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Am 7. Dezember 1887 fuhr ich auf dem stattlichen Dampfer Australia durch das goldene Thor hinaus in den großen westlichen Ocean, um dem Reiche Kalakauas einen Besuch abzustatten. Seit vielen Jahren hatte ich mich nach dieser Reise gesehnt. Ich empfand es als eine gerechte Anklage, daß mir, einem alten Californier, der fast jeden Winkel der gesegneten Küstenländer am Stillen Meere, von Panamá bis nach British Columbia, wiederholt besucht hatte, das »Paradies des Pacific«, welches doch eigentlich zu uns gehören sollte, nur ein geographischer Begriff geblieben sei. Drüben im Westen, nur etwa 2000 Seemeilen entfernt, lag der größte thätige Vulkan der Erde mit seinem blutroten tobenden Lavasee; Palmen, Tropenhaine, Zuckerpflanzungen, dunkeläugige Kanakamädchen, einen kaffeebraunen König, Aussätzige u.s.w. gab es dort zu sehn; liebenswürdige Landsleute, die in Honolulu und auf den »Inseln« wie Gott in Frankreich lebten, hatten mich schon öfters zu Besuch eingeladen. In der That, es war eine Schande, daß ich, dem durchaus nichts im Wege stand, die Welt nach Herzenslust zu durchstreifen, erst jetzt diese für meine Begriffe sehr kleine Reise unternahm. Aber so ist der Mensch! Das, was ihm am nächsten liegt, beachtet er am wenigsten, wie es z. B. Tausende in San Francisco giebt, denen die Naturwunder Kaliforniens nur aus Bildern und aus Anzeigen der Eisenbahngesellschaften bekannt geworden sind.
Der eiserne Schraubendampfer Australia, ein Schiff von 1715 Tonnen Gehalt, ist der sogenannte »local steamer« zwischen San Francisco und Honolulu, der jeden Monat einmal die Verbindung zwischen jenen Plätzen herstellt, während seine ebenfalls in Honolulu anlegenden Schwesterschiffe Zealandia, Alameda und Mariposa über Samoa und Aukland bis nach Sydney fahren. Die im Jahre 1875 am Clyde gebaute Australia, welche zur Zeit meiner Reise unter hawaiischer Flagge fuhr, jetzt aber das Sternenbanner trägt, gehört wie die anderen vorhin genannten Dampfschiffe dem berühmten californischen Zuckerkönige Claus Spreckels. Mitunter berühren die chinesischen Dampfer Honolulu, und sogenannte »tramp steamers« (Dampfschiffe, die keine bestimmte Linie innehalten) laufen dort ab und zu an. Auch werden Postsachen und Reisende gelegentlich von den Zucker-Schonern befördert. Die regelmäßige Verbindung zwischen San Francisco und den Sandwichinseln beschränkt sich aber auf die oben genannten vier Dampfer. Eine Fahrkarte, die Beköstigung eingeschlossen, von San Francisco nach Honolulu und zurück, gültig für drei Monate, kostet in der ersten Kajüte 125 Dollars.
Als wir in die endlose Weite des Oceans hinausfuhren, regte sich in mir ein berechtigtes Gefühl der Unzufriedenheit, weil ich zwei oder gar drei Wochen lang (bis der nächste Dampfer von San Francisco in Honolulu anlangen würde) die übliche Morgenzeitung mit Nachrichten aus aller Herren Ländern beim Frühkaffee entbehren mußte. Was konnte nicht alles während dieser Zeit auf unserem Planeten vorfallen? Es ist gewiß keine Kleinigkeit, vierzehn Tage lang darüber im Unklaren zu bleiben, ob der neue Weltkrieg zuerst in Bulgarien oder in der Champagne ausbrechen wird. Alle meine herrlichen Schlachtpläne mußten dabei vollständig wertlos werden! Sehr vernünftig verfuhr ein vor Jahren in Reykjavik in Island wohnender Deutscher, wo damals nur ein einziger Dampfer in zwölf Monaten aus Kopenhagen eintraf. Unser Landsmann erhielt bei dieser Gelegenheit jedesmal den ganzen letzten Jahrgang der Kölnischen Zeitung und las jeden Morgen beim Kaffee oder Isländischen Thee allemal die dem Datum entsprechende vorjährige Nummer der Kölnischen – war also genau ein Jahr in der Tagesgeschichte zurück. Auf der Australia gab es nur Frank Leslies'- und Harper's Wochenblatt zu lesen, deren neueste Nachrichten und nicht gerade Rafaelische Bilder mir nicht einmal den vorjährigen Jahrgang der Kölnischen zu ersetzen vermochten. Nur die jenen Blättern angehefteten Vulkan-Anzeigen fesselten mich durch ihren mir ganz neuen Inhalt.
Die Dampferfahrt war recht einförmig. Nicht ein bischen Seekrankheit stellte sich bei mir ein, um die Langeweile zu vertreiben, obgleich sich die Australia durchaus nicht immer im Gleichgewicht über die Wogenhügel dahin bewegte. Stürme, die mitunter auch das Stille Meer gewaltig aufrütteln, ereigneten sich während unserer Reise gar keine. Ich sehnte mich ordentlich nach einer luftigen Brise; aber der alte Okeanos stand damals mit Boreas und seinen Genossen augenscheinlich auf dem besten Fuß und wurde von diesen gar nicht in seinem Schlafe gestört. Das tierische Leben beschränkte sich auf einige große Seevögel mit langen scharfzugespitzten schwarzen Flügeln, von der Schiffsmannschaft Molly Hawks genannt, die uns unermüdet tagaus, tagein auf unserer Reise begleiteten. Wie diese Vögel es möglich machten, ohne wahrzunehmenden Flügelschlag halbstundenlang hin und her zu kreisen, in der Luft auf und ab zu steigen und oft dicht über die Wogen hinzugleiten, blieb mir lange Zeit ein Rätsel. Ein mitreisender irischer Naturforscher belehrte mich endlich zu meiner Freude, indem er mir mitteilte, daß sich die Molly Hawks lediglich durch ihren Geisteswillen (power of mind) fortbewegen. Welch eine Aussicht für zukünftige Reisende, wenn diese bei erstarktem Willen auf ihrem Koffer durch die Luft von San Francisco nach Honolulu reiten können, und das leidige Fahrgeld von 125 Dollars alsdann ein überwundener Standpunkt sein wird! Daß ich zu früh auf die Welt gekommen war, mußte ich bei diesem Gedanken schmerzlich empfinden. – Der Ocean zeigte so wenige Bewohner wie das Luftmeer. Walfische, nach denen wir oft ausschauten, bekamen wir gar keine zu Gesicht, kein Hai ließ sich blicken, und nur einmal erfreute uns eine Schar lustiger Delphine durch ihre unnachahmlichen Purzelbäume. Nie sah ich eine einsamere See. Ein einziges Segelschiff zog während unserer Reise in weiter Ferne an uns vorüber.
Sechshundert Seemeilen vom goldenen Thor gelangten wir in den sogenannten Mühlenteich (mill pond), der sich bis in die Nähe der Sandwichinseln erstreckt. Die See wird dort nur selten von Winden aufgeregt und liegt fast bewegungslos da; daher der Name. Die Witterung wurde jetzt merklich wärmer, das Meer nahm eine tiefblaue Färbung an. Als wir uns dem Wendekreise des Krebses näherten, kamen leichte Sommerkleider zum Vorschein, viele Mitreisende, namentlich Damen, die ich bis jetzt noch nicht gesehen hatte, erschienen auf dem Verdeck mit abgehärmten Gesichtszügen und suchten ihre Stühle. Viele Reisende auf diesen Dampfern pflegen nämlich ihren eigenen Stuhl mitzunehmen, weil solche außerhalb der Kajüten nicht vorhanden sind. Die verschiedenen Sorten von Klappstühlen, Hängestühlen, Schlafstühlen, Ausziehstühlen u.s.w., welche man auf diesen Schiffen zu sehen bekommt, würden einen Möbelhändler in Entzücken versetzen. Die wunderbarsten Stühle sind allemal das Eigentum eines Engländers und kommen aus der Werkstatt eines Yankees. Jeder reisende John Bull schleppt seinen eigenen Stuhl von einem Ende der Erde nach dem anderen mit sich. Wehe dem, der sich unberufen auf einem solchen Privatstuhl niederläßt. Mit den Worten »if you please, Sir!« wird ihm bald seine Stuhlarmut klar gemacht, und der rechtmäßige Eigentümer läßt sich auf dem bequemen Sessel nieder, in welchem jener eben noch mit sinnigen Betrachtungen auf das unendliche Meer hinausschaute, oder sich in einen Räuberroman vertieft hatte. Daß die Engländer die seltsamsten Reiseanzüge tragen, wird jedem, der aus seinen heimischen vier Wänden einmal herausgekommen ist, nichts Neues sein. Aber praktisch sind unsere Vettern aus Altengland immer, sei es frühmorgens, wenn sie in weißen Flanellanzügen mit dem Riesenschwamm in der Hand ins Bad gehn, sei es bei Tage, wenn sie ihre karierten Joppen, ihre Pumphosen und Troddelmützen zur Schau tragen.
Das Verdeck war jetzt stets voll von Reisenden beiderlei Geschlechts, die entweder spazieren gingen oder Romane lasen, oder mit Bleigewichten nach dem Strich warfen, und sich in ähnlichen geistreichen Spielen ergingen. In der Kajüte wurde das Klavier von den schlechtesten Spielerinnen fast unausgesetzt gemißhandelt. Mitunter wurde dort, oder nach Dunkelwerden auf dem oberen Verdeck getanzt. Der funkelnde Sternenhimmel diente in letzterem Falle zur Beleuchtung, die laue Tropenluft fächelte die Wangen der Schönen, während die Maschine stampfte und der Dampfer rastlos weiter eilte. Im Rauchzimmer drehte sich die Unterhaltung beim Whist und Pokerspiel meistens um Leprosie, worüber der lustige Schiffsarzt uns gern Aufklärung verschaffte. Mehrere Mitreisende wären gern umgekehrt, als sie von der großen Gefahr des Aussatzes erfuhren, der sie in Honolulu ausgesetzt sein würden, wo diese ekelhafte Krankheit häufig von den Kranken auf die Gesunden durch die Moskitos übertragen wird.
Am sechsten Tage unserer Meerfahrt wurde die Hospital-Abgabe von zwei Dollars von jedem Reisenden eingefordert. Ich erfuhr, daß mich das Bezahlen dieser Abgabe durchaus nicht zu einem freien Unterkommen im Krankenhause in Honolulu berechtigte, daß dieselbe vielmehr ein bequemes Einkommen der hawaiischen Regierung ist, welche damit den Fremden einen Teil der Kosten für den Staatshaushalt auferlegt.
Die See ward jetzt unruhig und Scharen von Möwen umschwebten das Schiff, ein Beweis, daß Land in der Nähe war. Am Vormittage des 14. Dezembers stiegen blaue Wolken, die Berge der Sandwichinseln, aus dem Ocean empor. Bald darauf erhoben sich die beiden 1206 und 644 Fuß hohen grünen Bergkuppen von Koko Head auf der Insel Oahu (Oáchu)Die Insel Oahu, auf welcher Honolulu, die Hauptstadt des hawaiischen Königreichs, liegt, ist ungefähr 150 Q Kilometer größer, als die Insel Rügen. aus dem Meere und wurden mit Jubel begrüßt. Dann erschien der malerische, langgestreckte alte Kraterwall Diamond Head als überaus prächtige Landmarke des Hafens von Honolulu. Eine lange Berglinie, mit Schluchten, zahlreichen Gipfeln und schwarz-braunen Felszacken, auf welcher in dunklen Wolkenzügen ein doppelter Regenbogen leuchtete, schloß sich daran an, grüne Thäler erstreckten sich vom Gebirge bis ans Meer, am Strande lag ein Kokospalmenhain, die Landschaft war weit und breit mit grünen Bäumen bedeckt, zwischen denen zahlreiche weiße Wohnhäuser hervorlugten; davor breitete sich der blaue Meeresspiegel aus – ein wundervolles Bild!
Die Stadt Honolulu mit dem Punch-Bowl-Berge im Hintergrunde, die wie in einem großen Park dalag, der von Schiffen belebte Hafen mit seinen Landungsbrücken und Lagerhäusern, traten jetzt rasch näher heran. Ein von Kanaken gerudertes Boot brachte den Lotsen an Bord. Die braunen Ruderer, kräftige, muskulöse Gestalten, konnten als tüchtige Seeleute recht gut den Vergleich mit der Mannschaft der beiden Böte aushalten, welche bald darauf das im Hafen liegende englische Kriegsschiff Caroline und der V. St. Kriegsdampfer Vandalia nach der Australia sandten, um die für ihre Schiffe bestimmten Postsäcke in Empfang zu nehmen. Die Vandalen waren den Briten sowohl an Aussehen als an Seemannskunst augenscheinlich überlegen, was die auf das Sternenbanner schwörenden Reisenden der Australia mit Stolz erfüllte.
Nachdem ein Gesundheitsbeamter die in Reih und Glied aufmarschierten Reisenden oberflächlich betrachtet hatte, um festzustellen, ob nicht dieser oder jener unter uns mit den schwarzen Blattern behaftet sei, und dieser Punkt zur Zufriedenheit erledigt war, hinderte den Dampfer nichts mehr daran, in den Hafen einzulaufen. Innerhalb des Korallenriffs empfingen uns mehrere junge Kanaken, die aus einem Boote ins Meer sprangen und wie die Enten um unser Schiff herum schwammen. Wir warfen kleine Münzen in das Wasser, welche von den untertauchenden braunen Gesellen ohne Mühe erhascht wurden. Während die Männer unter den Reisenden dies zweifelhafte Vergnügen, ihr Geld fortzuwerfen, bald einstellten, fuhren mehrere englische, wissenschaftlich veranlagte Damen, die ihre Kenntnisse über den Körperbau der Kanaken bereichern wollten, noch eine Zeitlang eifrig damit fort, ihre Nickels in das Meer zu werfen. Im Hafen lagen die V. St. Kriegsschiffe Vandalia, Juniata und Mohican und der britische Kriegsdampfer Caroline friedlich nebeneinander. Bald hatten wir die von Menschen und Fuhrwerken förmlich wimmelnde Landungsbrücke erreicht, an welcher unser gutes Schiff nach einer Fahrt von 2100 Seemeilen, die genau sieben Tage gedauert hatte, wohlbehalten anlegte. Die braunen Zöllner waren außerordentlich zuvorkommend gegen die Reisenden und erlaubten denselben, den gastlichen Boden des Königreichs Hawaii zu betreten, ohne zuvor das Handgepäck einer kritischen Musterung zu unterwerfen. Mich zwischen blumenbehängten Kanaken und einem wahren Völkergemisch der Inselbewohner hindurch drängend, erhaschte ich bald einen der vielen Einspänner und fuhr schnell durch die Stadt nach dem Hawaiian Hotel, wo ich ein vortreffliches Unterkommen fand.