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Erstes Capitel.
Ein trauriges Wiedersehen

Wir führen den Leser auf eine weite Haidefläche, deren ödes, einförmiges Ansehen einen Wanderer, welcher genöthigt gewesen wäre, dieselbe am Tage zu überschreiten, wahrscheinlich veranlaßt hätte, seine Schritte zu beeilen, um so bald wie möglich den daranstoßenden großen Wald zu gewinnen, wo er wenigstens im Schatten der breitästigen Buchen und Eichen an einem heißen Sommertage Kühlung gefunden hätte und sein Herz wohl auch durch den Gesang der befiederten Bewohner desselben erfreut worden wäre. Jetzt war freilich die Nacht längst hereingebrochen und diese Nacht war eben keine solche, von welcher sich ein Reisender, wenn ihn nicht die Nothwendigkeit dazu zwang, gern hätte überraschen lassen. Finstere Wolken bedeckten den Horizont und während sich von Zeit zu Zeit heftige Windstöße geltend machten, fegten dieselben auch gleichzeitig in einzelnen Pausen einen feinen durchdringenden Sprühregen über die wie ein Leichentuch sich ausbreitende Einöde.

An dem Saume des Waldes lag ein kleines Haus, dessen weiß angestrichene Wände jetzt ebenfalls die Finsterniß verhüllte, welches indessen, bei Tage betrachtet, zu der nahen Vermuthung geführt hätte, daß es die Wohnung eines Försters oder Waldhüters sei. Ein matter Lichtschimmer drang aus einem der niedrigen Fenster, dem ermüdeten Reisenden schon aus der Ferne andeutend, daß er hier hoffen durfte, für einige Zeit Ruhe und Erholung zu finden.

In dem Augenblick, wo unsere Erzählung beginnt, saß eine Frau in dem reinlich gehaltenen Stübchen an einem viereckigen Tisch und war damit beschäftigt, ein Kleidungsstück auszubessern. Obgleich ihr Antlitz ziemlich tief über dasselbe gebeugt war, konnte man doch erkennen, daß dieselbe kaum erst das dreißigste Lebensjahr erreicht haben mochte. Aber ungeachtet sich bei ihr die Spuren des Alters bisher noch fern gehalten hatten, so ließ sich doch nicht mehr jene Ruhe und Frische erkennen, welche als die Zeichen innerer Behaglichkeit und äußerer Sorglosigkeit angesehen werden dürfen. Ihre Gestalt, die ihrer ganzen Körperanlage gemäß, allem Vermuthen nach einst nicht ohne Reize gewesen war, zeigte sich jetzt bereits etwas gebrochen, ihrem Auge fehlte der frühere Glanz, ihre Wangen begannen schon einzufallen und über das sanfte, durch bittere Enttäuschungen und harte Prüfungen frühzeitig seines Jugendglanzes beraubten Gesichts lagerte sich ein Zug der Schwermuths welcher geeignet war, der jungen Frau unwillkürlich die Theilnahme jedes fühlenden Herzens zuzuwenden.

Sie saß, wie gesagt, über das Leinenzeug gebeugt und arbeitete fleißig, als ein neuer heftiger Windstoß an dem Gebäude rüttelte und der Regen zugleich prasselnd an die Fenster schlug.

»Mein Gott, welches Wetter!« flog es über ihre Lippen, und dabei ließ sie die Nadel für einen Augenblick ruhen, um auf das Heulen des Sturmes zu hören.

Im nächsten Augenblick fuhr sie aber auch schon erschrocken zusammen und blickte nicht ohne Scheu nach dem Fenster, denn eine Hand hatte dort klopfend die Scheiben berührt und jetzt zeigte sich auch der Kopf einer Frau, deren schwarzes Haar vom Regen durchnäßt war und welches ihr, vom Winde zerzaust, verworren um das todtenbleiche Gesicht hing.

»Oeffnet,« stöhnte die Fremde, und lehnte sich dabei matt und erschöpft an die Außenwand – »öffnet einer Unglücklichen, einer alten Bekannten, denn meine Kräfte verlassen mich und ich kann nicht mehr weiter!«

»Einer alten Bekannten?« – Die junge Frau überkam ein Beben – diese Stimme, sie mußte sie schon anderwärts gehört haben – dieses Gesicht, welches ihr aus der Finsterniß entgegenstarrte, weckte Erinnerungen bei ihr, bei denen sie erbebte.

Schnell erhob sie sich in fieberhafter Unruhe, durcheilte das kleine Gemach und schob zitternd den Riegel an der Hausthüre zurück. Schon in der nächsten Minute betrat sie mit der Fremden, die sich auf ihre Schulter stützte, wieder das Zimmer. Mit einer Hast, über die sie sich in diesem Augenblick wohl selbst nicht klar war, zog sie einen alten ledernen Lehnstuhl heran, indem sie mit weicher bewegter Stimme sagte:

»Setzt Euch, setzt Euch, und erholt Euch »von Eurer Erschöpfung. O, Ihr Arme, Ihr müßt sehr gewichtige Gründe gehabt haben, bei einem solchen Wetter mitten in der Nacht zu Fuß den Weg über die lange öde Haide zu machen.«

»Ich verließ eine halbe Stunde von hier den Postwagen,« erwiderte die Unbekannte mit schwacher Stimme, »und was meine Gründe anbelangt – es ist ein bitterer Gang, aber ich mußte ihn antreten, und wenn es vielleicht mein letzter in dieser Welt sein sollte, dann, meine gute Susanne, leitet mich das Vertrauen zu Dir, daß Du Dich nicht weigern wirst, die Aufträge auszuführen, welche eine arme unglückliche Mutter aus Liebe und Fürsorge für ihr Kind Dir zu ertheilen beabsichtigt, da mir von früher Deine Treue und Anhänglichkeit gegen mich bekannt ist.«

Schon bei den ersten Worten, welche über die bleichen Lippen der Fremden gegangen waren, hatte die Bewohnerin des einsamen Häuschens hoch aufgehorcht. Diese sanfte Stimme, welche unter der Einwirkung geistiger und körperlicher Leiden jetzt freilich fast bis zum Flüstern herabsank, hatte sie schon früher in Tagen, die auch für sie glücklicher und sorgenloser als die jetzigen gewesen waren, vernommen, und als sie nun einen abermaligen forschenden Blick auf die dicht vor ihr sitzende, vom Regen durchnäßte und mit Erschöpfung ringende Frau warf, stürzte sie plötzlich vor derselben auf die Kniee, erfaßte deren weiße abgemagerte Hände und preßte dieselben unter heftigem Schluchzen an ihr Herz.

»O mein Gott und Herr,« rief sie, und dicke Thränen rollten dabei über ihre Wangen, ist mir denn wirklich bei allem Leid, was ich schon zu tragen habe, noch der bittere Schmerz aufgespart, meine theure Gebieterin in einem solchen Zustande zu sehen? – muß ich es denn wirklich erleben, diejenige, welche Geburt und Reichthum dazu berechtigten, einen hervorragenden Platz unter den Menschen einzunehmen, nun genöthigt zu sehen, unter so traurigen Umständen eine Zuflucht hier in dieser dürftigen Behausung zu suchen? – O, meine theure gute Herrin, wie namenlos unglücklich macht mich Euer Anblick!«

»Alles ist vergänglich in diesem irdischen Jammerthale, das siehst Du an mir, meine gute Susanne,« entgegnete die Dame mit einer Stimme, welche die tiefste Entsagung ausdrückte, »und nenne mich nicht mehr Herrin, Du gutes liebes Wesen, denn ich bin nur ein armes unglückliches Weib, arm in der vollsten Bedeutung des Wortes und verstoßen von derjenigen, deren Stolz es nicht ertragen konnte, daß ich den Gefühlen meines Herzens nicht Widerstand zu leisten vermochte und mit Georg aus dem elterlichen Hause entfloh, als alle seine Bemühungen, meine Hand zu erhalten, vergeblich gewesen waren.«

»Jene Nacht wird mir unvergeßlich bleiben,« entgegnete Susanne mit gedämpfter Stimme, »denn als Ihre ehemalige Zofe war ich ja in das Geheimniß eingeweiht. Und der Zorn der Gräfin, Ihrer Mutter, als sie diese Flucht erfuhr! O, ich schaudere noch, wenn ich an den lästerlichen Fluch denke, welchen sie Ihnen nachsandte! … Aber so schlimm habe ich es mir doch nicht vorgestellt, denn ich glaubte mit Bestimmtheit, daß Ihr Gemahl, der Herr von Lockstädt, Mittel finden würde, Ihnen eine standesgemäße Existenz zu sichern.«

»Der arme Georg,« entgegnete die junge Frau, und es zuckte dabei schmerzlich über ihr blasses Gesicht, »der arme Georg hatte wohl den guten Willen, aber er überschätzte seine Kräfte und rechnete zu zuversichtlich auf Leute, die ihm einst in den Tagen des Glückes ihre Dienste angeboten hatten. So war die kleine Summe, welche wir besaßen, bald zusammengeschmolzen und als er mit traurigen Blicken den noch vorhandenen Rest betrachtete, als seine Augen zu unserem kleinen Alfred hinüberstreiften, da rannen zwei große Thränen über seine Wangen und mit gepreßter Stimme sagte er zu mir gewendet: ›So geht es nicht mehr länger!‹«

»O der arme Herr,« rief Susanne, »er war stets so edel und gut, und ich kann mir lebhaft denken, von welcher Verzweiflung sein Herz erfüllt gewesen ist. – Aber was that er, um aus dieser peinlichen Lage herauszukommen?«

Die arme unglückliche Frau seufzte.

»Er ging in die weite Welt, zunächst nach Egypten, um als ehemaliger Officier in der dortigen Armee Dienste zu nehmen.«

»Ich ahne jetzt Alles,« rief die frühere Zofe, ihre Hände vor das Gesicht haltend.

»Nun,« erwiderte ihre Gesellschafterin mit zitternder Stimme, und einige hektische Flecken traten auf ihren Wangen hervor, »der Fluch, welchen meine Mutter mir nachgeschleudert hatte, verfehlte freilich seine Wirkung nicht. Wie oft habe ich in den flehendsten Ausdrücken an sie geschrieben und jedesmal sind meine Briefe unbeantwortet geblieben.«

»O, ich kenne den Dämon, welcher seinen Einfluß bei der Gräfin geltend macht,« rief Susanne, »es ist ihr Stiefsohn, der Baron von Bartenstein.«

»Gott möge ihm vergeben,« seufzte die arme Frau, »meine Tage sind gezählt, ich werde bald ausgelitten haben – aber mein Kind, mein armes Kind, um seinetwillen habe ich diesen saueren Gang gemacht und den Herrn der Heerschaaren auf meinen Knieen angefleht, daß es kein vergeblicher sein möge.«

Ein Fieberfrost schüttelte in diesem Augenblick die Unglückliche und eine unnatürliche Hitze röthete ihre Wangen.

Jetzt erst erkannte Susanne, daß die arme verlassene Frau, welche bei Sturm und Regen mitten in der Nacht eine Zuflucht bei ihr gesucht hatte, im höchsten Grade leidend sei. Von Mitleid ergriffen, brach sie nunmehr in laute Selbstanklagen darüber aus, daß sie in der ersten Bestürzung, welche das Erscheinen ihrer ehemaligen Herrin bei ihr hervorgerufen, die so nöthige Sorge für deren Pflege vergessen habe.

»O, ich kann es mir nicht verzeihen,« rief sie mit weicher Stimme, »daß ich Sie in diesem durchnäßten Anzug so lange sitzen ließ. Geschwind ziehen Sie sich um, ich will mein wärmstes Kleid holen, und dann trinken Sie eine Tasse heißen Thee, das wird Ihren erstarrten Gliedern wohl thun.«

Mit diesen Worten wollte sie forteilen, um das bezeichnete Kleidungsstück herbeizuholen, aber Helene von Lockstädt hielt sie zurück und sagte unter einem melancholischen Lächeln:

»Lasse es gut sein, liebe Susanne, dieses Tuch, noch aus der Zeit stammend, wo ich keine Sorgen kannte und nur von Ueberfluß umgeben war, hat mich auf meiner nächtlichen Wanderung zur Genüge geschützt.«

»Aber Sie sind krank, man sieht es Ihnen an,« rief besorgt die ehemalige Zofe.

Abermals spielte um die Mundwinkel der bleichen Frau ein resignirtes Lächeln.

»Der Mensch kann viel ertragen,« antwortete sie mit unendlicher Sanftmuth, »und während der fünf Jahre meiner Ehe habe ich mich an Leiden aller Art gewöhnt. Für jetzt, wo wir noch allein sind, lass' mich die Zeit benutzen, um Dir meine letzten Aufträge zu ertheilen, falls mir ein Unglück zustoßen sollte. Vorher wiederhole mir aber noch einmal: Hast Du auch den Willen und die Kraft, das, was ich Dir anzuvertrauen im Begriffe stehe, gewissenhaft auszuführen?«

»Ich schwöre es bei meiner Seligkeit,« rief die brave Frau, »und müßte ich darüber das Leben lassen!«

»Gott wird es Dir lohnen, denn was Du thust, thust Du für mein Kind und für dessen Zukunft.«

Susanne ergriff die Hand der Dame, drückte sie an ihre Brust und sagte:

»Es bedarf keiner weitern Worte, Sie werden sich in Ihrem Vertrauen nicht getäuscht finden.«

»So höre. Alle Versuche, von meiner Mutter Verzeihung für meinen Fehltritt zu erhalten, sind vergeblich gewesen. Keine Regung des Mitleids, keine Anwandlung von menschlichem Gefühl fand in ihrem harten unempfindlichen Herzen Eingang. Wo sonst die Stimme der Natur doch schließlich zu sprechen beginnt, blieb sie hier, trotz meines heißen Flehens stumm. Ihr gräflicher Stolz konnte es nicht überwinden, daß die Tochter ihr die Schande bereitet hatte, mit einem Manne entflohen zu sein, welchen sie bitter haßte, weil sie in ihm das Ebenbild seines Vaters erblickte, dem sie einst in ihrer Jugend ihr Herz geschenkt, der sie hinterher aber flatterhaft verlassen hatte. Geschickt wußte mein Stiefbruder bisher den Haß, welcher in dem Herzen meiner Mutter gegen mich loderte, zu nähren; es walteten dabei Gründe ob, die vielleicht auch Dir nicht unbekannt geblieben sind.«

»Es weiß ja Jedermann,« rief Susanne, »daß der Baron darnach trachtet, sich Ihres Erbes zu bemächtigen.«

»So blieb ich also,« fuhr die junge Frau mit einem tiefen Seufzer fort, »die Verstoßene, die Verachtete, die keines Mitleid werthe Unwürdige. Es ging mir recht kümmerlich, Susanne,« klagte sie und ein paar Thränen traten dabei in ihre Augen, »ich arbeitete und auch Georg arbeitete, aber es reichte nicht aus, wir versanken immer mehr in Armuth und an meinem Herzen begann eine Krankheit zu nagen, auf die ich anfangs nicht achtete, welche mich aber zu erschrecken anfing, als die Briefe von meinem Manne ausblieben und die Frage sich bei mir geltend machte, was aus meinem Kinde werden sollte, wenn es Gott eines Tages gefiele, mich zu sich zu rufen. Dies ist der Grund, meine gute Susanne, weshalb Du mich jetzt hier siehst. Mutterliebe scheut vor keinem Opfer und vor keiner Demüthigung zurück; was kann mir Schlimmeres begegnen, als was mir schon zugestoßen ist? Ich will mich also morgen in's Schloß begeben und mich meiner Mutter zu Füßen werfen, ich werde nochmals ihre Vergebung erflehen und vielleicht – o, vielleicht will es der barmherzige Gott, daß ein Strahl der Rührung in ihr Herz fällt und daß sie mich wieder aufnimmt.«

Susanne hatte sich während dieser Mittheilungen mehrere Male mit dem Zipfel ihrer Schürze die Thränen getrocknet, jetzt brachte sie den dampfenden Thee und begierig griff Helene von Lockstädt nach der Tasse, denn trotz alles Ableugnens durchschüttelte der Fieberfrost immer stärker ihre Glieder und sie vermochte sich kaum mehr aufrecht zu halten.

»Es ist nur Eins zu bedenken,« fuhr die Dulderin fort, »und hierbei baue ich ganz auf Dich, Du treue Seele. Unter allen Kränkungen, welche mir zugefügt wurden, war wohl die die schmerzlichste und größte, daß man beharrlich meine rechtmäßige Vermählung mit Georg in Abrede stellte, obgleich wir Beide uns wiederholt erboten, die Beweise dafür beizubringen. Auch hierin erkenne ich die dämonischen Einwirkungen meines Stiefbruders und durchschaue den finsteren Plan, mein Kind zu seinem Vortheil um sein künftiges Erbe zu bringen. Du kannst wohl denken, mit welcher Sorgfalt ich bisher die Papiere gehütet habe, welche meine rechtmäßige Ehe und die legitime Geburt meines kleinen Alfred darthun – aber wenn mir nun ein Unglück zustieße?«

»O, verbannen Sie doch diesen Gedanken.«

»Nein, er hat sich bei mir tief eingeprägt und macht sich immer von Neuem wieder geltend. Doch genug hiervon. Hier nimm die Documente und verwahre sie gut, es ist mein Trauschein, es ist der Taufschein meines Kindes und hier hast Du einen Zettel, auf welchem der Name und die Wohnung einer Dame verzeichnet sind, die innigen Antheil an meinem Schicksal nimmt und welcher ich mein Kind einstweilen in Verwahrung gegeben habe. Sie ist eine edle Frau und bereit, mir in jeder Beziehung Hilfe zu leisten. Und dann noch Eins, meine gute Susanne: Du kennst doch den Hauptmann von Wenkstern, welcher zwei Stunden von hier eine kleine Besitzung hat?«

»Ich sah ihn ja oft genug in Ihrem elterlichen Hause, als noch keine Wolke des Kummers Ihre Stirn trübte.«

»Nun, er war der treueste Freund meines Mannes und hat es demselben bei seiner Abreise zugeschworen, mir seinen Beistand nicht zu versagen, wenn ich denselben in Anspruch nehmen sollte. Dieser Augenblick ist jetzt gekommen und ich weiß, er wird sein gegebenes Wort unverbrüchlich halten. Nimm daher diesen Brief Und sollte ich nicht wieder aus dem Schlosse zurückkehren, so sinne auf Mittel und Wege, ihm denselben unverweilt zuzustellen.«

»Ich selbst werde ihm denselben überbringen,« bemerkte Susanne entschlossen.

Sie hatte bei diesen Worten die Papiere, welche mit einem schmalen Bande zusammengebunden waren, in Empfang genommen und barg dieselben in ihrem Busen.

»Hier ruhen sie einstweilen sicher,« sagte sie, »und morgen mit dem Frühsten werde ich sie an einem Ort verbergen, der nur mir bekannt ist. Seien Sie unbesorgt,« setzte sie hinzu, als sie die ängstlichen Blicke ihrer Gesellschafterin bemerkte, »ich habe während der Zeit meiner Ehe gelernt auf der Hut zu sein und überdem, in diesem Fall würde ich auch den Muth besitzen, für meine theure Herrin und deren Kind jeder Gewalt zu trotzen.«

Die unglückliche Mutter wollte eben eine dankende Antwort geben, als sie erschrocken zusammenfuhr. Ein scharfer Pfiff ließ sich in der unmittelbaren Nähe des Hauses vernehmen, welcher Susanne ebenfalls in Unruhe und Bestürzung versetzte, obgleich sie dies so viel wie möglich zu verbergen suchte.

»Was bedeutet dies?« fragte Helene unruhig.

»Es ist mein Mann, welcher entweder aus dem Walde, oder aus dem Schlosse zurückkehrt; er giebt mir das Zeichen, daß ich ihm öffnen soll.«

»Du bist also verheirathet? – Wie heißt Dein Mann?«

»Caspar Watt.«

»Wie, Watt, der Waldhüter?«

»Er ist es,« lautete die schüchterne Antwort.

»O Susanne, dann bist Du auch nicht glücklich, ich kenne die rohe Natur dieses Menschen.«

Die junge Frau senkte den Kopf und ein leiser Seufzer entrang sich ihrer Brust.

»Die Gräfin und der Baron wollten diese Heirath;« erwiderte sie unter einem schmerzhaften Gesichtszucken, »er versprach mich gut zu behandeln und ich glaubte ihm.«

»Arme Susanne, ich wußte wohl, daß Du hier wohntest, aber ich meinte Dich besser versorgt. Jetzt weiß ich, daß Dein Geschick nicht um Vieles besser wie das meinige ist. Caspar Watt war von jeher eine Creatur meines Stiefbruders; er gleicht ihm an Tücke und Herzlosigkeit. O, wenn er erführe, daß Du im Besitz dieser Papiere bist – ich zittere bei dem Gedanken, daß der Bösewicht sich ihrer bemächtigen könnte!«

Das Gespräch beider Frauen wurde hier durch einen heftigen Schlag gegen die Hausthüre unterbrochen und ein ungeduldiges Knurren oder Brummen ließ sich hören.

Helene hüllte sich unter einem leisen Schauer in ihr Tuch und schien entschlossen, mit Resignation die Dinge, die da kommen würden, abzuwarten.

»Beruhigen Sie sich,« flüsterte Susanne, indem sie das Zimmer verließ, um zu öffnen, »er wird es nicht wagen Sie zu beleidigen.«

In dem nächsten Augenblick stand der Waldhüter in dem kleinen Gemach. Seine Erscheinung war eine abschreckende. Ein kurzer untersetzter Körper mit breiten kräftigen Schultern kennzeichnete den Mann. Ein dichter schwarzer Bart, welcher den ganzen unteren Theil seines Gesichts bedeckte, verlieh seinen gemeinen rohen Zügen vollends ein widerliches Ansehen. Seine tückischen kleinen Augen leuchteten unter buschigen Brauen hervor, sein breiter Mund war fest zusammengekniffen, als er in die Stube trat.

»Hast Du wieder geschlafen, Du faules Weibsbild?« knurrte er, indem er seiner Frau voranschritt und jetzt den Kolben seines Gewehrs auf den Boden stieß.

»Nein, ich habe nicht geschlafen, Watt,« antwortete Susanne mit sanfter und schüchterner Stimme, »aber Du siehst wohl, daß wir Besuch erhalten haben und deshalb magst Du die kleine Verzögerung entschuldigen.«

Jetzt erst richteten sich die Blicke des Waldhüters auf die Fremde. Seine Augenbraunen zogen sich finster zusammen und mit roher Rücksichtslosigkeit sagte er zu seiner Frau gewendet:

»Du weißt doch, daß ich Dir ein für allemal verboten habe, Jemand während meiner Abwesenheit hier aufzunehmen.«

»Aber diesmal, davon bin ich überzeugt, wirst Du nicht zürnen, daß ich diesem Verbot nicht Folge leistete.«

»Kennt Ihr mich denn wirklich nicht mehr, Watt?« fragte jetzt Helene in einem sanften entgegenkommenden Tone.

»Daß ich nicht wüßte,« knurrte dieser, indem er die Fragestellerin in der Weise einer Bulldogge anblickte, welche zweifelhaft ist, ob sie zufassen, oder sich ruhig verhalten soll.

»Aber Caspar, wo hast Du denn Deine Augen?« rief seine Frau, »erkennst Du denn nicht unser liebes gnädiges Fräulein von ehemals aus dem Schlosse wieder?«

Diese Eröffnung machte eine sonderbare Wirkung auf den Waldhüter. Er kannte sehr genau die Leidensgeschichte der armen Dame und wußte ganz gut, welche Gründe sein Beschützer, der Baron von Bartenstein, hatte, dieselbe von der Mutter fern zu halten und den Haß, welchen diese gegen die Tochter hegte, unaufhörlich zu schüren.

Das Erste, was er that, war, Susanne einen bösen, tückischen, nichts Gutes verkündenden Blick zuzuwerfen. Dann wendete er sich in roher Rücksichtslosigkeit an seine ehemalige Gebieterin und sagte:

»Es ist mir nicht lieb, daß Sie gerade mein Haus ausgesucht haben. Und was wollen Sie hier? – Ich weiß wirklich nicht, nach dem was vorgefallen ist, was Sie hier wollen.«

Diese freche Aeußerung trieb der hilflosen Frau das Blut in die sonst so bleichen Wangen. Entschlossen erhob sie sich von ihrem Sitz und erwiderte mit Stolz und Würde:

»Es gab eine Zeit, Watt, wo Ihr es für Pflicht erachtet, Eure Kopfbedeckung demüthig vor mir zu ziehen, wenn Ihr mir begegnetet. Auch jetzt bin ich noch die Tochter Eurer Gebieterin und ich befinde mich auf dem Grund und Boden, welchen ich ein Recht habe, künftig als den meinigen zu betrachten.«

Der Waldhüter zuckte verächtlich mit den Schultern.

»Das war ehemals, aber Umstände verändern die Sache. Nochmals wiederhole ich es Ihnen daher, daß es mir am liebsten wäre, wenn Sie meine Wohnung wieder verließen.«

Die arme Verstoßene fühlte sich durch diese erneuerte Rohheit auf das Tiefste empört. Obgleich ihr Körper auf's Aeußerste erschöpft war, erhob sie sich doch entschlossen und sagte mit Stolz und Würde:

»Nun wohl, so werde ich gehen und mir ein Nachtlager auf der Haide suchen, Gott mag ohnedem wissen, wie lange ich dieses jammervolle Leben noch mit mir herumschleppe.«

Aber jetzt trat Susanne vor, und mit einem Muth und einer Entschlossenheit, die der sanften eingeschüchterten Frau ihrem Tyrannen gegenüber sonst durchaus nicht eigen war, sagte sie mit fester Stimme:

»Nein, Ihr bleibt, meine theure Herrin, und was ich vermag, um Euch die Nacht sanft zu betten, das werde ich thun! Mann,« fuhr sie zu Watt gewendet fort, »ist Dir denn alles christliche Bewußtsein verloren gegangen? Und wenn sich in Deinem Herzen kein menschliches Gefühl regt, gebietet Dir nicht schon die Klugheit, Dein Benehmen hiernach einzurichten? Du kannst ja nicht wissen, ob nicht eine Aussöhnung zwischen der Gräfin und unserem theuren lieben Gaste zu Stande kommt, und wie vermöchtest Du dann Dein unehrbietiges Benehmen gegen die Tochter unserer Brodherrin zu rechtfertigen?«

Diese letzte Bemerkung schien den Waldhüter auf andere Gedanken zu bringen. Er kannte den kalten rachsüchtigen Charakter der Gräfin von Plankenburg, er wußte, daß sie ihm ohnedem nicht hold war und daß er, sobald dieselbe der verstoßenen Tochter Verzeihung angedeihen ließ und von der Behandlung, die ihr bei ihm zu Theil geworden, Kenntniß erhielt, gewärtig sein dürfte, ohne Weiteres fortgejagt zu werden. Aber auch auf den Baron von Bartenstein, seinen Gönner, mußte er Rücksicht nehmen und so nahm er sich denn vor, erst später einen Entschluß über sein Verhalten in dieser Angelegenheit zu fassen und vorläufig etwas gelindere Saiten aufzuspannen.

»Nu, nu,« brummte er, »es war nicht so schlimm gemeint, obgleich meine Worte vielleicht etwas rauh geklungen haben mögen. Ruhen Sie sich aus und was an mir ist, so wünsche ich Ihnen alles Glück auf Ihrem morgenden Gange nach dem Schlosse.«

Mit diesen Worten entfernte er sich, um sein Nachtlager zu suchen, und im nächsten Augenblick befanden sich die beiden Frauen wieder allein.

»Gute Susanne,« seufzte Helene, indem sie ihren Kopf an die Schulter ihrer ehemaligen Zofe lehnte, »o, bitte mit mir zu Gott, daß er meinen morgenden schweren Gang keinen erfolglosen sein lassen möge.«

»Fassen Sie nur Muth,« tröstete im sanften Tone die junge Frau, »aber um Ihr Vorhaben ausführen zu können, müssen Sie sich vorher durch einen gesunden Schlaf stärken. Kommen Sie, Ihr Bett steht neben dem meinigen; ich werde Sie bewachen, wenn Sie die müden Augen geschlossen haben.«

Helene drückte einen Kuß auf den Mund ihrer ehemaligen Dienerin und folgte ihr willig in das kleine Schlafgemach.



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