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Auf der Sonnenhöhe

Der so heißersehnte Tag war also wirklich da.

Beim Erwachen mußte sich die Marlis erst besinnen, was für ein Stein ihr auf dem Herzen lag. Es war doch der Balltag, den sie mit solchem Jubel hatte begrüßen wollen.

Weshalb nur das Freuen heute nicht so recht gehen wollte? Was war's bloß, das so auf ihr lastete? Was –

Verena!

Wie die den Umzug in die Klinik wohl überstanden hatte? Wie die Nacht gewesen war?

Nie in ihrem jungen Leben war Marlise so flink aus den Federn gewesen.

Im Hause hörte man noch keinen Laut außer dem gelegentlichen Geräusch, das die Dienerschaft bei ihrer Frühmorgenarbeit zu verursachen pflegte.

Resi träumte ihre schönen Träume in den lichten Morgen hinein weiter. Marlisens Huscheln und Hantieren störte sie nicht.

Die war flink in den Kleidern, flink wie nie.

Das Zimmermädchen und Franz, der Diener, hatten eine Vision, als ob etwas Leichtfüßiges in Hast über die Treppen husche. Da fiel auch schon die schwere Eisentür unten ins Schloß.

Der Portier in der Hertelschen Klinik schaute noch ganz verschlafen drein, als die Einlaßglocke gellte.

»Na nu,« brummte er, »brennt's vielleicht irgendwo?«

Er schob den Schieber an der Tür zurück und blinzelte hinaus.

»Sprechstunden sind erst um zehn Uhr,« wollte er eben barschen Bescheid geben, da zog es wie ein Schmunzeln über sein Brummgesicht.

Was da draußen stand, war denn doch zu niedlich, um so angefahren zu werden.

Er fuhr sich übers Gesicht, rückte an Hauskäppchen und Krawatte und – ja er öffnete sogar die Tür. Der verwünschte Schieber war auch gar so klein. Da konnte es wahrhaftig dem höflichsten Manne passieren, daß er eine Dummheit machte.

»Fräuleinchen wünschen?«

Die Marlis, denn sie war's, die draußen stand, keuchte erst noch ein paarmal, sie war sehr rasch gelaufen.

»Ach bitte, ich wollte bloß fragen, wie es dem Fräulein geht, das gestern abend hierhergebracht wurde und –«

»Ah, Nummer Sieben,« schob der Portier eifrig dazwischen.

»Und – und – könnte ich sie vielleicht einen Augenblick sehen?«

Die Marlis machte ihr flehendstes Gesicht.

Dem Manne wurde ganz heiß dabei.

»Wird – wird wohl nicht sein können. Strengster Befehl – unmöglich – wirklich.«

Er zögerte, stammelte. Die Augen dort, die jungen, leuchtenden Augen flehten so.

»Ich – ich will nachsehen,« sagte er denn auch nur als Antwort auf diese stumme Bitte. Die Marlis hatte den Mund nicht mehr aufgetan.

Und er war schon an der Treppe. Dort besann er sich, zögerte, winkte.

»Fräuleinchen kommen besser gleich mit. Ich –«

Unverständliches Murmeln schloß den Satz.

Die Marlis flog hinterher.

Oben auf einem weiten hellen Flur blieb der Mann vor einer Tür stehen. Nummer Sieben stand da angeschrieben. Dort pochte er leise.

Eine Schwester streckte die Haube zur Tür heraus.

Der Mann flüsterte etwas. Ärgerlich, sehr ärgerlich offenbar wehrte die Schwester ab. Der Mann flüsterte weiter, verteidigte sich sichtlich, wies zur Bekräftigung nach Marlise hin. Zögernd, scheu trat die heran.

»Ich – ich – wie war die Nacht, bitte?«

Auch das Gesicht der Schwester glättete sich bei einem Blick in die jungen Augen.

»Eigentlich dürfte ich – gut, Kind.«

Das hatten Marlisens flehende Augen zuwege gebracht.

»Wird sie – wird sie leben?«

»Der Herr wird helfen, Kind.«

»Und – und – darf ich sie sehen?«

»Bchü– nun, dann einen Blick.«

Wie willenlos öffnete die Schwester einen Türspalt.

Marlise sah in ein hohes, luftiges Zimmer. Dort ruhte Verena mit geschlossenen Augen auf ihrem Lager. Sie sah so friedlich, so wohlversorgt aus. Marlise wollte ein ganz klein wenig aufschluchzen, da hatte die Schwester sie auch schon mit raschem Griff zurückgezogen.

Bild: Richard Gutschmidt

Marlis stürmte mit Tränen im Auge auf die Straße.

»Fort, Kind, fort! Ich tat schon großes Unrecht, Sie hineinsehen zu lassen. Doch, was tut man nicht solchen Augen zulieb. Eine nahe Verwandte, Kind?«

Die Marlis schüttelte bloß den Kopf, sprechen konnte sie nicht. Dann erhaschte sie die Hand der Schwester und führte sie an die Lippen, ehe die wehren konnte.

»Pflegen Sie sie gut! Bitte, bitte und – und grüßen Sie sie und – Dank, tausend Dank!«

Da war die Marlis fort, halben Wegs den Flur hin und über die Treppe hinunter. Die dummen Tränen! Es war doch gar so zum Schämen, daß die so rasch flossen.

Die Schwester schaute ganz verblüfft drein und der Portier hastete hinter dem Flüchtling her.

Drunten fiel grade die große Einlaßtür ins Schloß.

Der Mann brummte: »Na, so davonzurennen brauchte sie grade auch nicht. Unsereiner ist auch ein Wort des Dankes wert.«

Er trat an die Tür und riß die auf, wohl um zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Da prallte er gegen den Herrn Sanitätsrat.

»Was ist denn los, Meier? Wer stürzte denn da so eilig hier heraus?« fragte der Sanitätsrat. »Um die Zeit Fremde?«

Meier berichtete, stotterte, stammelte und schloß: »Das Mädel – Verzeihung, die junge Dame war so niedlich und die Augen, ja die Augen, die bettelten so, Herr Sanitätsrat. Ich – na unsereiner ist auch kein Unmensch und –«

»Alter Narr,« sagte der Herr Sanitätsrat und schritt an ihm vorüber der Treppe zu. Aber er schmunzelte vor sich hin.

Ob er sich die Davonstürmende auch genauer besehen hatte und Meiers Übertretung des Hausgesetzes darum leichter begriff und verzieh?

Der sah dem Vorgesetzten sehr zerknirscht und betreten nach.

Den »alten Narren« steckte er unbesehen ein und war noch froh, so leichten Kaufs davonzukommen. – Die Marlis aber stürmte, rosig und frisch vom Morgengang, in das Frühstückszimmer daheim.

Mutter und Onkel saßen schon auf sie wartend da.

»Mammi, Onkelchen, sie hat gut geschlafen. Ich hab' sie gesehen. Das Zimmer ist wundervoll und die Schwester scheint sehr nett zu sein. Der Mann ließ mich wahrhaftig hinein, ich brauchte gar nicht viel zu sagen. Ich machte bloß so Augen.«

Sie sah Mutter und Onkel ganz herzbeweglich an. Sie wollte noch weiter sprudeln, da sagte die Mutter: »Wovon redest du, Marie-Luise?«

»Doch von Verena natürlich, und Onkelchen, ich bin dir so dankbar. Ich – ich – laß mich dir die Steine zurückgeben, Onkelchen, ja – ha ha, das heißt, wenn ich sie erst habe – du weißt schon, was ich meine und –«

Sie hatte den Onkel so stürmisch umfaßt, daß dem fast der Atem verging.

»Sachte, Irrwisch, sachte,« suchte der zu dämmen. Aber es sprudelte weiter: »Ich brauche sie wirklich nicht, wahrhaftig nicht, Onkelchen, und dann hätte ich doch das Gefühl, als ob ich was für Verena getan hätte, und – Mammi, nicht wahr, du bist doch damit einverstanden, du meinst das doch auch?«

»Willst du nicht erst vernünftig berichten, wo du warst, Marie-Luise?«

»Ja so, ich, verzeih –,« und nun kam der Bericht. »Und also, die Nacht war gut, und die Schwester meint, es werde alles recht werden« – die Marlis hätte drauf geschworen, das von der Schwester gehört zu haben – »und – und – ich bin so glücklich, Mammi, Onkelchen, so über – überglücklich.«

Sie schlug die Hände zusammen und strahlte.

»Jetzt muß ich aber flink nach Resi sehen. Wo bleibt bloß der Faulpelz?«

Damit war sie zum Zimmer draußen und die Treppe hinauf.

Frau Helene seufzte.

»Wie tief die Lehre ging, Fritz?«

Der zuckte geärgert die Schultern.

»Charakteranlage, Helene. Gönn du dem Irrwisch das leichte Blut, den leichten Sinn. Wer weiß, wozu er ihr wurde. Das Herz ist doch auf dem rechten Fleck. Paß auf, das Kind bewährt sich, auch wenn – wenn der Ernst, den du immer so nornenhaft zitierst, einmal an sie herantritt. Du hättest sie gestern an Verenas Lager sehen sollen, wie geknickt sie war.«

»Und heute morgen?«

»Ihr erster Gang galt Verena!«

Frau Helene senkte den Kopf. Sie gab die Debatte auf.

»Hoffen wir das Beste!«

»Und bitte, Helene, schrecke mir das Kind nicht so ein, daß ihr der Abend verdorben wird, hörst du. Ich will meinen Irrwisch heiter und glücklich haben.«

Frau Helene sagte nichts, seufzte nur.

Sie war müde, sehr müde.


Der Abend, der lang erwartete, ersehnte Ballabend war da, wirklich da.

Marlise hatte endgültig alle Schatten abgeschüttelt, die ihr die Lust hätten dämpfen können.

Verena war ja nun wohlversorgt, war in besten Händen.

Mammi predigte freilich immer vom Ernst des Lebens. Aber Mammi war eben leidend, nervös, Mammi sah alles so trübe. Sie, die Marlis –

Gestern freilich, da hatte es sie eisig angeweht wie aus einer anderen Welt. Da war es ihr gewesen, als ob alles um sie her stürze.

Heute aber – heute war ja alles gut. Alles, alles gut. Wenn Verena freilich – aber das war ja nicht. – Weshalb sollte sie sich noch nachträglich abquälen mit etwas, das, wie Mammi sagte, Gott in seiner Güte ihr erspart hatte.

Wie wollte sie, die Marlis, ihm Zeit ihres Lebens dafür danken.

Für wie viel hatte sie ihm überhaupt zu danken! Für wie viel Gutes, Liebes, Schönes! Das junge Herz schwoll ihr höher und höher. Ganz so gedankenlos und wie selbstverständlich nahm die Marlis das ihr Gebotene denn doch nicht hin.

Sie wußte wohl, daß sie ein verwöhntes, vom Glück bevorzugtes Menschenkind sei. Sie sah das ja alle Tage mit den hellen Augen, die bewußt um sich schauten im Leben.

Und sie dankte darum umso inniger, schaute umso sonniger drein, freute sich des ihr Gebotenen umsomehr.

Und der Ball! Mammi hatte gestern abend, als noch alles so furchtbar trübe war, gesagt: seine Pflicht muß der Mensch tun in Freud und Leid.

Sollte sie sich und Onkelchen die Freude an diesem Abend verkümmern?

Der Onkel wollte ihr ja doch damit eine große Freude machen, das wußte sie. Sollte sie ihn enttäuschen? Nein! Sie durfte sich freuen, konnte sich freuen und sie wollte sich freuen!

Onkel zuliebe! Bloß Onkel zuliebe? Nein, nein, tausendmal nein! Sie, die Marlis – ach so ein Ball war doch was Herrliches und sie war siebzehn Jahre, nein siebzehn und ein halbes Jahr und – und – das Leben war gar so schön.

»Gewiß, gewiß, Resi,« hatte die Marlis gestern abend geschluchzt und hatte ihr Nixengewand achtlos beiseite geschleudert, »ich kann morgen abend das Ding da nicht anziehen. Es war alles so schrecklich traurig. Ich kann überhaupt nicht an den Ball denken, Resi, ich kann nicht. Wie soll ich je wieder lachen und froh sein können? Ich finde es grausam von Mammi, auf dem Ball zu bestehen. Ich –«

Haltlos hatte Marlise geschluchzt und Resi hatte viel zu trösten und zu beruhigen gehabt.

Das war am Abend gewesen, in der Nacht. Und dann war der Morgen gekommen und die Sonne, dann der Gang zu Verena. Alles hatte anders ausgeschaut.

Und jetzt – jetzt stand Marlise am Spiegel und lächelte dem Nixlein, das dort herauslachte, recht befriedigt zu. Die Steine waren abgenommen, der ganze Anzug aufgefrischt worden.

Das blitzende Taugefunkel vermißte man kaum. Augen und Wangen des Nixleins leuchteten, glühten und strahlten umso heller.

»Und nun flink hinunter, Resi, Mammi wird schon warten.«

Resi hatte sinnend daneben gestanden.

»Denkst du noch an meinen Geburtstag, Marlis?«

»Aber selbstverständlich. Schade, heute kann ich mir Gustel und Else nicht zum Tanz bestellen. War das köstlich! Wo der wohl hingeraten sein mag?«

»Wer?«

»Nun, der Doktor von damals. Mein Doktor aus dem Frühlingssturm. Der mit dem Schreikind, der mir den Karton tragen half. Erinnerst du dich nicht mehr? Doktor Max Ebert!«

»Doch! Denk dir, Marlis, Assessor Linden kennt ihn. Zufällig kam einmal die Rede drauf. Er ist in Berlin an einer großen Klinik, sie sind nämlich Freunde, die beiden – merkwürdig, nicht? – Doktor Ebert will sich später hier niederlassen, sagt er.«

»Wirklich? Du, Resi, schade, daß du nicht immer ein Tiroler Madel bist. Du siehst famos aus. Laß uns mal flink 'nen flotten Walzer tanzen. Wer weiß, ob's nachher noch so nett ist.«

Wie sie dahinwirbelten, die zwei! Rund und rund und wieder rund. »Und nun – wer zuerst unten ist!«

Sie flogen die Treppe hinunter, eine hinter der anderen her und mäßigten das Tempo erst, als Stimmengewirr aus den Gesellschaftsräumen ahnen ließ, daß bereits Gäste da seien.

Eine bunte, farbenfrohe Gesellschaft füllte inzwischen mehr und mehr die Räume.

Trachten aller Zeiten und Völker, Blumenmädchen, Schäferinnen, Nixen, Elfen, Phantasiegestalten aller Art. Dazwischen trieben derb komische Clowns und zierliche Kolumbinen ihr Wesen.

Marlise hatte viel zu tun, ihrem Amt als Wirtin zu genügen, alle zu begrüßen, nicht Bekannte bekannt zu machen, für die Tanzkarten ihrer Freundinnen zu sorgen.

»Marie-Luise,« hatte Mammi gesagt, »dein eigenes Tanzen ist Nebensache, das deiner Freundinnen Hauptbedingung, merke das!«

»Ja, Mammi,« hatte die Marlis geschmollt, »schimmeln will ich aber auch nicht.«

Um Mammis Mund hatte es ganz eigen gezuckt, Marlise hatte es deutlich gesehen. Fast schien es, als ob Mammi lächeln wolle, aber sie blieb ernst.

»Du mußt dich eben dann mit dem Schicksal abfinden, Marie-Luise. In jedem Fall denke an das, was ich dir gesagt habe.«

Daran dachte die Marlis just eben, als sie mit leuchtendem liebendem Blick ihr Tanzbüchlein musterte. Es war von Elfenbein und hing an zierlicher Kette vom Gürtel nieder.

Onkelchen hatte zur Begrüßung einer jeden jungen Dame dasselbe überreichen lassen.

Also Marlise musterte das ihre und sah sehr befriedigt, daß jeder verzeichnete Tanz irgend ein unleserliches Bleistiftgekritzel dahinter aufwies – die Namen der Tänzer.

»Na, das wäre besorgt,« schmunzelte sie gerade, da fiel ihr Mammis Mahnung ein.

»Ja, ja, der Mensch hat auch Freundinnen!« Ein tiefer Seufzer. Dann: »Resi, besetzt?«

Errötendes Nicken der Gefragten.

Die Marlis machte die Runde, überall ein befriedigendes Ergebnis.

Doch dort stand eine, ein wenig abseits und hing den Kopf. Eine rote Mohnblume war's, nicht gerade geschmackvoll, wenig zierlich – Gerta Dillen.

»Gerta, du? Ist deine Tanzkarte gefüllt?«

Gerta hing den Kopf, gleich drauf lachte sie.

»Nicht ganz, aber was liegt daran. Ich bin gewohnt, Mauerblümchen zu spielen. Man amüsiert sich beim Zusehen auch ganz gut.«

»Wäre mir noch schöner. Auf meinem Ball!« Fort war sie.

Die Marlis stand vor einem jungen Offizier.

Er hatte auf den letzten Bällen immer viel mit ihr getanzt. Er war sehr lustig und tanzte gut und tanzte unermüdlich, was der Marlis hauptsächlich gefiel. Heute hatte er seinen bunten Rock mit der noch bunteren Tracht eines stolzen Ritters vertauscht.

»Ich wollte Sie bitten, Herr Leutnant. Sie haben mir da drei Tänze eingeschrieben, wie ich sehe. Die Hieroglyphen hier bedeuten doch Ihren Namen, ja?«

Schmunzelnd, in alter Gewohnheit klappte der Leutnant die Hacken zusammen und neigte sich bejahend.

»Gnädiges Fräulein sagen es.«

»Na also. Drei sind ein bissel viel für mich, sehen Sie. Meine Freundin, Gerta Dillen, hat noch Tänze frei. Wollten Sie da nicht –«

Der Leutnant ließ sie nicht ausreden. Erst hatte er sich gekränkt fühlen wollen. Aber die Marlis brachte ihr Gesuch so treuherzig vor, man konnte ihr nicht zürnen.

»Wo ist das gnädige Fräulein? Ich fliege.«

Fort war er.

Marlise sah ihm nun doch etwas verdutzt nach. Dem kam's ja augenscheinlich wenig drauf an, mit wem er tanzte. Umso besser!

Gleich darauf sah sie ihn mit einem ganzen Gefolge von Kameraden vor Gerta antreten. Die war also geborgen.

Im Laufe des Abends kam es ihr dann kaum zum Bewußtsein, daß der Leutnant seine eingeschriebenen drei Tänze dennoch einlösen konnte und noch ein paar Extratouren dazu.

Wer konnte auch, wo das Tanzen überhaupt so wunderbar schön war, darauf achten, mit wem man gerade tanzte?

Eine Fanfare aus dem nebenliegenden Tanzsaal – man hatte sich bis jetzt in den Empfangsräumen aufgehalten – rief zur Polonaise.

Ein Hasten und Drängen entstand. Und wie die Paare dann den Saal betraten, lief ein lautes »Ah« durch die Reihen.

Der ganze große Raum war in eine Rosenlaube verwandelt. Laubgewinde und Rosengeranke zog sich an allen Wänden hoch, spannte sich quer über den Saal, hing von allen Kandelabern nieder. Es war ein wirklich reizender Anblick.

Drunterher die sich schlängelnde Kette der jungen, malerisch bunt gekleideten Gestalten.

Marlise führte an. Ihr Tänzer, eben jener hilfreiche Leutnant, der Ritter vom Hofe Karls des Fünften, ersann die unglaublichsten Windungen und Verdrehungen. Marlise übertraf ihn noch. Sie konnte sich nicht genug tun.

Sie war sichtlich sehr in ihrem Element. Unternehmungslustig hob sie den Kopf. Man wußte nicht, was es noch werden wollte. Immer abenteuerlichere Figuren lösten sich ab. Die Bedächtigeren fingen schon an, die Köpfe zu schütteln.

Herr Fritz Erich Albers sah der Sache eine Weile zu. Dann begann ihm ob der Nichte Erfindungsgabe und der sichtlich gehobenen Laune etwas ängstlich zu werden.

»Irrwisch,« mahnte er, als die bunte Kette sich ihm wieder nahte, »Irrwisch, sollte es nicht genug sein damit?«

Die Marlis wollte sich wehren.

»Bitte, Onkelchen, nur noch –«

Da sah sie seinen komisch betretenen Blick und fügte sich lachend: »Meinethalben denn!«

Herr Fritz Erich Albers winkte eilends nach dem Orchester hin.

Die Musik setzte in richtiger Erkenntnis der Sachlage mit einem flotten Walzer ein.

Wirbelnd kreisten die Paare.

Hoch atmend hielten die Marlis und ihr Tänzer.

Schelmisch ängstlich sah sich die Marlis um.

Sie hatte doch sehr das Gefühl, jetzt eben beim Anführen der Polonaise mehr getan zu haben, als Mammi gutheißen würde.

Daß der Übermut auch immer mit ihr durchging!

»Los!« raunte sie dem Ritter zu, »hier ist mir's zu heiß. Mammi –«

Lachend hatte der Ritter sie umfaßt und sie wirbelten weiter.

»Mammi machte so Augen.« Die Marlis riß die ihren weit auf und runzelte dazu die Kinderstirn.

Der Ritter lachte. Ihm war's sehr heiß geworden.

»Gnädiges Fräulein verzeihen!« stammelte er.

Aber die Marlis lachte schon wieder.

»Hören Sie nur die Musik! Himmlisch, nicht?« Sie summte mit. »Wie wär's, wenn –«

Die gehobenen Arme, die lachenden Augen ergänzten den Satz.

Und sie wirbelten weiter. Wer konnte auch anderes tun, an anderes denken, wenn solch ein Walzer erklang?

Da verstummte die Musik.

»Schon?« seufzte die Marlis.

»Soll ich ein bissel pfeifen? Es läßt sich auch darauf tanzen,« fragte der Ritter.

Einen Augenblick erwog die Marlis ernstlich den Vorschlag. Dann meinte sie bedauernd: »Nein, wissen Sie, wir lassen's doch besser. Mammis Augen – huh!«

Sie schüttelte sich, als ob sie ein Frösteln überliefe.

»Gefahr im Verzug, gnädiges Fräulein!« raunte da ihr Partner. »Rasch, Deckung!«

Er wollte sie fortziehen, sie hatte ihren Arm noch in dem seinen liegen.

»Wieso?«

Die Marlis ließ die lachenden Augen in die Runde gehen. Da traf ihr Blick den des Onkels. Der strebte sichtlich auf sie zu.

»Onkelchen meinen Sie?« fragte sie ganz verwundert. »Ja, Herr Leutnant, der tut uns nichts. Onkelchen, Onkelchen, 's ist wonnig!«

Damit stand sie auch schon neben dem Onkel, hatte die Arme auf seine Schultern gelegt und lachte ihn glückselig mit den Nixenaugen an.

»Freut mich, Irrwisch, freut mich. Aber, Irrwisch, höre, Tollheiten wie vorhin –«

»Fängst du nun auch an?« schmollte die Marlis. »Mammi macht schon so gräßliche Augen, und du jetzt gar – darf man denn gar nie mal bissel was tun, was einem just durch den Kopf fährt, gar nie, Onkelchen?«

Es klang so kläglich.

Leutnant Erckner, der dicht dahinter stand, biß sich auf die Lippen. Herr Fritz Erich Albers aber lachte laut hinaus.

»Eigentlich nicht, Irrwisch. Eigentlich hat man den Kopf nicht, um sich was durchfahren zu lassen, sondern um hübsch zu überlegen, ob das, was durchfährt, auch richtig ist. Was meinst du?«

Die Marlis hing ihr Köpfchen. Dann blitzte sie den Onkel von unten auf schelmisch an.

»Puh, wie gräßlich weise die Welt dann wäre, Onkelchen.« Wie die Schelmenaugen sprühten.

Er lachte nicht, er sah ganz ernst vor sich hin.

»Wahr, Irrwisch, wahr. Aber trotzdem – versprich, Irrwisch, daß du keine Tollheit mehr –«

Sie sah ihn so entsetzt an, er mußte lachen.

»Na, sagen wir, daß du heute abend wenigstens dran denkst, möglichst vernünftig zu sein. Was, Irrwisch?«

»Auf Ehre, Onkelchen!«

Sie legte die Hand aufs Herz, sie schaute so schelmisch beteuernd drein. Beide Herren lachten.

»Ein Mann, ein Wort, Irrwisch!«

Lachend hielt er ihr die Hand hin, lachend schlug sie ein.

»Ein Mann, ein –«

Da war sie davon.

Das silberlockige Geriesel, das sie fast bis zum Knie umwogte, worin die Seerosen und grünen Algen hingen, verschwand in der nächsten Tür.

»So ein Irrwisch!«

Herr Fritz Erich Albers war fast ärgerlich. Dann aber mußte er doch lachen, als er das verblüffte Gesicht sah, womit der Ritter seiner flüchtigen Nixe nachstarrte.

»In, Herr Leutnant, Irrwische und Nixen sind unsichere Gefährten.«

»Scheint so, Herr Kommerzienrat.«

»Trau, schau, wem! Herr Leutnant.«

»Werd's nur merken, Herr Kommerzienrat.«

»Tun gut dran, junger Mann!«

Lachend gingen sie auseinander.

Ein neuer Tanz hatte inzwischen eingesetzt.

Lustig wirbelten die Paare durcheinander. Es war eine Polka diesmal.

Eine ganze Weile stand Herr Fritz Erich Albers und sah dem Tanzen zu.

Wo nur der Irrwisch steckte?

Ein Blick in den Nebenraum vorhin hatte ihn belehrt, daß das Kind gegangen war, die Mutter zu versöhnen. Deshalb also war es vorher von ihm und Leutnant Erckner so rasch fortgestürzt. Es hatte das Herz auf dem rechten Fleck, das Kind. Helene mochte den Kopf schütteln, so lange sie wollte. Der Irrwisch würde dennoch und trotz allem ein tüchtiges, ein prächtiges Menschenkind werden. Das wollte er mit seinem Kopf verbürgen, er, Herr Fritz Erich Albers. Helene freilich – Ob sie das Kind so lang zappeln ließ? Nein, dort war sie ja und unterhielt sich mit den älteren Damen. Also mußte der Irrwisch –

Eben tanzte Resi vorbei. Sie hatte einen schlanken Tiroler als Partner gefunden. Es war ein schmuckes Paar.

»Resi, Kind, haben Sie den Irrwisch gesehen?«

Resi schaute erstaunt auf und mußte sich besinnen.

»Ich – ja – nein – das heißt, es ist schon länger her. Seit – seit –«

Resi stockte. Von der Polonaise wollte sie nichts weiter erwähnen. Sie sah deshalb Herrn Fritz Erich Albers etwas ungewiß an.

»Soll ich vielleicht einmal nachsehen?« erbot sie sich eifrig. »Die Marlis könnte – aber was ist denn das?«

Ja, was war das?

Am oberen Ende des Saals, dort bei der Korridortür, entstand ein Drängen, ein Rufen, ein Lachen.

Vor dem Knäuel der dort Zusammenstehenden konnte man nichts sehen. Aber jetzt teilte sich die Gruppe und ein sehr komisches Paar wurde sichtbar.

Marlis, die Nixe, war's und als Partner hielt sie den aufrechtstehenden Rollo bei den Vorderpfoten gefaßt und drehte sich gravitätisch mit ihm im Kreise.

Rollo trug eine bunte dreieckige Mütze, wie man sie in Knallbonbons findet, auf dem Kopf. Um den Leib hatte ihm die Marlis eine ihrer seidenen Schärpen gebunden. Lustig flatterten die Zipfel hinter Rollo drein.

Der hatte den Kopf auf die Seite gelegt und ein fast wehmutsvoll anklagender, zugleich um Verzeihung flehender Blick schien zu sagen: »Was sie nun wieder vorhat! Ich bin unschuldig daran!«

Dabei drehte er sich gravitätisch und geduldig auf den Hinterpfoten immer um die eigene Achse. Eine Weile trieb's die Marlis so weiter zur allgemeinen Heiterkeit.

Kein Einhalt gebietendes »Marie-Luise!« erklang. Frau Helene mußte in einem der Nebenräume sein. Herr Fritz Erich Albers lachte mit den anderen um die Wette. Der Irrwisch steckte doch voller Schnurren.

Bild: Richard Gutschmidt

Rollo drehte sich geduldig im Kreise

Der Marlis war der Tanz mit Rollo allmählich zu langsam geworden. Sie drehte sich rascher, faßte kräftiger zu.

Das mißverstand Rollo. Er war ein alter Herr. Solche jugendliche Eskapaden waren gar nicht seine Sache. Erst sträubte er sich leise, höflich, dann kräftig.

Die Marlis wollte ihr Recht als Herrin wahren. Da – ein wilder Ruck und der ungalante Tänzer kniff aus mit hängenden Ohren, eingezogenem Schwanze, unter mißtönendem, protestierendem Geheul. Ein Spalt der Tür stand offen. Dort verschwand das letzte Zipfelchen der lang nachschleifenden Schärpe.

Der Marlis verblüfftes Hinterdreinstarren zu sehen, war urkomisch und erregte allgemeine Heiterkeit.

Dann lachte die Marlis am lustigsten mit.

»Wie ungalant, Rollo!« rief sie hinter dem Flüchtling her. Sie machte Miene ihm nachzueilen. Da schlang sich ihr etwas um die Füße. Sie sah an sich nieder.

»Ja, was ist denn das?«

Etwas Weißes, Langes schlängelte sich vor ihr auf dem Parkett. Rollos Pfote war in den duftigen Wolken des Nixengewandes hängen geblieben. Dies war seine Spur. Flink wie der Wind bückte sich Marlise und hielt den gelösten Fetzen in Händen. Ziemlich ratlos sah sie sich um.

Da stand auch schon Resi, hilfsbereit wie immer.

»Flink, hier herein. Ich hole Nadeln. Wie konntest du auch, Marlis!«

Die hing den Kopf.

O weh, der kostbare Anzug! Was Onkelchen sagen würde – Mammi! Daß sie auch nie vernünftig wie andere sein konnte! Mammi hatte ganz recht. Sie war zu schrecklich mit ihren Einfällen. Sie wollte aber gewiß und wahrhaftig –

»Du, 's ist gräßlich!« stöhnte Resi.

»Steck bloß zu,« mahnte die Marlis, »zu ändern ist's doch nicht.«

Sie war sehr gefaßt, die Marlis.

Resi steckte den Fetzen fest, so gut sie konnte. Dann rückte sie einen Büschel Tang und Algen drüber her. Der Schaden war sehr geschickt verdeckt. Wohlgefällig besah Resi das Werk ihrer Hände.

»Schöner wie neu,« jubelte die Marlis und drehte sich wie ein Kreisel.

»Irrwisch!« klang's von der Tür her.

Der Marlis fuhr's in alle Glieder. Hatte Onkel das Unglück vorhin gesehen? Kam er nun zu zanken?

Sie hing den Kopf.

»Wo steckst du, Irrwisch?«

»Ich – ich –«

»Flink, eben fängt ein neuer Tanz an. Dein Tänzer wird dich suchen. Kind, du bist Wirtin hier.«

»Ja, ja, Onkelchen, aber – Onkelchen, hast du nichts gesehen?«

»Was soll ich denn gesehen haben?«

»Siehst du auch jetzt nichts?«

Sie stand vor ihm und sah ihn forschend an, sah dann an sich nieder, schelmisch, kläglich.

»Siehst du gar nichts, Onkelchen, wirklich nichts?«

Dann war sie plötzlich an der Tür und warf von dort dem Onkel eine Kußhand zu: »Ich fliege, Onkelchen!«

Gleich danach stand sie dicht vor ihm.

»Onkelchen, ich – ich muß dir's doch sagen. Denk nur, ich hab' 'nen Riß in deinem Anzug.«

»In meinem Anzug?« Er sah erschreckt an sich nieder.

Sie lachte wie ein Kobold und war gleich wieder sehr zerknirscht.

»In meinem Nixengewand, Onkelchen, in dem kostbaren Anzug.«

»Das wäre!«

Sie nickte bloß und hing den Kopf.

»Zeig her, laß sehen!«

Sie drehte sich im Wirbel.

»Irrwisch!«

Da stand sie still und sie wies stumm auf die schlimme Stelle.

Er betrachtete sie kritisch.

»Aber man sieht ja kaum was. Lauf, Irrwisch, tanze und gräm dich nicht.«

Sie hing an seinem Hals.

»Onkelchen, du bist zu gut. Wie soll ich dir danken!«

Und fort war sie.

Kopfschüttelnd stand Herr Fritz Erich Albers und wischte sich etwas Feuchtes von der Wange, das, er wußte nicht wie, dahingekommen war. Seine Augen waren doch ganz trocken. Und kopfschüttelnd schaute er hinter der Flüchtigen her.

»So ein Irrwisch!« – –

Das Fest nahm seinen Fortgang und die Freude stieg.

Man war bei Tisch.

Die Geladenen erinnerten sich nicht, je feiner im Hause Fritz Erich Albers gespeist zu haben.

Überhaupt war die ganze Veranstaltung heute besonders glänzend. Ja, ja, die Firma Fritz Erich Albers konnte sich das gestatten. So festgefügt, so tadellos wie sie nun schon seit Generationen dastand.

All der Glanz und Pomp war ja doch nur dem jungen Ding zuliebe entfaltet, der Nichte, dem Herzblatt und der Erbin des Hauptes der alten Firma.

Das würde ein Goldfischchen werden! Und war dabei solch allerliebstes, kinderfrohes, übermütiges Geschöpf!

Wie die dunklen Augen strahlten, wie die silberglänzende Haarpracht sie umwogte, wie das heiße Gesicht glühte, blühte und leuchtete!

Um die Marlis drängte sich der froheste, lachendste Kreis. Auch bei Tisch war sie der Mittelpunkt, von dem Lachen und Heiterkeit ausging an der jungen Tafel.

Der Onkel hatte eben drüben an der anderen, der »alten« Tafel, die Gäste leben lassen. Das letzte feine Gläserklingen war verhallt. Da stand die Marlis und hob ihr Glas. Das Schelmengesicht sprühte. Ihre eine Hand wehrte noch Resi ab, die sich hinter dem Rücken des zunächstsitzenden Herrn mühte, die Marlis auf den Sitz zurückzuziehen.

»Marlis, bedenk doch!«

»Herzliebstes Gewissen, ich muß!«

»Marlis!« Es klang beschwörend.

Die Marlis warf ihr eine Kußhand zu. Und dann hob sie ihr Glas noch höher.

»Hört, hört!«

»Die Marlis will reden!«

»Das gnädige Fräulein hat das Wort!«

»Irrwisch!«

»Marie-Luise!«

Nichts, selbst nicht der letzte Anruf, brachte die Marlis von ihrem Vorhaben ab.

»Onkel hat die lieben Gäste leben lassen,« rief sie mit ihrer klingenden Stimme. Aber als sie die so ganz allein in dem weiten Raum hörte, verwirrte sie sich doch ein bißchen.

»Ich – ich möchte – möchte meinen Onkel leben lassen, der – der so gut ist und – und uns allen diese – diese große Freude heute abend gemacht hat und – und –«

Weiter kam sie nicht. Einmal weil ein solcher Beifallssturm losbrach, daß er ihre junge helle Stimme vollständig übertönte, und dann weil – ja, weil sie plötzlich drüben bei dem Onkel stand, sich dicht an ihn schmiegte, ein bißchen weinte, ein bißchen lachte, mit ihm anstieß, ihn streichelte und wieder lachte und wieder was ganz kurios Nasses ganz schnell aus dem heißen Gesicht wischen mußte.

»Irrwisch!« sagte der Onkel.

»Onkelchen,« sagte sie.

Mehr Worte fanden sie nicht, die beiden, aber viel lag drin. Eine Welt von Liebe.

Und dann tafelte man weiter, endlos, wie's der Marlis schien.

Aber schließlich war man doch beim Nachtisch angelangt und dann – ja dann setzte die Musik nebenan wieder ein.

»Damentour,« rief die Marlis und flog ohne weiteres auf den Onkel zu. »Onkelchen, du mußt mit mir tanzen.«

»Mit meinen alten Knochen, Irrwisch?«

»Mit oder ohne Knochen, du mußt!«

Und sie drehten sich als erstes Paar im frisch gelüfteten, wundervoll gekühlten Ballsaal.

Jubelnd folgten die anderen.

Auch die älteren Herrschaften mischten sich jetzt zwanglos unter die Tanzenden.

Tusch und Fanfare kündeten das Nahen von etwas Außergewöhnlichem.

Die Flügeltüren sprangen auf.

Von weißgekleideten Genien geschoben rollte ein vergoldeter, zierlich gebauter Wagen in den Saal. Auf dem Wagen ruhte unter blühendem Baldachin Flora selbst mit dem Füllhorn, aus dem sie und die Genien wundervoll duftende Blumenspenden verteilten. Ein wahrer Blütensegen ergoß sich über den Saal. Liliensträuße, Rosentuffs, Veilchen, Maienblümchen, Primeln, Anemonen, Flieder – duftender, farbenbunter Frühling hier innen, während draußen der Schnee auf Weg und Busch lag und klingender Frost ihn aufblitzen machte.

Flora hatte ihre Rundfahrt beendet und war samt Genien und dem geleerten Füllhorn verschwunden.

Rundum kreisten die Paare. Die jungen Augen strahlten. Solcher Blütensegen! Auch das ärmste kleine Mauerblümchen! brauchte hier nicht leer auszugehen.

»Marlis, Marlis, so vergnügt war ich noch nie! Sieh doch nur hier!«

Gerta Dillen wies überselig auf Veilchen, Primeln und Anemonen, die auf ihrem Sitz lagen. Einen Rosenstrauß hielt sie umfaßt.

»Wirklich, so wundervoll wie bei dir war's noch nirgends!« wiederholte sie noch einmal und nickte der Marlis strahlend zu, als eben noch jemand mit einem Fliederstrauß zu ihr herantrat.

Die Marlis konnte das ihr Gebotene schon lange kaum mehr unterbringen. Sie bat, weiteres an ihre Gäste zu geben. Und sie bat so liebenswürdig und herzlich darum, daß niemand sich deshalb gekränkt fühlen oder ihr zürnen konnte.

Und nochmals Tusch und Fanfare!

Wieder fuhren die Flügeltüren weit auf und herein schritt ein Herold, der auf seiner langen Posaune erst ein hallendes Signal blies. Dann kündete er mit lauter Stimme, daß man hier im Hause Verdienste zu lohnen wisse. Davon sollten alle sich sofort überzeugen.

Er winkte nach der offenen Tür und blies zugleich ein neues Signal.

Und jetzt nahte eine Schar zierlicher Pagen, die auf Seidenkissen eine Menge der schönsten Orden und Bandschleifen trugen. Im Nu waren sie von den jungen Damen umringt, im Handumsehen waren die Kissen geplündert.

Und nun schmückte sich manche Jünglingsbrust stattlich und stolz mit den glänzenden Abzeichen, die dem Manne späterhin so viel bedeuten und ihm nie wieder so mühelos zu teil werden.

Ob die Freude daran dann umso größer, tiefgehender ist? –

Jedenfalls warf die Freude hier im Hause Fritz Erich Albers auf dem glänzenden Feste, auf Marlisens Ball immer höhere Wellen. Wo man hinsah, strahlende Augen, lachende, frohe Mienen.

Herr Fritz Erich Albers hatte trotz der prachtvollen Blumen- und Ordenstour noch einen ganz altmodischen, aber höchst lustigen Kotillon ersonnen.

Mit Leutnant Erckner als Adjutant ordnete er ihn an und erregte auch bei den Zuschauenden Stürme von Heiterkeit durch die drolligsten Touren.

Jetzt waren plötzlich, man wußte nicht wie, eine Anzahl täuschend kostümierter Mausfallenhändler im Saal. Man sah zuerst die fragwürdigen Gesellen ganz erstaunt an – wie kamen die hierher?

Dann merkte man den Spaß. Ihre hohen Gestelle waren bis obenhin mit Gegenständen aller Art behangen, die aber verpackt waren und je eine Nummer trugen.

»Ich bitte die Herrschaften, sich einen Gegenstand zu wählen. Die Herren Mausfallenhändler werden die Runde machen!« So rief Herr Fritz Erich Albers.

Alle griffen lachend und erwartungsvoll zu, auch die älteren Herrschaften. Dabei merkte man, daß den Mausfallenhändlern genau gesagt war, wer zu den Damen, wer zu den Herren zu gehen hatte. Jeder hatte sein Teil, hielt sein Päckchen hoch.

»Was nun?«

»Auspacken?«

»Bitte um weitere Befehle!«

»Wir bersten vor Neugier!«

So rief und lachte es von allen Seiten. Die meisten tasteten schon an ihrem geheimnisvollen Päckchen herum.

»Halt! Bitte! Erst jede Nummer, die dazu passende suchen!«

Jetzt schwirrte es von Zahlen durch den Saal. Es entstand ein lustiges Gedränge und Durcheinander. Und dann standen alle gepaart, alt und jung in krausem Gewirr.

Die Marlis hing an Professor Dillens Arm. Sie strahlte nur so. Schelmisch lachte sie Frau Helene zu, die neben Leutnant Erckner stand.

»Kraut und Rüben, was, Mammi? So ein Onkelchen!«

»Gerechte und Ungerechte, wollten gnädiges Fräulein gewiß sagen,« sagte schmunzelnd Leutnant Erckner und neigte sich tief, Frau Helene den Arm bietend.

»Dazu hat Mammi mich zu höflich erzogen, was, Mammi?«

Sie lachte wie ein Kobold.

»Marie-Luise!« mahnte Frau Helene ängstlich.

Aber da schnitt die Kommandostimme von zuvor alles weitere ab.

»Bitte, auspacken!«

Wie die Hände zugriffen, wie Schnüre und Papier zur Seite flogen! Alle Hüllen waren gefallen. Jedes hielt das ihm Bestimmte in Händen. Da gab's zunächst lange enttäuschte Gesichter.

»Ja, was tue ich mit einer Meerschaumspitze,« klagte die Marlis und sah erst ganz entsetzt Professor Dillen und dann die Mutter an. Dann lachte sie laut hinaus.

»Und Mammi hat gar eine Zigarrentasche, ha, ha!. Und der Herr Professor – nein, das süße Bröschchen. Herr Leutnant, lassen Sie sehen, ein Gürteltäschchen. Das nenne ich komisch, ha, ha, ha, ha! Fortuna ist wirklich blind, scheint mir.«

Nur Mammis Nähe hielt die Marlis ab, sich mit der Meerschaumspitze im Mund im Kreise zu drehen.

Dieselbe lustige Verblüffung zeigte sich überall. Überall hatte Frau Fortuna in ihrer Kurzsichtigkeit den Damen Herrenutensilien, den Herren aber Damentand zugewiesen. Fast war an Absicht zu glauben.

»Tauschen, meine Herrschaften!«

Das löste die Frage zur allgemeinen Freude.

»Und nun tanzen, bitte, und die Kleinigkeiten gütig annehmen zum Andenken an den Abend!«

Ein allgemeines Hallo, ein Drängen um Herrn Fritz Erich Albers, dem fast die Arme ausgerenkt wurden.

Und dann lockte ein Walzer und alles drehte sich zu den Klängen.

Eine lustige, lebhaft bewegte Schneeballenschlacht mit einer Unmenge von Munition zum Verwerfen machte den Schluß des Kotillons.

Und dann – ja dann kam der wirkliche Schluß sehr schnell.

Zu schnell für die Jungen, wie immer und überall. Ersehnt oder doch zum mindesten erfreulich begrüßt von Älteren und Alten.

Erst nahmen einzelne Abschied, dann ging's in Scharen und zuletzt waren auch die säumigsten Nachzügler verschwunden.

Unten stand eine Gruppe junger Offiziere, die noch die Mäntel zuknöpften, die Degen fester schnallten und ihre Zigarren anzündeten. Sie sahen zu dem strahlend erleuchteten Hause auf.

»Ließe ich mir auch gefallen!« nickte der eine. Er dachte an das elterliche bescheidene Pfarrhaus, wo der Vater, trotz des zeitweise siechen Körpers, in Ernst und Treue seiner Pflicht nachging. Wo Mütterchen mit blassen Wangen sich mühte, für Mann und Kinder aus einer Mark mindestens hundertfünfzig Pfennige herauszuschlagen. Er begnügte sich mit der kleinsten Zulage und doch – und doch – er seufzte: was war solch stattliches, gesichertes Heim wert.

»Ist nicht alles Gold, was glänzt, Kamerad!« sagte ein zweiter und schlug ihn auf die Schulter.

Der sagte es ganz mechanisch, ohne sich weiter viel dabei zu denken.

Wer denkt auch noch viel, wenn er als frischer flotter Leutnant nach frisch und flott durchtanztem Abend aus einer glänzenden, lustigen Gesellschaft heimgeht?

Also, der das so hinsagte, dachte sich nicht viel dabei und doch erregte er einen Sturm von Unwillen und Protest.

»Wie können Sie so was sagen, Kamerad?«

»Das Haus Fritz Erich Albers!«

»Echt wie Gold!«

»Fest wie Granit!«

»Eher wankt die Erde!«

»Das steht auf Fels gebaut!«

»Achtung, Kamerad!«

»Alle Wetter,« brummte der also Zurechtgewiesene und dann lachte er und rief: »Darum keine Feindschaft nicht, meine Herren Kameraden. Ich habe dem Haus Fritz Erich Albers nicht zu nahe treten wollen. Das war nur so gesagt.«

Sie lachten, und da nun alle Zigarren brannten, schlenderten sie weiter.

Oben im Hause standen die Wirte noch beisammen.

»Himmlisch war's einfach,« jauchzte die Marlis.

»Schade, daß es vorbei ist,« seufzte Resi.

»Geht zu Bett, Kinder,« mahnte Frau Helene.

Herr Fritz Erich Albers stand am Fenster und sah hinaus. Als er sich umdrehte, lag ein Schatten über seinen Zügen.

»Irrwisch!«

Die Marlis stand vor ihm und lachte ihn an.

»War's schön, Irrwisch?«

»Wonnig, Onkelchen!« Sie schmiegte sich an ihn.

Er preßte sie hastig an sich.

»Nun, dann ist alles gut. Geh schlafen, Kind, geh schlafen!«

Ebenso hastig schob er sie von sich.

Die Marlis sah ihn ganz verwundert an.

»Ich wollte dir noch danken, Onkelchen, ich –« begann sie ganz scheu und stockte dann.

»Danken, Irrwisch?« Er sah sie sonderbar an. »Danken?« wiederholte er noch einmal wie im Traum.

»Was hast du, Onkelchen?« Erschreckt sah sie ihn an.

Da war er wieder er selbst.

»Zu danken brauchst du nicht, Kind. Du weißt, wie gerne ich meinen Irrwisch froh sehe. Und nun zu Bett, rasch zu Bett. Morgen sollen die Augen klar sein. Gut Nacht, Irrwisch – mein Irrwisch.« Er hielt einen Augenblick ein. »Gut Nacht, Resi, Kind. Lassen Sie sich was Schönes träumen. Gute Nacht, Helene.«

Damit war er schon an der Tür.

»Fritz, ich –«

Er winkte zurück.

»Heute nichts mehr, Helene. Ich bin müde – sehr müde.«

Fort war er.

Betreten sahen ihm alle nach. Frau Helene faßte sich zuerst.

»Zu Bett, Kinder, Onkel hat recht. Flink zu Bett!«

Lachend huschten sie die Treppe hinauf, lachend schälten sie sich aus dem Ballstaat. Unter Kichern und Flüstern entschlummerten sie.

Frau Helene wachte noch lange, grübelte und sann.

Was dem Bruder gewesen war? So hatte sie ihn noch nie gesehen.

Der saß drüben in seinem Zimmer. Er saß in seinem Sessel vor dem Schreibtisch. Er tat nichts, gar nichts, starrte nur vor sich hin. Und dann drehte er die letzte elektrische Flamme aus.

Der festliche Strahlenglanz im Hause Fritz Erich Albers war erloschen. Schatten und Finsternis krochen drüber hin. – – –

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