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Siebentes Capitel.
Der Baron läßt die Maske fallen

Bald nach der Vermählung Sabinens ward es sehr still im Schlosse. Weil es nun einmal nicht zu vermeiden war, hatte Herr von Bartenstein mit seiner Gattin die nöthigen Besuche in der Umgegend gemacht und bei dieser Gelegenheit war die Letztere auch der Gräfin Plankenburg vorgestellt worden. Die alte Dame hatte ihre nunmehrige Verwandte lange und scharf betrachtet, sich dann aber in einen so kalten und frostigen Ton gehüllt, daß sich unsere Bekannte dadurch auf's Schmerzlichste berührt fühlte. Eine Ahnung, daß sie diesen Leuten ewig fremd gegenüberstehen würde und daß man sie im Stillen als die Tochter eines anerkannten Wucherers verachte, überkam sie, wobei sie freilich nicht wußte, daß sich das Verhältniß zwischen ihrem Manne und der Gräfin in der letzten Zeit fast bis zur bittersten Feindschaft gestaltete, denn tiefe Gewissensbisse hatten sich bei der Ersteren über die Behandlung eingestellt, welche ihre unglückliche Tochter von ihr erfahren, und in ihrer stolzen und rücksichtslosen Weise war der Baron von ihr zu verschiedenen Malen unter vier Augen vermöge seiner Hetzereien als der eigentliche Mörder Helenens angeklagt worden.

Das Herz voll Bosheit, hatte der gleißnerische Schleicher diese Beschuldigungen hingenommen, da ihm aber noch nicht die Zeit gekommen zu sein schien, um offen gegen die alte Dame aufzutreten, und er noch immer hoffte, dieselbe, mit Uebergehung des kleinen Alfred, zu einem Testament zu seinen Gunsten zu bewegen, so unterdrückte er seinen Grimm und spielte bei solchen Gelegenheiten den Gekränkten.

Nur einmal, als er sich bei seinem jetzigen Besuch auf kurze Zeit aus dem Zimmer entfernte, hatte Frau von Plankenburg die Hand Sabinens ergriffen, dieselbe schmerzlich angeblickt und dann mit einer Bewegung, die man sonst nicht an ihr gewohnt war, gesagt:

»Ich bin Ihnen nicht feindlich gesinnt, mein Kind, aber dieser Mann … nun, Gott gebe, daß meine Befürchtungen nicht in Erfüllung gehen mögen!«

Die junge Frau erröthete tief und Verwirrung malte sich auf ihrem Gesicht, denn Aehnliches war ihr ja auch schon von ihrem Oheim mitgetheilt worden. Dennoch fühlte sie sich in der Güte ihres Herzens gedrungen, zur Entschuldigung ihres Gatten etwas zu sagen.

»Aber weshalb,« stotterte sie, »sprechen Sie einen solchen Verdacht gegen meinen Gemahl aus? Bisher hat er mich gut behandelt, und ich bin ja gern bereit, mich seinen Launen zu fügen.«

Die Gräfin zuckte blos mit den Achseln. »Es liegt durchaus nicht in meiner Absicht, Ihren Frieden zu stören, ich wollte Ihnen nur darthun, daß ich keine Abneigung gegen Sie empfinde.«

Indem trat der Freiherr wieder ein und Sabine blieb es überlassen, im Stillen über den Sinn dieser dunklen Worte nachzudenken.

Einen Eindruck hatten dieselben aber doch bei ihr zurückgelassen, und dieser wurde in der letzten Zeit noch durch das immer deutlicher hervortretende Benehmen des Barons gegen sie vermehrt. Allmälig trat er nämlich aus seiner bisher gegen sie beobachteten Höflichkeit heraus, nur selten zeigte er sich bei ihr und häufig kam es sogar vor, daß er sie mit Hohn und Geringschätzung behandelte.

Dabei war Fräulein Adolphine jetzt fast der tägliche Gast im Schlosse und nahm ein Benehmen an, als sei sie die eigentliche Gebieterin in demselben und die Baronesse nur eine Nebenperson. Mit seltener Dreistigkeit erlaubte sie sich dieselbe offen zu tadeln, oder mit ungenirter Rücksichtslosigkeit zu behandeln, und wenn die junge Frau sich dann bei ihrem Gemahl darüber beklagte und mit wohlberechtigter Heftigkeit die Entfernung einer Person verlangte, welche ihren häuslichen Frieden störe, blickte ihr der Freiherr höhnisch in's Gesicht, bezeichnete ihr Benehmen als kindische Lächerlichkeit und erklärte schließlich sehr bestimmt und mit einem nicht mißzuverstehenden drohenden Blick, daß Fräulein Adolphine ihm unentbehrlich sei und daß sie sehr wohl daran thun würde, sich von derselben an Bildung das anzueignen, was ihr leider mangele.

In der ersten Zeit flossen die Thränen Sabinens im Stillen und sie sing an sich der Worte der Gräfin zu erinnern. Ein bitterer Haß begann sich in ihrem Herzen gegen ihre Nebenbuhlerin anzusammeln, denn daß sie eine solche vor sich hatte, dies sagte ihr ihr weiblicher Instinct, und außerdem waren auch bereits dunkle Gerüchte über das intime Verhältniß ihres Mannes zu Frau Schönemann, wie sich Adolphine fortwährend nennen ließ, zu ihr gelangt. Dennoch trug sie ihre peinliche Lage noch immer mit Geduld, bis endlich eine Gelegenheit erschien, wo bei ihr der lange verhaltene Groll zum Ausbruch kam.

Die Frühstückzeit war vorüber und Herr von Bartenstein hatte sich in die Spalten einer Zeitung vertieft, denn seitdem er sich um einen Sitz im Abgeordnetenhause bewarb, studirte er eifrig Politik, als ein Diener eintrat und ihm eine Karte einhändigte.

»Wie heißt der Fremde?« fragte der Baron, bevor er noch einen Blick in dieselbe geworfen.

»Er hat seinen Namen nicht genannt, er sagte nur, daß er ein Verwandter der gnädigen Frau sei.«

Jetzt zuckte auch Sabine zusammen, die mit einer Stickerei beschäftigt, am Fenster saß.

»Dann kann es nur mein Oheim Hayder sein,« rief sie, und erhob sich freudig bewegt.

»Darf ich bitten sitzen zu bleiben,« wendete sich der Schloßherr mit gerunzelter Stirn zu ihr. »Es ist in der That der Fabrikant,« fuhr er mit dem Ausdruck einer absichtlich an den Tag gelegten Mißachtung fort, »aber was will er hier? – ich habe nicht Lust, mir von der Familie noch mehr auf den Hals zu laden.

Bedaure sehr, bin nicht zu sprechen,« fuhr er zu dem einen Befehl erwartenden Bedienten fort und nahm dann wieder die weggelegte Zeitung in die Hand.«

Jetzt stieg aber auch seiner Frau die Röthe des Zornes in's Gesicht und der Unwille übermannte sie bei der ihr zugefügten Beleidigung.

»Wie,« rief sie, sich erhebend und ihren Gatten mit einem strengen Blick messend, »wie, Sie wollen einen so ehrenwerthen Mann, wie Herr Hayder ist, nicht empfangen?«

»Ich finde in der That keine Veranlassung dazu.«

»Und doch weiß ich die Zeit,« fuhr Sabine mit erhöhter Erregtheit fort, »wo Sie keinen Anstand nahmen, sich vor meinem würdigen Oheim tief zu bücken. Damals handelte es sich freilich darum, durch wiederholte Anleihen Ihre verzweifelte Lage vor der Welt zu verbergen und die Schuldverschreibungen, welche man von Ihnen nach dem Tode meines Vaters in dessen Nachlaß fand – –«

Der Freiherr war kreideweiß geworden, ein giftiger Blick traf seine Frau. Aber in der Verstellung ein Meister, unterdrückte er in diesem Augenblick die Rachegefühle, welche sich bei ihm regten und mit scheinbarer Ruhe, sogar mit einem Lächeln auf den Lippen erwiderte er:

»Sie drücken sich in einer Weise gegen mich aus, welche ich als eine unziemliche zu bezeichnen berechtigt bin. Indessen solche Excentricitäten ist man an Ihnen schon gewohnt, es ist dies ein Krankheitszustand, welcher mir die Pflicht auferlegt, Sie mit Schonung zu behandeln.«

»Ich krank? – Ich glaube wirklich, eines Tages könnte es Ihnen einfallen, mich als geistesschwach zu bezeichnen!«

Herr von Bartenstein erwiderte hierauf nichts, er hielt es für unklug, sich auf weitere Erklärungen einzulassen. Kurz abbrechend, bemerkte er blos:

»Wenn Sie das Bedürfniß fühlen, Ihren Oheim zu empfangen, so habe ich durchaus nichts dagegen.«

»Ich erwarte dies auch nicht,« rief Sabine, sich stolz emporrichtend, und verließ erhobenen Hauptes das Zimmer.

»Die Thörin!« lachte der Baron hinter ihr her, »sie merkt nicht, daß sie durch ein solches Betragen meinen Plänen nur in die Hände arbeitet. Sie fängt mir an lästig zu werden und es ist Zeit, daß sie beseitigt wird!«

Inzwischen hatte die junge Frau ihren Oheim begrüßt und diesen auf ihr Zimmer geführt. Hier sank sie an seine Brust und brach in helle Thränen ans.

»Armes Kind,« rief der würdige alte Herr, »ich ahnte wohl, daß ich Dich nicht glücklich finden würde! Aber um mich persönlich über die mir zu Ohren gekommenen Gerüchte zu überzeugen, habe ich diese Reise unternommen, und nun finde ich Dich wirklich in Thränen.«

»O,« klagte Sabine, während ihre zitternde Hand noch immer in der ihres Oheims ruhte, »o, es war eine Thorheit, als ich glaubte, daß irgend Jemand mich wirklich lieben könnte; ein Fluch ruht auf mir, der Unschuldigen, und ich ahne, daß derselbe in Erfüllung gehen wird. Und doch, was habe ich verbrochen? Ich suchte eine Heimat, einen Beschützer, und fand einen Tyrannen.«

Erschrocken fuhr der Fabrikant zusammen.

»Ist es schon so weit gekommen?« fragte er besorgt.

»Es giebt eine Tyrannei,« entgegnete die junge Frau, »welche sich vor den Augen der Welt nicht beweisen läßt, weil sich hinter einer scheinbar glatten und gefälligen Form die Wunden verbergen, welche man dem auserlesenen Opfer beibringt. Dieser Strubs, diese Frauensperson – sie Alle umschleichen mich wie Dämonen, und eines Tages fürchte ich, wird gegen mich ein schrecklicher Schlag geführt werden.«

»Steht es so um Dich,« bemerkte Hayder,« so kann ich Dir nur rathen, dies Haus zu verlassen und in dem meinigen eine Zuflucht zu suchen. Ich werde Dich zu schützen wissen.«

»Nein,« rief unsere Bekannte, »ich betrachte es für würdiger hier auszuhalten, und besonders jetzt – –«

»Du fühlst Dich Mutter?« fragte im väterlichen Tone der alte Herr.

»Ja, und dieses Gefühl flößt mir den Muth ein, entschlossen in die Zukunft zu blicken. Ohne Kampf wird es nicht abgehen, aber ich bin willens, denselben furchtlos aufzunehmen.«

»Und Dein Vermögen?« fuhr der Fabrikant fort, »in den Händen eines solchen Mannes wie Herr von Bartenstein, ist es ein unsicheres Gut für Dich. Glücklicher Weise wurde das, was Deine Mutter hinterließ, unter meine Verwaltung gestellt. Dennoch unternahm ich diese Reise zum Theil deshalb, um Deinen Mann aufzufordern, Dir wenigstens die Hälfte Deines großen Erbes sicher zu stellen.«

»Nein, laß dies sein, denn Du würdest nur eine kränkende, abweisende Antwort erhalten. Laß ihn mit seinen unwürdigen Genossen im Ueberfluß schwelgen, laß ihn so viele Summen verthun, wie er Lust hat; mir und nöthigenfalls auch meinen Kindern, genügt das mütterliche Vermögen, und dieses werde ich natürlich nie aus der Hand geben.«

»So möge Dich Gott in seinen Schutz nehmen und Dich vor weiterem Unglück bewahren,« seufzte Hayder. »Meiner Liebe und Theilnahme darfst Du immer gewiß sein. Lebe wohl und trage Dein Geschick mit Würde.«

Er schloß seine Nichte bewegt in die Arme und verließ unter den bangsten Gefühlen das unheimliche Schloß.

 

Indem wir übrigens fortfahren, die Leidensgeschichte Sabinens mitzutheilen, können wir füglich fünf Jahre überschlagen.

Strubs, der Freiherr und Adolphine Schönemann bildeten ein würdiges Triumvirat, um die junge Frau offen und heimlich zu quälen und dieselbe in fortwährender Aufregung zu erhalten. Dadurch hatte sich bei ihr ein so gereizter Zustand ausgebildet und ihre Erbitterung war so gestiegen, daß sie allerdings häufig die Regeln der Klugheit vergaß und Drohungen gegen ihre Peiniger ausstieß, welche bei diesen immer mehr den Entschluß reifen ließen, sich ihrer gänzlich zu entledigen.

Die Geliebte des Herrn von Bartenstein, deren verstecktes Ziel dahin hinauslief, schließlich an die Stelle der Hausfrau zu treten, geberdete sich immer rücksichtsloser und behandelte die Unglückliche zuletzt mit einer Dreistigkeit und Nichtachtung, die keine Grenzen mehr kannte. Der Baron war im Laufe der Zeit ein immer größerer Sclave dieses ränkevollen Weibes geworden, dann hatten ihm aber auch verschiedene Aeußerungen seiner Gattin die Befürchtung eingeflößt, sie könne eines Tages mit Hilfe ihres Oheims gerichtliche Schritte thun, um ihm die Dispositionsfähigkeit über ihr Vermögen zu entziehen und hiermit war sein Haß gegen dieselbe noch gestiegen. Strubs endlich zeigte sich als der Mephisto, welcher stets in diabolischer Weise zum Bösen anregte.

»Sie ist wirklich krank, die Arme,« bemerkte er grinsend, wenn wieder einmal eine heftige Scene stattgefunden hatte, »ihr Verstand befindet sich offenbar nicht in Ordnung und sie bedarf der größten Ruhe in ungestörter Einsamkeit, um wenigstens der Unheilbarkeit des sich entwickelnden Uebels vorzubeugen.«

»Ich begreife auch gar nicht, weshalb Sie noch immer zögern, einen energischen Schritt gegen diese Frau zu thun, welche Sie fortwährend bedroht und deren Beleidigungen wir Alle täglich ausgesetzt sind,« fügte die Schönemann hinzu.

»Wenn sich die Sache nur so machen ließe, daß wenigstens scheinbar ein rechtlicher Vorwand vorhanden wäre,« warf der Baron ein.

»Nun,« bemerkte der Sachwalter, »Ihr Hausarzt hat ja bereits zugegeben, daß er bei der Dame zu verschiedenen Malen Erscheinungen wahrgenommen; welche bei ihr einen normalen Zustand in Zweifel stellen und schwere psychologische Bedenken rechtfertigen. Es käme schließlich wohl nur darauf an, diesen angedeuteten Thatbestand durch Zeugen zu bestätigen.«

Adolphinens Augen leuchteten dämonisch auf, sie begriff sogleich, welchen teuflischen Plan der Advokat hinter seinen Worten verbarg.

Auch Herr von Bartenstein war darüber nicht in Zweifel, er scheute sich auch durchaus nicht als Mitschuldiger in das Complot einzutreten, nur wollte er als vorsichtiger Mann einigermaßen sicher gehen.

»Warten wir die Gelegenheit ab, bis es zu einem Eclat kommt,« sagte er, »und dieser wird, wenn man es darauf anlegt, nicht ausbleiben. Um ganz unparteiisch zu Werke zu gehen, kann ja nöthigenfalls auch noch Frau von Weiher eine Rolle übernehmen.«

Frau von Weiher war eine entfernte Verwandte des Barons, welche in der Stadt lebte und die durch den Luxus, den sie trieb, schon häufig die Hilfe des Herrn von Bartenstein hatte beanspruchen müssen.

Im übrigen charakterisirte sie sich durch Leichtsinn und Gewissenlosigkeit und stand mit Adolphine in intimen Beziehungen.

Sabine besaß ein Töchterchen, welches jetzt das vierte Jahr überschritten hatte. An diesem Kinde hing ihre ganze Seele. Jemehr sie von ihrem Gatten zurückgestoßen und von dessen Helfershelfer gepeinigt wurde, desto inniger trug sie ihre Liebe auf ihr Kind über.

Aber auch dieses Glück suchte man der unglücklichen Mutter in grausamer Weise zu verkümmern. Die Geliebte des Freiherrn bemächtigte sich der Kleinen und war nicht allein bemüht, ihr Abneigung gegen die Mutter einzuflößen, sondern sie bestärkte dieselbe auch noch absichtlich in ihren Unarten, indem sie ihr jede Laune nachsah, jeden Eigensinn gut hieß und sie, der Baronin gegenüber, offen in Schutz nahm.

Dieß hatte natürlich zu wiederholten heftigen Auftritten geführt, denn Sabine wollte sich einerseits ihre Rechte, der verhaßten Feindin gegenüber, nicht schmälern lassen und andererseits war sie verständig genug, um einzusehen, daß ein solches System ihr Kind moralisch verderben müsse. Gereizt wie sie war, forderte sie in heftigen Worten ihren Mann auf, diesem dreisten Treiben ein Ende zu machen und sie gegen die Anmaßungen einer fremden Person zu schützen. Doch kalt lächelnd blickte dieser ihr in's Gesicht und bemerkte, er sehe zu seinem Bedauern, daß sie die Erziehung des Kindes nicht zu leiten verstehe und er fühle sich deshalb Frau Schönemann zum besonderen Dank verpflichtet, daß diese sich der kleinen Albertine annehme.

Nach dieser Erklärung brach Adolphine in ein lautes höhnisches Gelächter aus, Strubs zuckte mit dem Ausdruck des Mitleids die Achseln und die arme verrathene Frau zerfloß in Thränen und stürzte aus dem Zimmer.

 

»Ich glaube, wir können an's Werk gehen,« sagte eines Tages, als wieder ein solcher Auftritt stattgefunden hatte, der Freiherr zu seinen Verbündeten, »und um der Sache eine besondere Feierlichkeit beizulegen, habe ich meinen Geburtstag dazu auserwählt. Ein kleines Fest soll das Drama einleiten. Frau von Weiher und mein Hausarzt, der Doctor Haller, sind dazu geladen, und meine Frau wird es bei einer solchen Veranlassung nicht wagen sich auszuschließen.« –

»Dies genügt,« bemerkte der Advokat, »es wird nicht schwer halten, bei Ihrer Gattin jenen überspannten Zustand hervorzurufen, dessen geistesverwirrte Ausbrüche wir ja zur Genüge kennen. Die Zeugen und der Arzt sind dann anwesend, um davon Notiz zu nehmen und Sie haben schließlich ein Recht dazu, der Kranken gegenüber diejenigen Maßregeln der Fürsorge zu treffen, die deren Zustand erfordert.«

»Allerdings« – und der Freiherr lachte höhnisch –»allerdings, Fürsorge, das ist das richtige Wort, und den Plan dazu habe ich ja bereits mit Ihnen besprochen.«

Dennoch gelang es Herrn von Bartenstein nicht sogleich, Sabine dazu zu bestimmen, die Honneurs bei der von ihm geladenen Gesellschaft zu machen. Er hatte sich zu diesem Zweck auf ihr Zimmer begeben, setzte sich ihr gegenüber und begann, seine Frau kalt fixirend:

»Sie wissen, meine Theure, daß heute mein Geburtstag ist. Ich habe zu diesem Zweck einige Freunde um mich versammelt. Darf ich nun wohl selbstredend annehmen, daß bei einer solchen Veranlassung die Hausfrau nicht fehlt, so bestimmt mich doch auch noch ein anderer Grund, Ihr Erscheinen zu wünschen. Die Welt spricht, was auch Ihnen vielleicht nicht entgangen ist, bereits seit längerer Zeit seltsame Dinge über unser Familienleben; Ihr auffallendes Zurückziehen bei fast jeder Festlichkeit ist nicht unbemerkt geblieben.«

»Ich lebe schon lange nicht mehr für die Welt,« lautete die herbe Antwort.

»Auch für mich nicht,« tönte es im heuchlerischen Tone des Vorwurfes zurück.

»Nun, wollen Sie gerecht sein, so werden Sie zugeben müssen, daß dies nicht meine Schuld ist.«

»Lassen wir das. Ich bitte um eine Antwort: Wollen Sie bei der Tafel erscheinen?«

»Ich weigere mich dessen nicht, aber ich stelle eine Frage.«

»Welche?«

»Gehört jene Person, die sich so sehr Ihrer Gunst erfreut, gehört Madame Adolphine ebenfalls zu den Geladenen?«

»Allerdings.«

»In diesem Falle,« fuhr unsere Bekannte fort, indem sie sich stolz emporrichtete, »werden Sie mein Ausbleiben entschuldigen.«

»Weshalb?«,

»Weil es mir meine Würde verbietet, der Geliebten meines Mannes aufzuwarten.«

Herr von Bartenstein wurde roth und dann plötzlich wieder weiß, ein stechender rachsüchtiger Blick traf seine Gattin. »Das sind Ihre alten Albernheiten,« rief er kalt, »eine Ausgeburt Ihrer kranken Phantasie. Frau Schönemann ist eine achtungswerthe Dame, zudem habe ich Ihnen mehr als einmal mein Ehrenwort gegeben, daß mein Verhältniß zu ihr nicht über die Grenzen der erlaubten Freiheit hinausgeht.«

»Ihr Ehrenwort?« und Sabine zuckte dabei mitleidig mit den Achseln – »ich bedauere, daß Sie durch die Berufung auf dasselbe den Versuch machen, sich selbst zu entwürdigen. Nach den Erfahrungen, welche hinter mir liegen, kann mich ein solches Wort nicht mehr täuschen.«

»Nun, was verlangen Sie also?«

»Ich wünsche, daß die Person, welche sich Frau Schönemann nennt, für immer hier aus dem Hause entfernt werde.«

»Unmöglich! Dieselbe macht sich hier sehr nützlich. Wer sollte denn zum Beispiele die Erziehung der kleinen Albertine leiten, wenn sie es nicht thäte.«

Diese Worte brachten Sabine von neuem in Zorn.

»Gehen Sie,« rief sie mit bebender Stimme, »Sie sind ein ebenso gewissenloser Vater, wie treuloser Gatte!«

»Und Sie sind eine Närrin, bei der es hier nicht richtig ist,« höhnte der Baron, indem er mit dem Zeigefinger seine Stirn berührte. »Kurz und gut, ich wünsche Ihre Gegenwart und Sie werden diesem Wunsche unbedingt Folge leisten.«

Damit entfernte er sich.

Ihr thränenfeuchtes Gesicht mit den Händen bedeckend, warf sich die arme Frau in einen Stuhl. Verrath wurde um sie her gesponnen, das wußte sie, konnte man ihr nun nicht auch noch aus Bosheit ihre Tochter rauben? Dieser Gedanke erfüllte sie mit Furcht und Grausen und brachte sie zu dem Entschluß, dem Befehl ihres Mannes Folge zu leisten, so bitter ihr dies auch ankam.

In möglichst einfacher Toilette erschien sie unten im Speisesaal und verbeugte sich würdevoll gegen die Anwesenden. Dem Doctor Haller gegenüber hatte man ihr einen Platz angewiesen, Strubs und Adolphine waren wie zwei Wächter rechts und links neben ihr aufgepflanzt. Sie bemerkte nicht, daß der Arzt häufig forschend seine Blicke auf sie richtete und ihr sonderbare Fragen vorlegte, die sie dann freilich oft völlig verkehrt beantwortete, weil ihre Gedanken bei ganz anderen Dingen verweilten.

Als das Diner beendet war, wollte sich die Baronin entfernen, doch ihr Gatte bot ihr den Arm und führte sie in's Nebenzimmer, wohin die übrige Gesellschaft zur Einnahme des Kaffees folgte. Hier kam die Katastrophe zum Ausbruch. Nur mit Mühe hielt Sabine ein Gespräch mit Frau von Weiher aufrecht, sie hörte nur oberflächlich zu, denn ihre Augen ruhten heimlich abwechselnd auf ihrem Manne, aus dem Kinde und auf Adolphine.

»Komm' zu mir, mein süßer Engel,« begann endlich die Letztere, indem sie mit Herrn von Bartenstein einen verstohlenen Blick austauschte und gleichzeitig nach der kleinen Albertine den Arm ausstreckte.

»Berühren Sie mein Kind nicht,« rief plötzlich die Schloßherrin, bei welcher in diesem Augenblick der Grimm gegen die Geliebte ihres Mannes in seiner ganzen Stärke wieder erwachte.

»Komm', meine arme Verlassene,« höhnte Adolphine, welche that, als habe sie die Worte der Baronin nicht gehört, und zog gleichzeitig das Kind an sich.

Gereizt durch diesen Hohn, sprang die unglückliche Mutter in ihrer nervösen Aufregung auf, und ihrer Feindin einen Blick der Verachtung zuwerfend, rief sie bebend vor Erregtheit:

»Lassen Sie dieses unschuldige Wesen los, es soll nicht durch Ihre unreinen Hände befleckt werden!«

»Die arme Dame,« seufzte die Schönemann heuchlerisch, »ich verzeihe ihr diese Beleidigung – man sieht wohl, es ist bei ihr nicht recht richtig.«

Strubs winkte sehr bezeichnend mit dem Kopfe, Frau von Weiher wendete sich erschrocken ab, als fürchte sie sich, selbst der Doctor machte ein bedenkliches Gesicht.

Jetzt hielt es auch Herr von Bartenstein für angemessen, sich einzumischen.

»Madame,« bemerkte er, »es ist meine Pflicht, meine Gäste gegen Ihre Beleidigungen zu schützen. Ihr Gesundheitszustand ist jedenfalls sehr bedenklicher Natur, ich constatire dies durch Zeugen.«

»Ich will mein Kind haben,« rief Sabine trotzig.

»Nun,« sagte der Heuchler, »das soll Ihnen nicht verwehrt werden,« und mit einer absichtlich drohenden Geberde streckte er den Arm nach seiner Tochter aus.

Die Kleine, bereits erschreckt durch das aufgeregte Wesen der Mutter, fuhr scheu zurück und im nächsten Augenblick suchte sie, in ein lautes Geschrei ausbrechend, Schutz in den Armen der Baronin.

»Es scheint Ihnen wirklich trefflich gelungen zu sein, Albertine Haß gegen mich einzuflößen,« bemerkte kalt der Freiherr. »Es ist Zeit, daß man Albertine von Ihnen fortnimmt, meine Vaterpflicht gebietet dies.«

»Sie sind ein Heuchler, welcher jedem besseren Gefühl Hohn spricht,« rief die Unglückliche, ihrer Sinne nicht mehr mächtig, mit flammenden Augen, »aber mein Kind sollen Sie mir nicht entreißen; dies versichere ich Ihnen! Nöthigenfalls werde ich die Hilfe der Gerichte gegen Sie in Anspruch nehmen und auch Schritte thun, daß mein Vermögen sicher gestellt wird.«

Der Freiherr und der Advokat wechselten einen bedeutsamen Blick mit einander, während Sabine in der höchsten Aufregung ihre Tochter auf den Arm nahm und das Zimmer verließ.

»Nun, welchen Schluß ziehen Sie aus dieser Scene?« fragte Herr von Bartenstein den Doctor Haller.

Dieser zuckte mit den Achseln. »Der Zustand Ihrer Frau Gemahlin scheint mir allerdings bedenklich, vor Allem empfehle ich Ruhe und Abgeschiedenheit.«

»Ich werde mir von Ihnen darüber ein schriftliches Gutachten erbitten,« bemerkte der Freiherr – »ich behalte mir meine Schritte vor, will diese aber nicht falsch ausgelegt wissen, und es ist mir daher lieb, daß es heute an ehrenwerthen Zeugen nicht mangelt.«

»Als Mann haben Sie jedenfalls das Recht und die Pflicht, das Wohl Ihrer Gattin im Auge zu halten, selbst wenn sich diese damit nicht einverstanden erklären sollte,« fügte der Advokat hinzu.

»Und Beides werde ich nicht versäumen. Traurig, sehr traurig,« rief der Heuchler, »Niemand leidet unter dem Druck einer solchen Lage mehr als ich.«

Der Freiherr suchte übrigens, wahrscheinlich auf den Rath seiner Mitverschwornen, den eben geschilderten Auftritt in dem Gedächtniß seiner Gemahlin durch ein auffallend mildes Auftreten möglichst zu verwischen und er ließ sich sogar zu einigen Entschuldigungen herab. Hierdurch erreichte er auch seinen Zweck, denn die Baronin ließ sich durch ein solches Entgegenkommen wirklich täuschen und gab sich sogar der Hoffnung auf eine bessere Zukunft hin.

 

Eines Nachmittags erschien Herr von Bartenstein im Zimmer seiner Gattin. »Es ist heute ein so schöner Tag,« begann er mit einem gewinnenden Lächeln, »so schön, daß unter seiner Einwirkung jede Verstimmung schwinden und das Gemüth sich unwillkürlich zur Versöhnung hinneigen muß. Fühlen Sie nicht auch etwas Derartiges, meine Theure?«

Sabine horchte hoch bei diesen freundlichen Worten ihres Mannes auf. Wie lange war es schon her, daß er in dieser Weise nicht zu ihr gesprochen hatte! …

Eine frohe Ahnung erfüllte ihr Herz und nicht minder entgegenkommend antwortete sie:

»Sie haben recht, das Wetter ist prächtig und auch bei mir verfehlt es seine Wirkung nicht«

»So hoffe ich, daß meine Bitte eine wohlwollende Aufnahme finden wird.«

»Ihre Bitte? –« Die arme Frau war an derartige Höflichkeiten so wenig gewöhnt, daß sie den Baron einen Augenblick zweifelhaft anblickte.

»Ja,« fuhr dieser lächelnd fort, »ich erlaube mir, Sie zu einer Spazierfahrt einzuladen. Wollen Sie mir diese Gunst gewähren?«

»Eine Gunst?« –

Ein neues Wunder für die bisher so arg Gemißhandelte. Wieder betrachtete sie ihren Mann mit einem prüfenden Blick, als sie aber in den Augen desselben nur Wohlwollen zu lesen glaubte, bemächtigte sich ihrer ein ungemein wohlthuendes Gefühl, sie fing an, an eine Aenderung seiner Gesinnung zu glauben und im überströmenden Gefühl der neuerwachten Hoffnung erwiderte sie mit bewegter Stimme:

»O, hätten Sie immer eine solche Sprache zu mir geführt, wie manche bittere Stunde wäre mir dadurch erspart worden! Doch ich will nicht daran erinnern; kommen Sie, es wird mir Freude machen, eine Stunde an Ihrer Seite im Freien zuzubringen.«

Sie ergriff schnell Hut und Shawl und zehn Minuten darauf saß sie schon im leichten Wagen.

»Sie beabsichtigen selbst zu fahren?« fragte Sabine, als sie sah, wie der Freiherr die Zügel ergriff und sich auf den Bock schwang.

»Ja,« lautete die Antwort, »man verlernt ja sonst dergleichen Dinge.«

»Aber wollen Sie nicht wenigstens einen Diener mitnehmen?«

»Ist nicht nöthig,« lautete die kurze Antwort, und im nächsten Augenblick zogen schon die Pferde an.

Eine Zeitlang saß die junge Frau in einer Ecke der Chaise zurückgelehnt und träumte von ihren neuerwachten Hoffnungen. Erst als ihr Mann vom Hauptwege abbog und dem Walde zulenkte, fragte sie aus ihrem Sinnen erwachend:

»Wohin fahren wir?«

»Nach dem alten Jagdschlosse. Ich habe dort einige Verbesserungen ausführen lassen, um es wohnbar zu machen und diese will ich Ihnen zeigen.«

Ein unangenehmes Gefühl regte sich bei der Baronin, über welches sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte.

»Der garstige Wald,« flüsterte sie, »er ist so einsam und öde, ich habe mich nie in demselben behaglich gefühlt.«

»Nu, nu,« lachte Herr von Bartenstein, »das ist wohl eine übertriebene Furcht. Doch nun befinden wir uns einmal auf dem Wege dahin und Sie werden mir nicht die Freude verderben wollen.«

»Nein, gewiß nicht,« lautete die nachgiebige Antwort, »es war ja auch eigentlich thöricht von mir, eine solche Aeußerung zu machen.«

Inzwischen hatte der Baron in die tieferen Partien des umfangreichen Forstes eingelenkt, jetzt schlug er sogar einen sehr holprigen Weg ein und bald befand sich das Fuhrwerk in einer völligen Wildniß.

»Aber wohin fahren Sie mich?« fragte Sabine abermals ängstlich.

»Nun, nach dem Jagdschlößchen. Sehen Sie dort,« und Herr von Bartenstein zeigte auf ein altes massives Gebäude, dessen Mauern erst ganz in der Nähe sichtbar wurden, denn hochstämmige Buchen, vermischt mit Unterholz, schlossen dasselbe ein. So wie er die Pferde anhielt, erschien Watt. Die Baronin warf diesem einen verächtlichen Blick zu, denn der Waldhüter war ihr stets zuwider gewesen, und derselbe grinste sie dafür höhnisch an.

Herr von Bartenstein hatte seiner Gattin aus dem Wagen geholfen und trat jetzt mit ihr in das düstere Gebäude.

»Weshalb sind denn hier alle Fenster vergittert?« fragte diese beklommen.

»Nun, auch bis hieher kann sich Diebesgesindel verirren, wie finden Sie die Räume?«

»Eben nicht ansprechend; ich möchte hier nicht wohnen.«

»Nun, oben sieht es freundlicher aus. Sie gestatten, daß ich vorangehe.«

Wirklich betrat der Freiherr mit seiner Gemahlin ein ansprechendes Zimmer, an welches sich ein zweites anschloß. Es mangelte der Einrichtung nicht an Bequemlichkeit, und selbst ein kleiner gefüllter Bücherschrank war vorhanden.

»Kommen Sie,« sagte Sabine umherblickend, »es ist Alles recht gut, aber ich wiederhole Ihnen nochmals, ich möchte hier nicht wohnen.«

»Und doch werden Sie sich in diese Nothwendigkeit fügen müssen,« erwiderte der Freiherr, plötzlich die Maske lüftend, mit Eiseskälte.

»Mein Gemahl!« … und die junge Frau wurde leichenblaß und starrte ihren Mann geisterhaft an.

»Nicht ich habe dies angeordnet,« fuhr der Baron mit einem höhnischen Lächeln fort, »sondern es geschieht auf den Rath des Arztes.«

»Was haben Sie vor? – O, um der Barmherzigkeit willen, man wird mich doch nicht hier einsperren?«

»Sie sind sehr krank. Sie bedürfen der Ruhe und Einsamkeit und ich erfülle nur eine Pflicht gegen Sie.«

»Grausamer, schändlicher Tyrann!« rief jetzt Sabine, »haben Sie nicht schon genug an mir gefrevelt? O, ich durchschaue nun den teuflischen Plan, welchen Sie mit Ihren Helfeshelfern gegen mich ausgesponnen haben! … Hinter diesen Mauern soll ich lebendig begraben sein, während Sie der Welt weißmachen werden, ich sei geisteskrank!«

»Nun, das sind Sie auch,« erwiderte höhnend der Unmensch.

»Ungeheuer! Geben Sie mir Raum und lassen Sie mich frei!«

Entschlossen that die Unglückliche einen Schritt vorwärts, um den Ausgang zu gewinnen, aber mit roher Hand erfaßte sie der Freiherr am Arm und gab ihr einen Stoß, daß sie taumelnd gegen die Wand flog.

»Sie sind verrückt,« rief er, »und wie eine Verrückte wird man Sie von jetzt ab behandeln. Einsamkeit und Ruhe, so hat der Doctor befohlen, und hier finden Sie beides!«

Ehe Sabine sich noch von ihrer Betäubung zu erholen vermochte, war er aus dem Zimmer verschwunden und schlug die Thüre hinter sich zu. Vergebens rüttelte die Eingesperrte später an derselben, sie überzeugte sich bald, daß sie mit einem künstlichen Schlosse versehen war, welches man nur von Außen mit einem besonders dazu angefertigten Schlüssel öffnen konnte.

Trostlos sank sie schließlich auf's Sopha, ihr langes dunkles Haar löste sich auf und fiel auf ihre Schultern herab, ihre Augen stierten geisterhaft und man war wirklich jetzt versucht, sie für eine Blödsinnige zu halten.

»Ach, womit habe ich dies verdient,« jammerte die Arme, »ist dies der Lohn dafür, daß ich diesem Manne meine Reichthümer zubrachte! …« Dann nahm ihr Ideengang eine andere Richtung, sie schrie laut auf und rief:

»Mein Kind, mein armes Kind! Sie werden es verderben, sie werden seine Seele vergiften und sein Herz mit Abscheu gegen seine Mutter erfüllen! … O, mein Herr und Gott, ist es Dein Wille, so bin ich bereit, den Leidenskelch zu leeren, nur breite schützend Deine Vaterhände über meine unschuldige Albertine aus und entziehe sie der Gewalt der sie umgebenden Dämonen!«

Nach einer fieberhaft durchwachten Nacht trat Sabine an den Schellenzug und klingelte. Irgend Jemand mußte doch zu ihrer Bedienung da sein, so weit konnte man doch die Grausamkeit nicht treiben, daß man ihr auch diese entzog. Aber sie schauderte, als sich die Thür öffnete und der Waldhüter sichtbar wurde. Mit ihm zugleich trat ein altes Weib ein, aus dessen widerlichem Gesicht Tücke und Rohheit herauszulesen waren.«

»Was wünschen Sie?« fragte Watt im unehrbietigen Tone.

»Wer ist diese Frau?« und die Baronin wies auf Caspars Begleiterin.

»Es ist die alte Trine, Sie müssen sie ja kennen, sie ist taubstumm.«

Wirklich erinnerte sich unsere Bekannte jetzt derselben, als sie sich noch als halbe Landstreicherin herumtrieb, mitunter einen Almosen gereicht zu haben.

»Und was soll die hier?« fragte sie mit möglichster Ruhe weiter.

»Nun, was wird sie sollen? – Dieselbe ist als Ihre Wärterin angenommen; im Uebrigen bin ich auch noch da, wenn Sie etwas wünschen sollten.«

Jetzt kannte Sabine ihr Loos. Ein altes gemeines Weib, eine Taubstumme, mit der sie sich nur durch Zeichen zu verständigen vermochte, ein roher unverschämter Mensch, der nöthigenfalls vor einem Verbrechen nicht zurückbebte, dies waren die Menschen, mit denen sie künftig verkehren sollte und in deren Gewalt man sie gegeben hatte.

»Bringt mir Feder und Papier,« sagte sie zu dem Waldhüter mit möglichster Ruhe.

»Ist hier nicht zu haben,« antwortete dieser kurz, »und wenn solches auch der Fall wäre, so würden Sie doch weder das Eine noch das Andere erhalten,« setzte er grob hinzu, indem er kehrt machte und die Thüre in's Schloß warf.

»Sie wollen mich moralisch verderben und vor der Welt werden sie sagen, ich sei geisteskrank,« dachte Sabine, »und in der That, ich fühle, wie es in meinem Kopfe hämmert und pocht und meine Sinne vergehen mir manchmal. Dennoch will ich meine ganze Kraft zusammennehmen, um mich aufrecht zu erhalten, und die Hoffnung auf meine Befreiung nicht aufgeben, denn meine Abwesenheit muß doch endlich bemerkt werden.«

 

Trotzdem aber verging Woche um Woche, ohne daß sich in den Verhältnissen der Gefangenen etwas änderte und vergebens blickte sie Tag für Tag durch die vergitterten Stäbe ihres Fensters; die unheimliche Stille wurde durch nichts unterbrochen und Niemand zeigte sich, der den ernsten Willen gehabt hätte, dieses gegen sie angelegte schändliche Complot an's Tageslicht zu ziehen.

Aber wie oft greift eine unsichtbare Hand gerade in dem Augenblick rettend ein und verhindert oder verräth ein Verbrechen gerade zu der Zeit, wo der im Finstern schleichende Thäter sich am sichersten fühlt, freilich oft durch geheimnißvolle Mittel und in einer Weise, daß der Uebelthäter, trotz aller Vorsicht, gegen sich selbst zum Ankläger wird.

So war auch auf dem Schlosse geflissentlich die Nachricht verbreitet worden, die Baronesse sei in der That wegen Geistesstörung in eine entfernte Anstalt gebracht worden und Herr von Bartenstein habe dies, aus Schonung für seine Frau und um jedes Aufsehen zu vermeiden, in aller Stille ausgeführt. Aber dort kannte man den edlen sanften Charakter Sabinens, man kannte ihre Leidensgeschichte, und Niemand glaubte an ein solches Märchen.

Auch zu den Ohren der Gräfin von Plankenburg waren diese Gerüchte gedrungen und auch sie schüttelte ungläubig den Kopf. Das Bild der unglücklichen Helene trat bei dieser Gelegenheit von neuem mahnend vor sie hin, ihre Gewissenbisse regten sich im verstärkten Maße und in derselben Weise wuchs auch ihr Haß gegen den Mann, welcher sie zu unnatürlicher Grausamkeit gegen die Tochter aufgestachelt hatte und der nun in ähnlicher Weise wie ein gefühlloser Henker gegen die eigene Gattin verfuhr. Schauder ergriff die sonst so kalte Frau und sie beschloß im Stillen über die Unglückliche, welche in so räthselhafter Weise plötzlich verschwunden war, Erkundigungen einzuziehen.

Zwei Umstände beschleunigten aber die Katastrophe und hier war es eben, wo durch die Einwirkung jener geheimen Macht, die wir häufig mit dem Worte »Schicksal« oder »Vergeltung« bezeichnen, die verbrecherische Handlungsweise des Freiherrn an's Tageslicht gezogen wurde.

Zunächst wurde Frau von Plankenburg eines Morgens durch die Nachricht überrascht, daß bei dem alten Hausmeister Bruns in der verflossenen Nacht ein Diebstahl ausgeführt worden sei, bei dem es sich nicht um die Entwendung von Geld, sondern um einen Gegenstand gehandelt habe, über welchen der alte Mann keine nähere Auskunft geben wollte, dessen Verlust ihm aber sehr am Herzen zu liegen schien.

Vor die Gräfin gefordert, bestätigte dies auch Bruns, war aber zu keiner anderen Mittheilung zu bewegen, als daß er erklärte, das gestohlene Gut sei ein Brief, welchen er bisher sehr sorgfältig in einem verschlossenen Kästchen verwahrt gehabt habe. Dieses Kästchen sei nun fort, obgleich er den Schlüssel zu dem Wandschrank, in welchem es gestanden, stets sorgfältig im Auge gehalten.

Wer ihm den Brief gegeben und was in demselben gestanden, darüber war er zu keiner Auskunft zu bewegen. ›Er habe einen feierlichen Eid abgelegt, darüber zu schweigen,‹ bemerkte er, ›und erst dann werde er sprechen, wenn ihn die Nothwendigkeit dazu auffordere, doch warne er seine Gebieterin, vor dem Baron jetzt doppelt auf der Hut zu sein, denn er hege die Ueberzeugung, derselbe führe Böses gegen sie im Schilde, der Brief sei offenbar zu diesem Zwecke gestohlen worden und er vermuthe, niemand Anders als der Waldhüter Watt sei der Dieb.‹

Hiermit mußte sich Frau von Plankenburg begnügen, bald sollte ihr aber der geheimnißvolle Zusammenhang klar werden, in welchem dieser Einbruch zu ihr selbst stand.

Eines Tages ließ sich nämlich Strubs bei ihr anmelden.

»Was will dieser Mensch von mir?« fragte sie unwillig, »ich habe nichts mit ihm zu schaffen und mag ihn nicht sehen.«

»Etwas Gutes bringt er gewiß nicht,« bemerkte der alte Bruns mit umwölkter Stirn, »doch werden die gnädige Frau jedenfalls wohl thun, ihn zu empfangen.«

»So führe ihn herein.«

Als der Advokat eintrat, verbeugte er sich sehr höflich vor der alten Dame.

»Was führt Sie zu mir?« fragte diese, auf einen Stuhl weisend.

Der Anwalt brachte ein Papier zum Vorschein. »Dies ist eine in gehöriger Form ausgestellte Vollmacht Ihres Stiefsohnes, des Baron von Bartenstein,« bemerkte er.

»Nun, was soll das?«

Strubs lächelte ironisch. »Erlauben Sie, daß ich gerade auf mein Ziel losgehe. Es haben zwischen Ihnen Beiden mehrfache mündliche Verabredungen stattgefunden, wonach Sie, Frau Gräfin, dem Freiherrn die feierliche Zusage machten, ihn zum Erben Ihrer Güter einzusetzen.«

»Welche Unverschämtheit! Es ist mir dies nie eingefallen, im Gegentheil, ich habe ihm rundweg erklärt, daß er sich darauf auch nicht die geringste Hoffnung machen könnte.«

»Aber er ist doch Ihr nächster Erbe.«

»Wissen Sie dies ganz bestimmt?« fragte die Gräfin mit einem kalten Lächeln.

»Wenigstens der einzige legitime Erbe,« dies glaube ich mit Zuverlässigkeit behaupten zu dürfen.

»Nun, mein Herr, wenn Sie Ihrer Sache so gewiß zu seien meinen, so sagen Sie meinem Stiefsohn, daß er trotzdem keinen Heller von mir zu erwarten hat.«

»Ist dies Ihr letztes Wort?«

»Mein letztes, darauf können Sie sich verlassen!«

»Dies ändert allerdings die Sache,« sagte Strubs mit einem erneuerten höhnischen Lächeln, »indessen demungeachtet bin ich noch nicht am Ende.«

»Ich wünsche aber sehr, daß ein Schluß unserer Unterredung herbeigeführt werde.«

»Wie Sie befehlen. Was ich Ihnen jetzt noch mitzutheilen habe, geschieht übrigens im ausdrücklichen Auftrage des Freiherrn. So hören Sie, Frau Gräfin. Auf keinen Fall wird derselbe auf die ihm zustehende Erbschaft verzichten, denn der Sohn Ihrer verstorbenen Tochter, welcher so sorgfältig verborgen gehalten wird, ist ein illegitimes Kind.«

»Ist dies schon so bestimmt erwiesen?« fragte die Dame.

»Nun, weshalb versteckt man denn den Knaben? Doch ich bleibe bei der Erbschaftsangelegenheit stehen. Halten Sie an Ihrer Weigerung fest, so ist Ihr Stiefsohn fest entschlossen, gewisse Dinge an's Tageslicht zu bringen.«

»Gewisse Dinge?«

»Ja, gewisse Familiengeheimnisse, die bisher aus Schonung für Sie geheim gehalten wurden. Sie wissen, was man sich über den plötzlichen Tod Ihres Gemahls in die Ohren flüstert und daß man behauptet, daß derselbe durch Gift, welches Sie ihm reichten, herbeigeführt worden sei.«

Strubs hatte sich erhoben und betrachtete jetzt die alte Dame mit einem kalten boshaften Blick. Er hatte sich von dieser Enthüllung unzweifelhaft eine große Wirkung versprochen, und war nun nicht wenig erstaunt, als die Gräfin einen Augenblick zwar heftig zusammenzuckte, doch schließlich mit anscheinender Ruhe die Frage an ihn richtete:

»Nun also, was will mein Sohn thun, wenn er nicht mein Erbe wird?«

»In diesem Falle ist er fest entschlossen, eine Anklage wegen Giftmordes gegen Sie einzuleiten.«

Einen Augenblick schien Frau von Plankenburg die bisher mühsam bewahrte Fassung zu verlassen und die Bestürzung und Verwirrung malten sich offen in ihrem Gesicht, was Strubs im Stillen mit Genugthuung bemerkte. Doch bald raffte sich die willenskräftige Frau wieder empor und den Blick fest auf den Advokaten gerichtet, erwiderte sie möglichst ruhig:

»Gott ist mein Zeuge, daß ich an dem mir angedichteten Verbrechen unschuldig bin, so sehr vielleicht auch Manches gegen mich sprechen mag. Will der Freiherr mir und sich selbst die Schande bereiten, unter der Anklage einer solchen That mich vor den Schranken des Gerichts erscheinen zu sehen, so mag er dies thun, ich werde es als eine mir von Gott auferlegte Buße für so manches Unrecht betrachten, welches ich durch seine Einflüsterungen begangen habe, nie aber soll mich selbst eine solche Drohung dazu bewegen, dem Sohne meiner unglücklichen Tochter sein rechtmäßiges Erbe zu Gunsten eines entarteten Bösewichts zu entziehen.«

Diese Erklärung hatte der Advokat nicht erwartet, er war der Meinung gewesen, daß die Gräfin sich zum Mindesten schließlich auf einen Vergleich einlassen würde. Solchen zu bewirken, wollte er noch jetzt, wo der erste Ueberfall mißglückt war, einen Versuch machen.

»Bedenken Sie wohl, was Sie thun,« rief er, »und geben Sie nach. Es mangelt Ihnen an Mitteln die Anklage zurückzuweisen, dies ist mir bekannt, und wenn auch wirklich kein ›schuldig‹ gegen Sie ausgesprochen werden sollte, so würden Sie doch für Ihr ganzes Leben an den Pranger gestellt sein.«

Jetzt erhob sich Frau von Plankenburg mit Würde und befehlend den rechten Arm gegen Strubs ausstreckend, rief sie:

»Hinaus Elender! Welche Leiden mir auch aufgespart sein mögen, so erschrecken mich diese doch weniger, als Ihr Anblick mich anekelt! Hinaus sage ich, Sie Viper, und unterstehen Sie sich nie wieder, die Schwelle meines Hauses zu betreten!«

Die Augen des Advokaten leuchteten wie die eines Schakals.

»Wohlan,« lautete die nun ebenfalls drohende Antwort, »wohlan, Sie sollen bald erfahren, mit wem Sie es zu thun haben! Der Giftmischerei und des Gattenmordes beschuldigt, werden Sie auf der Anklagebank bald einen Platz finden!«

Er stürzte fort, während die alte Dame, sich jetzt allein überlassen, geknickt zusammenbrach und krampfhaft zu schluchzen begann.

»Hatte ich Erbarmen mit meinem Kinde, als es, noch sterbend meine Füße zu umklammern suchte?« rief sie stöhnend. »Welches Recht besitze ich, um die Nachsicht und das Mitleid der Menschen jetzt für mich zu beanspruchen, da ich Beides meiner unglücklichen Tochter verweigerte? Wohlan, es sei, ich werde dieses Kreuz auf mich nehmen und dessen Last als eine gerechte Strafe tragen!«

 

Bemerken müssen wir übrigens, daß Strubs diesesmal seinen Schreiber Wabbs mit nach dem Schlosse genommen hatte. Herr Wabbs war, wie wir wissen, kein Adonis, aber er besaß ein großes Spürtalent und so war von ihm in Folge dessen schon bei früheren Gelegenheiten in Bezug auf Therese, welche jetzt die Stelle einer Wirthschafterin im Schlosse versah, zweierlei entdeckt worden: daß nämlich die alte Jungfer, ungeachtet sie sich bereits den Fünfzigern näherte, doch noch keinesweges abgeneigt war, es mit dem Ehestande zu versuchen, und daß sie sich außerdem während ihrer langen Dienstzeit ein recht hübsches Sümmchen zusammengespart hatte.

Für Wabbs war dies eine Veranlassung geworden den Versuch zu machen, die so lange verschlossen gehaltene Herzenspforte der würdigen Dame zu sprengen, er hatte ihr gesagt, daß er genau in die Geschäfte seines Prinzipals eingeweiht sei, daß er sich mit seinen Ränken und Schlichen bekannt gemacht, und daß er bestimmt behaupten könne, es sei viel Geld zu verdienen, wenn es gelänge, sich einen Theil der Praxis des Advokaten anzueignen. Die alte Wirthschafterin verstand diesen Wink und als Wabbs es wagte, ihr feurig die Hand zu drücken, begegnete er einem verschämten Lächeln und fühlte gleichzeitig die Erwiderung seines Händedrucks.

Kurz und gut, jetzt wo der Anwalt im Zimmer der Gräfin mit dieser verhandelte, hatte der Schreiber durch einen ungestümen Frontangriff das Herz Theresens erobert und den ersten Kuß der Liebe mit ihr ausgetauscht. Die Zukunft wurde besprochen und bei dieser Gelegenheit gab Wabbs seinen ganzen Haß gegen Strubs zu erkennen.

Hierbei kam man auch auf den Brief zu sprechen, welcher dem alten Bruns in so frecher Weise gestohlen worden war und nach einigem Zögern gestand unser Bekannter, daß er zu wissen glaube, in wessen Händen sich derselbe befinde. Dies hatte wieder von Seiten der Haushälterin die Erklärung zur Folge, daß sie Mitwisserin eines Familiengeheimnisses sei, mit welchem dieser Brief in engster Verbindung stehe und daß sie an das Versprechen, mit Herrn Wabbs durch's Leben zu gehen, die Bedingung knüpfe, sich um jeden Preis in den Besitz desselben zu setzen. Zu welchen Resultaten dies schließlich führte, werden wir später erfahren.

 

Gleich nach der Entfernung des Sachwalters hatte die Gräfin ihren Wagen befohlen und war nach der Stadt abgereist. Dort begab sie sich zunächst zu ihrem Anwalt und hatte mit diesem eine lange Unterredung.

Ihr nächster Gang war dann zu Sabinens Oheim, dem Fabrikanten Hayder. Nicht wenig erstaunt war der alte Herr, als ihm der vornehme Besuch gemeldet wurde. Er hatte zwar gehört, daß Frau von Plankenburg seiner Nichte in der letzten Zeit viele Theilnahme bewiesen, allein er kannte den kalten stolzen Charakter derselben auch zur Genüge, um zu begreifen, daß eine ganz außergewöhnliche Ursache vorhanden sein müsse, die sie veranlaßt hatte, diese Visite abzustatten.

»Womit kann ich dienen?« fragte er unter einer höflichen Verbeugung, als er Frau von Plankenburg gegenüberstand.

»Ich komme in einer Angelegenheit, welche Ihnen ebenso am Herzen liegt wie mir. Es handelt sich dabei um Ihre Nichte.«

»Wie, um die arme Sabine? Ist sie auf ihrer Reise kränker geworden?«

»Sie glauben also wirklich an dieses Märchen?«

»Noch vor acht Tagen hat mir der Freiherr auf sein Ehrenwort versichert, er habe seine Gattin zur Stärkung von deren Gesundheit nach dem südlichen Frankreich geschickt.«

»Was gilt das Wort eines solchen Menschen,« bemerkte die Gräfin verächtlich, »er, der sich nicht scheut, mich selbst eines verabscheuungswürdigen Verbrechens anzuklagen.«

»Sie erschrecken mich.«

»Es ist auch haarsträubend. Machen Sie sich nur darauf gefaßt, mich binnen Kurzem vor den Schranken des Gerichts erscheinen zu sehen, um wegen eines Mordes, dessen mich mein Stiefsohn anklagt, abgeurtheilt zu werden.«

»Mein Gott!« rief Hayder, blickte aber doch dabei die Gräfin mißtrauisch an, denn auch zu seinen Ohren war das dunkle Gerücht von dem gegen sie einen so starken Verdacht erregenden Todes ihres ersten Mannes gedrungen.

Frau von Plankenburg entging dieses Benehmen nicht, doch furchtlos blickte sie dem Fabrikanten ins Gesicht und bemerkte ruhig:

»Meine erste Ehe war eine unglückliche und Jähzorn und Hypochondrie wechselten bei meinem Manne häufig. Wenn mein Stiefsohn aber glaubt, ein Mord belaste meine Seele, so irrt er sich, die Schande einer solchen Anklage wird schließlich auf ihn selbst zurückfallen.«

»Gott gebe es,« murmelte der Kaufherr.

»Glauben Sie nun,« fuhr die alte Dame fort, »daß ein solcher Mensch schonend gegen Sabine verfahren sein wird? Er wollte sie los sein, das ist weltbekannt, und als sie nicht ging, verschwand sie eines Tages plötzlich. Die Geschichte von der Reise ist ganz einfach eine Lüge, dagegen bin ich überzeugt, daß er die Arme irgendwo eingesperrt hält.«

Der Fabrikant zuckte zusammen. »Das wäre ja eine teuflische Handlungsweise! Und welchen Vorwand könnte er für ein solches ungesetzliches Verfahren haben?«

»Er erklärte ja laut und öffentlich, daß seine Frau schon seit längerer Zeit irrsinnig sei.«

»O, meine arme Nichte,« jammerte der alte Mann und ging händeringend im Zimmer auf und ab. Dann blieb er vor seinem Besuch stehen und sagte:

»Morgen reise ich nach Schloß Bartenstein und werde den Baron zwingen, mir den Aufenthalt der Unglücklichen anzugeben.«

»Damit werden Sie nichts erreichen. Sie müssen die Hilfe des Gerichtes gegen ihn in Anspruch nehmen, dies ist der einzige Weg, um ein günstiges Resultat zu erzielen. Inzwischen leben Sie wohl, ich verreise auf längere Zeit, werde aber, wenn man die Drohung gegen mich ausführen und eine Anklage erheben sollte, zur rechten Zeit wieder hier sein.«

 

Unterdessen hatte Hayder wirklich die Reise nach dem Schlosse angetreten, war aber unverrichteter Sache wieder zurückgekehrt. Herr von Bartenstein wollte ihn erst gar nicht vorlassen und als dies schließlich geschah, war er dem würdigen Mann grob und abstoßend entgegengetreten. Er erklärte demselben kurzweg, seine Frau sei verreist, wie er ihm ja bereits früher erklärt habe, ihr Zustand wäre seitdem ein schlimmerer geworden und er fühle sich durchaus nicht veranlaßt, unberufene Personen mit ihrem Aufenthalt bekannt zu machen.

Hayder schwieg aus Klugheit, weil er wohl sah, daß er es mit einem abgefeimten Bösewicht zu thun hatte. Im Stillen ergriff er jedoch seine Maßregeln.

Er wandte sich an den Staatsanwalt und erlangte wenigstens für's Erste so viel, daß zwei geschickte Criminalbeamte verkleidet abgeschickt wurden, um sowohl den Baron, wie die Personen, mit denen er im Geheimen verkehrte, zu beobachten.

Auch die Gräfin von Plankenburg schickte sich kurz nach der Rückkehr auf ihre Besitzung zu einem weiteren Besuch in der Nachbarschaft an. Ueberhaupt entwickelte die alte Dame eine außergewöhnliche Rührigkeit und ihre sonst so strengen Züge hüllten sich zuletzt in einen Ausdruck der Ruhe, welche darthat, daß sie zu Entschlüssen gelangt war, die viel zur Herstellung ihres inneren Friedens beigetragen hatten. Ruhig und mit sanfter Stimme gab sie ihre Befehle, niemals wurde ein Scheltwort, ja selbst ein Tadel gegen ihre Leute laut.

Nicht ohne Befangenheit hatte sie indessen diesmal die kleine Reise angetreten, denn es galt, einem Manne gegenüberzutreten, der sich stets als strenger Richter gegen sie gezeigt und welchen sie jetzt außerdem noch für Zwecke, die ihr am Herzen lagen, gewinnen wollte. Der Hauptmann von Wenkstern – denn diesem galt der Besuch – war durch ein besonderes Schreiben von ihrem Erscheinen unterrichtet worden, und hatte sie zwar in einem sehr höflichen, aber auch in einem sehr kalten Tone benachrichtigt, daß er zu ihrem Empfange bereit sei.

Jetzt stand sie vor ihm und blickte nicht ohne Befangenheit, ja selbst nicht ohne Scheu, in sein ernstes, in eine kalte Zurückhaltung gehülltes Gesicht. Mit jener Höflichkeit, welche gebildete Leute nie verläßt, selbst wenn sie ein unangenehmes und peinliches Geschäft abzumachen haben, verbeugte er sich vor der alten Dame, führte sie nach einem Sessel und nahm selbst ihr gegenüber Platz.

»Sie haben das Verlangen nach einer Unterredung mit mir ausgesprochen,« begann er mit einer kühlen Verbeugung, »und ich habe geglaubt Ihrem Wunsche nachkommen zu müssen, obgleich es mir, offen gestanden, lieber gewesen wäre, Sie hätten diese Begegnung vermieden.«

Die Gräfin senkte den Blick und ihre Stimme zitterte etwas, als sie sich zu einer Antwort anschickte.

»Nur als eine Schuldige muß ich Ihnen erscheinen,« begann sie, »das weiß ich und thue dagegen auch keinen Einspruch. Hart und grausam habe ich als Mutter gehandelt und der Stimme der Natur mein Ohr verschlossen, als meine unglückliche Tochter, Vergebung erflehend, zu meinen Füßen lag.«

»Nur zu wahr,« murmelte Herr von Wenkstern.

»Ein Dämon beherrschte mich damals,« fuhr Frau von Plankenburg fort, »ein Dämon, welcher mich auch jetzt noch seine Rache fühlen läßt, nachdem ich mich von ihm losgesagt habe.«

»Wie so?« fragte der Hauptmann gespannt,

»Binnen Kurzem werden Sie ein schreckliches Familiendrama erleben, Sie werden mich, von meinem Stiefsohn des Gattenmordes beschuldigt, auf der Anklagebank erblicken.«

Herr von Wenkstern schauderte, er wagte keine Bemerkung, sondern blickte die Gräfin nur scheu von der Seite an.

»Ich weiß wohl,« fuhr diese mit ruhiger Stimme fort, »daß bei vielen Personen der Glaube vorhanden ist, ich sei wirklich schuldig und dieser Glaube hat sich befestigt, weil ich bisher zu stolz war, einem so schmachvollen Gerücht entgegenzutreten. Dennoch,« und hier erhob die alte Dame furchtlos den Blick und sah ihrem Gesellschafter offen in die Augen – dennoch schwöre ich Ihnen unter Anrufung Gottes, auf dessen Gnade und Barmherzigkeit ich rechne, daß ich unschuldig bin.«

»Gebe es der Himmel,« sagte der Hauptmann mit leiser Stimme.

»Ich selbst sehe mit Resignation der Stunde entgegen, wo ich mich öffentlich zu rechtfertigen haben werde,« fuhr die Sprecherin fort, »denn ich betrachte diese Anklage als eine Sühne für meine grausame Handlungsweise und nehme sie somit in Demuth hin. Aber es liegt mir daran, aus dem Munde der wenigen Menschen, welche ich achte und ehre, schon jetzt zu hören, daß dieselben an meine Schuld nicht glauben. Sprechen Sie also, Herr Hauptmann, erblicken Sie in mir die Mörderin?«

Diese Frage hatte die alte Dame mit tiefbewegter Stimme gethan, und als sie jetzt ihrem Gesellschafter in's Gesicht blickte, rollten zwei dicke Thränen über ihre Wangen. Herr von Wenkstern besaß bei aller Strenge seines Charakters doch ein edles; und weiches Herz. Als er daher jetzt in das Antlitz der Gräfin schaute und den sich kundgebenden Schmerz aus demselben herauslas, drängte sich ihm die Ueberzeugung auf, daß hier keine Verstellung obwalte, und dieser Ueberzeugung folgend, erwiderte er mit fester Stimme:

»Nein, Frau Gräfin, von diesem Augenblick an halte ich Sie einer so schrecklichen That nicht fähig.«

»O, seien Sie gepriesen für diese Worte,« rief Frau von Plankenburg und zugleich griff sie nach der Hand des Hauptmanns, um dieselbe an ihre Lippen zu drücken.

Bestürzt entzog sich derselbe einer solchen Huldigung. Die stolze Frau, welche stets mit vornehmer Kälte auf Jeden, der sich ihr näherte, herabblickte, unterwarf sich freiwillig einer solchen Demüthigung! Wäre noch irgend Etwas im Stande gewesen, unseren Bekannten von ihrer Unschuld zu überzeugen, so war es ein solcher Act, denn er konnte nur durch die überströmende Freude ihres Herzens, von einem ehrenwerthen Manne freigesprochen worden zu sein, hervorgerufen werden. In einem weit milderen Tone wie bisher setzte er daher hinzu:

»Nun beruhigen Sie sich aber auch und haben Sie mir noch etwas mitzutheilen, so werden Sie einen aufmerksamen Zuhörer an mir finden.«

»Allerdings ist dies der Fall und Ihre Güte macht mir Muth, Ihnen noch weiter mein Herz auszuschütten. Meine arme unglückliche Tochter …«

»Sie werden sich von Neuem aufregen –«

»Meine Thränen können dieselbe nicht mehr wachrufen,« fuhr die Gräfin fort, »die Vorwürfe, welche ich täglich empfinde, muß ich mit in's Grab nehmen. Aber sie hat einen Sohn hinterlassen, und dieses Kind an mein Herz zu drücken, und ihm meine ganze Liebe zuzuwenden, dies ist mein sehnlichster Wunsch.«

Die Stirn des Hauptmanns zog sich in Falten.

»Ich weiß, in welcher edlen Weise Sie gegen den kleinen Alfred gehandelt haben, wie Sie ihn gegen die Verfolgungen seiner Feinde schützten und ihn an einen Ort in Sicherheit brachten, der nur Ihnen bekannt ist. O, lassen Sie mich zu dem Kinde, lassen Sie mich demselben von jetzt an eine zweite Mutter sein, ich flehe Sie auf meinen Knieen darum an!«

Die alte Dame wollte wirklich einen Fußfall thun, aber Herr von Wenkstern kam ihr zuvor, hob sie empor, und antwortete tief bewegt:

»Nicht jetzt, nicht eher, bis Ihr Proceß entschieden ist.«

»Haben Sie Erbarmen, Gott wird es Ihnen vergelten.«

Der edle Mann kämpfte einen harten Kampf. Er sah die Thränen der alten Frau, er sah ihre flehend erhobenen Hände, er glaubte jetzt sogar die Stimme Helenens zu vernehmen, welche sich mit den Bitten ihrer Mutter vereinigte.

»Wohlan,« sagte er, »ich hatte mir eigentlich gelobt, über den Aufenthalt des Knaben so lange das tiefste Stillschweigen zu beobachten, bis dessen Zukunft auf gesetzlichem Wege endgiltig entschieden sei, allein Ihre Thränen haben mich besiegt, und so mag es denn sein, Sie sollen den kleinen Alfred sehen.«

Ueberrascht fuhr Frau von Plankenburg empor; aus ihren Blicken strahlte die reinste Freude.

»Dank, innigen Dank für die kaum erhoffte Großmuth,« rief sie. »Und hier« – dabei zog sie ein Document aus der Tasche – »hier übergebe ich Ihnen mein Testament, durch welches mein Enkel zu meinem alleinigen Erben eingesetzt wird.«

»Er hat ja auch ein volles Recht dazu,« bemerkte der Hauptmann ernst, »denn in diesem Schrank verwahre ich Papiere, die über seine legitime Geburt nicht den geringsten Zweifel aufkommen lassen.«

»Im anderen Falle würde ich ihn adoptirt haben.«

»Nun, ich sehe wohl, es ist Ihnen wirklich darum zu thun, Ihr früheres Unrecht wieder gut zu machen. Ich werde Ihnen einen Brief an meinen Freund Titus Feuerkopf mitgeben und Sie dürfen sich eines guten Empfanges gewärtigen.«

»Wer ist denn dieser Herr Titus Feuerkopf?«

»Ein kreuzbraver Mensch, so eine Art Naturphilosoph, welcher den kleinen Alfred mit Argusaugen hütet und der nur die einzige Schwäche hat, daß er mitunter etwas zu tief in den Bierkrug blickt. Sie erinnern sich doch wohl noch seines Vaters, der hier im Orte Geistlicher war.«

»O, sehr gut, der Sohn sollte ja wohl studiren?«

»Allerdings. Aber Titus fand keine Lust daran und zog es vor, sich in einem reizenden kleinen Erdwinkel als Hauspatriarch niederzulassen. Er ist ein Original, eine besondere Studie für einen Psychologen, und Sie werden sich in seiner und seiner Frau Gesellschaft behaglich fühlen.«

Die Gräfin hatte sich inzwischen erhoben. »Wir scheiden also völlig ausgesöhnt?« fragte sie, Herrn von Wenkstern ihre Hand entgegenstreckend.

»Wenn es Ihnen Trost gewährt, so bekräftige ich dies durch ein lautes Ja. Reinigen Sie sich von der schweren Anklage, welche man gegen Sie erhoben hat; doch ich hoffe, daß Ihnen dies gelingen wird und somit Gott befohlen!«

Am anderen Tage versammelte die Gräfin ihre Dienerschaft und erklärte derselben, daß sie im Begriff stehe, auf längere Zeit zu verreisen. Den alten Bruns ernannte sie zum Verwalter des ausgedehnten Gutes und händigte ihm zu diesem Zweck eine Vollmacht ein. In außergewöhnlichen Fällen sollte er sich an ihren Rechtsanwalt wenden und und an diesen auch alle Gelder abliefern.

 

Es war am dritten Tage nach ihrer Abreise, als Frau von Plankenburg ganz in der Nähe des Häuschens, welches Titus Feuerkopf sich zum Ruhesitz auserwählt hatte, den Postwagen verließ und diesem zuschritt. Ganz wie damals, als Herr von Wenkstern zum ersten Mal in diese abgelegene Gegend kam, war auch jetzt das mit Rebenlaub umzogene Fenster geöffnet und der ehemalige Student hatte eben das bekannte Lied:

Vivat Bacchus, Bacchus lebe,
Bacchus war ein braver Mann.

angestimmt, als er aus seiner Bier-Idylle plötzlich durch einen lauten Aufschrei Susannens gestört wurde, welche sich mit dem kleinen Alfred in der Nähe des Hauses aufhielt:

»Holla, was giebt es?« rief unser Philosoph, seinen schwarzen Lockenkopf besorgt zum Fenster hinausstreckend. Aber schon stand die Gräfin vor ihm, welcher jetzt Susanne, den Knaben an der Hand, mit allen Anzeichen der Angst folgte, denn als die ehemalige Gebieterin ihr Stillschweigen gewinkt, hatte die Macht der Gewohnheit sie, eingeschüchtert, und das Schlimmste für sich und das Kind fürchtend, folgte sie nun mit gesenktem Kopfe derselben.

»Habe ich das Vergnügen, mich Herrn Titus Feuerkopf gegenüber zu befinden?« fragte die alte Dame mit einer leichten Neigung des Hauptes.

Die Haltung der Gräfin imponirte dem Naturphilosophen, aus ihrer reichen Kleidung schloß er, daß er sich einer vornehmen Persönlichkeit gegenüber befinde.

Er antwortete daher unter einer tiefen Verbeugung, mit dem ihm eigenen Pathos:

»Als Titus Feuerkopf kennt mich allerdings die Welt, doch der gnädigen Frau gegenüber bin ich nur deren ergebener Diener.«

Die Gräfin mußte lächeln. »Ich bin die Ueberbringerin eines Schreibens des Hauptmann von Wenkstern,« fuhr sie fort, »und dieser versicherte, daß mir dasselbe die Thüre Ihres Hauses öffnen würde.«

»Gesegnet sei Ihr Eintritt,« rief hocherfreut Herr Titus, »einen besseren Geleitsschein hätten Sie nicht empfangen können.«

»O, der gute, liebe Herr!« stieß nun auch Susanne heraus.

»Das ist er auch,« bemerkte mit bewegter Stimme die alte Dame, »und Du hättest Dir Deinen Aufschrei, ersparen können, denn die Liebe zu meinem Enkel führt mich hierher und auch mit Dir meine ich es gut. Mein theures, liebes Kind,« setzte sie hinzu, Alfred an sich ziehend und diesen mit Küssen bedeckend, »auch Dir bin ich fremd durch meine Schuld, doch nun soll es anders werden und was Deine alte Großmutter in ihrem Herzen an Liebe besitzt, das wird Dir zugewendet werden.«

Schüchtern blickte der Knabe zu der fremden Dame empor, doch als Susanne ihm beruhigend zunickte, lächelte er und ließ sich ihre Liebkosungen gefallen.

Inzwischen hatte Herr Titus Feuerkopf die Gräfin mit aller ihm zu Gebote stehenden Galanterie in's Wohnzimmer complimentirt und dort erwartete dieselbe bereits dessen umfangreiche Ehehälfte und knixte nach Herzenslust, während sich der Bacchusanbeter in eine Ecke zurückzog und dort den Brief des Hauptmanns mit großer Aufmerksamkeit durchlas. Als er damit zu Ende war, sagte er, sich zu seinem Besuch wendend:

»Betrachten Sie von jetzt an mein Haus als das Ihrige. Liebe Frau, dies ist die Gräfin von Plankenburg, sie wird uns die Ehre erzeigen, einige Wochen hier zuzubringen.« –

Erneuertes Knixen erfolgte und das volle behäbige Gesicht der dicken Dame strahlte in so freundlicher und gutmüthiger Weise, daß sich die Gräfin bereits nach einer halben Stunde in dem kleinen netten Häuschen heimisch fühlte und ihrer Wirthin warm und innig die Hand drückte, als diese sie auf ihr Zimmer führte. Schon in wenigen Tagen hatte man sich gegenseitig näher kennen gelernt und liebgewonnen, auch Alfred zeigte bald große Anhänglichkeit an die so plötzlich zum Vorschein gekommene Großmutter, so daß diese nicht aufhörte, das Kind zu liebkosen und fast nicht mehr ohne dessen Begleitung sein konnte.



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