Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Graf Dühnen hatte bei Streith gefrühstückt, jetzt saßen sie im Gartensaale und nahmen den Kaffee. Streith liebte diesen alten Herrn mit dem gelben Gesicht des Leberkranken, den bleichen, bösen Augen und dem zu blanken Gebisse nicht. Graf Dühnen war mit allem unzufrieden, mit dem Reich, mit der Regierung, die nichts für die Landwirtschaft tat, selbst mit Seiner Majestät, und er behandelte diese Dinge mit einer säuerlichen Beredsamkeit, die ermüdete. Nun saß er schon eine ganze Weile im Gartensaale und hatte ein neues Thema aufgenommen, das ausgiebig zu werden versprach, den Leichtsinn seines Sohnes Felix.

»Den heutigen jungen Leuten fehlt es an Würde«, sagte er und schlug mit dem Zeigefinger hart auf die Tischplatte. »Ich bin auch jung gewesen ich habe als Kürassierleutnant den siebziger Krieg mitgemacht. Wir waren damals auch heiter, ja ausgelassen, machten tolle Streiche, aber wir vergaßen nie, was das heißt, des Königs Rock zu tragen. Schulden, nun ja, kleine Ausstände gab es auch damals, aber daß ich zu meinem Vater gekommen wäre, so ganz leger wie zu einem Bankier und gesagt hätte, ich habe ein paar tausend Mark Schulden, ich habe gejeut, das gab es nicht, lieber eine Kugel vor den Kopf. Also ich habe zu meinem Felix gesagt: Bon! Ich bezahle dieses Mal deine Schulden, und weil ich ein guter Vater bin, erhöhe ich deine Zulage. Aber es ist zwischen uns beiden nie mehr von Schulden, die du gemacht hast, die Rede. Hast du Schulden, so werde mit ihnen fertig, wie du kannst, auf mich rechne nicht. Ich werde nicht des einen wegen meine anderen Söhne benachteiligen, die vielleicht die Wertvolleren sind. So, und nun weißt du, wie wir miteinander stehen.«

»Sie sind streng«, warf Streith zerstreut ein.

»Ich bin sehr streng«, fuhr der Graf fort, »ich habe drei Söhne, ich bin ein guter Vater, ich liebe meine Kinder, aber ich will wertvolle Menschen, gute Edelleute und würdige Dühnens erziehen. Will einer das nicht, nun dann, so schmerzhaft das ist, ziehe ich meine Hand von ihm ab. Nur so, mein Lieber, können wir in diesen schweren demokratischen Zeiten den Adel hochhalten. Strengste Auslese ohne Gefühlsduselei. Leichtsinn, ich weiß überhaupt gar nicht, wie der Leichtsinn in meine Familie kommt.«

»Vererbung bei den vielen Ahnen«, bemerkte Streith und unterdrückte ein Gähnen, »die Dühnens sind sehr alt, sie haben schon die Kreuzzüge mitgemacht. Dort in Palästina mag das Leben ein wenig wild gewesen sein. Diese ganzen Kreuzzüge waren ja eigentlich ein Leichtsinn, so was vererbt sich.«

»Das ist nichts, mein Lieber«, sagte Graf Dühnen ärgerlich und machte mit der Hand eine Bewegung, als verscheuche er eine Fliege, »auf Vererbung berufen sich nur Leute, die schlecht erzogen sind. Ich werde meinen Söhnen die Vererbung schon forterziehen.«

»Sehr verdienstvoll«, stimmte Streith zu. Dann schien das Thema erschöpft, und der Graf stand auf, um sich zu verabschieden.

Streith atmete auf, als sein Gast fort war. Solch ein Besuch, dachte er, hinterläßt einen bitteren Geschmack im Munde. Er pfiff Roller und eilte in den Wald hinaus. Der Tag war kühl, weiße Wolkenballen wurden schnell über den hellblauen Himmel getrieben, ein lebhafter Ostwind fuhr in die Tannen, ließ sie mit den großen Zweigen leidenschaftlich um sich greifen und mächtig aufrauschen. Die tiefe, ereignisvolle Stimme des Waldes tat Streith wohl. Er nahm den Hut ab und ging gegen den Wind an, es war ihm, als fühle er so angenehm die Elastizität seiner Glieder. Er ging schnell, als hätte er ein Ziel. Bald war er an der Grenze seines Waldes angelangt und stand vor dem alten Forsthause. Wieder weideten die braunen Kälber, wieder saßen Britta und das Kind mit dem roten Tuche auf dem Rasen und sangen. Sie sangen sehr laut, um die Begleitung des Waldesrauschens zu übertönen. Streith grüßte.

Als Britta ihn sah, sprang sie auf, lief zum Zaune und streckte Streith ihre Hand entgegen. Sie lachte über das ganze Gesicht, legte die andere Hand auf ihr Haar und sagte: »Der Wind zerzaust einen heute so.«

»Ja, hm«, meinte Streith und lehnte sich an den Zaun. »der Wind ist allerdings lebhaft. Sie haben da hübsche Kälber.«

»Es sind Kuhkälber«, erklärte Britta, »Wir wollen sie aufziehen, sie sind aber zuweilen sehr wild.«

»Es muß ihnen deshalb vorgesungen werden?« fragte Streith.

»Das ist es nicht«, erwiderte Britta, »wir singen, was soll man anders tun!«

Am Fenster des Hauses erschien Frau von Syrman: »Margusch!« rief sie. »Treibe die Kälber nach Hause.« Als sie Britta im Gespräch mit Streith sah, grüßte sie und trat zurück.

»Jetzt werden Sie etwas sehen«, rief Britta und öffnete die Pforte des Zaunes. Mit einem wilden »ho! ho!« trieb Margusch die Kälber vor sich her, diese sprangen und galoppierten, und als sie endlich die Pforte passiert hatten, erschreckten sie sich vor Roller und jagten dem Walde zu, Margusch und Britta folgten ihnen. »Laufen Sie dort vor, Herr Graf«, rief Britta, und Streith lief und wehrte mit seinem Stock den Kälbern den Durchgang. Aus dem Hause stürzte eine alte Frau, groß wie ein Mann, mit flatternden, grauen Haarsträhnen und beteiligte sich mit einem wilden »hü, hü« an dem Treiben. Endlich waren die Kälber eingekreist und glücklich in den Stall gebracht.

Streith stand an der Stalltür, ein wenig atemlos, das Herz klopfte ihm stark.

Da trat Frau von Syrman aus dem Hause, sie hatte sich eine Federboa umgelegt und ging mit kleinen Schritten über den unreinlichen Hof, wie eine Dame auf der Promenade. Sie lächelte. »Aber Kind«, sagte sie, »wie kannst du den Herrn Grafen so bemühen.«

»Oh, es war sehr interessant«, versicherte Streith, »lhre Kälber sind in der Tat recht temperamentvoll.«

»Das ist so die Aufregung des Abends«, meinte Frau von Syrman.

»Der Abendsport«, sagte Streith.

Frau von Syrman zuckte leicht mit den Schultern: »Ich fürchte, hier in unserer Wildnis werden wir alle ein wenig wild. Aber wollen Sie sich nicht setzen, Herr Graf, hier haben wir eine sogenannte Veranda, alles sehr primitiv, natürlich.« Frau von Syrman ging auf die Haustür zu, vor der unter einem kleinen Vordach zwei Bänke standen.

Streith folgte zögernd, diese Einladung kam ihm nicht gelegen.

»Bitte, Platz zu nehmen«, sagte Frau von Syrman, »Britta, Kind, komm, setze dich her. Wie erhitzt du bist.«

Streith setzte sich, Frau von Syrman lehnte in der Tür, immer noch ihr melancholisch nachsichtiges Lächeln auf den Lippen. »Ein beschauliches Plätzchen«, meinte sie, »auch im Sommer ist es hier kühl. Hier verbringen wir unsere langen, stillen Sommerabende.«

»Eine sehr hübsche Aussicht«, bemerkte Streith.

»Sie entschuldigen einen Augenblick«, sagte Frau von Syrman dann und zog sich in das Haus zurück.

Britta saß Streith gegenüber, die Sonne schien ihr gerade in das Gesicht, das Schwarz der großen Augen bekam einen rötlichen Schein und kleine, goldene Punkte entzündeten sich in ihnen.

Streith lächelte, er wußte nicht warum, wohl nur, weil dies Gesicht ihm gegenüber so jung und hübsch war. »Ob die Kälber schon schlafen?« sagte er, um etwas zu sagen.

Britta blieb ernst. »Die armen Kälber«, erwiderte sie. »Wenn das mit den Kälbern vorüber ist, dann wird es hier ganz still, dann geschieht hier nichts mehr.« Sie hielt die Hände im Schoße gefaltet, breite Hände von noch kindlicher Form, sie waren rot und schienen rauh.

Streith schaute diese Hände an, sie rührten ihn.

Britta war seinem Blick gefolgt, sah auch auf ihre Hände nieder und sagte: »Ja, sie sind rot. Im Winter springt die Haut, aber ich mag keine Handschuhe tragen.«

»In der warmen Jahreszeit gibt sich das«, tröstete Streith.

Aber Britta schüttelte den Kopf: »Ach nein. Fräulein Wolwer, meine Klavierlehrerin in der Stadt, will, daß ich mir eine Salbe des Nachts auf die Hände streiche und Handschuhe anziehe, aber mit Handschuhen könnte ich nicht schlafen.«

»Allerdings, das müßte peinlich sein«, bestätigte Streith.

»Mama hat immer weiße Hände«, fuhr Britta fort, »was sie auch tut, kleine, weiße Hände. Die Prinzessinnen drüben haben wohl auch sehr weiße Hände?«

»Hm, ja«, erwiderte Streith, »ich denke, die haben recht weiße Hände.«

»Natürlich, Prinzessinnen«, äußerte kurz Britta.

Frau von Syrman erschien wieder in der Tür: »Ich bitte, Herr Graf, nehmen Sie nicht ein Täßchen Kaffee? Der Kaffee ist ganz frisch gemacht.«

Erschrocken sprang Streith auf: »Ich danke, gnädige Frau«, rief er, »aber ich darf Ihre Güte nicht weiter in Anspruch nehmen, ich bin schon zu lange geblieben.«

»Das hilft jetzt nichts«, meinte Frau von Syrman kokett und einschmeichelnd, »jetzt müssen Sie auch bei uns eine Tasse Kaffee einnehmen.« Sie ging in den Flur voraus, und Streith folgte ihr mit finsterem Gesicht.

Das Wohnzimmer war ein breiter, etwas niedriger Raum, grellblaue Tapeten an den Wänden, viele Möbel befanden sich hier, die nicht zueinander zu gehören schienen, ein großes mit Roßhaar bezogenes Sofa, Stühle, ein runder, gelber Tisch, daneben ein kleiner, elfenbeineingelegter Nähtisch, ein Klavier, eine zierliche, metallbeschlagene Kommode, auf ihr eine goldbronzene Uhr, Tasso, vor ihm auf einem antiken Säulenstumpf ein aufgeschlagenes Buch. An den Wänden hingen Photographien und ein Pastellbild der Herrin des Hauses, ein hübsches Köpfchen mit Botticelli-Frisur, verträumten Augen und einem feinen, klugen Munde.

»Bitte, Platz zu nehmen«, sagte Frau von Syrman. Sie selbst setzte sich auf das Sofa, schenkte den Kaffee aus einer blauen Kanne in eine große, blaue Tasse, schob den Zucker, den Teller mit gelbem Kuchen näher. »Zucker gefällig? Bitte, sich mit Cake zu versorgen.« Dabei begann sie gleich die Unterhaltung mit der lässigen Sicherheit einer geübten Wirtin eleganter five o'clocks. »Ein merkwürdig schönes Frühjahr haben wir. Aus Cannes schreibt man mir, es sei dort so heiß, daß alles flieht.« Ja, Streith glaubte das wohl. »Planten die Hoheiten nicht auch eine Reise?«

Streith hatte davon nichts gehört.

Britta hatte sich auch an den Tisch gesetzt, sie trank Milch aus einem großen Glase, tauchte ihre breiten, roten Lippen in all das Weiß, blinzelte mit den Wimpern und schaute Streith über den Rand des Glases ruhig und nachdenklich an.

Frau von Syrman lehnte sich in die Sofaecke zurück, zog die Federboa fester um die Schultern und zündete sich eine Zigarette an. »An unsere Wildnis hier«, sagte sie, »gewöhnt man sich ja mit der Zeit. Wenn das Schicksal einen in diese Einsamkeit verschlägt, so gewinnt man die Einsamkeit auch lieb.«

»Die Stadt ist nicht weit«, wandte Streith ein.

Frau von Syrman zuckte mit den Schultern: »Ach, diese kleinstädtische Gesellschaft bietet nicht viel. Nein, ich habe immer die Natur geliebt, unsere nordische Natur, und doch -. Sehen Sie, Herr Graf, es ist merkwürdig, ich bin in Deutschland geboren, schon mein Vater war Deutscher, aber unsere Familie stammt aus Italien, Arci war mein Mädchenname, nun und da gab es von Jugend auf Momente in mir, in denen ich meine Umgebung, meine nordische Umgebung als mir fremd, als etwas nicht zu mir Gehöriges empfand. In Italien, in Nizza, in Mentone, da ging mir das Herz auf. Seltsam, das muß doch der Rest des fremden Blutes sein.«

»Hm, ja«, murmelte Streith.

»Und dieser Zwiespalt im Blute«, fuhr Frau von Syrman sinnend fort, »der erklärt, glaube ich, manches. Auch in dieser«, und Frau Syrman wies mit dem Kopf nach Britta, »ist viel fremdländisches Blut, und auch bei ihr erklärt sich daraus manches, das vielleicht nicht sein sollte.«

Britta machte ein böses Gesicht, stand auf und ging an das Fenster.

Ihre Mutter lachte gerührt. »Sie liebt es nicht, daß man von ihr spricht«, sagte sie, dann seufzte sie, »Sie hat aber auch viel Germanisches, viel von ihrem Vater.«

Schräg fiel die Abendsonne in das Zimmer, streifte den goldenen Tasso, beschien den Tisch, den gelben Kuchen, die große, blaue Tasse mit dem dünnen Kaffee und verfing sich in die Rauchwölkchen der Zigarette. Frau von Syrman sprach weiter mit klagender Stimme, Britta stand am Fenster und schaute düster hinaus.

Das ist traurig, ging es Streith durch den Sinn, unerträglich traurig. Warum sitze ich hier?

»Mein Mann war ein echter Germane«, fuhr Frau von Syrman fort, »groß, blond, blaue Augen, sehr musikalisch, ein guter Geschäftsmann und -« sie seufzte, »und ein naiver Egoist. War jemand ihm nicht recht, so hatte er eine Art, ihn beiseite zu schieben, wie ein Satter seinen Teller beiseite schiebt, und, Sie verstehen, das kränkt, das empört.«

Streith beugte sich tiefer auf seine Tasse nieder, es ärgerte ihn, so in die Verhältnisse der Syrmanschen Familie eingeweiht zu werden, er fürchtete, nun würde auch der Roman mit dem amerikanischen Versicherungsbeamten kommen, von dem er gerüchtweise gehört hatte. Um abzubrechen, sagte er daher: »Solche Blutmischungen, meine Gnädige, sind oft sehr wertvoll. Aber ich halte die Damen schon zu lange auf.«

Frau von Syrman lächelte melancholisch: »Aufhalten, Herr Graf, wir haben nie etwas vor.«

Streith erhob sich, um sich zu verabschieden.


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