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Anwendung dieser Säzze auf die französische Revolution.
Lasset uns nun, was ich von den großen Staats-Umwälzungen überhaupt gesagt habe, auf die französische Revolution anwenden! Unvermeidlich war sie, vorauszusehn war sie, mit allen ihren fürchterlichen Folgen; das wird jezt jeder Geschichtsforscher und Philosoph zugestehn müssen; aber dergleichen mit klaren Worten voraus zu verkündigen, das ist eine kizliche Sache, besonders in despotischen Staaten.
Seit Jahrhunderten seufzte Frankreich unter dem Drukke des fürchterlichsten orientalischen Despotismus. Bekant genug sind die gräulichen Schandthaten, die verheerenden Kriege und die innerlichen Unruhen, durch welche die Regierung der mehrsten Könige aus dem Hause Valois, besonders die des blutdürstigen Ludwig des Eilften und des verächtlichen Carls des Neunten, sich auszeichnete.
Der große, edle Heinrich genoß der ruhigen Tage zu wenige, um seinem armen Volke wieder aufzuhelfen; aber er lebte lange genug, um dies Volk mit der Glükseligkeit, einen guten und weisen König zu haben, bekant zu machen, damit es desto lebhafter den Contrast dieser Zeiten mit den vorigen und nachherigen Regierungen fühlen mögte; und so gab er selbst der Nation den Unterricht, was sie von ihren Königen einst fordern, das Beispiel, worauf sie ihre Monarchen einst hinverweisen könte.
Die männlichen und weiblichen Vormünder des bis zu seinem Tode minderjährigen, schwachen Ludwig des Dreizehnten verschafften Frankreich Ansehn von Außen, und Armuth, Sklaverey und Zerstöhrung aller Moralität von Innen.
Auf die tiefste Stufe der Erniedrigung aber wurde die Nation durch den Monarchen Mazarin und nachher durch den kindisch eiteln Tyrannen, der sich den Beynamen des großen Ludwigs geben ließ, herabgestürzt. Die Regierung dieses abscheulichen Menschen war eine ununterbrochene Reihe von glänzenden Niederträchtigkeiten, Grausamkeiten und Verwüstungen. Er spielte mit dem Leben, dem Eigenthume, der Ehre, der Freiheit, der ganzen bürgerlichen, physischen, moralischen und intellektuellen Existenz seiner Mitbürger. Kaum hatte der magre Aachensche Frieden dem Blutvergießen ein Ende gemacht; so fing er, ohne alle andre Ursache, als weil er seinem Nebenbuhler um Ruhm, Wilhelm von Oranien, die Größe beneidete, welche er nicht erreichen konte, einen neuen Krieg an, der mit dem für Frankreich eben so nachtheiligen Ryswikkischen Frieden, geschlossen wurde. Jeder Staat, der seinem niedrigen Hochmuthe ein Opfer versagte, wurde von ihm genekt, angegriffen und von seinen Räuber- und Banditen-Heeren zu einem Schauplazze grausamer Ermordungen, Verheerungen und Mordbrennereyen gemacht. Das nante er dann Siege und ließ sich dafür von feilen Dichtern lobpreisen und von Malern und Bildhauern der Verachtung der freyen Nachwelt ausstellen. Indeß Hunderttausende in seinem Namen erwürgt wurden, bauete er asiatische Palläste, in denen er mit Histrionen, Schranzen und geilen Weibern Ballette tanzte und Unzucht trieb. Ihm waren beschworne Verträge und das königliche Ehrenwort Kinderpossen, und gleich als wenn ihm die weltlichen Händel nicht Gelegenheit genug gegeben hätten, wie ein reißendes Thier unter friedlichen Menschen herumzufahren, riß er den grausamen und heuchlerischen Pfaffen den Dolch und die Fakkel des Fanatismus aus der Hand und stürzte damit unter seine treuesten und fleißigsten Unterthanen, von denen indeß der fünfte Theil doch seiner Mordlust glüklich entwischte, auswanderte und Wohlstand und Segen mit sich fort in fremde Provinzen trug. Allein seine Lieblings-Waffen waren unredliche Politik, Cabale, Ränke und Bestechungen; mit diesen verbreitete er Mistrauen und Zwist an auswärtigen Höfen und tödtete edle Gesinnungen und große Gefühle in den Herzen seiner Unterthanen. Noch galt er für einen eminenten, glänzenden, gefürchteten Bösewicht; aber auch diesen Schimmer von Größe nahm das Glük ihm im spanischen Successionskriege, in welchem seine, nur für seine Eitelkeit fechtenden Heere fast immer geschlagen, seine Provinzen entvölkert und die Schulden gehäuft wurden. Am Ende seiner Tage blieb dem Elenden keine andre Wonne übrig, als, umgeben von Bettlern, mit der alten Vettel, die er sich hatte zum Eheweibe aufschwäzzen lassen, die Sünden, die er gern noch länger begangen hätte, am Rosenkranze abzubeten. Sprechet, was hatte dieser Bösewicht vor den Vitellien, Diokletiane und Heliogabeln voraus? O! er stand tief unter ihnen. Diese schwachen Tyrannen konten doch noch einen Theil ihrer Schuld auf das Glük und die Verblendung eines Volks schieben, das sich vergriffen hatte, als es ihnen ein Loos zutheilte, dessen sie sich so unwürdig zeigten; auch war die Stimmung des damaligen Zeitalters rauher; aber Ludwig, mit den herrlichsten Anlagen, wenigstens zum Privatmanne, von der Natur ausgerüstet, unter einer Nation und in einer Periode gebohren, die sich durch mildere Sitten auszeichneten, ein Liebhaber und Kenner der schönen Künste – nein! von ihm kann nichts den Fluch abwenden, den so viel Millionen Menschen seinem Andenken nachschikken.
Man könte sich wundern, daß nicht schon damals die französische Nation aus dem fürchterlichen Schlafe erwachte, in welchen der Despotismus sie hineinmanipulirt hatte, daß sie nicht schon damals aufsprang und die unnatürlichen Fesseln abschüttelte, wenn man nicht Rüksicht nehmen müßte, auf ihren herrschenden Charakter und auf das Zusammentreffen vieler Umstände. Sie war von je her gewöhnt, einem einzelnen Beherrscher zu gehorchen, hielt dies für die Ordnung der Natur, liebte enthusiastisch die monarchische Verfassung und ihre Könige; der äußere Glanz der Thaten, wodurch sie sich, obgleich als Maschine eines hochmüthigen, eiteln Thoren, in den ersten glüklichen Kriegen verherrlichte und andre Völker demüthigte, kizelte den Nationalstolz; der Leichtsinn, der den Franzosen so eigen ist, ließ sie das Elend nicht wahrnehmen, in welches sie nach und nach hineingezogen wurden. Der Prunk der Schauspiele und Feste blendete ihre Augen, wirkte auf ihre Sinnlichkeit, riß die Bürger aller Classen in einen Strudel von Zerstreuungen hinein. Sie sangen, wizzelten und tanzten den Hunger weg. Noch herrschte in dem an Hülfsquellen so reichen Frankreich keine so allgemeine Noth und die nicht irgend eine komische Seite gehabt hätte, auf welche ein lustiger Franzose ein Epigram machen konte; und dann lachte das ganze Volk mit. Die ärgsten Raisonneurs schwiegen auch, oder wurden gar in Lobredner verwandelt, wenn sie einen Brokken von der allgemeinen Beute erhaschen, sich durch Creaturen von Creaturen ein Ämtchen, oder ein Jahrgeld erbetteln konten; ein großer Theil der Nation vergaß das Murren unter dem Geräusche der Waffen – und kurz! die ärgsten Wirkungen des despotischen Unfugs wurden erst unter den folgenden Regierungen recht sichtbar.
Die Regentenschaft des Herzogs von Orleans vollendete den Ruin und die Corruption des französischen Volks, und seine Administration zeichnete sich durch Bubenstükke und Laster aller Art aus, obgleich er selbst mehr ein schwacher Wollüstling, als ein unternehmender Bösewicht war.
Ludwig des Fünfzehnten Zeiten sind uns noch so nahe; die Inkonsequenzen und Abscheulichkeiten dieser Regierung; die Diebstähle aller öffentlichen Staats-Bedienten; die in den gesegnetesten Jahren durch die königlichen Getreidepächter künstlich erregte Hungersnoth; die gräuliche Finanz-Verwaltung; die höllische Wirthschaft der raubgierigen und ränkevollen Maitressen; die muthwillig verlohrnen Schlachten, in welchen tapfre Krieger von unbärtigen Knaben, von unwissenden Creaturen der Dame Pompadour und von erkauften Schurken auf die Schlachtbank geliefert wurden; die heimlichen Einkerkerungen und Ermordungen edler Männer, die das Unglük hatten, den Haß der verschwornen Rotte auf sich zu laden; die lettres de cachet; die heillosen Verschwendungen – das Alles ist uns noch in frischem Andenken.
Und so erbte dann der arme, gutmüthige Ludwig der Sechzehnte den Thron, auf welchem er ein Volk beherrschen sollte, das in Noth, Armuth und Verzweiflung schmachtete; der Staat war mit Schulden belastet, das tiefste Verderbniß der Sitten in allen Ständen verbreitet, die wichtigsten Ämter im Reiche hatte man an Bösewichte verhandelt, die tausendmal des Galgens werth waren, an welchem Einige von ihrer Bande nachher ihre rühmliche Laufbahn geendigt haben; der Adel übte ungestraft die ärgste Tyranney gegen den unglüklichen Bauernstand; aus Mangel an Geld und Kredit ruheten die mehrsten Nahrungszweige, die dem Bürger hätten aufhelfen können, bey welchem noch obendrein der verheerende Luxus die unnüzzen Bedürfnisse vervielfältigt hatte; nur der verächtlichste Theil derselben, der sich in den Hauptstädten von diesem Luxus nährte, erschwang sich so viel, daß er den Großen in ihrer Verschwendung nachahmen konte; die Erpressungen aller Art gingen indessen fort; die Auflagen waren unerträglich und unnatürlich; die Geistlichkeit steuerte nichts und verschwelgte in sittenloser Üppigkeit, was der unglükselige Landmann, im Schweiße seines Angesichts und mit heißen Thränen herbeyschaffte. Der Frieden gab der Nation Muße, diesem allen nachzudenken; das Volk durch Feste zu übertäuben, dazu fehlte es auch an Mitteln; was aber vollends die fürchterlichsten Folgen prophezeyete, war die durch den Despotismus selbst beförderte, nun täglich allgemeiner sich ausbreitende Aufklärung. Eine gewisse raisonnirende Philosophie, die, wenn sie, unter weniger unglüklichen äußern Umständen, von Einfalt der Sitten begleitet ist, die Menschen lehrt, mit ihrem Zustande zufrieden zu seyn, unvermeidliche Widerwärtigkeiten zu ertragen, den Mangel an Wohlstand durch verdoppelte Mäßigkeit zu ersezzen und ihre innere Gemüthsruhe nicht durch gefährliche Plane auf eine ungewisse Zukunft zu stöhren; diese Philosophie, sage ich, hatte einen Anstrich von Bitterkeit angenommen. Sie öfnete dem Volke die Augen über seinen verzweifelten Zustand, erwekte in ihm das Gefühl, nicht länger mehr die schändlichsten Mishandlungen ertragen zu können; man fing an, über ursprüngliche Menschenrechte, über den Beruf der Könige, über die Gültigkeit der Privilegien des Adels und über Pfafferey und Hierarchie laut zu reden und zu schreiben.
Indessen hofft man immer alles von jeder neuen Regierung; also erwartete man auch von Ludwig dem Sechzehnten Milderung des allgemeinen Elendes, Abschaffung der Misbräuche – aber man wartete lange vergebens. Was er hätte thun können und sollen, was die Königin zum Besten gewirkt hat, oder nicht gewirkt hat, ob man die Finanzen besser verwalten, den unnüzzen Aufwand einschränken, redlicher und ofner hätte verfahren können; darüber lasset uns jezt nicht raisonniren! – genug! dem Jammer wurde nicht abgeholfen und die Unruhe und die Gährung nahmen zu. Nun berief man denn endlich die Stände des Reichs; allein von der einen Seite waren schon die Forderungen der lange Zeit mishandelten, oft getäuschten, so genanten untern Stände zu hoch gespant, von der andern schienen Adel und Geistlichkeit gar nicht zu ahnden, daß die Zeit, Übermuth zu zeigen, ererbte Verdienste gelten zu machen und durch Verjährung geheiligte Misbräuche aufrecht zu erhalten, verstrichen wäre. Man sprach wohl von freywilligen, ansehnlichen Beyträgen, von großmüthigen Aufopferungen, aber der tiers état fand diese Sprache nicht mehr passend. Er war nicht mehr zu überzeugen, daß er, der größere, wichtigere und arbeitsame Theil der Nation, gebohren seyn könte, länger die untergeordnete Rolle zu spielen, sich taxiren, sich im Blinden führen, sich nicht nach bestimten Gesezzen, sondern nach Willkühr regieren zu lassen. Alles Zutrauen, aller guter Wille war verschwunden – Mögen immerhin bösgesinte Stürmer das Feuer angeblasen haben! Genug, dies Feuer war da, glimte in allen Ekken, mußte unvermeidlich einmal mit Ungestüm ausbrechen.
Was für Auftritte nachher erfolgt sind, das ist bekant genug – Noch einmal! ich vermesse mich nicht, darüber zu urtheilen und glaube nicht, daß irgend jemand bey der Lage der Sachen, sagen dürfe: »das hätte man thun, das unterlassen sollen.« Ich glaube, daß die Anarchie kein Werk einzelner Aufrührer, sondern die unvermeidliche Folge der abscheulichen Behandlung ist, durch welche man das Volk aufs Äußerste getrieben hatte. Ich glaube endlich, daß die Deputirten zwar ihre Vollmachten überschritten sind, daß sie aber dem Geiste des grösten Theils der Nation gemäß gehandelt haben, und daß, wenn sie weniger gethan hätten, neue Empörungen gefolgt seyn würden, bis doch alles endlich auf diesen Punkt des allgemeinen Umsturzes alles dessen, was irgend mit der ehemaligen Staats-Verwaltung zusammenhing, gekommen seyn würde. Dies alles wird schon dadurch bestätigt, daß das Volk freywillig zu Deputirten der zweyten Versamlung noch eifrigere, kühnere Männer (oder vielmehr leider! Jünglinge) gewählt hat, welche die Einschränkungen der königlichen Gewalt noch viel weiter treiben. Schwerlich hätte man zum Beyspiel, bey der jezzigen Stimmung, die Einrichtung von zwey Kammern, wie in England, zu Stande gebracht; und wäre es geschehn: so würden bald die dem Despotismus und den vorigen Misbräuchen ergebnen höhern Stände, neue Trennungen bewirkt haben – So glaube ich; aber ich verlange nicht, irgend jemand zu meinem Glauben zu bekehren.
Über diese Revolution, über die neue Constitution und über die Schritte der National-Versammlung muß man jezt so manche widersprechende Urtheile hören und lesen, daß man in der That immer vorsichtiger in seinen Entscheidungen werden sollte. Von Einer Seite schildert man uns diese große Begebenheit als das Werk der verachtungswürdigsten, eigennüzzigsten Bösewichte, Aufrührer und Königsmörder, verschworen das ganze Reich in Elend und Verwirrung zu stürzen, um im Trüben zu fischen. Man schildert uns, die Beschlüsse der Deputirten, als ein Gemische von schreyenden Ungerechtigkeiten und thörichten Hirngespinsten und die Ausschweifungen des Pöbels als unerhörte, nie gesehene Greuel, planmäßig von den Verschwornen veranstaltet. Endlich prophezeyet man dem armen Frankreich den gänzlichen Ruin, oder eine nahe bevorstehende Umkehrung der Dinge durch eine Contre-Revolution und die Einmischung der übrigen europäischen Mächte. Von der andern Seite erheben die Freunde der Revolution dieselbe, mit allen ihren schon erlebten und noch zu erlebenden Folgen, bis in den Himmel. Sollen wir ihnen glauben; so ist, so lange die Welt steht, noch keine größere, der Menschheit wichtigere und wohlthätigere Begebenheit vorgefallen. Sie lassen uns alle dabey verübten Gewaltthätigkeiten, als nothwendige, durch die Größe des Zweks geheiligte Mittel ansehn. Sie schildern uns die Männer, welche bey diesen Unternehmungen vorangegangen sind, als die edelsten, weisesten, uneigennüzzigsten, kraftvollsten Helden und Philosophen und verkündigen nicht nur der französischen Nation von jezt an die ruhigste, glüklichste Periode, ein goldnes Zeitalter, sondern allen übrigen europäischen Staaten eine baldige Nachfolge. Die gemäßigtere Parthey billigt den Zwek, tadelt aber die Mittel; oder findet, daß man im Ganzen zu weit gegangen sey; oder hoft, daß diese allgemeine Gährung nach und nach alle Gemüther zum Frieden geneigt machen, daß man von beyden Partheyen die Saiten herabstimmen, und am Ende eine monarchische Staatsverfassung wieder herstellen werde, doch also, daß die Gewalt des Königs und der Minister, durch die Mitwirkung gewisser Volks-Representanten, beschränkt sey. Nur Wenige sind weise genug, sich aller entscheidenden Urtheile zu enthalten, das, was geschehn ist, wie unvermeidliche Folge vorhergegangener Misbräuche zu betrachten und die beste Entwiklung von der gütigen und weisen Vorsehung zu erwarten.
Wundern wir uns nicht über die große Verschiedenheit dieser Meinungen! Selbst zwey gleich unpartheyische, gleich einsichtsvolle Reisende können, was sie während dieser Unruhen in Frankreich sehen, aus sehr verschiednen Gesichtspunkten betrachten. Der Eine, wie zum Beyspiel der Herr Rath Campe, durchreist, ehe er den französischen Boden betritt, Gegenden, in welchen von allen Seiten der Anblik der Noth, der Niedergeschlagenheit, der Sklaverey, welche des armen Landmanns Erbtheil in so manchen Provinzen sind, und des Übermuths und der willkührlichen Anmaßungen der höhern Stände sein moralisches Gefühl empört hat; und nun wird er auf einmal auf einen Schauplaz versezt, wo ein, von der eben mühsam errungnen (wahren, oder, wäre das auch, eingebildeten) Freiheit wonnetrunkenes Volk ihm entgegen jubelt; wo er, im Geräusche dieser allgemeinen Trunkenheit, keinen Seufzer, keine Klage hört; wo die ganze Nation, zu einem herrlichen Feste vereinigt, in dem Augenblikke der Berauschung, alle Privat-Uneinigkeiten und allen Partheygeist vergißt, wo Freund und Feind Hand in Hand um den Altar der Freiheit den Reyhen tanzen, und wo er, in diesem ungeheuren Gewühle, doch auch nicht eine einzige Scene von Unordnung oder Gewaltthätigkeit wahrnimmt, ohne welche in monarchischen Staaten selten das Geburtsfest irgend eines, der Menschheit sehr unwichtigen und unnüzzen Großen gefeyert werden kann – Wen kann es befremden, wenn dieser Mann, bezaubert von dem vorher noch nie genossenen, einzigen Anblikke in seiner Art, von einem Anblikke bezaubert, der den gefühllosesten Menschenfeind mit Wonne und Bewunderung erfüllen müste, wenn dieser Mann, sage ich, sein Herz sich erweitern fühlt, und diese Empfindung sich in ihm erneuert, indem er die Scenen schildert, wobey er ein Zeuge gewesen, wenn er dann mit Wärme einer Revolution das Wort redet, die, wenigstens nach dem, was er gesehn und gehört hat, so viel Millionen Menschen glüklich und froh macht? –Wehe dem verächtlichen Sklaven, der deswegen von dem Kopfe oder von dem Herzen dieses Mannes nachtheilig urtheilen, oder gar es versuchen wollte, ihn, wegen einiger kühnen Ausdrükke oder einiger vielleicht (doch nur vielleicht) übertriebnen Deklamationen, verdächtig oder lächerlich zu machen!Ich, der ich dies sage, bin gewiß einer von denen, unter welchen Herr Campe am wenigsten seinen Lobredner suchen würde; allein der Unfug, den sich, während ich an diesen Blättern schrieb, ein feiler, unberühmter Fürsten-Schmeichler gegen diesen verdienstvollen Schriftsteller erlaubt hat, bewegt mich, der Wahrheit mein Opfer zu bringen. Die Schritte, die man seit Kurzem gegen jeden unpartheyisch frey redenden und denkenden Mann unternimmt und die heimlich von einer gewissen, sehr bekannten Gesellschaft geleitet werden, der daran gelegen ist, daß das Licht nicht durch die Finsterniß dringe, machen es dem Häuflein unbestochner Wahrheits-Freunde zur Pflicht, ihre kleinen Privat-Zwistigkeiten zu vergessen und sich brüderlich die Hand zur Versöhnung und zur gegenseitigen Vertheidigung zu reichen. Von jezt an, bis sich die Zeiten ändern und Herr Campe dessen nicht mehr bedarf, biethe ich ihm von Herzen jeden Dienst an, den ich ihm mündlich, schriftlich und thätig zu leisten im Stande bin.
Ein andrer, nicht weniger hellsehender Reisender, kömmt in eine französische Stadt, wo grade der noch nicht beruhigte Pöbel sich gegen wahre oder vermeintliche Unterdrükker Grausamkeiten aller Art erlaubt, den Gesezzen und der Polizey trozt, die jugendliche Kraft, und die ihm noch neue Freiheit misbraucht, wie Jünglinge, die eben dem Schul-Zwange entkommen sind, ihre Unabhängigkeit zu misbrauchen pflegen; er eilt erschüttert hinweg von diesem Schauplazze blutiger Gewaltthätigkeiten; auf der Rükreise schließt sich einer von denen an ihn, die bey der Revolution, vielleicht ohne alle Schuld, Vermögen, bürgerliche Ehre und Sicherheit eingebüßt haben. Dieser unterhält ihn mit den schreklichen Auftritten, die in seiner Provinz vorgehen; mit Thränen in den Augen schildert er ihm die Noth seiner verlassenen, ehemals wohlhabenden, nun dürftigen, unglüklichen, flüchtigen Familie, die zerstörten Palläste, die Wohnungen, wo sonst Frieden und häusliches Glük zu Hause waren, jezt in Steinhaufen verwandelt, auf denen man unschuldige Bürger mordet – Befremdet es Euch, wenn dieser Reisende ein Bild von der französischen Revolution entwirft, das jenem, wie die Hölle dem Himmel ähnlich sieht?
Allein nicht nur in der Verschiedenheit der einzelnen Scenen, die ein Fremder in Frankreich wahrnehmen kann, je nachdem er zu dieser, oder zu einer andern Zeit, in dieser oder einer andern Provinz seine Bemerkungen sammelt, liegt der Grund des Widerspruchs in den Urtheilen über die französische Staats-Umwälzung, sondern auch in den Verhältnissen, Stimmungen und herrschenden Ideen der Menschen selbst, die darüber reden und schreiben.
Wer bis dahin eine Herrschers-Rolle gespielt hat und nicht ganz gewiß ist, daß, sobald es auf freywillige Wahl ankäme, die Untergebnen lieber ihm, als einem Andern gehorchen würden, der zittert vor der Möglichkeit, daß man ihm, wenn der Revolutionsgeist allgemein würde, diese Haupt-Rolle abnehmen und eine untergeordnete anweisen könnte. Deswegen giebt es unter den großen und kleinen Monarchen so wenige, die auf die neue Ordnung der Dinge gut zu sprechen sind – vom Länder- und Völker-Beherrscher und Scepter-Führer an, bis auf den Schul-Monarchen herab, der fürchtet, die Discipuli mögten ihm den Bakulum aus der Hand winden. Fast alle, bey den alten Einrichtungen interessirte, an empfangne Huldigung und passiven blinden Gehorsam gewöhnte Personen reden der willkührlichen Gewalt das Wort.
Personen, die in solchen Ämtern und Würden stehen, welche man in freyen Staaten für unbedeutend, unnüz oder gar für verächtlich und schädlich hält, Hofschranzen und andre besoldete, pensionirte und bepfründete Müßiggänger, können den Gedanken nicht ertragen, daß ein System Anhänger finden mögte, das ihre ganze Existenz vernichtet, indem es nur dem Fleiße und dem wahren Verdienste Achtung, Vorrechte und Vortheile einräumt.
Solche Fürsten und Edelleute, die sich bewust sind, daß sie gar nichts mehr seyn würden, wenn sie aufhören sollten, Fürsten und Edelleute zu seyn;
Auch manche bessere, verdienstvollere Männer unter diesen, die aber von Jugend auf mit den Vorurtheilen ihres Standes aufgewachsen und gewöhnt sind, Dinge, deren Werth jezt in Frankreich gänzlich verrufen ist, wo nicht wie Schäzze voll inneren, ächten Gehalts, wenigstens wie eine, durch den Stempel der Convention gewürdigte, nüzliche Waare zu betrachten;
Geadelte Bürger und alle solche Personen, die es sich haben Mühe und Geld kosten lassen, in eine Klasse hinaufzurükken, mit Ständen in Verbindung zu kommen, die sie außerdem vielleicht verachten würden;
Hohe und niedre Geistliche aller Bekenntnisse, die so gern Religion und Gottes-Verehrung, Theologie, Dogmatik, Kirchen-System und Christuslehre mit einander verwechseln, ihr Amt zu einem besondern Stande im Staate erheben und ihre Sache zur Sache Gottes machen;
Solche Menschen, die überhaupt gegen jede Neuerung eingenommen sind und es gern beym Alten lassen;
Schmeichler; feile, kriechende Schriftsteller, wie der elende Professor Hoffmann in Wien Einer ist, und alle solche Insekten, die unbemerkt herumkriechen und sich fürchten müsten, zertreten zu werden, wenn sie sich nicht in das Unterfutter der Großen dieser Erde einnisteten; an Leib und Seele arme Schlukker, die sich von den Brosamen nähren, welche von der Herren Tische fallen;
Gutmüthige, furchtsame, mitleidige, gefühlvolle und sanguinische Menschen, welche durch die Schilderung der verübten Gewalttätigkeiten erschüttert und empört werden;
Unterthanen guter Fürsten, besonders in dem nördlichen Theile von Teutschland, die, unter milden Regierungen, bey dem ruhigen Genusse ihres Eigenthums und ihrer Freiheit, gar keinen Begriff vom Despotendrukke haben und – o! der glüklichen Unwissenheit! – das Bedürfnis einer andern Verfassung nicht kennen;
Alle diese stimmen mehr oder weniger lebhaft die allgemeine Meinung gegen die französische Revolution. Man kann ihnen, was die nachtheiligen Eindrükke betrifft, welche sie bewirken, noch diejenigen zugesellen, die, aus unvernünftigem Eifer, ohne Kenntniß der Sache, aus unbändigem Freiheitssinne, aus ungerechter Unzufriedenheit mit den Regierungen, welche nicht so hohe Begriffe, wie sie selbst, von ihren Verdiensten haben, sich unberufen zu ungeschikten Vertheidigern aufwerfen.
Man sollte meinen, die neue Verfassung müste in republikanischen Staaten die eifrigsten Verfechter finden; allein es zeigt sich fast allgemein das Gegentheil. In England affektirte man anfangs dieser großen Begebenheit gar keine Aufmerksamkeit zu widmen. Erst in der Folge hat man mehr Wärme für die Sache, besonders unter denen wahrgenommen, die mit den jezt in England einreißenden Misbräuchen in der Verfassung unzufrieden sind. Dagegen hat sich der Sophist Burke durch eine Schmähschrift, in welcher er seine großen Talente zu falscher Darstellung und Verdrehung offenbarer Thatsachen misbraucht, die Gunst des Ministers erbettelt, um ein Jahrgeld zu erlangen, das er zu theuer mit der allgemeinen Verachtung erkauft. Die Widerlegung, womit der edle Paine ihn zu Boden geschlagen hat, verdient von Freunden und Feinden der Revolution gelesen zu werden.
Was man in Holland über diese Gegenstände urtheilt, kann kaum hierher gehören; denn die vereinigten Niederlande haben jezt, weniger als jemals, eine republikanische Verfassung.
In der Schweiz sind die großen aristokratischen Cantons, wie sich's begreifen läßt, gegen die Sache und die kleinern, glüklichen freyen, halten sich wenig mit politischen Raisonnements über fremde Verfassungen auf. In den italienischen Freystaaten herrscht ein Ton in der Staatsverwaltung, der zu den in Frankreich angenommnen Grundsäzzen gar nicht passen will.
Unter den teutschen kleinen Freystaaten ist vielleicht Hamburg der einzige, wo man sehr viel warme Bewundrer der neuen französischen Verfassung findet.
Im Ganzen scheint der Nationalstolz der Republiken, bey dem Genusse ihrer errungnen Freiheit, andern Ländern eben auf die Weise den Besiz dieses Guts zu misgönnen, wie ein Cavalier von alter Familie dem Parvenü und dem geadelten Bürger nicht gewogen zu seyn pflegt.
Diese Bemerkungen treffen aber auf keine Weise die vereinigten Staaten von Nord-Amerika; denn dort herrscht allgemeine Wärme für die französische Revolution. Gegenseitige Dankbarkeit knüpfen beyde Nationen an einander – edle Gefühle, die in despotischen Staaten von Eigennuz und Politik erstikt, aber da heilig gehalten werden, wo wahre Tugend allein Anspruch auf Achtung und Ehrerbietung geben kann! In Amerika haben die Franzosen den Werth der Freiheit kennen gelernt und dort hat sich einer ihrer ersten Männer, ja! gewiß einer der edelsten Männer in der Welt, Fayette ausgebildet. Von der andern Seite verdanken die nordamerikanischen Staaten gröstentheils den Franzosen ihre errungene Unabhängigkeit.
Gegen die Menge derer nun, die wir als nicht unpartheyische Gegner der französischen neuen Verfassung angeführt haben, kann der Haufen derer, die in Europa davor eingenommen sind, freylich nur sehr klein seyn, und selbst unter diesen können wir die nicht für competente Richter gelten lassen, welche, ohne eigentliche Überlegung und ohne Kenntniß der Sache, aus blindem Feuer-Eifer für alles Neue und Außerordentliche, die Parthey jeder Umkehrung der Dinge nehmen. Solche Menschen schaden auch der besten Sache durch ihr Lob. Wie unbeträchtlich bleibt daher nicht die Anzahl der unpartheyischen und gründlichen Beurtheiler jener wichtigen Begebenheit und wie wenig beweist die größere oder kleinere Anzahl der Tadler oder Vertheidiger vor oder gegen dieselbe?
Es bleibt noch eine dritte Klasse von Menschen übrig, nämlich die, welche ihre Meinung darüber gar nicht sagt. Sie besteht theils aus Furchtsamen, die es mit keiner Parthey verderben wollen, theils aus solchen, die sich über nichts bestimmt zu erklären pflegen, sondern die schaafsköpfige Gewohnheit haben, es immer erst abzulauern, wie eine Sache ausfallen wird, und dann hintennach zu versichern: das hätten sie gleich also vorausgesehn.
Ich glaube nun hinlänglich erwiesen zu haben, daß jezt noch jedes bestimmte Urtheil über das, was in Frankreich geschehn und was davon zu erwarten ist, übereilt seyn würde. Man wende dagegen nicht ein, daß wir offenbare Thatsachen vor uns haben, nach denen wir unsre Meinung berichtigen können! Diese Thatsachen werden uns von Zeitungsschreibern, Journalisten und andern Schriftstellern oft äußerst unvollständig, verstümmelt und entstellt vorgetragen. Nicht Jeder will, nicht Jeder darf schreiben, wie und was er gern schreiben mögte. Vielen von diesen Nachrichten fehlt es durchaus an historischer Glaubwürdigkeit; durch die Art der Darstellung kann jedes Faktum eine ganz andre Gestalt gewinnen. In Frankreich kann jezt fast nicht ein einziger Mensch für einen unbefangenen Zuschauer gehalten werden; der Reisende sieht die größern Wirkungen, aber selten die kleinen Triebfedern; und wenn er uns diese so schildert, wie er sie sich denkt, oder wie ihm andre Leute die Sache vorgestellt haben, uns aber den Beweis schuldig bleibt; – ein Fehler, den einige Schriftsteller, bey Erzählung der merkwürdigen Vorfälle vom fünften und sechsten October begangen haben! – so darf man wohl auf alle Weise vor zu viel Leichtgläubigkeit und voreiliger Beurtheilung warnen.
Alles, was ein unpartheyischer Mann sich daher erlauben darf, über diese große Begebenheit zu sagen, wird, meiner Meinung nach, sich ungefehr auf Folgendes einschränken müssen.
Die französische Revolution wurde unvermeidlich herbeygeführt durch eine Kettenreihe von Begebenheiten und durch die Fortschritte der Cultur und Aufklärung.
So wie die vorige Regierungs-Verfassung war, konnte sie, bey dermaliger Stimmung der Nation, nicht bleiben.
Verkehrte Maaßregeln, welche die Hofparthey gleich anfangs nahm, erbitterten das Volk, vermehrten das Mistraun und bewirkten Gewaltthätigkeit.
Die Lebhaftigkeit des National-Charakters ließ voraussehn, daß nun schnelle und rasche Schritte folgen müsten, und es würde albern seyn, bey allen diesen Umständen, von Franzosen etwas anders zu erwarten.
Alle Gewaltthätigkeiten aber, die vorgegangen sind, alle Ermordungen, alle Plünderungen, Mordbrennereyen, Ausschweifungen und überhaupt alle gesezlose Handlungen sind, in Vergleichung mit den Unordnungen und Greueln, womit von je her ähnliche, ja! viel geringre Vorfälle bezeichnet gewesen, für nichts zu rechnen. Diese Revolution ist eine große, beyspiellose und, sie falle aus, wie sie wolle, sie sey rechtmäßig oder widerrechtlich unternommen worden, der ganzen Menschheit wichtige Begebenheit. Ein Krieg, den irgend ein ehrgeiziger Despot, zu Befriedigung seiner kleinen Leidenschaften führt; ein Krieg von der Art, wie der war, zu welchem Louvois seinen Herrn aufhezte, damit er den Grad von Wichtigkeit wieder erlangen mögte, den er durch einen Fehler in der Baukunst verlohren hatte – so ein Krieg kostet tausendmal mehr Blut und unschuldiges Blut, und zu welchem Zwekke? Ob Gibraltar den Engländern, oder Spaniern gehört, das ist gewiß für die Welt, und vielleicht für das wahre Glük der beyden streitenden Nationen selbst, ein ziemlich unbedeutender Umstand; und dennoch hat der Kampf um diesen Felsen in einigen Stunden mehr Menschen, die gar nicht dabey interessirt waren, das Leben geraubt, als ein jahrlanger Kampf um Freiheit und Gesezze in Frankreich. Alle Gewaltthätigkeiten, über die man so unbändig schreyet, übertreffen wenigstens nicht die Greuel, die man im Jahre 1790, mitten im Frieden, bey dem Matrosen-Pressen in England, im Namen der Regierung verübte. In den Zeiten der Ligue und während der unglüklichen Religions-, oder vielmehr Pfafferey-Kriege (denn es giebt keine Religions-Kriege) war Frankreich ein Schauplaz viel größerer Unordnungen – und über dies alles empört sich das Gefühl der vorgeblichen Menschenfreunde nicht. Daß ein Landesvater Tausende seiner Kinder, (daß es Gott erbarme!) das heist seiner Unterthanen stükweise verhandle, um sie irgendwo, fern von ihrem Vaterlande, todtschießen zu lassen, wenn damit Geld zu verdienen ist, wovon nachher Buhlerinnen und Müßiggänger unterhalten werden; das erlauben ihm die Menschenfreunde; aber wenn bey so einer allgemeinen Gährung der unbändige Pöbel unter zehn Schelmen auch vielleicht, in der blinden Wuth, ein paar ehrliche Leute, gegen welche man Verdacht hat, aufhenkt; so wird davon ein Lerm gemacht, als wenn kein Mensch in Frankreich seines Lebens sicher wäre.
Untersuchen wir unpartheyisch die Grundsäzze, auf welchen die neue Constitution beruht; so ist es unmöglich, zu leugnen, daß sie den Stempel der gesundesten, reinsten Vernunft tragen. Was die hellsten Köpfe aller Zeitalter einzeln über Menschen-Rechte, Menschen-Verhältnisse und über die reinen Zwekke aller gesellschaftlichen Verträge gesagt haben, das findet man hier in der einfachsten, deutlichsten Ordnung dargestellt und zum Fundament einer Gesezgebung hingelegt, wie es noch nie eine natürlichere, gerechtere in irgend einem Lande der Welt gegeben hat. Ob sie in der Ausübung möglich, und ob die französische Nation dazu reif ist, das gehört zu den Dingen, worüber uns nur die Zeit aufklären kann; aber das behaupte ich, daß es keinen glüklichern Menschen auf Erden geben könne, als einen König, den ein, nach diesen Grundsäzzen regiertes, diesen Gesezzen gehorchendes, nach diesen Begriffen von Recht und Billigkeit handelndes Volk würdig gefunden hat, ihn freywillig an die Spizze des Ganzen zu stellen. Der Erste von vier und zwanzig Millionen freyen Menschen zu seyn, die keinen andern Vorzug anerkennen, als den Tugend, Weisheit und Fleiß gewähren; dabey die Ausübung alles Guten in Händen zu haben, ohne Verantwortung und ohne die Furcht, durch seine Leidenschaften irgend eines Bürgers Unglük bauen zu können, und endlich und in dieser Lage alle Gemächlichkeiten des Lebens und alle äußere Ehre, die irgend ein König fordern kann – Wer diesen Zustand gegen den eines nach Willkühr herrschenden Gebiethers sklavischer Menschen vertauschen mögte, der ist der tiefsten Verachtung werth, und zitterte auch der halbe Erdboden, wenn er seinen eisernen Scepter schwingt.
Die Abschaffung des Adels und die Schmälerung der Einkünfte der Geistlichkeit, sind freilich harte Artikel für die, welche nun auf einmal sich der Vortheile beraubt sehen, die sie, ohne Mühe und Verdienst, auf Unkosten besserer und arbeitsamerer Menschen besaßen. Um aber beurtheilen zu können, ob das, was man in dieser Rüksicht gethan, nüzlich und gerecht war, müste man erst einige Fragen entscheidend beantworten können, worüber bis jezt die Stimmen wenigstens noch sehr getheilt sind; nämlich: ob nicht, in dem Zustande, darin sich Frankreich bey der Revolution befand, zu völliger Ausrottung des Despotismus, die gänzliche Abschaffung des Adels und die Einschränkung der Geistlichkeit nothwendig war? ob die Begriffe, welche diese privilegirten Stände in die Gesellschaft brachten, und überhaupt ihre Existenz und ihr Einfluß sich mit den Grundsäzzen, worauf die neue Verfassung gestüzt ist, auch nur einigermaßen vereinigen lassen? ob ihre vermeintlichen Rechte auf einen vorauszusezzenden Contrakt, oder auf Usurpation beruhen? ob usurpirte Rechte, die gegen die Ordnung der Natur sind, durch Verjährung geheiligt werden können? ob des römischen Bischofs Gewalt, Fürsten ein- und abzusezzen; die Befugniß, Sünden-Ablaß um Geld feil zu biethen; die, bey einigen uncultivirten Völkern üblichen Menschen-Opfer; Leibeigenschaft; jus primae noctis; alle Inkonsequenzen des türkischen Despotismus und überhaupt alle eingewurzelte Misbräuche, eine geringere Sanktion haben? ob Verbindlichkeiten, die nur allein das Recht des Stärkern hat einführen können, nicht auch durch das Recht des Stärkern wieder aufgehoben werden dürfen? ob alle Contrakte, die auf unbestimmte Zeit geschlossen worden, deswegen ewig dauern müssen, Zeit, Umstände und Bedürfnisse mögen sich verändern, oder nicht? ob überhaupt Menschen Contrakte für die Ewigkeit schließen können? ob man, im Namen einer Generation, die noch nicht existirt, mit solchen Gütern schalten und walten dürfe, die eigentlich auf keine Weise der Gegenstand willkührlicher Bestimmung seyn können, als da sind: Freiheit, Achtung, bürgerliche Ehre, Herrschers-Recht u. d. gl.?
Wenn man sagt: es seyen die gewählten Repräsentanten des Volks zum Theil Menschen von äußerst zweydeutigem Charakter gewesen; so kann ein unpartheyischer Mann darauf nur Folgendes antworten: der moralische Privat-Charakter dieser Leute kömmt bey ihrer politischen Laufbahn sehr wenig in Anschlag, wenn auch jener Vorwurf erwiesen wäre. Alle Schritte der National-Versammlung, qua talis, geschahen, der Natur der Sache nach, öffentlich; ihre Reden, ihre Vorschläge, ihre Entschlüsse – alles ist klar den sehr strengen Augen des Publikums dargelegt. Mögten sie immerhin geheime, eigennüzzige oder ehrgeizige Absichten gehabt haben; mögten sie immerhin ausschweifende, ränkevolle Leute gewesen seyn! – Es kömmt hier auf die Sache an, die sie mit unerschroknem Muthe durchgesezt, auf das System, das sie eingeführt haben. Ist das gut, ist es der Nation und der Menschheit überhaupt heilsam; wer ist Richter über ihr Herz und ihre Sitten? Und so viel ist denn doch gewiß, daß unter ihnen Männer genannt werden, die bey ihren Mitbürgern in allgemeiner Achtung stehen, von denen auch die boshafteste Verleumdung nicht wagen würde, zu behaupten, sie hätten ihre Hände an den Plan zu einem Bubenstükke legen wollen.
»Viele von ihnen« heist es »haben sich auf Unkosten des gemeinen Wesens bereichert, haben die National-Güter in ihren Nuzzen verwendet.« Möglich, aber nicht erwiesen! Wie betrügerisch und verschwenderisch man aber mit dem öffentlichen Schazze während der vorigen Verfassung umgegangen, das ist erwiesen, ist unter andern in dem berüchtigten rothen Buche nachzulesen. So viel ist übrigens auch begreiflich, daß zwölfhundert Männer nie einen gemeinschaftlichen Complot zum Betruge machen werden. Daß unter diesen Zwölfhunderten gewiß auch Schelme sind, darüber wundre ich mich gar nicht, aber darüber könnte man sich wundern, daß in einer so von Grund aus durch den Despotismus und dessen Gefolge corrumpirten Nation noch sechs ehrliche Leute gefunden werden. Wer ist Schuld daran, wenn Diebereyen und schiefe Streiche aller Art gleichsam als unzertrennlich von der öffentlichen Verwaltung angesehn werden? Hat die Revolution die Menschen so schleunig verderbt? – Die Frage beantwortet sich selbst.
Ganz verschwendet sind indessen die aus dem Verkaufe der geistlichen Güter gelöseten Summen nicht; denn man hat doch wenigstens diejenigen Personen damit entschädigt, welche ehemals Ämter im Staate gekauft hatten, die ihnen nunmehr genommen wurden; und eine Menge unnüzzer Ausgaben, die man vielleicht gemacht hat, fallen theils in der Folge weg, theils sind die Gelder, womit dieselben bestritten worden, in Frankreich selber geblieben und also nicht verlohren gegangen, sondern in Circulation gekommen, wenn sie auch besser hätten verwendet werden können.
»Die Abgaben werden nicht ordentlich entrichtet; man muß also immer von jenem Capitale zuschießen, um die nöthigen Ausgaben zu bestreiten.« Das ist freilich übel und es ist zu wünschen, daß bald die Ruhe hergestellt werden und das Volk die Gesezze respektiren lernen möge. Was schadet jedoch am Ende diese temporelle Unordnung? Wer kein Geld giebt, der behält es; folglich bleibt es im Lande; Privatleute häufen es in ihren Kasten auf, weil sie es nicht für Papier hingeben wollen; allein lasset die Ruhe auf irgend eine Weise hergestellt seyn; so wird man es bald wieder circuliren sehn.
Den grösten Geld-Raub an Frankreich aber begehen die Emigranten, durch die Summen, welche sie herausziehen. Schon allein der Erz-Dieb Calonne, den man füglich hätte aufhenken können, ohne sich zu versündigen, hat ungeheure Schäzze, die er sich zusammengestohlen hatte, fortgeschleppt. Hieran ist die National-Versammlung nicht Schuld; man müste denn ihre zu milden, nachsichtigen Grundsäzze ihr zum Verbrechen machen wollen, indem sie die Auswanderungen und Exportationen nicht mit Gewalt gehindert hat.
Möge man indessen auch alles baare Geld aus Frankreich wegnehmen; so wird das Reich doch darum noch nicht zu Grunde gerichtet, so lange man nicht den fruchtbaren Boden, die Industrie, den Handel, die Fabriken und Manufakturen mit fortreißen kann. Im Grunde ist das Geld doch nur das Representative, und nicht die Sache selbst. Lasset die armen, verführten Flüchtlinge zurükkehren; (ihre schelmischen Aufrührer mögen bleiben, wo sie wollen!) lasset Frieden hergestellt seyn, Treue und Glauben und Kredit wieder Wurzel fassen, die Gesezze respektirt, Fleiß, guten Muth und Thätigkeit wieder erwekt werden – und Frankreich im Ganzen wird durch alle diese Verwirrungen um nichts ärmer geworden seyn.
Ob aber wohl Hoffnung da sey, die Ruhe bald wieder hergestellt zu sehn; das ist unmöglich vorauszusagen; nur das läßt sich ohne Vermessenheit behaupten, daß, wenn auch, durch eine Gegen-Revolution oder auf andre Weise, alles wieder niedergerissen werden sollte, was die Nationalversammlung aufgebauet hat, die ganze Verfassung doch nie wieder auf den alten Fuß kommen kann. Die Begriffe von den Verhältnissen des Volks zu der Regierung, haben zu tiefe Wurzel gefaßt; so etwas wieder auszurotten, dazu würde ein großer Zeitraum gehören, während dessen Cultur und Aufklärung gänzlich zurükgingen und die Nation wieder in einen solchen Zustand von Kindheit versezt würde, in welchem man sich, gegen sein eignes Interesse, blindlings führen läßt. Der größere und stärkere Theil der Nation hat nun einmal die Fesseln abgeschüttelt, hat seine Kräfte kennen gelernt und sich von der Möglichkeit der Ausführung überzeugt. Sie mit Gewalt aufs Neue zu unterjochen, dazu würden sehr große Anstalten erforderlich seyn. Das Reich ist nicht in so schlechtem Vertheidigungsstande, die National-Garden sind nicht so schlecht disciplinirt, als uns die Freunde der aristokratischen Parthey glauben machen wollen. Die innern Zwistigkeiten und Gährungen würden sehr wahrscheinlich aufhören, sobald Frankreich von Außen her angegriffen und die Vertheidigung des Vaterlandes der gemeinschaftliche Punkt würde, in welchem sich die lebhafte französische Regsamkeit concentrirte. Und wer sollte sie angreifen? Das Aristokraten-Häuflein macht zwar, nach alter französischer Manier, ungemein viel Lerm, rennt am Rheine durcheinander, wie ein Ameisen-Nest, droht und schimpft gewaltig; allein es fehlt ihm noch an einigen Kleinigkeiten, um die Sache in Ausführung zu bringen. Generale, Officiers, Köche, Friseurs, Wundärzte und Apotheker, auch Marchands parfumeurs und Marketender sind wirklich da; allein das macht doch nur den état major einer französischen Armee aus. Zwar haben sie auch ein paar hübsche Garde-Compagnien, zu welchen kürzlich ein teutscher Reichsfürst seine losgelaßnen Karren-Gefangnen als Rekruten geliefert hat; nur was man gewöhnlich ein Kriegsheer zu nennen pflegt, das fehlt, nebst allem Zubehör, als da ist: argent content, Kredit, Festungen, Magazine, ja sogar der Plaz, auf welchem sie sich zuerst formiren könnten; denn des in der Chronik von Frankreich so berühmten Kardinals von Rohan Besizzungen, auf welchen jezt, im Januar 1792, da ich dies schreibe, das ganze ausgewanderte Frankreich sich niedergelassen hat, sind kaum groß genug, um einen Anti-Revolutions-Clubb darauf zu halten. Zählen sie aber auf den Beystand der europäischen Mächte; so fürchte ich, sie werden sich verrechnen. Warum sollten diese Frankreich angreifen? Um einer Nation die Befugniß streitig zu machen, ihre Regierungsform, mit unbezweifelter Einstimmung ihres Königs, zu verändern? Um eine Constitution über den Haufen zu werfen, die Vernunft, Recht, Treue und Glauben und Frieden mit den Nachbarn zu Grundpfeilern hat? Dazu sind sie zu gerecht. Um die teutschen Reichsfürsten, die in den französischen Staaten Güter haben, mit Gewalt in den Besiz der Rechte zu sezzen, welche sie durch die Revolution verlohren haben? Davon würde doch nur dann die Rede seyn können, wenn erst alle gütliche Mittel umsonst wären versucht worden. Es hat sich ja aber die Nation zu einer Entschädigung erbothen; man muß nur ihre Vorschläge gemeinschaftlich anhören; man muß die ausschweifenden Forderungen der Aristokraten nicht damit vermengen wollen; man muß nicht vergessen, daß jene Reichs-Fürsten, so lange sie sich bey der Abhängigkeit von Frankreich wohl zu befinden glaubten, von ihren französischen Besizzungen dem teutschen Reiche keine Prästanda geleistet, folglich sich auf gewisse Weise von dem Staatskörper losgerissen haben, dessen Schuz sie nun auf einmal reklamiren. Sehr wahrscheinlich werden die übrigen europäischen Mächte der vorsichtigen Politik folgen, welche der weise Leopold bey dieser Gelegenheit zur Richtschnur nimmt. Sie werden ja wohl auch überlegen, daß es bey jezzigen Zeiten nicht rathsam sey, mit den Kriegsvölkern, die hie und da noch zu Hause ein Stükchen Arbeit finden, um Ruhe zu erhalten, in fremde Länder einzufallen, wo die fatale Freiheits-Luft weht, die so leicht anstekt. Sie werden überlegen, daß, bey dem ersten Ausbruche des Krieges, die schönen fruchtbaren teutschen Provinzen, welche unmittelbar an Frankreich grenzen, das Opfer dieses übereilten Schritts, der Schauplaz gräßlicher Verheerungen werden würden.
Und das sey denn genug über die französische Revolution! Reden wir jezt davon, ob andern europäischen Staats-Verfassungen, der Wahrscheinlichkeit nach, ähnliche Umwälzungen bevorstehen und ob zu vermuthen ist, daß die Vorfälle jenseits des Rheins dazu Anlaß geben werden.