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»Ja, freilich, es sieht schon ein bisserl anders aus wie damals, als mir her'kommen san.«
Herr Syrowattka wendet sich selbstzufrieden im ersten seiner beiden Waggons um, die ihm und seiner Familie Wohnung sind.
»Als mir her'kommen san – im Zwölferjahr war's, im Mai –, da haben die Leut geschimpft, in Salmannsdorf und die Neustifter auch, hier ist ein Villenviertel, haben sie geschrieben an die Stiftsverwaltung, und meine zwei beiden Waggons verschandeln die ganze Gegend, haben s' gesagt, die Teppen haben gemeint, ich werd die Waggons da stehenlassen, schwarz und schmierig, wie sie g'wesen sein . . .«
»Die zwei, was am ärgsten gehetzt haben, san eh schon g'storben im Krieg«, mischt sich Frau Syrowattka in die Debatte.
»Na, du hast z'reden! Du hast mir ja auch nicht heraufwollen, in an Waggon willst net leben, hast g'sagt, wie die Zigeuner. Aber ich hab auch schuften müssen, bevor es so zurecht worden ist.«
Die Frau Syrowattka ist bei dem Vorwurf, sie sei einmal zu stolz gewesen, die Waggonvilla zu beziehen, ein wenig rot geworden, doch da ihr Gatte den Besucher auf den jetzigen Zustand verweist, erwacht in ihr die Hausfrau, und sie entschuldigt sich, wie es Hausfrauen eben tun: »Ist schon lang nicht hergerichtet worden. Mein Mann war fort im Krieg und die Buben auch, zwei sind mir invalid zurückkommen, der eine hat vierundsiebzig Splitter im Leib g'habt, die rechte Hand kann er nicht bewegen, er ist achtzig Prozent arbeitsunfähig, aber jetzt werden wir bald anfangen, das Häusl herzurichten.«
Der Hausherr verrät die neuen Pläne. »Ich werd ein neues Dach machen mit ein' breiten Rand, daß mir das Regenwasser nicht die ganze Außenwand ruiniert, wann's ablauft . . .«
Ich schaue mir die Wohnung an. Eine Proletarierwohnung wie viele, aber mit Symptomen heraufziehender Kleinbürgerlichkeit, eine gehäkelte Decke und ein metallbeschlagenes Photographiealbum auf rundem Tisch, ein gipserner Goethe und ein ölgedruckter Kaiser Franz Joseph in goldlackiertem Rahmen, Nippesfiguren auf dem Gesims des Sofas. Der achtzigprozentige Invalide spielt mit zwei Brüdern »Angehn«, die Tochter liegt bäuchlings auf dem Kanapee, den Finger in die Nase und den Kopf in einen Roman vertieft, die Mutter steht am Herd, im Anrichteschrank sind Teller und Gläser, auf dem polierten Kleiderstock hängen Beinkleider, Hemden, Unterhose und was sonst noch auf einen Kleiderstock gehört.
Wäre der Plafond nicht auffallend flach gewölbt und aus Holz mit Querrippen, wären nicht oben die typischen Lücken, man würde nicht glauben, in Waggons zu sein. Die beiden Lastwagen sind mit je einer Längswand aneinandergeschoben, eine Tür und Fenster wurden durchgebrochen, die Wände übermauert, ein Herd mitsamt Kamin eingebaut, der erste Wagen durch Bretter in Schlafkabinett und Küche geteilt, ein Keller fehlt keineswegs, das Dach sitzt oben wie auf jedem richtigen Haus, vorne ist ein Ziergärtchen mit Rosenstöcken, hinten ein Schuppen und ein Gemüse- und Obstgarten. Eigentlich sind die beiden Waggons der unwichtigste, der überflüssigste Bestandteil der Waggonvilla und haben ihre Entwicklung eher gehindert und beschränkt als gefördert. Man äußert diese Ansicht. Herr Syrowattka aber lächelt schlau. »Hätt man mich denn bauen lassen, wann ich net mit denen zwei Waggons angekommen wär? Die hätten mich schön davongejagt.«
Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, Herr Syrowattka, sich so mir nichts, dir nichts hier anzusiedeln?
». . . Wissen S', ich hab damals keine Wohnung kriegen können, und ich kann doch nicht mit der Frau und sieben Kindern im Wald schlafen, nicht? Da hab ich gehört, daß man alte Waggons kaufen kann, ausrangierte, so bin ich halt zur Staatsbahn hin und hab mir die zwei ausgesucht. Siebzig Gulden hab ich dafür gegeben, mein letztes Geld. Ich bin ein geborener Neustifter und bin zu einem Pächter in der Ratsstraße gegangen, der hat mich lange kennt, und hab ihn gebeten, ob er mir ein Stückerl von seiner Wiesen abtreten möcht. Der hat nichts dagegen g'habt, aber wie wir hinkommen san mit dem Streifwagen, die zwaa riesigen schwarzen Kisten drauf – das Untergestell mit die Achsen und die Räder haben s' schon abgenommen gehabt in der Werkstätten und die Puffer aa – hat er net mehr wollen, der Herr Pächter. Es geht nicht, hat er g'meint, er wird den Grund jetzt verkaufen, und grad über die Wiesen soll eine neuche Eisenbahnlinie gehen, und solches Zeug hat er g'redt . . .«
Na, und da hat denn der Maurer Syrowattka den Pferden, die an seiner obdachlosen Familie und an seiner zukünftigen Behausung tüchtig zu schleppen hatten, kurz entschlossen ein paar Peitschenhiebe gegeben, ist bis zum Dorotheer Wald gefahren, auf den Sommerheidenweg hinauf, wo er ein ödes Grundstück wußte (in seiner Kindheit wurde hier Braunkohle geschürft, später war ein Steinbruch da), lud die beiden Wagen ab und stellte darin seine Möbel auf, zum Gaudium der Neustifter Jugend, zum Staunen der Erwachsenen und zum Ärger der noblen Anrainer. Als er gar Miene machte, sich auf dem requirierten Boden für ewige Zeiten einzurichten, hagelte es Beschwerden der Nachbarschaft beim Grundeigentümer, dem Klosterneuburger Stift. »Sogar bei der Polizei hab'n sie mich verpfiffen, so a Gemeinheit, gegen an armen Familienvater die Polizei zu mobilisieren!« Da legte Syrowattka die Schaufel hin, zog einen Rock an, ging zu den hochwürdigen Herren und stellte sich als neuer Pächter vor. Die machten ihm Vorwürfe, daß er nicht vorher gekommen sei, aber er wandte ein, daß sie ihm den Boden ja doch nicht abgetreten hätten und daß er's »nur von wegen die Kinder« getan; weil die Stiftsherren wohl einsahen, er werde ohne öffentlichen Skandal nicht mehr fortzukriegen sein, verpachteten sie ihm das Stück Land, etwa zwölfhundert Quadratmeter, für dreißig Kronen jährlich.
»Und zwanzig Kronen müssen wir Steuer zahlen auf dem Währinger Rathaus«, wirft die Gattin unwillig ein.
Es ist trotz der hohen Steuer noch immer billig. Allerdings war es Brachland, und Herr Syrowattka rühmt sich, ungefähr dreihundert Fuhren Abraum und Gestein planiert zu haben, bevor alles so schön wurde, siebzig Obstbäume gepflanzt werden konnten. Man kann ihm das Lob nicht versagen, daß er da eine kühne Tat geleistet, beinahe eine revolutionäre. Wenn es jeder so hielte wie Sie, Herr Syrowattka, gäbe es bald keine Wohnungsnot, dann . . .
»Sö, hören S' mir auf, das tät ja noch fehlen, daß da a jedes hergelaufene G'sindel hier a Häusl aufstellt. Aaner hat's mir eh schon nachmachen wollen, aber i hab an Riecher g'habt, und wie er mit sein Fuhrwerk ankommen is, hab ich die Buben um die Polizei g'schickt, er hat net abladen dürfen, den eingetepschten Personenwagen dritter Klass', wo seine Bankerten schon drin g'sessen san, und mit an Abort auf jeder Seiten.«
»Schön is er wieder obig'fahrn mit sein' Scheißwaggon«, lacht die Dame des Hauses, »der hat sauber g'flucht, der Kerl, haha.«
Er hätte Ihnen wohl den Platz weggenommen?
»Ah na, dös grad net, er wollt ja ganz woanderst hin, zum Waldrand dort, aber man kann das doch nicht einreißen lassen, daß a jeder abgerissene Schlurf sich da sei' Buden herstellt und weiß Gott was für a Wirtschaft hermacht. Hier wohnen lauter feine Leut . . .«
Sie haben aber doch auch, Herr Syrowattka . . .?
»Ja, freilich hab i damals aa nix g'habt, aber ich hab doch mein Haus tadellos herg'richt und mach dera Gegend ka Schand, das müssen S' doch selber sagen, net? Und jetzt kommt ein tulli Dacherl mit 'n breiten Rand, dann streich ich die Fassad an, und nächstes Jahr . . .« Ein Schreckgespenst unterbricht die Schilderung seiner Absichten. »Wann nur net der Bolschewismus kommt, die Gaunerbande! Was glauben S'?«
Das kann man heute noch nicht sagen, Herr Syrowattka.
Frau Syrowattka sieht mich besorgt an. »Die Bolschewiken, die täten dem Kloster alles wegnehmen?«
Darauf läßt sich nichts erwidern, als daß dies wohl eine unvermeidliche Folge des Kommunismus wäre.
Die Frau (angstvoll): »Müsseten wir am End dann wieder weg von hier?«
Der Villenbesitzer schwingt wütend die Fäuste. »Dös glaub i, darauf hätt'n die a Schneid! I waaß ganz gut, was dö wolln, an Putsch machen möchten s' und die Regierungsgewalt ergreifen und mir mein Haus wegnehmen und sich selber hereinsetzen, weiter wollen s' ja nix, die Bagasch! Aber das is mei Grund, mei Häusl, i zahl meine Steuer, sö sollen nur kommen, die Hungerleider, i werd ihnen schon heimleuchten, denen Bolschewisten!«