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Eine Stunde von dem Forsthause entfernt, zeigte sich ein weitläufig angelegter Park und dicht hinter demselben lag das Schloß, welches der Gräfin von Plankenburg zum Witwensitz diente. Dieses Schloß mit seinen verwitterten Mauern, mit feinen nicht minder bereits vom Alter geschwärzten Eckthürmen, endlich mit seinen hohen schmalen Spitzbogenfenstern, hatte ein düsteres Ansehen. Mit dieser Düsterheit harmonirte die Stille, welche rings um das alterthümliche Gebäude herrschte. Kein geschäftiges Leben, wie dies sonst auf einem großen ländlichen Herrschaftssitze der Fall zu sein pflegt, gab sich kund, nur hier und da überschritt ein männlicher oder weiblicher Dienstbote den geräumigen Hof, um sich nach den Ställen oder Scheuern zu begeben, oder die Gestalt eines Livréebedienten zeigte sich für einige Augenblicke am Ausgang des hohen Portals, um in den nächsten Minuten wieder zu verschwinden.
Es mochte jetzt etwa gegen neun Uhr des Morgens sein, als eine Dame, die dem Anschein nach etwa sechzig Jahre alt sein mochte, aus einer Seitenthüre in einen kleinen Salon trat, welcher offenbar als Speise- und Frühstückzimmer diente. Ihre Gestalt, noch immer gerade und aufrecht, hatte etwas Stolzes und Gebieterisches, während sich in ihren strengen Zügen Härte und Kälte abspiegelte. Indem sie in einem weichgepolsterten, mit feinem Sammet ausgeschlagenen Lehnstuhl Platz nahm und nach einem Journal griff, deren mehrere auf einem runden, zierlich gearbeiteten Tisch ausgebreitet waren, trat unmittelbar darauf ein Diener in's Zimmer und begann schweigend das Frühstück zu serviren.
»Hat mein Sohn nicht sagen lassen, ob er von seiner Besitzung herüber kommt?« fragte die Dame, welche keine andere als die Gräfin von Plankenburg war, mit zurückgeworfenem Kopfe.
»Soeben ist ein Bote des Freiherrn angelangt; er wird sich die Ehre geben, in einer Stunde seine Aufwartung zu machen.«
Der Freiherr war der Stiefsohn der Gräfin, der Baron von Bartenstein, welcher sich bereits im selbstständigen Besitz eines in der Nachbarschaft gelegenen Gutes befand, das er von seinem verstorbenen Vater geerbt hatte.
»Es ist gut, Du kannst gehen,« bemerkte die Schloßherrin mit einem kalten strengen Blick zu dem Diener, während sie gleichzeitig wieder nach der vor ihr liegenden Lectüre griff. Aber schon kurze Zeit nachher schob sie dieselbe ungeduldig bei Seite und stützte, offenbar übel gelaunt, den Kopf in die Hand.
»Ich möchte nur wissen,« sagte sie im rauhen Tone, »wie der Hauptmann dazu kommt, mich abermals an dieses entartete, ungerathene Geschöpf zu erinnern! … Wer giebt ihm ein Recht dazu, sich fortwährend zum Vermittler in einer Angelegenheit aufzuwerfen, die ich längst endgiltig entschieden habe! … Sie bleibt ein für allemal verstoßen, die Unwürdige, und nie werde ich ihr wieder Verzeihung angedeihen lassen – mein ganzer Haß soll sie verfolgen und bis zu ihrem letzten Athemzuge mag sie es empfinden, wie tief sie meinen Stolz verletzte und welche Schande sie über einen alten, bisher unbefleckten Namen brachte. Ja, wenn sie jetzt vor mir erschiene, die Bettlerin, und sich mir zu Füßen würfe, ich würde sie von mir stoßen und ihr von Neuem meinen Fluch nachsenden.«
Die Augen der Sprecherin glühten, während sie krampfhaft die Faust ballte. Es war offenbar, daß sich jene Unnatur bei ihr geltend machte, welche vielfach für den Beobachter ein psychologisches Räthsel ist und die häufig nur eines Anstoßes bedarf, um mit einem Verbrechen zu enden. Uebrigens lastete auch, wie wir im weiteren Laufe der Erzählung sehen werden, der Verdacht eines solchen auf der Gräfin und wenn bisher auch kein Ankläger gegen sie aufgetreten war, so flüsterte man sich doch über das schnelle Ende ihres ersten Gemahls, welchen sie ebenfalls durch ihre Kälte und Herzlosigkeit gepeinigt hatte, allerhand verdächtige Dinge in die Ohren. Daß die grausamen Worte, welche eben über ihre Lippen gegangen waren, ihrer Tochter Helene galten und daß der Fürsprecher derselben kein Anderer als der von der Letzteren gegen Susanne erwähnte Hauptmann von Wenkstern war, wird der Leser bereits errathen haben.
Doch bevor wir das Drama weiter ausspinnen, welches sich vor den Augen desselben entwickeln wird, müssen wir ihn vorher noch nach einem anderen Ort führen. Herr von Bartenstein stand eben im Begriff, einen leichten Jagdwagen zu besteigen, um, wie dies von ihm täglich zu geschehen pflegte, seiner Stiefmutter auf dem nur etwa eine Stunde von seiner Besitzung gelegenen Schlosse einen Besuch abzustatten, als er in der Ferne Caspar Watt bemerkte, der sich mit einer Hast, die auf etwas Ungewöhnliches hindeutete, dem Hofe näherte und jetzt, wo er bemerkte, daß der Freiherr zur Abfahrt bereit sei, sogar sein Taschentuch schwenkte, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Was will das Galgengesicht?« murmelte Herr von Bartenstein, indem er die Ankunft des Waldhüters abwartete.
Dieser Letztere zog jetzt seine Kopfbedeckung und sagte:
»Es ist gut, daß ich Euer Gnaden noch zu Hause angetroffen; drüben auf der Haide hat sich diese Nacht etwas Außergewöhnliches ereignet.«
»Ist von Dir vielleicht wieder ein Förster oder sonst Jemand zuschandengeschossen worden?« bemerkte der Freiherr, indem er seinen Vertrauten höhnisch anblickte.
Dieser sandte heimlich dem Fragesteller einen giftigen Blick zu, besann sich aber doch wieder sofort und erwiderte die ihm zugeschleuderte Bemerkung durch ein halbdemüthiges, halb entgegenkommendes Grinsen.
»Na, Watt,« fuhr der Freiherr beruhigend fort, die Geschichte ist mit dem Tode des Försters längst begraben und aus einem verwegenen Wilddieb bist Du ja jetzt ein ehrsamer Waldhüter geworden. Spaßhaft war es allerdings, als ich Dich unmittelbar nach der That etwas unsanft beim Kragen erfaßte. Freilich, Du hattest keine Ahnung davon, daß ich nur zehn Schritte von Dir im tiefen Gebüsch ebenfalls auf dem Anstand stand, und als der alte Ortmann, von Deiner Kugel getroffen, so plötzlich zusammenbrach, da verließ Dich doch wohl für einen Augenblick Deine sonstige Vorsicht und Du bemerktest mich erst, als sich meine Hand nach Dir ausstreckte.«
»Hätte ich ihn nicht niedergeschossen, er würde es gegen mich gethan haben,« knurrte Caspar.
»Wäre wohl möglich gewesen. Uebrigens bist Du bei der Geschichte nicht schlecht fortgekommen. Ich nahm Dich in meine Dienste, weil ich einen solchen Kerl, wie Du bist, gerade brauchen konnte und so lange Du mir treu dienst, hast Du von mir nichts zu befürchten.«
»Ich denke, darüber haben Euer Gnaden sich nicht zu beklagen,« entgegnete Watt ziemlich trotzig, »ich meine aber, Sie lohnen mir meine Treue nicht besonders, wenn Sie mich fortan an eine Sache erinnern, die eigentlich längst vergessen sein sollte.«
»Die Bestie zeigt die Zähne,« dachte Herr von Bartenstein, wobei er seinen Vertrauten mißtrauisch von der Seite anblickte. Dann schlug er einen freundlichen Ton an und sagte in zutraulicher Weise:
»Nun, laß es gut sein Caspar, meine Worte waren nicht so schlimm gemeint. Berichte also jetzt, was Dich schon so früh hieher geführt hat.«
»Es ist ein Vorfall, welcher Sie eben nicht angenehm stimmen wird.«
»Fasse Dich kurz,« rief der Freiherr ungeduldig, »was giebt es?«
»Nun, als ich diese Nacht nach Hause kam, fand ich Besuch bei mir.«
»Was geht das mich an?«
»Mehr wie Euer Gnaden denken. Denn die Dame, welche bei Sturm und Regen über die Haide schritt und bei meiner Frau eine Zuflucht suchte, ist niemand Anders als Ihre Stiefschwester, die vor fünf Jahren mit dem Herrn von Lockstädt heimlich entfloh.«
Jetzt zuckte der Baron heftig zusammen und ein finsterer, in kalte Bosheit getränkter Blick schoß aus seinen grauen Augen.
»Wie,« rief er, »die Verworfene wagt es, sich in der Nähe des Schlosses blicken zu lassen? – Was will die Bettlerin hier? – weiß sie denn nicht, daß sie für immer verstoßen ist?«
Watt, welcher es der Klugheit angemessen fand, nur halb die Wahrheit zu sagen, bemerkte mit scheinbarer Ruhe:
»Was sie hier will, das weiß ich nicht, denn sie hat es mir nicht anvertraut, sie kam krank und elend an und es wäre am Ende wohl möglich, daß sie die Absicht hätte, der Gräfin auf dem Schlosse einen Besuch abzustatten.«
»Das darf nicht geschehen, so etwas muß um jeden Preis verhindert werden!«
»Deswegen bin ich eben hier, um mir Befehle einzuholen.«
Herr von Bartenstein sann einen Augenblick nach.
»Kehre unverweilt zurück,« rief er, »halte sie um jeden Preis fest, sperre sie nöthigenfalls ein, ich gebe Dir Vollmacht dazu. Später werde ich Mittel finden, sie von hier wieder zu entfernen, oder unschädlich zu machen. Vorläufig laß Dir ihre Bewachung angelegen sein und auch Deinem Weibe gebiete Schweigen, denn Helenens Gegenwart muß für Jedermann ein Geheimniß bleiben.«
Caspar, welcher es doch für räthlich fand, sich für alle Fälle den Rücken zu decken und der von dem Besuch wußte, welchen die Letztere ihrer Mutter abstatten wollte, erwiderte daher in einem knurrenden Tone: »Bewachen will ich die Gnädige schon, aber daß ich dieselbe bei meiner Rückkehr noch im Hause antreffe, dafür kann ich nicht einstehen.«
»Nun, jedenfalls muß ich bei meiner Stiefmutter sein, bevor sie dort anlangt, wenn sie dies wirklich wagen sollte. Halte Dich übrigens für alle Fälle bereit, denn wahrscheinlich wird es bald für Dich zu thun geben.«
Mit diesen Worten schwang sich Herr von Bartenstein in den bereitstehenden Wagen, ergriff die Zügel und trieb die Pferde zur Eile an. Caspar Watt blickte ihm mit einem boshaften Lächeln nach.
»Hielte er mich nur nicht so fest in der Schlinge,« murmelte er, »so möchte er sammt seiner Sippschaft zum Teufel gehen! Wie oft hat er mir den Fuß auf den Nacken gesetzt und mich wie einen Hund behandelt! … Und ist er etwa besser wie ich? – Es ist wahr, es klebt Blut an meinen Händen, aber wie sieht es denn auf dem Grunde seiner Seele aus? Einen schmutzigen Morast erblicke ich, in welchem sich alle Laster herumwälzen, und obenan unter diesen ist es die Geldgier, welche ihn fortwährend antreibt, die höllischen Flammen in der Brust der alten Gräfin noch mehr anzublasen. Ja, ja, seine Schwester und ihr Kind für immer zu beseitigen, und dann das schöne große Gut zu erben, auf das er doch eigentlich gar keine Ansprüche hat, das ist sein Ziel, und zur Erreichung desselben wird er kein Mittel scheuen, dafür kenne ich ihn gut genug.«
Der Waldhüter hatte mit diesen Worten die Flinte über die Schulter geworfen und schickte sich an, den Hof zu verlassen. Zu seinen Neigungen gehörte es unter Anderem auch, dem Branntwein häufig im Uebermaß zuzusprechen und die arme Susanne hatte dann, wenn er im trunkenen Zustande zurückkehrte, schon manche harte Mißhandlung erfahren müssen. Auch jetzt steuerte er einem seitwärts von der Landstraße gelegenen, ziemlich vereinsamt dastehenden Wirthshause zu.
»Mögen sie dort im Schlosse ihre schwarze Wäsche untereinander auswaschen, was kümmert's mich,« murmelte er, »und wenn die Tochter Verlangen darnach fühlt, ihrer Mutter unter die Augen zu treten, so ist dies ihre Sache, ich bin jetzt eben nicht dazu aufgelegt, sie daran zu verhindern. Watt, die Bulldogge, wird immer noch zeitig genug bei der Hand sein, wenn man es für angemessen hält, dieselbe Jemand an den Hals zu hetzen – ja Bulldogge,« wiederholte er und brach dabei in ein höhnisches Gelächter aus, »das ist der richtige Name für einen Kerl wie ich bin, aber vorläufig muß ich aushalten und mir die Drohungen der Blindschleiche gefallen lassen, bis sich später vielleicht einmal eine Gelegenheit findet, wo ich dem Herrn, welcher mich jetzt an der Leine hält, ebenfalls die Zähne zeigen kann!«
Mit diesen Gedanken beschäftigt, trat der Waldhüter in die Schänke und forderte ein großes Glas Branntwein, welches er mit einem Zuge hinunterstürzte.
Inzwischen war der Freiherr im Schlosse angelangt. Mit dem leisen Schritt einer Katze durcheilte er geräuschlos mehrere mit Teppichen belegte Zimmer und stand jetzt vor seiner Stiefmutter. Indem er deren Hand ergriff und an seine Lippen zog, hüllten sich seine Augen in einen scheinheiligen Ausdruck und um seinen Mund lagerte sich ein entgegenkommendes, fast demüthiges Lächeln.
»Wie befindet sich die theure Mama?« fragte er mit einer Stimme, welcher er einen möglichst weichen Ausdruck zu geben bemüht war.
Die Gräfin dankte in ihrer kurzen kalten Weise.
»Du hast heute länger als gewöhnlich auf Dich warten lassen,« bemerkte sie in einem etwas gereizten Tone, »darf man nach dem Grunde dieser Verzögerung fragen?«
Der Baron senkte den Kopf und zögerte mit der Antwort; er war ein Meister in der Verstellung.
»Nun?« stieß die alte Dame heraus und machte zugleich eine ungeduldige Geberde.
»Theure Mama, meine Liebe zu Ihnen, meine Besorgniß für Ihre Ruhe, machen es mir fast zur Pflicht, darüber zu schweigen.«
Die Gräfin lachte bitter auf. »Ich bin dieser Liebe bisher nirgends begegnet und sie ist auch von mir von Niemand gefordert worden; ich habe mir stets selbst genügt, laß also solche Phrasen und komme zur Sache.«
Der Stiefsohn warf heimlich einen lauernden Blick auf die Sprecherin, er kannte ihren cholerischen Charakter und gerade jetzt lag es ja in seiner Absicht, diese harte abstoßende Natur möglichst zu reizen.
»Was mich anbelangt,« erwiderte er heuchlerisch, »so spreche ich mich von dem Vorwurfe frei, dieser Liebe nicht Rechnung getragen zu haben, obgleich allerdings die bitteren Prüfungen, welche Ihnen von einer anderen Seite auferlegt wurden – –«
»Schweige!« rief die alte Dame, und ihre Augen begannen unheimlich zu glühen, »schweige, denn ich weiß, worauf Du hindeutest! Diese Unwürdige existirt nicht mehr für mich.«
»Nun, so werden Sie es also ganz gerechtfertigt finden, wenn ich über mein längeres Ausbleiben keine Rechenschaft ablege.«
Frau von Plankenburg horchte hoch auf. »Welche Nachricht verbirgt sich hinter diesen räthselhaften Worten?«
»Es ist wirklich besser, Sie forschen nicht weiter.«
Die Gräfin fuhr in die Höhe und ein finsterer ungeduldiger Blick begleitete diese Bewegung. »Hast Du mich jemals schwach gesehen?« fragte sie erregt.
»Ich denke, ich habe es in allen Tagen meines Lebens bewiesen, daß ich mich von meinen Gefühlen nicht beherrschen lasse. Derartige Sentimentalitäten sind mir zuwider.«
»Allerdings. Ich habe diese Seelenstärke auch stets bewundert.«
»Nun also, was giebt es?«
Der Heuchler gab sich das Ansehen, als bestehe er einen inneren Kampf. Ein tiefer Seufzer entschlüpfte seiner Brust und nachdem er noch einen Augenblick gezögert, sagte er endlich mit gepreßter Stimme:
»Sie wollen, daß ich spreche, nun wohl, es sei! Aber meine Schuld ist es nicht, wenn sich dann wieder eine Wunde öffnet, die ich so gern für immer geschlossen sehen möchte.«
»Ich weiß, worauf Du hindeutest. Du meinst Deine Stiefschwester, allein Du vergißt, daß dieselbe für mich nicht mehr vorhanden ist.«
»Leider! Dieses Familienunglück quält mich Tag und Nacht. Aber der Scandal war doch zu groß. Und wie ich Ihnen schon mittheilte, Strubs, welcher in dieser Beziehung einen scharfen Blick besitzt, hat in meinem Auftrage die Papiere geprüft und behauptet ebenfalls, daß der Trauschein gefälscht ist.«
Mit der Person des ehrwürdigen Herrn Strubs werden wir die Leser später bekannt machen.
»Du interessirst Dich für diese Angelegenheit in außergewöhnlicher Weise,« bemerkte die Gräfin, indem sie einen höhnischen Blick auf ihren Stiefsohn warf. »Doch was ist es mit dieser Entarteten? – Sie hat gewiß an Dich geschrieben und Deine Fürsprache bei mir in Anspruch genommen?«
»Nein, sie hat es für angemessener gefunden, selbst zu erscheinen,« bemerkte Herr von Bartenstein und warf zugleich einen lauernden Blick auf seine Stiefmutter, um zu erforschen, welche Wirkung diese Enthüllung auf sie gemacht habe.
In der That hatte er Ursache, mit dem Resultat seiner Beobachtungen zufrieden zu sein. Finsterer und Verderben verkündender hatten wohl niemals die Augen einer Frau geleuchtet, als dies jetzt bei der Gräfin der Fall war; mit diesen Blitzen, welche unter ihren Augenbraunen hervorschossen, schien sie die arme verstoßene Tochter noch einmal niederschmettern zu wollen.
»Wie meinst Du das?« stotterte sie endlich zornglühend, »und woher hast Du überhaupt diese Nachricht?«
»Caspar Watt überbrachte mir dieselbe diesen Morgen, »als ich im Begriff stand, mich hierher zu begeben. Sein thörichtes Weib, die Susanne, hatte die Geliebte des Herrn von Lockstädt während seiner Abwesenheit in einem völlig heruntergekommenen Zustande im Hause aufgenommen.«
»Die Landstreicherin!« flog es von der Schloßherrin Lippen.
Und dennoch prahlte sie, daß sie auf dem ihr zustehenden Grund und Boden stehe,« bemerkte aufreizend der Freiherr.
»Auf ihrem Grund und Boden! Hat die Thörin denn ganz und gar vergessen, daß ich allein hier Herrin bin! Ebenso gut könnte ein Bettler, welcher vor meiner Thüre erscheint, die Scholle, auf welcher er steht, als Eigenthum beanspruchen.«
»Inzwischen werden Sie sich aber immer auf eine aufregende Scene gefaßt machen müssen.«
»Du meinst also wirklich, daß sie es wagen wird, vor mir zu erscheinen?«
»Ich bin dessen sogar gewiß, denn darin besteht ja lediglich der Zweck ihrer Reise. Wollen Sie es also hier im Schlosse zu einem öffentlichen Austritt kommen lassen?«
»Nimmermehr! Man nennt mich grausam und hartherzig, man bezeichnet mich sogar als eine unnatürliche Mutter. Nun, ich bin zwar stark genug, mich mit Verachtung hierüber hinwegzusetzen, aber ich hasse den Scandal und es ist mein bestimmter Wille, daß derselbe vermieden werde.«
»Was soll also geschehen?«
»Begieb Dich sofort nach dem Forsthause und verhindere das Erscheinen dieser Unverschämten um jeden Preis. Finde sie mit einem Stück Geld ab, sperre sie nöthigenfalls ein und stelle sie unter Watts Aufsicht, aber vor mein Angesicht darf sie nie mehr treten, und dies zu verhindern, mache ich Dir zur Pflicht.«
Als die Gräfin diese grausamen Worte sprach, ließ sich plötzlich ein tiefer schwerer Seufzer von dem entgegengesetzten Ende des Zimmers vernehmen. Bestürzt fuhr diese empor und richtete gleichzeitig mit dem Baron ihren fragenden Blick nach dem Eingang des Gemachs. Dort stand, auf den Arm Susannens gestützt eine Leidensgestalt, welche halb schmerzlich, halb vorwurfsvoll die unnatürliche Mutter anblickte, während zwei dicke Thränen auf ihre bleichen Wangen herabrollten. Ja, es war in der That die arme Helene, welche diesen bitteren Gang angetreten hatte, bei dem die treue Zofe durch Nichts zu bewegen gewesen war, ihre ehemalige Herrin zu verlassen. Von Niemand im Hause war die arme Dulderin angehalten worden, Alle erkannten sie und obgleich ihre Kleidung nur eine sehr einfache, fast dürftige war, so verneigten sich doch die Dienstboten mit einem Gefühl mitleidsvoller Achtung vor ihr und keinem fiel es ein, ihr hindernd in den Weg zu treten, als sie jetzt stumm grüßend, aber innerlich geknickt, unmittelbar auf die Gemächer der Gräfin zuschritt. Von Helene waren die letzten herzlosen Worte ihrer Mutter noch vernommen worden und überwältigt vom Schmerz, hielt sie, auf ihre Begleiterin gestützt, in ihrem Gange unwillkürlich inne.
Starres Erstaunen hatte sich der Gräfin bei dem so unerwarteten Erscheinen der verstoßenen Tochter bemächtigt und dies war wohl die Ursache, daß sie anfänglich kein Wort hervorzubringen vermochte, sondern nur finstere Blicke der Wuth auf die Unglückliche schleuderte. Diese aber, welche sich nur noch mühsam aufrecht zu halten vermochte, wendete jetzt ihr geisterhaft aussehendes Gesicht mit dem Ausdruck des Zornes und der Verachtung ihrem Stiefbruder zu und indem sie, gleichsam abwehrend, ihren rechten Arm gegen denselben ausstreckte, sagte sie mit einer Stimme, die so klagend klang, daß man das ganze Weh ihres Herzens daraus erkennen konnte:
»Glauben Sie diesem Menschen nicht, meine Mutter, er ist ein Lügner, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, mich zu verderben!«
Der Baron brach in ein höhnisches Gelächter aus.
»Wie sehr ich auch gefehlt haben mag,« fuhr die unglückliche Frau fort, »so vermag ich doch die Behauptung, daß Georg von Lockstädt nicht mein rechtmäßiger Gatte ist, als eine grobe Lüge zurückzuweisen. So wahr mir Gott beistehen möge in meiner letzten Stunde, ich spreche nur die Wahrheit, wenn ich behaupte, daß ich ein volles Recht auf den Namen meines unglücklichen verstorbenen Mannes habe!«
Aber die arme Helene mit ihrem von Thränen umflorten Antlitz, mit ihrer kummervollen Miene, mit ihrer zitternden Stimme, war ja längst gerichtet und die harte Natur der Mutter, deren verletzter Stolz sich im Laufe der Zeit bis zum unversöhnlichen Haß gesteigert hatte, fühlte sich auch in diesem ergreifenden Augenblick nicht aufgelegt, einem besseren, milderen Gefühl eine Einwirkung auf sich zu gestatten. Im Gegentheil, als ihr finsterer Blick jetzt zu der Tochter hinüberstreifte und sie die armselige Kleidung derselben bemerkte, schwoll die Erbitterung noch mehr in ihrem stolzen Herzen, sie erblickte in derselben nunmehr nur noch eine Bettlerin und ihr Hochmuth vermochte dies nicht zu ertragen.
»Aus meinen Augen, Verworfene!« rief sie, und machte zugleich mit dem Ausdruck des Ekels eine abwehrende Bewegung gegen die Unglückliche.
Aber die arme Dulderin, obgleich dem ihr auferlegten Kreuze fast erliegend, ließ sich hierdurch in dem Versuch nicht abschrecken, das Herz dieser hartherzigen Frau doch schließlich noch zu rühren. Ihren ganzen Muth zusammennehmend, trat sie einen Schritt vor und indem sie beide Arme emporhob und die Hände faltete, rief sie mit flehender Geberde:
»Nicht meinetwegen bin ich hier, denn ich habe das Maß des menschlichen Elends bis zum Ueberfließen zu tragen gelernt, aber um meines Kindes willen trat ich diesen bitteren Gang an, und nur für dieses allein flehe ich um Ihre Theilnahme.«
»Nichts ändert meinen Entschluß,« erwiderte die Gräfin mit harter rauher Stimme, »hier bist und bleibst Du ein Fremdling, und wenn Du Dich wie eine Diebin in der Absicht eingeschlichen hast, mich zu überraschen, so ist Dir diese List mißlungen und es wird Zeit dieser Scene ein Ende zu machen.«
Indessen ließ sich die arme unglückliche Frau auch jetzt noch nicht abschrecken. Wankenden Schrittes eilte sie auf ihre Mutter zu und im nächsten Augenblick lag sie zu deren Füßen und umfaßte ihre Kniee.
»Vergebung! Vergebung!« rief sie mit herzerschütternder Stimme, »o, meines geliebten Kindes wegen, welches bald elternlos dastehen wird, lassen Sie mich nicht hoffnungslos von hier scheiden!«
»Der Bastard!« höhnte der Baron, während sich Frau von Plankenburg rauh den Umschlingungen ihrer Tochter zu entziehen suchte.
»Der Bastard!« … Dieses Wort fiel wie ein zerschmetternder Schlag auf das ohnedem gebrochene Herz der Unglücklichen; eine solche Beschimpfung aus dem Munde dessen, den sie als ihren gefährlichsten Feind kannte, und welchen sie ebenso haßte wie verachtete, machte sie fast wahnsinnig. Wie eine gereizte Tigerin fuhr sie empor, um sich auf den Elenden zu stürzen, ein wilder Schrei entrang sich ihrer Brust, aber gleichzeitig brach sie auch schon im nächsten Augenblick zusammen, ein Blutstrahl entquoll ihrem Munde und leise röchelnd schloß sie im Todeskampfe die Augen.
Entsetzt fuhr jetzt die Gräfin empor, das Blut ihrer Tochter hatte ihr Kleid bespritzt, eine Sterbende, wo nicht gar eine Todte lag zu ihren Füßen …
Susanne war herbeigeeilt und versuchte unter Jammergeschrei ihre geliebte ehemalige Herrin emporzurichten, nur der Freiherr stand mit verschränkten Armen da und betrachtete kalt und herzlos diese Jammerscene, im Stillen sich darüber freuend, daß er nun dem Ziele, seine Stiefmutter zu beerben, um ein Bedeutendes näher gerückt sei.
Die Erste, welche sich wieder zu einem besonnenen Handeln aufraffte, war die Gräfin. Zwar bleich wie eine Marmorstatue und mit dem Ausdruck des bösen Gewissens auf dem Gesicht, trat sie an den Klingelzug und setzte denselben in so heftige Bewegung, daß die Glocke weithin durch das Haus ertönte. Einige Minuten später trat der alte Bruns, welcher dem verstorbenen Herrn schon gedient hatte, und der jetzt im Schlosse das Amt eines Hausmeisters versah, in das Gemach. Erschrocken blieb der Greis bei dem Anblick, welcher sich ihm darbot, auf der Schwelle stehen und im tiefen Schmerz schlug er die Hände über dem Kopf zusammen, während er der Schloßherrin zugleich einen Blick der Anklage zusandte, dessen geheime Deutung wohl nur diese verstand, denn die kalte, herzlose Frau, vor deren Stolz sich sonst Alles beugen mußte, schlug wie eine Schuldbewußte die Augen zu Boden und nicht undeutlich war es zu erkennen, daß das böse Gewissen aus ihr sprach.
Aber auch jetzt gelang es der Energie ihres Charakters, eine Ruhe zu erheucheln, welche sie in Wahrheit nicht besaß.
»Wie Du siehst, Bruns,« bemerkte sie, »hat sich hier ein großes Unglück zugetragen. Diese Arme wurde von einem Blutsturz befallen und ich fürchte, es ist mit ihrem Leben vorüber.«
»Sie haben sie gemordet,« stieß Susanne in ihrem Schmerze rücksichtslos heraus.
Die Gräfin warf ihr einen solchen drohenden Blick zu, daß die ehemalige Zofe, welche sich erinnerte, daß sie gänzlich der Willkür dieser Menschen preisgegeben sei; erzitterte und schüchtern den Kopf senkte. Zugleich fühlte sie aber auch, wie der Baron ihren Arm erfaßte und sie nach der Thüre drängte.
»Hinaus!« flüsterte er, »und kommt jemals wieder ein solches wahnwitziges Wort über Deine Lippen, so sollst Du die Faust Deines Mannes in einer Weise fühlen, wie sie bisher auf Dich noch nicht niedergefallen ist. Hinaus und halte Deine Zunge im Zaum, kopflose Schwätzerin; diesen Rath beherzige und nun fort, Du hast hier nichts mehr zu suchen!«
Still weinend entfernte sich die Frau des Waldhüters und schlug traurig den Weg zu ihrer Wohnung ein. Noch einmal aber wendete sich ihr Antlitz dem Schlosse zu und ihre Hand gleichsam wie zum Schwur erhebend, murmelte sie:
»Mag da kommen, was da will, mag Watts rohe Hand mich blutig schlagen, ich werde Deine letzten Aufträge gewissenhaft ausführen, arme Märtyrin! Eine treue Seele sollst Du hier auf Erden wenigstens zurücklassen und Gott wird mir armen schwachen Frau bei der Ausführung eines guten Werkes seinen Beistand nicht versagen!«
Um den Schein zu wahren, hatte die Gräfin durch einen reitenden Boten den nächsten Arzt herbeirufen lassen, obgleich sie wußte, daß dieser nur eine Todte antreffen würde. Auf demselben Zimmer, welches von Helene als junges Mädchen bewohnt worden war und wo sie in mancher stillen Stunde in der Schwärmerei ihres Herzens von einer glücklichen Zukunft an Georgs Seite geträumt, war jetzt die Leiche der jungen Frau im langen weißen Sterbegewande gebettet, einen Immortellenkranz in den gefalteten Händen haltend, womit sie die alte Haushälterin Therese geschmückt hatte.
Der Ausspruch des Doctors lautete dahin, daß der Verblichenen, in Folge ihres aufgeregten Zustandes, ein Blutgefäß gesprungen, und daß hierdurch der Tod erfolgt sei.
Ein einfacher Sarg nahm ihre Hülle auf und geräuschlos wurde dieselbe eines Abends im Beisein der Hausdienerschaft in dem Familienbegräbniß an der Seite ihres ihr vorangegangenen Vaters beigesetzt. Susanne hatte dieser Trauerfeierlichkeit nicht beiwohnen dürfen; sie wurde überhaupt jetzt von ihrem Manne wie eine Gefangene gehalten und litt unter seinen rohen Drohungen mehr als je. Es war offenbar, daß von dem Freiherrn dem Waldhüter in Bezug auf sie besondere Instruktionen gegeben worden waren, und es entging ihr nicht, daß sie von ihrem Manne im Stillen auf Schritt und Tritt beobachtet wurde. Dennoch beschloß die brave Frau, bei der ersten sich darbietenden günstigen Gelegenheit die Zusage, welche sie ihrer ehemaligen Gebieterin geleistet, auf jede Gefahr hin zu erfüllen und dem Hauptmann von Wenkstern die von Helene ihr anvertrauten Papiere, welche sie an einem sicheren Ort verborgen hatte, einzuhändigen.
Die Gräfin von Plankenburg war seit dem Tode ihrer Tochter noch abstoßender und unzugänglicher wie früher geworden, und selbst der geschmeidigen Augendienerei ihres Stiefsohnes gelang es nicht, ihre Launen zu beschwichtigen, oder seinen früheren Einfluß bei ihr wieder zu erlangen. Einige Mal, wenn seine lauernden Blicke sie heimlich beobachteten, schien es ihm sogar, als ob ihre Augen mit dem Ausdruck des Hasses auf ihm ruhten und als er eines Tages darauf anzuspielen wagte, daß er doch jetzt eigentlich ihr nächster natürlicher Erbe sei, warf sie ihm einen solchen Blick der Verachtung zu und wendete ihm, ohne ein Antwort zu geben, so kalt den Rücken, daß der Heuchler es für gerathen fand, diesen Gegenstand in der nächsten Zeit nicht mehr zu berühren.
Vier Wochen später sah er sich in die Nothwendigkeit versetzt, seine Stiefmutter um die Aufnahme einer erheblichen Hypothek auf ihr ausgedehntes Besitzthum zu ersuchen, um ihm damit aus der Verlegenheit zu helfen. Aber auch diesmal erfuhr er, ganz gegen sein Erwarten, eine kalte höhnische Abweisung, indem ihm die Gräfin geradezu erklärte, daß sie keineswegs eine Veranlassung fühle, seine unlauteren Leidenschaften zu unterstützen, und daß er sehen möge, wie er zurecht komme, wenn seine Einnahmen mit seinen Ausgaben nicht übereinstimmten. Der Freiherr biß sich in die Lippen und obgleich er es nicht für angemessen fand, mit der alten Dame zu brechen, so schied er doch von derselben mit einem Herzen voll Groll und Rache.
Der nächste Gegenstand seines Argwohns war das von Helene hinterlassene Kind. Er kannte zwar die Stadt, wo die arme Verstoßene bisher gewohnt hatte, aber trotz seiner eifrigen heimlichen Nachforschungen war es ihm bisher nicht gelungen, den gegenwärtigen Aufenthalt des kleinen Alfred zu erfahren. Watt, welcher sich unter einer Verkleidung in dem ärmlichen Hause in der Vorstadt hiernach erkundigt, konnte nicht mehr ermitteln, als daß die Mutter unter dem Vorwand einer Reise ihren Knaben mit sich genommen habe. Es war also ausgemacht, sie hatte das Kind vor ihrer Abreise für alle Fälle bei einer zuverlässigen Person untergebracht.
Und wenn die Gräfin nun in einem Anfall von Reue die Neigung fühlte, sich der Waise anzunehmen? Sie hatte zwar bis jetzt darüber nicht die entfernteste Aeußerung fallen lassen, aber wenn der Baron das veränderte Verhalten derselben gegen ihn in der letzten Zeit erwog, wenn er ihren finsteren verschlossenen Charakter in Betracht zog, so lag die Möglichkeit gar nicht fern, eines Tages unerwartet einen Schlag gegen sich geführt zu sehen und dann waren alle seine schurkischen Anschläge und sein seit Jahren geübtes gleißnerisches Benehmen nutzlos gewesen und das schöne große Gut, als dessen Erbe er sich bereits betrachtete, wurde ihm schließlich dennoch entrissen.
Um einer solchen Gefahr vorzubeugen, mußte das Kind Helenens jedenfalls für immer beseitigt werden und um dessen Spur aufzufinden und es durch List dann in seine Gewalt zu bekommen, beschloß er, sich in der nächsten Zeit selbst nach der Stadt zu begeben, um dort mit Hilfe seiner Vertrauten die nöthigen Nachforschungen anzustellen.
Bevor wir jedoch den Erfolg dieses neugeschmiedeten Planes weiter verfolgen, müssen wir zunächst den Leser mit der Lebensweise des Herrn von Bartenstein und mit einigen anderen, mit diesem in Verbindung stehenden Personen näher bekannt machen. Der Stiefsohn der Gräfin hatte unstreitig alle Anlagen eines Bösewichts, und er war als solcher um so gefährlicher, da er in seinen Angriffen gegen die von ihm auserlesenen Opfer nicht offen zu Werke ging, sondern heimlich intriguirte, indem er sich dabei den Schein einer gewissen Ehrlichkeit zu geben bemüht war. Er studirte sehr genau den Charakter der Personen, welche seinen Zwecken dienen sollten, er wußte hierzu mit besonderer Geschicklichkeit deren eigene böse Leidenschaften auszubeuten, indem er dieselben durch fortwährende Aufstachelungen steigerte und schließlich dazu benutzte, die von ihm auserkorenen Opfer der Rache oder dem Haß Zweiter oder Dritter preiszugeben. Auf diese Weise war die arme Helene untergegangen, indem er den kalten und stolzen Charakter der Gräfin schließlich gegen die Tochter bis zur Grausamkeit steigerte.
Aber dieser Schleicher und Heuchler, welchem das Gewissen längst verloren gegangen, zeigte sich auf der anderen Seite als Verschwender, dem es auf die Mittel gar nicht ankam, wenn es galt, seine sinnlichen Leidenschaften zu befriedigen und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Den Sommer über brachte er in der Regel auf Reisen und in Bädern zu und dort hatte er eine Dame kennen gelernt, welche unter dem Namen Adolphine Schönemann in einem der besuchtesten Curorte auftrat und sich für die Witwe eines Hamburger Schiffscapitäns ausgab. Obgleich bereits tief in den Zwanzigern, standen die körperlichen Reize der Fremden doch noch in voller Blüthe, ihr üppiger Körper, ihr verlockendes Auge, waren ganz dazu geeignet, Männer, welche nur das Aeußere in Betracht ziehen und denen es um eine fesselnde Unterhaltung zu thun ist, an ihren Siegeswagen zu spannen. Und das mußte man der jungen, stets im Reiz einer neuen geschmackvollen Toilette erscheinenden Witwe lassen: sie verstand es meisterhaft, die Vortheile zu benutzen, welche ihr durch die Natur und vermöge einer sorgfältig einstudirten und mit großer Kunst ausgebildeten Erziehung verliehen worden waren.
Unstreitig war Adolphine eine ebenso kalte und berechnende Natur wie der Freiherr von Bartenstein, aber zu der Rolle, welche sie unter der Maske des Witwenschleiers zu spielen für gut fand, paßten diese Eigenschaften gewiß am Besten und vielleicht fühlte sich der Baron gerade dadurch noch mehr zu ihr hingezogen, weil er entdeckte, daß auch ihrer Natur das Dämonische eigen war und also eine gewisse geistige Verwandtschaft zwischen beiden bestand. Was für einer Persönlichkeit er sich gegenüber befand, hatte er bald weg und kalt lächelnd zuckte er im Stillen die Achseln, wenn er die Taktik beobachtete, mit deren Hilfe Adolphine ihn an sich zu fesseln versuchte, indem sie ihn heute mit einem aufmunternden Lächeln begrüßte und das volle Maß ihrer angelernten Liebenswürdigkeit entfaltete, während sie sich morgen dagegen in eine kalte Zurückhaltung hüllte und den Schein annahm, als fingen seine Bewerbungen mitunter an ihr unbequem zu werden.
Der Freiherr kannte, wie gesagt, diese Manöver nur zu gut, um sich durch dieselben irre machen zu lassen. Aber dennoch fühlte er sich zu der jungen verführerischen Witwe nicht blos ihrer Schönheit wegen, sondern hauptsächlich deshalb hingezogen, weil er in ihr eine starke rücksichtslose Natur erkannte, die wohl im Stande war, sich ohne besondere Gewissensscrupel über die Bedenken gewöhnlicher Menschenkinder hinwegzusetzen, wenn es in ihrer Absicht lag, ein im Auge gehaltenes Ziel zu erreichen. Er hatte daher schon seit längerer Zeit an eine engere Verbindung mit ihr gedacht, aber wenn er ihr Anträge stellte – und diese mußten glänzender Natur sein, das wußte er – wollte er dies nicht als Besiegter, sondern als Sieger thun. In allen Schleichwegen erfahren und mit einem feinen Spürsinn versehen, sammelte er sich hier im Stillen Material, und schon nach wenigen Wochen glaubte er im genügenden Besitz desselben zu sein.
Eines Tages trat er vor die angebliche Witwe und zog ihr unbarmherzig die Maske vom Gesicht. Er sagte ihr geradezu, daß sie nie verheirathet gewesen sei, und daß sie bisher nur ein abenteuerndes Leben geführt habe. Die Schöne wollte auffahren und die Beleidigte spielen, aber Herr von Bartenstein erklärte ihr mit einem kalten imponirenden Lächeln, daß ein solches Benehmen kindisch sei, daß er nur ihr Wohl im Auge halte und daß er auf die Vergangenheit kein Gewicht lege. Er biete ihr hiermit ein Leben voll Behaglichkeit und sie würde wohl daran thun, darauf einzugehen.
Die Vorschläge, welche er ihr nun machte, waren so glänzender Natur, daß die Dame keine Veranlassung fand, dieselben abzulehnen; sie verließ bald darauf, zum nicht geringen Erstaunen ihrer zahlreichen Verehrer, den bisherigen Schauplatz ihrer Thaten und schon vierzehn Tage später finden wir sie in einer hübschen kleinen Villa in der unmittelbaren Nähe der großen Stadt, welche nur zwei Stunden von dem Gute des Freiherrn entfernt war, mit allem Comfort versehen, behaglich eingerichtet.
Auch hierbei hatte der Vertraute des Herrn von Bartenstein, der Advokat Strubs, die Vermittlung übernommen, und bald waren diese drei, an Gesinnung sich so ähnelnden Personen auf das Engste mit einander verbunden, denn dem scharfen Blick des Advokaten entging es ebenfalls nicht, daß das weibliche Mitglied dieses Triumvirats Klugheit, Herzlosigkeit und wenn es sein mußte, auch Grausamkeit genug besaß, um als brauchbares Werkzeug für künftige Pläne zu dienen, und mit besonderer Genugthuung hatte er daher auch zu seinem Gönner geäußert, er habe mit dieser Dame einen glücklichen Griff gethan und er hoffe, daß sich das Capital, welches er auf sie verwende, mit der Zeit reichlich verzinsen werde.
Der klugen Abenteuerin gelang es übrigens im Laufe der Jahre, eine unbedingte Herrschaft über Herrn von Bartenstein zu erlangen; sie war in seine Geheimnisse vollständig eingeweiht und schon seit langer Zeit unternahm der Stiefsohn der Gräfin von Plankenburg nichts, ohne sich vorher mit seiner Geliebten berathen zu haben.
Sehr mißgestimmt wurde er durch die Weigerung seiner Stiefmutter, ihm ein Capital zur Ordnung seiner zerrütteten Verhältnisse vorzuschießen, und zum ersten Male regte sich bei ihm gegen die stolze Dame ein rachsüchtiger Haß, den er jedoch vorläufig noch sorgfältig verbarg, denn er betrachtete sich noch immer als den künftigen Erben. Helene und deren Gemahl waren beide todt, von ihnen hatte er also nichts mehr zu befürchten; Papiere über die legitime Geburt ihres Sohnes waren bei ersterer nicht vorgefunden worden und von der Gräfin, das wußte er, war es stets mit eigensinniger Herzlosigkeit verweigert worden, einen der zahlreichen, von ihrer Tochter an sie gerichteten Briefe zu erbrechen, so daß also auch sie in dieser Beziehung in völliger Unkenntniß blieb.
Dennoch peinigte ihn der Gedanke fortwährend, daß die legitimen Ansprüche des kleinen Alfred eines Tages von irgend einer Seite geltend gemacht werden könnten, und der Umstand, daß über den Aufenthalt des Kindes, trotz der von Strubs angestellten eifrigen Nachforschungen, bis jetzt noch nicht die entfernteste Spur aufgefunden worden war, machte ihm die Sache noch verdächtiger. Endlich konnte seine Stiefmutter noch lange leben; vor deren Tode, das wußte er, hatte er aber von derselben nichts zu erwarten, und doch forderte seine verwickelte Lage dringend eine möglichst baldige günstige Aenderung. Strubs, dessen Rath und Hilfe er nicht zu entbehren vermochte, schuldete er bereits eine erhebliche Summe und in Folge dessen hatte der Advokat in der letzten Zeit eine Kälte und einen Mangel an Bereitwilligkeit gegen ihn an den Tag gelegt, die beide offenbar ihren Grund darin fanden, weil dessen Habsucht nicht genügend befriedigt wurde.
Alle diese Umstände ließen bei dem Baron den Wunsch in den Vordergrund treten, sich durch eine reiche Heirath aus der Verlegenheit zu retten, um für die Zukunft gleichzeitig jeder Sorge überhoben zu sein. Aber wo fand sich eine solche Partie? Sein Ruf, das wußte er, war in der Umgegend nicht der beste, man kannte sein intimes Verhältniß mit der angeblichen Witwe, die draußen vor dem Thore die Villa bewohnte, und die öffentliche Meinung klagte ihn im Stillen als den grausamen Verfolger der armen Helene an und legte seiner Einwirkung das traurige Ende derselben zur Last.
Dies alles erwägend, beschloß der Freiherr, Strubs einen Besuch abzustatten, und mit diesem zu berathen, auf welche Weise seiner bedrängten Lage wohl am schnellsten ein Ende gemacht werden könnte.