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Ob die Welt ohne Staats-Verfassungen und Religions-Systeme bestehn könnte?
Es ist ein herrlicher Traum, den Philosophen geträumt haben, aber es ist auch wohl nur ein Traum, daß einst eine Zeit kommen müste, wo das ganze Menschengeschlecht mündig geworden seyn, den höchsten Grad von Geistes-Bildung erlangt, zugleich seine moralischen Gefühle aufs Höchste veredelt haben und dann keiner Gesezze mehr bedürfen würde, um weise und gut (denn das ist ja einerley) kurz! um seiner Bestimmung gemäß zu handeln.
Das Bild ist zu schön, das dieser Traum unsrer Phantasie darstellt, als daß ich der Versuchung widerstehn könnte, eine Skizze davon zu entwerfen.
Man denke sich jedes Volk des Erdbodens in einem Zustande von Kindheit, in der grösten Einfalt der Sitten! Jede Familie bebauet das Stük Akkers, das ihr bequem liegt; und das Land ist groß genug, ihr eine freye Wahl zu gestatten. Der Boden trägt willig die Früchte des Fleißes, und dieser Ertrag reicht zu, ihre mäßigen Bedürfnisse, ohne große Anstrengung, ohne saure Arbeit, zu befriedigen, ihr alle Nothwendigkeiten des Lebens zu liefern. Bey dieser nüzlichen Geschäftigkeit ist der Mensch an Leib und Seele gesund, ohne Gebrechen, ohne unruhiges Streben, ohne Leiden, ohne Sorgen für die Zukunft, stark und heiter. Aber die Bevölkerung nimmt zu; die Verbindungen werden mannigfaltiger; die Bedürfnisse vervielfältigen sich; und nun erwachen Wünsche und Leidenschaften. Durch Künste, Tausch und Handel entstehen neue Verhältnisse; die Einförmigkeit der Lebensart verschwindet; Mistraun, Begierlichkeit und Neid erzeugen Forderungen, Zwist, Kampf, Streit, Krieg. Es werden Vergleiche geschlossen; neue Vereinigungen, Bündnisse und Trennungen geben dem gesellschaftlichen Leben eine andre Form. Es entstehen Staaten; der Stärkere aber unterjocht den Schwächern; man entwirft Gesezze, über die sich der Mächtige hinaussezt und denen sich der Schuzbedürftige unterwerfen muß. Doch der Schlaue ersezt durch List, was ihm an Kraft fehlt und herrscht über den von geringern Geistes-Fähigkeiten. Täuschung ersezt die Stelle der Gewalt; die Politik eines Einzigen bauet ihren Thron auf die Uneinigkeit und Unentschlossenheit von Millionen. Treue und Glauben, Mäßigkeit und Einfalt verschwinden; die Sitten werden verderbt; jeder lebt nur für sich, hascht nach Genuß, genießt, und begehrt noch immer, nimmt, wo er nehmen kann und hat doch nie genug – Fraget jeden Einzelnen, und keiner ist zufrieden. Nichtswürdige Kleinigkeiten haben Werth erhalten und das, was allein Werth hat, und allein glüklich und ruhig machen kann – das findet der mit Blindheit geschlagne Haufen nicht. Indeß aber hat die Cultur, zugleich mit Einführung des Luxus in alle Klassen der Bürger, Wissenschaften verbreitet und Geistes-Ausbildung befördert. Das rastlose Streben nach Glük und Gemüthsruhe erwekt Nachdenken über diesen verwikkelten Zustand; die sich unglüklich fühlenden Menschen fangen an zu philosophiren, zu raisonniren; und nun kömmt der schönste Theil des Traums, aber, wie es mit Träumen geht, dann ist man auch nahe am Erwachen. Die Menschen werden endlich weise, durch eigne Erfahrungen und durch die Geschichte andrer Völker, und indem sie weise werden, werden sie auch tugendhaft; denn der höchste Grad der Aufklärung ist immer auch der höchste Grad von Güte. Sie öfnen die Augen und sehen: daß alles Streben und Ringen nach Genuß, Besiz und Freude auf nichts abzielt; daß die Befriedigung aller dieser Wünsche keine so große Summe von Glükseligkeit gewährt, als man in dem ersten Zustande der Natur ohne Mühe, auf dem einfachsten Wege findet; daß der am mehrsten besizt, der am wenigsten bedarf; daß nur der Genuß hat, der mäßig genießt; daß Tugend üben, sein eignes Interesse befördern, und tugendhaft seyn, nichts anders heißt, als der Natur gemäß handeln; daß alle bürgerliche Einrichtungen doch nur Kinder des Verderbnisses, nur Mittel sind, das Übel zu verhindern, oder gut zu machen; daß, statt an diesen ohne Unterlaß zu flikken und auszubessern, es vortheilhafter ist, solcher künstlichen Anstalten gar nicht zu bedürfen; daß alle Gesezze und Handhaber der Gesezze da überflüssig sind, wo jedermann den guten Willen hat, Andre in Ruhe zu lassen, damit man seine Ruhe nicht stöhre; daß über Andre zu herrschen ein sehr nichtswürdiger Vorzug ist. – Und so kommen denn die Menschen am Ende wieder auf den Punkt, von welchem sie ausgegangen; aber um nie wieder zurükzukehren. Denn nun ist die Einfalt ihrer Sitten nicht mehr das Kennzeichen der rohen Unerfahrenheit, sondern das Werk der richtigsten Überlegung und Abwägung aller möglichen Verhältnisse und Lagen, das Resultat der reifsten, unverführbarsten Vernunft. Da ist dann der große Plan der Schöpfung vollbracht, das Menschengeschlecht in eine einzige Familie vereinigt und zu seiner ersten hohen Würde, dem Ebenbilde der Gottheit wieder erhoben, das verlohren gegangen war, durch den Genuß der verbothnen Frucht von dem Baume des Erkenntnisses des Guten und Bösen. Nun ist die Erlösung vollbracht; die Wahrheit hat die Menschen frey gemacht und ihnen eine ewige Glükseligkeit erworben.
Derjenige Theil des Traums, welcher uns die religiöse Erziehung des Menschengeschlechts darstellt, ist nicht weniger reizend; Lessing mahlt uns ein Zauberbild davon. Offenbarung ist geoffenbarte Vernunft, Mittheilung von Wahrheiten, die aus der Natur erkannt werden könnten, aber ohne höheren Unterricht nur mühsam gefunden werden. Die heiligen Bücher sind die Elementar-Bücher, welche der allweise Lehrer bey der Erziehung zum Grunde legt. Sie sind den schwachen Begriffen des Kindes angepaßt. Das Kind muß sinnlich geleitet werden; man giebt ihm die Lehre, in Bilder, in Gleichnisse, selbst in Fabeln eingehüllt. Man zeigt hin auf entfernte Belohnungen und Strafen; man führt nicht jedes Kind denselben Weg; die Methode muß nach Zeit, Umständen und dem Grad der Empfänglichkeit abgeändert werden, bis der Verstand zur Reife gediehn seyn wird; dann bedarf es keiner Täuschung, keiner Bilder mehr. Dann wird es die Wahrheit unmittelbar aus der Quelle selbst schöpfen, ohne Zusaz. Wir sehen noch durch einen Spiegel in ein dunkles Wort; dann aber werden wir ihn sehn, wie er ist.
So weit der herrliche, tröstliche Traum! Daß die Erfahrung aller Zeitalter die Möglichkeit der Erfüllung verdächtig macht; daß wir leider! wahrnehmen, wie die Nationen, statt die Erfahrungen andrer Völker zu nüzzen, immer wieder in dieselben Thorheiten und Verirrungen fallen, statt die Quelle des Übels aufzusuchen, nur die Form der Verderbnisse andern, durch gewaltsame Revolutionen das Böse nur noch ärger machen, nicht die Ursachen der Tyranney aus dem Wege räumen, sondern nur von Tyrannen wechseln; daß, wenn Cultur und Verderbnisse auf's Höchste gestiegen sind, fast immer ein Zustand von tiefer Barbarey wieder folgt, so wie nach einem Zeitraume, wo Aufklärung und spizfündige Klügeley die Oberhand hatten, eine Periode voll Aberglauben und Stupidität eintritt – Alle diese Thatsachen aus der Geschichte machen den gutmüthigen, für das Wohl der Menschen glühenden Träumer nicht irre. »Eher« sagt er »kann jener glükliche Zeitpunkt nicht erscheinen, eher kann das unvergängliche Reich der Weisheit und Tugend nicht fest gegründet werden, als bis alle diese Erfahrungen sich in's Unendliche gehäuft haben und alle Völker des Erdbodens den Cirkel der Verderbnisse mehrmals durchlaufen sind.
Allein es kann nicht der Plan der Vorsehung seyn, daß das Menschengeschlecht sich ewig in diesem Cirkel von Unvollkommenheit herumdrehn soll. Der Augenblik der lezten Catastrophe ist nur noch nicht da; aber er ist nicht fern; die Begebenheiten der neuern Zeit sind keine Wiederholungen; sie lenken unmittelbar und schnell zum Ziele. Die Gährung ist allgemein und kann zu nichts Kleinem, kann nicht das alte Spiel wieder herbeyführen.« – Wollte Gott, es wäre also! aber mir scheint diese Hoffnung wenigstens noch zu gewagt. Ja! wenn jeder Einzelne die ganze Reihe von Erfahrungen an sich selber gemacht hätte; so könnte man wohl darauf rechnen, daß dauerhafte Eindrükke davon zurükblieben und seine Bildung vollendeten; allein fremde Erfahrungen dämpfen nicht eigne Leidenschaften und von allgemeinen Begebenheiten macht man selten specielle Anwendung, wenn das liebe Ich in das Spiel kömmt. Überhaupt liegt es sehr selten an der Erkenntniß, wenn die Menschen nicht gut und nicht weise handeln. Freylich muß ächte Aufklärung manche Tugenden allgemeiner verbreiten, die in einem Zeitalter, wo Barbarey herrscht, nur selten angetroffen werden; aber immer wird der größere Theil der Menschen in jedem Jahrhunderte unmündig bleiben, wird Lenkung, Gesezze, ja! Zwangsmittel und Täuschung bedürfen. Diese Fesseln trägt auch Jeder gern ohne Murren, wenn der, welcher sie ihm anlegt, nur dabey die Mühe übernimmt, ihm Sicherheit und Ruhe zu verschaffen. Er läßt sich gern einen Theil seiner Unabhängigkeit rauben, wenn er dagegen einen Theil seiner Sorgen von sich abwälzen kann; er thut gern Verzicht auf eignes Denken, wenn der, welcher für ihn denkt, ihm nur Resultate liefert, die ihn beruhigen; er läßt sich gern täuschen, wenn diese Täuschung nur tröstlich ist – kurz! er opfert gern seine Freiheit auf, wenn dies Opfer nur freywillig und für ihn wohlthätig ist, oder scheint.
Nach diesem Maßstabe also muß man alle Regierungs-Verfassungen und Volks-Religions-Systeme beurtheilen, und jede, die auf andern Grundsäzzen beruht, muß früh oder spät scheitern, oder umgestürzt werden, sobald die größere Anzahl die Augen über ihren Zustand öfnet. Hingegen kann jede Verfassung von der Art sich Dauer versprechen, wenn sie jene Grundsäzze respektirt, ihre Form mag seyn, welche sie wolle. Ja! – und vielleicht wird man sich wundern, mich aus diesem Tone reden zu hören – ich glaube fast, obgleich ich anfangs erklärt habe, daß ich hierüber nichts zu entscheiden wagen würde, daß die monarchische Form vielleicht die zwekmäßigste von allen ist. Ich sezze dabey voraus, daß der Monarch ein weiser und guter Mann sey. Ist er das nicht; so muß er wagen, was jede inkonsequente Regierung wagt, nämlich, daß es mit seinem Monarchenwesen keinen Bestand habe. Wir reden aber hier nur von der Form, caeteris paribus.
Ein einzelner Regent hat mehr Antrieb seine Pflicht zu erfüllen, als mehrere; alle Ehre und alle Schande seiner Verwaltung fällt auf Ihn; allen Dank, allen Segen erndtet Er ein; auf Seinen Namen schreibt die Geschichte alles Gute und Böse in die Rechnung. Stehen aber Mehrere am Ruder; so kann Jeder von ihnen, wenn er etwas Böses thut, die Schuld, von sich ab, auf das Ganze wälzen, indeß er nachlässig zum Guten ist, weil der Ruhm davon nicht ihm zu Theil wird. Verschiedenheit der Meinungen und Neid hindern manche nüzliche Ausführung. Weiß der Monarch, daß er, in so fern er seine Pflicht erfüllt, lebenslang Herr bleibt; sieht er also das Land gleichsam als sein Eigenthum an; so wacht er, wie ein guter Haushälter, über das öffentliche Vermögen; sein Interesse ist das Interesse des Ganzen; wo hingegen mehrere nur eine Zeitlang herrschen, da durchkreuzen sich oft die mancherley Privat-Vortheile mit dem allgemeinen Wohl; und wir sind Alle schwache Menschen. Weiß der Monarch, daß auch seine Kinder, in so fern die Nation sie dessen nicht unwürdig findet, einst in seine Stelle treten werden; so kann er diese mit den Grundsäzzen einer weisen Regierungskunst bekannt machen; da hingegen gewählte Repräsentanten, wenn sie unerwartet an die Spizze der Geschäfte gestellt werden, bey allem guten Willen, doch zuweilen noch, aus dem Beutel des Staats, theures Lehrgeld geben müssen. Endlich herrschen bey der Regierung eines Einzigen mehr Schnelligkeit in den Geschäften und Einheit im Plane; und der Monarch kann dennoch alle Kenntnisse einsichtsvoller Männer, deren Rath ihm nicht versagt wird, nüzzen.
Allein, indem man mich der Monarchie das Wort reden hört, vergesse man nicht, welche Bedingungen ich oben bey jeder Gewalt, die Menschen über Menschen ausüben, vorausgesezt habe!