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(1904)
Die öffentliche Meinung hat sich jetzt erklärt. Der Künstlerbund ist überall fast widerspruchslos begrüßt worden. Von den Hunderten von Pressestimmen, die mir zugegangen sind, waren drei, genau drei, ungünstig. Man empfindet offenbar, daß es Aufgaben gibt, die erfüllt werden müssen, und vertraut, daß der Künstlerbund, so wie er ist, sie erfüllen kann.
Was sind diese Aufgaben? Im Grunde nur verschiedene Formen einer einzigen: dem Künstler seine Freiheit sichern.
Die Reichsregierung und der preußische Kultusminister haben der Kunst den Dienst geleistet, daß sie die Aufmerksamkeit gewaltsam auf die immer gefährdete Stellung persönlich eigenartiger Künstler gelenkt haben.
Denn die bekannte Gruppe, die der Regierung in Berlin die Hand führt, bekämpft nicht, wie sie gerne vorgibt, irgendeine bestimmte Richtung, sondern im Gegenteil die Künstler, die keiner Richtung sich beugen wollen. Was diese Gruppe verfolgt, ist überall nichts als die Eigenart, und was sie verlangt, die Unterwerfung unter die Jurys und Begutachtungen der bei der großen Masse der Künstler gerade herrschenden Richtung, die sich immer gern die alte nennt, als ob sie die alten Meister vertrete, während sie wirklich nur die alten Rezepte bewahrt, die der künstlerische Mittelstand in seiner Studienzeit auf der Akademie gelernt hat.
Daß die Freiheit und nicht eine Richtung in Frage steht, beweist diese Gruppe, indem sie ganz entgegengesetzte Kunstweisen gleichermaßen ablehnt, Thoma und Liebermann, Klinger und Uhde, Kampf und Stuck. Denn diese Künstler haben nichts gemein, als daß sie Persönlichkeiten sind und ihrer Eigenart treu bleiben, statt irgend einem Dogma oder Befehl zu gehorchen.
Sie beweist es noch deutlicher, indem sie nicht nur bestimmte Kunstwerke, sondern bestimmte Künstler verfolgen läßt, deren Unabhängigkeit sie gereizt hat.
Der preußische Kultusminister hat ein Bild von Walter Leistikow, das die Landeskunstkommission einstimmig zum Ankauf für die National-Galerie angenommen hatte, abgelehnt, ohne es überhaupt zur königlichen Genehmigung vorzuschlagen; denn er dürfe ein Werk von Leistikow nicht kaufen.
Derselbe Herr hat bei einer vom deutschen Vizekonsul in Chicago geplanten Ausstellung deutscher Bilder auf Grund eines preußischen Zuschusses die vom Organisator der Ausstellung, dem Akademie-Professor Arthur Kampf, vorgeschlagenen Sezessionisten von vornherein sämtlich gestrichen. Und dieses neue Verwaltungsrecht ist dann später auch bei den Vorbereitungen für St. Louis zur Anwendung gelangt. Denn, wie bekannt, ersetzte das Reich eine Kommission, die es mit den Bundesstaaten zusammen berufen hatte, plötzlich, ohne die Einzelregierungen wieder zu fragen, durch eine andere Körperschaft, als ihm klar gemacht worden war, daß die Kommission den sezessionistischen Künstlern günstig sei; ein besonders feinfühlig dem Geschmack von Chicago und St. Louis angepaßtes Vorgehen, wenn man weiß oder durch einfache Erkundigungen erfahren konnte, daß in den öffentlichen und privaten Galerien Amerikas, im Metropolitan-Museum in New York, in den städtischen Museen von Chicago und Boston, in den großen Privatsammlungen von Shaw, Vanderbilt, Havemeyer, Mrs. Palmer und den anderen Milliardären, neben den alten Meistern diejenigen modernen Franzosen dominieren, welche die Kunst von der Schablone befreit haben, Millet, Corot, Puvis de Chavannes, Delacroix, Manet, Degas, Monet, Cézanne. Bekanntlich ist ja sogar Amerika das Land, von dem die Schätzung der Impressionisten in den 80er Jahren ausgegangen ist: seitdem ist der Export französischer Bilder auf jährlich 4 Millionen Mark gestiegen, der von deutschen bis auf 400 000 Mark heruntergegangen. Und um diesem Geschmack entgegenzukommen und unsere Ausfuhr zu heben, schicken wir, unter Ausschluß von unseren Impressionisten, Grützner und Anton von Werner hinüber.
Die Absicht der bezeichneten Berliner Gruppe ist also, so wie der preußische Kultusminister es nach ihrem Wunsche tut, die unabhängigen Künstler gänzlich auszumerzen. Aber da dies nicht immer ganz und gar möglich ist, so verfolgt sie ihr Ziel manchmal auch indirekt. Sie gibt vor, die eigenartigen Künstler dulden zu wollen; nur sollten sie wenigstens »nicht mehr« Platz und Rechte beanspruchen als die, die ohne besonderes Talent ausstellen. Und überdies sollten die Talente sich von den Erwählten der Mittelmäßigen hängen lassen. Schwach vertreten und geschickt verteilt, ertrinken sie dann in der Masse von selbst.
Am amüsantesten zeigt sich diese Taktik in gewissen Äußerungen von einer nur leicht verhüllten »hochgeschätzten Seite« in der Weserzeitung vom 31. Dezember 1903. »Die Bundesstaaten und die resp. Kunststädte können nur nach Maßgabe der Zahl ihrer Künstler behandelt werden ... Wenn München 1000 Künstler zählt und Berlin nur 500, so hat München Anspruch auf den doppelt so großen Raum bei Ausstellungen, wo die deutsche Kunst vertreten sein soll, wie Berlin; das ist ein unantastbarer und loyaler Standpunkt.« Wie würdevoll und weise! Aber unantastbar und loyal dann auch bei unseren Museen, die, wie mir scheint, ebenfalls dazu da sind, damit in ihnen »die deutsche Kunst vertreten sei«. Die Statistik der in einer Stadt bis dahin vermalten Leinewand müßte entscheiden, wie viele Quadratmeter im Museum ihr gebührten. Das wäre der Triumph dieser neuen, der statistischen Methode bei der Auswahl von Kunstwerken, und das Talent wäre endgültig an den ihm gebührenden obskuren Platz verwiesen; was für die angeführte »hochgeschätzte Seite«, deren Malerei mit ihrem literarischen Stil eine so fatale Ähnlichkeit hat, allerdings nicht von Nachteil wäre.
Aber die Finte unter der Maske der Gerechtigkeit täuscht keinen. Wohin die krummen wie die geraden Wege führen, bleibt deutlich. Die Männer und Minister dieser Gruppe handeln im hellen Licht ihrer Stellung, wie von jeher die obskure Menge gegen Persönlichkeiten in der Kunst gehandelt hat, wie Kleons Keulenmänner gegen Phidias, wie die Pedanten, die der Aretiner verspottete, gegen Tizian, wie die reichen Krämer von Amsterdam gegen Rembrandt. Neu ist nur, die höchsten Staatsbehörden zu dieser Jagd benutzt zu sehen. Aber das Ziel ist ewig: die Persönlichkeiten in der Kunst auszumerzen, um Platz für die Anderen und Vielen zu schaffen.
Gegenüber dieser in der menschlichen Natur fest begründeten Tendenz gilt es, eine Gegenmacht aufzurichten, die dem Talent die Möglichkeit sichert, ungefährdet seinem künstlerischen Gewissen zu folgen, und die ihm beim Kampfe hilft, den es um seinen rechten Platz vor den vielen kämpft.
Denn es steht fest, daß in der Kunst nur die Ausnahme Wert hat; kein Fleiß, keine Gesinnung, keine Richtung, nur die Eigenart. Alles Andere ist nicht nur weniger wert, sondern nichts wert. Es ist nichts und hat kein Recht, wie etwas behandelt, berücksichtigt, gehängt zu werden. Dieser Ausspruch scheint den sonst dem Künstlerbund und seinen Tendenzen sympathischen Abgeordneten Henning etwas erschreckt zu haben. Er meint, er führe zu einer Art von »künstlerischem Nihilismus«. Aber der ehrenwerte Abgeordnete muß mich mißverstanden haben. Ich meine natürlich nicht, daß der Fleiß oder die Schulung dem Künstler nichts nützen, sondern daß sein Werk nicht nach ihnen zu werten ist. Ich kann mich vielleicht durch einen Vergleich deutlicher machen. Auch bei einer Schlacht kommt es nur auf das Resultat an. Man wird deshalb ganz richtig sagen, daß im Kriege schließlich kein Fleiß, keine Gesinnung, keine Schulung in Betracht kommen, sondern nur der Sieg. Dabei ist es selbstverständlich, daß der Fleiß und die anderen Eigenschaften sehr viel zum Sieg beitragen. Nur wird kein Mensch eine Niederlage einen Sieg nennen, weil der besiegte General fleißiger und gesinnungstüchtiger als sein Gegner war. Das ist aber die Wertungsweise, die man uns in der Kunst zumutet, und gegen sie ist mein Satz gerichtet.
Deshalb ist die Kunst nie gefördert worden als durch Mächte, die die Eigenart geschützt und begünstigt haben wie die großen Gefühlserneuerungen: die griechische Tragik, das franziskanische Christentum, die eine neue Welt von Empfindungen als Rohstoff neuer Genies schufen, oder wie die großen Mäzene, die soweit nützten, soweit sie irgend einer Eigenart Raum und Gelegenheit gaben, sich frei zu entfalten.
Der Deutsche Künstlerbund will eine Macht dieser Art aus den verbundenen Kräften der echten und eigenartigen Künstler selber schaffen. Er soll der deutschen Kultur ein Arm und nötigenfalls eine Faust werden, die die Eigenart in der Kunst schützt und deren rechte Geltung durchsetzt.
Diese Aufgaben kann die alte Kunstgenossenschaft nicht lösen. Im Gegenteil. Sie vertritt das andere Prinzip. Denn ihre Organisation beruht auf dem allgemeinen Stimmrecht aller, und jeder kann ihr beitreten, der irgendwie etwas Kunst macht. In ihren Beschlüssen und Maßnahmen kommen also gerade die Vielen zu Wort, die von Natur der Eigenart feindlich sind; von einer Bevorzugung des noch bedrohten Talentes nicht zu reden.
Die Sezessionen dagegen haben eine von diesen Aufgaben schon seit Jahren glänzend in Angriff genommen: Ausstellungen, die nur die Eigenart aufnehmen, nicht die Masse der »anständig«, aber unpersönlich gemalten Bildware.
Die Sezessionen nun sollen als lokale Vereinigungen weiterbestehen. Aber die Ausstellungen werden jetzt durch den Künstlerbund noch bedeutungsvoller und gewählter werden können.
Neue, starke Kräfte, die den Sezessionen ferngeblieben waren, sind dem Künstlerbund beigetreten.
Und außerdem umfaßt der Künstlerbund ganz Deutschland; jede Sezession dagegen nur eine Stadt, einen Landstrich.
Sezessionsausstellungen gab es deshalb jedes Jahr gleichzeitig mehrere; der Künstlerbund wird immer nur eine veranstalten.
Das ist bedeutungsvoll. Denn die Sezessionen konnten jede nur aus den Werken der Künstler einer Gegend wirklich frei wählen. Und diese Künstler standen meist in ihrer Mehrzahl unter gleichen Einflüssen. So konnte manchmal der Schein entstehen, als ob eine Sezession irgend eine »Richtung« verträte; während die »Richtung« in der Kunst, die Abdankung der Eigenart vor dem Rezept, gerade das ist, wogegen die Sezessionen gegründet sind.
Aber auch wirklich bietet das Zusammensein verwandter Talente ohne Beimischung anders gerichteter eine Gefahr. Das Gemeinsame hallt so laut, daß das Persönliche manchmal übertönt wird und seiner selbst vergessen kann. Die Eigenart wird sich ihrer klarer bewußt, wenn sie sich an unähnlichen Elementen reiben muß. Besonders, wenn sie den Kampf ernst nimmt; nicht, wie Berlin bisher in München und München in Berlin, nur die halbe Kraft einsetzt. Der Zusammenschluß alles Bedeutenden in einer Ausstellung wird deshalb das echte Talent noch mehr auf sich selbst hinweisen. Mit dem Schein der »Richtung« wird auch die wirkliche Gefahr schwinden, daß die Persönlichkeiten einander wie gewisse alte Ehepaare ähnlich werden. Graf Posadowsky hat mir in seiner Rede vom 16. Februar wegen dieser Stelle Inkonsequenz vorgeworfen. Es sei ein »wunderbarer Widerspruch«, den Wunsch auszusprechen, daß unähnliche Talente zusammen ausstellten, und dann das lockende Durcheinander von Künstlerbund und Kunstgenossenschaft in St. Louis abzulehnen. Aber der Nachdruck liegt in meinem Satz auf dem Wort Talente. Man begreift also, namentlich nach den Enthüllungen des Jury-Mitgliedes Sitzmann, warum jene Absage meiner Anschauung nicht widerspricht. Ich unterstreiche dieses Mißverständnis, weil es immer wiederkehrt und die Regierung immer wieder auf falsche Wege führt. Es handelt sich bei der Forderung nach eigenen Räumen nicht um den unverständigen Wunsch, einen Zwist nach außen zu markieren, sondern um eine berechtigte Verteidigung der eigenen Werke vor einer nach Ansicht der sezessionistischen Künstler ungünstigen Aufstellung. Gleichwertige Bilder, wenn sie noch so verschieden sind, heben einander. Dagegen genügt ein stilloses mittelmäßiges Bild, um eine ganze Wand von guten Bildern weniger gut erscheinen zu lassen. Diese Entwertung ihrer Werke durch die Masse des Mittelguts hat die eigenartigeren Künstler mit am meisten veranlaßt, sich in den Sezessionen abzusondern. Und bis die Regierung das nicht begriffen hat, wird man auch nicht zu ihren Jurys und Hängekommissionen wieder Vertrauen fassen.
Auch den materiellen Zweck von Elite-Ausstellungen: dem Talent den Markt zu erobern, wird der Künstlerbund noch besser erreichen als die Sezessionen. Denn ungünstig hierfür war die Zersplitterung des Marktes durch die drei oder vier gleichzeitigen Sezessions-Ausstellungen; für München noch mehr als für Berlin, weil dort das einheimische Käuferpublikum nicht so groß ist wie in Berlin. Der Künstlerbund wird dagegen die Aufmerksamkeit von ganz Deutschland auf eine Ausstellung hinlenken. Und da diese Ausstellung zwischen Nord-, Süd- und Mitteldeutschland wechseln wird, so kommt trotzdem ein ebenso großer oder noch größerer Kreis mit ihr in nahe Berührung. Der Markt wird zugleich einheitlicher und weiter werden.
Eine andere Aufgabe, die durch St. Louis grell beleuchtet worden ist, haben die Sezessionen ohne ihre Schuld und weil sie einzeln zu schwach waren, nicht zu lösen vermocht: dem deutschen Talent auf fremden internationalen Ausstellungen seinen rechten Platz zu sichern, – zuerst gegenüber der deutschen Mittelmäßigkeit und dadurch dann gegenüber der fremden Kraft. Der Künstlerbund wird dagegen diese Aufgabe bestimmt lösen. Denn die Macht ist auf seiner Seite. Gegen und ohne fast sämtliche namhaften deutschen Künstler wird eine deutsche Kunstausstellung im Ausland nicht zum zweitenmal unternommen werden.
Die Bedeutung seiner Mitglieder und die Mittel, auf die er rechnen darf, erlauben dem Künstlerbund dann auch, etwas zu planen, das seit Jahren und nicht nur in Deutschland von allen, die innere Beziehungen zur lebenden Kunst fühlen, fast sehnsüchtig erwünscht wurde: ein ernsthaftes, nach denselben Grundsätzen wie die Sammlungen älterer Kunst zusammengestelltes modernes Museum.
Denn die modernen Galerien, die National-Galerie in Berlin, der Luxembourg in Paris, die Tate-Sammlung in London, sind, was man meistens übersieht, nach anderen Prinzipien gesammelt und werden in anderer Weise verwaltet als das Alte Museum in Berlin, der Louvre oder die Londoner National Gallery. Man empfindet meistens nur, daß die Sammlungen moderner Werke deprimierend häßlich sind, und macht dafür die moderne Kunst verantwortlich. Aber diese ist nicht schuld: das beweist die ebenbürtige Schönheit der gut gewählten, großen Privatsammlungen aus dem 19. Jahrhundert, derer z. B. von Camondo, Durand-Ruel, Bernheim, Viau in Paris und einer Anzahl ähnlicher, die jetzt auch in Deutschland geschaffen werden.
Das Grundprinzip jeder ernsthaften Kunstsammlung ist und muß sein: bei jedem Werk gilt nur die Kunst, nur die Form. Nichts Außerkünstlerisches wie das Sujet oder des Künstlers gute Gesinnung und amtliche Stellung. Und zwar muß die Form zugleich künstlerisch hervorragend und künstlerisch persönlich sein; kein bloßes Mittelgut und keine unpersönliche, einem Andern abgeguckte Manier.
Dieses Grundprinzip leidet nur eine Ausnahme: nämlich Werke, die auf die Entwicklung oder die Entwicklungsmöglichkeiten der Technik, des Stils oder der Auffassung ein besonders helles Licht werfen, werden zugelassen, auch wenn sie ästhetisch weniger ausgezeichnet sind. Aber im Grunde durchbricht auch dies nicht das Prinzip; denn auch solche Werke kommen nur deshalb herein, weil sie zur Form in einer, wenn auch bloß geschichtlichen Beziehung stehen.
Die Auswahl aber der Werke liegt bei alten Museen grundsätzlich oder doch mindestens tatsächlich in einer Hand, nicht bei einer Kommission.
Diese Prinzipien sind nicht bestritten. Für die Sammlungen alter Werke aus der Zeit vor 1800 gelten sie als selbstverständlich. Man würde einen Museumsdirektor, der sie dort außer acht ließe, absetzen wegen Unfähigkeit. Aber doch gibt es keine öffentliche Sammlung moderner Bilder, die nach diesen Prinzipien geleitet würde; und als es einmal versucht worden ist, durch Tschudi in Berlin, da hat der Staat tragikomischer Weise selbst eingegriffen, um zu verhindern, daß seine Gelder gut angelegt statt verschwendet würden.
Bei modernen Galerien ist nämlich das Grundprinzip: in erster Linie wird jedem Künstler, der ein paar Jahre unanstößig gemalt hat und Professor ist, ein Bild abgekauft. Die Gelder, die das Parlament für moderne Kunst bewilligt, sind eine Art von Staatskrippe, von der jeder, der zur Herde gehört, ein Recht hat, sich sattzuessen. Was übrig bleibt, wird auf Werke verteilt, auf die eine zahlreiche Kommission älterer Künstler und Akademieprofessoren sich einig wird. Etwas ästhetisch Hervorragendes und deshalb Einseitiges wird das selten sein; etwas künstlerisch Revolutionäres, wie alles, was später historisch wird, ganz gewiß nie. Das Sujet, namentlich soweit es politisch und patriotisch ist, entscheidet oft den Ankauf, und auch die gesellschaftlichen Beziehungen sind von ganz bestimmtem Gewicht. Alle Grundsätze, die bei den älteren Sammlungen gelten, sind mithin in ihr Gegenteil verkehrt.
Wenn der Künstlerbund eine Galerie schafft, so wird er, schon seinem eigenen Charakter und Zweck gemäß, rein ästhetisch urteilen und sich prinzipiell auf hervorragende und persönliche oder historisch bedeutsame Werke zu beschränken suchen. Und er wird nach seiner auch sonst aristokratischen Verfassung die Ausführung und Verwaltung in die Hände weniger legen. Wahrscheinlich wird man die Verwaltung, wie die der Museen alter Kunst, der Sammelweise eines gut beratenen Privatmannes sehr nahe bringen. Diese Grundsätze klingen fast trivial, so selbstverständlich scheinen sie. Sie sind aber bei der Verwaltung einer öffentlichen Sammlung moderner Kunst wirklich neu.
Eine solche moderne Galerie würde denn auch fast nichts gemein haben mit den jetzt als Museen moderner Kunst geltenden Instituten. Sie würde wie die Camondo-Sammlung in Paris die Ruhe, die Vornehmheit und das erhöhte Leben mit den Galerien alter Kunst teilen. Sie würde durch die großen Traditionsentwicklungen, die das 19. Jahrhundert ebenso wie alle frühere Kunst durchzogen haben, organisch und lebendig werden und durch die großen Meister, die das 19. Jahrhundert zahlreicher gehabt hat als irgend ein früheres außer dem 15. und 17., fesseln und erheben, statt zu langweilen und ermüden.
Vor allem aber würde sie das Bild der gegenwärtigen gärenden, jeden Tag neu nachwachsenden Entwicklung so festhalten, wie noch nie vier Wände ein Stück Leben festgehalten haben. Die jungen fruchtbaren Talente, die es in Deutschland, Frankreich und auch in England gibt, können in ihren besten Werken billig gekauft werden. Hier vereinigt und aneinandergereiht, würden sie mit den älteren zusammen die Brücke sein von unserer fieberhaften, weit verzweigten Entwicklung zur Tradition des 19. und der der früheren Jahrhunderte.
Ein solches Museum wäre für eine noch jüngere, lernende Künstlergeneration von kaum zu überschätzendem Wert.
Denn die wertvolle, die eigenartige Künstlernatur bedarf der Tradition. Sie bedarf ihrer, um sich und ihre Eigenart auszudrücken. Je mehr und je klarere Zeichen und Hieroglyphen sie zum Gebrauch vorfindet, um so voller, kühner, widerstandsloser kann sie sich offenbaren.
Und zwar bedarf sie der ganzen, unverfälschten Tradition. Sie kann sich nicht wie das unpersönliche Malbedürfnis des Durchschnittstalents mit akademischen Rezepten zufrieden geben. Sie muß die Künstler in ihren Werken selbst ausfragen. Gerade die Feinheit und Einzigkeit ihrer Ausdrucksbedürfnisse macht ihr das unnütz, was irgend ein anderer im Groben für Durchschnittsschüler von den Werken großer Künstler abgezogen hat.
Deshalb haben alle großen Neuerer ältere Künstler mit Leidenschaft studiert, von Lionardo und Velazquez bis auf Runge, Constable, Delacroix und Manet. Es gibt nichts Durchdringenderes als die Kunstnotizen von Delacroix und Constable oder die Kopien von Degas nach Poussin. Cézanne, wohl der entschiedenste Neuerer, den Frankreich im 19. Jahrhundert gehabt hat, läßt in Paris keinen Tag vergehen, ohne im Louvre ein oder zwei Stunden nach Signorelli oder Delacroix zu kopieren.
Daher würde ein solches Museum, das die Verbindung zwischen der modernen Kunst und der alten klar verfolgen ließe, einem Bedürfnis der jungen Ausnahmetalente entgegenkommen.
Es wäre der richtige Mittelpunkt für eine Ausbildung, wie gerade sie sie brauchen. Namentlich, wenn mit Kursen, die an die technischen Eigenschaften der alten Kunst heranführten, Vorlesungen verbunden würden, die die Wissenschaften der Farben- und Formenlehre nach Helmholtz, Rood, Hildebrand zugänglich machten.
So schließt sich an den Museumsplan organisch die Möglichkeit einer neuen Art von Lehrwerkstätten an, einer deutschen, den modernen Verhältnissen angepaßten Ecole de Rome.
Der Grundsatz, dem der Künstlerbund entstammt: die Eigenart in der Kunst zu schützen und zu fordern, und zwar mit Macht, aber keinen andern Einfluß auf die Kunst zu suchen oder dulden, dieser Gegensatz entspricht eben dem Wesen der Kunst. Er ist lebendig und erzeugt deshalb immer neue Erscheinungen.
So wird denn dieses Prinzip auch im Staatsleben zur Geltung gebracht werden müssen.
Denn der moderne Staat befaßt sich mit Kunst. Er hat Galerien, macht Ausstellungen, gibt Aufträge, baut, belohnt. Und es handelt sich hier nicht, wie Politiker nur zu leicht meinen, um »kleine« Fragen, die den Gang der »großen« Politik nicht stören sollten. Sondern hier sind in Wirklichkeit die Dinge, um derentwillen alle Politik überhaupt da ist. Im letzten Grund erfüllt Politik nämlich immer nur in verschiedenen Formen eine Aufgabe: einem Volke, d. h. den idealen, intellektuellen oder künstlerischen Gaben eines Volkes, die höchste, mannigfaltigste und weiteste Entfaltung zu bahnen und zu sichern. Dazu sind Parlamente, Panzerschiffe, Handelskammern da. Selbst die »hohe« Politik ist nur Mittel zu diesem Zweck. Die Denker, Dichter, Künstler stehen im Mittelpunkt und alle anderen umso zentraler, je näher ihr Wirken diese lebendigen Geister berührt, die das Ewige ihres Volkes sind.
Deshalb trägt jeder die schwerste Verantwortung, wo er in Dingen des Geistes mitbeschließt. Und da der Staat die Kunst in seinen Bereich zieht, so muß man verlangen, daß die Kunst auch in der Politik nach ihrer richtigen Bedeutung geschätzt und nach dem richtigen Prinzip, dem der Freiheit, behandelt werde.
Utopisch wie das heute scheinen mag, so glaube ich doch, daß, wenn der Wert und die Grundbedingungen einer reichen Kunstentfaltung klar erkannt sein werden, ein Geschlecht von Kulturpolitikern entstehen wird, die nicht wie heute in Preußen die Kunst staatlich regeln wollen, sondern versuchen werden, die Macht des Staates zu benutzen, um die Eigenart in der Kunst vor Bedrückung zu schützen und um dem Talent Gelegenheiten zu eröffnen, frei nach seinem Gewissen zu schaffen. – Ich glaube das, weil solches Wirken im Sinne des Gebots wäre, das im modernen Bewußtsein immer deutlicher tönt und immer mehr zum Rückgrat des ethischen Wollens wird, des Kundrygebots, das auch zugleich im Zarathustragebot enthalten ist: daß jeder immer dem Höherbegnadeten dienen soll.
Ein vorbildlicher Typus dieser Art war der große französische Ministerialdirektor Chennevières, der der wütendsten Opposition zum trotz Delacroix seine epochemachenden Monumentalaufträge verschaffte und später die Wände des Pantheon nacheinander an Millet und Puvis de Chavannes vergab.
Für Deutschland ist es von guter Vorbedeutung, daß eines von seinen großen Geschlechtern, die Wettiner, seit Jahrhunderten immer wieder Kulturpolitiker dieser freiheitlichen Art hervorbringt. Jedesmal, wenn die deutsche Kultur sich neuen Zielen zuwandte, sind die neuen, eigenartigen Geister vom Haus Wettin in Thüringen gefördert und geschützt worden. Luther und Cranach, Herder und Goethe, Liszt und Wagner waren Moderne für ihre Zeit und wurden als solche in Weimar aufgenommen. Denn hier gilt schon lange die Verteidigung und Begünstigung der Eigenart ohne Einmischung in ihre Betätigungen als Staatsgrundsatz. Dem verdankt Weimar seine lange Vorherrschaft in der deutschen Kultur; ein glänzender Beleg für die Fruchtbarkeit dieses Prinzips im Staatsleben. Und der junge Fürst, der jetzt regiert, hat bewiesen, daß er die stolzen Traditionen seines Hauses fortzuführen fest entschlossen ist.
So bedeutet für den Künstlerbund seine Heimat Weimar nicht bloß einen Rückhalt, sondern zugleich das glänzendste Vorbild in deutschen Landen derjenigen Art der Kunstförderung, für die diese neue, starke Vereinigung gegründet ist.