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Mithras, Gott des Morgens! Trompeten wecken den Wall!
»Rom herrscht über die Erde, doch du herrschst überall!«
Nun werden die Truppen gemustert, die Posten kommen und gehn,
Mithras, auch du bist Krieger! Stärk' uns, den Tag zu bestehn!
Mithras, Gott des Mittags! Die Heide flimmert im Brand,
Der Helm versengt uns die Stirne, die Füße glühen im Sand.
Jetzt, in der Stunde des Rastens, da der Schlaf uns Müde bedräut,
Mithras, auch du bist Krieger! Stärk' uns die Treue zum Eid!
Mithras, Gott des Abends! Nun tauchst du ins westliche Meer,
Unsterblich gehest du unter, kehrst ewig wieder uns her!
Nun kreist der Wein in den Bechern, zu Ende die lange Wacht!
Mithras, auch du bist Krieger! Bewahre uns rein in der Nacht!
Du Gott der zwölften Stunde! Nun bringen den Stier wir dar!
O sieh deine Kinder im Dunkel und segne die gläubige Schar!
Du wiesest uns mancherlei Wege: sie alle führen zum Licht,
Mithras, auch du bist Krieger! Lehr' uns den Tod der Pflicht!
Es traf sich, daß die Kinder am nächsten Tage einen »wilden« Nachmittag hatten, wie sie ihn nannten. Vater und Mutter gingen aus, um Besuche zu machen; Miß Blake fuhr auf ihrem Rade aus und so waren sie bis acht Uhr sich selbst überlassen.
Nachdem sie den Eltern und der Lehrerin höflich das Geleite bis ans Tor gegeben hatten, ließen sie sich vom Gärtner ein Kohlblatt mit Himbeeren füllen und gingen zu Ellen auf einen »wilden« Tee. Die Beeren aßen sie gleich auf, damit sie nicht zerquetscht würden, das Kohlblatt wollten sie beim Theater unter ihre drei Kühe verteilen; dann aber stießen sie auf einen toten Igel, den man doch nicht so unbeerdigt daliegen lassen konnte, und da kam ihnen das Kohlblatt gerade zustatten.
Dann gingen sie zur Schmiede, trafen den alten Heckenmacher Hobden zu Hause und seinen Sohn, den Bienenzüchter, der nicht ganz recht im Kopfe ist; dafür aber kann er ganze Bienenschwärme in der bloßen Hand halten; er war es auch, der sie den alten Spruch von den Blindschleichen gelehrt hatte:
»Ja, hätte ich Augen und könnte sehen,
Mir sollte von Menschen kein Leid geschehen.«
Sie tranken alle den Tee bei den Bienenstöcken, und Hobden meinte, der Kuchen, den Ellen ihnen vorgesetzt hatte, sei beinahe so gut, wie der, welchen seine Frau zu bereiten pflegte; dann zeigte er ihnen, wie man Hasenschlingen in der richtigen Höhe anbringt. (Den Kaninchenfang hatten sie schon früher gelernt.)
Dann stiegen sie im »langen Graben« bis zum unteren Ende des Waldes empor; dieser ist dunkler und trauriger als das andere Ende bei Volaterrä, denn hier befindet sich eine alte Mergelgrube voll schwärzlichen Wassers, und langhaariges Moos bedeckt wie ein Trauerflor die Weiden- und Erlenstümpfe. Aber auf den toten Ästen sitzen zahlreiche Vögel, und Hobden meinte, daß das bittere Weidenwasser eine Art von Medizin für kranke Tiere ist.
Sie setzten sich auf den Stamm einer gefällten Eiche in den Schatten des Buchengebüsches und waren gerade dabei, die mitgebrachten Schlingen zu befestigen, als sie Parnesius erblickten.
»Wie leise du kamst!« sagte Una und rückte zur Seite, um ihm Platz zu machen. »Wo steckt Puck?«
»Der Faun und ich haben gestritten, ob es besser sei, euch meine ganze Geschichte zu erzählen oder nicht.«
»Ich habe nur gemeint, wenn er es so erzählt, wie es sich in Wirklichkeit zugetragen hat, werdet ihr es nicht verstehen,« ließ sich Puck vernehmen, indem er wie ein Eichhörnchen hinter dem Stamme emporfuhr.
»Ich habe nicht alles verstanden,« sagte Una, »aber ich möchte gerne wieder etwas über die kleinen Picten hören!«
»Was ich nicht kapiere,« setzte Dan hinzu, »ist, wie Maximus alles über die Picten wissen konnte, wenn er drüben in Gallien war.«
»Wenn einer irgendwo Kaiser sein will,« erklärte Parnesius, »dann muß er alles wissen, wo er auch sei. – Das waren Maximus' eigene Worte, als die Kämpfe vorüber waren.«
»Welche Kämpfe denn?« fragte Dan.
Parnesius streckte seinen Arm gerade aus und wies mit dem Daumen zur Erde. » Solche Kämpfe! Gladiatorenspiele! Zwei Tage währten die Kämpfe ihm zu Ehren, als er völlig unerwartet zu Segedunum am Ostende des Walles gelandet war. Das war am Tage nach unserem Zusammentreffen; und ich glaube, in der größten Gefahr waren nicht jene armen Fechtkünstler in der Arena, sondern Maximus selbst. In alter Zeit waren die Legionen vor ihrem Kaiser still! Wir waren es nicht! Man konnte das Schreien den Wall entlang gegen Westen rollen hören, als er auf schwankendem Throne durch die Menge getragen wurde. Die Garnison umringte ihn, brüllend, zügellos, schrie nach Sold, Quartierwechsel – kurz, was ihnen in den rohen Sinn kam. Der Thron glich einem Kahne, der von Wogen auf und ab geschleudert wird und doch wieder in die Höhe kommt, wenn man schon die Augen geschlossen hat.« Parnesius zitterte bei seinen Worten.
»Waren sie ihm so feindlich gesinnt?« fragte Dan.
»Sie tobten wie Wölfe im Käfige, wenn der Bändiger unter sie tritt. Hätte er einen Augenblick den Rücken gekehrt, oder es verabsäumt, sie mit dem Blicke zu bannen, so wäre an jenem Tage ein anderer zum Kaiser am Walle ausgerufen worden. War es nicht so, Faun?«
»So war's, so wird es immer sein,« sagte Puck.
»Spät am Abend kam sein Bote um uns; wir folgten ihm in den Tempel der Siegesgöttin, wo Maximus bei Rutilianus, dem General der Mauer, wohnte. Ich hatte kaum jemals zuvor den General gesehen, wiewohl er mir stets den Urlaub bewilligt hatte, wenn ich in die Heide reiten wollte. Er war ein großer Schlemmer, hielt sich fünf Köche aus Asien und stammte aus einer Familie, die an Orakel glaubte. Als wir eintraten, konnte man noch das gute Essen riechen, aber die Tafel war leer, und der General lag schnaufend auf einem Ruhebett. Maximus saß abseits und prüfte lange Rechnungslisten. Dann wurden die Türen verschlossen.
›Hier sind deine Leute,‹ wandte sich Maximus an den General, der mit seinen gichtbrüchigen Fingern die schweren Augenlider aufzwang und uns mit Fischaugen anglotzte.
›Ich werde sie wiedererkennen, Cäsar,‹ meinte er dann.
›Schön! Nun höre! Alle Bewegungen auf dem Walle gehen von nun an ausschließlich nach dem Befehle dieser Burschen vor sich! Ohne ihre Einwilligung wirst du nichts tun – außer essen. Sie sind der Kopf und Arm, du bist der Magen!‹
›Wie es Cäsar beliebt,‹ stöhnte der Alte. ›Wenn mein Gehalt und Einkommen ungekürzt bleiben, magst du meinethalben das Orakel meiner Ahnen zu meinem Vorgesetzten machen. – Mit Rom ist es aus! Ganz aus!‹ Damit wälzte er sich auf die Seite und schlief ein.
›Der hat genug,‹ sagte Maximus. ›Jetzt wollen wir an die Arbeit gehn.‹
Er entrollte ein genaues Verzeichnis aller Truppen und Vorräte an der Mauer – selbst die Kranken des Hunnospitals waren vermerkt. O, wie ich aufstöhnte, als seine Feder eine Abteilung nach der anderen der besten – der am wenigsten unbrauchbaren Soldaten strich! Er nahm mir zwei Türme mit Skythen, zwei unserer nordbritischen Hilfstruppen, zwei numidische Kohorten, alle Dacier und die Hälfte der Belgier. Es war wie wenn ein Geier einen Leichnam zerfleischt. ›Und nun – wie viele Katapulte hast du?‹ fragte er dann, indem er eine neue Liste entfaltete. Aber da legte Pertinax seine Hand darauf. ›Nein, Cäsar!‹ rief er. – ›Versuche die Götter nicht allzu sehr! Nimm dir Truppen oder Maschinen, aber nicht beides – oder wir treten zurück!‹«
»Was für Maschinen?« warf Una ein.
»Die Katapulte auf der Mauer – große, vierzig Fuß hohe Ungetüme mit Schleudernetzen für grobe Steine oder geschmiedete Bolzen. Nichts vermag ihnen zu widerstehen! – Schließlich ließ er uns die Katapulte, aber er nahm erbarmungslos den Kaisertribut – die Hälfte aller Soldaten – mit. Als er die Listen zusammenrollte, waren wir nur mehr ein klägliches Häuflein!
›Heil, Cäsar! Die dem Tode Geweihten grüßen dich!‹ rief Pertinax lachend. ›Nun braucht sich bloß ein Feind an die Mauer zu lehnen, so stürzt sie ein!‹
›Gib mir drei Jahre, wie Allo es gesagt, und du sollst zwanzigtausend Mann eigener Wahl herbekommen! Ich muß das Spiel wagen – das Spiel gegen die Götter und Britannien, Gallien, vielleicht auch Rom sind der Einsatz. Ihr spielt auf meiner Seite?‹
›Ja, das wollen wir, Cäsar!‹ gelobte ich; denn nie hatte ich einen Mann seinesgleichen kennen gelernt.
›Gut. Morgen laß ich euch vor den Truppen zu Befehlshabern des Walles ausrufen.‹ –
So gingen wir wieder hinaus in die Mondnacht. Draußen säuberte man den Platz nach den Kämpfen; oben auf der Mauer ragte die erhabene Roma Dea empor, den Reif auf dem Helme, die Spitze des Speeres gegen den Polarstern gerichtet.
Wir sahen das Flackern der Nachtfeuer in der ganzen Kette der Wachttürme und die lange Reihe der dunklen Katapulte, die in der Ferne kleiner und kleiner wurden. Das alles kannten wir schon bis zum Überdruß, in jener Nacht aber erschienen sie uns fremd, weil wir wußten, daß wir am folgenden Tage Herren über all das sein sollten.
Die Truppen nahmen die Nachricht ruhig auf; aber als Maximus mit der Hälfte unserer Stärke abgezogen war, als wir uns in den leeren Türmen verteilen mußten und die Geschäftsleute zu jammern begannen, daß ihr Handel ruiniert sei, und als gar die Herbststürme einsetzten – da kamen gar schwere Tage für uns zwei. Pertinax war mehr als meine rechte Hand. Denn da er auf den großen gallischen Landgütern seine Jugend verlebt hatte, verstand er es, mit allen in der richtigen Weise zu reden – von den römischen Centurionen bis zu jenen Hunden in der dritten Legion – den Lybiern. Mit jedem Manne sprach er, als wäre dieser ebenso edelgesinnt wie er selbst. Ich wußte wohl, was zu tun nötig sei, aber ich vergaß, daß zu jeder Arbeit die richtigen Leute gehören. Darin war er mir überlegen. Von den Picten fürchtete ich – wenigstens fürs erste Jahr – nichts. Aber Allo warnte mich vor den Männern im Flügelhelm; die, berichtete er, würden bald von der See her zu beiden Seiten den Wall angreifen, um den Picten zu beweisen, wie schwach wir seien. So setzte ich alles rasch in Bereitschaft, und es war gerade höchste Zeit gewesen! Ich zog die besten Truppen an den Enden der Mauer zusammen und stellte an der Küste Katapulte hinter Schutzwehren auf. Und bevor die Schneestürme begannen, machten die Männer im Flügelhelm auch schon die ersten Angriffe – zehn oder zwanzig Schiffe auf einmal, bei Segedunum oder Ituna, je nach der Windrichtung.
Wenn nun ein Schiff an die Küste kommt, um Leute ans Land zu setzen, muß es die Segel reffen. Wartet man also, bis die Matrosen den unteren Teil des Segels zusammenziehen, so kann man in diese sackartige Wölbung mittels der Katapulte eine Ladung kleiner Steine schleudern; dann kippt das Schiff um, und die See tut das übrige. Einige Soldaten erreichten das Ufer, aber nur wenige – – Es war keine schwere Arbeit, von den Sand- und Schneestürmen abgesehen. So also haben wir in jenem Winter die Feinde empfangen.
Zeitlich im Frühjahr, wenn die Ostwinde wie Messer schneiden, fand sich wiederum eine große Flotte vor Segedunum ein. Allo sagte mir, sie würden nicht ablassen, bis sie einen Turm in offenem Kampfe erobert hätten. Und es kam wirklich zur Feldschlacht; einen ganzen, langen Tag setzten wir ihnen hart zu; als alles vorüber war, tauchte ein Mann inmitten der Trümmer eines untergehenden Schiffes auf und schwamm dem Ufer zu. Ich wartete, bis ihn eine Woge vor meine Füße warf. Da ich mich über ihn neigte, sah ich, daß er dieselbe Schaumünze trug wie ich.« Parnesius hob dabei die Hand zu seinem Halse. »Als er wieder zu Sinnen gekommen war, stellte ich ihm daher eine bestimmte Frage, auf die es nur eine bestimmte Antwort gibt. Er sprach denn auch das erwartete Wort – jenes Erkennungswort, das den Gläubigen von gleichem Range im Dienste unseres Gottes Mithras zukommt. Da hielt ich meinen Schild über ihn, bis er sich erheben konnte. Ihr wißt, ich bin nicht klein; er aber überragte mich noch um Kopfeslänge. ›Was nun?‹ fragte er mich. ›Du magst bleiben oder gehen, wie es dir gefällt, mein Bruder!‹ entgegnete ich. Er blickte über die Brandung hin; draußen, wohin unsere Katapulte nicht mehr reichten, lag ein unversehrtes Schiff. Ich gebot den Maschinen Einhalt, und er forderte das Schiff durch Zeichen auf, zur Küste zu kommen. Es gehorchte sofort, wie der Hund seinem Herrn. Als es sich bis auf hundert Schritte genähert hatte, warf er die Locken zurück und schwamm hinaus. Er wurde an Bord gezogen, und das Schiff fuhr davon. – Ich wußte, daß die Verehrung unseres Gottes weit und bei vielen Völkern verbreitet ist, so dachte ich nicht weiter darüber nach.
Einen Monat später traf ich Allo mit seinen Pferden beim Tempel des Pan, und er überreichte mir ein breites Halsband von Gold, in das Korallen eingesetzt waren. Ich glaubte erst, es sei für Rutilianus bestimmt, der sich auf solche Art von Lieferanten bestechen ließ. ›Nein,‹ klärte mich Allo auf, ›es ist ein Geschenk von Amal, jenem Krieger, dem du am Strande das Leben schenktest. Er sagt, du seist ein Mann!‹
›Auch er ist ein Mann! Sag' ihm, ich wolle seine Gabe tragen.‹
›O, Amal ist ein junger Tor! Aber – um zur Sache zu kommen! – Dein Kaiser verrichtet solche Taten in Gallien, daß die Männer im Flügelhelm seine Freunde sein wollen oder, besser gesagt, die Freunde seiner Diener. Sie glauben, du und Pertinax, ihr könntet sie zum Siege führen.‹ Dabei blinzelte er mich wie ein einäugiger Rabe an. Ich erwiderte: ›Allo, ihr seid das Korn zwischen zwei Mühlsteinen. Seid zufrieden, wenn sie sich gleichmäßig drehen und steckt nicht eure Hand dazwischen!‹
›Ich?‹ versetzte Allo. ›Ich hasse die Römer ebenso wie die Männer im Flügelhelm; aber wenn diese glauben, du und Pertinax könntet euch einmal mit ihnen gegen Maximus verbünden, so werden sie dir Frieden geben, solange du den Plan erwägst. Wir müssen vor allem Zeit gewinnen – du und ich und Maximus. Gib mir einen freundlichen Bescheid an jene mit – etwas, worüber sie Rat halten können. Wir Barbaren sind ja alle gleich: wir sitzen halbe Nächte beisammen, um das zu besprechen, was einmal ein Römer gesagt hat. Nun?‹
›Wir haben keine Soldaten, wir müssen also mit Worten fechten,‹ pflichtete Pertinax bei. ›Überlaß das Allo und mir!‹
So ließen wir ihnen denn durch Allo sagen, daß wir sie nicht bekämpfen wollten, wenn sie uns nicht angriffen; und da sie es nach meiner Meinung müde waren, so viele Krieger bei den Landungsversuchen zu verlieren, so stimmten sie diesem Waffenstillstand zu. Ich glaube, daß Allo, der als Pferdehändler das Lügen liebte, ihnen berichtet hat, wir würden uns eines Tages gegen Maximus empören, so wie dieser sich gegen Rom erhoben hatte.
In der Tat ließen sie die Kornschiffe, die ich bald darauf für die Picten nach Norden sandte, unbehelligt passieren. Infolgedessen hatten die Picten in jenem Winter hinreichend Nahrung, und ich freute mich darüber, denn ich betrachtete sie in gewissem Sinne als meine Kinder. Ich hatte nur zweitausend Mann an der Mauer, und schrieb immer wieder an Maximus, bat – flehte! – er möge mir doch nur eine einzige Kohorte meiner nordbritischen Truppen senden. Vergebens – er konnte sie nicht entbehren. Er brauchte sie, um weitere Siege in Gallien zu erringen.
Dann kam die Nachricht, er habe den Kaiser Gratian besiegt und getötet; nun glaubte ich ihn aus der Gefahr und schrieb neuerlich um Mannschaft. Er schrieb zur Antwort: ›Wie du bereits weißt, habe ich mit meinem lieben Gratian endlich abgerechnet. Er hätte nicht gerade sterben müssen, aber er wurde verwirrt und verlor den Kopf, was für einen Kaiser stets eine schlimme Sache ist. Schreib' deinem Vater, ich begnüge mich damit, zwei Maultiere zu lenken, und wenn sich der Sohn meines alten Generals nicht etwa berufen fühlt, mich zu vernichten, bleibe ich Kaiser von Gallien und Britannien, und dann sollt ihr, meine beiden Söhne, bald so viele Truppen erhalten, als ihr nur wollt!‹«
»Wen meinte er mit dem Sohne seines Generals?« fragte Dan.
»Er meinte Theodosius, den Kaiser von Rom, den Sohn jenes Generals Theodosius, unter dem Maximus den ersten Pictenkrieg mitgemacht hatte. Die beiden haben sich niemals leiden können, und als Gratian den jüngeren Theodosius zum Kaiser des Ostens gemacht hatte, übertrug Maximus seinen Haß auch auf die zweite Generation. Darin lag sein Schicksal – es wurde sein Verderben. Der Kaiser Theodosius jedoch ist ein guter Mann; das habe ich selbst erfahren.«
Parnesius sann ein Weilchen nach und fuhr dann fort.
»Ich antwortete Maximus, daß ich, trotzdem wir am Walle Frieden hätten, dennoch mit einer größeren Besatzung und einigen neuen Katapulten beruhigter wäre. Seine Antwort war: ›Du mußt noch ein wenig länger unter dem Schatten meiner Siege aushalten, bis ich erkenne, was der junge Theodosius zu tun gedenkt. Er kann mich als seinen Bruder und Mit-Kaiser begrüßen, aber er kann auch ein Heer gegen mich rüsten. In beiden Fällen kann ich augenblicklich nichts von meinen Streitkräften entbehren.‹«
»Aber, das antwortet er ja regelmäßig!« rief Una.
»Und es war wahr. Er machte keine Ausflüchte. Aber dank den Nachrichten von seinen Siegen hatten wir lange, lange am Walle Ruhe. Die Picten wurden so rund wie ihre Schafe auf der Heide, und alle meine Leute ohne Ausnahme waren inzwischen in ihren Waffen wohlgeschult. Ja, der Wall sah stark aus! Ich allein wußte, wie schwach wir waren. Ich wußte, wenn sich auch nur ein unverbürgtes Gerücht von einer Niederlage Maximus' unter den Männern im Flügelhelme verbreiten würde, kämen sie ernstlich angerückt und dann – war der Wall verloren! Vor den Picten fürchtete ich mich nicht – aber ich hatte inzwischen manches über die Stärke der Männer im Flügelhelm erkundet. Jedes Jahr wurde ihre Zahl größer, und meine Stärke blieb immer gleich! Maximus hatte Britannien hinter uns gänzlich entvölkert, und so kam ich mir vor wie ein Mann an einem morschen Zaun, der mit einem zerbrochenen Stabe Stiere abwehren soll. – So, meine Freunde, lebten wir an der Mauer, wartend – wartend auf Truppen, die Maximus niemals sandte. –
Auf einmal schrieb er, daß er ein Heer gegen Theodosius rüste. Pertinax las mir in unserem Quartier den Brief vor; er lautete: ›Schreib' deinem Vater, mein Schicksal will es, daß ich entweder drei Maultiere lenke oder von ihnen zerrissen werde. Ich hoffe, innerhalb eines Jahres mit Theodosius für immer fertig zu werden. Dann sollst du die Herrschaft über Britannien erhalten, und Pertinax, wenn er will, über Gallien. Heute wünschte ich sehr, du wärest bei mir, um meine Hilfstruppen abzurichten. Ich bitte dich, schenke keinem Gerüchte über meine Krankheit Glauben. Mein alter Körper spielt mir wieder einmal einen Streich, doch hoffe ich, ihn dadurch zu kurieren, daß ich schleunigst in Rom einreite!‹
Da meinte Pertinax: ›Mit Maximus ist es aus! Er schreibt wie einer, den alle Hoffnung verlassen hat. Nur ein Mann, der keinerlei Hoffnung mehr hat, kann dies herauslesen. Und was steht hier unten als Nachschrift? ›Sage Pertinax, ich bin seinem Onkel, dem Duumviren von Divio, begegnet, und er hat mir über das Vermögen seiner Mutter wahrheitsgemäß Rechnung gelegt. Ich habe sie mit geziemender Begleitung – denn sie ist die Mutter eines Helden! – nach Nicäa geschickt, wo das Klima wärmer ist.‹
›Da hast du den Beweis!‹ rief Pertinax. ›Von Nicäa ist Rom zur See schnell zu erreichen. Von dort kann eine Frau in Kriegszeiten leicht zu Schiff nach Rom fliehen. Es ist so: Maximus sieht seinen Tod voraus und erfüllt seine Versprechungen zuvor! Aber ich bin froh, daß er meinen Onkel gesprochen hat!‹
›Wie schwarz du heute siehst!‹ meinte ich.
›Ich sehe, was wahr ist! Die Götter sind des Spieles müde, das Maximus gegen sie gewagt! Theodosius vernichtet ihn – es ist zu Ende!‹
›Und wirst du ihm das schreiben?‹ fragte ich.
›Sieh her, was ich schreibe!‹ Er holte die Feder und schrieb einen Brief, heiter wie das Licht des Tages, zart wie der Brief eines Weibes und voll von Scherzen. Selbst ich, der ich, über seine Schulter gebeugt, mitlas, faßte frischen Mut – bis ich ihm ins Gesicht sah!
›Und nun, Bruder!‹ sagte er, das Schreiben siegelnd, ›sind wir beide so gut wie tot! Komm mit mir zum Tempel!‹
Dort beteten wir eine Zeitlang zu Mithras, wie wir oft zuvor gemeinsam gebetet hatten. Nachher verbrachten wir Tag für Tag unter bösen Gerüchten, bis es wieder Winter ward.
Eines Morgens, als wir an die Ostküste geritten waren, fanden wir einen blondhaarigen Mann am Strande halb erfroren, an ein paar Planken gefesselt. Da wir ihn umkehrten, erkannten wir an seinem gebuckelten Gürtel, daß er der gotischen Ostlegion angehörte. Auf einmal öffnete er die Augen und schrie auf: ›Er ist tot! Ich hatte Briefe – aber die Männer im Flügelhelm haben das Schiff in den Grund gebohrt!‹ Nach diesen Worten starb er uns in den Armen. Wir fragten nicht, wer tot sei – wir wußten es! Wir jagten mit dem Schneesturm um die Wette nach Hunno, wo wir Allo zu finden hofften. Er war auch wirklich bei den Ställen und las uns am Gesichte ab, was wir gehört hatten. ›Es geschah in einem Zelte an der Küste,‹ stotterte er, ›er wurde von Theodosius enthauptet. Er schickte euch einen Brief, den er vor seiner Hinrichtung geschrieben hatte. Die Männer im Flügelhelm trafen auf das Schiff und nahmen es. Die Kunde läuft wie Feuer durch die Heide! Tadelt mich nicht – nicht länger vermag ich meine Leute zurückzuhalten.‹
›Ich wollte, wir könnten dasselbe von unseren Leuten sagen,‹ meinte Pertinax lachend. ›Aber (die Götter seien gepriesen!) sie können nicht davonlaufen!‹
›Was wollt ihr tun?‹ fragte Allo. ›Ich bringe euch den Befehl – den Vorschlag! – von den Männern im Flügelhelm, euch mit ihnen zu einem Beutezuge nach Britannien zu vereinigen.‹
›Es tut mir leid,‹ erwiderte Pertinax, ›aber wir sind gerade dazu da, um das zu verhindern.‹
›Wenn ich diese Antwort zurückbringe, töten sie mich,‹ bat Allo. ›Ich habe ihnen stets versprochen, daß ihr euch erheben würdet, wenn Maximus fällt. Ich – ich hielt es für unmöglich.‹
›Ach, du armer Barbar!‹ rief Pertinax, noch immer lachend. ›Nun, du hast uns zu viele gute Pferde verkauft, als daß wir dich deinen Freunden ausliefern dürften. Wir wollen dich gefangen nehmen, obwohl du als Abgesandter hier bist.‹
›Ja, das wird das beste sein,‹ sagte Allo und hielt uns selbst einen Strick hin. Wir banden ihn leicht – er war ja ein alter Mann.
›Die Verzögerung kann uns retten,‹ sagte ich. ›Wenn Maximus den Brief in der Gefangenschaft geschrieben hat, muß Theodosius das Schiff gesandt haben. Kann er Schiffe schicken, so kann er auch Truppen senden.‹
›Was hilft uns das?‹ entgegnete Pertinax. ›Wir dienen Maximus und nicht Theodosius. Selbst wenn Theodosius durch ein göttliches Wunder aus dem Süden Hilfe schickt und die Mauer rettet, können wir nicht mehr erwarten als den Tod, den Maximus gestorben ist.‹
›Unsere Aufgabe ist, den Wall zu halten, unbekümmert darum, welcher Kaiser lebt und zum Tode verurteilt.‹
›Das könnte dein Bruder, der Philosoph, gesprochen haben! Ich habe keine Hoffnung mehr und sage daher keine solche hochtrabenden, albernen Dinge! Alarmiere den Wall!‹
Wir bewaffneten den Wall von einem Ende zum anderen. Ich sagte den Offizieren, es seien Gerüchte von Maximus' Tode im Umlauf, die den Feind zum Angriff veranlassen könnten; daß wir aber sicher glaubten, selbst wenn es wahr sei, würde uns Theodosius Britannien zuliebe Hilfe senden. Drum müßten wir standhalten ... Meine Freunde! Es ist gar seltsam zu beobachten, wie die Menschen schlimme Nachrichten aufnehmen. Oft werden die, welche bisher die Stärksten waren, die Schwächsten, während sich die Schwächsten gleichsam zum Himmel emporrecken, und von den Göttern die Kraft entlehnen. So war es bei uns! Und Pertinax hatte in den letzten Jahren durch seine Scherze, seine Freundlichkeit und seine Beharrlichkeit Mut und Zucht in unser Häuflein gebracht – mehr als ich für möglich gehalten hätte! Selbst unsere lybische Kohorte – von der dritten Legion – stand wie eine Mauer in ihren gefütterten Panzern und muckte nicht.
Drei Tage darauf kamen sieben Häuptlinge und Älteste von den Feinden. Unter ihnen war Amal, jener große Jüngling, dem ich an der Küste begegnet war; er lächelte, als er mein Halsband erblickte. Wir hießen sie willkommen, denn sie waren Abgesandte. Wir zeigten ihnen Allo, lebend aber gebunden. Sie glaubten, wir hätten ihn getötet, und ich sah, es hätte ihnen nicht leid getan, wenn es geschehen wäre. Allo merkte das auch, und es verdroß ihn. In unserem Quartier kam es dann zur Beratung.
Sie sagten, Rom falle, und wir müßten mit ihnen gemeinsame Sache machen. Sie boten mir ganz Südbritannien zur Herrschaft an, wenn sie erst einen Tribut daraus gezogen hätten. Meine Antwort war: ›Geduld! Ihr dürft diesen Wall noch nicht wie Beute verteilen. Beweist mir, daß mein General tot ist.‹
›Nein,‹ meinte ein Alter, ›beweise uns, daß er lebt!‹ Und ein zweiter fügte listig hinzu: ›Was gibst du uns, wenn wir dir seine letzten Worte verlesen?‹
›Wir sind keine feilschenden Krämer!‹ rief Amal dazwischen. ›Und dann – ich danke diesem Manne mein Leben. Er soll seinen Beweis haben,‹ und damit warf er mir jenen Brief Maximus' (wie gut kannte ich das Siegel!) über den Tisch zu. ›Wir fanden ihn im Schiffe, welches wir in den Grund bohrten,‹ fügte er hinzu. ›Ich kann nicht lesen, aber dies eine Zeichen kenne ich doch, und es verdient Glauben.‹ Damit wies er mir einen dunklen Fleck auf der Außenhülle, und mein schweres Herz sagte mir, daß es das tapfere Blut Maximus' war.
›Lies!‹ sagte Amal. ›Lies uns vor und dann sagt uns, wessen Diener ihr seid.‹
Da meinte Pertinax sehr ruhig, nachdem er den Brief durchflogen hatte: ›Ich will euch alles lesen! Hört, ihr Barbaren!‹ Und nun las er das Schreiben, das ich seither stets an meinem Herzen getragen habe.«
Parnesius zog ein zusammengefaltetes Stück Pergament mit vielen Flecken hervor und begann mit leiser Stimme:
»An Parnesius und Pertinax, die nicht unwürdigen Befehlshaber des Walles von Maximus, dereinst Kaiser von Britannien und Gallien, nun ein Gefangener, zum Tode verurteilt im Lager des Theodosius an der Küste – Gruß und Abschied!«
›Das genügt,‹ unterbrach ihn Amal, ›hier ist euer Beweis! Ihr müßt nun zu uns stoßen!‹
Pertinax blickte ihn lange schweigend an, bis er rot wurde wie ein Mädchen; dann fuhr er fort:
›Ich habe in meinem Leben mit Vergnügen denen viel Übles zugefügt, die mir Böses wünschten; wenn ich aber Euch je gekränkt haben sollte, so bereue ich es und bitte Euch um Verzeihung. Die drei Maultiere, die ich zu lenken versuchte, haben mich in Stücke gerissen, wie es Dein Vater vorausgesagt. Nackte Schwerter warten beim Zelteingange, um mir den Tod zu geben, den ich Gratian bereitet habe. Deshalb sende ich Euch als Euer General und Kaiser freien und ehrenvollen Abschied aus meinem Dienste, den Ihr nicht um Sold und Rang willen, sondern – und der Glaube macht mich glücklich! – aus Liebe zu mir auf Euch genommen.‹
›Beim Licht der Sonne!‹ rief Amal aus. ›Das war ein Mann in seiner Art! Vielleicht täuschen wir uns auch in seinen Dienern!‹
Und Pertinax fuhr fort: ›Ihr habt mir die Frist gewährt, die ich verlangte; daß es mir mißlang, sie zu nützen – beklagt es nicht! Wir haben ein glänzendes Spiel gegen die Götter gewagt, und ich habe den Einsatz zu zahlen. Aber vergeßt nicht: Ich bin gewesen; doch Rom ist! Und Rom bleibt! – Sage Pertinax, seine Mutter ist zu Nicäa in Sicherheit, und ihr Geld in der Obhut des Präfekten zu Antipolis. Grüße mir Vater und Mutter, deren Freundschaft ein Gewinn für mich war. Und entbiete auch meinen kleinen Picten und den Männern im Flügelhelme solche Grüße, als ihre dicken Schädel zu fassen vermögen. Noch heute hätte ich Dir drei Legionen gesandt, wenn alles gut gegangen wäre. Vergeßt mich nicht! Wir haben zusammen gearbeitet! Lebt wohl! Lebt wohl! Lebt wohl!‹
Seht ihr, das war meines Kaisers letztes Schreiben.« (Die Kinder hörten das Pergament knistern, während es Parnesius an seinem Platze verwahrte.)
»›Ich habe mich geirrt,‹ sagte Amal. ›Die Diener eines solchen Mannes werden nicht feilschen, sondern kämpfen. Ich freue mich dessen? Und er hielt mir die Hand entgegen.
›Aber Maximus hat euch doch die Entlassung gegeben‹, begann einer von den Ältesten. ›Es steht euch völlig frei, wem ihr dienen – oder wo ihr herrschen wollt. Schließt euch uns an!‹
›Wir danken euch,‹ erwiderte Pertinax. ›Aber Maximus trägt uns auf, euch solche Botschaft zu entbieten, als – verzeiht, ich gebrauche nur seine eigenen Worte! – als eure dicken Schädel zu fassen vermögen.‹ Mit diesen Worten wies er durch die Tür auf das Gestell eines schußbereiten Katapultes. ›Ich verstehe,‹ antwortete ein Häuptling, ›der Wall ist nur für einen Preis zu haben.‹
›Es tut mir leid,‹ stimmte Pertinax lachend zu. ›Nur auf diese Weise kann der Wall gewonnen werden.‹ Damit schenkte er ihnen von unserem besten Südwein ein. Sie tranken, wischten sich schweigend die Bärte und erhoben sich dann zum Weggehen. Da meinte Amal, sich räkelnd: (Sie waren ja Barbaren!) ›Wir sind eine lustige Tafelrunde! Wer weiß, was Raben und Haifische mit manchem von uns treiben werden, noch ehe der Schnee zergeht!‹
›Denk' lieber daran, wie viele Truppen uns Theodosius zu Hilfe schicken wird,‹ sagte ich; sie lachten zwar, doch ich merkte, daß ihnen mein Einfall Unbehagen verursachte.
Als sie gegangen waren, blieb nur Allo ein wenig hinter ihnen zurück; blinzelnd und zwinkernd begann er: ›Ihr seht, ich bin nichts mehr als ihr Hund. Wenn ich einmal ihren Leuten die geheimen Pfade durch die Sümpfe gezeigt habe, jagen sie mich auch ganz so mit Fußtritten davon.‹
›Dann würde ich mich eben nicht gar beeilen, ihnen diese Wege zu zeigen,‹ versetzte Pertinax, ›bevor ich nicht sicher wüßte, daß Rom den Wall aufgibt.‹
›Glaubst du? Wehe mir! Ich wollte ja bloß Frieden für mein Volk!‹ Seufzend stapfte der Alte durch den Schnee hinter den hohen Gestalten einher.
Auf diese Weise also, langsam, mit tagelangen Unterbrechungen (und das ist das ärgste für hoffnungslose Truppen!) begann der Kampf an der Mauer. Zuerst drängten die Feinde, wie zuvor, von der See heran, und wir bekämpften sie wie früher – mit den Katapulten; sie wurden es müde. Und doch wagten sie lange nicht, ihre Entenfüße aufs Land zu setzen, und ich glaube, als es so weit war, daß die Picten ihr Geheimnis preisgeben sollten, vermieden sie es aus Furcht oder Scham, alle Wege über die Heide zu verraten. Das erfuhr ich von einem gefangenen Picten. Denn sie waren, obwohl unsere Feinde, doch auch unsere Spione, weil die Männer im Flügelhelm sie bedrückten und ihre Wintervorräte wegnahmen. O, das dumme Pictenvolk! –
Dann begannen uns die Feinde von beiden Enden der Mauer in die Mitte zusammenzudrängen. Ich schickte Eilboten nach dem Süden, um zu erkunden, wie die Dinge in Britannien ständen; aber in jenem Winter waren die Wölfe tollkühn, denn alle Garnisonen standen leer; keiner meiner Boten kehrte zurück! Dann stellte sich Futtermangel für die Pferde ein. Ich selbst hatte zehn, Pertinax ebensoviel. Wir lebten und schliefen im Sattel, ritten nach Osten und Westen und nährten uns von den zu Tode gehetzten Pferden. Bald machten uns auch die Bewohner der Stadt Schwierigkeiten, bis ich sie alle in ein Viertel hinter Hunno zusammenbrachte. Wir rissen den Wall zu beiden Seiten nieder, so daß der Rest eine Art von Burg bildete. So fochten meine Leute besser als in der langen Kampfreihe.
Im zweiten Monat steckten wir tief im Kampfe – wie ein Mensch in einem Schneesturm oder einem Traume. Ich glaube, wir kämpften im Schlaf. Ich weiß, daß ich oft auf den Wall ging und wieder zurückkehrte, ohne mich an das Vorgefallene erinnern zu können, und doch war meine Stimme heiser von Befehlen, und mein Schwert zeigte frische Spuren vom Kampfe.
Die Feinde fochten wie Wölfe – rudelweise. Wo sie die meisten Verluste erlitten, dort stürmten sie mit doppeltem Ungestüm. Das erschwert die Verteidigung sehr, aber es hielt sie wenigstens von einem Eindringen nach Britannien zurück.
Damals schrieb ich mit Pertinax auf das Pflaster des vermauerten Torbogens nach Valentia die Namen jener Türme und den Tag, an dem sie gefallen waren – einer nach dem anderen. Das sollte unser Kriegsbericht sein.
Am heißesten tobte der Kampf zu beiden Seiten der Statue der Roma Dea, nahe dem Hause des Rutilianus. Beim Strahl der Sonne, dieser alte, dicke Herr, um den wir uns gar nicht mehr gekümmert hatten, er wurde wieder jung, wenn die Trompeten schmetterten! Er sagte immer, sein Schwert sei sein Orakel. ›Ich will das Orakel befragen!‹ pflegte er zu sagen, indem er den Schwertknauf ans Ohr legte und den Kopf nachdenklich wiegte. ›Auch diesen Tag wird Rutilianus überleben!‹ meinte er, schürzte das Kleid und kämpfte dann unter Fauchen und Ächzen gar wacker. O, es gab eine Menge Spaß an der Mauer, womit wir uns über den Hunger wegtäuschten!
Zwei Monate und siebzehn Tage hielten wir aus – und wurden von drei Seiten auf einen stets enger werdenden Raum zusammengedrängt. Allo sandte Botschaft, daß Hilfe nahe sei. Ich glaubte es nicht, aber meine Leute ermunterte es. – Das Ende kam: nicht unter Freudengeschrei, sondern so, wie alles bisher gewesen war; wie in einem Traume. Die Feinde gaben uns plötzlich eine ganze Nacht Frieden und den nächsten Tag desgleichen; was für erschöpfte Soldaten zu viel ist. Erst schliefen wir ganz leise, jeden Augenblick Alarm erwartend, dann aber schliefen wir wie die Klötze, ein jeder, wo er gerade lag. Mögt ihr nie einen solchen Schlaf nötig haben! – Als ich erwachte, wimmelten die Türme von fremden, bewaffneten Kriegern, die meine schnarchenden Leute beobachteten. Ich weckte Pertinax und wir sprangen auf.
›Was tut ihr?‹ meinte ein Jüngling in fleckenloser Rüstung. ›Wollt ihr Theodosius bekämpfen? Seht her!‹
Wir blickten nordwärts über den blutgefärbten Schnee – der Feind war verschwunden. Wir schauten nach Süden über das weiße Schneefeld, und siehe! – da waren die Adler zweier starker Legionen! In Ost und West sahen wir noch Feuer und Getümmel; aber hier zu Hunno war alles ruhig. ›Eure Not ist vorüber,‹ sagte der junge Krieger. ›Roms Arm ist lang. Wo sind die Befehlshaber der Mauer?‹
Wir sagten, wir seien es. ›Ihr seid doch alt und grau!‹ rief er. ›Maximus nannte euch jung?‹
›Das waren wir auch vor einigen Jahren,‹ erwiderte Pertinax. ›Was wird nun unser Schicksal sein, du feiner, wohlgenährter Knabe?‹
›Ich heiße Ambrosius und bin ein Geheimschreiber des Kaisers,‹ war die Antwort. ›Zeigt mir einen gewissen Brief, den Maximus in einem Zelt vor Aquileia schrieb, dann werde ich euch vielleicht glauben.‹
Ich zog meinen Brief hervor; als er ihn gelesen hatte, salutierte er und sagte: ›Euer Schicksal liegt in eurer Hand! Wenn ihr dem Theodosius dienen wollt, so gibt er euch eine Legion; zieht ihr es aber vor, heimzukehren, so soll euch von uns ein Triumphzug bereitet werden.‹
›Lieber wäre mir ein Bad, Wein und Speise, ein Rasiermesser, Seife, Öl und Wohlgerüche!‹ lachte Pertinax.
›Ich sehe, du bist doch noch jung,‹ meinte Ambrosius. ›Und du?‹
›Wir hegen keinerlei Groll gegen Theodosius, aber im Kriege –' begann ich. ›Im Kriege,‹ unterbrach mich Pertinax, ›ist es wie mit der Liebe. Ob das Mädchen gut oder schlecht ist, man gibt sein Bestes nur einmal und nur ihr allein. War es vergeblich: was dann noch übrig bleibt, ist des Gebens und Nehmens nicht mehr wert.‹
›Das ist wahr,‹ nickte Ambrosius. ›Ich war bei Maximus, ehe er starb. Er sagte es Theodosius gleich voraus, ihr würdet ihm nicht dienen, und ich bekenne es offen, ich bedaure es um meines Kaisers willen.‹
›Er kann sich mit dem Besitze Roms trösten,‹ bemerkte Pertinax. ›Ich bitte dich, laß uns heimkehren, um den üblichen Geruch hier endlich loszuwerden.‹ –
Trotzdem bereiteten sie uns einen Triumph,« schloß Parnesius.
»Er war wohlverdient!« sagte Puck; dann warf er einige Blätter in das stille Wasser der Mergelgrube, und langsam, einschläfernd glitten schwarze, ölige Kreise über der Oberfläche; die Kinder folgten ihnen mit den Augen.
»Ich möchte – ach, ich möchte so viel noch wissen!« rief Dan. »Was geschah mit Allo? Kamen die Männer im Flügelhelm jemals wieder? Und was war es mit Amal?«
»Und was wurde mit dem alten, fetten General, der die fünf Köche hatte?« warf Una ein. »Und dann – ja, was hat denn deine Mutter gesagt als du heimkamst? – –«
»Na, die wird schön schimpfen, daß ihr euch so lang' in der alten Grube herumwälzt und so spät nach Hause kommt!« ließ sich mit einem Male die Stimme des alten Hobden hinter ihnen vernehmen. »Stille! Psst!« setzte er hastig hinzu. Er blieb stehen; zehn Schritte vor ihm saß ein prächtiger Fuchs auf den Hinterbeinen und blickte die Kinder an, als wären sie alte Freunde von ihm.
»O, Reinecke, Reinecke!« flüsterte er, »wenn ich nur wüßte, was in deinem Kopfe steckt – das wäre viel wert! – Junger Herr und Fräulein Una, ich gehe den Hühnerstall absperren. Geht ihr mit?«