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Klingers Beethoven

(1902)

Die Kunst, die nur Kunst sucht, – l'Art pour l'Art, – soll, wie es scheint, bei Klingers Beethoven nicht ihre Rechnung finden. So hört man wenigstens von der Berliner Artistenschaft. Sie sieht in ihm ein unverschmolzenes Konglomerat von Philosophie und Formfragmenten, nicht eine edle Legierung von Material und Weltanschauung.

Diese Sachverständigen heften den Blick auf die Art, wie Klinger hier konzipiert hat. Sie verurteilen das Resultat, weil der Ausgangspunkt ihnen mißfällt. Sie halten Klinger Rodins vor. Es fragt sich aber, ob nicht gerade sie Rodin und den Grundsatz ›l'Art pour l'Art‹ verkennen, indem sie die Konzeption zum Maßstab für ihr Urteil nehmen, nicht die Ausführung.

Der Unterschied von Rodin in der Art zu konzipieren ist ja augenscheinlich. Rodin konzipiert sinnlich. Klingers Konzeption beim Beethoven war gedanklich.

Rodin sieht einen Marmorblock, erschaut in ihm eine Form, die ihn reizt, arbeitet diese für sich heraus, beginnt sie zu gliedern und verfeinern. Dann ergeben sich Ähnlichkeiten. Gedankenverbindungen tauchen auf. Einzelne dieser verdichten sich und werden vom Künstler als Hilfen benutzt beim Weiterverfeinern der packenden Form. Ein ähnlicher Gegenstand in der Natur entscheidet z. B., welche von zwei gleich reizvollen Weiterbildungen Rodin verfolgt. Die Schwesterform in der Natur zeigt ihm dann Feinheiten, die er allein nicht ersonnen hätte. Und die Verbindung, in der die Form als wirkliches Ding mit der Welt und seiner Weltanschauung steht, betont ihre Einzelheiten in einer besonderen, geistigen Weise und gibt dadurch dem Künstler neue Formenbeziehungen und Möglichkeiten. So ergießen sich in das Werk die Wirklichkeit und Rodins Weltanschauung. Beide aber sind doch für ihn beim Schaffen nichts als Hilfen. Sein wirkliches Ziel bleibt bis zuletzt Verfeinerung und Bereicherung einer bloßen Form, eines Ornaments sozusagen, das in dem Marmor enthalten war.

Diese Art zu konzipieren sichert fast automatisch die Einheit des Werks und den plastischen Wert seiner Details, da das Grundornament jedes Detail erzeugt und beherrscht, und jedes Detail nur aus plastischen Gründen hinzugefügt ist.« Beiläufig ist es die griechische Art, Plastik zu schaffen; nur daß in Griechenland viele Künstler nacheinander das Werk vollendeten. Denn der Typus, das typische Götterbild oder Weihgeschenk, ist auch eine Art von Ornament, in das die aufeinanderfolgenden Generationen mit Hilfe der Wirklichkeit im Licht ihrer Weltanschauung immer feinere, reichere Formen hineinkomponieren. Daher wahrscheinlich die Wahlverwandtschaft zwischen Rodins Kunst und der griechischen.

Klinger selbst pflegt so zu schaffen; gerade er fast allein unter Deutschen.

Aber zum Beethoven kam er anders: – Die Beethovenmaske erschütterte ihn. Gedanken reihten sich an sie an, Weltanschauungs-Aperçus. Diese verkörperten sich um die Maske. So entstand diese Konzeption.

Sie ist also eine Gedankenschöpfung. Die künstlerischen Elemente der Darstellung sind später gekommen. Der Unterschied von Rodin wird fühlbar, wenn man beachtet, daß sich beim Beethoven richtig von Darstellung sprechen läßt, während ein Rodinsches Werk von Anfang an nichts darstellt, sondern etwas ist, seinen Wert nicht in Beziehungen zu etwas anderem sucht, sondern in einer eigenen Kraft besitzt, im Reiz, den seine Form auf das Auge übt.

Die Entstehungsweise hat auch im fertigen Beethoven Spuren gelassen. Einzelheiten sind darin, die begrifflich geblieben sind, denen plastischer Wert und Bedeutung fehlen. So der Finger des Engels, der auf Beethoven hinzeigt. Dieser Finger verbindet nicht, wie durch seinen Sinn Begriff mit Begriff, so durch seine Form die Form des Engels mit der des Beethoven. Unter den Formen spricht er nicht mit. Er ist plastisch stumm, ein Gedankenstrich. – Andere Teile sind miteinander nicht für das Auge zu einer Einheit verbunden. So die Figuren des Bronzereliefs hinter dem Sessel. Um sie schlingt sich ein Gedankenband, kein sinnlicher Rhythmus, der sie verbände.

Aber im einzelnen reizen das Auge an diesen Figuren Formenkomplexe, Helligkeitsspiele, die nur aus den Sinnen geboren sein können. Der Torso der Venus, die schwellenden Weichen, die festen und feinen Muskeln der Arme sind wie ein lebendes Ornament. Und auf Hals und Brüsten spielen Licht und Schatten nur für das Auge im Erz ihr Spiel.

Häufig gilt dieser Helldunkelreiz an plastischen Werken für malerisch, für eigentlich nicht in die Plastik gehörig. Form und Linie sollen allein ihre Mittel sein, Licht und Schatten und auch die Farbe jenseits von ihren Grenzen liegen, als Eigengebiet der Malerei. Wirklich aber gehören Licht und Farbe ebenso ihr wie der Schwesterkunst. Auch einen plastischen Gegenstand vermag das Auge nicht wahrzunehmen, ohne Licht und Farbe zu sehen. Die Mittel aber einer Kunst sind die Empfindungen, welche ihr Material erweckt. Sie muß sogar alle Empfindungen, die es erregt, verarbeiten, ins Gleichgewicht setzen, mit Schönheit beschenken; sonst pflegen die nicht bedachten wie die böse Fee im Grimmschen Märchen den Zauber zu stören. Wie wesentlich Farbe und Licht zur Plastik gehören, beweist der größte Plastiker, Phidias, der gerade durch sie am stärksten gewirkt und geneuert hat.

In Beethoven ist die Kunst, Licht und Farbe plastisch zu meistern, wiedererweckt. Zum ersten Male wirken sie in einem deutschen großen Bildwerk für sich bedeutend und mit den anderen plastischen Reizen, Linie und Form, organisch zusammen. Bei der Ausführung seiner Konzeption ist Klinger zur reinen Kunst gelangt.

Die Farben entwickelt er aus einem Farben gegenpaar; er verknüpft, wie ein Musiker Grundton und Quinte, Gelb und Violett, die Farbe des Lichts und die der lichtlosen Himmelstiefe. Und zwischen diese läßt er leise, morgenrotähnlich, Rosa tönen. Die dunkle Farbe greift er im Purpurschwarz des Adlergefieders, im veilchenfarbenen Basisbasalt, im tiefen Blau des Mosaiks, die Komplementäre im gegnerischen, verschwisterten Gelb. Wie eine Melodie im Diskant reiht sich das Gelb in Intervalle, vom mächtigen Orgelton der Bronze zum safranen Onyx und schmetternden Gold und hebt sich über das Elfenbein der Engelsköpfe zum lichten Weiß des Beethovenkörpers. Der Gegensatz der Gegenfarben macht jeden Ton hell vibrieren. Und die Qualität der Tonintervalle, ein rein artistischer Wert, bildet aus diesen Klängen Akkorde.

Diese Farbenbeziehungen schließen dann die plastischen Massen zusammen; – denn jeder Akkord verbindet die Formen, die er umfaßt; – und lenken den Blick auf den Beethoven, weil das Farbenmotiv, das ihnen zugrunde liegt, ein Paar von Gegenfarben ist. Denn Gegenfarben drängen nach Weiß, das sie versöhnt. Hier aber ist das Weiß der Marmor des Beethovenkörpers.

Die Farben wirken in diese Richtung parallel zu den Linien und Formen. Auch diese leiten von überall her zum Beethoven hin und noch genauer zur mächtigen Faust. Auf diese konvergieren sie alle, die offenen, wartenden Kurven des Sessels, die aufwärts steigenden Falten des Mantels, die kühn herabgezogenen Winkel der Schultern und Arme, der schwere Fall von Brustbein und Brüsten. Und die plastische Form dieser Hand ist der Rolle gewachsen, die sie erfüllt. Wie der Vierschlag in der Eroica ballen sich übereinander ihre vier Finger, der mächtigste oben; ein solcher Rhythmus, daß er das ganze Werk beherrscht. Farben, Formen, Linien rafft er zusammen. Das Werk besitzt eine sinnlich ergreifende Einheit; – hier!

Mit dieser Konzeption verschlingt sich als zweite der Rhythmus des Lichts. Das immaterielle Spiel des Lichts erhebt sich aus dem Singen der Farbe, als ein noch subtileres, weil wechselndes Leben. Sein Rhythmus ist der Farbe und Form zwar angepaßt wie Melodie einer Baßbegleitung; seine Dominante aber ist der Kopf. Elementare Lichteffekte, der Glanz des polierten Adlers, die Trompetenstöße der goldenen Lehnen weisen hinauf, wo dieselbe Kraft des Lichts milder, feiner zerteilt, geistiger das Auge anlockt. Die Beethovenmaske ist umgebildet in ein Instrument, das wunderbar zart auf Licht und Schatten spielt. Klinger hat durch winzige Verschiebungen all' ihre Flächen gegeneinander so geneigt, daß die Lichtstärke von der einen zur anderen rhythmisch wechselt. Dies ist das Geheimnis der plastischen Lichtkunst, das Klinger nach Rodin wieder entdeckt. Die kleinsten Formen singen im Takt. Deshalb ist die Bewegung des Ganzen so deutlich und packend; man fühlt, wie es lebt. Der Takt aber, der, so verstärkt, von den großen Formen geschlagen wird, ist nichts als das verdeutlichte Verhältnis zwischen den natürlichen Formen, das Verhältnis, aus dem der Charakter spricht. Daher die Ausdruckskraft dieser Plastik. Was in der Beethovenmaske wie verworren schlummert, holt sie hervor. Die Helldunkeltöne gleiten an diesem Haupt dahin, wie Wolkenschatten und Sonnenglanz an einem Bergesgipfel, zwischen der blassen, dünnen Kurve der Lippen, dem dreigefurchten Wangenpaar, den geheimnisvollen Schatten, die das Auge verhüllen, und dem hohen, hellen Dom der Stirn. Die wallenden Haare darüber leuchten wie ein weißer Glorienschein. Und dieses Antlitz ist weder jung noch alt; es ist wie Michelangelos Gestalten jung und alt, Α und Ω, von gestern und morgen, ein Felsengestein, das durch Ewigkeiten verwittert ist und das zugleich mit dem Glanze der Jugend zu strahlen scheint.

Diese Suggestion entsteht aber also aus einer raffinierten Vermählung von Licht und Form; wie die des gewaltigen Wollens aus dem rhythmischen Ansturm der Farben und Formen gegen die Faust; wie die des Streits von Licht und Dunkel, Dur und Moll, aus der Qualität und dem Leben der Farbenakkorde.

Gewisse Formen, Farben, Linien erwecken Gefühle, die eng mit geistigen Dingen verknüpft sind. So ziehen denn die Gefühle diese geistigen Dinge nach sich heran; und um so mehr, je voller, reiner, klarer gefühlt wird. Die Kunst als Kunst besteht aber gerade in dem Erwecken und Meistern von klaren Gefühlen. Wo ihr der Wurf gelingt, wird sie deshalb notwendig symbolisch. Die Musik ist es aus keinem anderen Grunde immer, weil sie die sicheren Regeln sinnlicher Wirkung kennt. Rodins Werke werden es häufig.

Aber aus demselben Grunde kann umgekehrt ein Künstler, der auf geistige Bedeutungen ausgeht, zu der reinen Kunst geführt werden, wenn er entdeckt, daß die geistigen Dinge am mächtigsten von klaren Gefühlen herangezogen werden. Diesen Weg ist Klinger gegangen. So ist auch er zur reinen Kunst gekommen. Mit Rodin, gerade mit Rodin begegnet er sich. Und auch ihm ist im Beethoven ein Symbol gelungen, d.h. ein Werk, das durch die Vollendung seiner sinnlichen Wirkungen Weltanschauungs-Stimmungen hervorruft.

Die Fehler, die im Beethoven aus der Entstehung geblieben sind, greifen nicht ein in diesen Sinnenzauber. Sie verschwinden gegen den Wert eines Werks, das mit anderen Werken dieser Zeit, wenige ausgenommen, nicht einmal vergleichbar ist. Die Massen, die im Frühjahr dicht gedrängt durch Klingers Atelier zogen, die Künstler, die ihm in Wien huldigten, die schlichten Beschauer, die bei Keller und Reiner durch ihre stumme Ehrfurcht den Ausstellungssaal zu einem Tempel zu machen schienen, haben recht gehabt. Hier ist etwas zur Welt gekommen, das Ehrfurcht gebieten sollte. Hier ist ein Kunstwerk und eine Kunst geboren.


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