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Es starb Chang-Tsi-Kuei. Chang-Tsi-Kuei war Führer der Za-Bao-Tong, der »Schutzgewährenden Gesellschaft«. Gegen seinen Magenkrebs konnte ihm diese Gesellschaft keinen Schutz gewähren. Wissend, daß er dem Tod verfallen, erschien er vor wenigen Wochen in dem besonders heiligen buddhistischen Kloster von Putu und bot dem Oberpriester eine Summe von 20.000 Taels als Spende an, Sühne oder Ablaßgeld. Der heilige Laodah zeigte ihm die kalte Schulter: »Tsien bu tsching tsang – es ist kein klares Geld.« Chang-Tsi-Kuei mußte, den Krebs im Magen, die Todesangst im Herzen, das Geld in der Tasche, wieder aus dem Kloster ziehen.
Kein anderer als der heilige Laodah, der Abt von Putu durfte dem Chang-Tsi-Kuei solchen Schimpf bieten. Aber anderseits hätte ja auch Chang-Tsi-Kuei keinem andern als dem Abt von Putu Geld geboten, er war kein Geber, er war ein Nehmer – der Shanghaier Bezirk Hongkew kannte und fürchtete Chang-Tsi-Kuei und wird seiner niemals vergessen.
Wenn in einem Bezirk das Oberhaupt der Geheimgesellschaften zu Grabe getragen wird, so ist das die seltene Stunde, in der sich ein Vorhang lüftet. Gestalten der 18 Finsternis wandeln durch das Sonnenlicht. Mancher Fremde, der die Erzählungen von Chinas unterirdischen Verbrechergilden für puren Mythos hält, wird in dieser Stunde eines Besseren belehrt.
Welch eine Beerdigung! Der ganze Stadtteil, soweit er nicht mitwirkte, stand Spalier. Voran, hoch zu Roß, drei Sikhs, beturbant und bebärtet, Lanzen in der Hand, ja sogar ein europäischer Polizei-Sergeant ritt mit ihnen. Für die Beistellung der drei indischen Paradefiguren zahlten die Veranstalter je zehn Silber-Dollar, für den Weißen fünfzehn.
Einen europäischen Zivilisten aus Hongkew, der als Leidtragender hinter dem Sarg einherginge, hatte man nicht bekommen. Unter den vielen, die man gegen ein Honorar von hundert Dollar für diese Rolle zu gewinnen versuchte, war auch der mir gut bekannte Amerikaner M. Mister M. ist immer geneigt, für drei Glas Brandy oder eine Unze Opium jede gewünschte Schandtat zu begehen, hat mit Gericht und Polizei und Gefängnis reichlich zu tun, kein anständiger Mensch verkehrt mit ihm. Dennoch hat er das Angebot, durch einfaches Hinter-dem-Sarg-Gehen die Totenfeier des Chinesen zu verschönen, mit Verachtung zurückgewiesen.
Auch ohne Mister M. gestaltete sich die Beerdigung pompös genug. Nach den indischen Hellebardieren und dem europäischen Sergeanten kamen chinesische Reiter in Mongolentracht mit spitzen Hüten, dann folgte wie üblich, aber weit über das Übliche hinaus, der Zug der Bildsäulen: überlebensgroße, drei, vier Meter hohe Figuren aus buntem Papiermaché, darstellend Götter, Drachen, Hunde, Sänften mit schönen Frauen darin, Diener, 19 Pferde, – nun, um eine lange Sache kurz zu sagen, all diejenigen Wesen, die den Toten ins Jenseits begleiten mögen. Vierzehn Musikkapellen marschierten spielend hinter dem Mummenschanz.
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Den Sarg trugen 32 Kulis, wie es für ein Begräbnis Erster Klasse Vorschrift ist. (Zweiter Klasse: 16 Kulis, Dritter Klasse: 8 Kulis, Vierter Klasse: 4 Kulis, gar keine Klasse: man schmeißt die Leiche aufs Feld, wo Hunde und Katzen sie beknabbern, oder vor die Tür eines Europäers, der sie eingraben lassen muß.)
Hinter dem Sarg schreitet immer der älteste Sohn des Toten. Im Falle Chang-Tsi-Kuei schritt der älteste Sohn nicht, sondern ließ sich tragen.
Weiße Kittel, schäbigsten Zwillich, hatten zum Zeichen der Trauer die Angehörigen angelegt. Die endlose Kolonne ihrer Wagen beschloß den Zug. Er ging vom Trauerhaus in der Yaloo Road bis zum Haus der Yangchow-Gilde, Sinza Road. Dort beteten Priester (keineswegs so streng in puncto »klaren Geldes«, wie es zu sein der reiche Oberpriester von Putu sich leisten darf), sie rührten die Trommeln und bliesen die Flöten und sangen die Gebete. Rauchopfer stiegen himmelwärts.
Die Leiche bleibt im Shanghaier Haus der Landsleute aus Yangchow bis zu dem Tag, den die Geomanten nach langen Überlegungen und Gestirnuntersuchungen als den für die Beerdigung vorteilhaftesten feststellen werden. An diesem authentisch günstigsten Tag wird man den toten Chang-Tsi-Kuei, der einst in Yangchow zur Welt gekommen war, nach Yangchow zurückbringen. 20
So prächtig wie ein Fürst der Shanghaier Unterwelt zu Grabe fährt, könnte auch ein anderer reicher Mann von Shanghai zu Grabe fahren. Aber der Unterschied zwischen dem Fürsten der Unterwelt und einem andern reichen Mann von Shanghai liegt dort, wo wir – ihr erinnert euch? – zwischen den vierzehn Musikkapellen und den 32 Sargträgern zwei Reihen Gedankenstriche gemacht haben. Diese zwei Zeilen bedeuten zweimal tausend Gangsters, zweitausend Mitglieder der Za-Bao-Tong, der »Schutzgewährenden Gesellschaft«, zweitausend immertreue Mitglieder vom Ringverein. Diese Immertreu-Solidarität veranschaulichten sie heute, nur heute coram publico, indem sie wirklich einen Ring bildeten, einen langgezogenen, sich vorwärtsbewegenden weißen Ring. Sie, alle zweitausend, trugen gemeinsam ein einziges, weißes, in sich zurückkehrendes Band.
Im Schritt würdiger Bürger, als die sie sich fühlten, bewegten sich die würdigen Gauner von Hongkew, die Mannen des würdigen Obergauners Chang-Tsi-Kuei, miteinander durch die Trauer und das weiße Band verbunden, am profanen Volk vorbei.
Der Vater zeigt sie seinem Kind: Sieh' hin. Die da, die im Innern des weißen Bandes einhergehen, die da sind es! Sie saugen unser Blut, sie heben von uns Tribute ein, sie sind eine schutzgewährende Gesellschaft für die Mächtigen, die zu ihnen gehören oder ihnen Schutz gewähren. Da gehen sie, präge sie dir ein und hüte dich vor ihnen, sie sind das Messer im Nacken.
Nichts ändert sich dadurch, daß Chang-Tsi-Kuei starb. Ein neuer Führer kommt. Sein ältester Sohn kann es diesmal nicht sein, er ist erst sechs Monate alt. Deshalb 21 kann er auch nicht hinter dem Sarg gehen, sondern wird getragen. Der neue Führer ist schon gewählt, ein Verwandter des Toten, er heißt Tschao-Mo-Lun. Fürs erste wird er den Besitz Chang-Tsi-Kueis verwalten, seine Schlösser und seine Konkubinen, und für uns wird unter Tschao-Mo-Lun alles so bleiben wie es unter Chang-Tsi-Kuei war. Zum Mitte-Herbst-Fest, am 15. Tage des 18. Mondes, zum Ching Ming, dem Frühlingsfest am 5. Tage des 5. Mondes, und zum Neujahrsfest kommt die Bande und präsentiert dir ihre Rechnung. Gegen die Höhe der Abgabe, die dir vorgeschrieben wird, gibt es keinen Rekurs. Der Bote sagt dir, was du zu zahlen hast und gibt dir keine Quittung, aber du bezahlst, was verlangt wird, und er liefert ab, was du ihm bezahlst, sonst ginge es euch beiden schlecht. Denk' an das Messer im Nacken.
Zahle regelmäßig, ordentlich deine Lösegelder; die unregelmäßigen, außerordentlichen werden dir von Fall zu Fall vorgeschrieben. Gewinnst du im Spielsaal, macht das Pony, auf das du gesetzt hast, das Sweepstake-Rennen, wird dir ein Los gezogen, beerbst du einen Verwandten, – glaube ja nicht, daß es geheim bleibt. Der Gewinnsteuer an die schutzgewährende Gesellschaft entgehst du nicht. Sie hat ihre Informationsquellen in jedermanns Nähe. Eine eifersüchtige Geliebte wird dich früher oder später anzeigen, sei es, um sich an dir zu rächen, sei es, um ihre Rivalin zu schädigen. Vor dem Geheimbund bleibt nichts geheim.
Nicht von diesen direkten Abgaben allein leben die zweitausend ihr gutes Leben, nicht davon allein bezahlen Chang-Tsi-Kuei und seine Getreuen ihre Schlösser und 22 ihre Nebenfrauen und ihre Autos. Einträglicher als die Einhebung von Tributen (wenn auch noch immer nicht das Einträglichste, das kommt erst), ist die Volksvergiftung. Die privaten Lotterien, die unbefugten Spielhöllen, der geheime Kinderverkauf bringen großes Geld. Vor allem aber die Opium-Kombinate, die Konzerne von Mohn-Pflanzern, Opium-Einkäufern, Großhändlern und Einzelverschleißern.
Angefangen vom Mohnfeld in der fernen Provinz Szechuen bis zur Opiumpfeife in der nahen Yohang Road ist der Weg mit Abgaben an die »Schutzgewährende Gesellschaft« gepflastert, die freilich Schutz gewähren kann, da die Polizei – Hongkew gehört zum Internationalen Settlement – ihr Werkzeug ist.
Ebenso die Justiz. Ob wohl innerhalb des weißen Bandes jene Richter mitgehen, die Mitglieder der Za-Bao-Tong sind? Ich kenne einen gut, Kwang-Hwa-Hsien, heute habe ich ihn nicht gesehen. Kwang-Hwa-Hsien war schon in der Kaiserzeit ein Mandarin vierten Grades, in der Republik ward er noch mehr: Mitglied des inneren Kreises der schutzgewährenden Gesellschaft und gleichzeitig Richter bei allen großen Prozessen. Jetzt hat er sich von seinem Amt als Diener der Gerechtigkeit mit einigen Millionen zurückgezogen.
Reichlich und sicher fließen diese Quellen seit Jahrhunderten. Mehr aber als das Volk zu schröpfen und zu vergiften, trägt das moderne Geschäft: das Volk niederzuhalten, jeden Versuch einer Auflehnung, ja, jeden Ansatz zur Organisation in Blut zu ertränken, und jeden eines radikalen Gedankens Verdächtigen um die Ecke zu bringen. 23
Als Tschangkaischek, um die Bundesgenossenschaft Englands zu erwerben, den Befehl zur Ausrottung der Revolutionäre gab, war schnell die schutzgewährende Gesellschaft zum Henkerswerk bereit. Zwar konnte der konkurrierende Geheimbund, die »Blaurote Gesellschaft«, die unter der Regierung Du-Yu-Sens in der Französischen Konzession die Franzosen besticht und die Chinesen aussaugt, weit mehr Arbeiter und Studenten in Nantao und im Erholungspark (Recreation Ground) schlachten als die Za-Bao-Tong in den Straßen von Hongkew und im angrenzenden Tschapei zu schlachten vermochte, aber immerhin gab es auch in Tschapei und Hongkew Tausende von roten Toten.
Durch solche Taten erwirbt man sich gleichermaßen das Vertrauen der chinesischen Regierung wie der ausländischen Herren, durch solche Taten erweisen sich die Verbrecherbanden als Stützen der Gesellschaft. Nimmermehr wird der Staat so brauchbare Bürger in ihren geheimen Bundesangelegenheiten stören. Sie können sich mit Stolz, mit Reitern und Musikkapellen öffentlich zeigen, wenn es einen der Ihren zu bestatten gilt. 24