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Achtes Capitel.
Die Gräfin erscheint vor Gericht

Die gegen die Gräfin erhobene Anklage hatte, als sie bekannt wurde, großes Aufsehen erregt. Die Plankenburgs gehörten zu den ältesten Familien des Landes und waren seit Jahrhunderten in der Provinz ansässig. Viele kannten den stolzen Charakter der alten Dame, und ihr herzloses Benehmen gegen ihre Tochter Helene war noch nicht vergessen worden. Dabei hatte ihr Stiefsohn, unter der Mitwirkung seines Vertrauten, des Advokaten, bei Zeiten Sorge getragen, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, indem Strubs die Sache so darstellte, als habe der Freiherr erst nach einem langen Seelenkampfe und gereizt durch das heimtückische Verfahren seiner Stiefmutter gegen ihn selbst es über sich gewinnen können, als Rächer seines verstorbenen Vaters mit dieser schweren Beschuldigung hervorzutreten.

So standen also nur Wenige auf der Seite der Angeklagten, welche hofften, daß es ihr gelingen würde ihre Unschuld darzuthun; die große Mehrzahl des Publikums war dagegen schon im Voraus davon überzeugt, daß sie das ihr zur Last gelegte Verbrechen verübt habe und als Beweis hierfür galt auch ihr plötzliches Verschwinden, denn obgleich es bekannt geworden war, daß sie nur gegen die Hinterlegung einer sehr ansehnlichen Caution die Erlaubniß zu einer längeren Reise erhalten hatte, so zweifelte doch Niemand daran, daß sie dieselbe schließlich im Stich lassen und sich ihrer voraussichtlichen Verurtheilung durch die Flucht entziehen würde.

Unter diesen Umständen drängte sich am Tage der Gerichtsverhandlungen Alles nach dem Assisensaale, doch hatte der Präsident in Voraussicht dieses Umstandes den Eintritt nur unter Vorzeigung einer von ihm ausgestellten Karte bewilligt, und so war wenigstens ein Auditorium versammelt, welches fast ausschließlich den höheren Ständen angehörte. Aus einem Gefühl von Scham, vielleicht auch aus Heuchelei, um sich das Ansehen eines Mannes zu geben, der tief von dem Unglück erschüttert ist, welches seine Familie betroffen hatte, war der Freiherr von einem Orte fern geblieben, wo seine Stiefmutter jetzt abgeurtheilt werden sollte, dagegen hatte er Strubs mit seiner Vertretung beauftragt und dieser hatte unter einem selbstzufriedenen Lächeln seinen Platz eingenommen, und ließ von dort aus seine boshaften triumphirenden Blicke über den alten Bruns und über die Haushälterin Therese streifen, welche Beide von ihrer Gebieterin als Entlastungszeugen vorgeladen worden waren.

Endlich öffnete sich die Thüre und in Begleitung eines Rechtsbeistandes trat die Gräfin ein. Sie war vollständig in schwarz gekleidet, aber in ihrer Haltung zeigte sie eine Ruhe, welche imponirte, und nicht ohne Stolz ließ sie ihre Blicke über die zahlreiche, sie neugierig betrachtende Versammlung streifen. Aus Achtung für ihren Rang hatte der Präsident des Gerichts ihr einen besonderen Sessel angeboten, aber dankend lehnte sie dies ab und nahm auf der Anklagebank Platz, welches ein beifälliges Gemurmel der Zuhörer hervorrief.

Nun begann der Gerichtsschreiber die Anklage zu verlesen, welche auf Vergiftung des Freiherrn von Bartenstein mittelst Arsenik durch dessen Gattin die Angeklagte lautete. Ein lederner Beutel, in welchem das Gift aufbewahrt war, welches man bei der Obduction in den Eingeweiden des Verstorbenen noch vorgefunden, stand auf einem Tisch, dicht vor den Richtern.

Auf die Frage des Präsidenten, ob sie sich schuldig bekenne, antwortete die Gräfin mit einem festen, entschiedenen »Nein!«

Nun erhob sich Strubs und sprach von seinem Platze aus Folgendes:

›Es sei für ihn schmerzlich und betrübend, in einer Angelegenheit vor Gericht auftreten zu müssen, welche eine hochachtbare Familie berühre, mit der er eng befreundet sei. Seine Pflicht als Vertreter des abwesenden Herrn von Bartenstein gebiete ihm aber, jede persönliche Rücksicht bei Seite zu setzen und es sei eine Gewissenssache für ihn, mit dazu beizutragen, ein begangenes Verbrechen, welches jahrelang der Welt verborgen geblieben, an's Licht zu ziehen. Es stehe fest, daß die Gräfin schon seit den ersten Jahren ihrer Ehe mit dem Dahingeschiedenen im großen Unfrieden gelebt habe, daß es zeitweise zu sehr heftigen Auftritten zwischen beiden Ehegatten gekommen sei, ja, daß die Angeklagte sogar verschiedene Male gefährliche Drohungen ausgestoßen habe. Der vorgefundene Arsenik stelle den Thatbestand des Verbrechens fest, was aber die Sache noch verdächtiger mache, sei der Umstand, daß die Gräfin, ungeachtet sich das Gerücht von dem unnatürlichen Tode des Barons unmittelbar nach dessen Ableben allgemein im Schlosse verbreitete, trotzdem davon keine Anzeige gemacht, sondern sogar die Beerdigung möglichst beschleunigt habe.‹

Abermals richtete der Präsident an die alte Dame die Frage, was von ihrer Seite hierauf zu erwidern sei.

»Mein Vertheidiger wird statt meiner antworten,« erwiderte diese.

Nun erhob sich der Rechtsbeistand der Gräfin, ein allgemein geachteter Advokat, und sagte:

›Er bedauere überhaupt, daß auf bloße Vermuthungen hin, denen keine haltbaren Beweise zum Grunde lägen, eine so schwere Beschuldigung gegen eine Dame erhoben worden wäre, die eine hohe Stellung in der Gesellschaft einnehme. Es sei klar, daß hier ein im Finstern geschmiedetes Complot gegen dieselbe zum Grunde liege, als dessen Urheber er den Stiefsohn der Angeklagten und leider auch dessen Vertreter, welcher eben das Wort gehabt habe, bezeichnen müsse.‹

Alles blickte nach Strubs und dieser erbleichte unmerklich. Dennoch erhob er sich und sagte, er bitte diese Aeußerung zu Protokoll zu nehmen und behalte sich vor, später eine besondere Klage gegen seinen Collegen wegen Ehrenkränkung anhängig zu machen.

Ein mitleidiges Lächeln und ein wegwerfendes Achselzucken seines Gegners war dessen einzige Antwort.

Nun nahm das Verhör seinen Fortgang.

»In welchem Verhältniß haben Sie zu Ihrem Gemahl gelebt?« fragte der Präsident.

»Ich kann es nicht leugnen, daß unsere Ehe eine sehr unglückliche war. Ich will mich dabei nicht von aller Schuld freisprechen, aber mein Mann handelte sehr rücksichtslos und jähzornig gegen mich; in der letzten Zeit gaben sich bei ihm auch Anfälle vom Hypochondrie und Lebensüberdruß kund.«

»Können Sie dies beweisen?«

»Hier mein Hausmeister Bruns und meine ehemalige Zofe Therese werden es bezeugen.«

»Und wie steht es mit den gefährlichen Drohungen, die Sie zu verschiedenen Malen gegen Ihren Gemahl ausgestoßen haben sollen?«

»Ich glaube, daß dieselben nur in der Phantasie des Herrn Strubs existiren,« bemerkte die Gräfin ruhig.

»Aber weshalb machten Sie nicht davon Anzeige, als sich das Gerücht von dem unnatürlichen Tode Ihres Gatten unter der Dienerschaft verbreitete?« fragte der Präsident weiter.

»Der Wunsch, mich und meine Familie nicht zu compromittiren, hielt mich davon ab.«

»Dies sind Alles keine Entlastungsbeweise,« nahm der Staatsanwalt das Wort. »Die Thatsache steht fest, daß Ihr Gemahl, als er Sie nach einer abermaligen sehr heftigen Scene verließ, eine Stunde später eine Leiche war. Vermögen Sie also nicht, sich in anderer Weise von der Ihnen zur Last gelegten Schuld zu reinigen, so muß ich die Anklage aufrecht halten.«

»Auch dies wird uns gelingen,« bemerkte der Anwalt der Gräfin mit ruhiger Zuversicht, »hier sind zwei unbescholtene Zeugen, der Hausmeister Bruns und die ehemalige Zofe meiner Clientin; ich bitte beide zu vernehmen«

Es machte auf die Zuhörer einen sehr günstigen Eindruck, als der alte Bruns, einfach und schlicht hervortrat, sein ergrautes Haupt neigte und sich anschickte den Eid zu leisten.

»Wie lange stehen Sie in den Diensten der Gräfin?« fragte der Präsident.

»Bereits dreißig Jahre.«

»Und Sie, Mademoiselle?«

»Zwanzig Jahre.«

»Welches Zeugniß können Sie in der Angelegenheit, die hier verhandelt wird, ablegen?«

Der alte Mann legte seine rechte Hand auf die Brust, hob den Blick gen Himmel und sagte feierlich:

»So wahr mir Gott helfe, die Gräfin ist schuldlos!«

»Ich bestätige dies,« fiel Therese ein.

Abermals entstand ein lebhaftes Gemurmel unter den Anwesenden und Strubs zuckte überrascht zusammen.

»Erzählen Sie,« sagte der Vorsitzende, »und bedenken Sie wohl, was Sie sprechen.«

»Zunächst muß ich bestätigen, daß der Freiherr außerordentlich jähzornig war und daß sich in der letzten Zeit seines Lebens ein Zustand tiefer Melancholie dazu gesellte, welcher sich häufig dadurch kundgab, daß der Baron Lebensüberdruß an den Tag legte. Ja, er that noch mehr, er nöthigte mich sogar, ihm Gift auszuliefern, das ich in Verwahrung hatte.«

»Womit vermögen Sie eine solche, für den Gang der Verhandlung allerdings wichtige Angabe darzuthun?«

»Hier durch diese Zeugin, durch die ehemalige Jungfer der Gräfin.«

»Erzählen Sie, Mademoiselle.«

»Ich befand mich eines Tages,« begann diese, »in dem Zimmer des Hausmeisters, als der Verstorbene plötzlich unter allen Zeichen der Aufregung eintrat, denn es hatte eben wieder eine heftige eheliche Scene stattgefunden. Er forderte in ungestümer Weise von Bruns eine Quantität Arsenik, welche zu landwirthschaftlichen Zwecken in einem Schranke aufbewahrt war und verließ das Gemach mit der Aeußerung, er sei seines Lebens müde und eines Tages werde man im Schlosse Etwas erleben. Zwei Wochen später geschah das Unglück.«

»Wußte die Gräfin, daß sich das Gift in den Händen ihres Gemahls befand?«

»Ja, ich theilte ihr das Vorgefallene mit und sie befahl mir, Bruns zu sagen, daß er dasselbe aus dem Zimmer des Herrn bei Seite schaffen möge, aber es war leider nicht mehr zu finden.«

»Das sind noch alles keine Beweise,« bemerkte Strubs, sich erhebend, zu den Richtern gewendet, »man kann sich Gift geben lassen, man kann eine Drohung ausstoßen, ohne sich deshalb schon das Leben zu nehmen. Und wer bürgt denn dafür,« fuhr er mit seiner gewöhnlichen Frechheit fort, »daß dieser Mann nicht im Einklang mit der Angeklagten seine Aussagen macht!«

Langsam wendete der Hausmeister sein weißes Haupt dem Advokaten zu. »Mein Leben ist bisher ein fleckenloses gewesen,« sagte er ruhig, »gebe Gott, daß gewisse andere Leute ein Gleiches von sich sagen können.«

Ein Gemurmel des Beifalles durchlief den Saal, während der Vorsitzende des Gerichtes an den Zeugen eine neue Frage richtete.

»Können Sie uns denn nicht noch andere Mittheilungen machen, die mehr Licht in die Verhandlung bringen?«

»O ja, Herr Präsident. Als der Freiherr bereits die ersten Wirkungen des Giftes empfand, ließ er mich rufen. Er ist offenbar mit Rachegedanken gegen seine Gemahlin aus dieser Welt geschieden. ›Bruns,‹ sagte er, ›es ist mit mir vorbei, ich habe mir selbst das Leben genommen, dafür aber, daß meine Frau mich so gequält hat, soll der Verdacht der Vergiftung auf ihr ruhen. Dies mag meine Rache sein. Sollte aber einst die Art meines Todes ruchbar werden und die Ehre des Namens, welchen meine Gattin trägt, in Gefahr kommen, so tritt vor und lege Zeugniß für sie ab.‹«

»Der Erzählung mangelt es keineswegs an dramatischer Anlage,« bemerkte Strubs ironisch, »allein der Baron ist todt und er allein hätte vermocht, die Wahrheit des eben Gehörten zu bestätigen.«

»Er händigte mir aber auch einen Brief ein, in welchem ein Geständniß enthalten war,« rief der Hausmeister.

Strubs machte ein Gesicht, als stehe er eben im Begriff, zu einem Schlage auszuholen, um Jemand tödtlich niederzuschmettern. Seine Augen leuchteten boshaft, als er an den Vorsitzenden die Bitte richtete, sich von Bruns diesen Brief zeigen zu lassen.

»Ich vermag dies leider nicht,« bemerkte der alte Mann mit gesenktem Kopfe, »denn derselbe ist mir gestohlen worden«

»Hiermit ist, wie ich denke, die Unglaubwürdigkeit des Zeugen zur Genüge bewiesen.,« rief der Advokat. »Der Brief hat nie existirt und der angebliche Diebstahl sollte nur dazu dienen, den Gerichtshof irre zu führen.«

»Ich schwöre …« rief Bruns.

»Nehmt Euch in Acht, daß ich nicht einen Antrag stelle, Euch wegen Ableistung eines falschen Eides in Untersuchung zu ziehen,« drohte Strubs.

»Halt!« rief plötzlich aus dem Hintergrunde eine Stimme, und zugleich trat zum höchsten Erstaunen des Rechtsanwaltes dessen Schreiber Wabbs an die Schranken.

»Haben Sie etwas zu sagen?« fragte der Präsident.

»Allerdings, und zwar etwas sehr Wichtiges. Der Brief, von welchem hier die Rede ist, existirt wirklich.«

Strubs erbleichte, er ahnte nichts Gutes.

»Wer besitzt den Brief?« fragte der Vorsitzende weiter.

»Hier ist er. Mein Principal ließ ihn in einer finsteren Nacht durch einen Menschen stehlen, welcher schon bei anderer Gelegenheit seine Kunstfertigkeit im Einsteigen dargethan hat. Ich sah, hinter einer Hecke verborgen, wie der Dieb durch's Fenster stieg und den Schrank erbrach, wo Herr Bruns das Schreiben verborgen hatte.«

Der Waldhüter, welchen die Neugier angetrieben, der Gerichtsverhandlung als Zuhörer ebenfalls beizuwohnen, machte plötzlich ein sehr bedenkliches Gesicht und war im nächsten Augenblick unbemerkt aus dem Saale verschwunden.

»Ich beantrage die sofortige Verlesung des Briefes, und die Prüfung der Handschrift,« sagte der Vertheidiger der Gräfin.

»Dagegen protestire ich im Namen meines Clienten,« rief Strubs, den Rest seiner Frechheit zusammenraffend.

Der Vorsitzende des Gerichtes achtete darauf gar nicht. Er ertheilte den Befehl zur Verlesung des wichtigen Documents und es ergab sich, daß dessen Inhalt mit den Aussagen des alten Dieners genau übereinstimmte.

Auch die Echtheit der Handschrift wurde durch einige anwesende Herren, die mit dem verstorbenen Baron im sehr engen Verkehr gestanden hatten, bestätigt.

Natürlich konnte das nun folgende Resumé des Präsidenten nur zum Vortheil der Angeklagten ausfallen. Die Geschwornen zogen sich zurück und schon nach kurzer Berathung betraten sie wieder den Saal und sprachen das Nichtschuldig in allen Punkten gegen die Gräfin aus.

»Ich gratulire Ihnen,« sagte der Präsident mit einer höflichen Verbeugung gegen dieselbe, »Sie sind frei und können sich hinbegeben,wohin Sie wollen.«

Jetzt erhob sich aber nochmals der Vertheidiger derselben. »Obgleich es mir leid thut, gegen einen Mann aufzutreten, den ich bisher gezwungen war, College zu nennen,« begann er, »so darf mich doch meine Pflicht davon nicht abhalten, gegen denselben Anklage zu erheben, und zwar erstens, weil er einem Einbrecher zur Flucht behilflich gewesen ist, zweitens weil er den Versuch gemacht hat, ein Kind zu rauben, und drittens, weil er den eben verlesenen Brief mittelst Einsteigen durch's Fenster hat stehlen lassen. Aus diesen Gründen trage ich darauf an, den Beschuldigten, Advokat Strubs, zur Untersuchung zu ziehen und denselben der größeren Sicherheit wegen in sofortige Haft zu nehmen.«

Strubs kam diese Anklage so plötzlich, daß er für einen Augenblick die kalte Ueberlegung, welche ihn sonst nie verließ, verlor, und mit einem Grinsen umherblickte, von welchem es zweifelhaft war, ob sich dahinter Furcht oder Bosheit verbarg. Bald aber faßte er sich wieder und wohl begreifend, daß jetzt mehr wie sonst Entschlossenheit nöthig sei, rief er mit seiner gewöhnlichen Frechheit zu dem Anwalt der Gräfin gewendet:

»Ich weiß nicht, ob ich über Ihren albernen Antrag lachen oder wegen der mir zugefügten Beleidigung eine Klage gegen Sie einreichen soll. Für jetzt sind meine Geschäfte beendet und ich finde keinen Grund, noch länger hier zu verweilen.«

Er wendete sich um und wollte den Saal verlassen, aber schon trat ihm ein Gerichtsbote entgegen und schnitt ihm den Rückzug ab.

»Im Namen des Gesetzes und auf Befehl des Präsidenten!« rief dieser mit einer Stimme, welche dem Sachwalter Unheil verkündend in die Ohren drang.

Jetzt erhob sich aber auch der Staatsanwalt und sagte:

»Es befindet sich genügendes Material in meinen Händen, um mich der beantragten Verhaftung anzuschließen.«

Strubs erkannte nun seine gefährliche Lage, aber seine Kaltblütigkeit verließ ihn auch jetzt noch nicht. Er wußte wohl, daß er den Kopf nicht mehr aus der Schlinge zu ziehen vermochte, aber er wollte dieselbe wenigstens so locker wie möglich um seinen Hals legen lassen. In Betracht dessen sagte er:

»Nun wohl, so möge geschehen, was der hohe Gerichtshof in dieser Sache bestimmt. Es wird aber doch jedenfalls genügen, wenn ich demselben eine Caution zu jeder beliebigen Höhe anbiete, um mit derselben für meine Person zu haften?«

»Dem muß ich mich entschieden widersetzen,« rief der Staatsanwalt, »ich habe hierzu meine triftigen Gründe.«

Die Richter zogen sich zurück und verkündeten nach einer Viertelstunde das Urtheil; es lautete dahin, daß Strubs sofort in Untersuchungshaft abzuführen sei.

Als der Gefangene an seinem Schreiber Wabbs vorüber ging, grinste ihn dieser boshaft an.

»Sie Elender!« stieß der Advokat heraus.

Wabbs lachte höhnisch. »Sie haben mich ja gelehrt, wie man den Leuten ein Bein stellt und dies stets als eine Tugend gepriesen Dürfen Sie sich nun beklagen?«

Ohnmächtig ballte Strubs die Faust, im nächsten Augenblick verschwand er mit seinem Begleiter unter der Menge.

 

Caspar Watt hatte das Hüteramt über die unglückliche Sabine auf einige Stunden der Taubstummen allein überlassen, und war nach der Stadt geeilt, um ebenfalls der Gerichtsverhandlung beizuwohnen. Als nun in der Anklage gegen Strubs gesagt wurde, daß dieser einem Einbrecher zur Flucht behilflich gewesen sei und den Versuch gemacht habe ein Kind zu rauben, wurde ihm doch bange und unbemerkt schlich er aus dem Gerichtssaal. Im höchsten Grade übel gelaunt, traf er wieder in dem Jagdschlosse ein und als die Taubstumme ihm dort entgegentrat, fragte er sie vermöge der Zeichensprache, welche er trefflich verstand, ob nichts vorgefallen sei.

Bald erfuhr er, daß die Gefangene sich wieder sehr unruhig gezeigt und sogar den Versuch gemacht habe, ihre Wärterin dadurch zu bewegen, ihr zur Flucht behilflich zu sein, daß sie ihr eine große Geldsumme als Belohnung in Aussicht stellte. Der erste Gedanke der Waldhüters war, in seiner jetzigen Lage dies Mittel für sich selbst zu benutzen, um seine Pläne auszuführen zu können. Bald verwarf er denselben jedoch als erfolglos.

»Sie besitzt nichts,« dachte er bei sich, »das weiß ich ganz bestimmt, und auf bloße Versprechungen lasse ich mich nicht ein. Ich kann ihr nicht folgen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, ihrer Rache, oder der Rache ihres Oheims zu verfallen. Ich muß daher einen anderen Weg einschlagen, um zum Ziele zu gelangen und – hole es der Teufel – ich befinde mich doch einmal zwischen Hängen und Würgen, es muß also etwas gewagt werden und erlange ich es nicht gutwillig, so geschieht es durch Gewalt!«

Inzwischen trat die Taubstumme herein und gab ihrem Genossen zu verstehen, daß es oben wieder einmal nicht recht richtig sei und daß die Gefangene wieder zu toben anfange.

»Ich schlage das Weib nieder!« knurrte Caspar, welcher sich eben in seiner übelsten Laune befand, »ich erwürge sie unter meinen Händen, denn sie ist an allem Unheil schuld und ihr habe ich es zu verdanken, wenn man mich schließlich doch noch in's Zuchthaus steckt.«

Er ergriff den schweren Schlüssel, polterte die Treppe hinauf und stand im nächsten Augenblick vor der Gefangenen. Diese bot in Wahrheit einen bejammernswerthen Anblick dar. Ihr Gesicht war eingefallen und trug die Spuren des Grames und geistiger Zerstörtheit, in ihren Augen lag eine gewisse Wildheit und doch wieder etwas Verglastes, ihre Kleider hingen unordentlich um den Körper und ihr langes Haar fiel verworren und zerzaust auf ihre Schultern herab.

»Was verführen Sie wieder für einen Lärm?« knurrte der Feldhüter, »ich habe es Ihnen oft genug anbefohlen, sich ruhig zu verhalten, und wenn Sie nicht folgen, so sollen Sie sehen, was geschieht,« fügte er drohend hinzu.

»Schafft mir das abscheuliche Weib aus den Augen,« rief Sabine, »es hat das Ansehen einer Hexe, es grinst mich wie ein Kobold an, es riecht nach dem genossenen Branntwein!«

»Na,« lachte Caspar roh, »was Ihnen gefällt und nicht gefällt, ist mir ganz gleich, und wenn Ihnen der Genuß des Branntweins nicht zusagt, so halten Sie sich die Nase zu.«

Eine solche dreiste Unverschämtheit war doch zu verletzend, als daß selbst die arme unglückliche Frau vermocht hätte, eine solche ruhig hinzunehmen. Ihr ganzer Stolz erwachte, sie vergaß, in welchen Händen sie sich befand und träumte sich für den Augenblick wieder als Schloßherrin von Bartenstein.

»Elender,« rief sie, und richtete sich stolz empor, »wer hat Dir den Muth gegeben, in so frecher Weise zu Deiner Herrin zu reden? Hinaus, Unverschämter! – aus meinen Augen, Schlingel, ich befehle es Dir!«

»Mir das?« brüllte Watt – »gegen mich solche Worte, unter dessen Gewalt Sie stehen? – Na warten Sie, ich werde Ihnen zeigen, wer hier Herr ist und wer das letzte Wort zu sprechen hat!« – Er stürzte sich auf sein unglückliches Opfer und Sabine flüchtete sich jetzt bleich und zitternd hinter einen Tisch.

»Hilfe,« schrie sie, »Hilfe gegen dieses Scheusal, welches mich zu morden gedungen ist!«

Caspar grinste boshaft und streckte seinen Arm nach der Gefangenen aus, um sich ihrer zu bemächtigen. Plötzlich ließ er denselben aber erschrocken sinken. Ein mächtiger Schlag war gegen die verschlossene Hausthür gethan worden und jetzt erfolgten noch mehrere solcher Schläge.

»Aufgemacht!« tönte es von unten – »aufgemacht, im Namen des Gesetzes!«

Der Waldhüter war an's Fenster getreten, sein scharfes Auge erkannte trotz der Dunkelheit mehrere Personen.

»Steht es so,« murmelte er, »dann ist es Zeit, daß ich mich unsichtbar mache! Wo zum Teufel haben sie das herausgewittert? Gilt es ihr oder mir?«

Mit drei Sätzen war er zum Zimmer hinaus, und durch eine Hinterthür schlüpfend, verschwand er, ohne angehalten zu werden, in dem anstoßenden Walde.

Inzwischen hatte auch Sabine den Lärm vernommen und eine Ahnung überkam sie, daß Rettung nahe sei. Hoch klopfte ihr Herz, erregt stürzte sie einige Schritte vorwärts, aber schließlich wankten doch ihre Kniee und zuletzt sank sie in die Kissen des Sophas und brach in ein lautes krampfhaftes Schluchzen aus.

Im nächsten Augenblick füllte sich das Gemach mit Männergestalten. Ein alter Herr, der Oheims der jungen Frau, nahte sich ihr, beugte sich zu ihr herab und der Ton der ihr so wohl bekannten Stimme schlug an ihr Ohr.

»Sabine, theure Nichte, beruhige Dich! Ich bin es, Dein Verwandter, fasse Muth, mein armes Kind, Deine Leiden sind beendet, von nun an stehst Du unter meinem Schutz!«

»Oheim, theurer Oheim!« stöhnte unsere Bekannte und sank laut weinend an die Brust des alten Herrn. »Ach, wenn Sie wüßten, was ich gelitten habe! … O, dieser Unmensch, welcher mir Alles verdankt und von dem ich als Lohn dafür in so schmachvoller Weise behandelt wurde!«

»Zunächst beruhige Dich. Auch Dein Mann wird für seine Schandthaten die ihm gebührende Strafe empfangen, ich werde Dein Rächer sein.«

Er führte die Erschöpfte nach dem Sopha und wendete sich nun an einen der anwesenden Herren, welcher bei dieser ergreifenden Scene bisher ein stummer Zuschauer geblieben war.

»Herr Doktor, glauben Sie, daß meine Verwandte die Reise bis nach der Stadt wird aushalten können?«

Der Arzt faßte nach Sabinens Pulse und blickte ihr prüfend in's Gesicht.

»Ich denke, es wird gehen« bemerkte er, »und hier, gnädige Frau, nehmen Sie diese Tropfen, sie werden Ihnen Erleichterung und Beruhigung gewähren.«

Er holte ein kleines Fläschchen hervor, goß den Inhalt desselben in. ein Glas Wasser und gab es der Baronin zu trinken. »Sie werden sich bald wieder erholen,« bemerkte er freundlich lächelnd, »Sie haben eine starke Natur, denn sonst hätten Sie Ihre Lage nicht zu ertragen vermocht.«

»Ich fühle auch, wie mein Herz bereits leichter schlägt und wie der fieberhafte Zustand, von dem ich beherrscht werde, sich allmälig vermindert,« erwiderte Frau von Bartenstein.

»Sie müssen sich erst nach und nach an Ihre neue Lage gewöhnen,« fuhr der Arzt fort, »aber in einer Stunde werden Sie sich so weit erholt haben, daß wir aufbrechen können.«

Wirklich war Sabine nach Verlauf dieser Zeit im Stande, den bereitgehaltenen bequemen Wagen zu besteigen, welchen ihr Oheim aus Fürsorge mitgebracht hatte. Während man die Taubstumme ins den Händen der Polizeibeamten zurückließ, rollte die Equipage der Stadt zu.

Noch einmal sank die Gerettete an die Brust ihres Verwandten und flüsterte:

»Ein Schauder überläuft mich, wenn ich daran denke, welche Qualen ich ausgestanden habe. Ich war wirklich dem Wahnsinn nahe und mich in einen solchen bejammernswerthen Zustand zu versetzen, dies lag ja offenbar in der Absicht meiner grausamen Peiniger, doch der Gedanke an mein Kind hielt mich aufrecht – das Bild meiner süßen kleinen Albertine umschwebt mich Tag und Nacht und die Hoffnung, dieselbe einst wieder an mein Herz zu drücken, hielt meine Kraft aufrecht.«

»Und diese Hoffnung hat Dich nicht betrogen,« bemerkte Herr Hayder, »auch dafür soll gesorgt werden, daß Dir Deine Tochter zurückgegeben wird.«

 

Mademoiselle Adolphine saß in ihrem Zimmer und brütete dumpf vor sich hin. Die Verhaftung Strubs hatte sie überrascht und sie fing an für sich selbst besorgt zu werden.

»Wer steht mir dafür,« murmelte sie, »daß man schließlich den Aufenthalt dieser Frau nicht auffindet, und sie befreit … Und was dann? Man wird einen Proceß gegen den Freiherrn anstrengen und dieser Feigling wäre im Stande, die Schuld auf mich zu schieben und mich in eine Criminal-Untersuchung zu verwickeln! Dazu habe ich indessen nicht die mindeste Lust und es wird daher Zeit, daß ich von hier verschwinde. Aber mit leeren Händen will ich nicht gehen und die Klugheit fordert es, daß ich so schnell wie möglich meine Angelegenheiten ordne. Das von dem Baron mir ausgesetzte Capital ist auf dessen Güter eingetragen, aber wer haftet mir dafür, daß, wenn er verurtheilt wird und seine Gattin wieder die Dispositionsfähigkeit über ihr Vermögen erhält, man nicht die Auszahlung des Geldes an mich verweigert und mir schließlich das leere Nachsehen läßt?«

Ungeachtet diese Frau den Herrn von Bartenstein Schritt für Schritt auf dem Wege der Grausamkeit und Schmach fortgedrängt hatte, war sie sich ihrer Herrschaft über den Schwächling doch so bewußt, daß sie sich überzeugt hielt, er würde es nicht wagen sich ihrem Willen zu widersetzen, sobald sie nur energisch gegen ihn verfahre.

Um ihn einzuschüchtern, erachtete sie eine persönliche Unterredung mit ihm als das beste Mittel, und da der Freiherr sich bei ihr unter dem Vorwand der Unpäßlichkeit schon seit mehreren Tagen nicht hatte sehen lassen, so beschloß sie ihm am andern Morgen selbst einen Besuch abzustatten.

»Wo ist der Baron?« fragte sie, als der Wagen in den Schloßhof rollte und ein Diener herbeieilte, um den Schlag zu öffnen.

Dieser sah sie betroffen an.

»Nun,« rief sie in herrischem Tone, »erhalte ich keine Antwort?«

»Die gnädige Frau wissen also nicht? …«

»Was soll ich wissen?«

»Nun, daß der Herr todt ist.«

»Todt?« rief Adolphine und war mit einem Satz aus dem Wagen.

»Ja, man hat ihn diesen Morgen als Leiche im Bett gefunden. Der Doctor sagt, er müsse erwürgt worden sein, denn er habe eine Strangulationsmarke an seinem Halse entdeckt.«

»Hat man denn keinen Verdacht in Betreff des Thäters?«

»Es ist bis jetzt keine Spur von demselben aufgefunden worden, doch hat die Polizei bereits umfassende Nachforschungen angestellt.«

»Ist Etwas gestohlen?«

»Eine ziemlich ansehnliche Summe, die der Baron in seinem Schreibtisch aufbewahrte; den Secretär fand man wieder verschlossen, der Mörder muß also genauen Bescheid gewußt haben, denn er benutzte den gewöhnlichen Schlüssel. Wir sind bereits Alle in's Verhör genommen worden.«

Mademoiselle Adolphine überlegte eine kurze Zeit.

»Kann man den Todten sehen?« fragte sie schließlich.

»Es würde für Sie wohl ein unangenehmer Anblick sein, der Herr sieht sehr entstellt ans, zudem ist angeordnet worden, daß bis zur Ankunft des Untersuchungsrichters die Leiche in demselben Zimmer in dem Zustande liegen bleiben soll, wie sie diesen Morgen gefunden wurde.«

Frau Schönemann stieg wieder in den Wagen und warf im Abfahren noch einen langen Blick nach dem Schlosse.

Was war hier vorgefallen und welche hervorragende Rolle hatte sie dabei gespielt! … Doch das Endresultat ihrer Gedanken war:

»Hier ist nichts mehr zu machen und das Beste wird sein, ich ordne meine Angelegenheiten und verlasse die Gegend.« –

Unter Strubs Mitwirkung waren übrigens die ihr von dem Freiherrn zugewendeten hohen Stimmen auf dessen Güter als Hypotheken in solcher Form auf ihren Namen eingetragen, daß eine Anfechtung ihrer Eigenthumsrechte nicht zu befürchten stand und sie dieselben unter unerheblichem Verlust entweder leicht in andere Hände übergehen lassen, oder kündigen konnte. Der Tod des Herrn von Bartenstein rührte ihr Herz nicht; sie bedauerte nur, daß ihr hiermit eine reiche Einnahmequelle versiegte, welche sie noch lange auszubeuten gehofft hatte.

 

Caspar Watt zeigte mehr Gefühl, wie man bei ihm voraussetzen durfte, als er das Ende seines Herrn erfuhr.

Er wischte sich sogar mit seinem Rockärmel eine Thräne aus dem Auge und äußerte, der Baron sei viel zu unvorsichtig gewesen, er habe zur ebenen Erde geschlafen und nicht einmal die Fensterläden in der Nacht geschlossen.

Unter diesen und ähnlichen Bemerkungen kehrte er in seine einsam gelegene Wohnung zurück und ließ sich vor Niemand sehen. Die Wahrheit war aber die, daß er meist in der Nähe derselben in einem Versteck auf der Lauer lag, um zu beobachten, wer sich dem Hause näherte. Auch einen Paß besaß er, den ihm der Baron erst noch vor einigen Monaten verschafft hatte, als er in dessen Auftrag erneuerte Nachforschungen nach dem kleinen Alfred anstellen mußte.

Nach Verlauf von acht Tagen erklärte der Waldhüter, er habe dem Freiherrn treu und redlich gedient, jetzt werde es indeß anders werden, denn die Baronin hasse ihn und er könne sich darauf gefaßt machen, aus seinem Amte entlassen zu werden. Dem habe er aber vorbeugen wollen und so sei er freiwillig um seinen Abschied eingekommen und werde die Gegend gänzlich verlassen.

Wirklich war Caspar Watt auch eines Tages verschwunden, ohne von seinen Bekannten Abschied zu nehmen; wohin er sich gewendet, wußte Niemand, wahrscheinlich hatte er sich während der Nacht aus dem Staube gemacht.

 

Strubs erreichte die gerechte Strafe für sein ruchloses Treiben. Im Laufe der Untersuchung kamen noch andere strafbare Handlungen, die er sich hatte zu Schulden kommen lassen, zur Sprache und schließlich wurde er durch richterlichen Spruch aus dem Stande seiner ehrenwerthen Collegen ausgestoßen und zu mehreren Jahren Zuchthaus verurtheilt.

Herr Wabbs, der Schreiber, welcher den Geschäftsverkehr seines ehemaligen Principals genau kannte, etablirte sich an dessen Stelle und setzte als Winkeladvokat die Praxis fort. Er war aber klüger als sein ehemaliger Herr und vermied jene gefährlichen Klippen, welche diesen in so empfindlicher Weise mit dem Strafgesetzbuch in Conflict gebracht hatten. Seine Hauptaufgabe war, einträgliche Geldgeschäfte zu machen und zu diesem Zweck hatte er nach der alten ehemaligen Zofe seine Angel ausgeworfen, deren Ersparnisse, wie er wußte, einige tausend Thaler betrugen. Therese war durchaus nicht dazu angethan, selbst einen Mann, der sich nur noch mit spätherbstlichen Reizen begnügt hätte, auch nur einigermaßen zu fesseln, aber Herr Wabbs stand ihr nicht an Häßlichkeit nach und so hatte er keine Ursache, irgendwie einen inneren Kampf zu bestehen, als ihm die Wahl blieb, entweder auf das Vermögen der alten Jungfer zu verzichten, oder auch diese selbst mit in den Kauf zu nehmen. Spötter bezeichneten diese Verbindung als die »schöne Vereinigung«.

Madame Wabbs, geborne Schnubbe, bemächtigte sich übrigens bald des Hausregiments und war nicht wenig stolz darauf, wenn sie von den Clienten ihres Mannes »Frau Doctorin« genannt wurde.

 

Unter der liebevollen Pflege ihres Oheims und bei sorgfältiger ärztlicher Behandlung, erholte sich Sabine schneller, als ihre Bekannten vermuthet hatten. Nach einer Badereise, die sie noch im Spätsommer unternommen, kehrte sie mit frischen Wangen und auch geistig erstarkt zurück. Ihr großes Vermögen ging jetzt wieder in ihre Hände über und es fehlte ihr nicht an ehrenvollen Heirathsanträgen. Aber sie hatte von der Bitterkeit der Ehe genug gekostet und wollte sich einem solchen zweifelhaften Glück nicht zum zweiten Mal aussetzen. Sie zog es vor, allein ihrem Kinde zu leben und diesem ihre ganze Zärtlichkeit zuzuwenden.

Außerdem zeichnete sie sich durch Werke stiller Mildthätigkeit aus, theils weil ihr durch eigene Leiden geläutertes Herz sie dazu antrieb, theils weil sie die Handlungsweise ihres Vaters einigermaßen dadurch zu sühnen hoffte. Den Sommer brachte sie auf dem Gute, den Winter in der Stadt bei dem Oheim zu. Sie genoß die Freude, ihr Kind an Körper und Geist gesund emporwachsen zu sehen, und wenn der erste Theil ihres Lebens auch ein trauriger und schmerzensreicher gewesen war, so gestaltete sich doch die zweite Hälfte zu mildem Sonnenschein, zu Tagen behaglicher Ruhe, denen die Stürme vergangener Zeiten für immer fern blieben

Auch die Gräfin von Plankenburg kehrte in Gesellschaft des kleinen Alfred wieder auf ihre Besitzung zurück. Seine legitime Geburt war längst anerkannt worden und mit Stolz nannte sie ihn ihren rechtmäßigen Enkel. Schwer hatte sich Titus Feuerkopf und dessen Gattin von dem munteren, gutherzigen Knaben getrennt, schließlich war zwischen den beiden Parteien ein Compromiß geschlossen worden, wonach Alfred jedes Jahr in dem stillen friedlichen Thale vier Wochen zubringen sollte. Der Naturphilosoph benutzte diese Zeit dann jedesmal dazu, um seinen Liebling in der Führung des Rappiers, im Reiten und Schwimmen und leider auch im Biertrinken zu unterrichten, denn in allen diesen Sachen hatte er während seiner Studienzeit eine große Uebung erreicht und sie war ihm unvergeßlich geblieben.

 

Susanne fand in der Gräfin eine gütige Gebieterin und ersetzte bei derselben bald die Stelle der alten Therese. Mit der Zeit nahmen ihre Körperformen eine behäbige Rundung an und das Gefühl innerer Zufriedenheit war aus ihren Augen herauszulesen. Mitunter traf sie auch wohl noch mit ihrem einstigen Anbeter, dem Pächter Derichsen zusammen, der nun auch bereits verheirathet war, und wenn dieser dann scherzend sagte: »Ich bleibe dabei, es ist doch jammerschade, daß aus uns nicht ein Paar geworden ist,« dann schüttelte unsere Bekannte abwehrend den Kopf und erwiderte: »Die Ehe ist wie eine Lotterie, Manchem fällt ein reicher Gewinn zu, Viele müssen sich mit dem bloßen Einsatz begnügen, und die meisten ziehen Nieten, was sie freilich vor den Augen der Welt möglichst zu verbergen suchen.«

 

Etwa vier Wochen nach dem gewaltsamen Ende des Freiherrn von Bartenstein stand ein Passagier auf dem Deck des Auswanderungsschiffes »Germania« zu Bremerhaven, das eben seine Anker aufgewunden hatte und jetzt der See zusteuerte. Es war ein finsterer, widerlich aussehender Gesell, und wie er jetzt seine Blicke dem festen Lande zuwendete, würde ein aufmerksamer Beobachter in seinen Zügen mehr Scheu und Furcht, wie Trauer um die alte Heimath, die er jetzt zu verlassen im Begriff stand, herausgelesen haben. Erst als das Fahrzeug sich eine geraume Strecke vom Ufer entfernt hatte, hellte sich sein Gesicht auf und mit einem widerlichen Grinsen murmelte er:

»Erst jetzt ist die Gefahr vorüber und ich kann frei aufathmen, mit dem Baron ist das Geheimniß begraben worden und in Amerika bin ich vor weiterer Verfolgung sicher.«

Sabine und die Gräfin von Plankenburg besuchten sich als Gutsnachbarn häufig. Das Glück ihrer Kinder beschäftigte beide Frauen lebhaft und dieses Glück erreichte seine höchste Höhe, als Alfred, nunmehr ein stattlicher Jüngling, eines Tages seiner Großmutter bekannte, er empfinde eine lebhafte Zuneigung für seine Cousine Albertine, und er glaube wohl, daß von dieser die Gefühle seines Herzens erwidert würden. – Vierzehn Tage später verlobte sich das junge Paar öffentlich und auf diese Weise fand das Familiendrama, welches wir hier geschildert haben, noch einen erfreulichen Abschluß.

Ende.

 


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