwere, das Kind sollt ihr nicht klagen.
Ich ließ es einst lebendig. Nun darf ich's allen sagen.
In meinem tiefen Kerker ich desto sanfter schlief,
Weil ich es lebend wußte. Nun nehmet diesen Brief!«

Da nahm die edle Königin den Brief aus seiner Hand
Und einem Kapellane gab sie ihn allzuhand.
Als der den Brief erschaute und aufbrach vor ihr da,
Der Frau gab er ihn wieder, da er die Schrift ersah:
»Gar wunderliche Kunde daran mein Auge sieht.
Thu was du wollest, Fraue, den Brief les' ich dir nicht!«
Was Pfaffen ihn noch lasen, die schwiegen auch aus Scham
Und wurden in dem Herzen darum dem Könige gram.
Die Frau gab einem Priester das Brieflein endlich dar:
»Nun nehmet dieses Briefes durch meinen Willen wahr!
Ihr sollet bei mir sitzen allhier viel nahe bei,
Herr Pfaffe, und mir sagen, was drin geschrieben sei.
Und sagt ihr mir nicht treulich, was in dem Briefe steh',
Ich nehm euch eure Pfarre und thu euch noch viel Weh.
Und laut sollt ihr es sagen, daß man euch wohl vernehme!
Wenn jemand übles wollte, daß er sich heute schäme!«
Da las gar laut der Priester: »Im Briefe steht geschrieben,
Daß unser kleiner Jungherr noch lebend ist geblieben.
Frau, es ist von dem König, dem Herrn, der Rat gekommen,
Daß diesem kleinen Kinde das Leben werde genommen.
Der Herr gebot's dem Berchtung, daß er ihm nehme den Leib,
Sonst wollt er seine Kinder ihm hängen und sein Weib.
Der König aus dem Bette das Kindlein selber stahl
Und gab's dem Berchtung heimlich, der trug es durch den Saal
Und führt' es aus dem Schlosse zum Mord mit eigner Hand,
Doch ihm verbot's die Treue, die er im Herzen fand.
Er führt's zu einem Brunnen, der stand der Rosen voll,
Dort sollt es sich ertränken, doch Gott bewahrt' es wohl.
Ungegessen, ungetrunken, saß es dort einen Tag
Im Regen und im Winde, da seiner niemand pflag.
Dort saß es unter Löwen und Wölfen eine Nacht,
Die thaten ihm nichts Leides; Gott hatte seiner Acht.
Berchtung der stund so nahe, daß er die Wunder sah
Und wie so manches Zeichen an diesem Kind geschah.
Da hub er von der Erde das kleine Kindelein
Und führte zum treusten Pfleger den lieben Herren sein.«
Da ward unter der Krone dem falschen Saben heiß,
So daß ihm durch die Stirne vor Schrecken drang der Schweiß.
Da sprach König Hugdietrich zu Berchtung von Meran:
»Mir hat es Saben geraten; so räche dich an dem Mann!«

Da sprach Berchtung der gute: »Wie nun, Geselle Saben?
Nun mußt du in die Grube, die du mir hast gegraben.
Darein hat dich gefället die ungetreue Sitte.
Du hast es nicht verdienet, daß jemand um dich bitte.«
Da sprach der Ungetreue: »Mir wird der Tod gegeben,
Willst du dich nicht erbarmen, Berchtung, über mein Leben.
Doch bist du so getreue, vielleicht erbarmst du dich,
Geselle mein und Herre, erbarm' dich über mich!«
Da sprach der viel Getreue, Herr Berchtung von Meran:
»Ich wollte gern verzeihen, was du mir hast gethan.
Wir sind von Kindes Jugend Gesellen her gewesen,
Und gönnt es mir der König, ich ließ dich gern genesen.«
Da nahm er den Gesellen und führt ihn bei der Hand,
Da er den König sitzen und andere Fürsten fand.
Zum König sprach da Berchtung: »Laß meinen Gesellen leben!
Ich hab den Zorn gelassen, nun sollst auch du vergeben.«
Des dankte ihm der Falsche; das Land er da verschwur,
Urlaub nahm er vom Fürsten, ins Heunenland er fuhr.
Da dankten alle Helden dem Berchtung von Meran,
Daß er an seinem Gesellen hätt' also wohlgethan.

Da richtete sich Berchtung und fuhr heim in sein Land.
Seinen kleinen Jungherrn nahm er, wo er ihn fand.
Er kleidet' in lichte Gewande den lieben Herren sein
Und neben ihm desgleichen seine sechzehn Kindelein.
Mit Freuden kam er wieder zum Königshof geritten,
Allda die Fürsten pflagen gar fürstiglicher Sitten.
Doch aller Fürsten Schallen man wenig mehr gedachte,
Als er nach Konstantinopel die siebzehn Kinder brachte.
Wie froh empfing den Helden die edle Königin rein:
»Nun sag' an, du viel Guter, wo ist mein Kindelein?«
Da sprach der viel Getreue: »Nun sieh, wie es dort geht,
Der längste und der größte, der unter allen steht!
Die andern sind deine Diener, mein ist ein jeglich Kind,
Die wahrlich um neun Jahre älter als deines sind.
Er hat so wohl verwendet so manches junge Jahr,
Daß er wohl wagt zu raufen mit ihrer ganzen Schar.
Ich will dir Märe sagen: ein Armmann zog ihn so,
Den raufte er so kräftig, daß der zu Walde floh.
Wenn er das Kind erzürnte, das schlug ihm einen Schlag,
Wenn's ihn erlangen konnte, daß er am Boden lag.
Ihm mußte häufig fliehen des armen Mannes Weib.
Sie klagten mir es beide, sie retteten kaum den Leib.
Dem Teufel aus der Hölle wurden sie nicht so gram.
Sie küßten mich vor Liebe, da ich ihn ihnen nahm.«

Es währte da die Hochzeit wohl über fünfzehn Tage.
Die Königin vergaß nun die jämmerliche Klage.
Da sagte eines Morgens die Königin adelich:
»Wem wollen wir empfehlen unsern Wolfdieterich?«
Da sprach König Hugdietrich: »Wir wollen Berchtung bitten,
Daß er den Knaben ziehe; er hat viel Not gelitten,
Dieweil er seiner Treue am Kindlein nicht vergaß.
Des sollen wir ihm danken; sein pfleget niemand baß.«
Da gab Hildburg den Jungherrn Herrn Berchtung an die Hand.
Doch sprach der viel Getreue: »Was soll er ohne Land?«
Da sprach König Hugdietrich: »Was er nur haben kann,
Das sollst du ihm verwalten, mein Berchtung von Meran.
Kommt er zu seinen Jahren, wenn er dann Streit begehrt,
So hab ich ihm behalten Harnisch und auch ein Schwert,
Damit er seiner Feinde sich wohl erwehren kann,
Und auch ein Roß, daß niemand ein besseres gewann.
Und geben ihm seine Brüder nicht, was ihm werden soll,
So mag er's abgewinnen im Streite mutesvoll.
Dazu sollst du ihm helfen, sieh, ich empfehl' dir das.
Bitt ihn, daß mit den Brüdern er bleibe ohne Haß!
Nach meinem Tod empfehl' ich dir alles, was ich han,
Du viel getreuer Berchtung, das sei dir unterthan,
Daß du es recht verteilest unter die Kinder mein.
Auch meine Frau befehl' ich dir auf die Treue dein.«
Da sprach Berchtung: »So geb' ich ihm meine sechzehn Kind,
Die mein und meines Weibes von Gottes Gnaden sind.
Dem lieben Jungherrn seien die alle unterthan,
Dazu dien' ich ihm selber, erwächst er einst zum Mann.«

Herr Berchtung bat um Urlaub und schied mit Freuden so.
Er fuhr mit seinen Kindern zu Land und war viel froh.
Er nahm auch mit Wolfdietrich, das starke Kindelein,
Und befahl es auf die Seele der lieben Frauen sein.
Nun war dem guten Berchtung gar wohl nach solcher Fahrt.
Er lachte auch gar häufig ob seines Herrleins Art,
Daß es in seiner Feste von keinem nichts vertrug,
Daß es so manchen Starken gar raufte und auch schlug.
Auch ward er in der Feste so frech und frevellich,
Daß alle »Waffen« schrien über Wolfdieterich.
Wenn ihn Herr Berchtung wollte strafen ob seiner Sünden,
So mußte man ihn immer erst fangen und dann binden.
Er schlug ihn so gar häufig; die Schläge schmerzten ihn sehr.
Doch was er dann gelobte, das brach er nimmermehr.

Er lehrte nun die Fürstlein, Lob reinen Frauen geben,
Und Gotte gerne dienen, dazu in Ehren leben.
Er lehrte auch die Jungen gar mannig Ritterspiel,
Schirmen und auch fechten und schießen nach dem Ziel,
Und springen nach der Weite und schütteln wohl den Schaft,
Auf Satteln recht zu sitzen; so wurden sie siegehaft.
Er lehrte auch die Jungen die Schilde richtig tragen,
Mit scharfen Geren schießen durch Halsberg und durch Kragen,
Wie man in harten Stürmen gen Feinden sollte stehn,
Die Helme recht zu binden, eh' man zum Streit mag gehn.
Er lehrte sie, wie sie sollten wohl werfen schweren Stein,
Daß sie den Preis behielten. Die Mühe war nicht klein.
Es wuchs vor ihnen allen Jungherr Wolfdieterich.
Das sah der treue Berchtung fürwahr und freute sich.
Er sprach zu seinem Jungherrn: »Wohl schießest du den Schaft;
Doch will ich dich nun lehren alles Spieles Ueberkraft.
Ich lehre dich Messer werfen, das wird dir einst noch Not,
Du möchtest bei den Heiden sonst finden deinen Tod.
Die Kunst lehrt' mich dein Ahne, der König Anzius.
Ich war von ihm entwichen, da fuhr ich denn zum Schluß
Hin zu den wilden Reußen, zum König Grippian;
Dem diente ich mit Fleiße, wie stets ich habe gethan.
Sein Sohn der war geheißen mit Namen Belian,
Dem ich das Messerwerfen auch lehrte, wie ich kann,
Und dazu weithin springen und schießen nach dem Ziel.
Einen Sprung hab' ich behalten, den ich dich lehren will.
Auch einen Wurf mit dem Messer, den hab ich ihm versagt.
Das will ich dich nun lehren, was keiner sonst gewagt.
Herr Grippian der reiche ward mir einst darum hold,
Er gab mir Roß und Kleider, Silber und auch Gold.
Erst in dem siebten Jahre ich von ihm Urlaub nahm,
Da wieder gute Botschaft von König Anzius kam.« –
So ward im Messerwerfen Wolfdietrich Meister gar.
Des freute sich Herr Berchtung und seiner Söhne Schar.

Boge und Wachsmut waren zu dreizehn Jahren gekommen,
Wolfdietrich fünfzehn Jahre, so haben wir vernommen.
Sie konnten mächtig hauen durch Helm und Schildesrand;
Da wurden sie zu Rittern durch ihre starke Hand.

Olfan von Babylonien, ein heidenischer Mann,
Hatte dem Herrn Hugdietrich des Schadens viel gethan.
Im fünfzehenten Jahre war nun Wolfdieterich,
Da widersagte Olfan dem König Hugdietrich.
Nun war bei diesen Zeiten der edle Wolfdietrich
Mit Berchtungs sechzehn Söhnen, den Rittern adelich,
Durch Abenteuer geritten nach Siebenbürgenland,
Denn seines Vaters Schaden war ihm noch unbekannt.
Olfan war gar gewaltig gen Griechenland gefahren.
Mit manchem starken Heiden und unzähligen Scharen
Belagerte der Heide die Stadt Athen sogleich,
Er wollte gern bezwingen alles griechische Reich.
Vor der Stadt Konstantinopel der harte Streit geschah,
Der brachte manchen Helden dem bittren Tode nah.
Der Heiden König führte fünfhundert Fahnen an,
Und unter jedem Banner waren wohl tausend Mann.
Hugdietrich fuhr ihm entgegen mit seiner freien Schar,
Unter einem roten Banner ritt er zum Schlachtfeld dar.
Vierhundert Banner führten die Griechen da heran
Und unter jedem waren wohl siebenhundert Mann.
Nun hatte Herr Wolfdietrich, der junge Degen zart,
Heimwärts gegen Griechen gethan die Widerfahrt.
Als er den schweren Jammer vernahm im Lande da
Und dort die rote Fahne im Felde leuchten sah,
Begann er hin zu sprengen voll Mut und ritterlich
Zu Hilf den werten Griechen, der Held Wolfdieterich.
Die Griechen alle huben sich gegen die Gefahr,
Sie drangen mit einander wohl durch der Heiden Schar.
Wolfdieterich der fügte den Heiden Ungemach,
Mit seinen sechszehn Dienern er ihre Macht zerbrach
Sie trieben alle Heiden gen das Gebirg hindann.
Da waren tot geblieben wohl achtzigtausend Mann.
Olfan, der Herr der Heiden, der wurde siegelos,
Er floh von Griechen ferne, seine Sorge die war groß.
Der Streit nahm und der Kummer ein gutes Ende so.
Frau Hildburg und Hugdietrich die waren beide froh.
Wolfdietrich sprach zu Berchtung: »Du lieber Meister mein,
Laß deine Söhne immer meine Gesellen sein!«
So hatten sie gesieget im Kampfe ritterlich,
Des pries man in den Landen den Herrn Wolfdieterich.

In diesen selben Zeiten saß Ortnid lobesan
Auf seinem Haus zu Garden Garda am Gardasee., der Held und Biedermann.
Das Land wollt er erstreiten mit ritterlicher Wehr
Nach allen den vier Seiten vom Gebirge bis ans Meer.
Um ihn saß eines Tages viel mannig werter Mann,
Da sprach vermessenen Mutes der Kaiser lobesan:
»Ich hab' doch mehr der Lande, als je ein Ahn gewann,
Die Reiche bis zum Meere, die sind mit unterthan,
Baiern und auch Schwaben, Apulien und Tuskan,
Rom und das reiche Spanien sind mir auch unterthan.«
Da sprach der Herzog Gerwart: »Du edler Herre mein,
Ich weiß noch einen König, der will dir eben sein.
Er hat drei junge Söhne, gar kühn und lobesan,
Der König heißt Hugdietrich, ein Held und Biedermann.«
Als nun der Kaiser Ortnid die Rede da vernahm,
Sprach er: »Mir muß der König auch werden unterthan.
Wir müssen ihn bezwingen mit unsrer starken Hand,
Daß er mir müsse zinsen die Burgen und das Land!«

Da sandte Kaiser Ortnid Boten in das Land
Nach zwölf der besten Grafen, die er im Reiche fand.
Die waren bald gerüstet zu dieser weiten Fahrt,
Wessen sie da bedurften, des wurde nicht gespart.
Sie traten in die Kiele und zogen die Segel auf,
Es trieb sie übers Wasser der Wind in raschem Lauf.
Sie fuhren auf dem Wasser siebenzehn Tage dann,
Da kamen sie im Hafen von Konstantinopel an.
Da zogen von den Schiffen die Herren an das Land,
Sie legten an mit Ehren ihr seidenes Gewand.
Sie gingen wohlgezogen vor König Hugdietrich;
Da sprach zu ihm Graf Herman, ein Degen adelich:
»Herr, willst du mir erlauben Botschaft vom Herren mein,
So lieb dir weltliche Ehre und Frauen mögen sein?
Uns hat der reiche Kaiser Ortnid zu dir gesandt,
Daß du ihm zinsen solltest die Burgen und dein Land.
Thust du's gern oder ungern, so muß es doch geschehn,
Oder er will zum Sommer mit großem Heer dich sehn.«
Da Hugdietrich der König die Rede hätt' vernommen,
Seine jungen Söhne ließ er da vor sich kommen:
»Nun sagt, Boge und Wachsmut, Wolfdieterich zugleich,
Wie wollen wir antworten Ortnid, dem Kaiser reich?«
Da sprach der König Boge und sein Bruder Wachsmut:
»Eh daß dem Kaiser Ortnid wir zinsen unser Gut,
Eh daß er uns bezwänge und brächt' in solche Not,
Wohl mancher junge Ritter müßt' eher liegen tot.«
Jedoch als Herr Hugdietrich der Söhne Wort vernahm,
Da sprach mit sanftem Mute der König lobesam:
»Eh daß ich mit ihm streite und wage euer Leben,
Eh will ich alle Jahre einen Säumer mit Golde geben.«
Als Wolfdietrich der Starke des Vaters Wort vernahm,
Wie sprach er da voll Zorne zum Boten lobesam:
»Wär euch von meinem Vater nicht Frieden hier gegeben,
Ihr müßtet von mir alle verlieren euer Leben.
Doch da er euch gab Frieden, so sollt ihr nicht verzagen;
Nur sollt ihr eurem Herren von mir hinwider sagen:
Wenn ich bin voll erwachsen dereinst und Mann genannt,
So will ich ihn bestehen wohl um sein eigen Land!«

Des erschraken die Boten und fürchteten großen Schaden.
Der Säumer mit dem Golde ward ihnen bald geladen.
Mit Urlaub zogen sie wieder hin an des Meeres Sand,
Da sie die Kiele fanden; drein eilten sie zuhand.
Auf zogen sie die Segel, die Helden lobesan,
Und fuhren fröhlich wieder über des Meeres Bahn.
Sie fuhren auf dem Wasser wohl gegen zwanzig Tagen,
Und kamen heim zu Sippen Sipontum, heute Manfredonia in Unteritalien., wie wir noch hören sagen.
Als sie nach Sippen kamen, da traten sie hinab,
Sie nahmen aus dem Kiele ihr Gut und ihre Hab,
Sie legten an mit Ehren ihr kostbarlich Gewand,
Und ritten hin gen Garden, wo man den Kaiser fand.

Als nun der Kaiser Ortnid die Boten kommen sah,
Empfing er sie gar schöne, zu ihnen sprach er da:
»Was habet ihr mir Märe von Hugdietrich gebracht
Und seinen jungen Söhnen? Wes hat er sich bedacht?«
Da mußte der Graf Herman zu Kaiser Ortnid sagen:
»Der König hat einen Knaben, der hätt' uns bald erschlagen.
Der Junge läßt dir entbieten, werd' er ein Mann genannt,
Woll' er dich hier bestehen wohl um dein eigen Land.
Das mag manch kühnem Recken einst kommen noch zu Schaden.
Doch heuer ist der Säumer mit schwerem Gold beladen.«
Da lohnte Ortnid ihnen die Fahrt, die sie gethan:
Zwölf goldne Ringe mußte der Boten jeder han.


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