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Es ist eine ganz romantische Geschichte, die ich erzählen möchte, eine Geschichte, wie man sie heute nicht mehr schreibt. Ich habe sie aber selbst so gehört.
Es war in einer kleinen Sommerfrische. Ein Arzt war dort, ein netter Mann, der nicht viel zu tun hatte. Er war überhaupt mehr Literat als Arzt. Ich konsultierte ihn, obwohl ich durchaus nicht krank war; ich wollte nur mit ihm bekannt werden.
Als er mich untersucht hatte, sah er mich an, lächelte und sprach:
»Lieber Freund, Sie leiden lediglich an der Einsamkeit. Sonst fehlt Ihnen nichts. Wenn Sie also während Ihres hiesigen Aufenthaltes meinen Verkehr wünschen, so ist mir damit mindestens ebensosehr gedient wie Ihnen.«
Schön! Wir wurden erst gute Bekannte, dann wurden wir Freunde. Die Umgebung des Ortes, der an der böhmischen Grenze lag, war reizend. Der Arzt hatte, wie gesagt, fast ebensoviel übrige Zeit wie ich, und so konnten wir tagelang in den unermeßlichen Wäldern, die rings umher die Berge krönten, umherstreifen.
Einmal kamen wir an ein zerfallenes, altes Ritterhaus, das ganz einsam im Walde lag. Es ist klar, daß in uns die Romantik rege wurde, und da hörte ich zuerst die Geschichte vom Rothenstein.
Es war nicht mehr viel von dem alten Neste übrig, nur eine mit Farnen und Schlehdornbüschen bewachsene Mauer und die Überreste eines runden Turmes.
Der Arzt erzählte gut, – vielleicht tat er nur etwas zu viel Eigenes dazu. Ich ließ mir daher dieselbe Geschichte noch von verschiedenen Dorfbewohnern erzählen, bei denen sich solch alte Sagen wunderbar frisch erhalten und die mit der ganzen Kraft ihrer naiven Phantasie daran glauben, und aus der Summe dieser Berichte rekonstruierte ich selbst die romantische Historia vom Rothenstein.
* * *
Hundert Jahre ist es her und noch viel länger. Der Rothenstein lag vergessen ganz hinten in den Bergen, ganz mitten drin im dunklen Walde und war eine Ruine seit langem.
Die Leute im Tale wußten, daß ein Köhler in der Ruine Kohlen brenne. Fast zwanzig Jahre hauste er dort oben. Aber niemand wollte den schwarzen, einsamen Mann genauer kennen. Er kam nur sehr selten ins Tal, und hinauf zum Rothenstein kam auch niemand als der Jäger und ein paar Holzschläger, weil niemand da hinten etwas zu tun hatte.
So sagten die Leute im Tale. Aber sie logen; denn kein Schmuggler war in der Gegend, der nicht den Köhler gebraucht hätte, und im ganzen Grenzdorfe wohnte kein Mann, der nicht ein Schmuggler war.
Oft in finsterer Nacht, wenn die kaiserlichen Grenzjäger dicht hinter den Paschern her waren, verschwanden die verwegenen Burschen spurlos mit ihrem Gepäck, und ein paarmal gingen die Beamten nach der Ruine zum Köhler und fuhren ihn hart an. Da stand der seltsame Mann von seinem Holzblocke auf, richtete seine ganze, schier königliche Figur zur vollen Höhe empor und sagte herrisch: »Haltet den Mund! Sucht lieber, als daß Ihr hier schwatzet! Da sind Späne und da ist Feuer!«
Dann saß er wieder schweigend auf seinem Holzblocke, melancholisch, düster, mit unbewegten Mienen, als ginge nichts vor um ihn her, während die Grenzjäger das ganze alte Nest vergebens durchforschten. Nur sein Töchterlein Elke, ein Kind von großer Schönheit, rief er heran, schlug den Mantel um sie und hieß sie still sein, wie er selbst war. Zuletzt gingen die Grenzjäger, nachdem jedesmal der eifrigste von ihnen dem Köhler gedroht, er sorge schon noch für seinen Galgen.
Aber dann kam lange, lustige Kriegszeit, und der Köhler wurde unbehelligt gelassen, jahrelang.
Da kehrten an einem Frühlingsabend, als endlich wieder Friede im Lande war, fünf Schmuggler mit ihren Paketen beim Köhler ein. Es war eben um die Zeit der ersten Blüten und der Tag warm gewesen wie im Sommer. Da lag ein duftiger, warmer, froher Hauch über der Erde. Aber die Schmuggler saßen im Rauche des Köhlerfeuers und tranken Branntwein, und der Köhler stand vor ihnen und zürnte: »Verrückt müßt ihr sein, ihr Kerle! Die lange Kriegszeit hat euch dumm und frech und tölpisch gemacht. Wißt ihr nichts vom neuen Vogt? Ins eigene Nest lockt ihr den Fuchs? Als wenn ich überhaupt je für solche Streiche gewesen wäre!«
»Ja du!« unterbrach ihn der einäugige Heinz. »Das Alter macht dich kirre, und – paß auf! – mit sechzig Jahren bist du fromm! Aber wir! Vom Handel allein kann man nicht leben, der bringt verflucht wenig ein, und man kann froh sein, wenn einem so von selbst was in die Hände läuft.«
»Ein ganzer Theresientaler,« lachte der Köhler grimmig, »ein Theresientaler ist fünf Leuten von selbst in die Hände gelaufen. Da lohnt sich schon ein Skandal.«
Der älteste Schmuggler erhob sich.
»Der Köhler hat recht, und es ärgert mich jetzt auch; aber das konnte dem Kerl niemand ansehen, daß er nur einen Taler in der Tasche haben würde; er kam so keck und stolz daher wie ein Fürst.«
»Ja, und jetzt wird er plaudern, und wenn weiter nichts passiert, hab' ich die Scherereien wieder hier oben. Überhaupt, wir sind keine Räuber.«
»Aber auch keine Benediktiner,« fuhr der Heinz drein. »Wer freilich sein Schäfchen im trocknen hat wie du, Alter, der hat leicht predigen und mag sagen, die anderen sollen sich als Knechte ins Kloster vermieten, die anderen, die er genug ausgesogen –«
»Heinz!«
Der Mann mit den grauen Haaren ging auf den jungen Kerl los. Der wich langsam, mit verlegenem Lachen zurück, und die anderen Schmuggler traten dem Köhler entgegen.
»Beruhige dich, Köhler, er ist betrunken!«
»Er hat schon lange einen Haß auf dich!«
»Weil du ihn nicht zum Schwiegersohn gemacht hast!«
Die Schmuggler lachten, und der Köhler ließ die erhobene Faust sinken und lachte auch – laut und geringschätzig. Einer von den Schmugglern aber schrie: »Die Elke hat einen Sinn fürs Symmetrische; sie will einen, bei dem die Nase ganz gerade von oben nach unten läuft, und bei dem auf jeder Seite ein Auge sitzt, hüben eins und drüben eins –«
»Hund!«
Der Heinz faßte ihn an der Gurgel und rang mit ihm. Die anderen mischten sich drein, aber sie vermochten nichts. Der Kampf wurde wilder und gefährlicher. Da beugte sich Robert, der älteste Schmuggler, hinunter zu Heinz, der obenauf lag, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Bursche sah auf mit einem bösen, haßerfüllten Blicke, dann ließ er sein Opfer los. Er lud sich sein Paket auf und ging fluchend und drohend davon.
Eine Viertelstunde später machten sich drei andere auf, und nur Robert, der älteste Schmuggler, blieb bei dem Köhler zurück.
* * *
Drunten in der Ebene, weit hinter den unermeßlichen Wäldern, versank die Sonne. Ihr tiefes Gold übergoß die Ruine mit rotem Schein, und das alte Nest war wieder einmal ein »Rothenstein«.
Zwei Türme standen noch; davon war der eine sehr baufällig, der andere aber wies drei kleine bewohnbare Räume auf. In dem unteren stand des Köhlers Bett und Tisch, und in den beiden oberen wohnte die schöne Elke, von welcher der Köhler sagte, sie wäre sein Kind.
Sonst waren nur noch Trümmer der Burgmauern da, ein paar Löcher und Keller, und mitten im alten Schloßhofe rauchte des Köhlers Meiler.
Jetzt saß der Alte mit Robert, dem zurückgebliebenen Schmuggler, am Köhlerfeuer.
»Du wolltest, daß ich zurückblieb,« begann der Schmuggler.
»Ja, es ist gut, daß die Kerle fort sind, sie sind mir zuwider.«
Und er stieß mit dem Fuße nach einer Branntweinflasche, die in der Nähe stand.
»Was hast du?« fragte Robert erstaunt.
Der Köhler sah ihm scharf ins Gesicht.
»Etwas Wichtiges habe ich dir zu sagen, Robert, – alles zu sagen, – alles, hörst du? Darum schwör mir Verschwiegenheit! Du mußt mir schwören, Robert, sonst kann ich nicht sprechen!«
»So schwöre ich,« sagte der Schmuggler zögernd, in wachsendem Erstaunen.
Der Köhler nickte und begann nach kurzer Pause.
»Weißt du noch, wie ich das erste Mal zu dir kam? Du hattest damals noch die Fähre am Fluß, und ich ließ mich von dir übersetzen. Aber mitten auf dem Strome sprang ich ins Wasser. Du zogst mich heraus und nahmst mich in deine Wohnung. Als ich zur Besinnung kam, gab ich dir eine Ohrfeige. Darauf wurden wir Freunde, und ich richtete mich hier oben ein. Weißt du das alles noch?«
»Wie könnt' ich's vergessen haben!«
»Gut, aber was vorher war, das weißt du nicht, und vieles von dem, was nachher war, auch nicht. Heute will ich dir alles sagen. Es gibt bloß einen Menschen, den ich liebe, das ist Elke, und nur einen, dem ich dankbar bin, das bist du.«
»Viel Ehre,« brummte der Schmuggler.
»O ja, viel Ehre, Robert! Wenn ein Mensch einem anderen das wieder geben kann, was hunderte, nein tausende, nein, eine ganze Gesellschaft ihm geraubt haben, das Leben, oder was mehr ist, die Lust am Leben, so ist das viel Ehre!«
»Ich versteh' dich nicht!«
»Ist nicht nötig für alles, die Hauptsache verstehst du. Hör zu! – Ich war Student in Prag, ein armer Student, aber gescheit, jawohl, riesig gescheit, und ich wollte kaiserlicher Rat werden. Guck mich nicht so albern an, Robert, natürlich wollt' ich ein kaiserlicher Rat werden! Und alle Schmuggler hätt' ich hängen lassen, das ist klar! Aber das elende Gold und die gebenedeite Liebe! Sie kamen mir auf dem Wege zum Ratstitel in die Quere, beide auf einmal! Siehst du, da gab es einen Mann, der wollte mich in die Höhe bringen, und er konnte es auch und sagte immer, ich sei der talentvollste junge Mann, den er kenne. Aber der Mann hatte eine rothaarige Tochter, die mochte ich nicht heiraten, und sollte es doch. Da meinte er auf einmal: ich sei im Grunde genommen ein ganz dummes Schaf, und er ließ mich sitzen, so wie ich seine Tochter sitzen gelassen hatte. Siehst du, Robert, das war noch ein ganz guter Mensch. Es kann keiner mächtig sein über junge Leute und zu gleicher Zeit gerecht gegen sie, wenn er eine häßliche Tochter hat, – das sehe ich ein. Aber die Sache kam schlimmer, viel schlimmer, tausendmal schlimmer.«
Der Köhler sprang auf und ging einmal sehr erregt um den Meiler. Dann blieb er vor Robert stehen.
»Ich will's sehr kurz machen. Ich verliebte mich in eine sehr vornehme Dame, und sie liebte mich auch. Die ist mein geworden, – mein, Robert! Aber sie ist auch mit mir gehetzt worden, … aah, … zu Tode gehetzt!«
Der alte Mann ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen.
»Ihre ganze Verwandtschaft, die ganze Sippe, die ganze elende Meute hat sich auf uns gestürzt. Und doch hat mir damals nichts gefehlt als Gold. Hätt' ich Gold gehabt, da hätt' ich gelacht über die ganze dumme Gesellschaft, da wären sie von selbst wieder gekommen. Aber so! Ich war der Lump, der Bettler, der Verbrecher, der dem Frechsten von ihnen ein Derbes ausgewischt hatte, und ich mußte fliehen. Und da, – sie ist verhungert, Robert! Guckst mich wieder an, weil du's nicht verstehst. Sie ertrug Wassersuppe und Hirsebrei nicht; na ja, und dann, als das Mädel gekommen war, da … da starb sie. Die ganze Bande in der Hauptstadt heulte, ich sei schuld … Ich … ich tat das Kind zu meiner Mutter und stürmte in die Welt. Aber gerade auf deiner Fähre, da wurde ich schwach und feig, alles andere weißt du. Nach zwei Jahren holte ich die Elke, denn meine Mutter war gestorben.«
»Die Elke? A – a – ah, die Elke! Deshalb ist sie so fein wie eine Prinzessin?« fragte erstaunt der Schmuggler, der mehr überrascht als gerührt war.
Die Augen des Köhlers glänzten auf.
»Wie eine Prinzessin! Nicht wahr, das seht ihr ein, – alle! Mitten in eurem Elend seht ihr die Elke wie einen lichten Engel über euren dunklen Weg schweben, gerade wie ich! Ist doch sogar dem Heinz das Herz warm geworden, und der ist doch ein verworfenes Subjekt! Der Kerl wollte die Elke heiraten! Der Heinz die Elke!«
Der Köhler lachte laut auf in unendlicher Geringschätzung.
Hinter dem weißblühenden Schlehdorn aber, der nur wenige Schritte weit von den Männern stand, glänzte haßerfüllt ein grünliches Lauscherauge auf.
»Meine Elke!« wiederholte der Köhler. »Ihr wolltet von dem Kinde nichts wissen. Kinder plaudern? sagtet ihr. Und ich war froh darüber; ich konnte sie so mit gutem Grunde von euch fernhalten. Ja, sie ist rein, sie ist ahnungslos geblieben; sie weiß so wenig von euch wie von der Welt überhaupt; sie hat mit niemand etwas zu tun, sie kennt nur mich und die Natur und – Gott.«
»Gott?«
»Gott, ja! Weißt du, sie ist ein Weib, ihre Mutter war fromm, sie mußte etwas haben, was sie über ihre Einsamkeit hinaushob –«
»Aber du? Es ist so komisch, Köhler!«
»Ja, ich? Warum fragst du danach? Ob ich an Gott glaube, das … das weiß ich selbst nicht; jedenfalls, weißt du, mein Gewerbe … kurz, ich verlass' mich nicht auf ihn, ich verlass' mich nur auf das Gold.«
»Aufs Gold?«
»Aufs rote, klingende, glänzende Gold! Das ist alles, das hilft zu allem: zu Ehre, zu Ansehen, zu Liebe, zur Gesundheit, zum Vergnügen, zur Weisheit, zum Rechte, zu allem! Es ist der Magnetstein fürs Glück; es macht einen Willen gefüge, und wenn er ist wie Stahl, es beugt jeden Nacken, und wenn er ist wie Eisen.«
»Ja, aber warum sollt' ich eigentlich heute hier bei dir bleiben?«
»Es kommt gleich, Robert! Siehst du, ich hasse die ganze elende Sippe, die mich aus dem Leben gestoßen hat, aber das Leben selbst liebe ich. Es ist ein buntes, süßes, herrliches Ding! Ich tauge nicht zum Einsiedler! Herrje, Robert, Kerl, wenn du wüßtest, was ich kann, was ich weiß, was ich wollte, wozu ich befähigt war! Und ich mußte hier oben sitzen die besten Jahre meines Lebens, diesen Dreckhaufen bewachen und mit euch dummen Schleichhändlern Branntwein saufen.«
»Was fällt dir ein, Köhler, du beleidigst uns!«
»Beleidigen – ich euch! Schafskopf! Ungnädig kann ich sein mit euch, aber euch nicht beleidigen! Das heißt, Robert, ich vergess' mich, das ist wahr, es passiert so in der Erinnerung! Sei mir darum nicht böse! Denn dich nehme ich ja aus, und dann habe ich ja hier oben auch gefunden, was ich wollte: Gold, viel Gold!«
»Viel Gold? Gold gefunden?«
»Viel Gold, mehr als jemand ahnt!«
Der Köhler lächelte schlau.
»Ja, das sag' ich nicht. Aber auch durch den Handel hab' ich viel gewonnen.«
»Wie ist das möglich?«
»Ich zog mehr vom Gewinne, als ihr alle zusammen, mehr als alle Schmuggler, die hier verkehren.«
»Du betrogst uns, Köhler, … du … du …«
Der alte Schmuggler ballte die Fäuste, und hinterm Schlehdornstrauche tönte ein leises, giftiges Zischen. Der Köhler beachtet beides nicht.
»Reg dich nicht auf, Robert, setz dich wieder! Ich will dir's erklären. Der Soldat kämpft und bekommt einen kleinen Sold; der König kämpft nicht und nimmt das ganze Land. Das ist einmal so. Ich bin euer König gewesen, ich hab' geschlichtet und gerichtet unter euch, ich hab' euch die Aufträge gegeben, ich hab' Kundschaft gemacht für euch in Böhmen, in Sachsen, im Schlesischen. Ich habe gesorgt, daß ihr auch in der Kriegszeit reichlich verdientet, wo aller Handel darniederlag, gesorgt, daß die Grenzjäger auch nicht einen von euch erwischten, denn – das sage ich nur dir – den einzigen Findigen und Gefährlichen unter ihnen hab' ich bestochen. Ich leitete das Ganze, ich setzte meine ganze geistige Kraft für euch ein, es ist klar, daß ich mit einem einfachen Gewinn-Anteile nicht zufrieden war. Die Abnehmer gaben mir Prozente.«
»Und du stelltest dafür die Preise niedriger?«
»Ja – allerdings!«
»Ich weiß nicht, Köhler, ob das nicht schuftig von dir war, ob ich nicht die anderen warnen, – aufklären –«
»Gar nichts sollst du, nur zuhören! Wieviel meine Dienste für euch wert waren, und ob ihr sie zu teuer habt bezahlen müssen, das wird sich bald zeigen, wenn ich von euch fort bin.«
»Du willst fort von uns?«
»Ja – morgen!«
»Es ist nicht möglich!«
»Ich sage dir, daß es so ist!«
»Aber wohin willst du denn?«
»Den Ort werd' ich dir nicht sagen, aber die Wohnung für mich und Elke ist schon bereit. Zurück ins Leben will ich! Ich will leben, Elke soll leben, und niemand, niemand kann uns mehr schaden, denn wir haben alles, wir haben Gold.«
»Heinrich, … Köhler, … du kannst, du darfst nicht fort, es geht hier nicht ohne dich.«
Der Köhler lächelte.
»So werd' ich euch von jetzt an nicht mehr betrügen.«
»Aber laß doch das, es war ja nicht so gemeint, ich seh' ja alles ein und werd' nichts verraten, bloß: bleibe da!«
»Nein, Robert! Es wird auch ohne mich hier gehen, denn von jetzt an wirst du an meiner Stelle stehen.«
»Ich?«
»Ja du! Das ist eben meine Dankbarkeit, daß ich dir meine Stellung und mein Geschäft vererbe!«
»Ich kann's ja nicht, ich kann's nicht!«
»Du wirst alles können, wenn du mir jetzt gut zuhörst.«
Und der Köhler weihte den alten Schmuggler ein in alle jene Geheimnisse des Schleichhandels, die jener noch nicht kannte, er nannte ihm alle Verbindungen und Adressen, gab ihm Verhaltungsmaßregeln, Vorschriften, wie er mit den Schmugglern, wie er mit den Abnehmern verhandeln und verkehren solle, kurz, er gab ihm, wie er sagte, das Rezept zum Golde.
Darüber brach die Nacht herein. Ein wunderbarer, weicher Friede lag überm Rothenstein; kein Lüftchen rührte sich, und nur die Zweige des Schlehdorns regten sich manchmal leise, leise.
Da waren die beiden Männer fertig.
»Das ist's, was ich dir zu sagen hatte, Robert. Beachte es! Und nun leb wohl!«
»Wir sehen uns nicht wieder, Heinrich?«
»Nein!«
»Es … es wird mir schwer, Heinrich; leb wohl und hab Dank!«
Der Köhler sagte nichts mehr, und der andere ging davon, den schmalen Bergpfad hinauf. Der Mond ging auf und schien dem unbeweglich stehenden Köhler ins Gesicht. Das blieb lange regungslos, dann irrte ein Lächeln über die Wangen, die Augen wurden weit und strahlend, und man sah, daß der grauhaarige Mann nicht alt sei.
»Morgen bin ich frei, und übermorgen kommt das Glück; denn heute und morgen und übermorgen und immer hab' ich mein Gold.«
Er ging zum Turme und öffnete die Tür. Leise wie eine Katze folgte ihm Heinz im Schatten der Burgmauer.
Der Köhler tastete nach dem Fußboden. Plötzlich richtete er sich auf.
»Die Mine liegt tadellos! Weh jedem, der …« Und er wandte sich zurück nach dem Hofe. Dunkel lag der alte Meiler, und ins Silberlicht des Mondes ringelte sich nur eine sehr schwache Rauchsäule empor.
»Das Feuer geht aus,« sagte der Köhler und ging langsam nach seiner Behausung.
* * *
Heinz war in den Wald geschlichen, zähneknirschend. Und als alle Menschen fort waren vom Plane, begann das Wunder. Die Eulen flogen vom alten Turm, die Nymphe in der Quelle plauderte mit einem Reh, das sie besuchen kam, die erste Nachtigall begann zu schlagen. Da sprangen überall die Knospen, da wuchsen überall die Gräslein; die Käferlein im Moose regten sich, halb schon wach und halb noch im Traume. Und das Silberlicht huschte zwischen den dunklen Fichten hin und her und tanzte auf den Burgtrümmern.
Da öffnete sich der graue Turm, und eine Gestalt trat daraus hervor in weißem Gewande. Ein Silberstrahl fing sich sogleich in den leichten Schleiern; er klomm empor an der zarten Frau, küßte den Mund, küßte die Augen, küßte die Stirn und erblich vor dem goldnen Schimmer der Locken.
Der Frühling war nicht schöner als sie.
Und sie schlang die Arme hinter dem Kopf und sah in die Sterne. So ging sie langsam. Dann brach sie zwei Blüten vom Schlehenbusch und steckte sie ins Haar. Das Reh sah sie an mit großen, erstaunten Augen und bückte sich dann wieder forschend zum Quell. Aber da war die Nymphe noch darin.
Dann ruhte sie an der Burgmauer. Dort war eine Moosbank, darauf ließ sich rasten, und wer das Haupt bog und an die Mauer lehnte, der sah in den Himmel.
So begann sie leise zu singen:
»Wer ich bin, wüßt' ich so gern,
Weiß du es, du lichter Stern?
Schreibe es mit goldner Schrift
Hier auf diese grüne Trift,
Goldner Stern, wer ich bin!
Ob ich jung bin oder alt,
Weißt du es, du grüner Wald?
Kennst mich seit der Kinderzeit,
Sag mir in Vertraulichkeit,
Ob ich jung bin oder alt!
Ob ich dunkel oder hell,
Weißt du es, du klarer Quell?
Hell ist schön und dunkel ist schön,
Dunkel ist's Tal, und hell sind die Höhn.
Bin ich dunkel oder hell?
Wenn ich fliegen noch lern',
Flieg' ich hinaus in die Fern',
An die Stadt nah heran
Und seh' die Menschen mir an,
Wenn ich fliegen noch lern'.«
Und er kam näher, mit zitternden Händen griff er vor sich in die Luft, der Mund war ihm geöffnet, und die schönen Augen hielt er starr auf die süße Gestalt gerichtet.
»Du … du … nicht wahr, du bist eine singende Fee?«
Sie erschrak leicht, aber dann schüttelte sie lachend die blonden Haare.
»Eine Fee? O nein! Die Elke bin ich.«
»Die Elke? Wer ist das?«
»Das ist die Tochter des Köhlers, der hier wohnt.«
»Wohnt hier ein Köhler?«
»Ja, dort ist sein Meiler.«
Sie sahen sich an, und das Mondlicht bestrahlte die blühende Jugend. Dann kam sie näher, ganz zutraulich und freundlich.
»Wer bist du? Bist du ein Mensch?«
»Gewiß bin ich ein Mensch!«
Sie nahm ihm den Hut ab, strich ihm über die Stirn und über die braunen Locken und betrachtete ihn. Dann sagte sie glücklich: »Du bist sehr schön! Viel schöner als der Vater und die Händler!«
Er war verwirrt, ebensosehr durch ihre Schönheit, als durch ihr seltsames Wesen. Da nahm sie ihn bei der Hand.
»Fürchte dich nicht vor mir! Komm, setz dich zu mir und sprich mit mir.«
Und sie zog ihn zu sich auf die Moosbank. Er holte tief Atem; dann sah er auf die Ruine und fragte: »Ist das der Rothenstein?«
»Ja, weißt du's nicht?«
»Ich habe ihn gesucht, aber zuletzt hatte ich mich verlaufen.«
»Wo kommst du denn her, du schöner Mensch du?«
Er lachte.
»Aus Prag komm' ich; dort bin ich Student gewesen, und nun ist meine Studienzeit aus, und ich zieh', nach Hause.«
Sie schlug die Hände verwundert zusammen.
»Student in Prag … ist das lustig, ist das lustig! Mein Vater war auch Student in Prag!«
»Dein Vater war Student? Und jetzt ist er Köhler?«
Sie lachte glücklich.
»Freilich, freilich, drei Kisten Bücher haben wir und ein buntes Band, das mach' ich manchmal um, und ein Mützlein, das setz' ich auf, und einen Säbel, aber der ist scharf und schwer!«
Er strich sich über die Augen.
»Es ist alles so wunderbar, ich weiß nicht, ob ich träume oder wache.«
»Du wachst, aber es ist Nacht!«
Sie sah ihn wieder an. Dann schlang sie einen Arm um seinen Hals und streichelte mit der anderen Hand seine Wange.
»Bitte, bitte, du mußt mir von Prag erzählen, von den Studenten und von den Menschen.«
Er sah ihr tief in die Augen. Dabei lief ein Schauer durch seine Glieder.
»Bist du wirklich des Köhlers Tochter?«
»Aber gewiß – wer sonst?«
»Du bist so sonderbar! Warst du immer hier?«
»Immer! Ich war nie bei den Menschen!«
»Ach so!«
Jetzt verstand er sie besser. Sie streichelte ihn wieder.
»Wirst du mit mir reden, – du?«
Er nickte freundlich.
»Ja! Ich werde dir alles erzählen. Zuerst von mir! Ich heiße Werner von Rothenstein.«
»Von Rothenstein? Geradeso wie diese Ruine?«
»Geradeso! Denn meine Urväter haben hier gewohnt. Das hier war ein glänzendes Schloß und gehörte ihnen. Aber das Schloß ist zerstört worden, die Rothensteiner wurden zerstreut übers ganze Land, und ich bin einer von ihnen, vielleicht der letzte. Ich hab' das alles gelesen in alten Büchern, und jetzt, wo ich nach Hause ziehe, habe ich einen weiten Umweg gemacht, nur, um einmal diese Trümmer zu sehen.«
»Ein wirkliches Schloß, … ein glänzendes Schloß, … wie in den Märchen?«
»Wohl so ähnlich!«
»Dann bist du sehr reich?«
Er lachte fröhlich.
»O nein! Ich habe gar nichts! Heut nachmittag hatte ich noch einen Taler; aber da sind Räuber gekommen und haben ihn mir genommen.«
»Den Taler? Bist du darüber nicht traurig?«
»Gar nicht, ich fand es sogar sehr lustig. Meine Ahnen hier sind selbst schlimme Räuber gewesen; die Sünden der Väter rächen sich an den Kindern! Einen Taler – einen ganzen Taler hatte der letzte Rothensteiner! Jetzt pass' ich hierher, das Haus ist hin, und die Tasche ist leer!«
»Du hast auch kein anderes Schloß?«
»Nein, meine Mutter hat nur das Nötigste. Aber ich habe etwas gelernt und werde es nutzen.«
Sie träumte ein wenig vor sich hin.
»So bist du eigentlich hier zu Hause?«
»Eigentlich ja! Und ein eigener Empfang wird dem heimkehrenden Sohne. Wie im Märchen! Vielleicht, daß er glaubt, die alte Pracht und der alte Ruhm sei auch nur ein Märchen gewesen.«
»Und bleibst du jetzt hier?«
Er lachte wieder.
»O nein, ich wollte ja nur einmal diesen Rothenstein sehen. Morgen früh ziehe ich weiter.«
Da legte sich ein Schatten über ihr Gesicht.
»Wohin willst du?«
»Zuerst zu meiner Mutter und dann nach der großen Stadt.«
»Nach der großen Stadt? Zu den Menschen?«
»Ja, allerdings zu den Menschen.«
Sie atmete rasch und kam ihm mit dem Gesicht ganz nahe.
»Du … da nimmst du mich mit! Ja, o bitte, bitte, nimm mich mit!«
Sie legte ihm beide weiße Hände an die glühenden Wangen. Und er sagte in großer Erregung: »Ja, ja, aber, was sagt dein Vater? Du kennst mich nicht, ich bin dir fremd, der Weg ist weit und gefährlich.«
»Der Vater kommt mich suchen, er sucht mich immer, wenn ich mich versteckt habe, und ich kenn' dich doch, ich weiß, wer du bist, und wenn der Weg weit ist, dann trägst du mich … so wie mein Vater, … ich bin so leicht!«
»Und so schön, so schön!«
Er zieht sie an sich und küßt die roten Lippen. Sie läßt es ohne das leiseste Sträuben geschehen, und hinterher lacht sie.
»Du hast mich ja geküßt! Wenn mich der Vater küßt, muß ich mich immer nachher waschen; er ist so schwarz und schmutzig! Aber du bist ganz weiß! Du kannst mich immerfort küssen, und ich brauche mich gar nicht ein einziges Mal zu waschen, – gelt nein?«
»Nein, nein, nein, du liebes, süßes Kind du!«
Und er küßt sie wieder.
»Erzählst du mir jetzt von der Stadt und den Menschen?«
»Ja, du Waldelfe du, ich erzähle dir von den Menschen!«
Er bettet ihr Köpfchen an seine Brust und gibt ihr Antwort, wie einem fragenden Kinde. Und immer wieder küßt er sie. Nach einer Stunde fragt sie: »Du küßt mich viel mehr wie der Vater. Machst du das so gern?«
»Gern, sehr gern, und du mußt mir nicht zürnen.«
Sie lächelt träumerisch.
»O nein! Es ist ganz schön! Erzählst du auch von den Rothensteinern?«
»Auch von den Rothensteinern! Ihrem Andenken war ja dieser Besuch gewidmet.«
Und er erzählt ihr die Geschichte des Rothensteins.
* * *
Die Mitternacht war vorüber, und die Nachtigall sang nicht mehr. Da war sie eingeschlafen an seiner Brust.
Er schaute sie an mit der flammenden Liebe seiner Jugend und mit der scheuen Andacht, mit der man ein fremdes, großes Wunder betrachtet.
Regungslos saß er, sie und sich nicht zu stören. Aber dann reichte seine Jugend hinüber zwischen die dunklen Bäume nach dem langen Wege, auf dem er gekommen war, und nahm die Müdigkeit bei der Hand, und die kam und küßte ihm die Augen.
Da sank sein Mund hinab auf ihren goldenen Scheitel.
Der Mond verbarg sich hinter einer Wolke, es wurde dunkel. Und da geschah das Wunder: Aus den Trümmern des Rothensteins stieg in strahlendem Glanze das alte herrliche Schloß: das Herrenhaus, die Kemenaten, die Türme und Erker, die Burgmauer, die große Halle, der weite Hof.
Das war Macht, das war Reichtum, das war Schönheit! Die großen, trotzigen Mauern ragten zum blauen Himmel auf, die Fenster glänzten wie flüssiges Gold, und wo eines offen stand, fiel der Blick in hohe, herrliche Räume voll Glanz und Pracht.
Just feiert der Herr von Rothenstein Hochzeit mit seiner Braut. Das Frühlingswetter aber ist so schön, daß es ihn herausgelockt hat mit all seinen Gästen. Blumengewinde über den weiten Hof und eine große festliche Tafel! Daran sitzen schöne, starke Menschen, Menschen in Gold und Stahl und Seide. Und die Trompeten schmettern, der goldene Wein fließt, heiße Blicke fliegen, und glühende Worte werden gemurmelt.
Die junge Braut schaut erglühend auf zu dem gereiften Manne, der schön und stark ist wie kein zweiter. Sie winkt ihrem Kanzler, der bringt ein Pergament, darauf steht geschrieben, daß sie ihrem Gatten tausend Huben Landes schenke und zehn Scheffel Goldes.
Der nimmt das Pergament, öffnet das Wams und schiebt das Schriftstück auf die breite Brust. Dann springt er auf und atmet tief, tief. Er ist am Ziele, er ist reich.
Abseits von der Tafel sitzen zwei alte, verdiente Knechte. Die murmeln miteinander.
»Er hat sie geliebt, o ja, sie war ja so schön und gut, aber das Gold, das Gold, das liebte er noch mehr, und da fand er zum Unglück die Reiche, die Neue.«
»Du meinst wirklich, daß er die erste Frau –?«
»Ich meine gar nichts; er sagt, sie sei von selber gestorben. Aber gewünscht hat er, daß sie sterbe, gewünscht, ja! Komm, setzen wir uns anders, ich kann den Turm nicht sehen, seit –«
Sie kehren dem einen Turm den Rücken.
»Die Weiber sagen, sie gehe um, als rote Frau, was meinst du?«
»Ich meine gar nichts, aber ich geh' des Nachts nicht allein über den Hof.«
»Und ihr Sohn, der junge Rothenstein, wo mag er sein?«
»Gott weiß, in die Welt gelaufen, in die Armut, ins Elend.«
»He, ihr Grauköpfe, was kehrt ihr uns den Rücken? Seid ihr böse auf uns oder legt ihr euch gegenseitig die Beichte ab. Kommt her und trinkt! Gesoffen habt ihr ja Zeit eures Lebens!«
Die Gesellschaft lacht, und die Alten müssen trinken.
Die Feier wird lärmender von Stunde zu Stunde, und am meisten lärmt und trinkt der Ritter.
Der Abend kommt. Da werfen Fackeln ein unsicheres Flackerlicht über den Hof, die kühle Abendluft macht sich fühlbar, aber der Ritter will durchaus nicht hinein ins Haus.
Ein Sänger tritt auf. Er singt sinnloses Zeug. Da fährt ihn der Ritter an: »Halte das Maul, du Rabe! Geh hin und trinke! Ich will selber singen.«
Und er nimmt die Harfe und richtet sich auf. Das Gesicht glüht ihm, und man weiß nicht, ist es die sprühende Lebenslust, oder ist es nur seine Schönheit, was ihn so glühend macht. Und er singt:
»Ich bin der Herr vom Rothenstein,
Ich liebe den roten Sonnenschein,
Ich hasse den Nebel, den Winter zumal,
Ich suche die Höhen und meide das Tal,
Der Morgen mein Freund und der Abend mein Feind,
Mir ist nur wohl, wenn die Sonne scheint!
Ich bin der Herr vom Rothenstein,
Das röteste Blut auf der Erde ist mein,
Die Sonne ist blind, ist kühle und matt,
Für den, der die glühende Liebe hat.
Im engsten, im dunkelsten Kämmerlein,
Da leuchtet am hellsten der Liebe Schein!
Ich bin der Herr vom Rothenstein,
Viel rotes, schimmerndes Gold ist mein,
Das Gold ist Freiheit, ist Ruhm und Macht,
Dem Gold hab' ich alles zum Opfer gebracht:
Und ist auch trübe das Himmelszelt,
Und fehlt mir die Liebe, – ich hab' mein Geld!«
Mit einem ungeheuren Lachen sinkt der Ritter auf seinen Sessel zurück. Das junge Weib neben ihm aber stößt einen Wehschrei aus und wird blaß wie der Tod. Ihre Frauen kommen und führen sie nach der Kemenate. Die edlen Gäste verlassen den Hof, die Knechte ziehen sich scheu zurück, die Fackeln brennen ab, der Ritter ist allein im finsteren Hofe.
Er brütet dumpf vor sich hin und schweigt lange, lange … dann spricht er mit sich selbst, … spricht mit ihr, der Heimgegangenen, … spricht immerzu von seinem Golde … er will sie überzeugen, … sich trösten, … sie trösten, … die Zweite gehe ihn nichts an, … nur ihr Gold, … nur ihr vieles Gold! …
Er zieht das Pergament heraus und breitet's vor sich hin. Lesen will er … lachen … lachen, … aber es ist finster … Da fällt rotes Licht auf das Papier. Er blickt auf, brüllt kurz und dumpf auf wie ein Tier und fällt dann auf die Kniee, das Pergament in den Händen.
Vor ihm im einsamen Hofe steht sie … die Erste, die rote Frau. Er zittert und streckt ihr das Pergament entgegen. Darüber hält sie ihre rote Hand.
»Weh über dein Gold!«
Und noch einmal … klagender … klagender …
»Weh über dein Gold!«
Und abermals … schauerlich … schauerlich …
»Weh über dein Gold!
»Und über dich!
»Und über jeden, der die Hand danach streckt!«
Dann verschwindet sie, und es ist Nacht.
Tiefe Nacht!
Aber da, … Feuerschein, … Waffengeklirr, … Kampfgebrüll, … Feinde am Tor der Rothenburg, … dicht am Tor … Hilfe! … Wo ist Rettung? … Es ist keine Hilfe, … keine Rettung! … Es ist alles verloren!
Da keucht der Ritter über den Hof einmal, … zehnmal … Zehn Scheffel Goldes schleppt er heran mit starkem Arm … an den Turm, … an jenen Turm.
Und er hebt die Hand gegen den Turm und schreit: »Du selbst, die du's verflucht hast, sollst es beschützen!«
Eine kunstvolle Höhle öffnet er im Turm und wirft alles Gold hinein.
Dann dringt der Feind in den Hof, und der Ritter kämpft und fällt. Im Sterben noch lacht er:
»Das Gold ist geborgen!«
* * *
Ein Schauer fliegt über den Körper des jungen Werner. Die Rothenburg sieht er geplündert werden, verbrennen, zusammenstürzen. Und nun liegt sie als Ruine, und mitten im Schloßhofe ist ein Meiler.
Ein tiefer Jammer faßt seine junge Seele um den Glanz seines Hauses, das so schön und stolz war und unterging.
Und wie er noch trauert, scharrt sich's selbst aus der Erde mit starken Händen. Der Ahnherr steht auf und kommt auf ihn zu.
Die schöne Gestalt steht hoch und stolz vor ihm, und schaut ihn an mit traurigen Augen.
»Werner! … Sahst du mich sterben? … Wofür starb ich? … Für das Gold! … Und weißt du, daß sie vor mir sterben mußte? … Auch für das Gold, Werner! … So teuer ist dieses Gold! … Laß es nicht liegen, du Sohn, es ist zu teuer! … Laß dieses Schloß nicht liegen im Schutte; es war zu schön! … Arbeite und lebe du selbst nicht wie ein Knecht, denn du bist ein Herr! … Du bist ein Rothenstein! …«
Werner atmet schwer, schwer. Dann fragt er mühsam: »Was willst du von mir, Urvater?«
Und der andere sagt: »Das Gold liegt noch im Turm, … mein Gold, … das Gold, das ich mit meinem Leben und meiner Liebe bezahlte … Hol es, Werner, hol es noch diese Nacht!«
Der Jüngling erschaudert.
»Die rote Frau,« haucht er; »die rote Frau!«
»Fürchte sie nicht! … Fürchte nicht ihren Fluch! … Weil ich mich fürchtete, ging ich unter! … Sei du tapfer! … Hole das Gold! … Baue das Schloß auf dieser Höhe, und nimm dieses Mädchen zum Weibe! … Denn sein Vater ist reich! … Folge mir, Werner! … Es wird dir hier oben nichts fehlen: keine Sonne, keine Liebe, kein Gold.«
Da steht der Jüngling auf und reicht dem Ahnherrn die Hand.
»Komm, mein Sohn, komm in den Turm! Meine Hand ist tot, … sie öffnet keine Türe, … aber deine Hand ist lebendig und jung und stark … die hebt den Schatz!«
Er führt ihn über den Hof an den Turm.
Da fällt ihnen rotes Licht auf den Weg.
Oben auf dem Turme steht die rote Frau. Von dort ertönt es:
»Weh über dein Gold!
»Und über dich!
»Und über jeden, der seine Hand danach streckt!« –
Der Fuß des Ahnherrn stockt, sein Kopf verwischt sich, … seine Gestalt, … das Schemen vergeht, … aber auch die rote Frau verschwindet.
Werner ist allein.
»Aber ich will's, … ich will's, … ich will's!«
Er schreitet vorwärts, eine Stufe hinauf, die zweite, dritte, er tastet nach der Tür, nach der eisernen Klinke.
Da trifft eine Frauenstimme sein Ohr.
* * *
»Du … du … wohin willst Du?«
Er wendet sich um, er öffnet die Augen, er dehnt die Glieder, da sieht er Elke stehen mitten im Burghof. Aber der Gedanke an das Geschehene verläßt ihn nicht. Er steigt hinab in den Hof und faßt Elke an der Hand.
»Sahst du sie?«
»Wen?«
»Den Ahnherrn und die Ahnfrau?«
»Ich sah niemand; ich habe wohl geschlafen.«
Er sinnt nach, faßt sich an der Stirn und zweifelt an sich selber. Dann sagt er: »Du bist bekannt hier. Ich will dich was fragen. Liegt in diesem Turme Gold?«
»In diesem Turme? Ja, in dem liegt Gold, viel Gold!«
»Wahrhaftig?! So ist alles wahr, alles wahr!«
Er stöhnt tief auf, und sie schaut ihn bekümmert an.
»Ja, aber mein Vater hat mir streng verboten, den Turm je zu betreten.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht. Er war sehr streng, als er's verbot.«
»Und hätte er's tausendmal verboten, ich muß hinein, ich muß das Gold haben!«
Er wendet sich. Da trifft ihn ein Wehlaut, ein ganz leiser. Er schaut sie wieder an. Kaum hörbar sagt sie: »Das Gold gehört meinem Vater. Es ist seine Freude. Willst du's ihm nehmen, so wie dir die Räuber den Taler genommen haben?«
Dabei füllen sich ihre Augen. Da sinkt er ihr zu Füßen. Die Schönheit ihrer Trauer trifft ihn wie ein Blitz.
»Du weinst, Elke, du weinst? Weine nicht über mich! Ich will nichts, nichts!«
Er führt sie zurück zur Moosbank, zärtlich, behutsam. Dann schließt er sie in die Arme.
Aber noch einmal taucht das Gesicht des Ahnherrn vor ihm auf, zürnend, gebietend. Und leise tönt's ihm im Ohre: »Sag ihr alles! Sag ihr, daß du das Schloß bauen willst, daß du der Schloßherr und sie die Schloßfrau sein soll, dann wird sie einwilligen.«
Und er will's ihr sagen.
Aber da er eben anfangen will, schließt sie die Arme um seinen Hals und sagt: »Ich liebe dich!«
Da vergißt er alles, alles, vergißt auch das Gold.
Und sie vergißt auch alles, selbst das Fragen.
Schweigend ruhen sie sich in den Armen, lange, lange.
* * *
Der Morgen graut, und noch immer verweilen sie in lautlosem Schweigen.
Da springt die Tür auf in dem bewohnten Turme. Ein Mann tritt heraus mit einem Spaten und einer Laterne.
»Der Vater!« flüstert Elke, kaum hörbar. »Sei stille, stille!«
Die Scham ist gekommen mit der Liebe.
Der Köhler geht über den Hof nach dem anderen Turm und öffnet die Tür. Der junge Werner schaut ihm zu mit fliegender Brust.
Jetzt beugt sich der Alte nieder, die Mine abzustellen, da –
Eine Gestalt springt auf aus dem Schatten des Turmes und wirft sich auf den Köhler.
»Vater! Vater – der Heinz! – Werner – zu Hilfe!«
Werner reißt sich los von Elke.
Da – ein fürchterlicher Knall – Rauch, Steine, rote Lohe, der Turm liegt in Trümmern.
* * *
Im Walde rasten sie.
»Meine süße Braut!«
Sie schaut ihn an. – Durch die Schwermut ihrer süßen Kinderaugen leuchtet die Liebe.
»Liebster, wird das Brot reichen?« fragt sie.
»Es reicht! Morgen sind wir bei der Mutter!«
Und sie erheben sich und wandern weiter, hinaus in den Frühling, – der Arbeit entgegen, – dem Glücke.