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2.
Die Matto-Grosso-Plata-Bahn

Wir müssen, ehe wir in unserer Erzählung fortfahren, einiger Nebenumstände Erwähnung tun, die zum Verständnis des weiteren Verlaufs notwendig sind.

Es war am 27. August des Jahres 1932 – der Leser möge so freundlich sein, uns in diese Zukunftstage zu folgen! – als in dem Hause der South-American-Railway-Company zu Neuyork eine denkwürdige Sitzung abgehalten wurde, welche die Aufmerksamkeit nicht nur aller Bürger der Vereinigten Staaten, sondern der ganzen zivilisierten Welt überhaupt auf sich lenkte. Sollte doch die Hauptversammlung der Aktionäre die Entscheidung darüber treffen, ob die vielbesprochene Matto-Grosso-Plata-Bahn, das letzte Glied in dem riesenhaften Eisenbahnnetz von Südamerika, endlich zur Ausführung kommen sollte oder nicht.

Schon bei Eröffnung der Sitzung konnte ein scharfsichtiger Beobachter bemerken, daß unter den versammelten Aktionären nicht gerade eine günstige Stimmung für den Plan herrschte. Sie hatten durch Jahrzehnte Opfer über Opfer gebracht und wünschten nun endlich zu dem Genuß der goldenen Früchte zu gelangen, die ihnen der Verwaltungsrat jedesmal versprochen hatte, wenn sie ihren jährlichen Gewinnanteil immer wieder zum Ausbau neuer Linien hergeben sollten. Ja, es fehlte nicht an einzelnen Stimmen, die geradezu behaupteten, die Gesellschaft sinne nur deswegen immer wieder auf Errichtung neuer Strecken, weil sie den vollständigen Rechnungsabschluß fürchte, der einen niederschmetternden Verlust an den Tag bringen würde. Nichtsdestoweniger erschien der Verwaltungsrat vollzählig und frohen Mutes in der Versammlung; die Vortragenden, die er zur Verteidigung seiner Pläne gewählt hatte, begannen mit aller Wärme, die Vorteile der Matto-Grosso-Plata-Strecke darzulegen. Der erste Redner, der die Sache sozusagen mehr durch moralische Beweise zu stützen suchte, wies darauf hin, daß die Gesellschaft bisher stets zu einem glücklichen Enderfolg durchgedrungen sei, und daß es auf das wertvollste Lorbeerreis verzichten heiße, wolle man es anderen Leuten überlassen, dieses letzte und kühnste Stück der südamerikanischen Eisenbahnen zu erbauen. Der zweite Redner suchte die gewinnbringende Seite hervorzuheben und erinnerte daran, daß die Stadt Matto Grosso, die noch um 1910 wie ein Dornröschen mitten im stillen Urwalde geschlafen hatte, nun in kurzer Frist zu einem mächtigen Handelszentrum emporgestiegen war, in dem sich vor allem die Kautschukindustrie des südwestlichen Brasilien und östlichen Bolivien konzentrierte, eine Industrie, die allein mehrere hundert Millionen Dollar in Umsatz brachte; nicht gerechnet die Erze und Edelsteine, die von den Kordilleren herunterkamen, die höchst ertragreichen Tabak-, Mais- und Baumwollpflanzungen und vor allem die zahllosen Stämme kostbarer Hölzer, die noch im Gran Chaco der Verarbeitung harrten.

»Ich versichere Sie, meine Herren,« schloß der Redner seine Ausführungen, »selbst wenn wir die Schwellen der Matto-Grosso-Plata-Bahn aus Mahagoniholz herstellen und die Schienen aus Silber, würde das Unternehmen dennoch den doppelten Nutzen abwerfen!«

Trotz dieser schönen Verteidigungsrede schienen jedoch die Aktionäre diesmal wirklich alle Geduld verloren zu haben. Ein Redner nach dem anderen erhob sich aus ihren Reihen, und mit immer schärferen Worten wurden die Pläne des Verwaltungsrates angegriffen: er kenne keine Grenzen und kein Ende und brauche Aktionäre von dreifacher Lebensdauer, wenn diese noch in den Genuß des ersten Dollars ihres Gewinnanteiles gelangen sollten. Wohl setzte sich der Verwaltungsrat stets von neuem mit ungeschwächter Energie für seine Pläne ein, aber die Gegner ließen nicht locker; die Versammlung, die am frühen Morgen begonnen hatte, saß noch am späten Nachmittag beisammen, trotzte der entsetzlichen Hitze, die über der Stadt Neuyork brütete, und als man endlich zur Abstimmung schreiten wollte, schien das Schicksal der Matto-Grosso-Plata-Bahn bereits besiegelt.

Da trat eine unerwartete Wendung ein. Der einflußreichste Vertreter der Gegenpartei war der alte Mr. Smitson gewesen, ein echter Emporkömmling, der sich vom zerlumpten Stiefelputzer zum Besitzer fabelhafter Reichtümer emporgeschwungen hatte. Ohne selbst in den Kampf einzutreten, leitete er den ganzen Angriff; aus seinem Kopfe stammten alle die Einwendungen und Vorwürfe, die gegen den Verwaltungsrat gerichtet wurden, und auf seinen Wink erhoben sich die verschiedenen Redner aus den Reihen der Gegner, um die Pläne der bisherigen Mehrheit zu Falle zu bringen. Da erschien um die sechste Stunde sein Geheimsekretär im Hause und überreichte ihm einige Briefschaften. Nachdem der alte Mr. Smitson sie bedächtig durchgelesen hatte, erhob er sich plötzlich von seinem Sitz und stellte zum nicht geringen Erstaunen seiner Parteigänger, die sich bereits des errungenen Sieges freuten, den Antrag, die Abstimmung um vier Tage zu verschieben. Sein Vorschlag wurde ohne Gegenrede angenommen, denn der Verwaltungsrat war wohl zufrieden, diese Frist für seine Sache zu gewinnen, während Smitsons Anhänger ihren greisen Führer und sein Genie viel zu sehr achteten, um erst lange nach dem Warum seines Vorgehens zu fragen. Dennoch aber schüttelten sie, während die Versammlung langsam und in erregtem Gespräch auseinander ging, verwundert die Köpfe. Was mochte vorgefallen sein?

Die Neugierde der Parteigänger des alten Smitson wurde auch in den nächsten Tagen nicht befriedigt. Das einzige, was sie in Erfahrung bringen konnten, war, daß am Nachmittag der bewegten Sitzung ein junger Ingenieur aus Deutschland, namens Doktor Bergmann, im Astor-House-Hotel abgestiegen und noch am selben Abend in den prunkvollen Palast Smitsons als Gast eingezogen war. Von diesem Augenblicke an war weder er noch Smitson selbst, noch dessen Privatsekretär zu sehen, geschweige denn zu sprechen. Dafür herrschte ein äußerst lebhafter Austausch von Botschaften mit dem Gebäude des Verwaltungsrates, welch letzterer ohne Unterlaß zu arbeiten schien. Naturgemäß wurde die Gegenpartei durch diese Geheimtuerei ihres Hauptanführers äußerst erbittert; in den Zeitungen erschienen spaltenlange Artikel, die ein solches Vorgehen in allen Tonarten verurteilten, und die Erregung wuchs immer höher.

Als endlich die vertagte Versammlung wieder zusammentrat, glich der Sitzungssaal einem aufgestörten Bienenstock. Auf der Straße vor dem Verwaltungsgebäude aber harrte eine vieltausendköpfige Menge in gespanntester Erwartung auf den Ausgang dieser für ganz Nordamerika höchst bedeutungsvollen Angelegenheit. Denn es war inzwischen durch die Zeitungen jedem einzelnen Bürger der Vereinigten Staaten von Nordamerika klargemacht worden, daß die Ehre der Republik auf dem Spiele stand; würde doch Südamerika ohne Zweifel den günstigen Augenblick benutzen und einen kräftigen Vorstoß gegen das Übergewicht der Vereinigten Staaten versuchen, sobald ihm gestattet wurde, jene wichtige Linie auszubauen, vor welcher selbst der Unternehmungsgeist der Yankee zurückschreckte. Doch die Gegenpartei ließ sich von einem solchen Aufgebot an öffentlicher Meinung durchaus nicht einschüchtern. Smitsons Bestechlichkeit, wie es genannt wurde, hatte vielmehr ihre Reihen nur noch verstärkt, und schon an dem schlecht verhehlten Übermute, der auf ihren Bänken herrschte, konnte man erkennen, daß sie ihres vollständigen Sieges nunmehr gewiß sei.

Als der Verwaltungsrat im Saale erschien, wurde er mit lautem Pfeifen und Zischen empfangen. Nur mit größter Anstrengung gelang es dem Vorsitzenden, die notwendigste Ruhe herzustellen. Aber der Sturm brach sogleich mit doppelter Gewalt wieder los, wie Smitson als erster auf die Rednertribüne trat.

Dem alten Geldmanne waren solche Vorgänge nichts Neues. Geduldig wartete er eine halbe Stunde vor seinem Pult, ohne sich zu rühren, bis seinen früheren Anhängern der Atem ausging und er endlich das Wort ergreifen konnte. Seine Rede war kurz und kennzeichnend für ihn.

»Gentlemen,« sagte er, »ich, der alte Samuel Smitson, der bisher noch von niemand für einen Dummkopf angesehen wurde, ich sage Ihnen kurz und gut: die Matto-Grosso-Plata-Bahn wird gebaut!«

Diese Erklärung verfehlte nicht, einen wirklich schauderhaften Lärm bei der Gegenpartei hervorzurufen, und der uns schon bekannte Mr. James Bopkins schrie, vor Empörung kupferrot im Gesicht: »Und unser Geld, wer schützt unser Geld?«

»Ich!« sagte Smitson voll Gleichmut, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

»Mit Ihrem eigenen Vermögen?« erkundigte sich Mr. Bopkins noch giftiger, wobei ihm beinahe die Stimme überschnappte.

»Mit meinem gesamten Vermögen,« bestätigte Smitson und entfaltete ein großes Pergament. »Hier ist die Urkunde darüber, daß ich es zu diesem Zwecke der Staatsbank überantwortet habe.«

siehe Bildunterschrift

»Kurz und gut: die Bahn wird gebaut!«

Wie Öl auf die Fluten des aufgewühlten Meeres wirkten diese Worte auf die Versammlung. Die Gegenpartei rang zunächst nach Atem, so sehr war sie vom Erstaunen übermannt; dann gewann das frühere Vertrauen zu dem ehemaligen Führer langsam wieder die Oberhand und brach sich schließlich in begeisterten, nicht enden wollenden Beifallsrufen Bahn. Als der Vorsitzende nunmehr zur Abstimmung über das Projekt zu schreiten wünschte, wurde er kaum angehört. Die Gegenpartei selbst stellte den Antrag, die Abstimmung einfach durch Zuruf vorzunehmen. Das geschah auf der Stelle; auch nicht ein Mann im Saale blieb auf seinem Platze sitzen, und so wurde an dem denkwürdigen 31. August 1932 der Bau der Matto-Grosso-Plata-Bahn beschlossen.

Der Telegraph trug diese Nachricht sogleich nach allen Richtungen der Windrose, und der Abend jenes Tages wurde durch die gesamten Vereinigten Staaten zu einer Freudenfeier, die ihresgleichen in der Geschichte nicht kannte. Nach Milliarden zählten die Lampione, die zur Illumination der Städte dienen mußten, und das Pulver, das zum Abbrennen der Feuerwerke benutzt wurde, hätte hingereicht, um die Landenge vom Panama in die Luft zu sprengen.

Den Mittelpunkt dieser Begeisterung bildete der junge deutsche Ingenieur, der einen Schlaukopf von der Sorte des alten Smitson fast im Handumdrehen dazu bewogen hatte, mit seinem gesamten, mehrere hundert Millionen zählenden Vermögen für das bis dahin unausführbar gehaltene Projekt einzutreten. Sämtliche Zeitungen brachten sein Porträt in Lebensgröße; spaltenlange Artikel unterrichteten das nach Neuigkeiten hungernde Publikum darüber, was er aß, wie er schlief, und wieviel Zahnstocher er seit seiner Geburt verbraucht hatte. Ja, in einem eigens zu diesem Zwecke geschriebenen Schauspiele wurde er bereits als der göttliche Held gefeiert, der den sterblichen Erdenkindern den Weltenraum erschließt und eine Bahn über den Mond nach der Sonne baut!

Fast verschwand neben ihm der alte Smitson selbst, gar nicht zu reden von dem ehrenwerten Mr. Bopkins, obwohl dieser zum Vertreter der Gesellschaft ernannt worden war und den Doktor auf seiner kühnen und gefahrvollen Expedition begleiten sollte. Das verdroß diesen ehrgeizigen Mann nicht wenig; im stillen Innern schwor er sogar dem Deutschen, der ihm nach seiner Meinung Ehre und Ansehen stahl, grimmige Rache.

Doch lassen wir diesen scheelsüchtigen Yankee vorläufig beiseite und betrachten wir ein wenig die Umstände, die diesen allgemeinen Jubel und Begeisterungstaumel rechtfertigen können.

Die südliche Hälfte der von Kolumbus entdeckten Neuen Welt hatte nämlich seit dem zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts einen großartigen, nur von wenigen scharfsinnigen Geistern vorausgeahnten Aufschwung genommen, in kultureller wie in wirtschaftlicher Hinsicht. Dem Vorbilde der Vereinigten Staaten von Nordamerika folgend und zugleich, um sich den immer deutlicher werdenden Herrschgelüsten der letzteren zu entziehen, hatten sich die verschiedenen Republiken Südamerikas gleichfalls zu einem Bunde zusammengetan, in dem natürlich die romanischen Elemente weitaus vorherrschten, ähnlich wie im Norden die Angelsachsen. Wie dort die aus dem alten Lande übernommene geistige Kultur bald zu einer großartigen, mit dem Mutterlande wetteifernden Blüte gelangt war, wurde jetzt Südamerika zum Bollwerk der romanischen Stämme in der Neuen Welt, in welchem sich französisches, italienisches und spanisches Genie in rühmenswertem Wettkampfe zu gemeinsamer fruchttragender Arbeit vereinte, die mit der germanisch-angelsächsischen getrost in die Schranken treten konnte. Nur in einer Hinsicht hatte sich der emporstrebende Kontinent noch nicht von seinem nördlichen Zwillingsbruder unabhängig machen können. Die wahrhaft märchenhaften Kapitalien, welche die Yankee in tausend und abertausend Handels- und Industrieunternehmungen über ganz Südamerika ausgestreut hatten, diese ließen sich nicht so schnell, wie man es wünschte, wieder aus dem Lande treiben und durch eigenes Geld ersetzen; dazu gehörten ohne Zweifel noch lange Jahrzehnte.

Am klarsten kam dieses Abhängigkeitsverhältnis in den Eisenbahnen zum Ausdruck. Der nordamerikanische Unternehmungsgeist hatte nicht nur alle bereits bestehenden Linien anzukaufen verstanden, sondern auch noch viele Tausende von Kilometern neu hinzugebaut und so eigentlich erst die Grundlage geschaffen, auf welcher der lateinische Bund von Südamerika, wie er sich nannte, seinen inneren Ausbau beginnen konnte. So war die große Kordillerenbahn, schon um das Jahr 1880 geplant, in ihrer ganzen Länge vom Panamakanal bis Tucuman in Argentinien vollendet und dank der ungeheuren natürlichen Wasserkräfte längs ihres beinahe sechstausend Kilometer langen Verlaufs vollständig elektrisch betrieben. Im Osten verband eine Bahn von mehr als dreitausend Kilometer Länge, die zumeist dem Laufe des Rio Tocantins und Rio Araguaya folgte, die Stadt Belem an der Mündung des Amazonas mit Rio de Janeiro und Santos. Die nördliche Hälfte von Argentinien besaß schon mit Ausgange des neunzehnten Jahrhunderts ein reichverzweigtes Eisenbahnnetz. Nun war im Norden die große Zentrallinie dazugekommen von Potosi über Sucre, Santa Cruz, Matto-Grosso und Palma bis Bahia, gegen viertausend Kilometer messend. Noch weiter im Norden bewältigte der fleißig regulierte Amazonas von den Kordilleren bis zum Atlantischen Ozean hin einen Verkehr, gegen den selbst der Vater Mississippi mit seinen Fluten zurückblieb. Endlich wurde im Jahre 1919 die große Linie in Angriff genommen, die den südamerikanischen Kontinent in der Mitte durchschneiden und auf dem kürzesten Wege Westindien mit der Mündung des La Plata-Stromes verbinden sollte. Sie begann bei La Guaira in Venezuela, erreichte 1923 Barcellos am Rio Negro und folgte diesem bis Manaos am Amazonas, wo die erste Lokomotive von Caracas am 11. September 1925 eintraf. Von hier sollte sie in schnurgerader Linie als Sixty-Degrees-Railway dem 60. Längengrade folgen, um die Mitte des Amazonenstromes mit dem Rio Parana zu verbinden. Unter unsäglichen Mühen und Widerwärtigkeiten, welche die kühnen Unternehmer und ihre Ingenieure des öftern beinahe am Erfolge verzweifeln ließen, wurde endlich im Jahre 1931 Matto-Grosso erreicht und nur das verhältnismäßig kurze Stück von da bis La Sabana, ungefähr auf dem 28. Grad südlicher Breite, blieb noch zu bewältigen. Aber hier kam der großartige Plan plötzlich ins Stocken; denn alle Schrecken des Urwaldes mit seinen Sümpfen und Fiebern, seinen Indianern, Giftschlangen und reißenden Tieren verblichen gegenüber dem einen Wort: Gran Chaco.

Unter diesem Namen begreift man seit den ältesten Zeiten das weite Gebiet zwischen dem 18. und 29. Grad südlicher Breite und dem 58. und 64. Grad westlicher Länge, das auf einem Flächenraum von mehr als fünfhunderttausend Quadratkilometern fast gar keine irgendwie bemerkenswerten Erhebungen zeigt und nur von zwei größeren Wasserläufen durchflossen wird, dem Rio Bermejo und dem Rio Pilcomayo. Die Richtung dieser in den Anden von Potosi entspringenden Flüsse entspricht im allgemeinen der natürlichen Abdachung jener ungeheuren Ebene, die sich kaum merklich von Nordwesten nach Südosten senkt und nichts anderes darstellt als das Schwemmland, das die beiden erwähnten Flüsse im Laufe der Jahrtausende von den himmelanstrebenden Bergen im Westen heruntergetragen haben. Sie sind auch heute in ihren Betten noch nicht zur Ruhe gelangt, sondern wandern, obwohl unmerklich, doch stetig weiter nach Süden, wie dies des öfteren von neueren Geologen nachgewiesen werden konnte. Weil nun diese angeschwemmten Ebenen nur oberflächlich mit einer pflanzentragenden Humusschicht überdeckt sind, unter der sich eine mehrere Meter dicke Lage von undurchlässigem Lehm ausbreitet, erlebt der Reisende, der sich in diese Wildnis hineinwagt, das merkwürdige Schauspiel, daß das Land zur Zeit der Überschwemmungen vom Dezember bis zum Februar unter den dahinbrausenden Wassermassen beinahe ertrinkt; doch ebenso schnell, wie sie gekommen sind, verlaufen sich die Fluten wieder, und durch acht Monate herrscht eine trostlose Dürre, die Menschen und Tiere dem Verschmachten nahe bringt und nur dort ein kümmerliches Dasein gestattet, wo in ausgewaschenen Tümpeln und Morästen ein übelriechender, von allerlei Gewürm wimmelnder Rest des kostbaren Nasses zurückgeblieben ist.

Zu diesen Schrecken der Natur gesellen sich die Scharen der herumschweifenden Indianer, die noch auf der niedrigsten Stufe der Kultur stehen, es an Wildheit mit den gefürchtetsten Stämmen der nordamerikanischen Indianer aufnehmen und zwar vor den Weißen fliehen, auch wenn sie sich in der zehnfachen Übermacht wissen, aber umso besser jeden Hinterhalt auszunützen verstehen, aus dem sie über den ahnungslosen Reisenden herfallen können. Weder Güte noch Strenge üben auf sie die allermindeste Wirkung aus; Geld oder Bitten können sie ebensowenig von ihren blutdürstigen Trieben abbringen als beschworene Verträge. Oftmals schon haben die Spanier und später die Argentinier groß angelegte Feldzüge gegen sie unternommen; aber nach unbedeutenden Gefechten verschwanden die Indianer jedesmal in ihren undurchdringlichen Wäldern, um alsbald zurückzukehren und das alte Spiel von neuem zu beginnen, sobald die Sieger dem Gran Chaco den Rücken kehrten.

Es sei zur Verteidigung dieser Indianer gesagt, daß sie schon von der Natur ihrer Heimat zum Rauben gezwungen werden. Ständige Nahrung gewähren ihnen nur die beiden Flüsse mit ihrem übergroßen Fischreichtum. Der Ackerbau, ist bei dem großen Wassermangel nur in sehr beschränktem Maße möglich, selbst wenn der gute Wille dazu vorhanden wäre. Das Pferd, mit dem sie das flüchtige Wild besser verfolgen können, wurde erst von den Spaniern eingeführt. So versteht es sich von selbst, daß im Gran Chaco von jeher das Recht des Stärkeren galt und der Indianer es jederzeit vorzog, selbst mit Lebensgefahr durch einen kühnen Streich sich die Bedürfnisse eines Jahres zu verschaffen, statt sie in mühsamer monatelanger Arbeit dem widerspenstigen Boden abzuringen. Dazu gesellen sich recht eigentümliche religiöse Anschauungen, wenn man von solchen überhaupt sprechen darf. Wie die einst gefürchteten, jetzt ausgestorbenen Abiponen, glauben auch die meisten der zur Zeit noch in Chaco lebenden Indianer, daß sie Kinder des bösen Geistes sind, erst geschaffen, als die Welt schon unter die übrigen Lebewesen verteilt war, und deswegen von dem großen Geiste mit dem Auftrag in die Welt geschickt wurden, durch Vernichtung der Bevorzugten und ihrer Habe ihr eigenes Dasein zu fristen.

Und nun hatte sich ein bis dahin völlig unbekannter Deutscher anheischig gemacht, durch dieses wilde, von allen gemiedene und gefürchtete Gebiet eine Bahn zu legen, ein Unternehmen, vor dem selbst die kühnsten amerikanischen Ingenieure zurückgeschreckt waren!!

An ein Verhandeln mit den Indianern war nicht zu denken; vielmehr mußte jeder Fußbreit Landes ihnen erst abgerungen und dann wahrscheinlich noch in einem jahrzehntelangen, hartnäckigen Kleinkrieg gegen sie verteidigt werden. Dazu kamen die ungeheuren Hindernisse, welche die Natur des Landes dem Eisenbahnbau in den Weg legte: meilenweite, grundlos scheinende Sümpfe, regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen, vollständiger Mangel von Steinen und Schotter, um den Unterbau für die Schienen herzustellen, zahllose Scharen von Ameisen, welche die Schwellen zerstörten, nachdem sie kaum gelegt waren, und hundert andere Gefahren mehr.

Dennoch hatte dieser junge Deutsche den alten Smitson für sich gewonnen und versprochen, noch im selben Herbste mit den Vorarbeiten zu beginnen! Was in aller Welt gab ihm diesen Mut? Niemand wußte dies zu sagen. Nur ein dunkles, unbestimmtes Gerücht lief von Mund zu Mund, daß der gefeierte Deutsche eine Maschine erfunden habe von geheimnisvoller, urgewaltiger Kraft, vor der alle Schrecknisse des Gran Chaco in nichts zerstieben sollten.


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