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Heinz der Zeichner


Ein Pictenlied.

Rom reitet stolz in Feindesland,
Wie grausam stapft der harte Huf
Auf unser Haupt und Herz und Land;
Umsonst ist unser Schreckensruf.
Und ziehn die Legionen fort,
Dann sammeln wir uns hinterher
Und halten Rat; das müß'ge Wort
Blieb uns – doch keine Waffe mehr!

Wir sind das kleine Volk! – Zu klein
Für Feindeshaß und Liebesmüh'n. –
Laßt uns nur Zeit! Bald seht Ihr ein,
Daß wir die Großen niederziehn!
Wir sind der Wurm im starken Ast,
Der Giftkeim, der das Mark zerfrißt,
Die Fäulnis, die den Stamm erfaßt,
Der Dorn, an dem der Fuß sich spießt!

Die Mistel, die den Baum umschlingt,
Die Ratten, die die Wand bedräu'n,
Die Motte, die in Kleider dringt,
Wie muß sie die Zerstörung freu'n!
Und wir, das kleine Volk? – Habt acht!
Wir haben's jenen abgesehn!
Wir sind am Werk! Eh' ihr's gedacht,
Ist es um euere Kraft geschehn!

's ist wahr! Wir sind zu schwach und klein.
Doch starke Völker stehn bereit,
Die werden unsre Kämpfer sein,
Zerschmettern euch im harten Streit!
Daß sie uns knechten, gilt uns gleich!
Uns ging ja stets die Freiheit ab!
Ihr sterbt vor Scham, besiegt man euch –
Dann tanzen wir auf eurem Grab!

Wir sind das kleine Volk! – usw.

Heinz der Zeichner.

An einem regnerischen Nachmittag waren Dan und Una in die »Kleine Mühle« gefahren und wollten dort Seeräuber spielen. Wenn man sich aus Ratten auf den Sparren und den Haferkörnern in den Schuhen nichts macht, so ist das oberste Stübchen der Mühle mit seinen Falltüren und den Inschriften auf den Balken über Hochwasser und Liebesgram der feinste Tummelplatz. Das Licht fällt durch ein fußhohes Fenster, das sie das »Puppenfenster« nannten, und von wo man Lindensfarm überblicken kann.

Als sie die Leiter zu ihrem Versteck erklommen hatten (sie hieß »der Großmast« nach Sir Andrew Bartons Seeballade; und Dan »lenkte« eben »mit aller Kraft«, wie es in dem Liede heißt –), erblickten sie einen Mann, der auf dem Fensterbrett saß. Er trug ein pflaumenblaues Wams, enge Hosen von gleicher Farbe und zeichnete eifrig in einem rotgeränderten Buche.

»Setzt euch! Setzt euch!« rief Puck von einem Dachbalken herab. »Seht, wie gut es einem kommt, wenn man schön ist! Ritter Heinrich (pardon! Heinz wollte ich sagen!) Dawe sagt, mein Gesicht sei die herrlichste Vorlage für einen Wasserspeier!«

Der Zeichner lachte und zog die dunkle Samtkappe zum Gruße, wobei seine grauen Haare wie vom Winde bewegt auseinanderfluteten. Er war alt – wenigstens vierzig Jahre – aber seine Augen waren jung und von einer Unzahl lustiger Runzeln umgeben. Eine gestickte Ledertasche, welche ihm vom breiten Gürtel hing, erregte Neugierde.

»Dürfen wir zuschauen?« Una kam schüchtern näher.

»Aber gewiß! Nur zu!« sagte jener, rückte ein wenig zur Seite und zeichnete mit seinem Silberstifte weiter. Puck saß da, als sollte das Grinsen niemals mehr von seinem breiten Gesichte schwinden, während er die schnelle, sichere Hand beobachtete, die seine Züge festhielt. Nun zog der Mann eine rote Feder aus der Tasche und spitzte sie mit einem kleinen Elfenbeinmesser, das die Form eines Fisches hatte.

»Ach, das feine Messer!« rief Dan aus.

»Achtung auf die Finger! Die Klinge ist verteufelt scharf! Ich machte sie selbst aus dem besten niederländischen Waffenstahl. Und den Fisch auch. Schiebt man die Rückenflosse zurück – so! – dann verschluckt er die Klinge, wie der Walfisch weiland den alten Jonas. – – Und das hier, das ist mein Tintenhorn; die vier silbernen Heiligen daran sind von mir. Man drückt auf den Kopf des Barnabas: der Deckel öffnet sich – so!« Er tauchte die Feder ein und zog mit bedächtiger Sicherheit die bezeichnendsten Linien in das rauhe Gesicht des Kobolds, das er zuvor mit dem Silberstift nur angedeutet hatte.

Die Kinder staunten mit offenem Munde, so lebendig blickte sie das Bild an.

Der Regen prasselte auf die Ziegel, während er arbeitete. Dabei plauderte er drauf los – bald laut, bald murmelnd, dann wieder ganz verstummend, um mit Stirnrunzeln oder mit zufriedenem Lächeln die Arbeit zu betrachten. Er erzählte, er sei auf Lindensfarm geboren; sein Vater habe ihn oft verprügelt, weil er herumkritzelte, statt etwas Vernünftiges zu tun, bis ein alter Priester, Frater Roger hieß er, der die Buchstaben in den Büchern reicher Leute kolorierte, die Eltern überredete, daß sie ihm den Knaben sozusagen als Malerlehrling anvertrauten. Mit ihm kam er dann nach Oxford, wo er Paletten wusch und den Studenten Mäntel und Schuhe ins Haus trug.

»Das hat dir sicherlich nicht gefallen?« meinte Dan nach vielen anderen Fragen.

»Ich dachte weiter nicht darüber nach! Halb Oxford baute damals neue Kollegien oder renovierte die alten und hatte dazu die größten Meister der gesamten Christenheit berufen – Könige in ihrem Handwerk und Freunde von Königen! Ich kannte sie alle, ich arbeitete für sie; das genügte mir; was Wunder, daß ich selbst –«, er hielt lachend inne.

»– daß du ein großer Künstler wurdest, Heinz,« ergänzte Puck.

»So hieß es; selbst Bramante sagte das.«

»Wieso? Was hast du gemacht?« wollte Dan wissen.

»O, Steinarbeiten und dergleichen – in ganz England! Du hast wohl nichts davon gehört. Um gleich etwas zu nennen: unsere kleine Barnabaskirche habe ich umgebaut. Keine zweite Arbeit hat mir so viel Müh' und Sorge gemacht! Es war eine gesunde Lektion für mich.«

»Das kenn' ich,« tröstete Dan. »Wir haben auch heute früh Lektion gehabt.«

»Wir wollen uns trösten, mein Junge,« meinte Heinz, während Puck vor Lachen brüllte. »Es ist seltsam, wenn ich dran denke, wie diese kleine Kirche umgebaut, verschönert und mit neuem Dache versehen wurde – und das alles mit Hilfe einiger tüchtiger, südsächsischer Eisengießer, eines Matrosenburschen aus Bristol und eines stolzen Esels, der sich ›Heinz der Zeichner‹ nannte, und –« er schloß den Satz zögernd – »eines schottischen Seeräubers.«

»Eines Seeräubers!« flüsterte Dan und rückte aufgeregt hin und her, wie ein Fisch, der angebissen hat.

»Es war eben jener Andreas Barton, von dem ihr auf der Stiege gesungen habt!« Er tauchte die Feder von neuem ein und verstummte über einer kühngeschwungenen Linie; er schien alles um sich her vergessen zu haben.

»Piraten bauen doch sonst keine Kirchen,« begann Dan nochmals, »oder doch?«

»Sie helfen wacker mit,« lachte Heinz.

»Und warum half Euch Andreas Barton,« mischte sich Una ein.

»Wer weiß, ob er es mit Wissen tat,« erwiderte jener mit lustigem Zwinkern. »Ach Puck, wie um des Herrn willen soll ich diesen unschuldigen Lämmlein erzählen, wie ich meinen sündhaften Stolz büßte?«

»O, davon verstehen wir schon etwas,« rief Una keck. »Wenn man zu üppig wird – zu übermütig, meine ich –, gleich erwischt's einen! Natürlich!«

Heinz sann ein Weilchen vor sich hin, während ihm Puck mit gelehrten Ausdrücken zuredete.

»Ja, so erging es auch mir!« hub er dann an. »Üppig, wie ihr es nennt – so habe auch ich mich aufgeführt. Ich war stolz auf – auf solche Sachen, wie Kirchenhallen (die gotische Eingangshalle zu Linkoln beispielsweise!), stolz auf meine Künstlerhand, stolz auf meinen Adel, den mir der König für die goldene Schnörkelverzierung am Buge seines Privatschiffes verlieh. Aber Frater Roger, der in der Universitätsbibliothek arbeitete, der dachte an mich! Auf der Höhe meines Stolzes, als gerade ich auserlesen war, das Portal zu Linkoln zu bauen, drang er mit warnendem Finger in mich, in meine südsächsische Heimat zurückzukehren und dort auf eigene Kosten unsere alte Kirche umzubauen, wo die Dawes seit sechs Generationen begraben liegen. ›Hinweg! Sohn meiner Kunst!‹ rief er. ›Erst raufe dich daheim mit dem Teufel, bevor du dich einen Mann und Meister nennen darfst!‹ Ich schlug die Augen nieder – und folgte ... Ist es gelungen, Puck?« Er hielt triumphierend die fertige Skizze in die Höhe.

»Das bin ich, aufs Haar!« lobte jener und schnitt Grimassen wie vor einem Spiegel. »Sieh mal, der Regen hat aufgehört. Ich hasse es, tagsüber unter Dach zu hocken!«

»Schluß! Feierabend!« rief Heinz zustimmend und sprang auf. »Wer geht mit nach Lindensfarm? Dort wollen wir plaudern!«

Man stürzte die Treppe hinab und stürmte an den triefenden Weiden am Mühldamme vorüber.

»Du meine Güte!« rief Heinz und starrte in den Hopfengarten, der eben in Blüte stand. »Ist das Wein? Nicht doch – und auch Bohnen können's nicht sein – die Ranken sind anders!« Und schon zeichnete er in seinem Buche.

»Das ist Hopfen. Den gab es zu deiner Zeit nicht. Es ist eine Pflanze des Mars, und die gedörrten Blüten würzen das Bier. –

Truthähne, Ketzertum, Hopfen und Bier
Kamen in England zugleich herfür

heißt es im Volke.«

»Ketzerei kenn' ich; Hopfen habe ich nun auch gesehen – und danke Gott für den schönen Anblick! Aber was sind Truthähne?«

Die Kinder lachten. Sie wußten, auf Lindensfarm gab es welche; und richtig – kaum waren sie im Garten auf dem Hügel, da kam die ganze Schar herangerauscht. Im Nu war auch schon Heinzens Stift an der Arbeit.

»Der Tausend!« rief er. »Das ist ja der leibhaftige Hochmut in Purpurfedern! Welch aufbrausender Stolz! Der Triumph des Fleisches! Wie nennt man die?«

»Truthahn! Truthahn!« jubelten die Kinder, während der Älteste kollernd gegen Heinzens pflaumenblaue Hose tobte und wütete.

»Spar' dir dein Prahlen!« rief er. »Heut hab' ich zwei feine Sachen zum ersten Male skizziert!« Er zog scherzend vor dem sprudelnden Tiere die Kappe.

Dann wanderte man durch das Gras dem Hügel zu, wo Lindensfarm liegt. Das alte Wirtschaftsgebäude, welches bis zum Grund mit Ziegeln bedeckt war, strahlte wie ein blutroter Rubin im Abendlichte. An den Kaminen pickten Tauben den Mörtel los; die Bienen, die seit der Erbauung des Hauses unter den Dachziegeln wohnten, erfüllten die Luft des Augustabends mit ihrem Gesumm. Der Geruch des Buchsbaums neben dem Fenster der Milchkammer mischte sich mit dem Geruche der regengetränkten Erde, mit dem frischgebackenen Brotes und dem feinen Dufte des nahen Waldes. Nun trat die Bäuerin vor die Tür, ihr Jüngstes im Arme, beschattete die Augen vor der Sonne, bückte sich, um einen Rosmarinzweig zu brechen und ging dann den Obstgarten hinab. Der alte Wachtelhund bellte noch ein paarmal, zum Zeichen, daß er ein leeres Haus behüte. Jetzt öffnete Puck die Gartentüre.

»Wundert ihr euch nun, daß ich hier so gerne lebe?« flüsterte Heinz. »Was wissen die Städter von Heimat und Natur?«

Sie ließen sich in einer Reihe auf einer alten, roh zubehauenen Eichenbank des Gartens nieder und blickten über das Flußtal hinweg auf die von Farnen überwucherten Gruben und Höhlen bei der Schmiede hinter Hobdens Hause. Der Alte hackte sich eben im Garten neben den Bienenstöcken ein Reisigbündel zurecht. Es währte eine gute Sekunde nach dem Niederfallen der Axt, bis der dumpfe Schlag die schläfrigen Ohren erreichte.

»Hm! Ja!« begann Heinz. »Ich denke der Zeit, da war dort, wo jetzt der Alte steht, die ›untere Schmiede‹ – Meister John Collins Schmelzhütte. Manche Nacht hat sein gewaltiger Schlaghammer mein Bett in Zittern verseht. Bummbitti! Bummbitti! War der Wind östlich, dann hörte ich auch desselben Meisters Schmiede zu Stockens ihrer Schwester antworten: Bumm-upp! Bumm-upp! und halbwegs dazwischen zu Brightling lärmten Meister Pelhams Schmiedehämmer wie eine Schar Lateinschüler; Hic-Haec-Hoc! Hic-haec-hoc! ging's, bis ich einschlief. Ja, das Tal war so voll von Schmieden aller Art wie ein Maidickicht von Kuckucken. – Alles verschwunden!« –

»Was wurde hier gemacht?« fragte Dan.

»Kanonen für die Schiffe des Königs – und auch für andere! Hauptsächlich Geschütze und Feldschlangen. Wenn sie gegossen waren, gleich waren die Beamten des Königs da und nahmen uns die Pflugochsen weg, um die Kanonen an die Küste zu schleppen. Seht, hier habe ich einen der ersten und tüchtigsten Meister zur See!«

Er hielt ihnen ein schwarzes Blatt seines Buches hin und zeigte den Kopf eines jungen Mannes; darunter stand: »Sebastianus«.

»Er kam zu Meister John Collins mit königlichem Auftrag für zwanzig Feldschlangen (das sind euch höllische Dinger!), mit denen eine Flotte ausgerüstet werden sollte. Ich zeichnete ihn, während er an unserem Herde saß und meiner Mutter von den fernen Landen erzählte, die er jenseits des Meeres entdecken wollte. Und er hat sie auch entdeckt! Seht, hat er nicht ganz die Nase dazu, um sich durch unbekannte Meere durchzuschnüffeln? Cabot hieß er – war aus Bristol – war nur mütterlicherseits Engländer. Ich hielt gar große Stücke auf ihn! Hat mir auch beim Kirchbau redlich geholfen!«

»Ich dachte, das war Sir Andrew Barton?« warf Dan ein.

»Nur langsam! Erst der Grund, dann das Dach! Sebastian hat mir erst die Wege geebnet. Ich war hergekommen, nicht um Gott zu dienen, wie es einem Meister geziemt, sondern um meinen Landsleuten zu zeigen, was ich für ein tüchtiger Kerl sei. Sie kehrten sich nicht daran (geschah mir schon recht!) und scherten sich den Teufel um meine Kunst und Größe! Was, zum Donnerwetter, meinten sie, gehe mich die alte Kirche zu Sankt Barnabas an? Seit der Zeit des schwarzen Todes sei sie schon baufällig, und so sollte sie fürder bleiben; ich möge mich nur auf meinem neuen Gerüste gefälligst aufhängen! Adel und Volk, hoch und nieder – alles steckte unter einer Decke gegen mich! Nur Sir John Pelham da drüben zu Brightling meinte: ›Mut gefaßt und drauf los!‹ Aber wie anfangen? Ersuchte ich Meister Collins um sein Zuggespann, um Balken in die Höhe zu ziehen – seine Ochsen waren nach Lewes um Kalk gefahren! Er versprach mir Klammern und Eisenbänder für das Dach – ich bekam sie nie; oder sie waren gespalten und brüchig! So ging's mit allem! Man sagte nichts, aber man arbeitete nichts für mich, außer wenn ich dabei stand, und dann machte man alles schlecht. Es war schier, als sei die ganze Gegend verhext!«

»Das war sie auch – verlaß dich darauf!« meinte Puck, das Kinn auf die Knie gestützt. »Und hast du nie jemand Bestimmten in Verdacht gehabt?«

»Erst als Sebastian auf seine Kanonen wartete, und John Collins ihm dieselben hündischen Ränke gespielt hatte wie mir mit meinen Gerätschaften. Woche ein, Woche aus wurden zwei oder drei Kanonen beim Gusse brüchig und mußten, wie es hieß, neuerdings eingeschmolzen werden. John Collins schüttelte immer den Kopf und versicherte, er könne kein Geschütz für den Dienst des Königs liefern, wenn es nicht vollkommen sei. Himmel! Wie Sebastian wütete! Das weiß ich am besten; auf dieser Bank saßen wir oft und klagten uns gegenseitig unser Leid.

Als sich Sebastian sechs Wochen lang hier geärgert und erst sechs Kanonen erhalten hatte, bekomme ich von Dirk Brenzett, Meister des Lichterschiffes ›Schwan‹, die Nachricht, den Steinblock für das neue Taufbecken, den ich aus Frankreich bezogen hatte, habe er über Bord werfen müssen, um sein Schiff zu erleichtern, weil es von Sir Andrew Barton bis in den Hafen von Rye verfolgt worden war.«

»Aha! Der Seeräuber!« rief Dan.

»Jawohl; und während ich mir darob die Haare raufe, kommt Will, mein bester Steinmetz, daher, zittert an allen Gliedern und erzählt, der leibhaftige Teufel mit Hörnern, Schweif und Kette, sei beim Kirchturm auf ihn losgefahren, und die Leute weigerten sich weiterzuarbeiten. So ließ ich denn die Arbeit einstellen und ging in die ›Glocke‹ auf ein Glas Bier. Dort meinte Sir John Collins: ›Mach' was du willst! Ich an deiner Stelle wüßte mir das Zeichen zu deuten und ließe die Barnabaskirche in Frieden!‹ Und alle nickten mit den sündigen Köpfen und stimmten zu. Denn sie hatten vor mir größere Angst als vor dem Teufel – was ich später erfuhr.

Als ich meine schöne Neuigkeit nach Hause brachte, weißte Sebastian eben für meine Mutter die Küchenbalken. Denn er liebte sie wie ein Sohn.

›Nur Mut!‹ tröstete er. ›Gott lebt noch! Nur wir beide sind zufällig ein paar gewaltige Esel! Man hat uns gefoppt, Heinz, und ich schäme mich, als Seemann, daß ich es nicht voraussah. Du mußt den Glockenturm in Ruhe lassen – drin ist der Teufel los! Und ich kriege meine Kanonen nicht – weil sie Collins nicht zustande bringt! Inzwischen macht Sir Andrew Barton im Hafen von Rye auf Schiffe Jagd. Was das zu bedeuten hat? Daß Barton die Kanonen bekommen soll, auf die ich Unglücksmensch vergeblich warten muß. Und ich wette meinen Anteil an der neuen Welt, besagte Kanonen liegen im Kirchturme versteckt! Es ist so klar, wie die irische See zu Mittag!‹

›Sie werden sich doch so etwas nicht getrauen!‹ zweifelte ich. ›Und zudem: den Feinden des Königs Kanonen zu verkaufen, ist Hochverrat – Hängen und Geldbuße steht darauf.‹

›Jedenfalls ist reicher Gewinn in Aussicht. Dafür wagt mancher den Hals! Ich war ja selbst Kapitän eines Handelsschiffes. Aber jetzt müssen wir ihnen (zur Ehre Bristols!) zeigen, daß wir es mit ihnen aufnehmen können!‹

Und nun heckten wir, auf dem Eimer sitzend, einen Plan aus. Wir gaben vor, nächsten Dienstag nach London reiten zu wollen, nahmen von unseren Freunden zum Scheine Abschied – besonders von Meister Collins. Hinter dem Walde kehrten wir um, ritten über die Wiesen heim, verbargen die Pferde in einem Weidengebüsch beim Pfarracker und stahlen uns nächtens auf den Fußspitzen zum Kirchturme. Es herrschte dichter Nebel, den der Mond erhellte.

Kaum hatten wir die Türe des Turmes hinter uns verriegelt, plumps! fiel Sebastian der Länge nach in der Finsternis hin. ›Daß euch die Pest!‹ fluchte er. ›Heb' die Füße hoch, Heinz, und fühl' deinen Weg. Ich bin nicht zum ersten Male über Kanonen gestolpert!‹

Ich tastete umher – richtig! Trotzdem es pechfinster war, zählte ich zwanzig blanke Kanonenläufe, die hier auf Stroh gebettet lagen. Einfach unverhüllt dalagen! ›Auf meiner Seite hier liegen noch zwei kleine,‹ meinte Sebastian, an das Metall pochend. ›Die gehören für Andrew Bartons Zwischendeck. O, Collins! O, du Ehrenmann! Dies also ist sein Lagerraum, sein Arsenal, seine Rüstkammer. Siehst du nun, warum dein Eifer und deine Neugierde den Teufel in Sussex wachgerufen haben? Du hast eben Johns ehrlichen Handel seit Monaten gehindert,‹ schloß er lachend. – Ein Ziegelturm ist zur Nachtzeit wahrlich keine Wärmestube; wir stiegen also die Treppen empor; auf einmal tritt Sebastian auf eine Kuhhaut mit Hörnern und Schweif.

›Aha! Hier hat der Teufel sein Wams gelassen! Wie steht es mir, Heinz?‹ Er warf die Haut um und sprang hin und her, während ihn der Mond durchs Fenster mit seinem Lichte übergoß – es war ein wahrhaft teuflischer Anblick. Dann setzte er sich auf die Stufen, peitschte die Balken mit dem Schweife und war von rückwärts noch fürchterlicher anzusehen als zuvor. Eine Eule kam herangeflattert und flog kreischend um die Hörner.

›Man soll den Teufel nicht rufen, sonst kommt er,‹ flüsterte Sebastian. ›Aber auch dieses Sprichwort ist falsch; denn ich höre eben, daß jemand ungerufen die Türe öffnet!‹

›Ich habe sie doch versperrt!‹ meinte ich. ›Wer, zum Kuckuck, hat denn einen Nachschlüssel?‹

›Die ganze Gemeinde, nach ihren Schritten zu schließen,‹ erwiderte er und spähte in die dunkle Tiefe. ›Leise, Heinz, leise! Hör', wie sie ächzen. Das sind todsicher wieder ein paar von meinen Feldschlangen. Eine – zwei – drei – vier Stück bringen sie geschleppt. Meiner Treu, Andrew rüstet sich wie ein Admiral! Vierundzwanzig Kanonen sind's nun!‹

Wie ein Echo hallte jetzt Collins Stimme herauf: ›Vierundzwanzig Kanonen und zwei kleine Feldschlangen. Die Lieferung für Sir Andrew Barton ist fertig!‹

›Höflichkeit kostet nichts,‹ flüsterte mein Freund. ›Soll ich ihm meinen Dolch auf den Kopf fallen lassen?‹

›Donnerstag gehen sie mit den Wollfuhren, zwischen den Ballen versteckt, nach Rye,‹ nahm Collins wieder das Wort. ›Brenzett empfängt sie wie gewöhnlich in Udimore.‹

›Du meine Güte, was für ein glattes, müheloses Geschäft ist das!‹ sagte Sebastian. ›Ich wette, wir zwei sind die einzigen, ahnungslosen Knäblein im Dorf, die keinen Teil an diesem sauberen Handel haben!‹

Unten stand eine ganze Schar von Männern und lärmte wie auf einem Jahrmarkte. Ich zählte sie nach den Stimmen. Dann hub Meister Collins mit seiner Fistelstimme wieder an: ›Die Kanonen für das französische Kauffahrteischiff müssen in einem Monate hier fertig liegen. Will, wann kommt dein junger Narr (das ging natürlich auf mich!) aus London zurück?‹

›Keine Angst!‹ hörte ich Will antworten. ›Legt Eure Kanonen ruhig her! Wir fürchten uns gegenwärtig viel zu sehr vor dem Teufel, um dem Turme nahezukommen.‹ Dabei lachte der lange Schurke.

›Ja, du verstehst es hauptgut, den Teufel zu zitieren!‹ lachte ein andrer.

›Aaa–men!‹ brüllte da Sebastian auf, und bevor ich ihn zurückhalten konnte, sprang er – ein wahres Teufelsbild! – unter lautem Heulen die Treppe hinunter. Noch ehe er auf den ersten losfahren konnte, liefen sie schon davon! Himmel! Wie sie rannten! Wir hörten noch, wie sie an das Tor der ›Glocke‹ donnerten, dann machten auch wir uns davon.

Sebastian nahm den Schweif unter den Arm und setzte über einen Brombeerstrauch. ›Was jetzt?‹ fragte er. ›Ich habe dem ehrlichen John sein Gesicht nicht übel zugerichtet!‹

›Wir reiten zu Sir John Pelham,‹ riet ich. ›er ist der einzige, der zu mir steht.‹

So ritten wir denn nach Brightling, trugen Sir John, als dem Friedensrichter, unsere Sache vor und zeigten ihm die Kuhhaut, die Sebastian noch immer umgeschlungen hatte; er lachte, daß ihm die Tränen übers Gesicht liefen. ›Du meine Güte!‹ rief er dann: ›Nun, noch vor Tagesanbruch soll euch euer Recht werden! Was ist eure Klage? Meister Collins ist ein alter Freund von mir.‹

›Aber nicht der meine,‹ versetzte ich. ›Wenn ich daran denke, wie er mich samt seinen Spießgesellen bei meiner Arbeit an der Kirche hingehalten und hinters Licht geführt hat –‹; die Wut erstickte meine Stimme.

›Nun ja, aber ihr seht doch, daß er den Turm für andere Zwecke brauchte,‹ sagte der Richter sanftmütig.

›Und meine Kanonen desgleichen,‹ fuhr Sebastian auf. ›Ich wäre schon auf halbem Wege über das Westmeer, wären sie zur Zeit fertig geworden! Aber Euer alter Freund mußte sie eben einem schottischen Seeräuber verkaufen!‹

›Wo ist euer Beweis?‹ fragte Sir John, seinen Bart streichelnd.

›Der Beweis liegt im Turme; ich habe mir an ihm das Schienbein wundgestoßen! Und wir hörten auch, wie Meister Collins Auftrag gab, wohin sie gebracht werden sollten.‹

›Worte! Nichts als Worte! Meister Collins mag wohl wieder ein bißchen gelogen haben – das ist alles!‹ Er sagte das so ernst, daß wir für einen Augenblick glaubten, auch er sei in den geheimen Handel verwickelt und zweifelten schon, daß es überhaupt einen ehrlichen Meister in ganz Sussex gebe.

›Nun aber vernünftig!‹ schrie mein Freund und schlug mit dem Kuhschwanz auf den Tisch. ›Wem gehören also die Kanonen?‹

›Euch – das ist doch klar! Ihr seid mit königlichem Auftrag zu Meister John gekommen, und er gießt sie Euch in seiner Hütte. Wenn es ihm Spaß macht, sie von der ›unteren Schmiede‹ bis in den Turm zu schaffen – nun, um so näher habt Ihr sie an der Hauptstraße, und Ihr erspart einen ganzen Tag beim Transport. Geht, junger Mann, was Ihr gleich für ein Wesen aus einem bloßen freundnachbarlichen Liebesdienst macht!‹

›Ich fürchte, ich hab' ihm seinen Liebesdienst recht übel gelohnt,‹ meinte Sebastian, seine Faust betrachtend. ›Wie steht's aber mit den kleinen Kanonen? Die stehen nicht im Auftrage – wiewohl ich sie recht gut brauchen könnte!‹

›Eine Gefälligkeit – ein Andenken!‹ erklärte Sir John. ›Ohne Frage hat John in seinem Eifer für den König und aus Liebe für Euch die zwei kleinen Kanonen als Geschenk dazugegeben. Das ist doch so klar wie der kommende Morgen, du Dummkopf!‹

›Noch klarer!‹ lachte Sebastian. ›O, Sir John! Sir John, warum seid Ihr nicht zur See gegangen? Es ist schade um Euch auf dem Festlande!‹ Und er blickte ihn mit liebender Bewunderung an.

›Ich tue auch hier, was ich vermag!‹ Sir John strich wieder seinen Bart und ließ dann weiter seine tiefe Stimme als Friedensrichter vernehmen: ›Noch eins, meine jungen Freunde: bei einem nächtlichen Ulke, den ich nicht weiter untersuchen will, treibt ihr euch in Wirtshäusern herum, stört dann Meister Collins bei seinem –‹ (er hielt einen Augenblick inne!) ›bei seinem Freundesdienst, den er euch im stillen erweist, stört ihn, sag' ich, in höchst grausamer Weise –‹

›Stimmt!‹ unterbrach ihn Sebastian lachend. ›Ihr hättet nur sehen sollen, wie er rannte!‹

›– drauf reitet ihr Hals über Kopf zu mir und tischt mir eine Geschichte von Seeräubern, Wollwagen und Kuhhäuten auf, die, so sehr sie mich als Menschen belustigt, meinen Verstand als Richter höchlich verletzt! Drum will ich euch gleich mit einigen meiner Leute und ein paar Lastwagen zum Turme geleiten und bürge Euch, Meister Sebastian, daß Euch John Collins Eure Kanonen, samt den zwei kleinen herausgibt.‹ Dann fuhr er mit seiner gewöhnlichen Stimme fort: ›Ich hab' den alten Fuchs und seine Nachbarn schon immer gewarnt, daß ihnen ihre Schleichhändel und geheimen Geschäftchen mal schief gehen würden. Aber können wir halb Sussex wegen einer kleinen Kanonenschmuggelei an den Galgen bringen? – Seid ihr nun zufrieden?‹

›Für zwei kleine Kanonen würde ich selbst jeden möglichen Hochverrat begehen,‹ schmunzelte Sebastian und rieb sich die Hände.

›So magst du dich denn um diesen Preis mit dem offenkundigen Hochverrate ausgleichen! Und nun die Pferde angespannt, damit wir uns die Kanonen holen!‹

So zogen wir beim ersten Morgengrauen ins Dorf ein; Sir John zu Roß, in leichter Rüstung, das flatternde Fähnlein in der Rechten. Hinter ihm dreißig kräftige Burschen in Fünferreihen; dahinter die vier Lastwagen, und zum Schluß vier Trompeten, die lustig dreinschmetterten, als ob sie unseren Streich bejubelten. So zogen wir an den Turm und rollten die dröhnenden Kanonen ans Licht.«

»Und was sagten wir – was sagte das Dorf dazu?« fragte Dan.

»O, die zogen sich herrlich aus der Affäre!« rief Heinz. »Ich war stolz auf sie, wiewohl sie mich betrogen hatten! Sie kamen gemächlich aus ihren Häusern, blickten so gleichgültig auf unser kleines Heer, als sei es ein einzelner Posten, und – gingen stumm ihres Weges. Kein Sterbenswörtchen wurde laut! Auch nicht ein einziger verriet sich! Sie wären eher gestorben, ehe sie Brightling einen Anlaß gegeben hätten, sich über uns lustig zu machen. Selbst Will, dieser Halunke, kam mit dem unschuldigsten Gesichte herangeschlendert und wäre fast in Sir Johns Pferd hineingelaufen. ›Aufgepaßt, zum Teufel!‹ fluchte der Richter, sein Pferd zügelnd. ›Ei, richtig!‹ rief Will aufblickend. ›Heute ist ja Jahrmarkt, nicht wahr? Sind schon alle Ochsen aus Brightling da?‹ Für diese entzückende Frechheit erließ ich ihm die verdiente Tracht Prügel. John Collins aber, der übertraf noch alle übrigen! Er kam gerade wie zufällig des Weges daher, als wir eine von den kleinen Kanonen durch das Tor wälzten. (Die Wange trug er verbunden – Sebastian mußte ihm ein Tüchtiges verseht haben!) ›Na, die Kanonen sind wohl schwerer, als ihr dachtet?‹ meinte er. ›Wenn ihr es mir bezahlt, leihe ich euch meinen schweren Wagen – der taugt besser als diese Wollwagen da.‹ Es war das erstemal, daß Sebastian seine Fassung verlor. Er öffnete und schloß sprachlos den Mund – wie ein Fisch! ›Nichts für ungut!‹ fuhr Collins fort. ›Ihr habt sie ja billig bekommen – da könntet ihr mich schon noch etwas verdienen lassen!‹ Sagt, war das nicht unvergleichlich. Unser Streich hatte ihn zweihundert Pfund gekostet – so erzählte man! – und er zuckte nicht mit der Wimper, als er seine Kanonen wegführen sah.«

»Sagte er auch später nichts?« fragte Puck.

»Nur einmal. Das war, als er der neuen Kirche das Glockenspiel geschenkt hatte. Wir hatten es zum ersten Male geläutet und er stand mit im Turme. Da faßte er mit einer Hand das Seil, kratzte sich mit der anderen im Nacken und meinte: ›Besser, der Strick hängt an der Glocke als um meinen Hals!‹ Das sagte er mit echt südsächsischer Harmlosigkeit – sonst nichts!«

»Und was geschah später?« wollte Una wissen.

»Ich ging wieder nach England zurück,« sagte Heinz bedächtig. »Ich hatte für meinen Stolz eine Lektion bekommen! Aber alle sagten, meine neue Barnabaskirche sei ein wahres Prachtstück! Was Wunder? Ich hatte sie ja für die Heimat und in der Heimat gebaut und – Frater Roger hatte recht behalten! – habe nie wieder so viel Ärger und einen solchen Triumph bei meinen Werken erlebt. So ist es nun einmal auf dieser Welt. O, du meine liebe, liebe Heimat!« Er ließ den Kopf auf die Brust sinken.

siehe Bildunterschrift

»Na, die Kanonen sind wohl schwerer, als ihr dachtet,« meinte er.

»Dort ist dein Vater – bei der Schmiede!« meinte da Puck. »Was er wohl mit dem alten Hobden verhandeln mag?« Dabei öffnete er die Hand, in welcher drei Blätter lagen.

Dan blickte hinüber.

»O, ich weiß schon. Es handelt sich um die alte Eiche, die sich über den Bach gelegt hat. Vater will schon immer, daß sie ausgegraben wird.«

Jetzt hörte man auch durch das stille Tal Hobdens tiefe Stimme: »Macht, was Ihr wollt! Ich sage Euch, die gesunden Wurzeln halten das Ufer zusammen. Wenn Ihr den Baum ausgrabt, stürzt das Erdreich zusammen, und beim nächsten Hochwasser tritt uns das Wasser aus. – Macht aber, was Ihr wollt!– Und dann, Ihr wißt, Eure Frau sieht die Farnkräuter an dem Stamme so gern!«

»Nun, ich will mir's überlegen,« meinte der Vater.

Una stieß ihr kicherndes Lachen aus. »Ihr müßt nämlich wissen, die alte Eiche bildet die Brücke, auf der die Kaninchen von drüben auf unsere Wiese kommen. Hobden sagt, dort sei der beste Platz für die Schlingen. O, er wird nie zugeben, daß die alte Eiche ausgegraben wird!«

»Ach, Sussex! Mein dumm-schlaues Sussex!« flüsterte Heinz. – In diesem Augenblick schlug die Uhr auf der Barnabaskirche fünf, und die Stimme des Vaters, der die Kinder heimrief, brach den Zauber. –


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