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Kein Windhauch will uns zur Küste führen,
An's Ruder für Stavanger!
Vorwärts auf Stavanger!
Drob müssen wir tüchtig die Arme rühren!
Setzt ein für Stavanger!
Zieht an gen Stavanger!
Hört, wie die Bänke sich strecken und ächzen!
Zieht an gen Stavanger!
Das Schiff selbst scheint nach dem Strande zu lechzen!
Zieht an gen Stavanger!
Wohl spürt es des Nordlandes Schnee und Regen
And sehnt sich wie wir der Heimat entgegen!
Es spürt, daß nordische Fröste nicht weit
And die traulichen Nächte der Winterzeit!
Die Balken selbst sehnen sich fort vom Meer,
Und wir – wir sehnen uns zehnmal so sehr!
Ihr ewigen Götter, des Mutigen Hort!
O, helft mit der steifsten Brise uns fort!
O, frischet den Wind uns, blickt gnädig uns an,
Daß mit schwellendem Segel der Heimat wir nah'n!
Doch – kein Windhauch will uns zur Küste führen,
Zieht an gen Stavanger!
Drob müssen wir tüchtig die Arme rühren!
Zieht an gen Stavanger!
»Diese Geschichte hat nichts mit Affen oder Teufeln zu tun,« fuhr Ritter Richard mit leiser Stimme fort. »Sie handelt von De Aquila, dem kühnsten, listigsten und verwegensten Ritter, der je geboren ward. Dabei bedenkt, daß er zu jener Zeit schon recht, recht alt war.«
»Wann war das?« fragte Dan.
»Als wir von unserer Fahrt mit Witta heimkamen.«
»Und was geschah mit eurem Golde?« wollte Una wissen.
»Nur Geduld! Glied für Glied wird der Panzer geschmiedet! Ich werde euch alles zu seiner Zeit erzählen. – Das Gold schafften wir auf Pferden (in drei Ladungen!) nach Pevensey, und von dort in den Nordturm über dem Herrensaal der Burg, wo De Aquila im Winter schlief. Wie ein kleiner, weißer Falke saß er auf seinem Bette, hastig den Kopf von dem einen zum andern wendend, während wir unsere Geschichte erzählten. Jehan, ›die Krabbe‹, unser alter verdienstlicher Gewappneter, hatte Stiegenwache; De Aquila befahl ihm, am Fuße der Stiege zu bleiben und schloß fürsorglich beide Ledervorhänge an der Türe. Jehan war es auch gewesen, den uns De Aquila mit den Pferden geschickt hatte, und er allein hatte das Gold hereingebracht. Als wir geendet hatten, erzählte uns De Aquila, was sich inzwischen daheim zugetragen, denn wir waren wie Menschen, die nach jahrelangem Schlafe erwachen. Unser König, der Rote, war tot. (Ihr erinnert euch, er war getötet worden, gerade als wir abreisten!) Sein Bruder Heinrich hatte sich über den Kopf Roberts von der Normandie zum Könige von England gemacht. Ganz das gleiche hatte auch Wilhelm der Rote getan, als unser großer König Wilhelm, der Eroberer, gestorben war. Da hatte nun (so erzählte uns De Aquila) Robert von der Normandie, empört über die zweimalige Zurücksetzung, ein Heer gegen England geschickt, das aber bei Portsmouth geschlagen und auf seine Schiffe zurückgeworfen worden war. ›Und nun,‹ fuhr De Aquila fort, ›hat sich die Hälfte aller großen Barone, die im Norden und Osten zwischen Salisbury und Shrewsbury sitzen, wider unsern König erhoben, während die andere Hälfte zuwartet, welchen Verlauf die Dinge nehmen werden. Sie sagen, Heinrich sei zu englisch für ihren Geschmack, denn er hat eine Engländerin zur Frau genommen, die ihn überredete, unseren Sachsen ihre alten Rechte wiederzugeben. (Ich sage immer: Man tut am besten, ein Pferd nur mit dem Zaume zu zügeln, den man schon kennt!) Doch das ist nur ein Mäntelchen für ihre Falschheit.‹ Er preßte ungebärdig die Fäuste gegen den Tisch, auf dem Wein verschüttet war, und fuhr fort:
›Wilhelm hatte uns normannische Barone nach der Schlacht von Santlache aufs freigebigste mit dem besten englischen Grundbesitz ausgestattet. Auch ich erhielt meinen Anteil, aber ich warnte ihn von allem Anbeginn und hielt es für unerläßlich, daß die Barone ihre normannischen Herrschaften und Besitztümer aufgeben müßten, wollten sie englische Lehen erhalten. Nun aber sind sie in England und in der Normandie in Abhängigkeit, wie wohlgehütete Jagdhunde, stehen mit dem einen Fuße in diesem Troge und verschlingen schon jenen gierig mit den Blicken! Robert von der Normandie sandte ihnen Kunde, er werde ihre normannischen Besitzungen plündern und verwüsten, wenn sie nicht in England für seine Sache kämpfen. So hat sich Klare gegen unseren König erhoben, Fitz Osborne und Montgomery, wiewohl ihn Wilhelm zum englischen Grafen gemacht hatte; selbst D'Arcy ist bereits ins Feld gezogen, dessen Vater ich noch in Frankreich kannte, wo er ein armer Strauchritter gewesen. Denn, bleibt Heinrich Sieger, so können sie immer noch in die Normandie fliehen, wo sie Robert gerne willkommen heißen wird. Verliert Heinrich aber, so verspricht ihnen Robert weit größeren Besitz in England zu verleihen. Der Teufel hole die ganze Normandie – sie wird noch für lange Zeit der Fluch Englands sein.‹
›Amen!‹ bestätigte Ugo. ›Und glaubt Ihr, daß der Kampf bis zu uns kommen wird?‹
›Vom Norden her gewiß nicht,‹ entgegnete De Aquila. ›Aber die See steht jedem offen. Behalten die Barone die Oberhand, dann wirft Robert sicherlich eine zweite Armee nach England, und dann wird er hier landen, wo auch sein Vater, der Eroberer, eingedrungen war. Ihr seht, ihr habt euch in ein sauberes Wespennest gelegt! Halb England steht in Flammen und hier habt ihr mehr Gold liegen‹ (dabei stieß er an die Goldbarren unter dem Tische), ›als nötig wäre, um alle Ritter der Christenwelt zum Kampfe zu reizen.‹
›Was ist nun zu tun?‹ fragte Ugo. ›Ich habe zu Dallington keinen Turm, der Schutz böte; und wenn wir es vergraben lassen, wem könnten wir trauen?‹
›Mir!‹ meinte De Aquila. ›Die Mauern von Pevensey sind stark! Kein Mensch weiß, was sich zwischen ihnen befindet, außer Jehan, der mir mit hündischer Treue ergeben ist.‹ Er zog einen Vorhang am Fenster zur Seite und zeigte uns den Schacht eines Brunnens, der in der dicken Mauer hinunterlief. ›Ich habe ihn für Trinkwasser bohren lassen,‹ erklärte er, ›aber wir bekamen salziges Wasser, das mit Flut und Ebbe steigt und fällt. Sollte der Brunnen nicht geeignet sein?‹
Wir hörten das Wasser am Grunde zischen und brausen.
›Es muß gehen,‹ sagten wir. ›Unser Leben liegt in deiner Hand.‹ So senkten wir all unser Gold hinab, mit Ausnahme eines Barrens beim Bette De Aquilas, den wir für den Notfall zurückbehielten, und weil De Aquila an seinem Gewicht und Glanze Freude hatte.
Am nächsten Morgen, ehe wir auf unsere Güter ritten, sagte er: ›Ich sage nicht Lebewohl, denn ihr werdet zurückkommen und hier wohnen. Nicht aus Liebe zu mir oder aus Besorgnis, sondern nur um bei eurem Golde zu sein.‹
›Und gebt acht,‹ schloß er lachend, ›daß ich es nicht verwende, um mich selbst zum Papste zu machen. Also traut mir ja nicht und kehret wieder!‹«
Der Ritter hielt mit traurigem Lächeln inne.
»Sieben Tage später kehrten wir von unseren Gütern, den Gütern, die einst uns gehört hatten, zurück.«
»Und waren Eure Kinder wohl?« fragte Una.
»Meine Söhne waren jung. Und jungen Leuten gebührt Land und Herrschaft von Rechts wegen.« (Ritter Richard sprach hier mit sich selber.) »Es hätte ihr Herz gebrochen, wenn wir die Lehen wieder an uns genommen hätten. Sie bereiteten uns den schönsten Empfang, und doch konnten wir erkennen (Ugo und ich, meine ich), daß unsere Zeit vorüber. Ich war ein Krüppel, und Ugo einarmig! Das ging nicht an,« meinte er kopfschüttelnd und schloß mit erhobener Stimme: »Und deshalb ritten wir wieder zurück nach Pevensey.«
»Wie bedauere ich euch!« flüsterte Una, als sie ihn so betrübt sah.
»Du liebe Kleine, das ist nun schon lange her! Sie waren jung – wir alt. So ließen wir sie denn die Güter verwalten. ›Aha,‹ rief De Aquila aus seinem Fenster, als wir vom Pferde stiegen. ›Also wieder zurück im Bau, ihr alten Füchse?‹ Als wir aber in seinem Zimmer über der Halle waren, schlang er die Arme um uns und sagte: ›Willkommen, ihr vom Grabe Erstandenen! Herzlich willkommen, ihr armen Geister!‹ Und seht ihr, so kam es, daß wir unermeßlich reich und doch allein, ganz allein waren!«
»Was tatet ihr nun?«
»Wir bewachten die Küste vor Robert von der Normandie. De Aquila war wie Witta: er litt keinen Müßiggang. Bei gutem Wetter pflegten wir die ganze Küste zwischen Bexlei und Cuckmere abzureiten, manchmal mit Falken, dann wieder mit Hunden (denn auf Marsche und Düne gibt's feiste Hasen!), stets aber behielten wir die See im Auge, da wir immer eine Flotte aus der Normandie fürchteten. Bei schlechtem Wetter stiegen wir auf die Spitze des Turmes, schimpften über den Regen und spähten nach allen Seiten. Er ärgerte sich noch immer, daß Wittas Schiff unbemerkt hatte kommen und gehen können. Legte sich der Wind, und hatten Schiffe Anker geworfen, da eilte er stets zum Hafen, und mitten unter stinkenden Fischen auf sein Schwert gestützt, forschte er unter den Seeleuten nach Neuigkeiten aus Frankreich. Mit dem anderen Auge blickte er stets landeinwärts, Botschaft von Heinrich gewärtigend, der mit den Baronen im Kampfe lag.
Viele brachten ihm Nachrichten: Gaukler und Harfenspieler, Hausierer und Marketender, Priester und noch manch andere. Und so verschwiegen er in kleineren Dingen war, pflegte er doch, wenn ihm die Neuigkeiten mißfielen, ohne Rücksicht auf Ort, Zeit und Zuhörer unsern König Heinrich als einen Narren oder als Kind zu verwünschen. Einst hörte ich, wie er bei den Fischerbooten laut ausrief: ›Ich täte so oder so, wenn ich König wäre;‹ und ritt ich aus, um nachzusehen, ob die Warnungsfeuer bereitgehalten würden, und die Scheite trocken seien, so rief er mir oft aus dem Turmfenster nach: ›Mach die Augen auf, Richard! Tu's nicht wie unser blinder König, sondern überzeuge dich selbst mit Hand und Augen!‹
Ich glaube, daß ihm jegliche Furcht fremd war. – So lebten wir also in der kleinen Turmstube über dem Herrensaal zu Pevensey.
In einer schlimmen Nacht wurde einst gemeldet, daß unten ein Bote des Königs warte. Wir waren steif vor Kälte nach einem langen Ritt von Bexlei, wo eine Landung leicht durchzuführen war. So ließ De Aquila dem Boten sagen, er möge mit uns das Nachtmahl einnehmen oder warten, bis wir gegessen hätten. Gleich darauf rief Jehan von der Stiege herauf, der Bote habe sein Pferd verlangt und sei davongeritten. ›Die Pest über ihn!‹ rief De Aquila. ›Ich habe Besseres zu tun, als zähneklappernd in der Halle jeden Landstreicher zu hören, den der König sendet! Hat er nichts hinterlassen?‹
›Nichts,‹ meinte Jehan, ›nur – er sagte nur, wenn alte Hunde nicht mehr neue Künste zu lernen vermögen, sei es Zeit, sie aus dem Loche zu jagen.‹
›So, so,‹ meinte De Aquila, die Nase reibend. ›Und zu wem sagte er das?‹
›Eigentlich zu sich selbst, dann wieder zu seinem Pferde, dieweil er es aufzäumte. Ich folgte ihm bis ans Tor.‹
›Welches Wappen trug er im Schilde?‹
›Goldene Hufeisen auf schwarzem Grunde.‹
›Dann war's einer von Fulkes Mannen,‹ meinte De Aquila.«
Leise unterbrach hier Puck: »Aber Fulkes Wappen enthält doch gar keine Hufeisen? Sein Wappen zeigt –«
Der Ritter machte eine stolze Handbewegung und entgegnete: »Du kennst den wahren Namen des Verräters. Doch ich will ihn Fulke nennen, denn ich habe ihm versprochen, nie die Geschichte seines Verrates so zu erzählen, daß man seinen wahren Namen errät. Ich habe alle Namen in dieser Erzählung geändert. Seine Nachkommen könnten noch am Leben sein.«
»Sehr richtig,« erwiderte Puck leise. »Und es ist Ritterpflicht, sein Wort zu halten – selbst nach tausend Jahren noch.«
Der Ritter neigte sich dankend und fuhr fort:
»›Goldene Hufeisen im schwarzen Felde?‹ sagte De Aquila. ›Ich hatte doch gehört, Fulke habe sich den Baronen angeschlossen? Wenn es so steht, dann muß unser König die Oberhand gewonnen haben. – Wie dem auch sei, alle Fulkes sind falsch! Trotzdem aber hätte ich den Mann nicht mit leerer Hand fortgelassen.‹
›Er hat Speise erhalten,‹ meinte Jehan. ›Gilbert, der Schreiber, holte Fleisch und Wein aus der Küche, und er aß an Gilberts Tische.‹
Dieser Gilbert war ein Geistlicher aus dem Kloster zu Hastings, der die Bücher des Lehens Pevensey führte. Er war groß, von bleicher Farbe und trug jene neumodische Perlenschnur, an der man Gebete zählt. Es waren große braune Nüsse oder Samenkörner; die Schnur hing ihm neben Schreibzeug und Tintenhorn vom Gürtel herab, so daß es immer klapperte, wenn er ging. Sein Platz war am großen Kamine; dort stand sein Tisch mit den Büchern, und daneben sein Lager. Er fürchtete sich vor den Hunden, die in der Halle nach Knochen spürten oder auf der warmen Asche liegen wollten und schlug nach ihnen mit der Perlenschnur – wie ein Weib. Wenn De Aquila in der Halle saß, um Recht zu sprechen, Strafen aufzuerlegen oder Lehen verlieh, trug Gilbert alles in die Rolle des Gutes ein. Keineswegs aber war es seine Aufgabe, unsere Gäste zu bewirten oder sie ohne Wissen des Herrn fortgehen zu lassen.
Als Jehan gegangen war, fragte De Aquila: ›Ugo, hast du es je Gilbert wissen lassen, daß du Lateinisch lesen kannst?‹
›Nein,‹ sagte Ugo. ›Ich kann ihn so wenig ausstehen, wie Odo, mein Hund.‹
›Schön,' meinte De Aquila, ›verrate ihm nie, daß du einen Brief von einem andern unterscheiden kannst und (dabei stieß er uns mit der Scheide in die Seite) beobachtet ihn beide! Ihr sagt, es gäbe Teufel in Afrika – nun, bei allen Heiligen, es gibt noch schlimmere Teufel in Pevensey!‹ Mehr wollte er für diesmal nicht sagen.
Kurze Zeit später traf sich's, daß ein normannischer Krieger ein Sachsenmädchen heiraten wollte, und Gilbert, den wir seither wohl im Auge behalten hatten, äußerte Zweifel, ob ihre Anverwandten frei oder leibeigen seien. Und da ihnen De Aquila ein Stück guten Ackers geben wollte, wenn sie frei wäre, kam die Sache vor ihn, als er in der Halle Gericht hielt. Erst sprach der Vater des Mädchens; hierauf die Mutter, schließlich alle zusammen, daß der Saal wiederhallte und die Hunde zu bellen anhuben. De Aquila hob die Hand. ›Stell' ihr den Freibrief aus!‹ rief er Gilbert zum Kamine zu.
›In Gottes Namen mach' sie frei, bevor ich taub werde! – Ja, schon gut,‹ sagte er zu dem Mädchen, das ihn kniend bedrängte, ›sei meinethalben eine geborene Gräfin, nur sei endlich still! In fünfzig Jahren wird es weder Sachsen noch Normannen geben, sondern nur Engländer, und das sind die Männer, die uns zu diesem Ziele helfen!‹ Damit schlug er dem Krieger – einem Neffen Jehans – auf die Schulter und scharrte mit den Füßen, um zu zeigen, daß alles erledigt sei; denn es war bitter kalt in der Halle. Ich stand an seiner Seite, Ugo war beim Kamine, hinter Gilbert, und tat, als spiele er mit Odo, seinem struppigen, klugen Hunde. Da machte er De Aquila ein Zeichen, und dieser gab Gilbert den Auftrag, das neue Feld für das junge Paar auszumessen. Gilbert eilte hinaus, von den beiden gefolgt, daß seine Perlenschnur um die Hüfte flog, und wir drei blieben allein beim Feuer der Halle zurück.
Da sagte Ugo, indem er sich zum Boden des Herdes bückte: ›Ich merkte, wie dieser Stein unter Gilberts Tritte nachgab, als Odo hier herumschnupperte. Seht her!‹ De Aquila grub sein Schwert in die Asche, der Stein schwankte, gab nach – unter ihm lag eine Pergamentrolle mit den Worten am Kopfe: ›Was der Herr von Pevensey gegen unseren König geäußert. – Zweiter Teil.‹
Darin war nun, wie uns Ugo flüsternd vorlas, jeder Scherz verzeichnet, den De Aquila mit Bezug auf den König gemacht hatte; alles, was er mir so gelegentlich von seinem Fenster herabrief; wie er häufig gesagt habe, was er täte, wenn er König von England wäre. Ja, Tag für Tag waren seine Gespräche, bei denen er keinen Rückhalt kannte, von Gilbert verzeichnet worden, verdreht und ihres wahren Sinnes beraubt, und doch so tückisch, daß niemand, der De Aquila kannte, leugnen konnte, er habe Worte dieser Art gebraucht. Versteht ihr?«
Dan und Una nickten.
»Ja,« meinte Una ernst, »es kommt nicht so darauf an, was man sagt, sondern darauf, was man meint, wenn man es sagt. So zum Beispiel, wenn ich Dan im Scherze eine Bestie nenne. – Erwachsene wollen das nie einsehen.«
›Und das hat er Tag für Tag vor unseren Augen getan?‹ fragte De Aquila.
›Nein, Stunde für Stunde! Eben jetzt, als du von Sachsen und Normannen sprachst, sah ich, wie Gilbert auf ein Pergament, das er neben der Gutsrolle liegen hat, schrieb, De Aquila habe geäußert, es würde in Bälde keine Normannen in England mehr geben, wenn seine Krieger ihre Pflicht erfüllten.‹
›Bei allen Heiligen!‹ wetterte De Aquila, ›was helfen Rang und Schwert gegen eine Feder! Wo hat Gilbert das Schriftstück verborgen? Er muß es aufessen.‹
›Er barg es in der Brust, als er hinauslief. Das brachte mich auf den Gedanken, wo er wohl das übrige verstecken möge; und als Odo an diesem Steine kratzte, erbleichte er – da wußte ich's.‹
›Er ist kühn,‹ sagte De Aquila. ›Sei gerecht, mein Schreiber Gilbert ist kühn – in seiner Art.‹
›Mehr als kühn,‹ fuhr Ugo fort. ›Hör' nur!‹ Und er las: ›Am Tage des Festes der heiligen Agatha sah unser Herr von Pevensey, wie er in seinem Turmzimmer lag, bekleidet mit seinem zweiten Pelzmantel, der mit Kaninchenfell gefüttert ist –‹
›Der Teufel hole ihn! Ist er meine Kammerjungfer?‹ rief De Aquila, und wir beide lachten. ›–gefüttert ist, den Nebel über den Marschen; er weckte Ritter Richard Dalyngridge, seinen betrunkenen Zechkumpanen‹ (hier lachten sie beide über meine Wut!), und sagte: ›Schau mal hinaus, alter Fuchs, Gott hält es mit dem Herzog der Normandie!‹
›Das ist richtig. Es war ein dichter Nebel. Robert hätte damals zehntausend Mann landen können, ohne daß wir es geahnt hätten. Berichtet er auch, wie wir den ganzen Tag über die Küste abgeritten, wie ich nahezu im Flugsande umgekommen wäre und zehn Tage lang wie ein krankes Schaf gehustet habe?‹
›Davon steht hier nichts. Aber hier steht eine Bitte Gilberts an seinen Herrn Fulke.‹
›Aha!‹ rief De Aquila. ›Ich wußte ja, daß Fulke im Spiele ist! Nun, welchen Lohn erbittet er sich für meinen Kopf?‹
›Er bittet, wenn der Lord von Pevensey sein Land verliert, auf Grund der Beweise, die Gilbert mit Mühe und Gefahr gesammelt –‹
›Mühe und Gefahr? Sehr richtig!‹ höhnte De Aquila. ›Aber welch herrliche Waffe ist die Feder! Das muß ich noch lernen!‹
›– er bittet, daß ihn Fulke dann von seinem gegenwärtigen Dienste zu jenem geistlichen Range befördere, den er ihm versprochen. Und damit Fulke es nicht vergesse, hat er nochmals hinzugesetzt: ›Sakristan des Klosters von Hastings‹.‹
De Aquila pfiff vor sich hin: ›Wer gegen den ersten Herrn Ränke schmiedet, wird es auch gegen den nächsten tun. Wenn ich mein Land verloren habe, schlägt Fülle dem Narren den Kopf ab. Trotzdem bedarf das Kloster tatsächlich eines Sakristans. Man sagt, Abt Heinrich könne dort keine Ordnung mehr halten.‹
›Der Abt kann warten,‹ erwiderte Ugo. ›Vorläufig sind unsere Köpfe und Güter in Gefahr! Dies Pergament ist bereits der zweite Teil seines Berichtes, der erste ist schon in Fulkes Hände gelangt und auf diese Weise an den König, der uns für Verräter halten wird.‹
›Gewiß,‹ pflichtete De Aquila bei. ›Fulkes Abgesandter nahm an jenem Abend, als Gilbert ihn bewirtete, den ersten Teil mit, und der König ist von seinem Bruder und den Baronen (was auch gar nicht zu verwundern ist!) so bedrängt, daß er vor Mißtrauen ganz von Sinnen ist. Fulke leiht er sein Ohr, und dieser gießt Gift hinein. Aber ja und nein verleiht er ihm mein Lehen und eure! Die alte Geschichte –‹ und er lehnte sich gähnend zurück.
›Und willst du Pevensey ohne Wort und Schwertstreich aufgeben?‹ fragte Ugo. ›Wir Sachsen werden in diesem Falle gegen euren König zum Schwerte greifen. Ich mache mich auf, meinen Neffen auf Dallington zu warnen. Gib mir ein Pferd!‹
›Warum nicht gleich eine Kinderklapper als Spielzeug?‹ fuhr De Aquila auf. ›Lege das Pergament an seinen Ort und streiche die Asche zurecht! – Wenn Fulke mein Pevensey, den Eingang nach England, erhält, was tut er damit? Er ist Normanne in seinem Herzen, und sein Herz weilt in der Normandie, wo er Bauern zu seinem Vergnügen töten kann. Er wird Englands Einfallstor dem schläfrigen Robert öffnen, wie es Odo und Mortain zu tun versuchten, und dann erfolgt eine zweite Landung und ein zweites Santlache. Deshalb kann ich Pevensey nicht preisgeben.‹
›Richtig,‹ stimmten wir beide zu.
›Nun aber weiter! Wenn mein König durch Gilberts Beweise Mißtrauen gegen mich geschöpft hat, schickt er sein Heer gegen mich, und dieweil wir kämpfen, bleibt Englands Tor unbehütet. Wer ist der erste, der dann hereinschlüpft? Wieder Robert von der Normandie! Deshalb kann ich nicht wider meinen König kämpfen.‹ Dabei wiegte er nachdenklich sein Schwert.
›Das heißt nach Normannenart für und wider reden!‹ brummte Ugo. ›Was aber geschieht mit unseren Gütern?‹
›Ich denke nicht an mich,‹ erwiderte De Aquila, ›noch an unseren König oder unsere Länder. Ich denke an England, um das sich weder König noch Barone bekümmern. Ich bin weder Normanne, Ritter Richard, noch Sachse, mein Ritter Ugo. Ein Engländer bin ich!‹
›Sachse, Normanne oder Engländer,‹ meinte Ugo, ›du verfügst über unser Leben, wie immer die Sache ausgehen mag. – Wann hängen wir Gilbert?‹
›Niemals!‹ versetzte De Aquila. ›Wer weiß, vielleicht wird er doch noch Sakristan in seinem Kloster, denn – um gerecht zu sein! – er ist ein tüchtiger Schreiber. Die Toten sind schlechte Zeugen! Wir warten noch!‹
›Wenn aber der König wirklich Pevensey an Fulke überträgt, und unseren Besitz dazu? Sollen wir es nicht unsere Söhne wissen lassen?‹
›Nein! Der König wird nicht früher ein Hornissennest im Süden aufwühlen, bevor er nicht die Bienen im Norden ausgeräuchert hat. Er mag mich für einen Verräter halten, aber er sieht wenigstens, daß ich nicht gegen ihn kämpfe, und jeder Tag, an dem ich Frieden halte, ist für ihn im Kampfe gegen die Barone Gewinn. Wenn er klug ist, wartet er das Ende des Krieges ab, bevor er sich neue Feinde macht. Ich glaube, Fulke bringt es beim Könige dazu, daß er um mich sendet, und folge ich dem Geheiße nicht, dann wird das in Heinrichs Augen als Beweis meines Verrates gelten. Bloße Worte, wie Gilbert sie berichtet, sind heutzutage kein Beweis mehr. Wir Barone halten es wie die Kirche und reden wie es uns beliebt. Also gehen wir an unsere Tagesarbeit und lassen wir Gilbert nichts merken!‹
›Wir tun also gar nichts?‹ fragte Ugo.
›Wir warten! Ich bin alt und erachte dies noch immer als die schwerste aller Taten!‹
Auch uns kam es hart an, und doch behielt De Aquila am Schlusse recht.
Kurz darauf, im selben Jahre noch, kamen Gewappnete über die Berge hergeritten, und die goldenen Hufeisen flatterten hinter dem königlichen Banner. ›Was hab' ich euch gesagt? Hier kommt Fulke selbst, um sein neues Land auszukundschaften, das ihm der König zugesagt, wenn er Beweise meines Verrates bringen kann.‹
›Wieso weißt du das?‹
›Weil ich an Fulkes Statt das gleiche getan hätte; nur hätte ich mehr Mannen mitgebracht. Ich wette meinen Rotschimmel gegen eure alten Schuhe, Fulke bringt mir den Befehl des Königs, Pevensey zu verlassen und ihm im Kriege beizustehen.‹ Er nagte an der Lippe und trommelte mit den Fingern am Rande des Brunnenschachtes, in dem das Wasser dumpf rauschte.
›Und werden wir ziehen?‹ fragte ich.
›Ziehen? Zu dieser Jahreszeit? Purer Wahnsinn!‹ war die Antwort.
›Laßt mich einmal von Pevensey ausziehen, um im Busch und Wald zu krauchen – und drei Tage später liegen Roberts Schiffe am Strande, und mit ihnen zehntausend Krieger. Wer soll sie hindern – Fulke?‹
Draußen ertönten Hornstöße, und gleich darauf verlas Fulke am Haupttore des Königs Botschaft, daß De Aquila mit allen Mannen und Pferden zum Lager des Königs nach Salisbury zu stoßen habe.
›Seht ihr?‹ meinte De Aquila. ›Zwanzig Barone sitzen zwischen Pevensey und Salisbury, die alle dem König guten Lehensdienst tun könnten, er aber ist von Fulke angestiftet, nach Süden zu senden und mich – mich! – vom Tore Englands abzuberufen, während seine Feinde bereit stehen, es zu stürmen. Seht zu, daß Fulkes Mannen in der großen Südscheune Unterkunft finden. Gebt ihnen zu trinken, und wenn Fulke gegessen hat, wollen wir in meine Kammer Wein bringen lassen. Der Herrensaal ist zu kalt für meine alten Knochen.'
Kaum war Fulke vom Rosse gestiegen, begab er sich mit Gilbert in die Kapelle, um ein Dankgebet für die wohlbehaltene Ankunft zu verrichten, und nach dem Mahle – er war ein beleibter Herr und rollte die Augen gierig nach unserm guten, gerösteten, südsächsischen Weizenbrot! – führten wir ihn nach der Turmkammer, in der sich Gilbert bereits mit der Gutsrolle eingefunden hatte. And ich erinnere mich noch: als Fulke die Flut im Brunnen sausen und pfeifen hörte, fuhr er zurück, daß sich seine Sporen in den Binsen am Boden fingen und er stolperte; so war es Jehan ein leichtes, ihn mit dem Kopfe gegen die Wand zu stoßen.«
»Wußtet ihr denn, daß es so kommen würde?« fragte Dan.
»Ganz gewiß,« erwiderte der Ritter mit leichtem Lächeln. »Ich setzte meinen Fuß auf sein Schwert und entriß ihm seinen Dolch, er aber wußte für einige Zeit gar nicht, was mit ihm geschehe. Er lag murmelnd, mit rollenden Augen am Boden, und Jehan fesselte ihn wie ein Kalb. Er war ganz in jene neumodische Rüstung gehüllt, die man Schuppenpanzer nennt. Also keine Ringe wie auf meinem Panzer hier,« – der Ritter schlug dabei an seine Brust – »sondern kleine Stückchen von hartem, für Dolche undurchlässigem Stahl, die auf steifem Leder übereinander geheftet werden. Wir zogen ihm den Panzer aus (es wäre schade gewesen, ihn durch die Nässe zu verderben), und im Halsteile fanden wir jenes Stück Pergament verborgen, welches wir wieder unter den Stein beim Herde gelegt hatten.
Jetzt machte Gilbert Anstalten, aus dem Zimmer zu fliehen. Ich aber legte ihm bloß die Hand auf die Schulter – das genügte. Er begann zu zittern und an seiner Perlenschnur zu beten.
›Gilbert!‹ meinte De Aquila. ›Nun wirst du noch einige Aussprüche und Taten deines Herrn auf Pevensey niederzuschreiben haben. Nimm deine Federn und das Tintenhorn zur Hand, Gilbert! Nicht jeder kann Sakristan im Kloster zu Hastings werden!‹
›Ihr habt den Boten des Königs gefesselt,‹ rief Fulke am Boden, ›dafür geht Pevensey in Flammen auf!‹
›Kann sein! Ich habe schon eine Belagerung hier durchgemacht! Aber, sei guten Mutes, Fulke, ich verspreche dir, daß du inmitten der Flammen am Ende der Belagerung aufgehängt wirst, und sollte ich mein letztes Brot zuvor mit dir teilen!‹
Da richtete sich Fulke auf und blickte De Aquila geraume Weile listig an; dann meinte er: ›Bei allen Heiligen, warum hast du nicht gleich gesagt, daß du es mit dem Herzog hältst?‹
›Tue ich das?‹ war De Aquilas Gegenfrage.
Fulke erwiderte lachend: ›Kein Anhänger des Königs würde es wagen, so mit seinem Abgesandten zu verfahren. Wann hast du dich dem Herzog angeschlossen? Gib mich frei, und wir wollen alles gütlich beilegen.‹ Dabei lachte er und winkte uns zwinkernd zu.
›Ja, wir wollen alles beilegen,‹ meinte De Aquila und gab mir ein Zeichen. Da hob ich Fulke mit Jehans Hilfe auf – denn er war gar schwer – und ließ ihn an einem Seile in den Brunnenschacht hinab. Nicht so weit, daß er auf unserem Golde stehen konnte, sondern er hing an seinen Schultern ein wenig darüber. Es war eben die Zeit der Ebbe, und das Wasser reichte ihm an die Knie. Er sagte nichts und zitterte ein wenig vor Kälte.
Jetzt schlug Jehan auf einmal mit der Scheide seines Dolches die erhobene Hand Gilberts herunter. ›Stillgestanden!‹ rief er. ›Er will seine Perlen verschlucken!‹
›Vielleicht hat er Gift darin,‹ sagte De Aquila. ›Das ist immer gut für Leute, die zu viel wissen. Ich trage es schon seit dreißig Jahren bei mir. Her damit!‹
Gilbert weinte und ächzte. De Aquila ließ die Perlen durch die Finger gleiten. Die letzte – ich sagte euch, es waren große Nüsse – öffnete sich in zwei Hälften, und im Innern lag zusammengefaltet ein Streifen Pergament, auf dem die Worte standen: ›Der alte Wächterhund geht nach Salisbury, wo er Prügel bekommt! Ich habe die Hundehütte in Besitz. Kommt schleunig!‹
›Das ist ärger als Gift,‹ meinte De Aquila leise und nachdenklich. Da kroch Gilbert vor uns auf dem Boden und gestand alles. Der Brief (wie wir gleich vermutet hatten) war von Fulke an den Herzog bestimmt und war nicht der erste, der an ihn abgegangen war. Fulke hatte ihn Gilbert in der Kapelle übergeben, und er sollte am nächsten Morgen einem bestimmten Fischerboote übergeben werden, welches zwischen Pevensey und der französischen Küste verkehrte. Gilbert war ein treuloser Wicht, und doch fand er trotz allem Beben und Stöhnen Zeit, zu schwören, daß der Bootsmeister von der Sache nichts wisse. ›Er hat mich einen Geschorenen geschimpft und mit Schellfischdärmen nach mir geworfen, aber trotzdem: er ist kein Verräter!‹
›Ich kann nicht zugeben, daß mein Schreiber beschimpft oder mißhandelt wird,‹ sagte De Aquila. ›Der Kapitän soll am eigenen Maste gepeitscht werden. Du wirst mir jetzt vor allem einen Brief schreiben, den sollst du morgen, zugleich mit dem Befehl des Peitschens, zu dem Schiffe bringen.‹
Da hätte Gilbert am liebsten die Hände De Aquilas geküßt – denn er hatte nicht gehofft, morgen noch am Leben zu sein – und als sein Zittern ein bißchen nachließ, schrieb er einen Brief an den Herzog, als ob er von Fulke wäre, des Inhalts, daß die Hundehütte (damit war Pevensey gemeint) geschlossen sei, daß der alte Wächterhund (also De Aquila!) davor sitze, und daß alles verraten sei.‹
›Schreibet irgendwem, daß alles verraten sei,‹ meinte De Aquila, ›und selbst der Papst würde unruhig schlafen! Nicht so, Jehan? Wenn dir jemand sagte, es sei alles verraten, was würdest du tun?‹
›Ich würde davonlaufen. Es könnte ja wahr sein!‹
›Sehr wohl bemerkt,‹ sagte De Aquila. ›Schreib', Gilbert, daß der mächtige Graf Montgomery mit dem Könige Frieden gemacht, und daß der kleine D'Arcy (den ich ohnedies nie ausstehen konnte) an den Füßen gehenkt wurde. Wir wollen Robert gleich einen tüchtigen Brocken zum Kauen vorsetzen. Und schreib auch, daß Fulke an Wassersucht todkrank ist.‹
›Nein,‹ schrie Fulke aus dem Schachte. ›Ersäuft mich, wenn Ihr wollt, aber treibt keinen Spott mit mir!‹
›Ich und spotten?‹ rief De Aquila. ›Ich kämpfe mit der Feder um Leben und Gut, wie du es mir vorgemacht hast, Fulke!‹
Da stöhnte der Gefangene vor Kälte und sagte: ›Ich will beichten.‹
›Schön, so gehört es sich,‹ meinte De Aquila, sich über den Brunnen neigend. ›Du hast meine Worte und Taten gelesen – wenigstens den ersten Teil – und willst mir nun als Entschädigung deine eigenen Worte und Taten berichten. Nimm die Feder zur Hand, Gilbert! Diesmal wird sich die Arbeit besser lohnen!‹
›Laßt meine Leute heil davonkommen, und ich will meinen Verrat am Könige gestehen,‹ begann Fulke.
›Ei, warum hat er wohl so plötzlich sein Herz für seine Mannen entdeckt?‹ fragte mich Ugo, denn Fulke war als erbarmungslos gegen seine Leute bekannt. In seinen Diensten konnte man wohl auf Beute, nie aber auf Erbarmen rechnen.
›Ach was,‹ meinte De Aquila. ›Dein Verrat ist uns schon längst von Gilbert entdeckt worden. Es genügt, um dich an den Galgen zu bringen.‹
›Gut denn, aber verschont meine Leute,' rief er und plätscherte wie ein Fisch im Teiche, denn das Wasser stieg.
›Das hat noch gute Wege,‹ sagte De Aquila. ›Die Nacht ist jung – der Wein ist alt, und wir wollen nur Lustiges hören. Erzähle uns die Geschichte deines Lebens, seit du zu Tours als Knabe lebtest. Aber erzähle hurtig!‹
›Ihr beschämt mich bis in die Seele,‹ klagte Fulke.
›Da haben wir mehr erreicht, als der König und der Herzog vermochten,‹ war die Antwort. ›Also angefangen und nichts vergessen!
›Schicke wenigstens deinen Diener fort!‹ bat er.
›Das kann ich tun; nur eins vermag ich nicht: die Flut zurückzuhalten. Das bedenke!‹
›Wie lange wird sie noch steigen?‹ fragte Fulke und begann aufs neue zu plätschern.
›Drei Stunden noch. Zeit genug, um alle deine edlen Taten zu berichten. Also los! Und du, Gilbert, verdrehe mir ja nicht den wahren Sinn seiner Worte. Ich weiß, darin bist du zuweilen gar leichtfertig!‹
So begann Fulke, von Furcht vor dem Tode im Dunkel gequält, und Gilbert, der auch nicht wußte, was sein Schicksal sein werde, schrieb Wort für Wort mit. Ich habe manche Geschichte gehört, aber nichts, was sich mit der Fulkes vergleichen konnte, mit jener Beichte einer schwarzen Seele, wie Fulke sie hohlen Tones, im Brunnenschachte hängend, erstattete.
»War es so schlimm?« fragte Dan, von Scheu ergriffen.
»Unerhört!« sagte der Ritter. »Und doch kamen wieder Dinge vor, bei denen selbst Gilbert lachen mußte. Wir drei lachten, bis uns alles weh tat! Einmal klapperten seine Zähne derart, daß wir ihn nicht verstehen konnten; da reichten wir ihm einen Becher Weins. Das frischte ihm den Mut, und nun schilderte er alle seine Tücken, Ränke und Verrätereien, seine unerhörte Kühnheit (er war verwegen bis zur Tollheit!), seine Ausflüchte, Kniffe und Heucheleien (denn er war zugleich der erbärmlichste Feigling!), seinen Mangel an Rang und Besitz; seine Verzweiflung bei ihrem Verlust; seine Kabalen und schlau verhehlten Anschläge, um wieder emporzukommen. Kurz, er schwenkte vor uns die schmutzigen Lappen seines Daseins, als wären sie ein stolzes Banner! – Als er zu Ende war, sahen wir beim Fackelschein, daß die Flut bis an seine Mundwinkel reichte, und daß er schwer durch die Nase atmete. Da hoben wir ihn heraus, rieben ihn, hüllten ihn in einen Mantel und gaben ihm Wein; über ihn gebeugt beobachteten wir ihn, während er trank. Er zitterte, aber zeigte keine Scham.
Auf einmal hörten wir Jehan an der Stiege sich regen; ein Knabe stürzte an ihm vorüber und stand im nächsten Augenblicke vor uns; er hatte das Stroh der Halle im Haar und war sichtlich noch vom Schlafe befangen. ›Mein Vater! Mein Vater!‹ rief er und lallte verstört: ›Mir träumte von Verrat!‹
›Hier gibt es keinen Verrat!‹ begütigte Fulke, ›geh nur wieder!‹ Der Knabe, noch immer nicht völlig wach, kehrte wieder um, und Jehan führte ihn an der Hand in die große Halle zurück.
›Das ist dein einziger,‹ meinte De Aquila, ›warum hast du das Kind mitgebracht?‹
›Er ist mein Erbe. Ich wagte nicht, ihn meinem Bruder anzuvertrauen.‹ Und nun schämte er sich zum ersten Male! De Aquila schwieg und schwenkte einen Becher in den Händen. Da berührte ihn Fulke plötzlich am Knie und bat: ›Laß den Knaben nach der Normandie entkommen und tue mit mir, was du willst. Ja, hänge mich morgen, meinen Brief an Robert um den Hals, aber laß den Burschen davon!‹
›Sei still,‹ sagte De Aquila. ›Ich denke an England.‹ Und schließlich sprach er: ›Ich bin zu alt, um zu richten, zu alt auch, um jemandem zu trauen. Auch gelüstet mich nicht nach deinem Gute, wie es dich nach meinem gelüstete. Und ob du besser oder schlechter bist als irgendein anderer schwarzer Schurke aus Anjou – das zu ergründen ist des Königs Sache. Und deshalb, Fulke, magst du zu deinem Könige zurückkehren.‹
›Und du erzählst niemandem, was vorgefallen?‹
›Wozu? Dein Sohn bleibt hier! Und verlangt der König noch einmal von mir, Pevensey zu verlassen, das ich gegen Englands Feinde behüten muß; sendet er nochmals gegen mich Soldaten wie gegen einen Verräter; oder höre ich, daß der König von mir und meinen beiden Rittern auch nur im Traume Böses glaubt: dann, Fulke, hänge ich deinen Sohn an diesem Fenster!‹«
»Aber was hatte der Junge mit all dem zu tun?« fragte Una entsetzt.
»Konnten wir Fulke hängen?« erklärte Ritter Richard. »Den brauchten wir ja, um den König mit uns zu versöhnen. Für seinen Sohn hätte er halb England verraten; des waren wir gewiß.«
»Das verstehe ich nicht,« meinte Una. »Das ist ja ganz schrecklich.«
»Fulke war anderer Meinung, er freute sich unsäglich.«
»Warum? Weil sein Sohn getötet werden würde?«
»Nein, sondern weil ihm De Aquila den Weg gezeigt hatte, dem Knaben das Leben und sich Ehre und Gut zu erhalten. ›Ich will es tun!‹ versprach er. ›Ich schwöre es euch! Ich will dem Könige sagen, daß du kein Verräter bist, sondern der Tüchtigste, Tapferste und Beste von uns allen! Ich will dich retten!‹ De Aquila schaute noch immer auf den Boden seines Bechers und schwenkte den Bodensatz her und hin. ›Ja,‹ meinte er dann, ›wenn ich einen Sohn hätte, ich glaube, ich würde ihn auch zu retten suchen. Aber erzähle mir keinesfalls, wie du es anstellen willst!‹
›Nein, nein,‹ antwortete Fulke, das kahle Haupt nachdenklich schüttelnd. ›Das ist mein Geheimnis. Sei unbesorgt, De Aquila, kein Haar deines Hauptes, kein Morgen deines Landes soll künftig gefährdet sein,‹ und dabei lächelte er wie einer, der sich gute Taten vornimmt.
›Auch würd' ich dir in Zukunft raten, nur einem Herrn zu dienen – nicht zweien,‹ fuhr De Aquila fort.
Fulke entgegnete: ›Wie? Sollte ich in diesen argen Zeiten nicht der ehrliche Mittler zwischen beiden Parteien sein können?‹
›Du mußt Robert dienen, oder dem Könige – England oder der Normandie! Wem von beiden, ist deine Sache, aber du mußt dich entscheiden!‹
›Dann dem Könige! Denn ich sehe, er hat bessere Diener als Robert. Soll ich schwören?‹
›Überflüssig!‹ entgegnete De Aquila und legte die Hand auf das Pergament, das Gilbert beschrieben hatte. ›Ein Teil der Strafe Gilberts mag darin bestehen, den lieblichen Bericht deines Lebens abzuschreiben, bis wir zehn, zwanzig oder vielleicht gar hundert Abschriften haben. Was meinst du, wie viele Rinder würde der Bischof von Tours für diese Geschichte geben? Oder dein Bruder? Oder die Mönche von Blois? – Fahrende Sänger sollen daraus Lieder machen, die deine sächsischen Knechte hinter der Pflugschar, deine Gewappneten bei ihren Ritten durch normannische Städte singen werden! Von hier bis Rom, Fulke, wird man über deine Beichte lachen – wie Fulke gestand, als er im Brunnen hing, um wie ein junger Hund ertränkt zu werden! Das soll deine Strafe sein, erfahre ich je, daß du mit dem Könige wiederum dein falsches Spiel treibst. Inzwischen bleibt das Pergament hier, samt deinem Sohne! Der kehrt zu dir zurück, sobald du mich mit dem Könige versöhnt hast. Das Pergament niemals!‹
Fulke barg stöhnend das Antlitz.
›Bei allen Heiligen!‹ lachte De Aquila. ›Wie tief doch die Feder verwunden kann. Mit keinem Schwerte hätte ich dir je einen solchen Seufzer entrungen!‹
›Und solange ich dir kein Ärgernis gebe, bleibt meine Geschichte geheim?‹ fragte Fulke.
›Genau so lange. Bist du nun getröstet, Fulke?‹
›Welch' anderen Trost habt ihr mir gelassen?‹ stieß er hervor, und auf einmal weinte er hilflos wie ein Kind, den Kopf auf den Knien.«
»Der arme Fulke!« flüsterte Una.
»Auch mich erbarmte er,« meinte Ritter Richard.
»›Erst die Sporen, dann Korn!‹ meinte De Aquila. Damit warf er ihm drei Goldbarren zu, die er aus unserem Verschlage bei der Bettstatt genommen hatte.
›Hätte ich das gewußt,‹ sagte Fulke atemlos, ›hätte ich niemals die Hand gegen Pevensey erhoben! Nur der Mangel an diesem gelben Plunder hat mich zu meinen unseligen Taten getrieben!‹ –
Inzwischen dämmerte der Morgen, und im Herrensaale wurde es lebendig. Wir schickten Fulkes Panzer hinunter, um ihn frisch scheuern zu lassen, und als er zu Mittag unter seinem und des Königs Banner von dannen ritt, sah er gar stolz und stattlich aus. Er strich seinen langen Bart, rief den Sohn zu seinem Steigbügel und küßte ihn. De Aquila gab ihm landeinwärts bis zur neuen Mühle das Geleite. Uns war, als ob die Ereignisse dieser Nacht nur ein Traum gewesen wären.«
»Und hat er beim Könige alles geordnet?« fragte Dan. »Ich meine das mit eurem angeblichen Verrate?«
Der Ritter lächelte. »Keine zweite Botschaft kam mehr vom Könige nach Pevensey. Auch fragte er nie, warum De Aquila der ersten nicht Folge geleistet. Ja, das war Fulkes Werk. Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber er hat es schnell und trefflich getan.«
»Dem Knaben habt ihr also nichts zuleide getan?« fragte Una.
»Dem Burschen? – Ja, das war eine Range! Der kehrte im Schlafzimmer alles von unterst zu oberst, solange wir ihn bei uns hatten. Sang arge Lieder, die er im Lager der Barone gelernt hatte – der arme Schelm! Einmal setzte er die Binsen am Fußboden in Brand, um, wie er sagte, die Flöhe zu vertreiben; ein andermal zückte er den Dolch auf Jehan, der ihn deshalb die Stiegen hinabwarf; er ritt durchs Korn und trieb sein Pferd in die Schafherde. Als wir ihn aber zurechtgeprügelt und ihm Wolf und Hochwild gewiesen hatten, da folgte er uns Alten wie ein junger, gieriger Jagdhund und nannte uns ›Oheim‹. Am Ende des Sommers kam sein Vater, um ihn heimzuholen; doch der Junge hatte keine Lust zu gehen, der Otternjagd wegen, und blieb dann bis zur Fuchshatz. Ich gab ihm die Klaue einer Rohrdommel, welche dem Jäger Glück bringt. – Ja, das war eine Range, wie kein zweiter!«
»Und was geschah mit Gilbert?« wollte Dan wissen.
»Der wurde nicht einmal durchgepeitscht. De Aquila meinte, ihm sei ein Schreiber, und sei er noch so treulos, der die Gutsrolle so gründlich kannte, noch immer lieber, als irgendein Dummkopf, den er zu seiner Arbeit erst wieder abrichten müßte. Übrigens glaube ich, daß Gilbert nach jener Nacht seinen Herrn ebenso liebte, wie er ihn fürchtete. Wenigstens wollte er von uns nicht fort – selbst dann nicht, als Vivian, der Schreiber des Königs, ihn zum Sakristan seines Klosters machen wollte. Er war falsch und doch kühn in seiner Art.«
»Und ist Robert jemals bei Pevensey gelandet?« fragte Dan weiter.
»Dazu hüteten wir die Küste zu gut, solange Heinrich mit den Baronen kämpfte! Und einige Jahre später, als England Frieden hatte, setzte der König nach der Normandie über und gab seinem Bruder zu Tenchebrai eine Lektion, die Robert von jeder Kampflust heilte. Ein großer Teil des königlichen Heeres fuhr damals von Pevensey aus in den Krieg. Auch Fulke kam, und wieder saßen wir zu viert in der Turmstube und tranken Wein. De Aquila hatte recht behalten: man soll die Menschen nicht richten. Fulke war lustig, ja – er war immer lustig, wiewohl sein Atem ihm kurz geworden war.«
»Und was tatet ihr damals?« fragte Una.
»Wir sprachen von alten Zeiten. – Das ist alles, was die Menschen tun können, wenn sie einmal alt geworden sind, mein kleines Fräulein!« –
Leise tönte die Glocke zum Tee über die Wiese her. Dan lag im Buge der »goldenen Hindin«; Una saß ihm gegenüber, den Gedichtband auf den Knien und las aus dem »Traume des Sklaven« Gedicht von Longfellow. Anm. d. Übers.
»Im bleichen Dämmerschein des Traums
Sah er sein Heimatland –«
»Ich kann mich gar nicht besinnen, wann du mit dem Gedichte angefangen hast,« meinte Dan schläfrig.
Mitten auf der Querbank des Bootes lag ein Eichen-, ein Eschen- und ein Dornblatt, die von den Bäumen über ihnen herabgefallen sein mußten; und der Bach kicherte, als hätte er eben einen lustigen Streich mit angesehen.