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Aufenthalt in Hamburg

Am 24. Mai schrieb Kerner von Hamburg aus:

 

Treues Herz! Liebes Mädchen!

So bin ich endlich in Hamburg angelangt und ergeht es mir allhier, wie Dir in Deinem Augsburg. Mehr von Baum und Blumen als von Menschen einst umgeben, finden wir uns nun mitten in der lauten Gesellschaft allein, während erstere einst mit stummen Blicken liebevoll zu unserem Gemüt sprachen, das sie so wohl verstund. – So bleibt mir bis jetzt nur die Erinnerung, oder daß ich, mein Auge auf eine menschenleere Stelle geheftet, an ihr die Bilder vergangener Tage vorüberschweben lasse. Da kommt dann die Kapelle daran, Dein verlassenes Haus. Da stehst Du in Deinem weißen Kleid unter dem Fenster und blickst nach den Bergen oder wandelst unten im Tal bei Blumen in Deinem Garten, und wieder kommen dann herauf die Wälder, die Berge und die Felsen, die uns so manche Stunde liebend verborgen. Bald aber bedeckt mir dann ein kalter Mensch oder ein kaltes Menschenwort die leere Stelle, und mein Gemälde ist verschwunden.

Gestern, als ich an die Tage unsres Zusammenseins zurückdachte, fiel mir ein, wie ich einmal vom Berg herab Dich unten gehen sah, wie ich dann eilend herabging und Dich nimmer fand, Du aber auf dem Berge oben mir wieder erschienst, und ich besang es uns zum Angedenken.

O! liebes Rickele, lebe nun wohl, Gott sei mit Dir. Glaube doch nur fest, daß ich ohne Deine Liebe nicht leben könnte! Ich erwarte sobald als möglich einen Brief von Dir.

Abends

O liebes Rickele! mein gutes Herz! meine Freundin, Du mein Alles, Du liebes Mädchen, Gott! wie bist Du mir so lieb!!

Aber ach, Liebe! – es ist entsetzlich, was ich fühle, was ich leide, wenn ich von Dir bin – – sieh! so bang, so weh ist es mir.

Nicht wahr, Du liebst mich? liebes, liebes Mädchen! – Mädchen! – Du liebst mich! und ich liebe Dich, und dies warme, warme Herz, das liebt Dich.

Wann, wann kommt die andere Welt, wo – wo ist sie, die uns vereint? – – Ach Gott! wie möchte ich so ganz eins sein mit Dir, auch kein Stäubchen sollte zwischen mir sein und Dir! und da stehen die Häuser und die Berge und die Menschen. – – –

Wie viel Tausende sind gezwungen miteinander zu leben, wie viel Tausende, die sich nicht lieben, und uns, uns, die wir uns so innig lieben, trennt das Schicksal.

Morgens

O Liebe! wie bin ich durch schreckliche Träume ermattet, wie so müde, lebenssatt und voll Trauer! Mir träumte, ich ginge Lustnau zu, da kam mir Nane mit vielem Weinen entgegen, die sagte mir: daß Du voll Blut totenblaß daliegest und daß das Blut, das aus Deinem Herzen ströme, nicht zu stillen sei. Da ging ich weinend den Berg hinauf, und da kam Röslein herab und sagte ganz trocken: Du seiest ja schon lange tot. – – – Hier ist der Traum etwas unterbrochen.

Nachher kam ich vor ein großes Haus, das wie ein Schloß war, das stund aber ganz verlassen da und man hörte von keinem Menschen außen und innen.

Ich ging eine lange, lange Treppe hinauf, wo jeder meiner Tritte dumpf nachhallte und wo alte Bilder, die da herumhingen, mich mit schrecklichen Augen ansahen.

Ich ging durch viele Zimmer, die alle verlassen dastunden. Da kam ich vor einen Saal, und wie ich über die Schwelle trat, gab mir eine unsichtbare Hand einen Schlag aufs Herz, von dem es mir ganz wehe wurde. Als ich nun in den Saal trat, da lagst Du ganz totenblaß in einem weißen Kleid (o Kind! so schön!!!! –) auf einem schwarzen Teppich tot auf dem Boden und viele Rosen und Lilien um Dich her. O Liebe! wie war mir da!!! – Es kamen keine Tränen aus meinem Auge, ich fühlte keinen Seufzer, ich sank auf Dich nieder, mich störte kein Traum mehr in meinem süßesten Schlaf. – Als ich aber jetzt wieder erwachte, o Kind! wie bin ich ermüdet! wie traurig! ich fühle den Schlag auf meinem Herzen.

 

Die ungewohnten Verhältnisse, die weitere Trennung von der Braut und den Freunden, auch seine Neigung zur Melancholie überhaupt, ließen Kerner in der ersten Zeit seines Aufenthalts in Hamburg die reiche Quelle von geistigem Umgang, der ihm hier zuteil wurde, nicht so recht genießen; das Heimweh, dem er sich ohne Widerstand hingab, nahm ihn noch zu sehr ein, was auch aus den Briefen an die Freunde zu sehen ist; so schreibt er an Uhland:

»Weine trinkt man hier bloß französische, besonders rote. Ach, die sind lange nicht so herzlich, wie unser Neckarwein, nach dem mich, sooft ich ein Glas klingeln höre, ein Sehnen anwandelt, wie den Schweizer nach seinen Bergen, wenn er das Alphorn hört.

Hätt ich vom Neckartale jetzt deutschen Liederwein, Aus mächtigen Pokalen müßt jetzt getrunken sein. Tränk ach so gern! zur Stelle zwei lieben Herzen zu. Weh! bin so fern der Quelle, o Teurer, trinke du! Fleug über Berg und Au zur alten Stadt der Lieder, durchs wolkenlose Blau. Dort eine Lilie steht, in Trauern halb entlaubt, von Tränen still besät, senkt sie das müde Haupt. O trink von Herzensgrunde ihr zu den edlen Wein, daß sie mit mir gesunde, von treuer Liebe Pein.

Es ist mir recht, als hätte ich Flügel gehabt, die mir nun abgeschnitten, als wäre mir was aus dem Leben genommen; es fehlt mir so ganz was.«

In dem Hause seines Bruders und dessen schöner, geistreicher Frau lernte er bald einen Kreis der ausgezeichnetsten Männer und Frauen kennen. Mit vielen von ihnen blieb er bis in spätere Jahre in Briefwechsel, am meisten schloß er sich aber an Rosa Maria, die Schwester seines Freundes Varnhagen, an, die sich auch bald in Korrespondenz mit seinem Rickele setzte. Zu ihr ging er öfters und sie wußte am besten die finstere Melancholie zu bannen, die ihn oft befiel.

Volkspoesie und Volksschriften beschäftigten ihn auch in Hamburg und er schreibt darüber an Ludwig Uhland: »Hier in der großen Stadt ist, wie ich nun erst recht einsehe, die Volkspoesie zu Hause. Die Bauern sind schon zu sehr Tragtiere und haben keine blauen Montage. Ach! ich wünschte so sehr in einer großen Stadt leben zu können. Welch ein Unterschied gegen all dies Hüttenleben! Auf einsamen Bergen und Wäldern kann man kein Volksdichter werden. –

Chamisso schrieb an Rosa, daß ihm meine Bekanntschaft die größte Freude gemacht habe. Aber Gott weiß es! sie kann ihm keine größere machen, als mir die seine machte. O es tut einem so wohl, wenn man hie und da wieder auf Menschen stößt, die einen verstehen. Varnhagen ist nun in Wien, hergestellt von seinen Wunden, jedoch noch hinkend. Wer hätte das geglaubt, als wir auf der Lustnauer Chaussee als mit ihm herumspazierten! Doch hatte ich schon eine Ahnung: denn ich nannte ihn ja als Herr Hauptmann! Varnhagen ist nun voll Frohsinns, seinen Briefen nach. Sein Gemüt, das vorher so niedergeschlagen, sei nun ganz erheitert, schreibt er. Ich ergreife bei Gott zuletzt dies Mittel auch noch, lieber, als daß ich nach Ludwigsburg in die Langeweile sitze. Hier befinden sich Werber für ein Regiment in Spanien, ich brauche nur dorthin zu gehen.«

An Ludwig Uhland berichtet er auch über das volkstümliche Marionettentheater:

»Der in die Hölle steigende Herkules wurde gestern aufgeführt. Es sind zwei alte Leute, die dies Theater haben, und man kann bald mit ihnen bekannt sein. Sie treiben die Sache auf eine so herzliche Art, daß man ihnen recht gut sein muß. Ihre Tochter, ein nettes Mädchen, spielt dazu die Harfe. Ich nahm den ersten Platz ganz allein ein, als Repräsentant der Volkspoesie.«

Später schreibt er den 29. August:

»Die Marionetten zogen nun vom Hamburger Berg hinweg und, welch ein schöner Zufall, schlugen ihr Theater gerade neben dem Landhause auf, in dem Rosa Maria wohnt. Heute war ich mit Rosa schon dort. Das Theater ist auf einer Bühne und erinnert mich an meine Kindheit, wo wir auf dem Heuboden Komödie spielten. Es sieht gar populär aus. Durch ein Mausloch oben an der Bretterwand (dem Bühneboden) wird der Kronleuchter herabgelassen. Jason wurde heute aufgeführt. Rosa lachte recht herzlich. Das Stück war etwas verwirrt, scheint aber das beste zu sein, das ich je sah. – Was mir hier die Berge in etwas ersetzt, das sind die Windmühlen, an denen ich großes Gefallen finde. Wälder sieht man nicht, außer künstlich angelegte um die Landsitze.

2. September nachts. Mein Bruder und meine Schwester gingen nach Neumühlen zu Madame Sieveking auf einen Ball. Ich flüchtete mich zu Rosa und nun zu Dir, mein lieber Uhland! – Auf einer Bank vor dem Marionettentheater unter den Bäumen trafen wir einen Spanier, der verwundet im Dänischen zurückblieb und nun an Krücken geht. Rosa unterhielt sich mit ihm. Es war ein noch recht junger Mensch von edlem Aussehen. Viel beklagte er sich über die Franzosen und das Schicksal, das ihn zurückhalte, am Kampfe für sein Vaterland teilnehmen zu können.

Hamann, nach dem Buch Esther, sahen wir heute durch die Marionetten aufführen. Ein Student in Kiel hat dem Marionettenmann dies Stück verfertigt. Es ist besonders für die Juden gemünzt und wird vieles in jüdischer Mundart gesprochen ... Nach dem kam ein Nachspiel: Die komische Person im Sacke, fast Shakespearisch.

Die Kinder, die Rosa zur Erziehung übergeben, und ihre Mutter (Juden) waren mit, und war es besonders lustig für die Kinder. Ein Pferd, das darin vorkam, war gar possierlich. – Nachher gaben die Kinder vor dem Hause ein Feuerwerk, aber nichts wollte mich aufwecken.

Ja wohl, Uhland! – Als ich von Rosa wegging, ging ich noch an der Alster umher. Es war der Himmel und das Wasser voll von Sternen. In der Ferne schifften mehrere Nachen mit Gesang und froher Gesellschaft zu einem erleuchteten Hause am Ufer. Ich stund und sah hinab in die Tiefe und wäre so gerne den Sternen da unten ans Herz gefallen. Und was hielt mich zurück ... Deine Freundschaft, Uhland!«

Den 19. September 1809 schrieb er: »Gestern war mein Geburtstag. Ich konnte ihn nicht schöner feiern, als zu Rosa zu gehen, es hätte auch wohl kein Mensch hier mehr Anteil genommen als Rosa. Sie sagte mir bisher kein Wort, daß sie die Gitarre spiele, um so angenehmer war mir die Überraschung, als sie mir jetzt spielte und sang. Sie hat mir eine Haarschnur mit einem goldnen Schlößchen zum Geschenk gemacht. Es freut mich recht herzlich, da es mir ein Beweis ist, daß ich ihr nicht fremd bin. Ich zeigte ihr Dein Bild und sie hat es bei einer halben Stunde betrachtet.

Ich wollte nur, Du könntest auch Rosa kennenlernen! Ich kann nicht alle Tage zu ihr; es würde sich, besonders da sie bei fremden Leuten ist, nicht schicken. Länger aber als drei Tage kann ich es nun und nimmer aushalten, ohne bei ihr gewesen zu sein.«

21. September: »Ich komme von meinem Troste – von Rosa. Sie gibt mir auf, Dir in ihrem Namen viele herzliche Grüße zu schreiben ... Wir saßen vor dem Hause unter den Bäumen mit Madame Oppenheimer, bei der sie ist, bis spät in die Nacht. Ich erzählte nichts als Geistergeschichten, so daß keine mehr das Herz hatte, sich von der Stelle zu bewegen. Daher blieben wir so lange beisammen, woran ich meine Freude hatte, und welches in mir ein lustig Gelächter causierte. Die Frauen wohnen vor der Stadt allein (nur mit Kindern) in einem Hause, und, weil ich ihnen die Geschichte von Winzingerode mit dem Spiegel erzählte, so getraute sich keine diese Nacht die Haare aufzuwickeln, weil keine den Mut hatte, in den Spiegel zu schauen. Ich kann Dir die Rosa nicht oft genug rühmen; man fühlt reines Wohlbehagen in ihrem Umgang, ohne daß sie einem den Schmerz der Liebe brächte. – Ich betrachte sie immer als meinesgleichen, als meinen Freund, als Dichterin, und mir ist recht wohl und schmerzlos bei ihr.«

23. September: »Ich sehe, daß das Schicksal, so sehr es mir mitspielt, doch noch einiges Mitleid mit mir fühlt. An einem bösen, recht mißlaunischen Abend, den ich gestern hatte, habe ich doch noch eine Freude erlebt; ich habe nämlich noch einen Brief von Augsburg erhalten. Welch ein reines, welch ein frommes Gemüt wohnt in diesem Kinde!«

Den 24. September: »Ich habe nun auch Herbstvakanz. Mein Bruder hat mich meiner medizinischen Praxis enthoben. Nun bin ich frei wie der Zugvogel und werde durch die Gemächer und Höhlen des Jammers, die ich alle Morgen zu durchlaufen hatte, für den Rest des Tages nun nimmer verstimmt. Schon heute habe ich diese Freiheit benützt und zog früh und allein aus nach einem Dorf, so Blankenese hieß, und von dem man mir sagte, daß man dort Berge sehen könne. An Landhäusern von der verschiedensten Bauart, oft von außerordentlicher Lieblichkeit, von edler Pracht, an Gärten, in denen Wälder, Blumen- und Wiesenfelder waren, führte der Weg hin. Das Ufer der Elbe erhob sich bald sehr, in unmeßbare Weite sich erstreckend, lag sie vor mir. Stund ich bald auf einem Felsen, an dem brachen sich die Wogen. Da setzt' ich mich nieder und ließ meine Maultrommel hell in ihre dumpfen Schläge tönen. Schiffe mit vollen Segeln, die oft purpurrot waren und Abendwolken glichen, gleiteten unter meinen Füßen, in weiter Ferne aber schwammen andere am Horizonte, kaum sichtbar, wie Silberschwäne dahin, oder wie weiße Tauben, so durch die Luft fliegen. Es war mir wohl zumute und glaubt ich in meiner Heimat zu wallen, denn es war die Natur, meine liebe Mutter, wieder bei mir und meine Geliebte, die Poesie.«

Kerners Zeit für Hamburg war abgelaufen, da er auch noch ein halbes Jahr für die Spitäler Wiens bestimmt hatte. Die Reise nach Wien ging über Nürnberg und Augsburg. Die Eindrücke, welche die beiden alten Reichsstädte, besonders Nürnberg, auf ihn machten, sind größtenteils in seinen Gedichten und Reiseschatten niedergelegt; was ihn aber vorzüglich nach Augsburg hinzog, war sein Rickele, die sich noch dort aufhielt. Es war ihnen vergönnt, nach so langer Trennung einige Tage des Glücks zusammen zu verleben. Wirkte dieses Glück noch nach, oder war Wien ihm sympathischer als Hamburg: von dort aus lauten seine Briefe viel weniger melancholisch.


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