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Heute früh, lange ehe die Sonne sichtbar ward, habe ich die Giganten des Himalaya ihre Strahlen auffangen sehen. Die Erde lag unsichtbar in Nacht; auf Wolkenhöhe, in unsicherem Dämmerlicht, strichen bleiche Nebel dahin. Sie aber, hoch über allen Wolken, erglühten im Frühgruß des Tags.
Gestern, als ich anlangte, war der Himmel bedeckt, aber wieder und wieder zerriß ein scharfer Wind das graue Tuch, und man bedeutete mir, daß ich auf kurze Augenblicke vielleicht des Kinchin-yonga ansichtig werden möchte. Ich suchte nach ihm, wo nach an Alpenerfahrungen gewonnenem Maßstabe ein über hundert Meilen entfernter Berggipfel zu sichten sein müßte; fand jedoch nichts; bis ich zufällig meine Augen aufwärts wandte: dort, wo ich nur Himmelskörper vermutete, erglänzte sein Firn ... Noch nie bin ich gleich überwältigender Materie gegenübergestanden. Der Himalaya ist kein Gebirgsmassiv, wie andere auch; es ist, als hätte der geborstene Mond sich jählings der grünen Erde aufgepflanzt, so unirdisch, kosmisch-groß, so außer allen Zusammenhangs mit den Gestaltungen dieses Planeten wirkt er. Weit, weit vom Punkte, da ich stehe, reicht der Blick über Berge und Täler hinaus, die Ketten aufgefaltet zum Niveau höchster Alpengipfel, die Täler ausgeschnitten schier bis zum Spiegel des Meers. Formation schichtet sich auf Formation, Flora auf Flora, Fauna auf Fauna; subtropische Vegetation geht mählich in arktische über; auf das Reich des Elefanten folgt das des Bären und zuletzt des Schneeleoparden. Und über diesen Welten erst beginnt der eigentliche Himavat. – Freilich muß dort, wenn irgendwo, das Reich der Götter liegen. Ich gedenke jenes Reliefs zu Ellora, welches darstellt, wie der Riese Kailas den schlummernden Shiva zu vernichten trachtet, indem er die Himalayas ins Wanken bringt: von der besorgten Parvati geweckt, setzt der Gott einen Fuß vom Lager herab und zerdrückt damit lässig den Titanen. – Mir scheint: hier bedarf es keiner ungeheueren Phantasie, um ungeheure Bilder zu erfinden: in dieser Natur wird das Überschwängliche von selbst. Durch Übertreibung gebildet, zwingt sie ihrerseits zum Übertreiben, und das Größte wirkt hier immer noch zu klein. Jauchzend setzt sich der Geist über alle Schranken hinweg, triumphierend übersteigt er alle Grenzen. Was war, wenn nicht mein erster, so doch mein zweiter Gedanke, als ich der Riesen ansichtig geworden war? – Daß der Geist Berge versetzen könne! Jeder Zweifel daran kam mir lachhaft vor. Sooft ein menschlich-begrenzter Gedanke mein Hirn durchzuckte, war mir, als tönte drüben vom ewigen Schnee das metallene Lachen Shivas herüber, und die bloße Scham trieb mich zum Mitlachen an ...
In einer Natur, die solche Berge auftürmt, mag schon ein Mahâbhâratam entstehen; alle Großheit der indischen Mythe liegt in ihr vorgebildet. Wie gut verstehe ich heute die Bedeutung, die der Himavat für das indische Bewußtsein hat! In seinem Bereich liegt Shivas Paradies; ihm entspringt der heiligste der Ströme. In den Himalayas hausen die Munis und Rishis, und unaufhaltsam, in endlosem Zug, streben die Weisheitsdurstigen zu ihnen hinan. In den Himalayas sind die Veden entstanden, die Upanishads, und noch heute stamme von ihnen alle Inspiration. So ist es wohl. Noch nie habe auch ich, der Fremdling, meine Seele ähnlich beschwingt gefühlt. Mir ist, als seien tausend Genien dabei, glitzernd scheinend wie der Firn im Morgenlicht, fröhlich lachend wie frisch erwachte Kinder, vertraulich, als kennten sie mich von je, sie aller Vorurteile zu entkleiden. Nun rufen sie: komm! und eilen mir voran in den unendlichen Raum. Kannst du nicht mit? – Ich komme schon. Aber ich kann die göttliche Freiheit nicht so leicht nehmen wie ihr. Wo ihr lacht und spielt, ist mir weihevoll zumute. Mich macht es schwindelig, hoch über dem zu schweben, was mich jüngst erst allseitig band. Und noch verstehe ich nicht, wie das nur möglich ist. – Sie lachen: was ist da zu verstehen? es ist doch selbstverständlich! – Ist dies das Geheimnis? – Mir ist, als würde es auf rätselvolle Weise, in unbeschreiblichem Sinne jählings Licht in mir; als öffneten sich mir neue, nie geahnte Erkenntniswege, als verflüchtigten sich alle erdgeborenen Schranken, als machte die Menschenwelt einer neuen Platz. Nun schaue ich vordem Unsichtbares, Zusammenhänge ganz anderer Art, als ich sie früher gewahrt, und mit der Welt ringsum verwandele ich mich selbst. Nun erkenne ich mich als sonnenhaften Born unendlicher Kraft, rastlos gebend, rastlos ausströmend, ohne Hemmungen noch Widerstand. Kein Problem beunruhigt mich mehr, und ich kann mein Forschen von jüngst nicht mehr verstehen. – Das geistige Licht verlischt, ebenso plötzlich, unvermittelt und rätselvoll. Nun treten die alten Probleme wieder hervor, nicht lösbarer erscheinend als zuvor. Aber ich ahne jetzt den Zusammenhang. Wenn das Licht Brahmas in einer Seele aufgeleuchtet ist, dann hören sie auf zu sein: das ist des Welträtsels Lösung. Als Fragen des Erdbewußtseins aber sind sie unbeantwortbar. An sich selbst stellen sie Gleichungen dar, deren Ansatz falsch ist und die nicht aufgehen können. Der Erdbefangene verhält sich zum Wissenden wie die Ameise zum Menschen, der ihre Wege kreuzt: so instinktsicher sie ist, sie weiß sich nicht zu helfen, wo sie sich Aufgaben gegenübersieht, die von ihrer Organisation her transzendent erscheinen. So der Forscher, der das Welträtsel zu lösen sucht. Es ist unlösbar vom Standpunkt der Vernunft. Ihr fehlen zu viele Daten; sie kann den Zusammenhang nicht übersehen. Und der Mensch ist schlimmer noch dran als das hilflose Tier, weil er zu fragen weiß, was zu beantworten über seine Kraft geht, weil sein Bewußtsein eine unglückliche Zwischenstufe darstellt zwischen Blindheit und Allwissenheit. – Aber es liegt in ihm, sich selbst zu übersteigen, der Gott in ihm ist dem Erwachen nahe. Irgend einmal, unerwartet, unvermittelt entzündet das Licht Brahmas sich in seinem Sinn, dieses Licht aber löscht alle Menschenprobleme aus. – Noch glimmt es nach in meiner Phantasie; noch spüre ich mein Menschentum als ein Fremdes, Lästiges; und als wäre ich einer der Genien, die mich umschwirren, möchte ich lachen über das Elend der Welt. Seht ihr denn nicht? schaut doch bloß auf! versteht! ... Wie sollen sie verstehen? Auch ich habe ja bloß verstanden, verstehe jetzt nur mehr trübe in der Erinnerung. Und wenn ich aussprechen soll, was ich meine, so kann ich's nicht. Die berufenen Worte kehren um, die Gedanken fliehen. Sie können nicht fassen, was ich weiß, befürchten, zersprengt zu werden. Und zwinge ich sie, so klingt meine Weisheit wie Torheit. Es gibt kein Übel ... – Freilich ist das Unsinn, nicht Sinn vom Standpunkt des Menschenbewußtseins; so scheint es wohl nutzlos, ihm davon zu sagen. Es hätte gar keinen Zweck, wenn nicht in jedem, noch so nachtumflorten, die Ahnung des Lichtes lebte, eines Lichts, das langsam, von Geburt zu Geburt, die Finsternis verzehrt. Wäre es anders, nie käme die Christenheit dazu, die paradoxale Lehre Jesu zu glauben, das Indervolk im Entsagen das Höchste zu sehen, die buddhistische Menschheit nach dem Nirwana zu streben, in welchem alles, was sonst das Leben macht, verlöschen soll ... – Wir wissen alle mehr, als wir für wißbar halten. Dieses Wissen diktiert uns das Ideal, inspiriert unsere Sehnsucht. Als unbewußt Wissende halten wir fest an den Paradoxien der Religion, werden wir festhalten an ihnen bis zum Jüngsten Tag, an welchem das Licht Brahmas endlich zum Lichte Aller werden wird.
In den Himalayas ist der Mensch der Gottheit wunderbar nahe; diese Natur, mehr als irgendeine auf Erden, weitet die Grenzen des Bewußtseins aus. Alle kleinlichen Zusammenhänge zerreißen, die weitesten, scheinbar äußersten, rotieren unsicher in der Luft, wie Seifenblasen, jeden Augenblick bereit, im Licht der Höchsten Sonne zu zergehen. Und in die weite Leere, die also geschaffen ward, strömen übermächtig die Kräfte von oben ein. – In grenzenloser Sehnsucht blicke ich auf zu den Zinnen des Himavat. Wenn ich hinan könnte in die reine Götterluft, würden dann nicht für immer die Hüllen fallen? würde ich da nicht endlich frei aufatmen, im beseligten Gefühl der Erfüllung: ich wußte es ja? Von Jahr zu Jahr stärker spüre ich in mir das Walten eines Neuen, Höheren, das krampfhaft zur Entstehung drängt. Ich fühle wie einen körperlichen Zug von unten aufwärts; noch nirgends spürte ich ihn so stark wie hier. Und dankbar möchte ich beten vor Shivas Paradies, dessen Anblick solchen Segen bringt.
Jedesmal, wo mein Blick auf die Giganten vor mir fällt, kommt mir refrainartig der Spruch in den Sinn: »der Geist kann Berge versetzen«. Nie bin ich mir dieser Wahrheit mit solcher Selbstverständlichkeit bewußt gewesen wie hier, wo die Materie übermächtig scheint. Anstatt mein Freiheitsgefühl zu beeinträchtigen, steigert sie es; wie denn alles Bewußtsein überhaupt am Widerstand entsteht.
Der Geist kann Berge versetzen. (Die übliche Fassung, welche dem Glauben solche Macht zuerkennt, ist zu eng und überdies mißverständlich: Nicht die Zuversicht als solche wirkt das Wunder, sondern der Glaube setzt den Geist in den Vollbesitz seiner Kraft.) Selbstverständlich kann er das. Es ist lächerlich, diese Wahrheit zu bezweifeln, fast so lächerlich, wie sie besonders beweisen wollen. Was tue ich denn, indem ich will, denke, handle? Ich beeinflusse als Geist den Stoff; es besteht kein Unterschied des Prinzips zwischen der banalsten Gebärde des Augenblicks und dem Wunder, das ein Zauberer wirken mag. Meine eigene Vorstellungswelt ist Außenwelt dem »Ich« gegenüber genau so sehr, wie der fernste Stern im Weltenraum; soweit die Eigengesetze der Materie dies gestatten, genau soweit hat der Geist Macht über sie. Diese Grenze ist freilich unüberschreitbar, denn mit ihrer Aufhebung verflüchtigte sich die Natur; aber innerhalb ihrer ist nichts ihm prinzipiell unmöglich, und innerhalb ihrer liegt die Welt.
Also stehe ich den Schneegipfeln der Himavat nicht wesentlich anders gegenüber als jenem Leib, der mir nun schon über dreißig Jahre zum nächstliegenden Werkzeuge dient. Sogar das trifft nur in einer Hinsicht zu, daß ich ihnen leiblich ferner stehe als mir selbst: mit meinen Augen berühre ich sie unmittelbar, in Gedanken bin ich bei ihnen, auf ihnen; denn soweit bei Gedanken überhaupt von Raum die Rede sein kann, sind sie dort, worauf sie sich heften. Es gibt keinen Punkt im Universum, dem ich nicht ebenso nahe sein könnte wie mir selbst. Ob ich es bin, hängt von der Richtung meiner Aufmerksamkeit ab; man kann buchstäblich fern von, ja außer sich sein. So ist es wohl buchstäblich wahr, was die indische Weisheit lehrt, daß die Vereinzelung letztlich vom Egoismus ( Ahankara) verursacht wird und mit dessen Überwindung verschwindet: strömten alle meine geistigen Energien aus, wie die Strahlen der Sonne, kehrte keine zurück, durch Interesse in meine Person zurückgebannt, dann wäre ich frei sowohl als grenzenlos. Und solches Freiwerden ist möglich, denn es besteht keine unlösbare Verknüpfung (wie andrerseits keine, die nicht herstellbar wäre) zwischen Geist und Naturvorgängen. Dies denn wäre der Sinn jener Verdammung des Selbstinteresses, in dem alle höheren Religionen übereinstimmen: durch Selbstsucht verringert sich der Mensch. Mit jedem Gedanken, der nicht ausströmt in die Unendlichkeit, sondern zurückkehrt zum Körper, der ihn entsandte, schneidet er sich ab von seiner eigenen weiteren Wirklichkeit.
Ich blicke hinaus in die herrliche Welt ringsum, als die ich mich empfinden könnte, wofern ich freier wäre von meiner Person. Objektiv, als Natur, hänge ich ja fest mit ihr zusammen: ich bin nur ein Kraftzentrum unter anderen im unendlichen Kontinuum. Aber ich könnte mich eins wissen mit ihr, ihr bedingendes Zentrum sein, als bewußtes Selbst, wofern ich tief genug in meinem Wesen Wurzel faßte. Weshalb bin ich noch immer nicht so weit, wo ich doch lange schon weiß, worauf es ankommt? – Weil meine Natur noch immer undurchdrungen ist. Mein Geistbewußtsein hat sich noch immer nicht dem Körper meiner Leidenschaften eingebildet. Diese leben ihr Eigenleben weiter, unbeirrt. Ja, sie wachsen, anstatt zu verkümmern, in ihrem plutonischen Reich, und jedesmal, nachdem ein geistiger Fortschritt in mir stattgefunden hat, muß ich erkennen, daß auch sie sich gekräftigt haben. Sie aber sind blind. Sie brauchen es nicht zu bleiben. Es muß gelingen, sie auf mein Tiefstes zurückzubeziehen, ihre elementare Kraft zum willigen Werkzeug zu gewinnen. Aber noch weiß ich nicht, wie solches sich bewerkstelligen läßt; noch bin ich in dem Stadium, wo das Leben im Geist, wie bei den Indern, über die Materie hinwegschwebt ...
Es gibt wohl noch Zeiten, da ich irdisch groß sein möchte. Allein hier, in dieser grandiosen Natur, kann keine Kleinlichkeit bestehen. Indem ich hinausblicke auf die schneebedeckten Kuppen, die sich eben jetzt im Abendglanz zu röten beginnen, entbrennt namenlose Sehnsucht in mir aus den Grenzen persönlichen Daseins ganz hinaus.
In diesen Bergwäldern also hausen die Mahatmas, die stillen unerkannten Übermenschen, welche selbstlos die Geschicke der Menschheit lenken. Die sind über die Bindungen der Materie hinaus. Äußerlich uns gleich, mit einem sterblichen Körper behaftet, geringer erscheinend als unsere Großen, was menschliche Kraftfülle betrifft, sind sie doch mehr als Menschen, weil vollkommen frei. Sie sind gebunden nur, weil sie es selbst so wollen, brauchten weder zu sterben, noch wieder zu entstehen; wo sie hinwollen, dort sind sie gegenwärtig, worauf sie ihre Aufmerksamkeit heften, das wissen sie. Ihr Bewußtsein umfaßt die Welt; sie springen als Geister von Stern zu Stern hinüber, so wie wir von Erinnerung zu Erinnerung. Sie wirken im Stillen, Geheimen. Nur ganz selten greifen sie sichtbar ins Geschehen ein. Aber sie bilden sich Gehilfen in der Stille, die ihre Pläne sichtbarlich fördern sollen. Wo ein strebendes Menschenkind reif erscheint zur Übersetzung in eine höhere Dimension, kommt ihm der Meister liebreich entgegen und weist ihm den Weg auf neuer, höherer Bahn.
Ob diese Sage der Wahrheit entspricht, das weiß ich nicht; doch es gefällt mir heute, ihr Glauben zu schenken. Indem ich einsam durch die Wälder streife und meine Blicke weit über Ströme und Täler hin zu den Schneegipfeln und Eisfeldern hinübersende, vergegenwärtige ich mir dieses übermenschliche Dasein und hoffe bei jeder Biegung des Wegs, ein Mahatma möchte mir begegnen. Sollte er meiner nicht ansichtig werden oder wirklich ablehnen, sich auf gnädigem Gedanken zu mir hinüberzuschwingen? Ich bedürfte seiner so sehr. Gerade jetzt befinde ich mich wieder an einem Punkte, wo ich unschlüssig darüber bin, was ich weiter soll. Wohl hat mein Unbewußtes die rechte Richtung immer gekannt, und gewiß wird es auch heute nicht anders sein. Als Jüngling, als Geist noch ungeboren, habe ich, oft aller Vernunft zum Trotz, doch stetig meinem Schicksal vorgearbeitet; alle Betätigung habe ich abgewiesen, die meiner besten Zukunft nicht entsprach, ohne eigentliches Interesse so manches Jahr in Laboratorien experimentierend zugebracht, als ob ich mir darüber klar gewesen wäre, daß solche Schulung mir unbedingt vonnöten war, und ohne eigentliches Bewußtsein der Ursache dem Naturstudium in dem Augenblick den Rücken gekehrt, wo es aufhörte, mich zu fördern. In den Perioden physischen Tiefstandes bin ich mit dem Instinkt des Wandervogels den unbekannten Breiten zugeeilt, die mir zum Heil gereichen sollten, und ebenso unbeirrbar habe ich mein Lebelang die Erfüllung der Herzenswünsche selbst vereitelt, die mein Schicksal gebrochen haben würden. Und doch hätte ich, auf mich selbst angewiesen, sogar mein heutiges, so vorläufiges Stadium, nicht erreicht: an allen kritischen Punkten sind mir freundliche Menschen begegnet, die mir weiterhalfen. Es ist ein Wundersames um das geschaute Beispiel und den Einfluß des gesprochenen Worts. Man sei noch so strebsam, noch so willensstark: das Unterbewußtsein folgt Autosuggestionen nie so gut wie von anderen erteilten; wäre es anders, so bedürfte es weder der Lehrer noch der Ärzte, weder der Schulen noch der Heilanstalten. Dies erweist sich zumal, wo es sich um einen neuen Anfang handelt oder um einen Fortschritt von neuer Basis aus. Zum Durchmessen eines Wegs, der dem Bewußtsein klar vor Augen liegt, bedarf es keines Führers, weil es hier eben weiß, und das Wissen von innen her bestimmt. Der Sünder jedoch, der noch so nahe an das Tor der Heiligung herangetreten ist, der weiß es nicht, denn sein Bewußtsein ist ja sündbefangen; die Raupe kann erst als Schmetterling empfinden, wo sie zum Schmetterling geworden ist. Doch wo der Werdende dicht vor der Krisis steht, wo er innerlich reif ist zur Erneuerung und nun außer sich ein Wesen gewahrt, das dort angelangt ist, wohin er strebt, dort erkennt er es, und die Erkenntnis weckt in ihm das Unbewußte auf einmal zur Bewußtheit. Jetzt weiß er, wohin er soll und will; was sonst in langen Zeiträumen geschähe, ereignet sich nun vielleicht in einem Augenblick. Dies ist das Werk des Meisters, des Erlösers. – Mir ist, als befände ich mich an ähnlichem kritischen Punkt. Meine einstigen Ziele kommen mir wertlos vor. Bei allem, was ich im Geist meiner Vergangenheit betreibe, spüre ich, daß ich eigentlich anderes will. Aber was? Ich weiß es nicht. So täte mir ein Meister gar not, einer, der dort steht, wohin ich strebe.
Heute ist mir, als läge im Mahatmatum mein Ziel; als sei ich reif, aus dem Menschentum auszukriechen; schon gibt es ja nichts Menschliches mehr, das mich innerlichst bände. Und so wie die Mahatmas sein sollen, müßten, könnten Übermenschen sein. Als Jahveh sich dem Elias zu offenbaren versprach, erwartete dieser ihn in Form des Sturms. Er aber kam als stilles, sanftes Sausen. Welche Verblendung, sich den Übermenschen als Hebbelschen Holofernes vorzustellen! Je höher ein Wesen steht, desto geistiger ist es, und je geistiger, desto geringer ist seine unmittelbare materielle Macht. Gott wirkt in das physische Geschehen gar nicht ein; Er ist nicht nachzuweisen, kaum zu erschließen. Die Mahatmas wirken nur noch indirekt. In ihrer Sphäre gilt keine der Normen, welche irdische Größe bestimmen, erscheint selbstverständlich, was die Erlöser und Heiligen aller Länder und Zeiten gelehrt, den Menschen aber ewig paradox klingen wird: daß Demut mehr ist als Stolz, Ehrgeiz vom Übel, alles Streben nach irdischem Glück ein Mißverständnis, daß nur der sein Leben gewinnt, der es verliert ... Die Mahatmas heischen von dem, der ihnen nachfolgen will, Verzicht auf alles, was hienieden als erstrebenswert gilt. Natürlich. Bin ich so weit schon, verzichten zu können? Heute ist mir, als wäre ich es; als sei alle Absicht in mir schon abgestorben, alle Eitelkeit, alles Streben nach Erhöhung und Ruhm. Erschiene mir heute ein Meister und sagte mir: Komm! ich folgte ihm blindlings.
Kein Mahatma erscheint mir. Keine Stimme eines Meisters vernehme ich weder in noch außer mir. Aber wunderbar anregend wirkt in den Himalayas die Luft. Lange ist mir das Denken nicht so leicht gefallen, hat es mich so wenig Mühe gekostet, bei den Problemen, die mich just beschäftigen, zu verweilen. So verbringe ich jeden Tag etliche Stunden ohne merkliche Ermüdung mit Yoga-Experimenten.
Während dieser fiel mir heute die Äußerung eines Biologen ein, unser Gehirn sei protoplasmatischer Natur; es sei das einzige unserer Organe, das noch in eben dem Sinne plastisch wäre, wie der Gesamtkörper des Protozoons. Das ist nicht richtig. Wie schwierig es sei, die Struktur des Gehirnes festzustellen: es ist ein differenziertes Organ, das sich in keinem anderen Sinn verändert, als ein Muskel, der durch Übung umgestaltet wird; nichts wesentlich Neues entsteht in ihm. Das Eigentümliche des Protisten liegt aber darin, daß er aus gestaltloser Grundmasse je nach den Umständen Gestalten schafft, die früher oder später ins Amorphe zurücksinken. Der Mensch nun, dessen gesamter physischer Leib, seinen Samen ausgenommen, fest ausgestaltet ist, ist allerdings auch protoplasmaartig – nicht aber als physischer, sondern als psychischer Organismus. Befasse ich mich mit Protisten, so kann ich mir deren Eigenart nur durch den Vergleich mit der Psyche deutlich machen: ihre Organe entstehen, wie beim Menschen die Einfälle kommen. Kehre ich den Vergleich nun um, urteile ich vom Protisten her, so sehe ich mich logisch gezwungen, zu folgern, daß der Stoff, aus dem sich die Gedanken und Anschauungen zusammenballen, genau den Charakter des Protoplasmas trägt. Im Zustande der Ruhe ist der Inhalt der Psyche, soweit wir uns seiner bewußt sind, amorph; sobald die Aufmerksamkeit erwacht und sich irgendwohin lenkt, oder sobald die Masse überhaupt in Bewegung gerät, entstehen Strukturen – Gedanken, Töne, Bilder usw. –, die sich verflüchtigen, sobald das Bewußtsein sich umzentriert. Ich habe mir diese Gestaltungen nun als solche anzusehen versucht, was insofern nicht ganz einfach ist, als sie nur ungern weilen, und jeder Gedanke, den man sich über das Gesehene macht, seinerseits eine Gestalt bildet, die das ursprüngliche Bild überschichtet: der Schluß, zu dem ich übereinstimmend mit den Indern gelange, ist der, daß die Gebilde der Psyche wirkliche Gegenstände sind, also Objekte, die nach den Kategorien von Kraft und Stoff begriffen werden müssen. Selbstredend gehören sie einer anderen Ordnung des Erscheinenden an, als die Gegebenheiten der äußeren Natur, aber es wäre verfehlt, ihr materielles Dasein abstreiten zu wollen, da sie doch Gegenstände der Erfahrung und als »Geist« nicht zu begreifen sind. Was hat es denn mit der Unterscheidung von Natur und Geist letzthin für eine Bewandtnis? Daß es sich um eine reale handelte, halte ich für überaus unwahrscheinlich, und zu entscheiden ist diese Frage keinesfalls; es ist unmöglich, mit den Mitteln des Verstandes in der Sphäre des Metaphysischen sichere Schlüsse zu ziehen. Sicher betrifft die Antithese von Natur und Geist nur ein epistemologisches Verhältnis, eine ratio cognoscendi. Alles Gegebene, Aktuelle ist Natur, folgt deren unwandelbaren Normen. Das schöpferische Prinzip, das wir voraussetzen müssen, kommt in der Schöpfung zum Ausdruck, aber ist sie nicht. Ich bin frei, insofern als ich wollen kann, aber sobald ich gewollt habe, befinde ich mich strengstens determiniert; sobald eine Gestaltung entstanden ist, ist es aus mit der Spontaneität. So mag die Freiheit dem Körper, und Gott der Natur zugrunde liegen, aber in dieser Gott unmittelbar am Werk sehen zu wollen, ist ebenso widersinnig, wie die Fingernägel als freien Willensentschluß zu beurteilen. Von allen Fassungen die gegenständlichste scheint mir die meinige zu sein, die das Metaphysisch-Wirkliche mit dem Begriff des Lebens identifiziert, denn im Leben allein sehen wir uns je und je auf den schöpferischen Urgrund zurückgewiesen. Wohl mag alle Natur in diesem Sinn ursprünglich lebendig gewesen sein, mag das Sternenheer seine Entstehung einem Einfall Gottes danken – wer kann das wissen? –, aber was wir tatsächlich erfahren, ist nicht der Wille Gottes, sondern ein Geschehen, das mechanischen Gesetzen folgt, also Natur; gleichermaßen folgt der fertiggestellte Organismus keinen anderen als physiologischen Gesetzen, folgt das soziale Leben den toten Normen des Usus und des Rechts usf. Aus allem diesem geht hervor, daß, gleichviel in welchem Wesensverhältnis Natur und Geist zueinander stehen mögen, der Verstand nicht umhin kann, zwischen ihnen zu scheiden, und da der Seinsgrund dieser Scheidung in ihm selber liegt, sie wohin immer übertragen mag. Also bin ich berechtigt, die Gegebenheiten des Bewußtseins als Materie zu begreifen. Welcher Art diese Materie sei, kann ich nicht sagen; ich selbst bin hier zu keinen befriedigenden Einsichten gelangt, und die Behauptungen der Inder und Theosophen können vorläufig nicht nachgeprüft werden. Aber daß es tatsächlich so etwas wie einen Gedankenstoff gibt, scheint mir gewiß, und aus dieser Bestimmung, sowie aus den Möglichkeiten, die sie einschließt, ergeben sich nicht uninteressante Folgerungen.
So scheint es, daß die Sphäre der Freiheit mit fortschreitender Entwicklung immer mehr zurückweicht. Bei den Protisten schließt sie noch den Körper ein; bei diesen erweist sich die physische Seite des Lebens noch im selben Sinn und Maße als plastisch, wie beim Menschen nur mehr die psychische. Je festere Gestalt die Physis annimmt, desto unfreier wird sie. Seesterne vermögen noch die Hälfte ihres Körpers, Reptilien wenigstens die Extremitäten zu regenerieren, die höheren Tiere haben von der einst unbeschränkten Phantasie des Körpers nur noch soviel übrig behalten, daß sie meist schnell und ohne Pflege genesen. Beim erwachsenen Menschen äußert sich die Freiheit im Körper so gut wie gar nicht mehr. – Dafür tut sich in ihm eine neue Sphäre des Wirklichen auf. Er ist als Psyche ebensosehr Protoplasma, wie als Physis nur irgendein Protist; ungestaltet an sich, doch jeder Gestaltung fähig. Aber auch hier verläuft die Entwickelung der Festigung zu; je vorgeschrittener eine Psyche ist, desto differenzierter sind ihre Organe und Gebilde, und desto mehr neigt sie zur Kristallisation. So haben wir nicht allein Gesetze, soziale Systeme, Religionen, feste Weltanschauungen: jedes einzelnen Geist kristallisiert, früh oder spät, zu einem festen Gebilde aus, das, einmal vollendet, keiner Veränderung mehr fähig erscheint und nur mehr wächst und den Stoff wechselt, wie der physische Körper auch. Nun aber kommt das Paradox: als der höchste Geist gilt uns nicht der, welcher die festeste Gestalt zu eigen hat, sondern umgekehrt der plastischste; der, welcher niemals fertig ( figé) ist. Also scheint das Protoplasmatische prinzipiell doch das Höhere zu sein, obgleich dessen eigene progressive Tendenz unzweifelhaft fester Gestaltung zustrebt.
Ich weiß mir diesen Tatbestand im Augenblick nur so zu deuten, daß es in der Sphäre des Lebens wohl ein Höheres, jedoch kein Höchstes gibt. Höher als das Unbestimmte steht das Bestimmte, aber höher als dieses wiederum ein neues Unbestimmtes, das seinerseits seine Erfüllung in der Bestimmung fände usf. ad infinitum. Die Bestimmtheit ist das Maximum für einen gegebenen Augenblick, sobald dieser zur Zeit wird, nimmt das Maximum mehr und mehr den Aspekt eines Minimums an. Also läßt sich schlechterdings keine absolute Vollkommenheit denken, es sei denn, man verstände unter dieser, mit Hegel, das Endprodukt eines endlosen Prozesses – eine bloß mathematisch reelle, empirisch imaginäre Größe. Was für praktische Konsequenzen soll man aus dieser Erkenntnis ziehen? – Ich sehe keine andere als die, welche von je mein Leitmotiv war: überall nach Vollendung zu streben, aber keine erreichte je als Definitivum zu betrachten. So viel in der Theorie. Praktisch liegt die Frage erheblich einfacher. Der Amöbe ist die vollendete Menschengestalt ein Unerreichbares, uns allen die Vollendung eines Buddha. Da jedermann bestimmte, begrenzte Möglichkeiten verkörpert, so gibt es auch für jeden (in einer gegebenen Existenz, sofern jeder deren mehrere vor sich haben sollte, was ich nicht weiß) ein absolutes Maximum. Dieses zu erreichen, soll sein Lebensziel bedeuten. Dieses Ideal hat er auch in dem Fall festzuhalten, wo er gewahr wird, daß in ihm höhere Möglichkeiten leben, als ihm ursprünglich schien, denn der Weg zu einer höheren Stufe der Vollendung führt immer über das Streben nach einer niedrigeren hin und ist anders überhaupt nicht zu finden. Dies denn ist die Wahrheit, welche der Evolutionstheorie zugrunde liegt, obgleich sowohl der indische als der darwinische Ausdruck derselben den wirklichen Verhältnissen nur unvollkommen gerecht wird: es gibt wirklich eine Stufenfolge, eine Hierarchie der Wesen, von denen jedes unmittelbare Ideal in der nächsthöheren Stufe liegt. Wir haben nach Vollendung zu streben, wiewohl jede erreichte Vollendung, vom nächsthöheren Standpunkte gesehen, als Beschränkung wirken wird. Nur eine einzige andere Möglichkeit ist noch denkbar, von der es mir aber zweifelhaft scheint, daß Menschen sie verwirklichen können: unter Verzicht auf allen Ausdruck nach außen zu sich so tief zu verinnerlichen, daß man in seiner eigenen reinen Möglichkeit lebte. In dem Falle wären alle Grenzen überwunden, weil vorweggenommen ...
Ich setze den abgebrochenen Gedankengang nach einer anderen Richtung hin fort. Wenn das innerste Prinzip des Lebens an sich jeder Gestaltung fähig ist, wovon hängt die gegebene Gestalt ab? Offenbar von den äußeren Umständen, zu welchen natürlich die Erbmasse, das Karma, die Naturanlage mitgehören. So könnte einerseits die Evolution der Organismenwelt, andrerseits das Schicksal des einzelnen, soweit ich heute sehe, erschöpfend verstanden werden. Es treten überall die einerseits möglichen, andrerseits notwendigen Bildungen in die Erscheinung. Denke ich nun von hier aus an jenes Proteusideal, zu dem ich mich so lange bekannt habe, so erkenne ich, daß zu dessen Verwirklichung nicht mehr als eine unbegrenzte Plastizität und die Gelegenheit, unendlich viele Umstände auf sich einwirken zu lassen, erforderlich wäre. Ein Gedankenwesen könnte buchstäblich jede Gestalt annehmen; materielle müssen sich immerhin an ihre Spezies und ihren Typus halten.
Je mehr ich mich mit dem Problem befasse, desto mehr befremdet es mich, daß Philosophen die geistigen Gestaltungen so ernst nehmen können, wo sie doch jeden Augenblick erfahren müssen, wie flüchtig diese sind, wie oberflächlich und zufällig begründet. Menschen kristallisieren zu Berufstypen aus, religiöse Verbände schaffen Nationen, die Lebensstellung prägt sich der Physis auf, gewiß. Aber woran liegt das? Doch ausschließlich an der Inertie. Hätten die Menschen ein klein wenig mehr Phantasie, so könnten alle diese Klassen nicht bestehen, oder vielmehr, sie würden bestehen aus Gründen der Nützlichkeit, aber nicht so bitter ernst genommen werden. Ich für meinen Teil kann alle noch so festen Gestaltungen nicht anders beurteilen, als die Gebilde der schweifenden Phantasie, und anstatt mich dessen zu freuen, leide ich darunter, daß viele so dauerhaft sind. Allein die meisten Menschen sehen die Lage anders an, und wahrscheinlich ist das so gut; denn sonst käme dieser Planet überhaupt zu keinem festen Inventar. Freilich, ginge es nach mir ... Ich gestehe, daß ich in vielen, immer wiederkehrenden Stimmungen mein Vollendungsstreben als pisaller beurteile. Unter den gegebenen Verhältnissen, bei der Unüberwindlichkeit der Trägheit läßt sich leider nichts Besseres anstreben. Aber lieber wäre mir wohl, ich könnte ohne aufgedrängte Bestimmung dauern, und unfaßbar an mir selbst, gelegentlich, wie es sich gerade gibt, bald als Keyserling, bald als Tier oder Gott, und bald als Weltall in die Erscheinung treten.
Nein, wesentlich bin ich kein Mensch; mein Menschentum ist Zufall ... oder Notwendigkeit, wie man es nimmt, aber gewiß nicht mehr. In der Luft der Himalayas, die den Geist beschwingt wie keine, wird mir die wunderliche Tragödie meines Daseins schmerzhaft deutlich.
Schon in meiner Kindheit wunderte ich mich darüber, daß ich als Person unveränderlich sei; ich fühlte mich so wenig identisch mit »mir«, wußte mich so grenzenlos wandlungsfähig, daß es mir natürlicher geschienen wäre, wenn mein Körper sich ebenso verhalten hätte wie meine Vorstellungen, die bald so, bald wieder anders aussahen, je nach meiner Stimmung. Und wie mir dann von Proteus vorgelesen wurde, da dachte ich: endlich ein Wesen, welches durchaus natürlich wirkt. So wie Proteus müßte auch ich mich verwandeln können, denn »eigentlich« kann ich es ja. »Wesentlich« bin ich nicht mehr Hermann Keyserling, als ein Tier oder ein Baum oder irgendein anderer Mensch, und scheint es anders, so kann ich nichts dafür. Das Staunen meiner Kindheit hat mich nie verlassen; es ist nur immer tiefer geworden. Nie, mein ganzes Leben hindurch, habe ich mich mit meiner Person identisch gefühlt, nie Persönliches als wesentlich empfunden, nie mein Selbst in Mitleidenschaft gezogen durch das, was ich jeweilig schien, war und tat, was ich erlitt und was mir widerfuhr. Und jahrelang habe ich danach gestrebt, die Fesseln bestimmten Daseins zu zersprengen, mich so darzustellen, wie ich wußte, daß ich war. Bald mußte ich einsehen, daß dieses so, wie ich's meinte, nicht möglich sei: der Menschenleib ist nicht proteisch plastisch. Dann versuchte ich's mit der Psyche, aber auch sie versagte. Der Schauspieler verwandelt nicht »sich«, indem er anders wird, sondern er stellt nur einen anderen dar; der Dichter verändert nur seinen Ausdruck, nicht seine Person. Ich wußte, daß dieses noch nicht das Äußerste ist, daß es möglich sein muß, sein wirkliches Dasein ebenso zu wechseln wie der Schauspieler seine Rollen, der Poet seine imaginativen Verkörperungen; mir offenbarte mein unmittelbares Erleben, daß meine Person mit mir nicht identisch ist, daß sie mich einschränkt, daß ich viel mehr sein könnte, wenn es mir glückte, irgendwie aus ihren Grenzen auszubrechen. Ich mußte einsehen, daß dies hienieden unmöglich ist. Auf meinen tiefsten Herzenswunsch habe ich verzichten müssen.
Dieses Schicksal hat mich zur inneren Einkehr veranlaßt. Nachdem ich erkannt hatte, daß nicht allein der Körper versagt, daß auch die Psyche viel zu träge ist für meine Zwecke, gab ich das Streben nach außen zu auf und zog mich tiefer und tiefer in meinen Grund zurück, dort meine Freiheit zu realisieren. Und wie ich weiter erkannte, daß die innere Verwirklichung ihren äußeren Exponenten an der Vollendung hat, schwor ich dem Proteusideal im letzten ab und strebte nur danach, mich im Rahmen meiner Natur zu vollenden. Aber noch heute ist der Kummer darob nicht abgestorben, daß ich das, was ich eigentlich will, habe aufgeben müssen. Ich bin nicht ursprünglich dazu da, mich zu vollenden im allzu engen Rahmen des Menschentums, ich bin geboren, frei zu wirken in freieren Sphären. Und zu den Stunden, da mein wandernder Glaube bei der Karmalehre stehen bleibt, will mich bedünken, daß mein diesmaliges Schicksal die Sühne bedeutet für eine Periode allzu schweiferischen Dämonentums.
So viel ist gewiß: ich verfolge eine Bahn, die meiner Natur im Grunde nicht liegt; das Ziel, das ich mir gesteckt habe, zu erreichen, wird mir schwerer fallen als irgendeinem anderen. Ein Proteus, der nach bestimmter Vollendung strebt ... Es hat etwas Tragikomisches. Wenn ich wenigstens ein Bhakta wäre, wenn mir die inneren Hilfsmittel zur Verfügung ständen, die eine emotionell-religiöse Grundstimmung bedingt: sie fehlen mir; ich spüre keine eigentliche Begierde nach dem Heil. Oder wenn ich des Autoritätenglaubens fähig wäre! Der Köhler hat es leicht, seine spezifische Vollendung zu erreichen. Er gibt sich überkommenen Vorstellungen hin, die er kraft seines Unverstandes nicht in Frage stellt, und sind jene nur einigermaßen vernünftig, so bilden sie die Seele entsprechend aus. Ich nun bin als Mensch ein extremer Ausdruck des Typus, dem sein größter Vorzug, seine Intellektualität, die Selbstverwirklichung erschwert. Ich bin nicht fähig, auf die Dauer blind zu glauben, ich muß verstanden haben, auf daß eine geistige Wirklichkeit mir wirklich würde, geschickt, mich innerlichst zu beeinflussen; meine eigenen Triebe muß ich verstanden haben, bevor sie mich ganz erfassen können. Mein Bewußtseinszentrum ruht in der Sphäre des Verstehens im gleichen Sinn, wie beim Tier in derjenigen der Sinne, beim Weibe in der des Gefühls. Dies verzögert denn meine Entwicklung. Der Verstand hinkt entweder nach oder aber er greift dem Erleben vor, dieses verkürzend und der Seele die Erfahrungen verderbend, welche sie wecken könnten. Wie lange hat es gedauert, bis daß ich über den Zustand des radikalen Zweiflers hinausgelangte, damit die erste Spur von Unbefangenheit gewann! In meinen Jünglingstagen war ich keiner Sache gewiß, da mein »Mensch« noch nicht erwacht und mein Erkenntnisvermögen unausgewachsen war, und da mich die Wahrhaftigkeit verhinderte, zu bekennen, was ich nicht wußte, so erschien ich charakterlos. Ich konnte mich für gar nichts entscheiden. Über dieses bittere Stadium bin ich hinaus. Aber noch weiß ich nicht annähernd so viel, wieviel ich wissen müßte, um vollkommen unbefangen zu sein. Noch einmal: wie leicht haben es innerliche Naturen von geringer Intelligenz! Die brauchen nicht verstanden zu haben, damit das in ihrer Seele Lebendige für ihr Bewußtsein wirklich würde. Unsereiner bleibt unsicher, bis daß er weiß, und er weiß so schwer. Und das Ende ereilt ihn meist lange, bevor er sich zur Erkenntnis, die seine Erlösung ist, durchgerungen hat ...
Dieses Verhältnis stellt in meinem Fall außerordentliche Anforderungen an die Geduld, weil ich mich nicht identisch fühle mit meiner Person; ich dulde recht eigentlich für einen anderen. Da tröstet mich denn das Bewußtsein des Pioniertums. Meine Bahn wird in der Tat mehr und mehr zur Bahn aller werden, denn der Intellektualisierungsprozeß schreitet unaufhaltsam vorwärts. Die Zeiten blinden Glaubens sind vorüber. Nicht minder die Zeiten vollendeten Ernstnehmens bestimmter Form. Ich denke zurück an Paul Dubois' Ideen über Selbsterziehung; dieser entwickelt sehr richtig, daß es eine Frage der Erkenntnis sei, ob einer das Gute oder das Böse will, dann aber löst er das praktische Problem dahin, daß man sich binden solle durch gute Gewohnheiten – einen solchen Kristallisationsprozeß in sich einleiten, daß sich ein guter und tüchtiger Bürger niederschlägt. Dieses wäre nur eine neue, Freidenkerkreisen angepaßte Fassung des alten Mittels, den Menschen durch Dogmen zu binden. Keiner, der die Bewußtseinslage erreicht hat, wo das lebendige Zentrum im Verstehen ruht, wird es für seine Person mehr gutheißen können; der steht wirklich »jenseits von Gut und Böse« insofern, als keine besondere Gestaltung ihm ein Äußerstes bedeuten kann. Er strebt nach einer höheren Art Gewißheit: nicht in der Gebundenheit, sondern in der Freiheit. Er will nicht mehr das Gute als zweckmäßige Gewohnheit wollen, sondern über alle Gewohnheit hinaus. Er will Wurzel fassen im Urgrund seines Wesens, das, alle Bindungen bedingend, selbst ungebunden ist, rein erkennen ohne Vorurteile, rein wollen ohne Absichten, rein sein ohne Daseinsbestimmtheit. Dieser höhere Zustand ist erreichbar. Nur führt er durch große Unsicherheit hindurch, durch viel Gefahren, an denen so manche scheitern mögen. Aber nie noch ward Wesentliches ohne Verlust erreicht. Das Persönlichkeitsideal ist nicht mehr das Höchste. Schon ist die Vorhut der Menschheit so weit, ein Höheres bekennen zu müssen, wenn sie nicht verderben will. Wo der Glaube an den absoluten Wert bestimmter Gestaltungen verging, Autorität nicht mehr bindet, Ritual nicht mehr nützt, wo nur noch Verstandenes ganz wirklich erscheint, stehen nur mehr zwei Möglichkeiten offen: die eine ist die des Untergangs. Wir werden an Selbstzersetzung zugrunde gehen, wofern wir nichts Neues entdecken, denn die alten Heilmittel wirken nicht mehr, und ein Herabsteigen von einmal erklommener Naturstufe, wie sie uns immer wieder gepredigt wird, gelingt nur als Sturz. Die andere, positive Möglichkeit – und zwar die einzige – besteht darin, daß wir die neue Naturstufe anerkennen und von ihr aus ein höheres Ideal aufstellen. Von wie wenigen sie bis heute erstiegen sei – diese wenigen entscheiden; von ihrem Beispiel wird es abhängen, ob die Masse in den Abgrund stürzen wird oder fortschreiten, freieren Höhen zu. Die neue Naturstufe äußert sich darin, daß der Mensch nicht mehr glauben kann, ohne zu verstehen, daß er keine zufälligen Schranken mehr anerkennt, daß er unfähig scheint, Name und Form im bisherigen Sinne ernst zu nehmen. Hieraus ergibt sich das entsprechende Ideal: wir müssen vollkommen verstehen, ganz frei werden von Dogma und Vorurteil. Und eine Synthese des Menschentums realisieren oberhalb der Persönlichkeit. Eine Synthese, in welcher der vollkommen verinnerlichte Mensch, im Geist und in der Wahrheit lebend, das Empirische nur mehr als Ausdrucksmittel nutzt.
Noch einmal bin ich diese Nacht den Gipfel, welcher von allen ringsum die weiteste Aussicht bietet, hinangeritten, den Aufgang der Sonne zu sehen. Dieser verlief leider unmerklich, da die Nebel schon zu hoch hinangestiegen waren. Aber durch Stunden vorher war mir vergönnt, die Giganten zu schauen, die sich alabastern vom schwarzen Himmel abhoben. Während dieser Stunden war mir wunderbar weit zumut. Wieder einmal war mir, als hätte ich mein Ziel bereits erreicht, als wäre ich schon ausgekrochen aus der Puppe meines Menschen. Und wie ich da der Wirklichkeit gedachte, die so kläglich zurücksteht hinter dem, was sein sollte und möglich ist, da verwandelte sich meine Bitternis von jüngst auf einmal in Freude. Wie schön, dachte ich jetzt, daß ich noch nicht am Ziele bin! So habe ich zu tun; so hat mein Erdendasein Sinn. Und wie gut, daß meine Anlage nicht günstig ist! So werde ich Freude erleben an der getanen Arbeit. Nicht das erreichte Ziel ist es ja, sondern die bezwungene Schwierigkeit, die das Lebensgefühl beglückend steigert. Ich will zusehen, wie weit ich komme mit dieser Person, die ich hienieden doch nie ganz überwinden werde.
So allein sollte ich immer, sollte jeder das Problem seines Lebens stellen. Es ist nicht möglich, seine Anlagen zu verändern – aber wozu auch? Keine verkörpert an sich einen Wert, jede ist nur eine Ausdrucksgelegenheit, vermittelst jeder kann das Äußerste verwirklicht werden. Und je mehr Schwierigkeit dies bietet, desto eher gelingt es. Noch nie hat jemand Größtes auf dem Gebiet vollbracht, dessen Beherrschung ihm am leichtesten fiel; nichts steht dem Genie mehr im Wege als sein Talent. Fast nie wird ein Gerechter zum Heiligen. Äußerste Kraftanspannung lösen ungünstige Umstände am sichersten aus. So habe ich alle Ursache zur Freude.
Ich will zusehen, wie weit ich komme auf meiner Bahn; jetzt müßte es ja im Sturmschritt vorwärtsgehen, weit schneller zum mindesten als dazumal, da ich nicht klar erkannte, worauf es ankommt. Damals verlor ich viel Zeit durch Zweifel, Rück- und Seitenblicke; ich machte mir Vorwürfe, vielen Ansprüchen nicht genügen zu können, die an mich herantraten, zumal was das Gebiet altruistischer Betätigung betraf. Die hätte ich mir ersparen können. Ich, als bestimmte, beschränkte Person bin ja nur ein Organ des Selbst, das mein Wesen bezeichnet; und dies Organ soll funktionieren seiner Natur gemäß; dazu allein ist es da. Indem es sein Äußerstes leistet, noch so blind auf sein Sonderziel bedacht, handelt es besser im Sinn des Ganzen, für das Ganze, als wenn es versuchte, diesem direkt zu dienen. Zu letzterem sind andere berufen. Die Mahnung Sri Krishnas: lieber sein eigenes, noch so niedriges Dharma erfüllen, als das noch so erlauchte eines anderen, enthält die Quintessenz aller Ethik. Das objektive Ideal, das Absolute, kann die Erscheinung nur dann vollständig durchdringen, wenn der persönliche Mittelpunkt dieser zu jenes Brennpunkt wird. Das innerlichst Persönliche, keiner Außenwelt Zugängliche, ist gleichzeitig der Ort, der mit dem Zentrum des Alls in unmittelbarem Zusammenhange steht. Dank dem kann Gott sich durch jede Natur manifestieren, aber nur insoweit, als diese sich selbst gemäß lebt. So braucht sich keine um sich selbst zu grämen. Ich nun bin ganz besonders günstig gestellt deshalb, weil ich nun vollkommen klar erkenne, worauf es ankommt. Jetzt kann ich alles und jedes im Geist des »Einen« betreiben, so daß mir auch alles und jedes zum Heil gereichen muß. Was soll mich noch entmutigen, seitdem ich weiß? Was mich noch aufhalten? Weder Krankheit noch Unglück, weder eigenes noch fremdes Versagen, weder Tugend noch Laster. Alles im Leben dient dem Wissenden ...
Ich habe es gut. Heute fühle ich mein Glück so intensiv, daß ich es ausstrahlen möchte über die ganze Menschheit. Möchte ich ihr doch zu ermutigendem Beispiel werden! Möchte sie lernen an mir, wie wenig Grund sie zum Verzagen hat! Noch immer krankt sie am Aberglauben der guten Anlage, noch immer verehrt sie in bestimmten Zuständen Ideale; noch immer wähnt sie, daß es vorbildliche Naturen gibt. So wird sie nicht freudig, sondern beklommen, wo sie aufschauen muß und die Liebe nicht ausreicht, den Neid zu ersticken. Aber es gibt keine vorbildlichen Naturen, kann keine geben. Kein noch so Großer war als Natur verehrungswert. Wenn Buddha und Christus uns höchste Beispiele bedeuten, so liegt dies nicht an ihrer Anlage, sondern an dem, was sie gemacht haben aus ihr; es liegt an ihrem Wiedergeborensein im Geiste. Aber jene Größten waren von Hause aus doch so begnadet, daß es nicht leicht gelingt, über ihr Angeborenes hinwegzusehen; jeder fühlt unwillkürlich, indem er ihrer gedenkt, seine ungünstigere Stellung. Meine Person nun ist vollendet unvorbildlich. Mein Dharma erfordert eine Existenz, die kaum jemand außer mir ersprießlich wäre, ein Abweisen der allermeisten Bindungen, die mit Recht als bildendste gelten, so daß wohl nichts von dem, was ich tue und bin, irgend jemand ein Beispiel im guten sein kann. Geradezu abnorm muß ich erscheinen, weil ja Proteus auf der Ebene des Menschendaseins nicht als universellere, sondern als extrem spezialisierte Erscheinung wirken muß. Eben das macht mich zum Beispiel geschickt. Kein Mensch ist als Naturprodukt vorbildlich – es besteht keinerlei Gefahr, daß irgend jemand mich zum Vorbilde nähme; aber jeder wird es in dem Fall, daß er innerhalb naturgegebener Grenzen seine äußerste Vollendung erreicht; dahin könnte ich, müßte ich kommen. Und selbst wenn ich nicht so weit gelange, wenn mich der Tod ereilt auf halbem Weg, wird, wenn Vollendungsstreben nur mein ganzes Leben beseelte, wenn jede Leistung dieses rein zum Ausdruck bringt, und sei die Leistung an sich noch so gering, jeder Strebende von mir lernen können. Er wird sehen an mir, daß die Natur in Wahrheit keine Fessel bedeutet, sondern den Weg zur Freiheit, daß der Geist es vermag, alle Erscheinung zu transfigurieren; daß wir wesentlich einem Geistesreiche angehören, dessen Gesetze ganz andere sind als die der Erde, deren ganze Bedeutung eben darauf beruht, daß sie jenem zum Mittel dienen kann. Es gibt überhaupt nur geistige Bedeutung; die Bedeutung allein wiederum gibt Tatsachen Sinn. So hängt es vom Geiste ab, in dem er lebt, ob eines Menschen unzulängliche Anlage, ob sein Mißgeschick, sein Leid, und umgekehrt sein Glück, ihm zum Heil wird oder zum Verderben.
Des Abends versammeln sich die Tibetaner gern bei Fackelschein zur Mummenschanz. Sie sind reich an Humor, wahre Meister der Pantomime, und zumal, wenn sie als Drachen verkleidet tanzen, so stilgerecht, daß jede Bewegung wie naturnotwendig wirkt, den Geist der Kreidezeit recht eigentlich zurückbeschwörend, dann stimme ich laut mit ein in den Applaus der Menge. – Es wirkt auf mich wie das Erlebnis eines Mythos, dieses nächtliche Spiel in der Bergwelt der Himalajas. Mir kommen die indischen Sagen vom Weltanfang und Weltende in den Sinn. Spielend, heißt es, und wie zum Spiel hat Brahma die Welt erschaffen; ohne Zwang, ohne Absicht, ohne Vorbedacht, eben wie ein Kind, das spielt. Und im Spiel wird sie einmal vergehen. Am Jüngsten Tag wird Shiva einen wilden Tanz beginnen, bacchantenhaft, jauchzend, immer frenetischer, bis schließlich das Universum zertanzt ist.
Wie sublim ist dieser Mythos! Wie viel größer als der vom bedachtsamen Greis, der sich sechs Tage lang absichtsvoll abmühte und dann am siebenten so sehr mit sich zufrieden war; der zum Schluß eine Generalabrechnung plant, bei der jeder Posten bis zum geringsten durchgenommen werden soll. Da lobe ich mir Brahma, den Spieler. Wahrscheinlich spricht der indische Mythos wahr. Hat diese Welt einen Anfang, liegt eine intelligente Ursache ihr zugrunde, dann muß sie zweck- und absichtslos entstanden sein, so wie im Dichtergeist das Kunstwerk entsteht. Nur in dem Fall kann sie als Meisterwerk gelten; vom Standpunkt jedes Zwecks, der nicht sie selbst wäre, ist sie verfehlt. Hat aber Brahma gespielt, als er die Welt erschuf, dann ist die Schöpfung freilich zu loben. Wie abwechslungsreich ist das Geschehen! Wie überraschungsvoll greift eines in das andere! Und wie so sinnvoll sind die Spielregeln erdacht!
Ist der Mensch nicht im Irrtum, indem er das Leben tragisch nimmt? Wäre es nicht das Höchste, wenn auch er sich wie Brahma verhalten könnte? Denn was unterscheidet das Spiel von der Arbeit? Nicht der Ernst dieser: ich kenne nichts Ernsthafteres als die Art, wie echte Kinder spielen. Es ist das Zweckhafte der Arbeit gegenüber dem Absichtslosen des Spiels. Nun ist das Leben an sich vollkommen zweck- und absichtslos. Es ist ein reines Ausströmen, Wachsen, Geben, ein reines Streben nach immer vollerem Ausdruck, wobei Zweckvorstellungen und Zwecke nur hinderlich sind. Je ursprünglicher also ein Wesen, je wahrhafter, lebendiger, echter, desto mehr gleicht sein Dasein einem Spiel. So ist ein Götterdasein nur als Spiel zu denken.
Ich versetze mich in den Bewußtseinszustand hinein, der ihm entspräche: was fehlte mir, wenn ich so weit wäre? Ich stände über dem Schicksal, über der Sorge, über mir, über allem, was mich anginge. Wie scharf ich auch hineinblickte in die Welt, nichts Übles könnte ich in ihr entdecken. So sah Shakespeare sie an in den Stimmungen, in der er die Komödien schuf. Die sind das Werk eines Gottes, keines Menschen; eines Wesens, für das es keine Tragik mehr gibt, dem Gesetz und Schicksal leere Worte sind, weil es nur mehr Spielregeln kennt.