Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Der Graf Streith hatte schlecht geschlafen, nun saß er am Frühstückstisch, trank seinen Tee und starrte sinnend auf einen Kastanienzweig voll grellgrüner Blätter, der sich vor dem Fenster in der Maiensonne wiegte. Roller, der rotbraune Setter, hatte sich eine sonnige Stelle auf dem Parkett ausgesucht und schlief dort. Oskar Pose, der alte Diener, mit dem Gesicht eines Heldenvaters, ging leise ab und zu und bediente seinen Herrn.

Das Fatale an solch schlimmen Nächten war, daß Gedanken dann herandrängten und sich breit machten, die Streith sonst im Zaume zu halten verstand. Als er den Hofdienst aufgegeben und sich hierher zurückgezogen hatte, war ihm das wie eine Erlösung erschienen. Der Hofdienst war ein Mißgriff gewesen, wie denn manches in seinem Leben ein Mißgriff gewesen war. Jetzt, obgleich er die Vierzig überschritten hatte, jetzt sollte das eigentliche Leben beginnen. Erfahrungen hatte er genug gesammelt, das Handwerk des Lebens hatte er genügend gelernt, da mußte es mit dem Teufel zugehen, wenn nicht etwas seiner Würdiges dabei herauskam. So begann er denn sich einzurichten, er baute sein Schlößchen aus, kaufte schöne Sachen, legte seinen Garten an, ließ seinen Wald vermessen. Einige Jahre waren vergangen, und er richtete sich noch immer ein, immer noch war alles Vorbereitung, und das Leben, auf das er sich freute, hatte noch nicht begonnen. Dazu verrann die Zeit, nach einer solch schlaflosen Nacht hörte er sie ordentlich an sich vorüberlaufen wie ein durchgehendes Gespann, und er hatte das Gefühl eines Schülers, dessen Ferienzeit zum größten Teil vorüber ist und der noch immer auf die eigentliche Ferienlust wartet.

Die Tür öffnete sich, und Frau Buche, die Mamsell, erschien. Sie war ältlich und recht stark, und aus ihrem großen, bleichen Gesichte schauten zwei sehr friedliche, mausgraue Augen heraus. Sie verbeugte sich, und Streith erwiderte sehr höflich den Gruß. Dann lehnte Frau Buche an der Tür und begann, wie sie das jeden Tag tat: »Ich komme wegen des Essens, Herr Graf. Zum Frühstück habe ich Hechtkoteletten mit Morchelsoße, dann dachte ich...«

Allein Streith winkte ab: »Genug, geben Sie eine Tasse Bouillon und eine Omelette, das genügt. Übrigens wird das Diner sich heute ein wenig verspäten, denn ich will noch einmal nach den Schnepfen sehen.«

Frau Buche neigte den Kopf und fuhr dann fort: »Für das Diner habe ich eine Krebssuppe vorbereitet, dann haben wir das Haselhuhn, dann dachte ich...«

Aber Streith unterbrach sie wieder: »Es ist gut, Frau Buche, Sie werden es schon machen.«

Die alte Frau zog ihre Mundwinkel herab, was ein verhaltenes Lächeln bedeutete, und meinte: »Der Herr Graf muß heute wichtige Dinge im Kopfe haben, daß er nicht an unser Essen denken mag.«

Streith lehnte sich in seinen Stuhl zurück, blies den Rauch seiner Zigarette vor sich hin und betrachtete aufmerksam das Gesicht der Mamsell und sagte: »An Essen denken ist eine gute Sache, aber zu jeder guten Sache gehört auch die rechte Stimmung. Sind Sie immer in der Stimmung, an Essen zu denken?«

Frau Buche wurde ernst: »Bei mir, Herr Graf, ist es Pflicht, wollte ich nicht an das Essen denken, so wäre das Sünde.«

Streith zuckte die Achseln. »Sünde, Frau Buche, ist ein großes Wort, aber sagen Sie, waren Sie immer so still befriedigt, oder gab es in Ihrem Leben auch Leidenschaften?«

Die alte Frau errötete. »Von Leidenschaften weiß ich nichts«, erwiderte sie abweisend.

»Das war doch Herr Buche«, warf Streith ein.

»Buche war ein starker Mann«, berichtete die Mamsell, »und ein jähzorniger Mann, ich war jung und dumm, das ist nun vorüber, ich habe jetzt meine Arbeit und keine Sorgen, bis auf die Sorge um das ewige Seelenheil.«

»Beste Frau Buche«, rief Streith, »wenn Sie sich auch für die Ewigkeit einrichten wollen, dann werden Sie nie fertig.«

Die alte Frau kniff die Lippen zusammen, darüber wollte sie nicht sprechen. Sie wartete noch einen Augenblick, fragte dann, ob der Herr Graf noch etwas befehle, und als Streith verneinte, verließ sie das Zimmer.

Streith stand auch auf und ging in sein Arbeitszimmer hinüber. Dort lagen neuangekommene Bücher bereit, die er durchlesen wollte. Als er jedoch in seinem Sessel saß, das Falzbein in der Hand, verfiel er wieder in Sinnen. Der Abend gestern drüben auf dem Schlosse hatte ihn beunruhigt. Eine Verbindung mit der fürstlichen Frau betrachtete er als die Krönung seines Lebens. Sie sollte es zu jener kostbaren Ausnahme machen, die Donalt von Streiths Leben sein mußte. Seit er die Fürstin kannte, schon am Birkensteiner Hof, als sie die unglückliche Gattin eines allzu lebenslustigen Fürsten gewesen war, hatte er in ihr das auserlesenste Wesen der Schöpfung verehrt. Sie wußte, daß er sie liebte, daß er auf sie wartete, sie ließ das nicht nur geschehen, nein, sie wollte es. Nun waren gestern wieder mütterliche Gefühle und Skrupel in ihr aufgestiegen, die seine Hoffnungen bedrohten. Ein leiser Ton machte ihn aus seinen Gedanken aufschrecken, das Schildkrötfalzbein in seinen Händen war mitten entzweigebrochen. Ungeduldig warf er es fort, erhob sich und ging schnell in den Flügel des Schlosses hinüber. Dort befanden sich drei Zimmer, deren Einrichtung noch unvollständig war. Die Wände des ersten Zimmers bedeckte eine hübsche japanische Seidentapete, auf mattblauem Grunde blühende Kirschzweige und ein Zug silbergrauer Kraniche. Ein Chippendale-Schreibtisch stand da noch, eine Vitrine mit Porzellanfigürchen und kleine mattblaue Möbel. Die anderen Zimmer waren fast leer, nur ein Spiegel in silbernem Rahmen, eine fliederfarbene Couchette und ein weißes Bärenfell befanden sich dort. Streith ging hin und her, rückte an den Möbeln, dachte nach. An diesen Räumen dichtete er schon manches Jahr, jetzt aber mußte das mit mehr Eifer betrieben werden. Roller war seinem Herrn gefolgt, stand da, sah ihn mit geduldigen Hundeaugen an und war freudig überrascht, als Streith ihn anredete: »Roller, mein Alter«, sagte er, »eile, wir haben Eile.« Damit verließ er das Gemach, nahm seinen Hut und ging in den Hof hinaus.

An der einen Seite des Schlößchens wurde ein Wintergarten angebaut, die Mauern standen schon, und die Arbeiter waren eben dabei, die Tragbalken hinaufzuwinden. Streith blieb stehen, um der Arbeit zuzuschauen.

Der Baumeister trat an ihn heran, ein grämlicher Alter mit grauem Ziegenbart, und begann Bericht zu erstatten.

Streith hörte ihm nicht zu, er interessierte sich für die großen, blonden Burschen, die sich da mit den großen, gelben Balken zu schaffen machten. Die Sonne setzte ihnen hart zu, sie hatten die Mützen in den Nacken geschoben, die Gesichter waren gerötet, und auf den Rücken der Kittel zeigten sich nasse Flecken. Es war jedoch hübsch, wie sie die schweren, heißen Glieder als Werkzeuge benutzten, mit ihnen hoben, stützten und stemmten, wie die Muskeln sich spannten und die jugendliche Kraft die Körper schwellte. Streith wurde es ganz warm bei diesem Anblicke, doch plötzlich wandte er sich ab, ließ den Baumeister mitten in seinem Berichte stehen und ging in seinen Garten hinüber. Dort schritt er langsam an den Rosenbüschen entlang, allein er beachtete sie nicht, er war verstimmt, denn er fühlte sich heute als ältlichen Herrn, der langsam auf und ab geht, um sich in der Sonne zu erwärmen.

Nach dem Frühstück ritt Streith aus. In den Waldschneisen zwischen den dichten Wänden der jungen Tannen war die Luft warm und feucht, sie machten den Reiter und das Pferd schlaff. Streith ließ den Falben gehen, wie er wollte, er selbst gab sich seinen Gedanken hin, aber auch diese hatten heute nicht den rechten Fluß. Immer wieder hakten sie sich an kleine Widerwärtigkeiten und kamen nicht davon los. Als er wieder um sich schaute, befand er sich am Rande seines Waldes, drüben begann der Tirnowsche Wald, dort lag auch der graue Holzbau des alten Forsthauses. In dem kleinen Gemüsegarten vor dem Hause ging eine schlanke Dame in dunklem Kleide, die Gießkanne in der Hand, langsam die Beete entlang und begoß die Kohlpflänzchen. Als sie den Hufschlag des Pferdes hörte, wandte sie ein wenig den Kopf, kehrte ihn jedoch gleich wieder ab, als gäbe es da nichts zu sehen und fuhr in ihrer Beschäftigung wieder fort. Ah, die kompromittierte Dame, dachte Streith, die Bankiersfrau mit dem Roman, die sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat. Auf der anderen Seite des Hauses lag eine kleine, eingezäunte Wiese, auf der zwei braune Kälber weideten, ein Kind hütete sie, ein kleines, verkümmertes Wesen mit einem roten Tuche auf dem Kopfe. Neben dem Kinde auf dem Boden saß ein junges Mädchen in blauem Leinwandkleide, der Wind ließ das krause, schwarze Haar um das runde, rosige Gesicht flattern. Beide, das Kind und das Mädchen, sangen aus vollem Halse. Als Streith vorüberritt, sprang das Mädchen auf, lief zum Zaune, stützte die Arme in den zu kurzen Ärmeln auf die Zaunlatten und betrachtete den Reiter. Streith waren diese großen, dunklen Augen peinlich, die ihn mit ruhiger Neugierde anstarrten, als sei er eine Sache. Er trieb sein Pferd an, vom Hause rief eine Stimme: »Britta! Britta!«

Wie das mit Leben protzt, ging es Streith durch den Sinn. In scharfem Trabe ritt er der Landstraße zu und dann an Gutheiden vorüber. Durch das Gartengitter sah er die Fürstin und Roxane langsam den breiten Kiesweg entlang gehen, zuweilen blieben die Damen vor einem Beete stehen und beugten sich auf die Frühlingsblumen nieder. Es schien Streith, als wehe ihm aus diesem Garten wieder die feine, milde Luft entgegen, die zu atmen er gewohnt war, und er wurde wieder heiter.

Die gute Stimmung hielt auch an, als er sich zu Hause in seinem Arbeitszimmer auf den Diwan ausstreckte, um ein wenig zu ruhen. Im Halbtraum sah er noch die edle Gestalt der Fürstin, die leichte Bewegung der dunkelvioletten Schleppe auf dem gelben Kies, das gütige Sichniederbeugen zu den Hyazinthen und Krokussen des Gartenbeetes.

Um Sonnenuntergang ging Streith auf den Schnepfenstand. Nicht weit vom Hause lag eine kleine, feuchte Wiese mitten im Walde. Dort stellte er sich auf. Die Sonne war im Untergehen, goldene und rosige Wolkenflocken hingen am blaßblauen Himmel, die Vögel lärmten aufgeregt im Unterholze, Züge von Krähen flogen eilig über die Wipfel hin und riefen einander ihre heiseren Nachrichten zu, und unten in den Wasserlachen quarrten die Frösche. Streith war diese Lebhaftigkeit peinlich, er war froh, als die Sonne vollends unterging, er freute sich auf die Abendstille. Nun hörte er eine Schnepfe kommen, es war, als flöge sie direkt aus dem Gold des westlichen Abendhimmels heraus, langsam näherte sie sich, es schien, als schwimme sie wohlig in der Luft, die schwer von Düften und bunt von Farben war. Als sie nahe genug war, schoß Streith, sie fiel und Roller eilte, sie seinem Herrn zu bringen. Fatal, dachte Streith, als er den toten Vogel in der Hand hielt, aus einer so hübschen Situation so herausgerissen zu werden. Dann lud er sein Gewehr und wartete wieder. Die Farben am Himmel verblaßten, die Vögel wurden stiller, und das Quarren der Frösche klang jetzt beruhigt und eintönig. Streith hörte neben sich auf dem feuchten Boden Schritte, und als er hinschaute, gewahrte er zwischen den Erlenbüschen ein Mädchen. Das ist die Tochter vom Forsthause, sagte er sich, diese Britta. Er erkannte sie an den großen schwarzen Augen. Britta grüßte, indem sie die Hand an den kleinen, grünen Filzhut legte.

»Darf ich hier stehen?« fragte sie.

»Bitte«, erwiderte Streith kühl und wandte sich ab. Britta stand nun da, die Hände in die Taschen der grauen Lodenjacke gesteckt, den Kopf zurückgebogen, gespannt lauschend. Ihr Gesicht war vom Gange heiß, die Lippen halb geöffnet, atmete sie schnell. Als sich jetzt in der Ferne eine Schnepfe hören ließ, wandten Roller und Britta die Köpfe der Richtung des Tones zu, und Britta sagte: »Jetzt kommt sie.« Hoch und schnell flog die Schnepfe heran, Streith schoß, die Schnepfe machte eine Zickzackbewegung und flog weiter. Streith hörte Britta leise lachen. »Zu hoch«, murmelte er und ärgerte sich darüber, daß er sich vor dem Mädchen wegen des Fehlschusses entschuldigte. Aber das kam von solch ungebetenen Zuschauern. Eine Weile stand er noch da, durchsichtig und farblos wurde der Himmel, leichte Nebel stiegen von der Wiese auf, und die Tannenwipfel wurden schwarz. »Sie kommen nicht mehr«, sagte Streith endlich und warf sein Gewehr über die Schulter

»Sie kommen nicht mehr«, wiederholte Britta. Erstaunt schaute Streith zu ihr hinüber, da griff sie wieder an den Rand ihres Filzhutes, sagte: »Guten Abend, danke«, und wandte sich zum Gehen.

»Mein Fräulein«, rief Streith ihr nach, »der Weg dort ist sumpfig. Sie tun besser, hier die Schneise hinabzugehen.«

Gehorsam kehrte Britta um, sie blieb neben Streith stehen und schaute ihn an, als erwartete sie von ihm weitere Befehle. »Ja«, sagte Streith, »das ist auch mein Weg.« So gingen sie denn nebeneinander über die Wiese, Britta, die Hände noch immer in den Taschen ihrer Jacke, trat kräftig in die Wasserlachen, und es schien ihr Freude zu machen, wenn es tüchtig um sie her aufspritzte.

»Sie interessieren sich für die Jagd«, begann Streith die Unterhaltung.

»Ja, sonst gibt es hier nichts zusehen«, erwiderte Britta; ihre Stimme hatte einen gedämpften, warmen Klang, gemischt mit ein wenig Herbigkeit, wie sie Mädchen aus dem Volke haben, die ihre Kehlen in der freien Luft nicht schonen.

»Im Forsthaus ist es wohl einsam?« fragte Streith weiter.

»Im Winter«, berichtete Britta, »wenn es früh dunkel wird, und wenn Schritte am Hause vorübergehen und vor den Fenstern stehenbleiben und wieder weitergehen, dann fürchten wir uns wohl.«

»Sind die Damen ganz allein?«

Nein, der rote Andree wohnte bei ihnen, er pflegte den Schimmel. Er war aber des Nachts oft nicht zu Hause. Streith lachte: »Weil er wildert.«

»Ja, aber er ist noch nie erwischt worden«, verteidigte ihn Britta. »Ich wollte, er soll mich einmal mitnehmen, aber er tut es nicht.«

»Das würde sich für eine junge Dame auch nicht schicken«, bemerkte Streith zurechtweisend.

»Für eine junge Dame«, bemerkte Britta nachdenklich, »nein, das würde sich nicht schicken, aber wer kümmert sich um uns? Übrigens fahre ich jede Woche einmal in die Stadt, um Musikstunden zu nehmen. Ich habe dort auch Freundinnen, die Tochter des Bahninspektors Müller und die Töchter des Postmeisters. Die wollen eine Gesellschaft geben, aber ich tanze so schlecht, Mama tanzt mich ein, dann ist aber niemand da, der Klavier spielt.«

»Hm, ja, das ist schlimm«, bemerkte Streith.

Die Unterhaltung verstummte für eine Weile, schweigend gingen beide nebeneinander her. Unter den großen Tannen dunkelte es bereits, in den Wasserlöchern begannen die Unken ihr dünnes Liebeslied vor sich hin zu singen, drüben im Walde riefen zwei Käuzchen leidenschaftlich einander zu, über das Moos huschten leise Schritte, und es war, als würde ein keuchender Atem hörbar, das mochte wohl ein Dachs auf der Nachtwanderung sein. Streith wurde wunderlich zumute, als er in dieses heimliche Locken, Schleichen und Werben hineinhorchte, dazu neben ihm dieses Kind, dem die Mainacht wie starker Wein in das Blut gehen mußte.


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