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Vorbemerkung

Vorliegendes Tagebuch bitte ich zu lesen wie einen Roman. Wenngleich es sich zum großen Teil aus Elementen aufbaut, welche die äußeren Anregungen einer Weltreise in mir entstehen ließen, und viel objektive Darstellungen und abstrakte Betrachtungen enthält, welche selbständig für sich bestehen können, so stellt es als Ganzes doch eine von innen heraus erschaffene, innerlich zusammenhängende Dichtung dar, und nur wer es als solche auffaßt, wird seinen eigentlichen Sinn verstehen. Über diesen will ich nichts vorausbemerken. Er wird sich dem offenbaren, der dem Wanderer willig durch seine vielfachen Stimmungen und Wandlungen hindurch Gefolgschaft leistet, nie vergessend derweil, daß das Faktische mir nirgends Selbstzweck, sondern überall nur ein Ausdrucksmittel ist für einen Sinn, welcher unabhängig von ihm besteht; der sich dementsprechend nicht daran stößt, daß Gedanken über fremde Kulturen mit Selbstbetrachtungen, exakte Darstellungen mit dichterischen Umbildungen abwechseln, daß viele, vielleicht die meisten Schilderungen mehr der Möglichkeit als der Tatsächlichkeit gerecht werden; der sich vor allem auch durch die Widersprüche nicht beirren läßt, in die mich Standpunkts- und Stimmungswechsel mit Notwendigkeit häufig verstricken, und deren Auflösung ich nicht immer ausdrücklich mitteile. Wer mich in diesem Geiste liest, dem wird, so hoffe ich, noch ehe er ans Ende gelangt, die Ahnung weniger einer theoretisch-möglichen Weltanschauung als einer praktisch-erreichbaren Bewußtseinslage aufgegangen sein, der so manches verhängnisschwere Problem von Hause aus gelöst erscheint, in der unüberbrückbare Gegensätze verschmelzen und vieles einen neuen, volleren Sinn erhält. – Auf daß nun auch der auf seine Rechnung komme, dem es vornehmlich um Einzelerkenntnisse zu tun ist, habe ich dem Buch ein ausführliches Register angehängt, das ihm das Zusammensuchen der verstreuten Stellen, die auf gleiche Probleme Bezug haben, erleichtern wird.

... Dies schrieb ich im Juni 1914; im Herbst jenes Jahres sollte das Werk erscheinen. Da kam die Kriegserklärung; sie unterbrach, bis zur Besetzung Estlands durch deutsche Truppen, jede Verbindung zwischen dem Verlag und mir. In seinen Händen befand sich druckfertig der erste Band, in den meinen verblieben die Korrekturbogen zum zweiten. – Trotz der langen seither verstrichenen Zeit gebe ich mein Reisetagebuch nun in der Hauptmasse nach unveränderter Gestalt heraus; soweit es einer orientalisierenden Einstellung entspringt, gehört es durchaus meiner Schaffensperiode von 1911-14 an, hätte daher durch Umarbeitung von einem neuen Zustand her allenfalls verlieren können. Nur die beiden letzten Teile – Amerika und Rayküll – habe ich während der Kriegsjahre nicht allein verändert, sondern beinahe vollständig neu verfaßt; dies erwies sich als notwendig, um mein Unternehmen wahrhaft zu vollenden. 1914 war ich vom Orient noch so sehr besessen, daß ich mich als Abendländer nicht unbefangen darstellen konnte; den entsprechenden Abschnitten gebrach es daher an Klarheit und Überzeugungskraft. Und um dem Ganzen die Abrundung, den Abschluß zu geben, den seine Idee verlangte, um im Finale das lebendige Fazit meines Umweges um die Welt zu ziehen – dazu fehlte mir damals vollends die Distanz. Heute glaube ich soviel getan zu haben, wie meine Fähigkeiten mir gestatten. Die lange, lastende Schreckenszeit hätte somit einer Geistesschöpfung wenigstens zum Heil gereicht ...

Rayküll i. Estland, im Frühjahr 1918
Hermann Keyserling

Der Text der zweiten Auflage hat, gegenüber der ersten, nur geringfügige Änderungen und Nachbesserungen erfahren.

Murnau, im August 1919
H. K.

Zur dritten Auflage habe ich nichts anderes vorauszubemerken als zur zweiten. Möchte aber bei dieser Gelegenheit den Freunden des Tagebuchs empfehlen, nach dessen Lektüre noch die kleine Schrift »Was uns not tut – was ich will« zur Hand zu nehmen: vielleicht wird diese einigen den Weg von der theoretischen Erkenntnis zur praktischen Lebensneugestaltung weisen.

Friedrichsruh, im Februar 1920
H. K.

Anläßlich der letzten Neuauflagen fand ich nichts Neues zu bemerken. Die Gelegenheit dieser siebenten sei jedoch dazu benutzt, um meine Leser auf meine »Schöpferische Erkenntnis« aufmerksam zu machen. Diese verkörpert meinen ersten großen Schritt über den Zustand, aus dem das Tagebuch entstand, hinaus; sie ist die Einführung in das Wollen der Schule der Weisheit. Wem das Tagebuch Wesentliches gab, der muß auch die Schöpferische Erkenntnis lesen, denn in ihr wird gezeigt, wie die gleiche Einstellung, die in jenem universelles Verstehen ermöglichte, jeden einzelnen in Form von schöpferischer Einseitigkeit zu sinnvollem Handeln führen kann. So ergänzt ein Werk das andere. – Am vorliegenden ändere ich nichts mehr.

Darmstadt, im November 1922
H. K.


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