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Mr. Bopkins war seit jenem Abenteuer mit den Ameisen äußerst niedergeschlagen. Hatte ihn die rasche Aufeinanderfolge seiner Unfälle so niedergedrückt oder die empfindlichen Bisse der Insekten diese Nachwirkung auf sein Nervensystem hervorgerufen, oder war es der Schmerz über den Verlust seiner Liköre und anderen Süßigkeiten, kurz: er vergaß vollständig die gewohnten Proteste und Verwahrungen, brütete die längste Zeit teilnahmlos vor sich hin und schien sich um die Vorkommnisse in seiner Umgebung gar nicht mehr zu kümmern. Nicht einmal der Überfall der Indianer hatte ihn aus seinem Wagen hervorgelockt.
Da am Tage nach Don Roccas Abzug die Vermessungsarbeiten wieder ihren gewöhnlichen Fortgang nahmen und nach dem Berichte der Peones die Gegend vollständig von Indianern gesäubert war, ließ es Doktor Bergmann gerne geschehen, daß Mr. Bopkins sich endlich zu einem kleinen Spaziergange aufraffte. War es doch das erste Anzeichen dafür, daß das Gemütsleiden des Yankee sich zu bessern begann.
Langsam und den geliebten grauen Zylinder tief in die Stirn gezogen, schritt er durch die Pampa dahin, drang schließlich in ein stilles Wäldchen ein und setzte sich dort an einem idyllischen Plätzchen im Schatten einer prächtigen Palme nieder. Der Tag war schwül, und die Kühle unter dem Laubdach wirkte so erquickend, daß sich Mr. Bopkins ihrem Einflusse nicht entziehen konnte, sondern bald in einen tiefen Schlummer versank.
Da dieses Wäldchen besonders reich an Palmen und Algaroben war, deren Früchte zahlreichen Tieren eine hochwillkommene und zuzeiten die einzige Nahrung bieten, gab es hier auch beträchtliche Scharen von kleinen und großen Affen, die bisher wohl nur äußerst selten durch das Erscheinen eines Menschen gestört worden waren.
Zwar hatten sie und ihre unzertrennlichen Begleiter, die buntfarbigen Papageien, überrascht und verwundert ihr vielstimmiges Schnattern und Kreischen eingestellt, solange der Yankee durch ihr friedliches Reich dahinschritt. Doch da der Eindringling keine feindselige Gesinnung gegen sie an den Tag legte, faßten sie allmählich wieder Mut; leise erklangen bald da, bald dort wieder gurgelnde Laute aus Affenkehlen und das Geschwätz einzelner Papageien.
Das waren die letzten Töne, die Mr. Bopkins vernahm, ehe er friedlich einschlief. Denn hätte er geahnt, was nun folgen sollte, dann hätte er sich jedenfalls maßlos entrüstet über die Behandlung, die dem Vertreter der South-American-Railway-Company sogar von den vierbeinigen Bürgern Südamerikas zu teil wurde.
Die Affen waren nämlich keineswegs erschreckt, sondern hielten wahrscheinlich den ehrbaren Mr. Bopkins nur für ein besonders großes und noch nie gesehenes Exemplar ihrer eigenen Rasse, das sie mit stetig wachsender Neugier betrachteten. Wie durch ein geheimes Losungswort gerufen, kamen sie aus allen Teilen des Waldes herbeigehuscht und hockten sich dichtgedrängt auf die Äste der rings umherstehenden Bäume und auf die starken Wedel der Palmen, bis diese sich tief zur Erde bogen und die Last kaum mehr zu tragen vermochten.
Die Affen verbrachten eine geraume Weile unter leisem Kichern und Schwatzen, bis ein alter und besonders kräftiger Edjeati (Affenart) so viel Mut faßte, um von seinem luftigen Sitz auf die Erde herabzusteigen. Er hockte sich fünf Schritte vor den Yankee hin und betrachtete ihn mit tiefernster Miene, als sei er der selige Ödipus und wolle das Rätsel der Sphinx lösen. Bedächtig ahmte er dabei den Yankee nach, der in seinen Träumen beständig mit dem Kopfe nickte, und so oft beide einen besonders tiefen Diener machten, flog durch die Reihen der oben hockenden Affen ein vergnügtes Meckern, als freuten sie sich darüber, daß ihr Vertreter sich mit dem Vertreter der South-American-Railway-Company so gut verständigte.
Schließlich mochte aber dem alten Edjeati diese Art von Meinungsaustausch etwas zu eintönig werden; auch erregte das hohe Ding, das der Unbekannte auf dem Kopfe trug, sein besonderes Interesse. Er schlich also herbei, zog jenem mit großer Vorsicht den grauen Zylinder vom Kopfe und stülpte ihn dann rasch auf sein eigenes würdiges Haupt. Mr. Bopkins merkte in seinem tiefen Schlummer nichts davon, obwohl die übrigen Affen über diese großartige Eroberung ihres Stammesältesten in lauten Jubel ausbrachen.
Doch der Edjeati teilte die Begeisterung seiner Genossen keineswegs. Der Zylinder fuhr ihm über die Ohren bis auf den Halsring und raubte ihm alle Aussicht; deshalb zog er ihn eilig wieder herunter, und da er augenblicklich keine bessere Verwendung dafür wußte, gedachte er ihn als Stuhl zu benützen. Aber der vielgeprüfte Zylinder fühlte sich diesen Ansprüchen nicht mehr gewachsen. Er sank mit einem leisen Ächzen in sich zusammen, so daß der Edjeati den schönsten Purzelbaum nach rückwärts schlug und dann mit einem zornigen Redeschwall, in den seine Kameraden eifrig einstimmten, davonsprang.
Offenbar betrachteten die Affen dieses Betragen des Zylinders als eine feindselige Aktion; ihre zankenden Stimmen wurden immer lauter und lauter, und es dauerte gar nicht lange, rissen einige besondere Hitzköpfe die Yatainüsse in ihrer Nähe ab und schleuderten sie ziemlich geschickt nach der Glatze des schlafenden Yankee.
Jäh und empfindlich aus seinen stillen Träumen geschreckt, fuhr dieser in die Höhe, und als er erkannte, welcher Art die Angreifer waren, fühlte er sich durch die ihm angetane Schmach tief innerlichst beleidigt. Da ihm gerade kein anderes Mittel zur Hand war, raffte er die umherliegenden Nüsse auf und schleuderte sie in höchster Empörung auf die Affen zurück, die nun, statt nach Mr. Bopkins' Erwartung zu fliehen, im Vertrauen auf ihre Überzahl den Kampf aufnahmen und die Geschosse nach bestem Können erwiderten.
Bald prasselte ein solcher Regen von Früchten aller Art auf den Yankee nieder, daß dieser alle kriegerische Stimmung verlor und nur mehr bedacht war, sich nach Möglichkeit gegen die empfindlichen Würfe zu schützen. Zu diesem Zwecke zog er seine Jacke über den Kopf und preßte sie mit den Armen um den Hals, daß ihm kaum ein schmaler Spalt zum Atmen übrig blieb. Die Affen begriffen die Bedeutung dieser Bewegung sehr wohl, jubelten aus vollen Kehlen über ihren Sieg und verdoppelten womöglich noch die Zahl ihrer Wurfgeschosse. Der Yankee konnte nichts anderes tun, als seinen maßlosen Ingrimm in sich verbeißen und den Hagelschauer über sich ergehen lassen.
Da hörte plötzlich wie auf einen Zauberschlag das ohrenbetäubende Geschrei der Vierhänder auf, und diese stoben blitzschnell nach allen Seiten in die Baumkronen auseinander.
Vorsichtig ließ nun der Yankee das Antlitz unter dem Rocksaum wieder auftauchen. Aber er fand nicht Zeit, sich umzusehen, welches unvermutete Ereignis ihn aus seiner Bedrängnis befreite. Von kräftigen Armen wurde er rücklings zu Boden gerissen. Er erkannte noch, wie einige haßerfüllte braune Gesichter sich über ihn neigten; dann wurde ihm ein dichtes, sackähnliches Gewebe über den Kopf gezogen, eine Art Knebel auf den Mund gepreßt. Schmerzhafte, einschneidende Riemen an Armen und Beinen folgten – er war von den Indianern gefangen.
Als sich die Teilnehmer der Expedition am Abend dieses Tages rings um das Lagerfeuer setzten, um gemeinsam das Abendbrot einzunehmen, vermißte Doktor Bergmann den Yankee. In dem Glauben, daß dieser in seinem Wagen schlafe, befahl er Schani, den Säumigen zu holen. Aber der Wagen war leer, und nun bemächtigte sich der Männer eine ziemliche Aufregung. Der Doktor ließ einige Schüsse abfeuern, um Mr. Bopkins die Richtung anzugeben, falls er sich verirrt hatte.
Da aber der Vermißte auch nach einer Stunde noch nicht eintraf, wurde die Bestürzung allgemein, umsomehr, als es ziemlich aussichtslos schien, im Dunkel der Nacht nach dem Verschwundenen zu suchen. Dennoch ließ Doktor Bergmann bis gegen Mitternacht die Umgebung des Lagers mit Fackeln durchstreifen, denn es war nicht ausgeschlossen, daß Mr. Bopkins von einer Schlange gebissen und auf dem Wege nach dem Lager irgendwo bewußtlos zusammengebrochen war. Doch auch diese Nachforschungen blieben vergeblich; es blieb nichts anderes übrig, als den nächsten Tag abzuwarten.
Doktor Bergmann wälzte sich die ganze Nacht schlaflos auf seinem Lager hin und her. Kaum graute der Morgen, ließ er sechs Peones aufsitzen, um in eigener Person mit ihnen Nachforschungen anzustellen.
Es war äußerst schwierig, unter den zahlreichen Spuren, welche die Peones bei ihrem nächtlichen Suchen verursacht hatten, die kaum mehr erkenntliche Fährte herauszufinden, die Mr. Bopkins bei seinem Spaziergange zurückgelassen hatte. Aber die geübten Augen der Peones entdeckten sie schließlich doch, und so kamen sie bald auf den Platz, wo die denkwürdige Schlacht zwischen Mr. Bopkins und den Affen sich ereignet hatte. Hier fanden sie ein sicheres Zeichen, daß der Yankee dagewesen war: denn wenn sie auch die Ursache für das massenhafte Umherliegen der Yatainüsse sich nicht zu erklären wußten, konnte doch der eingedrückte Zylinder, der einsam und verlassen in dem hohen Grase lag, nicht allein hierherspaziert sein.
Auch die Fußspuren der Indianer ließen sich noch gut erkennen.
Aber als die Verfolger den Rand des kleinen Waldes erreichten, bot sich ihnen der gleiche trostlose Anblick dar, wie bei den zwei vergangenen Anlässen: die Indianer waren wieder ohne Verzug nach Norden entflohen und bei dem zwölfstündigen Vorsprunge, den sie besaßen, inzwischen in unerreichbare Fernen enteilt, den armen Mr. Bopkins mit sich schleppend. Wenigstens ließ sich kein Anzeichen dafür entdecken, daß sie noch hier an diesem Platz über ihn zu Gericht gesessen wären.
Die Peones wollten auf der Stelle die Verfolgung der Räuber aufnehmen. Doch der Doktor erkannte, daß es sich diesmal um eine ernste Verfolgung handelte, die einen beträchtlichen Teil seiner Streitkräfte für unbestimmte Zeit in die Ferne entführen mußte. Aus diesem Grunde wünschte er zuvor die Meinung seiner zurückgebliebenen Begleiter zu hören und vermochte nach einigem Zureden die ergrimmten Peones soweit umzustimmen, daß sie mit ihm ins Lager zurückkehrten.
Trotzdem Mr. Bopkins sein Bestes getan hatte, um sich jede Sympathie bei den Mitgliedern der Expedition zu verscherzen, herrschte doch bei diesen auch nicht einen Augenblick ein Zweifel darüber, daß das Äußerste versucht werden mußte, den Geraubten der Gewalt der Indianer zu entreißen. Es fragte sich nur, wer den Hilfszug leiten sollte, denn jeder der Herren war dazu bereit.
Doktor Bergmann wurde sofort von den anderen überstimmt; er mußte als Haupt der Expedition im Lager bleiben, um dieses zu beschützen, und durfte sich vor allem nicht von der kostbaren Maschine trennen, an die sich die Hoffnungen aller Beteiligten knüpften.
Schwieriger war Sir Allan zum Bleiben zu bewegen; nur der Umstand, daß er sich mit den Peones ohne Dolmetscher nicht zu verständigen wußte, was in den voraussichtlichen Kämpfen mit den Indianern zum größten Nachteil ausschlagen konnte, ließ ihn schließlich von seinem Vorhaben abstehen.
So wurde schließlich Oberst Iquite ausersehen, mit fünf Peones die Befreiung des Gefangenen zu versuchen.
»Hoffentlich können wir Sie bald wieder zurückerwarten,« sagte Doktor Bergmann, während sich der Oberst mit Waffen und Munition versah.
»Ich setze meine Hoffnung darauf, daß sie unseren Yankee mit sich führen und daher nicht ihre gewöhnliche Schnelligkeit entwickeln können. Sonst wäre es bei dem großen Vorsprung eine harte Aufgabe, sie einzuholen, trotzdem wir beritten sind. Diese Indianer der Pampa leisten wahrhaft Erstaunliches im Marschieren.«
»Sie müssen in der Tat unermüdlich sein,« gestand der Doktor. »Bei Tage ließ sich nicht einmal vom Ballon aus auch nur ein Schatten von ihnen entdecken; um aber in den kurzen Nächten, wie wir sie jetzt haben, solche Strecken Wegs hinter sich zu bringen, dazu gehören Muskeln und Sehnen von Stahl.«
»Das macht die Gewöhnung von Jugend auf,« versetzte der Oberst. »Benützen doch diese Indianer ihre Pferde beinahe nur als Lasttiere, die ihnen auf ihren meilenweiten Raubzügen die Nahrung und später die gemachte Beute tragen müssen, während sie selber mit Weib und Kind nebenher laufen. Da geht es vom frühesten Morgen bis zum Sonnenuntergang in einem leichten Trabe durch dick und dünn; kommt ihnen ein Wasserlauf in die Quere, muß das Pferd vorausschwimmen, während sich die Familie an seinen Schwanz hängt und nachziehen läßt. Und so unerwartet, wie sie erscheinen, ebenso rasch verschwinden sie wieder, wie Sie ja selbst schon mehrmals gesehen haben. Ja, ja, es sind bewundernswerte Fußgänger!«
»Und doch,« entgegnete der Doktor, »waren ihre Vorläufer, die Abipones, eines der gefürchtetsten Reitervölker, in gleicher Weise wie die Caracara, was schon deren Name andeutet! Es scheinen aber die Sitten hier ebenso raschen Wandlungen unterworfen zu sein, wie die Indianerstämme selber und ihre Sprache.«
Indessen war der Oberst mit seinen Vorbereitungen fertig geworden; er reichte den Zurückbleibenden die Hand zum Abschiede, stieg mit seinen Leuten zu Pferde, und die sechs Reiter stoben nach Norden davon.
Sie suchten natürlich die Stelle wieder auf, wo Mr. Bopkins überfallen worden war. Dann folgten sie in gestrecktem Galopp der breiten Fährte, die von dort aus weiterführte.