Theodor Kirchhoff
Eine Reise nach Hawaii
Theodor Kirchhoff

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Zweites Kapitel.

Allgemeine Notizen über die Sandwichinseln. – Statistisches. – Eine gemischte Bevölkerung. – Das Aussterben der Eingeborenen. – Der Volksstamm der Kanaken. – Schulcensus.

Ehe ich mit der Beschreibung des Königreichs Hawaii beginne und das interessante Leben in jenem entlegenen Tropenlande zu schildern versuche, will ich einige übersichtliche statistische Notizen voranschicken, um dem Leser einen Begriff von der geographischen Lage, der Größe und den Bevölkerungsverhältnissen des Inselreichs zu geben.

Die Sandwichinseln (von den Bewohnern gewöhnlich Hawaiian Kingdom oder kurzweg The Islands, amtlich Hawaiinei genannt) liegen zwischen 18° 50' bis 22° 20' nördl. Breite und zwischen 154° 53' bis 160° 15' westl. Länge von Greenwich, auf der Straße der Postdampfer, die von San Francisco nach Australien fahren. Die Entfernung von Honolulu nach San Francisco beträgt 2100, nach Aukland 3810, nach Sydney 4484 Seemeilen. Die Gruppe besteht aus acht größeren und vier kleineren Inseln, welche letztere aber nur als Felsklippen gelten können. Alle Inseln sind vulkanischen Ursprungs. Stellenweise liegen Korallenriffe in geringer Entfernung vom Ufer; aber es sind die Korallenbildungen hier weit beschränkter, als in den Inselgruppen südlich vom Äquator. Sieben von den Hauptinseln sind bewohnt (Kahoolawe wurde vor einigen Jahren von seinen Bewohnern verlassen). Nur die vier größeren Inseln Hawaii, Maui, Oahu und Kauai haben eine Bedeutung für Handel und Ackerbau; auf den übrigen Inseln wird fast nur Viehzucht betrieben. Ungefähr 1/20 der Oberfläche des Königreichs, die auf 4 Millionen Acker geschätzt wird, ist kulturfähig.

Die Sandwichinseln wurden aller Wahrscheinlichkeit nach im Jahre 1542 zuerst von Juan de Gaetano, der den spanischen General Lopes Villalobos als Schiffsführer begleitete, während einer Reise von Neu-Spanien (Chile) nach den Molukken entdeckt und als »Königsinseln« (las islas del rey) bezeichnet, die 900 Leguas, ungefähr 2000 Seemeilen, von der mexikanischen Küste lägen.

Die Entdeckung ging aber ganz in Vergessenheit über, bis Kapitän Cook die Inseln am 18. Januar 1778 während einer Reise durch die Südsee nach Oregon in den Schiffen Resolute und Discovery zum zweiten Mal entdeckte und Sandwich Islands taufte. Außer den Nachrichten über die Königsinseln deutet noch sonst manches darauf hin, daß die Spanier lange vor Cook diese Inseln auf ihren Seefahrten zwischen den Philippinen und Panamá, besucht haben. Die Helme, welche die alten Häuptlinge trugen, sahen genau so aus, als wären sie nach spanischem Muster angefertigt worden; manche Waffenstücke, altes Eisen (auf den Hawaiischen Inseln kommen gar keine Metalle vor) und andere Gegenstände scheinen spanischen Ursprungs zu sein.

Das folgende Verzeichnis giebt die Größe der verschiedenen Inseln an, die höchste Bodenerhebung, welche sie über dem Meeresspiegel erreichen, und die Zahl ihrer Bewohner:

engl. □ Miles Bevölkerung Höchste Bodenerhebung:
(27. Dezember 1884) in engl. Fuß in Meter
Hawaii 4210 24991 13805 4200
Maui 760 15970 10032 3059
Oahu 600 28068 4032 1229
Kani 590 8035 4800 1463
Molokai 270 } 2614 3500 1067
Lanai 150 } 3000 915
Niihau 97 } 800 244
Kahoolawe 63 } 1450 442


6740Justus Perthes giebt den Flächeninhalt des Königreichs Hawaii auf 16940 Q Kilometer an, – fast so groß wie die Provinz Schleswig-Holstein (ohne Lauenburg). 6740 engl. Q Meilen, die Größenangabe der offiziellen hawaiischen Vermessung, sind = 17282 qkm. 1 qkm = 0,39 engl. Q Meile (square mile). 1,6093 Kilometer = 1 engl. Statute-Meile (16 Kilometer ungefähr = 10 engl. Meilen). 1 Meter = 3,28 engl. Fuß. 80578

Die Bevölkerung der Sandwichinseln setzte sich nach dem letzten Census (27. Dezember 1884) nach Nationalitäten folgendermaßen zusammen:

Eingeborene (Kanaken   40014
Mischlinge (half cast) 4218
Chinesen 17937
Amerikaner 2066
Kinder, die in Hawaii von Ausländern geboren wurden 2040
Japaner 116
Norweger 362
Briten 1282
Portugiesen (von den Azoren und der Insel Madeira). 9377
Deutsche 1600
Franzosen 192
Andere Weiße 418
Polynesier 956

80578

Die Stadt Honolulu hatte am 17. Dezember 1866 eine Bevölkerung von 13 521 Köpfen. Am 27. Dezember 1884 zählte die Stadt 20487 Einwohner, die sich nach Nationalitäten folgendermaßen verteilen:

Eingeborene (Kanaken)   9013
Deutsche 433
Mischlinge 2706
Franzosen 126
Chinesen 5225
Norweger 106
Amerikaner 1164
Polynesier 115
Briten 791
Japaner 48
Portugiesen 570
Andere Fremde (Neger u. s. w.) 190

Zusammen 20487 Einwohner.

Die obigen Zusammenstellungen sind aber, namentlich in Bezug auf die Fremdenbevölkerung, einer stetigen Veränderung unterworfen. Die Zahl der Japaner, von denen es nach dem Census von 1884 nur 116 im hawaiischen Königreiche gab, hat sich z. B. bis 1890 durch Zuwanderung auf ungefähr 8500 Köpfe vermehrt. Die Chinesen und Portugiesen sind auch zahlreicher geworden, während die eingeborene ungemischte Bevölkerung in schnellem Rückgang begriffen ist. Wie rasch die Zahl der letzteren abgenommen hat, wird das folgende Übersichtsverzeichnis veranschaulichen:

Census Gesamt-
bevölkerung
Fremde
(kaukasischer
Abstammung)
Chinesen Mischlinge Eingeborene
1823 142 050 142 050
1832 130 313 130 313
1836 108 579 108 579
1853 73 138 2 119 71 019
1860 69 800 2 816 66 984
1866 62 959 2 968 1 206 1 660 57 125
1872 56 897 4 247 1 938 2 487 48 225
1878 57 985 4 581 5 916 3 420 44 088
1884 80 578 18 407 17 939 4 218 40 014

Am 30. Juni 1887 schätzte man die Einwohnerzahl der Sandwichinseln, mit Berücksichtigung der Eingewanderten, Abgereisten, Geburten und Todesfälle, die den letzten Census entsprechend abänderten, auf 84 574. Im Mai 1890 wurde die Bevölkerung des Königreichs auf rund 92 000 Seelen angegeben, davon Eingeborene und Mischlinge zusammen 45 000; Weiße (unter ihnen 3000 Amerikaner und 1500 Deutsche) 7000; Portugiesen 12 000; Chinesen 19 000; Japaner 8500; Südseeinsulaner 500. Die Einwohnerzahl von Honolulu hat sich seit 1885 nur um ein Geringes vermehrt.

Die Hauptursachen der entsetzlichen Abnahme der Bevölkerung der Kanaken sind Blattern, Masern, Aussatz, sittenloses Leben der Weiber, Vernachlässigung der Kinder durch die Mütter, ungezügelte Vergnügungssucht, und namentlich der zerstörende Einfluß der Zivilisation der Weißen auf alle Naturvölker. Die ersten weißen Ansiedler waren ein außerordentlich wüstes Volk. Abenteurer, rohe Seeleute, entflohene Sträflinge bildeten die Mehrzahl derselben. Ihrer lockeren Moral und ihrem schlechten Beispiel ist es in hohem Maße zuzuschreiben, daß die eingeborene Rasse so schnell ausstirbt. Unter dieser haben außerdem Epidemien schrecklich aufgeräumt. 1804 starben viele Tausende an einer auf den Inseln wütenden Pest. In Waikiki (einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Honolulu) wurden an einem Tage 300 Tote begraben! 1853 starben mehr als 8000 Menschen an Syphilis und Pocken. 1849 und 1850 rafften die Masern Tausende hin. Kapitän Cook schätzte die Bevölkerung der Sandwichinseln auf 400 000; wahrscheinlich zu hoch, weil er sich durch die vielen Neugierigen, die von allen Inseln herbeigeeilt waren, um die Schiffe zu sehen, täuschen ließ. Aber alle alten Seefahrer veranschlagten die Bevölkerung auf Hunderttausende, wenn auch bedeutend niedriger als Cook. Heute, nach hundert Jahren, sind nur noch 40 000 übriggeblieben! Daß das gänzliche Aussterben der Kanaken nur eine Frage der Zeit ist, muß jedem einleuchten, der die obigen Zahlen aufmerksam gelesen hat.

Besonders traurig ist dies, weil der Volksstamm der Kanaken den meisten Naturvölkern sowohl geistig als körperlich weit voransteht. Die Bewohner von Tahiti, Tonga und Samoa und die Maoris auf Neu-Seeland, welche letzteren mit Erfolg ein Menschenalter lang gegen die Engländer kämpften, gehören zu derselben Rasse. Die Eingeborenen der Sandwichinseln haben sich die neuere Kultur – leider auch deren Laster! – mit Ausnahme einiger nationaler Eigentümlichkeiten, namentlich in Nahrung und Gewohnheiten, erstaunlich schnell angeeignet. Sie kleiden sich wie die Weißen. Ihre Kinder schicken sie freiwillig zur Schule, wo jene die englische Sprache schnell bemeistern; im Parlament zeichnen sie sich als Redner aus; die Gebildeteren unter ihnen wissen so gut in der Politik Bescheid wie irgend ein Yankee; als Seeleute und verwegene Reiter haben sie eine Berühmtheit erlangt. Sie schwärmen für Musik; ihre Vorliebe für Blumen hat etwas Kindliches, das außerordentlich angenehm berührt; sie besitzen einen Schatz von alten Helden- und Göttersagen, worauf jedes Volk der Welt stolz sein könnte. Daß ein solcher Volksstamm nicht die sittliche Kraft besitzt, sich der von den Weißen erlernten Laster zu erwehren, ist tief zu bedauern. Schon der Besuch der Schulen beweist, wie viel Tüchtiges in den Kanaken steckt. Im Jahre 1886 wurden im Königreiche Hawaii 172 Schulen mit 300 Lehrern von 9016 Schülern besucht, die sich nach Nationalitäten folgendermaßen verteilen:

Hawaiier 5881
Portugiesen 1185
Mischlinge 1042
Norweger 55
Amerikaner. 300
Chinesen 130
Engländer 191
Südsee-Insulaner 24
Deutsche 175
Japaner 33

zusammen 9016 Schüler, und zwar 5060 Knaben und 3956 Mädchen. 44 000 Kanaken und Mischlinge sandten also nahezu 7000 Kinder in die Schulen; 20 000 Chinesen nur 130 Kinder! – Der Census-Superintendent macht dazu die Bemerkung, daß volle 80 % der eingeborenen hawaiischen Bevölkerung (d. h. solche, die das 6. Lebensjahr überschritten haben) Schulbildung genossen haben. 2/3 der Schüler werden nur in der englischen Sprache unterrichtet, 1/3 in Hawaiisch; der englische Unterricht ist in rascher Zunahme begriffen. Die für höhere Lehrzweige eingerichteten »Colleges« stehen fast alle unter der Leitung geistlicher Lehrer, namentlich katholischer Priester. Diese vorzüglichen Lehranstalten würden auch in alten Kulturländern ein hohes Ansehen genießen.


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