Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es war am 26. April 1807, Unlands Geburtstag, als Kerner und Uhland mit einer Gesellschaft von Freunden und Verwandten die Achalm bei Reutlingen bestiegen. Alle waren fröhlich, nur ein junges feines Mädchen in dunkler Kleidung, das mit zu dieser Gesellschaft gehörte, stand allein und sah traurig in die Gegend hinaus. Kerner, der dieses Mädchen noch nie früher gesehen hatte, trat auf sie zu und redete sie mit den Worten Goethes an:
»Wie kommts, daß du so traurig bist,
Da alles froh erscheint?
Man sieht dirs an den Augen an,
Gewiß du hast geweint.«
Sie antwortete mit dem zweiten Vers:
»Und hab ich einsam auch geweint,
So ists mein eigner Schmerz,
Und Tränen fließen gar so süß,
Erleichtern mir das Herz.«
Mit diesen Worten war der Bund der Herzen zwischen Friederike und Justinus geschlossen. Fest und klar war er sich von diesem Augenblick an bewußt, daß sie es sei, in der er das Glück seines Lebens gefunden habe, und innig, wie sie vom ersten Worte an miteinander verbunden waren, blieb von nun an das herzliche »Du« für immer zwischen ihnen bestehen, das Justinus mit den Worten des Dichters gebraucht hatte.
Es war der erste Ausflug, den Friederike nach dem Tode ihres Vaters von Lustnau aus gemacht hatte. Aus ihm sollte für sie und Justinus ein Glück erblühen, wie es selten Menschen zuteil geworden ist.
Kerner war schon als Student ein ausgezeichneter Mann, der durch seine Talente, sein liebenswürdig originelles Wesen in den Tübinger Kreisen sehr bekannt und gern gesehen war; daß aber ein Mädchen sich jetzt schon an ihn binden könne, kam allen Verwandten und Bekannten Friederikens doch zu aussichtslos vor, und diese wurde von der gestrengen Frau Tante Hehl sehr bewacht. Nur die heiße Liebe ihres Justinus, seine Treue und Beharrlichkeit gaben ihr die Kraft, alles auszuhalten, was Schweres über sie erging.
Die Liebenden konnten sich nur wenig sehen, oft nur aus der Ferne.
Lustnau liegt ganz von Bergen umgeben, und von einem derselben sah man herunter an die Oberamtei (jetzige Sophienpflege) und an das Fenster von Rickeles Zimmer. Auf diesem Berge lag Kerner oft stundenlang und war glücklich, wenn er seine Geliebte am Fenster erblicken konnte.
Schriftlich verkehrten sie fleißig und legten ihre Briefe in einer alten verlassenen Kapelle unter einen Stein nieder. Dort sahen sie sich auch hie und da.
Viele Lieder Kerners entstanden damals, die zuerst in Prosa oder gleich in Versen in den Briefen an sein Rickele enthalten sind.
Der schönste Liebesfrühling leuchtet aus diesen Briefen, und ich kann mich nicht enthalten, einige, von Justinus wenigstens, beizusetzen:
Montag 1807 (nachts 10 Uhr)
Sahst Du mich auf dem Berge? Du sähest mich und konntest nicht zu mir herauf, und ich konnte nicht zu Dir hinab. Lang lag ich im Grase da und sah aus dem Gebüsch hervor nach Deinem Fensterlein, da glaubte ich Dich einmal zu sehen und sprang auf. Es war aber nur ein weißes Blümlein, das sich mir vor Augen stellte, als ich so im Grase dalag. Bald darauf kamst Du doch noch und schienest ganz weiß herauf. Ein Brieflein habe ich Dir hingelegt und der Mond hat mir dazu geleuchtet.
Schön ists, wenn zwei Sterne beieinander stehen, ach, man sieht sie so gerne an, sie geben auch viel helleren Schein. Schön ists, wenn zwei Blumen beieinander stehen, man freut sich ihrer, sie geben auch viel süßeren Duft. Doch, wenn zwei, die sich lieben, beieinander stehen, wie schön ist das! Sie leuchten heller als zwei Sterne, sie duften süßer als zwei Blumen. Daß ich Dich wieder sah, Du teueres Mädchen! Deine Liebe macht mich so glücklich. Doch ach, was fühlt dieses Herz? ist es Leiden, ist es Liebe? Ob Liebe Leiden sei, ob Leiden Liebe sei, weiß ich zu sagen nicht, aber ich klage nicht, lieblich das Leiden ist, wenn Leiden Liebe ist. Der Duft ist die Liebe der Blume, die Liebe ist der Duft des Mädchens! Eine Blume ohne Duft, so schön sie auch sein mag, steckt man nicht gern an das Herz. Ein Mädchen ohne Liebe, so schön es auch sein mag, ist ein totes Spielwerk. Duft gibt der Blume Leben und Sprache, Liebe, Leben und Sprache dem Auge des Mädchens. Der Jüngling verhält sich zum Mädchen wie der Stern zur Blume, rastlos schweift der Stern durch Wolken und Stürme. Die Blume duftet still auf häuslicher Flur, an die Mutter, die Erde, gebunden; der Stern, von düsteren Wolken umzogen, verliert seinen hellen Glanz. Die Blume duftet auch unter Stürmen ruhig fort. – Liebe, unser Tagwerk ist vollbracht, laß uns jetzt recht ruhig aneinander denken. Wie fern ist der Stern von der Blume, und doch wird sie von ihm erhellt. Wie fern ist die Blume vom Stern, und doch duftet sie zu ihm empor. Wie fern bist Du von mir, und doch fühl ich Deine Liebe, ach so innig, als wenn ich Dich an mein Herz gepreßt hätte. Wie fern bin ich von Dir, und doch fühlst Du, ich weiß es, meinen Strahl in Deinem Herzen.
Das schwarze Band von Dir trage ich fest auf dem Herzen.
Schwarzes Band, o du mein Leben!
Ruh auf meinem Herzen warm;
Liebe hat dich mir gegeben,
Ohne dich, wie wär ich arm!
Fragt man mich, warum ich trage
Dieses schwarze, schlechte Band,
Kann ichs nicht vor Weinen sagen,
Denn es kommt von Liebeshand.
So ich sollte ruhig schlafen
In dem Bettlein, kanns nicht sein;
Habe stets mit dir zu schaffen,
Schwarzes Band! du liebe Pein!
So ich sollte zu mir nehmen
Etwas Speise oder Trank,
Kann ich nicht vor lauter Grämen
Sagen Dank: denn ich bin krank.
Krank sein, es nicht dürfen klagen,
Ist wohl eine schwere Pein;
Lieben, es nicht dürfen sagen,
Muß ein hartes Lieben sein!
Mittwoch nacht
Wie flohen alle Schmerzen,
Wie leicht ist doch mein Sinn,
Seitdem in deinem Herzen
Ich innig leb und bin!
Ist nicht die Welt voll Frieden,
Verwandelt ach! so ganz?
So leb ich wohl in Blüten,
In Sonn- und Mondenglanz.
Bin in des Himmels Aue
Voll Sternen, Duft und Tau.
So ist mir, seit ich schaue
Aus deinen Augen blau!
Seit ich in Deinem frommen Herzen lebe, Du teueres Mädchen, wie ist die Erde, wie sind die Menschen ganz umgestaltet, ich fühle, ich werde besser durch Dich. Und wer sollte nicht besser werden, der in einem solchen reinen, frommen, jungfräulichen Herzen, in einem solchen Tempel der reinen Mutter Gottes wohnt.
Ich blieb gestern abend noch lange dort unten liegen und wollte dem Wetter trotzen. Es hielt aber gar zu lange an und ich ging den Berg hinauf, sah Dich zum Glück an Deinem Fensterlein, und Du sähest auch mich, meine Liebe, es war ein schöner Tag gestern. – Lieber Himmel! Guter Gott! Dank, Dank, tausend Dank für ihn!!! –
Donnerstag nacht
Ich kam soeben aus einem Garten zurück, wo ich zu Professor Gmelin eingeladen war, wir waren alle sehr vergnügt und ich besonders, da ich an Deine Liebe dachte, als wir auf die Gesundheit unsrer Mädchen tranken. – Ach! – dachte ich, wie mancher ist wohl unter uns, der ungeliebt mit Schmerzen an ein liebes Mädchen denkt, und ich bin so glücklich und darf denken, die ich liebe, die liebt mich wieder, die denkt jetzt an mich, die träumt jetzt von mir, der bin ich alles, wie sie mir alles ist. – Du kannst nicht fassen, welche unsägliche Wonne mich bei diesem Gedanken ergriff. Dank! Dank Du liebes Mädchen, tausend Dank für all die Gefühle, die Du mir gibst und die ich, ach! Dir gewiß nicht wiedergeben kann. Ach, ich wäre nur halb so froh gewesen, hätte ich nicht gedacht: wie mein Herz jetzt in Freude schlägt, schlägt auch ihr Herz jetzt in Freude, das in dem meinen ruht. – Kind, ruhe süß, Du Liebe, Du teures Herz, Gott ist mit Dir, er ist, wo Liebe ist. – Gute Nacht, ruhe süß in Deinem Kämmerlein, und wenn Du wachst, so duften tausend Blumen von den Bergen zu Dir und bringen Dir meinen Morgengruß.
Freitag nacht
Guten Tag, guten Morgen, mein Kind, meine Liebe! – Ich habe einen schönen Traum gehabt, ach! verspräche er nur auch einen schönen Tag!! – Nun bin ich wieder voll Sorgen und das Herz schlägt so bang und so voll Angst, ach Kind, so bang, – ob ich Dich heute sehen werde, wie es Dir ergeht! – Ob ich nicht sündigte, daß ich ohne Dich froh sein wollte, wollte, o Kind, mir ist so angst! –
Und doch habe ich so schön geträumt! – Es steht ein verblühter Gelbveilchenstock vor meinem Fenster, da träumte mir, es sei aus ihm ein großer Rosenstock, voll großer Rosen, gesprossen, um den sich ein grüner Lorbeer gewunden. Ist das nicht ein schöner Traum? Rosen bedeuten Liebe und Lorbeer Freude und Sorge. – Rosen sind der Kranz der Jungfrau, und Lorbeer ist der Kranz der Dichter. Ach, wenn auch Du ihn im Traum gesehen hättest, dann wäre es gewiß ein gutes Zeichen, das uns der Himmel zum Trost sandte in den Wolken und Stürmen, die uns umgeben.
Samstag nacht
Lange sah ich heute voll Sehnsucht vom Berge auf das weiße Kreuz herunter, das die Flügel Deines geschlossenen Fensterleins bilden, bis es sich endlich auseinanderbreitete, und Du, Liebe, ein freundlicher Engel, an ihm erschienst. O genug, genug Belohnung für zwei Stunden, die ich harrte. Dein Brieflein fand ich und las es im Scheine des Mondes. – Ach, es hat mich so traurig gemacht, daß Du um zwei Uhr wieder, um zu waschen, aufstehen mußtest, wo ich noch im Bette liege. Ich kann nicht schlafen, wenn ich an dieses denke, es macht mich so betrübt, daß ich fast wie ein Kind weine. – Im Heimweg verkam mir ein Kind, das sich verirrt hatte, das nahm ich in meinen Schutz und ließ es mit mir laufen, es hatte so Angst vor den Bären, die es fressen würden, daß es am ganzen Leib zitterte. – Als ich am Kirchhof vorüberging, schmiegte es sich fest an mich, ich fragte, ob es nicht da hinein wolle, da sagte es: »Ach, ich habe ja heute noch nichts gegessen!« – Ich gab es unter dem Tore ab.
Es ist nichts so eigen und so schön, als des Abends im Mondschein durch die Straßen einer alten Stadt zu wandeln. Wenn die hohen Häuser so schwarz und ernst dastehen, und der Mond mit freundlichem Scheine die engen Straßen hellt. Die Leute sitzen so friedlich vor ihren Häusern nach des Tages Last, Kinder, Mann und Weib, Magd und Geselle, und Annäherung und Vertrauen spricht da aus manchem Auge. Es ist nicht mehr so das besorgte, geizige Rennen nach Erwerb auf den Straßen, das mühsame Tragen, Hämmern, Fahren und Treiben. Es ist mehr das Leben in einer glücklicheren Welt; Ruhe und Stille ist auf der Straße und in den Häusern, eine Stille, die nur das Rauschen eines Brunnens unterbricht oder die dumpfen Töne einer alten Turmglocke oder hie und da aus einem Hause herab eine Flöte oder das Flüstern zweier Liebenden unter der Haustüre. Ach Gott, wie oft beneide ich manchen Handwerksburschen, der ohne Scheu mit seinem Liebchen im Mondschein durch die Straßen wandelt, der, wenn er auch den ganzen Tag über im Schweiße da stund, um sein karges tägliches Brot arbeitend, doch den süßen Trost hat, abends am Arme seiner Liebe auszuruhen. – O glücklicher Heinrich, Johann, Schlosser, Schmiedsgeselle, oder wie du dich nennst. Wie gerne gäbe ich dir all mein eitles Wissen, das Wissen, daß die Menschen nichts wissen, wie gerne gäbe ich dir meine Hoffnung auf den Doktorstitel, meinen Sessel, darauf mich zu setzen, mein Bett, in dem du liegen kannst, solange es dir beliebt, mein Tintenfaß und mein Buch um dein glückseliges Los.
So sah ich Dich doch von weitem, genug, um zehn Stunden darum zu laufen! Als es dunkel war, stieg ich vom Berg hinab und – o Gott! – welche Freude – ich fand Dein Brieflein! – Als ich darnach langte, hörte ich was im Gebüsch rauschen, ich meinte fast, Du seiest es. Aber denke nur – da kam ein Rehlein ganz ungescheut an mir vorüber, ich verscheuchte es auch nicht, ob ich es gleich hätte mit den Händen langen können. Ich sah es an als einen Boten von Dir oder als Dich selbst in dieser Gestalt versteckt, denn es war so herzig und klein, wie Du, und sah so friedlich aus.
Juli, Montag (4 Uhr morgens)
Liebes Rickele! Wie gerne hätte ich Dir noch gestern nacht geschrieben, ich war aber außerstand, gewiß! In Lustnau noch lange aufgehalten, mußte ich beinahe springen, um vor zehn Uhr noch in das Haus zu kommen. Wie irrte ich gestern auf den Feldern umher, wie klopfte mein Herz, und als ich keinen Ausgang mehr fand und schon fürchtete, nicht mehr zu Dir zu kommen, Liebe, wie war mir da!!! – ach da fühlte ich recht, wie ich Dich liebe. Gern hätte ich eine Minute darauf mein Leben gegeben, hätte ich Dich nur gesehen, gern hätte ich mich noch ganz außer Atem gelaufen, hätte ich nur mit dem letzten Atemzug mein liebes Rickele gesehen. – Ich legte mich auf den Boden nieder und mußte weinen vor Schmerz. – Doch als ich Dich fand, Du liebes Kind, als ich Dich sah, wie war da alles vergessen. O wären nur nicht die Leute gewesen, wie hätte ich Dich an mein Herz gepreßt. Welch ein froher Abend dann an Deiner Seite. O lasse uns jeden Augenblick benützen, wo wir uns sehen, sprechen, schreiben und uns an das Herz drücken können! Die frohen Tage, sie vergehen so bald. Wie ich Dich liebe, Du Liebe, wie ich so ganz Dein bin! o fühltest Du nur, was ich jetzt fühle! welche Liebe, welche Liebe zu Dir.
Mein Rickele, mein liebes teures Mädchen, warum bin ich doch fröhlich, warum nach vielen Tagen wieder. Gott, ich sah so viel Liebe heute in Deinen Augen, darum bin ich so fröhlich. O liebes Mädchen, daß Du mich liebst, es ist ein Traum. Daß ein Mädchen, ach, so was Heiliges in meinen Augen, mich liebt – das ist ein Traum. – Du süßer Traum, laß mich nicht erwachen!!
Donnerstag morgens
Ich meinte, nun werde ich nach dem frohen Abend auch endlich einmal gut schlafen. Es geschah aber nicht. Mir träumte, ich hätte müssen wie zu einem Feste viele Leute einladen, die alle in schwarzen Mänteln einherzogen. Meine Mutter ging ganz schwarz gekleidet voraus und zog mit ihnen auf einen Kirchhof zu einem Grabe. Da stellten sich alle die Männer in den schwarzen Kleidern stumm herum. Da gab mir meine Mutter einen Spaten und befahl mir in das Grab hineinzugraben. Da grub ich mit zitternder Hand und, da war es gar erschrecklich, als ich verfaulte Stücke einer Bahre und einen Totenschädel mit noch halbem Gesicht herauszog. Nach und nach wurde es ganz Nacht, und all die schwarzen Männer um das Grab wurden zu Raben, die mit schrecklichem Ächzen um mich flogen, bis ich ganz ermattet voll kaltem Schweiß erwachte.
O es war schrecklich! Du kannst es nicht glauben. Sieh! so verfolgen mich schwarze Geister, und wenn mir auch bei Tag einmal die Sonne schien, so ist die Nacht dafür ohne Mond und Sterne.
Dienstag nacht 10 Uhr
Das Gewitter konnte mich nicht abschrecken, ich ging noch spät durch die Täler, mein Brieflein am ausgemachten Ort niederzulegen. Schon kam die Nacht. Es war, nachdem der Donner an den Bergen verhallt, eine schauerliche Stille ringsumher.
Ich ging gerade die unbegangenen Wege durch die tiefen Täler an einsamen Gärten vorüber, es graute mir fast, denn meine Phantasie war noch mit jenem Traum beschäftigt. Es war mir oft, als sähen mich allerlei Gestalten aus den Fenstern der verlassenen Gartenhäuser an. Am schauerlichsten war es mir, als ich über die öde Heide ging und die verwelkten Blumen und Kräuter unter meinen Füßen rauschten. Auf den Bäumen herum saß es voll Raben, als wären die alle zu Särgen bestimmt. Als ich mich dem Berg näherte, klopfte mein Herz. Ach, nicht voll Angst, sondern voll Freude, denn ich hoffte ein Brieflein von Dir zu finden.
Mit vieler Mühe glitschte ich den Berg hinab, der Kapelle zu, suchte – ach und fand nichts! – Da legte ich traurig mein Brieflein hin und stieg wieder empor. Kaum war ich oben aus dem Gebüsch, da faßte mich etwas beim Rock, worüber ich nicht wenig erschrak. Es war der Hund des Wildschützen, dem sein Herr bald nachfolgte. Sie machten sich wohl Hoffnung, ein Reh zu erwischen, und der Mann erschrak wohl mehr an dem Wild als ich an ihm, als das Wild ihm »Gute Nacht« sagte.
Da ging ich schnell an dem Weg zurück und war jetzt nur froh, daß ich mein Brieflein abgegeben hatte. – Ich kam an dem Kirchhof vorüber und da hörte ich eine schöne Musik aus der Ferne. Man spielte Tänze. Ich hielt lange still und da meinte ich, die Wolken drehen sich nach dem Takte. Wie weiße Geister schwebten sie durch den Himmel. Der Mond und die Sterne wogten auf und nieder, und die schlanken Pappeln wiegten sich wie Tanzende.
(Nun laß mich träumen und vollends mein Gemälde malen!)
Als ich so in die Harmonieen verloren dastund, kam ein Windstoß, es fuhren die schwarzen Tore des Kirchhofs plötzlich auf, und es war mir, als träte ein Totengerippe heraus, mich zum Tanze einzuladen.
Unwillkürlich trat ich in den Kirchhof ein. Munterer tönten die Tänze, nähergebracht auf den Flügeln des Windes. Es war mir, als umschlänge mich ein Arm, ich konnte nicht widerstreben – ich fing zu tanzen an. Noch viele Gestalten tanzten um mich. Die weißen vergoldeten Grabsteine, vom Monde beleuchtet, flammten wie Lampen im Hochzeitsaal. Blumen und Kräuter gaben süße Düfte.
Immer fester umfaßte mich der kalte Arm, er drückte mich an sich mit Macht, ich fühlte mein Herz nicht mehr schlagen, da flüsterte eine Stimme mir zu, es war Deine Stimme: »Das ist unser Hochzeittanz!«
Die Musik schwieg und ich erwachte wie aus Träumen. – Voll Schauer ging ich durch die schwarzen Gassen der Stadt und wähnte noch lange den kalten Arm um mich zu fühlen.
Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!
Schon steht im Hochzeitkleid
Die bleiche Braut bereit,
Erwartend euch zum Feste.
Herbei! herbei! zum Tanz
Die bleiche Braut zu führen.
Seht! ihre Haare zieren
So Ros' als Lilienkranz.
So Mond und Sterne kränzen
Lichtvoll das dunkle Tal,
Lampen im Hochzeitssaal,
Die Leichensteine glänzen.
Und weil nach Tanz und Lauf
Der Ruh wir nötig hätten, –
Schloß ich zu Schlummerstätten
Die stillen Gräber auf.
Seht! eure Betten kränzet
Der Rosen stolze Art,
Doch eine Lilie zart
Am Bett der Braut erglänzet.
Die Hochzeit ist bereit,
Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!
Es öffnen sich zum Feste
Die schwarzen Tore weit.
Ich werde heute auf dem Berge stehen, ich werde Dich aber wohl nicht sehen können. Kein Wetter soll mich abhalten. Ach! fände ich doch nur ein Brieflein! O Herz, wie liebe ich! Ach! könnte ich doch nur eine Stunde noch einmal ruhig bei Dir sein! – Der traurige Tag! O Liebe, wie traurig!
Aber ich will immer, immer auf dem Berge an Dich denken, ich will meine ganze Phantasie zusammennehmen, mir gewiß zu machen, Du seiest um mich, – und ach! bist Du denn nicht um mich? bin ich denn nicht um Dich? sind wir denn nicht immer beieinander? –
Liebe, nein! Die Liebe trennt keine Entfernung – sie ist ein beflügelter Engel. – O laß den Engel ewig in Deinem Herzen wohnen!–
Gott! Gott mit Dir! reines, frommes, liebes Mädchen,
Dein nur Dein
Justinus.
Mittwoch morgen
Du liebes, reines Kind! lache doch froh, blick nicht so traurig an den Himmel, sonst blickt auch er wieder so traurig herab – und was habe ich noch als den Blick zum Himmel, da ich nicht mehr in Deine Augen schauen kann. Liebe! Gott sei mit Dir, bete, bete! Lebe wohl, ich schreibe Dir alle Tage, schreibe auch, dies kann uns niemand verwehren.
Ich gehe diesen Abend nicht aus, ich gehe nicht nach Lustnau, ich würde Dich doch nicht sehen, und an einen Ort, wo ich weiß, daß ich Dich nicht finde, gehe ich in Zukunft nimmer. Habe ich an Dich genug geschrieben, so spiele ich auf meiner Gitarre oder denke an Dich und träume Liebe. Ja, laß mich träumen, lasse mich auf die schwarzen Wolken der Zukunft ein lichtes Gemälde malen.
Blick aus Deinem Fensterlein dort über die Berge an den Himmel, dahin will ich es Dir malen.
Siehst Du die schöne Gegend voll Berge und Wälder und dunkler Täler? Es ist eine Gegend des Schwarzwaldes. Hie und da sind unter Bäumen voll Blüten, die süße Düfte durch die Täler wehen, niedere Hütten mit langen, langen Dächern zerstreut. Das Horn des Hirten und das Läuten der Herden tönt von den Bergen ins Tal, wo der Wanderer auf den Stab gelehnt stehenbleibt und mit vollen Zügen den Frühling einatmet.
Aber siehst Du dieses kleine Haus dort, an einen Felsen gelehnt? Wer bewohnt dieses stille Haus? – Ich bewohne dieses stille Haus, denn schon lange lebe ich als Arzt unter diesen Menschen und rings aus allen Tälern kommen sie, um Rat und Hilfe bei mir zu suchen. Daß sie mit größerem Zutrauen und Liebe diesem Herzen nahen, trage ich diesen schwarzen Zwilchrock und diesen großen runden Hut und bin so gekleidet, wie sie gekleidet sind. – Aber welch liebes Weib geht dort im Tale und sucht Blumen und Kräuter? Das bist Du, mein liebes Rickele!!! denn Du bist schon längst ganz mein, ich lehrte Dich die heilsamen Kräuter kennen und Du sammelst sie ein. Dies Bauernkleid, wie steht es Dir doch so nett!! – »Dies ist eine Bäuerin?« fragt sich der Wandrer, der freundlich grüßend an Dir vorübergeht: »O ihr Weiber der Stadt!« seufzt er nun und geht langsam das Tal entlang.
Aber wie freust Du Dich, so viel gesammelt zu haben; wie fröhlich rufst Du mir zu und wie fliege ich zu Dir. Liebe, laß Dich an mein Herz drücken, hier im Angesicht der lebendigen Natur. Gott, Du bist ja ganz mein, keinen Lauscher haben wir mehr zu fürchten. Wie drücke ich Dich an mein Herz. – – – Mädchen! wehe!!! Siehst Du den Raben, der durch den Himmel über mein Gemälde wehklagend fliegt?? – – Teures Mädchen, wende den Blick hinweg, schon haben es Deine Tränen verwischt – es ist verschwunden. – Die schwarze Wolke tritt hervor, langsam und ernst bewegt sich ein Sarg durch die Lüfte – – Rabe! wem ist der Sarg? Mir oder ihr??